Unternehmen brauchen Universitäts-BWL
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Unternehmen brauchen Universitäts-BWL
SE IT E 18 · DIENS TAG , 1 0 . JU NI 2 0 1 4 · N R . 1 3 2 Wirtschaft F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G Europlatz Frankfurt DER BETRIEBSWIRT Die Geldpolitik macht Euroland nicht fit Unternehmen brauchen Universitäts-BWL Aus Kostengründen möchte die Politik die BWL an Universitäten und Fachhochschulen zusammenlegen. Das wäre eine Katastrophe für die wissenschaftlich ausgerichtete BWL. Von Dodo zu Knyphausen-Aufseß und Barbara Weißenberger icht nur die Verantwortlichen in den Personalabteilungen der Unternehmen haben seit einigen Wochen wieder allen Grund, sich verwundert die Augen zu reiben. Nachdem Universitäten wie Fachhochschulen gezwungenermaßen im Bologna-Prozess die weltweit bewährte Abschlussbezeichnung Diplom-Kaufmann beziehungsweise Diplom-Betriebswirt (FH) aufgeben mussten, steht das Studium der BWL vor neuen Volten der Bildungspolitik. Der Wissenschaftsrat schlägt in seiner Stellungnahme zur „Weiterentwicklung des Hochschulsystems des Saarlandes“ vor, den BWL-Studiengang an der Universität des Saarlandes mit dem Fachhochschulstudium BWL an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in einer „Business School Saarland“ zusammenzuführen. Vergleichbare Überlegungen finden sich schon in einem Papier der Landesregierung Brandenburg als Anlage zum „Gesetz der Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz“, mit dem 2013 die Fusion der BTU Cottbus und der Hochschule Lausitz vollzogen wurde. Auch dort wird die Zusammenführung der universitären und fachhochschulischen BWL-Studiengänge im Rahmen einer „Lausitz Business School“ gefordert, da die BWL „nach herrschender Meinung“ eine angewandte Wissenschaft sei. Die modischen Namens-Anglizismen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei derartigen Vorschlägen um eine Art Trojanisches Pferd zur Wiedereinführung der Gesamthochschule handelt. Dies jedoch nicht, weil inhaltlich überzeugende Gründe für eine solche Lösung sprächen. Vielmehr wird etwa bei der Universität des Saarlandes auf das Jahresbudget von 13 Millionen Euro für die wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung an beiden Hochschulen verwiesen: Diesen „relevanten Kostenfaktor“ gelte es zu reduzieren. Wie das genau geschehen soll, bleibt allerdings der Phantasie des verwunderten Lesers selbst überlassen. Das betriebswirtschaftliche Lehrangebot ist nämlich – auch aufgrund der hervorragenden Arbeitsmarktaussichten der Absolventinnen und Absolventen – stark nachgefragt und leidet keineswegs an Unterauslastung. Wie kann dann aber das Zusammenlegen eines überausgelasteten Fachs wie der BWL an Universitäten und Fachhochschulen zu Kosteneinsparungen führen? Sinn hätte dies dann, wenn beispielsweise eine massive Verschlechterung der Betreuungsrelation oder eine drastische Reduktion der Studienplätze in Kauf genommen würden: Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Über Kosteneinsparungen hinausgehende Vorteile stellt der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten bezeichnenderweise nicht heraus. Das wiederum verwundert wenig, denn die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Vermengung von Fachhochschul- und Universitätslehre mit einer Vielzahl grundlegender Schwächen behaftet ist – übrigens nicht nur in der BWL. Mit anderen Worten: Selbst wenn die erhofften Kosteneinsparungen, die im saarländischen Haushalt von aktuell knapp 4 Milliarden Euro vermutlich unterhalb einer wahrnehmbaren Promillegrenze liegen würden, tatsächlich realisiert werden können, bleibt die Trennung der BWL an Universitäten und Fachhochschulen sinnvoll – und zwar zuvorderst wegen der unterschiedlichen