Predigt am Ewigkeitssonntag 2013, St. Martinskirche Nienburg
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Predigt am Ewigkeitssonntag 2013, St. Martinskirche Nienburg
Predigt am Ewigkeitssonntag 2013, St. Martinskirche Nienburg Pastorin Henrike Müller Predigttext: Markus 13, 31-37 Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen. Liebe Gemeinde, was würden Sie in ihren eigenen Nachruf schreiben? Oder haben sie ihn vielleicht sogar in Gedanken schon geschrieben? Einen kurzen Text also, der – je nach Prominenz – in der Lokalzeitung erscheint oder auf Ihrer eigenen Trauerfeier vorgelesen wird. Vielleicht haben Sie tatsächlich schon etwas festgehalten. Ein paar Stichworte darüber, was Ihnen im Leben am wichtigsten gewesen ist, die sie ihren Angehörigen hinterlassen, damit die im Trauergespräch sagen, was auch ihnen wichtig gewesen ist. Wir wissen ja, wie schwer das ist: mit wenigen Worten zusammenfassen, was ein Leben ausgemacht hat. Irgendwer hört gewiss zu, der hinterher sagt: „Dass er sich zeitlebens nach der alten Heimat zurückgesehnt hat, das habt ihr gar nicht erwähnt“. Oder: „Sie hat ihr Leben lang bereut, dass sie keinen Beruf gelernt hat. Aber das hat sie nur mir gesagt!“. „Von wegen liebevoll und stets für andere da!“ Jeder, der einen Verstorbenen gekannt hat, hat seinen eigenen Blick auf dessen Leben. Die Exfrau blickt mit viel Bitterkeit auf einen Mann, der für seine zweite Ehefrau das größte Glück im Leben bedeutet hat. Das eine Kind hat sich von der Mutter stets ungerecht behandelt gefühlt, das andere immer geliebt. Sie alle, die sie unserer Einladung zu diesem Gottesdienst gefolgt sind, haben im vergangenen Jahr von einem Menschen Abschied nehmen müssen, der zu ihrem Leben dazugehört hat. 90 Mal haben wir vergangenen Kirchenjahr auf dem Friedhof gestanden, haben ein Menschenleben in Gottes Hand zurückgegeben, haben einen Sarg oder eine Urne in die Erde gelegt. Manches Mal mit stillem Einstimmen in den Lauf des Lebens, wenn jemand alt und lebenssatt gestorben ist. Manches Mal mit verzweifelten Tränen, weil es so schwer zu begreifen ist, warum ausgerechnet diesen Menschen diese Krankheit treffen muss. Und jedes Mal haben wir am Grab die Worte dem Tod entgegengesetzt, die unserer Erfahrung widersprechen und unserem Glauben Halt geben: „Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. Und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.“ Sie alle haben sich Gedanken gemacht, was wichtig gewesen ist im Leben der Mutter, der Vaters, der Ehefrau, des Sohnes. War er, war sie glücklich? Was hatte wirklich Bedeutung, und was hat Bestand über den Tod hinaus? War es ein gutes Leben, oder war es vor allem Mühe und Arbeit? Wenn man für einen anderen diese Fragen beantworten muss, bleibt immer eine letzte Unsicherheit. Werden wir ihm, werden wir ihr eigentlich gerecht? Tröstend bleibt die Gewissheit, die Dietrich Bonhoeffer kurz vor seinem Tod aufgeschrieben hat: Wer ich auch bin, du kennst mich. Dein bin ich, o Gott. Wer von einem Menschen Abschied nehmen muss, wird schmerzlich daran erinnert, dass das Leben nicht ewig dauert. Das ist keine neue Erkenntnis – aber wir blenden sie ganz gerne aus. Aber wenn erst einmal der Tod ins Leben eingebrochen ist, dann kann man die Augen nicht mehr davor verschließen, dass unsere Zeit begrenzt ist. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, heißt es im Psalm 90, den wir zu Beginn dieses Gottesdienst miteinander gebetet haben. Wer seinen eigenen Nachruf schreibt, macht sich Gedanken darüber, was wichtig gewesen und ist was völlig nebensächlich war im Leben – aber auch, was falsch gelaufen ist, was, wenn irgend möglich, noch wieder gut gemacht werden sollte. Ich habe ihnen einige Beispiele mitgebracht von Menschen, die wissen, dass ihnen nur noch wenig Zeit zum Leben bleibt und die Gedanken über ihr Leben formuliert haben. „Ich wünsche allen Menschen, dass sie bis zu ihrem letzten Atemzug das machen, was sie am Glücklichsten gemacht hat“, sagt der Koch, dessen Pflegebett in eine Nische hinter der Garderobe seines eigenen Restaurants gestellt wurde und der jeden Abend bis zum Schluss mit seinem Kollegen ein Glas Rotwein trinkt. „Mein Leben lang habe ich immer gewartet. Gewartet auf den richtigen Mann, auf die richtigen Freunde, auf den richtigen Job. Also im übertragenen Sinne könnte man sagen, dass ich darauf gewartet habe, dass die Sonne rauskommt. Denn es heißt doch, dass man nur warten müsse, dann käme alles von selber. Das haben meine Eltern zu mir gesagt, als ich ein Kind war. Bei mir kam aber nichts von selber.