Interviews 2008 - Liebenzeller Mission

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Interviews 2008 - Liebenzeller Mission
INTERVIEW 1
SB: Äh, Entschuldigung, darf ich ihnen kurz eine Frage stellen?
GP: Ja klar?!
SB: Leben Sie zufällig auf der Straße?
GP: Nee, im Moment nich, aber da hab ich auch schon ne Weile zugebracht.
SB: Ich möchte eine Ausarbeitung über das Leben auf der Straße machen, kann ich
ihnen da ein paar Fragen dazu stellen?
GP: Willste n Bier?
SB: Ne Danke, ich hab noch nicht so viel Gefrühstückt, dass kommt nicht ganz so
gut. (Lacht)
GP: (Lacht ebenfalls) Da haste recht, ich hab mir grad n Brötchen reingeschoben.
Eigentlich wollte ich mit m Zug fahren und hab mir n Wochenendticket gekauft, aber
das geht heute nich.
SB: Ah, heut is Feiertag…
GP: Ja und da darf man wohl nich mit dem Wochenendticket fahren. Deswegen häng
ich jetzt grad hier in Pforzheim rum. Eigentlich wollte ich nach Erfurt. Aber was
soll’s.
SB: Ich hab noch kurz ne Frage: Dürfte ich das Gespräch aufnehmen?
GP: Oh ne, dass lass mal, weiste wegen dem Staat und so, dass lieber nicht.
SB: Okay, dann versuch ich’s mal so!
GB: Also eigentlich lebe ich grad gar nich auf der Straße, ich hab grad ne Wohnung
in Nagold und nen Job, ich fahr so Kranke rum für n Euro. Aber is alles bäh (streckt
die Zunge raus) Und ich bin halt so n Gutmütiger. Dann verzichteste hier mal auf ne
Stunde und machst da mal keinen Mittag und schon erwarten die Leute dass von dir
ich mein….Aber ich warte eigentlich auch nur auf meine Verhandlung…das zieht
sich jetzt schon vierzehn Monate. Und die Bullen haben mir mein Hund
weggenommen.
SB: Mh, warum?
GB: Naja, die sagen ich könnte nich für den Sorgen. Die ham doch keine Ahnung.
Ich wollt ihn eigentlich schon holen, aber mein Anwalt meint, ich solle erst mal mein
eigenes Verfahren machen, vielleicht muss ich ja dann wieder in Knast.
SB: Wie, so richtig ins Gefängnis?
GP: Ja klar, was denkst n du? Das erste Mal sahs ich im Jugendknast. Irgendwie
scheinen die Bullen mich immer zu riechen. Eigentlich mach ich gar nichts, aber
dann wach ich morgens auf und bin weg von der Platte (Diesen Ausdruck verwendet
GP immer wieder im Verlauf des Gesprächs um zum Ausdruck zu bringen, dass er
im Gefängnis ist). Naja, irgendwie trink ich abends halt was mit Kumpels und dann
weiß ich nichts mehr, ich wach morgens auf und bin einfach weg von der Platte. Die
haben mich irgendwie besonders im Riecher, dass die immer ausgerechnet mich
schnappen. Dabei mach ich doch gar nichts. Die behaupten immer
Beamtenbeleidigung, aber ich mein das doch nich böse und ich weißes ja nich mal
mehr. Einmal haben se sogar behauptet, mein Hund hätte so n Bulle gebissen. So ein
Quatsch. Und dann nehmen sie mir noch mein Hund weg…die haben doch gar keine
Ahnung von Tieren. Jetzt isser da oben im Tierheim. Ich wollt ihn ja schon holen.
Aber ich muss erst auf meine eigene Verhandlung warten. Aber die halten mich
immer hin. Verschieben das die ganze Zeit. Naja, irgendwie bin ich ja auch selber
Schuld. Letztes mal haben se mir in Calw schon gesagt, dass darf nur noch ein mal
passieren. Aber ich mach das ja nich mit Absicht.
Weißte ich habe letztens mit einem Kumpel….der is jetzt schon tot, und der andere
ist auch schon tot…und die eine, ist letztlich auch gestorben, alle noch jung, nich mal
fünfzig…
SB: Und an was sterben die da so?
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GP: Na an Herzinfarkt oder so was. Die kommen dann immer ins Krankenhaus und
ich weiß nich….vielleicht verdienen die Ärzte ja auch da dran, ich mein…wenn se so
n Finger abschneiden oder so? Wer weiß das schon so genau? Manchmal wunderst
dich nur, was die da so zusammenflicken. Da haste aber kenne Chance.
SB: Außer du hast viel Geld und bist Privatpatient (lacht)
GP: (Lacht ebenfalls) Ja, da haste recht. In der Klinik wo ich arbeite, letztens komm
ich so zur Arbeit, da kommt so ne Frau, die Blind is…lauter blaue Flecken hatte die
und nen gebrochenen Arm. Die Ärzte sagen, sie is aus m Bett gefallen aber…ich
mein, mir passiert das vielleicht, wenn ich mal einen zuviel trinke…aber die Frau
fällt doch nich aus m Bett…Ich hab das dann meinem Chef gesagt…der is leider
auch blind. Aber der sagt nur, er hätte mit den Ärzten und Pflegern gesprochen und
die sagen eben, sie sei aus dem Bett gefallen. Das glaubt doch kein Mensch…
Ich war auch einmal im Krankenhaus wegen Pilzvergiftung haben die Ärzte
behauptet. Weste, ich war im Wald mit meinem Hund, da hab ich n noch gehabt. Na
wir waren Pilze sammeln. Ich bin nämlich Koch.