ie Europäische Zentralbank hat geD liefert. Sie bewegt sich damit vollständig im Rahmen des herrschenden geldpolitischen Paradigmas. Bei lahmender Konjunktur mit zu schwacher Inflationsdynamik muss die Notenbank einschreiten, um ihr Inflationsziel und ihre Glaubwürdigkeit zu verteidigen. Eine Deflation ist zu vermeiden. Ein Umschalten der Erwartungen weg von Inflation hin zu Deflation würde an den Kapitalmärkten das Unterste nach oben kehren: Anleihekurse würden weiter steigen, Aktien- und Immobilienmärkte den Rückwärtsgang einlegen. Ob tatsächlich eine Deflation vor der europäischen Haustür steht, ist nicht ausgemacht. Deflation bedeutet nicht ein oder zwei Monate mit negativen Inflationsraten, sondern ein langfristiges Sinken des Preisniveaus, gepaart mit Erwartungen in Wirtschaft und Finanzmärkten, dass dies so bleibt. Hiervon sind wir deutlich entfernt. Allerdings geht die Inflationsentwicklung in die falsche Richtung. Zwar haben die Konjunkturergebnisse in den ersten Monaten des Jahres die Prognosen erfüllt, die Inflationsdynamik blieb jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die Frage lautet, ob das herkömmliche geldpolitische Paradigma derzeit angemessen ist. Der Grund für die mangelnde Inflationsdynamik liegt in der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung. Ein Wachstum von durchschnittlich 1 Prozent ist nicht ausreichend, um die Unterauslastung in großen Teilen des Euroraums zu schließen. Diese ist weniger Ausdruck herkömmlicher Konjunkturschwankungen als vielmehr N hartnäckiger Strukturprobleme. Bei allen Erfolgen der Krisenbekämpfung sind die Maßnahmen zur Gesundung von Wirtschaft und Finanzwesen nicht durchschlagend genug gewesen. Diese Versäumnisse kann die Geldpolitik nicht heilen. Geldpolitik kann nur Zeit kaufen, um der Wirtschaft den Strukturwandel zu erleichtern. In den Vereinigten Staaten ist diese Zeit genutzt worden. Daher kann die unkonventionelle Geldpolitik dort als Erfolg gelten, wobei sich selbst dort die niedrigen Inflationsraten als sehr zäh erweisen. In Europa verspricht man sich mehr von der Geldpolitik, als diese zu leisten vermag. Auf eine unmittelbare Transmission eines neuerlichen geldpolitischen Impulses hin zu einem baldigen Erstarken der Inflation sollte man jedenfalls nicht setzen. Die Wechselkurseffekte sind bisher begrenzt. Die Anregungen zur Kreditvergabe sind ebenfalls gering in einer Bankenwelt, in der Kreditentscheidungen nicht durch Liquidität, sondern durch mangelnde Risikotragfähigkeit und pessimistische Zukunftserwartungen beschränkt werden. Mangelnde Bereitschaft zur Verbesserung von Angebotsbedingungen und zu zögerliche Bereinigung des Bankensektors haben in Japan zum Ausbruch der Deflation beigetragen. Euroland ist davor nicht gefeit, nur weil die EZB etwas früher auf die Inflationserwartungen einzuwirken beginnt als damals die Bank of Japan. Der Schlüssel zur Behebung der zu schwachen Inflation in Euroland liegt viel mehr in den Angebotsbedingungen als in der Geldpolitik. Der Autor ist Chefvolkswirt der Deka-Bank. WIRTSCHAFTSBÜCHER Illustration Peter von Tresckow Profilmerkmale beider Institutionen. Der Wissenschaftsrat sitzt hier einem bedauerlichen Missverständnis auf. Auch wenn es sich mit der BWL um das gleiche Fachgebiet handelt, haben fachhochschulisches und universitäres Studium klar unterschiedliche Ausbildungsziele sowie verschiedene Adressatengruppen und gehen deshalb mit deutlich divergenten Ausbildungsinhalten einher. Im Ausland, speziell in den Vereinigten Staaten, ist eine solche Trennung ebenfalls gebräuchlich. Dort wird von „Teaching Universities“ einerseits und „Research Universities“ andererseits gesprochen. Unterschiedliche Konzepte können nicht einfach miteinander vermischt werden, ohne die