“ „Ich hätte früher mein Leben leben sollen“, sagt ein Mann, der an Knochenkrebs erkrankt ist. In seinem Falle heißt das: Ich hätte früher zugeben sollen, dass ich Männer liebe. „Was hätte ich mir nicht alles an Seelenqualen erspart.“ „Aber so einfach, wie man das daher sagt, so einfach ist es nicht. Ich konnte es nicht“. „Im Grunde genommen könnte ich jetzt schon sterben. Ich habe ein abwechslungsreiches, tolles Leben gehabt, und meine Kinder sind selbständig.“ Es ist auch nichts mehr offen. „Aber Lust zu sterben habe ich nicht“. [Trotzdem]: „Man sollte nicht gegen den Tod kämpfen, sondern sich ihm hingeben und sagen: Es war schön, dass ich leben konnte, schade, dass es zu Ende ist, aber es ist zu Ende. Ich hoffe nur noch nicht so schnell“. „Wenn man schon vorzeitig gehen muss, dann ist es tröstlich, dass man nicht allein ist. Mit meinem größten Dank aus tiefstem Herzen werde ich von euch gehen. Trauert nicht zu sehr um mich, ich habe meine Chance ergriffen. Eines Tages kommen sie auch für euch, und dann ergreift sie bitte auch. Damit ihr am Ende eures Lebens nicht sagen müsst: Hätte ich doch. Lieber etwas Getanes bereuen, als einem Versäumnis hinterher trauern.“1 Was heißt das, klug werden angesichts des Todes? Die Menschen, die eben in ihren Nachrufen zur Wort gekommen sind, würden wahrscheinlich sagen: Die Chancen nutzen, die das Leben bietet. Das Leben ergreifen, nicht nur geschehen lassen. Herausfinden, was glücklich macht, und das tun. Beziehungen leben. Ehrlich sein und anderen verzeihen. Und damit am besten gleich anfangen – denn niemand weiß, wie viel Zeit ihm oder ihr 1 Aus: Christiane zu Salm, Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben, München 2013. bleibt. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“, sagt Jesus im Markusevangelium. „Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater. Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.“ Diese Worte sind damals in eine Zeit gesprochen worden, als die Menschen täglich mit dem Untergang der Welt und der Wiederkunft Christi gerechnet haben. Heute sieht die Welt etwas anders aus: nachdem ein, zwei, immer mehr Generationen von Christinnen und Christen gestorben sind, ohne dass zu ihren Lebzeiten der Herr wiedergekommen ist, ist der Gedanke an das Ende der Welt in den Hintergrund gerückt. Zumindest der Gedanke an eine Apokalypse, die für alle Lebenden und Toten gleichzeitig das Unterste zuoberst kehrt. Mit dem Untergang der Welt im Kleinen, unserer eigenen Welt, müssen wir trotzdem rechnen. Viele von Ihnen haben im vergangenen Jahr erlebt, wie sich das anfühlt, wenn man am Grab steht und für einen Moment das Gefühl hat, das alles vergeht, Himmel und Erde und man selbst mit dazu. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“, sagt Jesus. Klug werden angesichts des Todes, das heißt auch, diesen Worten zu trauen und sich fest darauf zu verlassen, dass Gott das letzte Wort über unser Leben spricht und dass er es gut meint. Wenn Sie also Ihren Nachruf schreiben, lassen sie darin auch Platz für diese Worte, die nicht vergehen. Lassen Sie Platz für das Wort Gottes in ihrem Leben, das seit der Taufe darüber steht und das wir am Anfang jeder Beerdigung noch einmal hören: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“. Lassen Sie Platz für die Spuren, die das Wort Gottes in ihrem Leben hinterlässt: Bewahrung, Vergebung, Neuanfang, Lebendigkeit. Und lassen Sie Platz für das, was kommt. Wählen Sie das Blatt für Ihren Nachruf nicht zu klein. Gott hat noch etwas vor mit uns und mit all denen, von denen wir Abschied nehmen müssen. Er schenkt uns neues Leben – anders als das Leben auf dieser Erde, und anders, als wir es uns vorstellen können. Aber er schenkt uns Leben bei sich, bei Gott, der unsere Namen kennt. Und darum gehört dieser Satz zu ihrem, zu meinem Nachruf unbedingt dazu: „Jesus Christus spricht: Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. (1374) Predigtnachlied: Gott hat das erste Wort (EG 199)