SB: (euphorisch) Was, richtig Koch, dass is ja cool!
GP: Denkste, da muss man so viel arbeiten. Und immer am Wochenende.
SB: Das heißt aber, sie haben so ne richtige Ausbildung zum Koch gemacht?
GP: Ja damals in Liebenzell die ersten eineinhalb Jahre und dann in Schömberg.
SB: Ne oder? Ich wohn jetzt in Liebenzell und bin in Schömberg aufgewachsen
Beide freuen sich!
GP: In Langenbrand?
SB: Ne, direkt in Schömberg, aber da wohnst jetzt mein Vater.
GP: In Liebenzell, da kann man wohnen, da isses schön….Calw is n Drecksloch
dagegen.
SB: Und ab wann sind sie dann so auf der Straße gelandet?
GP: Naja, ich hab halt so sieben oder acht Jahre als Koch gearbeitet und irgendwann
wird mir das dann zuviel. Da haste dann keinen Bock mehr (Streckt Zunge raus)
Immer nur Schuften bis zum Umfallen…so fing das irgendwann an.
SB: Und warum kamst du dann das erste mal in Knast?
GP: Naja, da sin mir die Bullen ins Auto gefahren…Okay, sie würdens
wahrscheinlich anders sagen. Das war so n alter brauner Opel. Ich bin dann rechts
auf die Straße gefahren und sie sind volle reingeknallt. Und dann bin ich halt n bissl
laut geworden…aber eigentlich war das schon früher….auf n Internat. Ich war hier
ganz in der Nähe auf m Internat, die meinten, sie müssten mich erziehen. Das würd
ich keinem empfehlen….
SB: Was war das für ein Internat?
GP: Ach das war irgendwo was Christliches. Da drehst ja durch. Ich mein, gut
gemeint haben dies ja. Ich hatte früher immer so fünfer und da hatte ich dann so
dreier. Wirklich besser bin ich nich geworden durch die. Dreier reichen mir auch
irgendwie.
SB: Und wie war es da dann?
GP: Naja, da hab ich halt mal ne Tafel kaputt gemacht. Und auch mal unsere
Haustür…meine Mutter wollt mich nich rein lassen….und da war halt auch einer,
denn ich nich leiden konnte…naja, der war eben so komisch….Und dann war ich ne
Weile hier und dann auch mal in Erfurt. Und jedes Mal lässte irgendwelche Kisten
stehe oder s geht was kaputt. Einmal, da musste ich viertausend Euro zahlen. Ich
mein, ich hab dann auch vierhundert Euro angezahlt und dann war ich eben einfach
so beschäftigt. Ich hab als Koch gearbeitet, da hatte ich keine Zeit mehr für solche
Sachen. Naja und dann irgendwann standen die Bullen vor der Tür und haben mich
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mitgenommen. Und als ich dann wieder raus kam, da waren meine ganzen Möbel
weg. Ich mein, die hatte ich grade frisch gekauft und ich komm raus und alles is weg
SB: Wurden die dann Gepfändet?
GP: Ich weises nich. Auch meine Ordner waren weg…und dann ziehste halt um,
kaufst dir wieder Möbel, bist weg von der Platte und wieder is alles weg. Keien
Ahnung wer das immer weg nimmt oder was die mit dem machen. Wenn de
rauskommst fehlt die Hälfte. Ich meine so Möbel und so, dass sind ja ein n paar
tausend Euro. Das machste ja nich einfach so. Und grade fühlste dich wohl, musste
wieder weg von der Platte. Ich bin jetzt von 1993 bis jetzt zwölf mal umgezogen.
SB: Wow, dass is oft.
GP: Ja, siehste und wenn du immer überall nich länger als eineinhalb Jahre
bist…Wie sollste dich da noch heimisch fühlen? Da haste dann auch irgendwann
keine Lust mehr. Irgendwann nimmste dann nur noch n paar wichtige Ordner mit
und Bücher, die du brauchst, denn Rest lässte einfach stehen. Und so haste
irgendwann gar nichts mehr. Und immer, wenn du dich grade eingerichtet hast, bisste
wieder weg von der Platte. Ich mein…die sin doch nich mehr ganz sauber.
SB: Erzähl mal so von deinen Eltern…
GP: Hm, von meinen Eltern. Also mein Vater is abgehaun, da war ich vier.