Grundausrichtung und Vorteile dieser Diversifizierung zu zerstören. Vergleicht man beide Hochschulvarianten im Einzelnen, so ist die an Universitäten gelehrte BWL nicht nur eine angewandte Disziplin kaufmännischer Techniken und Instrumente. Stattdessen wird in beträchtlichem Umfang ökonomische Grundlagenforschung betrieben und gelehrt, die mit ihren anspruchsvollen formal-analytischen und empirischen Methoden der Sozialforschung bis hin zur Verzahnung mit der Medizin beispielsweise im Fach Neuroökonomie unzweifelhaft zum disziplinären Kern der BWL gehört. In einer forschungsgeleiteten Lehre haben sich die Studierenden in abstrakte und auf Komplexitätsbejahung angelegte Denkweisen einzuarbeiten, die für die Bewältigung von Führungsproblemen in der betrieblichen Praxis heute unabdingbar sind. Die universitäre BWL befähigt die Studierenden nicht nur, betriebswirtschaftliche Instrumente anzuwenden, sondern darüber hinaus eigenständig kritisch zu reflektieren und für neuartige Problemstellungen zu adaptieren. Demgegenüber ist die fachhochschulische Lehre entsprechend ihres gesellschafts- und bildungspolitischen Auftrags stärker auf die unmittelbare Lösung bekannter praktischer Probleme ausgerichtet. Auch das ist ein wichtiger und von zukünftigen Studierenden nachgefragter Ausbildungsweg – aber es bedingt didaktisch und inhaltlich einen fundamental anderen Aufbau des Studiums. Auch die Wirtschaft verlangt Absolventen beiderlei Ausbildungstyps und ist bereit, dafür unterschiedliche Gehälter zu entrichten. Man darf annehmen, dass dies auf unterschiedliche Ausbildungsinhalte und betriebliche Einsatzmöglichkeiten schließen lässt. Die an deutschen Universitäten hervorragend ausgebildeten Betriebswirte werden im In- und Ausland händeringend gesucht. Die Universitätsabsolventen der BWL werden gebraucht, um auf immer härter umkämpften, globalen Märkten innovative Methoden nicht zuletzt aus der Grundlagenforschung heraus zielgerichtet und erfolgreich umzusetzen. Genauso haben die Absolventen von Fachhochschulen mit ihrem spezifischen Profil exzellente Arbeitsmarktchancen. Ein Zusammenlegen der BWL-Ausbildung in Universitäten und Fachhochschulen würde am Ende beide Institutionen nachhaltig und irreparabel beschädigen. Aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung der Hochschultypen ist auch der von der Politik geforderte und vom Wissenschaftsrat unterstützte Einstieg in ein fachhochschulbezogenes Promotionsrecht entschieden abzulehnen, selbst wenn dies über den Umweg einer Gesamthochschulvariante initiiert wird. Der Doktorgrad wird dafür verliehen, dass Promovenden neues Wissen im Sinne wissenschaftlichen Fortschritts erarbeiten. Wissenschaftlicher Fortschritt ist aber gerade keine anwendungsorientierte Problemlösung im Einzelfall, so intellektuell anspruchsvoll diese auch sein mag. Wissenschaftlicher Fortschritt besteht vielmehr im Gewinnen neuer Erkenntnisse mit möglichst hoher Allgemeingültigkeit und Präzision. Damit ein Promovend diesen Anspruch erfüllen kann, ist zwingend die Anleitung, Betreuung und Begutachtung durch solche Hochschullehrer erforderlich, die sich nachweislich in einem akademischen Peer-Verfahren die Befähigung zur eigenständigen Forschung und Lehre über die Promotion hinaus erworben haben und diese Fähigkeit selbst regelmäßig immer wieder neu unter Beweis stellen müssen. Genau das sind aber die Hochschullehrer an Universitäten. Mit diesen Überlegungen geht es übrigens nicht darum, den wichtigen Beitrag von Fachhochschulen in dem vielgliedrigen System der Aus- und Weiterbildung in Deutschland herabzuwürdigen. Ganz im Gegenteil: Das Studium an Fachhochschulen ist ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Bildungslandschaft – aber in einer eigenen Art und nicht deckungsgleich