Und dann war meine Mutter ein Jahr krank und ein Jahr in Kur. Hatte ne
Nervenentzündung…is ja verständlich. Da war ich dann bei Pflegeeltern…die haben
mich ganz schön gestritzt. Da war kein Mitleid. Und dann kam meine Mutter wieder
und die hatte schon n Alkoholproblem. Ich meine, dann is ja klar (Hebt seine
Bierdose hoch). Naja und meine Mutter liegt jetzt in Villingen und mein Alter Herr
liegt in …(Hab ich vergessen). Zweimal bin ich bei dem Vorbei und hab ihm Guten
Tag gesagt, aber der wollte nichts von mir wissen. Naja und meine Pflegeeltern
leben zwar noch, aber irgendwie will ich bei denen nich vorbei. Da is dann noch ne
Tante…aber die hat’s nich so mit mir. Naja, da war mal so ne Phase, da bin ich mit
Iro rum gelaufen und das hat se irgendwie nich so überwunden. Weste, ihr Mann is
Notar und sie iss (hab ich auch vergessen, aber es war irgendwas „Gutbürgerliches“).
Das passt nich so ganz…Hat se irgendwie nich so ganz überwunden, aber ich mein,
dass is halt so ne Jugendphase, da muss man mal durch…is ja nichts persönliches
oder so…
SB: Das hat wohl ihr gutbürgerliches Herz nicht ganz verkraftet?
GP: Das kannste sagen.
SB: Mich würde mal noch interessieren, wie es denn so im Knast is?
GP: Na was soll ich sagen, da kannste kaum Atmen…die Luft is so dick…Früher
haste halt deinen Mund aufgemacht, dass machste heute nich mehr. Als Junger, da
haste noch n Bett alleine, aber jetzt is das auch vorbei. Ich mach halt meinen Mund
nich mehr auf. Irgendwann denkste nur: bäh (Streckt Zunge raus). Naja, das Essen
sollteste auch lieber nich anrühren, dass lässte dann halt in Ruhe. Das Brot ess ich,
und wenn’s gar nich mehr geht, dann auch das Andere. Aber irgendwann machste
den Mund nich mehr auf.
SB: Und wie is das so unter den Gefangenen?
GP: Ach die, die du draußen kennst, die triffst du auch drinnen wieder. Irgendwie
sins immer die gleichen. Weiß nich, warum die Bullen es immer auf solche angelegt
haben. Ich weiß auch nich, was die mit mir immer haben. Ich hab nichts gegen die,
die machen nur ihre Arbeit. Aber mich können sie doch in Ruhe lassen. Weißte, ich
hab kein Problem mit Alkohol, ich trink nur am Wochenende. Ich weiß auch nich,
was die immer haben. Und dann wachste morgens auf und bist weg von der Platte.
Einmal, da bin ich im Krankenhaus aufgewacht. Da kam grad die Ärztin oder was
das war mit so nem Messer also ich meine so n Rasierer, weil ich am Kopf geblutet
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hab…ich hab dann nur geschrien, sie soll das lassen. Weißte, du darfst dich niemals
Nähen lassen! Nähen is ganz schlecht. (Zeigt mir seine Hände, die mit Narben
übersäht sind) Das hier, dass is nich genäht. Dass hier auch nich und das auch nich.
Dass hier is genäht. Siehste ja, das wächst nich richtig zusammen. Da bin ich beim
Umzug von nem Freund am Spiegel hängen geblieben. Das hat geblutet wie
sau…naja, und dann sin mehr halt ins Krankenhaus. Ich wollt ja erst nich.
SB: Hmh
GP: Aber das hat der Beste Arzt in Nagold gemacht. Ein guter Arzt. Aber du darfst
dich nich Nähen lassen, dass is bäh (Streckt Zunge raus).
Naja und wer weiß was die Bullen da gemacht haben….einmal bin ich aufgewacht
und war mal wieder von der Platte weg und da war das ganze Klo voll geblutet. Ich
hatte Nasenbluten wie sonst noch was…da weiste ja auch nich, was die gemacht
haben…und mir werfen se vor, ich hätte einer n Finger abgebissen und nen anderen
hätte ich angespuckt. Ich weiß gar nichts mehr und ich mein, ich kann ja nichts dafür.
Ich mach das ja nich mit Absicht oder so. Und ich hab auch nichts gegen die. Nur
meinen Hund, den hätten se nich wegnehmen dürfen. Der is jetzt da oben (Zeigt
Richtung Nordstadt) In so nem Tierheim…Ich wollt ihn ja dann für 60 Euro legal
holen. Aber das geht jetzt nich mehr. Ich hab auch mit meinem Anwalt schon geredet
und hab dem schon dreihundert Euro gegeben. Aber der sagt, ich soll erst mal meine
eigene Verhandlung machen.
SB: Ja können sie ihren Hund dann wenigstens Besuchen?
GP: Ne, dass geht nich mehr. Zwei mal war ich da. Beim dritten mal war da so ne
Frau und ich hab schon von weitem gesehen, dass die keine Ahnung von Hunden hat.
Da bin ich halt bischen laut geworden…und jetzt darf ich da nich mehr kommen…
SB: kann man als Obdachloser eigentlich gut leben?
GP: Klar, das geht schon, du kriegst ja Tagesgeld….1,15! pro Tag. In Pforzheim
kriegstes für zwei Tage in größeren Städten für vier. Das geht schon…und manchmal
kriegste auch so noch was zwischendurch….Nur wenn du weg von der Platte bist,
dann kostet das 115!. Jedes mal
SB: Wow, dass is aber n ganz schön teueres Luxushotel.