mit der Arbeit der Universitäten. Wir wehren uns dagegen, dass aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen die betriebswirtschaftliche Ausbildung den Universitäten entzogen und in diesem Zuge das Promotionsrecht an Institutionen vergeben wird, die dafür weder strukturell noch didaktisch ausgelegt sind. Dies wird auch ein Thema sein, mit dem sich die mehr als 2000 Mitglieder im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. in ihrer Jahrestagung, die unter dem Motto „Betriebswirtschaft in Zeiten der Krise“ in dieser Woche an der Universität Leipzig stattfindet, intensiv auseinandersetzen werden. Fazit ist: Universitäre und fachhochschulische Ausbildung sind zueinander komplementär und decken unterschiedliche Ausbildungsbedarfe ab. Die hohe Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Studiengängen an Universitäten wie Fachhochschulen zeugt davon, dass Studierende sich bewusst zwischen diesen Ausbildungsalternativen entscheiden. Eine Vermischung würde dieser erfolgreichen Komplementarität zuwiderlaufen. Der langfristige und irreparable Schaden, der durch einen Ausstieg aus der universitären BWL entstünde, würde als gravierender Standortnachteil Deutschland nachhaltig schaden. Das ist weder im Interesse von Unternehmen noch der Gesellschaft – und schon gar nicht der zukünftigen Studierenden. Dodo zu Knyphausen-Aufseß ist Hochschullehrer für strategische Führung an der TU Berlin, Barbara E. Weißenberger hat eine Professur für BWL, insbesondere Controlling, an der Justus-LiebigUniversität Gießen. Beide gehören dem Vorstand des Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. an. Messen bleiben ein Ort persönlicher Kommunikation Deutsche Messegesellschaften helfen ihren Ausstellern bei dem Aufbau neuer Märkte geg. FRANKFURT, 9. Juni. Messen sind ein effizientes und erfolgreiches Vertriebsinstrument. Allein die 139 überregionalen Messen des vergangenen Jahres in Deutschland sind weiterhin gewachsen. In kaum einem anderen Land der Welt spielen Messen eine so große Rolle wie in Deutschland. Deutschland hat – bei einem Anteil am globalen BIP von 5 Prozent – einen Anteil am Weltmessemarkt von knapp 10 Prozent. Bei den Weltleitmessen, auf denen die Trends in den jeweiligen Branchen gesetzt werden, dürfte der Anteil noch höher sein. In vielen Branchen finden die weltführenden Veranstaltungen auf deutschen Messeplätzen statt, von der Hannover Messe für die Investitionsgüter über viele Spezialmessen bis hin zur Ambiente, der weltweit größten Konsumgütermesse auf dem Messegelände in Frankfurt. Das habe mit dem deutschen Potential an Anbietern und Von Ulrich Kater Kunden zu tun, aber auch mit der guten Messeinfrastruktur hierzulande, hebt Walter Mennekes hervor, der Vorsitzende des Ausstellungs- und Messeausschusses der Deutschen Wirtschaft. Die deutschen Messegesellschaften organisieren aber nicht nur im Inland wichtige Messen, sie sind fast alle auch global tätig. Sie versuchen zunehmend, weltweit als Veranstalter für eine bestimmte Branche oder ein bestimmtes Thema aufzutreten. Da ist die Messe Frankfurt führend, die Ableger ihrer Automechanika (Messe für Autowerkstätten) an 13 Orten auf vier Kontinenten veranstaltet. Es ist die global größte Messenfamilie. Die 139 überregionalen Messen hierzulande verzeichneten im vergangenen Jahr nach einer Auswertung des Auma einen Ausstellerzuwachs um 0,7 Prozent auf 166 444 Unternehmen, die sich hier präsentierten. Vor allem der Anteil ausländi- scher Aussteller sei gewachsen. „Es gibt keine Messemüdigkeit in den Unternehmen“, folgert der Auma-Vorsitzende aus diesen Zahlen. Dass Investitionsgütermessen derzeit stagnieren, spiegele den Investitionsstau in der Wirtschaft wider. Der Erfolg der Messen zeige, dass die persönliche Kommunikation nach wie vor Konjunktur habe. Bei zunehmender Digitalisierung verbleibe die Messe als letzter Ort der persönlichen Begegnung. Bei großen Aufträgen spiele das persönliche Vertrauen zwischen Käufer und Verkäufer eine wichtige Rolle, sagt Mennekes. Die Begegnung sei unerlässlich und so schnell nicht durch elektronische Kommunikationsformen zu ersetzen. Aus diesem Grund sei es auch für junge Unternehmen von Bedeutung, ihre Produkte auf Messen auszustellen. Der Messeförderung junger Unternehmen und der Förderung deutscher Messebeteiligun- gen im Ausland komme daher eine große Bedeutung zu. Mennekes forderte, die staatliche Auslandsmesseförderung von 42,5 Millionen Euro im Jahr auf 45 Millionen zu erhöhen. Gerade junge Unternehmen könnten sich eigene Messebeteiligungen aus eigener Kraft nicht leisten. Mennekes plädierte dafür, die Messeförderung auch zur Erschließung ganz neuer Märkte stärker zu nutzen. Er appellierte auch an die deutschen Messegesellschaften, ihr Auslandsengagement noch zu steigern und die deutschen Aussteller stärker als bisher bei der Erschließung neuer Märkte zu unterstützen. Der Auslandsanteil am Gesamtumsatz der deutschen Messegesellschaften sei mit 15 Prozent zu gering. „Zwanzig Prozent wären wünschenswert“, sagte Mennekes. Die deutschen Messegesellschaften setzen insgesamt etwa 3,2 Milliarden Euro um. Weg mit den Schulden! Atif Mian und Amir Sufi deuten die Finanzkrise neu Dieses Buch hat eine klare Botschaft: Eine Krisenbewältigung, die in erster Linie die Banken unterstützt, ist falsch. Ursache der jüngsten Finanzkrise waren nicht die Banken, sondern hochverschuldete Konsumenten. Es hat keinen Sinn, die Banken zu weiteren Krediten bewegen zu wollen, wenn die potentiellen Kreditnehmer bereits hoch verschuldet sind. Wer die Krise beseitigen will, muss die Konsumenten entschulden. Wer künftige Krisen verhindern will, sollte langfristige Kreditverträge flexibilisieren und mit eigenkapitalähnlichen Elementen anreichern. Das knapp 200 Seiten umfassende Buch enthält somit eine wuchtige Agenda. Taugt sie etwas? Moderne Ökonomen lesen vielleicht nicht mehr Hayek, aber dafür Holmes. „Es ist ein schwerer Fehler, Theorien aufzustellen, bevor man Tatsachen hat. Dann fängt man unmerklich an, die Tatsachen zu verdrehen, bis sie zu den Theorien passen, statt die Theorien den Tatsachen anzupassen“, sagt Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles bekannter Kriminalgeschichte „Ein Skandal in Böhmen“. Atif Mian (Jahrgang 1975) und Amir Sufi (Jahrgang 1977) haben dieses Holmes-Zitat bewusst an den Anfang ihres Buches über die jüngste Finanzkrise in den Vereinigten Staaten gestellt. Aus der Empirie sollen die Ökonomen lernen und daraus Theorien ableiten. Mian (Princeton University) und Sufi (Chicago Booth School) mögen jung sein, aber sie haben Professuren an erstklassigen Hochschulen, und sie sind auf ihrem Fachgebiet erfahren. Ihr Buch „House of Debt“ ist eine popularisierte Version mehrjähriger Forschungen über das Verhalten amerikanischer Konsumenten in den vergangenen Jahren. Dabei entwickeln Mian und Sufi die Fähigkeit, moderne Theorie und Empirie auf eine sehr eingängige Weise zu schildern. In dieser Hinsicht ist „House of Debt“ vorbildlich und die Widerlegung der These, moderne Ökonomen könnten nur noch in Formeln und nicht mehr in verständlicher Sprache kommunizieren. Larry Summers, der nicht gerade mit Lob für andere Ökonomen um sich wirft, hat „House of Debt“ als das möglicherweise beste Buch über die amerikanische Finanzkrise bezeichnet. Gleichwohl muss sich natürlich auch ein flüssig geschriebenes Buch versierter Autoren der kritischen Überprüfung stellen. Ausgangspunkt der Analyse ist die Beobachtung, dass schweren Finanzkrisen meist eine hohe Verschuldung