GP: Teueres Luxushotel, dass kannste laut sagen….Und da fragste dich, was die mit
dem ganzen Geld machen….erziehen wollen se dich, sagen se immer. Aber wenn du
jetzt ganz normal Abreitest, guck dir doch mal deine Lohnkarte an. Ich mein, 30
Prozent von deinem Lohn sind weg. Wofür? Damit die irgendwelche Tunnel in die
Landschaft setzten, die kein Mensch braucht. Ich war mal ne Weile in Erfurt. Da
wars echt gut. Da wollte ich eigentlich auch bleiben. Aber irgendwie ziehts dich doch
immer wieder heim. Hätt ich das mal nich gemacht, dann hätt ich meinen Hund jetzt
noch. Und Pforzheim is ja das allerschlimmste. Steigste aus dem Zug und als erstes
siehste den Bau da (Zeigt mit dem Kopf Richtung Polizeipräsidium). Ich mein, dann
is doch alles gleich bäh (streckt Zunge raus) Was willste denn hier noch?
SB: Erzählen sie mir doch mal von so nem Tagesablauf als Obdachloser
GP: Na, da gibt es nich viel zu erzählen… Du kommst in ne Stadt und guckst erst
mal wo das Arbeitsamt ist. Die sagen dir dann, wo du deine Berechtigungsmarke
holen kannst. Das is meisten eineinhalb Kilometer weit weg. Da läufste dann erst mal
hin. Dann musste mit dem Schein zum Sozialamt, dass is dann meistens zweieinhalb
Kilometer weg am anderen Ende der Stadt. Zwischendurch trinkste halt dann noch so
deine zwei drei Bier und dann is der Tag dann auch rum. Naja, wenn du sp läufst,
dann kannste dir auch mal die Gegend angucken, so schlecht is das nich. Ich hab mir
schon mal überlegt, ob ich noch was anderes lernen soll. Irgendwas mit Natur oder
so. Was machst denn du eigentlich?
SB: Ich studiere, Pädagogik, mit religiösem Hintergrund aber.
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GP: Ah dann biste wohl ne Erzieherin?
SB: Äh, nich ganz….
GP: Na so was hab ich mir auch schon überlegt. Aber da musste so viel denken, ich
bin mehr der Praktiker. Landschaftsgärtner oder so, dass wär was. Aber wenn du
dann die ganzen Baumnamen wissen musst. Ne (Streckt Zunge raus) Das geht nun
echt nich… Und wie is das mit der Religion? Is da auch was von Moslems dabei?
SB: (Wage!) Naja, wir lernen schon auch was über den Islam, aber es geht doch um
die christliche Religion.
GP: Naja, die Moslems sin schon ganz schön streng, die haben echt krasse Regeln.
Die sin nich so offen, wie die evangelischen. Ich kenn da n paar aus Calw. Die sin
echt streng und so.
Wie alt biste denn?
SB: Äh, 24…
GP: Ach, ich hätte dich jetzt auf 30 oder 32 geschätzt
SB (stirbt an Herzkasper und damit is das Gespräch gedanklich beendet):
Ja, ich werd meistens älter geschätzt….aber wie alt bist du denn?
GP: Na schätz mal…
SB: Äh so vierzig oder so?
GP: Hm, man gibt es ja nicht gern zu, aber das kommt schon hin…muss mal wieder
meine Falten bügeln gehen…
SB: Sag mal, wenn man so immer von Straße zu Knast wieder zu Straße kommt,
resigniert man dann nich irgendwann auch mal?
GP: Ja, das Leben is schon irgendwie bäh (streckt Zunge raus). Aber ich mein, was
willste machen? Ich will die Sachen ja auch nich, aber ich weiß nich, warum die
Bullen s immer so mit mir haben. Ich mein, mein Chef wollte mir jetzt ne
Festanstellung geben, aber ich hab mir das mal ausgerechnet….da käm ich viel
schlechter weg…vergisses hab ich dann gesagt. Ich nehm den Euro am Tag und du
behalt mich solange wie du willst, und wenn’s dir nich mehr passt, dann schmeiste
mich eben. So is das Leben. Ich muss jetzt eh erst mal meine Verhandlung abwarten.
Sie haben gemeint, dass ich entweder wieder in Knast komm, oder in die
Landesklinik eingeliefert werd.
SB: Okay…
GP: Ja, da wollen se entweder ne Entgiftung machen. Schwachsinn. Ich trink ja nur
ab und zu mal am Wochenende. Ich hab bestimmt kein Alkoholproblem. Oder die
wollen mir ne psychologische Behandlung andrehen. Auf Schizophrenie wollen se
mich untersuchen. Kompletter Blödsinn sag ich dir. Na sollen se mal machen.
Werdens ja schon selber sehen.
SB: Und was machst du jetzt noch?
GP: Och, ich geh jetzt noch nach Calw, da sin n paar Kumpels aus Erfurt da. Mit
denen werd ich jetzt noch n paar Bierchen trinken…und du?
SB: Ich geh jetzt noch ne Freundin besuchen und dann fahr ich wieder heim.
GP: Wie kommst n Heim?
SB: Ich fahr mit dem Zug. Danke für das Gespräch, ich fand es wirklich voll
interessant.
GP: Och ja, ich hoffe, du konntest was lernen.
SB: Auf jeden Fall, is ja doch irgendwie anders, als ich das so kenne.
GP: Och, so anders ises auch wieder nich. Ganz normal.
SB: Naja, wie man’s nimmt. Ich wünsch dir auf jeden Fall noch nen schönen Mittag
mit deinen Freuden.
GP: Danke wünsch ich dir auch! (Schütteln sich die Hände, SB geht.)
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INTERVIEW 2
Dieses Interview wurde von Sara Bindewald und Elisabeth Mack am 8.Mai 2008 in
Calw geführt.
S: Sara
L: Lissy
HP: Hans-Peter (Wunschname der Person !)
Erste Eindrücke:
Der erste Eindruck erfolgte schon einen Tag zuvor. Der junge Mann hat
mitbekommen, dass wir eine Person für ein Interview suchen und stellte sich zur
Verfügung. Da er aber in diesem Moment keine Zeit hatte, vereinbarten wir einen
Termin am darauffolgenden Tag. Der junge Mann (19 Jahre) zeigte großes Interesse,
da selber eine zeitlang Heimatlos war. Gerade lebt er in einer Wohngemeinschaft in
Calw. Er wird durch Sozialarbeiter betreut und machte einen sehr gepflegten
Eindruck. Kam mit sauberer Kleidung (rotes T-Shirt, beigefarbene knielange Hose,
ein schwarzes Base cap und weiße Turnschuhe, die neu waren) und ohne
Alkoholgeruch zum vereinbarten Termin. Als wir ankamen, telefonierte er gerade mit
einem Kumpel am Handy und brach das Gespräch dann ab, als er uns kommen sah.
Er gab uns die Hand zur Begrüßung und führte uns in den Aufenthaltsraum der
Wohngemeinschaft. Dort führten wir dann das Gespräch. Er war damit
einverstanden, dass wir es mit dem Aufnahmegerät aufnehmen dürfen.
Vereinzelt kamen Personen vorbei, die uns aber nicht störten und sich auch nicht in
das Gespräch einmischten.
S: Ganz kurz noch mal zum Interview. Du darfst einfach ganz frei erzählen. Du
fangst einfach an zu erzählen und wir stellen dir dann zwischendurch ein paar
Fragen. Oder wir haken bei ganz bestimmten Dingen nochmals nach, die uns
interessieren.
HP: Also nicht so, wie ich es gemacht hab. (zur Erklärung: er muss gerade selber ein
Interview von der Schule aus durchführen) Ich frag immer so, wie ist das und das
passiert und dann erzähl ich ein Stück und stell ich halt wieder so Fragen. So ist
mein Interview halt.
L: Du kannst gerne einfach mal anfangen zu erzählen wo du groß geworden bist und
wie kam es dazu, dass du von daheim raus bist.
HP: Also, ganz von vorne soll ich anfangen?
S: Ja genau.
HP: Geboren bin ich, ja wie soll man das sagen, also im Osten drüben, also DDR. Ja,
dann bin ich aber, wie alt war ich da, mit zwei Jahren oder so was sind wir dann
schon wieder umgezogen. Richtung – ähm, wie war das jetzt – ja genau Botgen, bei
Hildesheim, ich weiß nicht, kennt ihr das?
S: Ne.
HP: Hildesheim, Botgen
L: Ja, ok.
HP: Da sind war dann halt hingezogen und da bin dann halt auch das erste Jahr zur
Schule gegangen und da war ich dann bis zur zweiten Klassen. Dann sind wir bald
wieder umgezogen. Aber, ähm, aber meine Eltern haben sich dann da schon das erste
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mal so getrennt und dann sind wir zurück wieder zum Osten wegen meiner Oma
halt. Weil die da noch gewohnt hat, sind wir da zuerst untergekommen. Danach, ähm,
L: Das heißt, du bist mit deiner Mama zurück dann?
HP: Ja.
L: Und dein Papa blieb hier?
HP: Ja, der blieb dann in Botgen, sozusagen Hildesheim. Ja, dann halt, haben wir da
halt nen paar Jahre gewohnt, dann hatte meine Mama auch nen Freund, aber das hat
dann auch nicht so gut geklappt. Der mochte mich nicht, meine Geschwister schon,
nur mich halt nich. Das war dann halt auch scheiße und die Schule und so. Und ich
wurde da früher halt auch oft gehänselt, keine Ahnung, das war dann wieder so. Mein
Vater kam dann halt immer an und hat dann auf so freundlich und lieb gemacht, so
als ob er sich geändert hätte. Ja, und meine Mutter hat dann halt gesagt, ok, ziehn wir
zurück. Dann sind wir dann aber nach, mein Vater ist in der Zeit auch umgezogen
Richtung Bielefeld. Ich weiß nicht, kennt ihr das?
L/S: Ja. Ja.