von Konsumenten – oft als Folge von Immobilienkäufen – vorausgeht. Dies war auch in der jüngsten amerikanischen Krise so: Zwischen 2000 und 2007 verdoppelte sich die Verschuldung der amerikanischen Privathaushalte auf 14 Billionen Dollar. Mian und Sufi zeigen, dass besonders in den Jahren 2004 und 2007 alle Dämme brachen und gerade in sehr armen Regionen viele Kredite an Haushalte vergeben wurden, die seinerzeit fallende Einkommen verzeichneten. Diese Kredite wurden dann nicht an die halbstaatlichen Finanzierer Fannie Mae oder Freddie Mac weitergeleitet, sondern von privaten Banken in Wertpapiere eingebracht und weiterverkauft. Nach dem Beginn der Krise brach zwischen 2007 und 2010 das durchschnittli- che Vermögen eines Mitglieds des ärmsten Fünftels der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten von rund 30 000 Dollar auf null ein. Für das durchschnittliche Mitglied der reichsten 20 Prozent der Bevölkerung errechnet sich ein Rückgang des Vermögens von 3,2 auf 2,9 Millionen Dollar – was in absoluten Beträgen viel ist, in Prozent gerechnet aber nicht entsetzlich. Nach Mian und Sufi zeigte sich gerade der Vermögensverlust der ärmeren Schichten in einem deutlichen Rückgang der Konsumausgaben, der die gesamte Wirtschaft in die Rezession fallen ließ. Dass die amerikanische Wirtschaft bis heute nicht dynamisch wächst, erklären die Autoren mit der Schuldenlast, die immer noch auf den Privathaushalten ruht. Die ersten beiden Teile, in denen Mian und Sufi ihre Schilderung der Krise bieten und ihre Daten sowie einen theoretischen Rahmen mit dem Konsumenten im Zentrum präsentieren, bilden den Höhepunkt des Buches. Danach wird die Analyse etwas fahrig. Die Ursachenforschung des Kreditbooms gerät zu knapp: Die Autoren erklären ihn, ähnlich wie Ben Bernanke mit seinem Verweis auf eine „Ersparnisschwemme“, mit einer starken Nachfrage asiatischer Großanleger nach verzinslichen Dollaranlagen. Diese Auslandsnachfrage nicht zuletzt durch europäische Banken spielte fraglos eine Rolle im Aufbau der Krise, aber ganz sollten die Geldpolitik der Fed und die durch den Staat geförderten Hauskäufe auch für ärmere Amerikaner nicht vergessen werden. Des weiteren halten die Autoren ihre Kernthese nicht ganz durch. Sie räumen im zweiten Teil ihres Buches ein, dass die Stützung durch Banken kein Fehler gewesen und ein Zusammenbruch des Finanzsystems keine Alternative sei. Was sie stört, ist die starke Ausrichtung der Politik und von Teilen der Wissenschaft auf die Rolle der Banken in der Krise. Kritiker haben Mian und Sufi vorgehalten, dass sie die Rolle der Banken unterschätzen, denn in den Vereinigten Staaten brach die Konjunktur erst nach dem Fall von Lehman Brothers ein. Kontrovers ist sicherlich auch der Vorschlag einer Entlastung hochverschuldeter Privathaushalte. Nicht nur muss diese Entlastung finanziert werden. Es stellt sich auch die von Mian und Sufi vielleicht etwas leichthändig zurückgewiesene Frage, ob hier nicht Trittbrettfahrerverhalten („Moral Hazard“) begünstigt würde. Wahr ist allerdings, dass amerikanische Ökonomen unterschiedlicher politischer Couleur in den vergangenen Jahren eine solche Entschuldung befördert haben. Die Zukunft sehen Mian und Sufi in Verträgen zwischen Gläubiger und Schuldner, die flexibler gestaltet und Elemente von Eigenkapital besitzen sollen. Solche Verträge sollen vorsehen, dass in einer schweren Krise die Rückzahlung reduziert wird, andererseits beim Verkauf eines Hauses mit Gewinn der Gläubiger einen Teil des Gewinns erhält. Das klingt ungewohnt, aber derartige Überlegungen hatte für Studentenkredite früher schon Milton Friedman angestellt. GERALD BRAUNBERGER Atif Mian / Amir Sufi: House of Debt. The Univer- sity of Chicago Press. Chicago 2014. 218 Seiten. 26 Dollar.