HP: Richtung Bielefeld, da hat dann mein Vater gewohnt. Ja, und dann sind wir halt
da hingezogen. Dann haben in einer Zwei-Zimmer-Wohnung gewohnt mit fünf
Leuten. Und danach, weil unser Haus noch nicht fertig war, sind wir halt in das Haus
gezogen. Ja, und ja, da hat dann auch schon der Streit angefangen. So wieder ein
bisschen, so blablabla und danach (seufzt) haben wir das Haus gekauft und sind dann
Richtung Hamburg gezogen und haben dann oben in Hamburg gewohnt und ähm, ja
dann haben wir uns da halt auch noch mal ein Haus gekauft und ähm, ja da haben wir
dann halt auch gelebt. Und dann fing das halt alles wieder von vorne an, so mit
meinen Eltern. Die haben sich dann wieder gar nicht verstanden. Ja, und dann ähm
irgendwann hat das dann meiner Mutter gereicht und dann is sie halt ausgezogen,
weil sie hat schon in der Zeit wieder mit nem neuen Freund geschüttelt, also sie holt
sich Typen übers Internet und dann halt, ähm, sind war halt direkt in Hamburg
gezogen und da erst mal für nen paar Wochen gelebt.
S: Hm.
HP: Und ähm, ja, dann ähm, mein Vater is dann auch irgendwie abgehauen nach
Bremerförde, also das is Richtung Bremen.
S: Ja.
HP: Das is er dann hingezogen, meine Ma hat sich dann auch ne Wohnung ge..., ne
andersrum. Mein Vater ist nach Strahle gezogen. Ich weiß nich, kennt ihr das? Nach
Strahle is dann halt mein Vater gezogen
L: Ja.
HP: Und wir sind halt nach Bremerförder gezogen, in der Nähe Bremen und dann
haben wir da halt ein paar Monate gewohnt, bis meine Mutter dann den Freund jetzt
von hier, also aus Hirsau kennengelernt hat. Ja, und dann sind wir halt mit dem dann
zusammengezogen.
S: Warum seid ihr sooft umgezogen?
HP: Keine Ahnung … Zugvögel hat meine Mam immer gesagt. Wir sind immer 2 – 3
Jahre an einem Ort geblieben, dann sind wir wieder umgezogen.
S: Gab es Probleme, dass ihr sooft umgezogen seid?
HP: Ja, ich hatte Probleme in der Schule und mein Vater wegen der Arbeit und so.
Deshalb mussten wir dauernd umziehen.
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S: Ihr seid hier runter gezogen und dann? Erzähl einfach mal weiter.
HP: Danach fing es mit den Kleinigkeiten an z.B. seine Internetdose (HP erzählt von
dem Freund seiner Mutter) seine Telefonsteckdose da halt, die war halt nur noch so
ein Draht und ich habe mehr Computererfahrung als er und dann habe ich halt zu ihm
gesagt, ja lass mich des halt kurz reparieren. Er meinte halt so nein und so habe ich
halt gesagt, ok mache ich halt doch nicht. Aber dann ging es irgendwann gar nicht
mehr, weil der Draht irgendwie raus gegangen ist. Und dann meinte er zu mir, er
brüllte mich voll an, was gehst du an die Scheiße dran, wegen dir geht des jetzt nicht
mehr. Und so, hat sich halt … z.B. ich habe mal was gegessen und dann habe ich
mein Teller, statt in die Spüle, neben die Spüle gestellt. Und dann bin ich halt ins
Wohnzimmer gegangen und habe Fernsehn geguckt. Auf einmal nimmt er den Teller,
geht an mir vorbei auf den Balkon und schmeißt den Teller aus dem Fenster. Ich denk
so ok, er dachte er könnte mich irgendwie ärgern oder so. Mich hat es nicht gejuckt.
Des war ja nur en Teller – von mir aus. Ja, und dann …(seufzt) ja, hat dann immer
wegen jeder Kleinigkeit so … vorher wenn ich immer die Schule geschwätzt habe …
er halt … ha mich immer angebrüllt oder wenn ich meine Haare gemacht habe, ja so
… (Zitiert den Freund seiner Mutter) Bist schon fast wie ein Weib, brauchst fast drei
Stunden im Bad.
Ja, lauter solche Kleinigkeiten – er hat sich immer so aufgeregt. Und Thema war
auch das Geld. Ich habe immer meine Mam gefragt, ob ich Geld haben könnte.
(verstellt seine Stimme, um den Freund seiner Mutter nachzusprechen) Nein, du
bekommst kein Geld. Geh arbeiten! Was weiß ich!
Ich habe dann zu ihm gesagt: Halt die Fresse, du hast mit mir nichts zu tun. Ich rede
mit meiner Mama und nicht mit dir. Und so hat sich das immer hochgespielt.
S/L: Hm, Ja.
HP: Ja, irgendwann war es letztes Jahr Sommer, also in den Sommerferien. Da wurde
ich mit meinem Bruder, also … was ich noch dazusagen muss … mein Bruder ist mit
der Tochter von dem Freund meiner Ma zusammen. Habt ihr das kapiert?
S/L: Ja.
HP: Gut, und die sind zusammen. Ja, und dann war es halt so … sie ist genau wir ihr
Vater, möchte meinen Bruder ganz für sich alleine haben und am Besten überhaupt
nicht mehr hergeben. Und so ist der Typ auch, meine Mutter darf kaum was machen.
Und dann rasstet er voll aus, wenn sie mal was macht und er nichts davon weiß.
Deshalb ist er voll der Psycho. Ja und die Freundin von meinem Bruder ist auch so
und da wollten wir, ich und mein Bruder, mal schwimmen gehen, dass war letztes
Jahr im Sommer. Davor wollten die aber was gemeinsam machen, also mein Bruder
und seine Freundin, aber sie hat dann abgesagt, weil sie etwas mit einer Freundin
machen wollte. Mein Bruder hat sein Ok gegeben und meinte er würde mit mir was
machen. Und dann hatten wir alles geklärt. Und dann kam sie irgendwann an und
meint, ja geht doch nichts mit ihrer Freundin, wir können jetzt was machen. Also sie
und mein Bruder. Blablabla…. Und mein Bruder meinte, dass geht nicht! Sie war
dann sauer und dann haben wir gemeint, sie könnte doch mitgehen. Doch sie wollte
nich Blablabla….. Ich und mein Bruder sind dann halt schwimmen gegangen. Wir
haben dann eine SMS gekommen von ihrem Vater, dass wir unsere Sachen packen
können. Rausgehen … Abhauen können.
S/L: Hm.
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HP: Am Ende hat sich rausgestellt, dass sie dann halt vor so … rumerzählt hätte, dass
wir sie voll fertig gemacht hätten. Wir wären ja selber schuld, dass wir raus müssen.
Sie hat voll die Scheiße abgezogen. Mein Bruder und ich sind halt dann abgehauen.
Sind noch einmal zurückgegangen und haben uns ein paar Sachen geholt. Zelt! Dann
sind wir … oh kennt ihr Neuhängstett?
L/S: Ja.
HP: Ja, da oben ist so ein Waldgebiet. Wann man Richtung Möttlingen fährt. Ja, da
haben wir dann gezeltet. Ungefähr zwei Wochen lang. Und dann kam mein Onkel
noch. Der kam von Hamburg. Der hat uns voll geholfen. Wir sind erst einmal in
einen Wohnwagen gezogen. Des war Ende der Sommerferien. September, da sind wir
dann da hingezogen. Ein paar Tage später musste ich wieder zur Schule, mein Bruder
auch. Es war sehr gut. Und da haben wir gewohnt bis dieses Jahr Februar. Ja, das
Problem war, mein Onkel musste im Januar nach Hamburg zurück, weil sein Onkel
gestorben ist. Deshalb musste er da wieder hoch, wegen der Beerdigung. Er musste
da einiges klären. Und plötzlich waren wir alleine auf uns gestellt. Wegen der Miete
im Winter, während der Winterzeit im Wohnwagen, des war nicht so glücklich, weil
wir keine 800 ! hatten. Das konnten wir nicht so wirklich auftreiben. Dann waren
wir voll oft beim Jugendamt, wegen meinem Bruder, der war ja da noch
minderjährig. Wir haben versucht des halt zu klären. Die haben uns dann auf die Idee
mit der Wohngemeinschaft X gebracht. Dort kann man euch helfen. Wir haben dann
gemeint, wir würden uns das mal anschauen. Ich bin erst einmal hingefahren und
habe mir das angeschaut. Es geht schon. Dann kam eines Tages der Leiter Y zu uns
und hat mit uns auch noch geredet. Und auch mit der Vermieterin des Wohnwagens
und das Problem mit dem Geld. Und dann…. Wir sind dann hier hergezogen. Wir
haben das, was wir noch hatten mitgenommen. Wir sind halt jetzt hier. Schlecht ist es
nicht, aber es ist halt mittelmäßig. Es soll ja auch nur übergangsweise sein.
Ich mache gerade … ich will, mein Realschulabschluss nachmachen und deswegen
will ich hier noch ein Jahr wohnen. Dann brauche ich halt, nächstes Jahr mehr Zeit
zum Lernen, weil ich die Prüfungen dann habe. Deshalb bleibe ich auch hier, des ist
voll der Stress, wenn ich mir jetzt ne Wohnung irgendwo nehmen würde. Ich muss
mich auf die Schule konzentrieren. Das ich die schaffe. Anschließend versuche ich
eine eigene Wohnung zu finden und sie auch zu finanzieren.
L: Wie sah dein Tagesablauf aus, als du gezeltet hast und als du im Wohnwagen
gelebt hast?
HP: Im Zelt, des war noch ganz normal. Wir sind halt gegen 10 oder 11 Uhr
aufgewacht, dann wenn man halt wach wurde. Dann sind wir nach Neuhängstett
gefahren. Ja, mein Onkel war da – der wollte nicht, dass wir alleine da zelten,
deshalb kam er von Hamburg runter. Er hätte das eigentlich nicht machen müssen, er
hätte auch in ein Hotel ziehen können. Er hatte nur nicht soviel Geld, dass wir da
auch mit rein gesteckt werden. Da hätten wir ja nochmals ein Doppelzimmer zahlen
müssen. Dann hat er halt mit uns den Rest gezeltet, weil es ja schönes Wetter war.
Camping ist ja nicht schlecht. Wir sind dann zum Bäcker gefahren morgens. Jeder
hat sich halt ein Kaffee geholt. Der Freund von meiner Mam musste morgens immer
früh arbeiten und ich und mein Bruder sind halt dann da hingefahren. Wir haben uns
dann dort gewaschen, Duschen halt, Klamotten oder auch neues Anziehen, die wir
nicht mitgenommen haben. Wir sind dann wieder abgehauen. Dann haben wir
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geguckt, was wir so über den Tag noch machen. Wir sind schwimmen gegangen oder
Fußball gespielt oder keine Ahnung …. Mit dem Auto einfach stumpf in der Gegend
rum gefahren. Später haben wir halt geguckt, ob wir noch was kaufen. Irgendwas,
was man halt Grillen kann. Wir haben uns dann immer ein Lagerfeuer gemacht.
Würstchen, Kartoffeln gab es immer. Was man halt so essen konnte. Oh, ja Pizza
haben wir auch mal versucht mit der Alufolie zu grillen. (lacht) Kann ich nicht
empfehlen. Würde ich echt nicht raten. (Wir lachen gemeinsam) Wir haben dann
noch ein Bierchen getrunken und dann sind wir wieder schlafen gegangen. Es war
immer so gegen 22 – 24 Uhr. Und am nächsten Tag war es eigentlich wieder
dasselbe. Ja, im Wohnwagen hatte dann die Schule wieder begonnen. Ich bin
morgens um 6 Uhr aufgestanden. Dann halt gefrühstückt. Mein Onkel, der hatte
schon wieder eine Arbeit gefunden und hat uns noch zur Schule gefahren. Ich hatte
es nicht weit. Ich hatte dann bis halb vier Schule. Anschließend wieder nach Hause.
Ich bin gelaufen oder er hat mich abgeholt. Dann gab es was zu Essen und den Rest
des Tages saß ich rum, habe Computer gespielt oder war mit meinem Bruder auf dem
Fußballplatz. Des war so der Tagesablauf. Oh, am Wochenende war ich bei Freunden
und hab halt Party gemacht.
S: Nochmals zu deinem Onkel, wie kam er darauf, dass er zu euch zieht?
HP: Wir haben voll ein gutes Verhältnis zu ihm. Nicht zu meinen Eltern. Ich habe
jetzt auch keinen Kontakt zu meinen Eltern. Zu meinem Vater erst recht nicht und zu
meiner Mutter auch nicht, weil sie nicht normal in ihrem Kopf ist, wegen ihrem
Freund. Daher ist unser Onkel die einzige Bezugsperson, die wir haben. Daher
meinte er auch sofort, als er das gehört hat, dass er runter kommt. Er meinte auch …
dass hat er früher einmal gesagt, er würde sein Leben für uns opfern, nur damit es
uns besser geht. Das ist schon Hammer!
S: Euren Onkel habt ihr damals kennen gelernt, als ihr in Hamburg gewohnt habt?
HP: Genau.
S: Du hast erzählt, dass du damals im Wohnwagen gelebt hast. Wie haben deine
Freunde reagiert?
HP: Ich habe daraus kein Geheimnis gemacht. Wenn sie mich danach gefragt haben,
z.B. Ich bin an der XX Schule, kennt ihr das?
L/S: Nein
HP: Also es gibt da zwei verschiedene, eine hier und die andere in Altensteig. Ich
mache da meine Praktika und da kann man auch versuchen Ausbildungsplätze zu
bekommen. Bei mir ist das halt anders, ich interessiere mich nicht für die
Ausbildungen, weil die man mit Hauptschulabschluss machen kann. Ich möchte
schon einen besseren Beruf.
L: Was möchtest du gerne machen?
HP: Industriekaufmann, Polizist oder Bürokaufmann. Aber Bürokaufmann ist eher
die letzte Wahl.
Die haben mich halt dann gefragt, wo ich wohne (spricht über seine Freunde). Und
zu der Zeit habe ich schon gesagt, ich wohne auf dem Campingplatz. Die haben dann
schon gefragt, was ich da mache. Ja, ich wohne da. Ich habe denen dann alles erklärt,
dass ist möglich dort zu wohnen. Hab halt erklärt mit Anmieten und so was. Habe
dann auch noch erzählt, was passiert ist. Die haben dann schon gesagt, oh. Die
meisten waren dann schon sehr überrascht, dass ich des auch auf die Reihe
5
bekomme. Ab und zu haben sie mal nachgefragt und wie ist es so? Vor allem in der
Winterzeit, haben sie gefragt, ob es nicht voll kalt ist. Ich habe gesagt, ja das ist es
schon, aber wir haben ja Ölheizung und dann noch zwei Decken und dann geht des
schon. Am Anfang hat es mir ja noch gut gefallen, weil es da noch warm war. Aber
im Winter wird es ganz schön kalt. Wir hatten so einen Wohnwagen, hier war so die
Türe (malt mit seinem Zeigefinger auf den Tisch) und da war dann der Vorraum, dann
die Essbank. Fernseher, da hinten die Toilette und hier so die Küche. Hier ging noch
so eine Türe rein und dann waren hier zwei Betten. Da hat mein Bruder und mein
Onkel geschlafen. Und dann ging da noch ein Gang entlang, dahinten war halt auch
noch ein Bett. Des war alles leicht abgetrennt. Und der Ofen stand vor der Türe, zu
mir kam als letztes die Hitze und die Dichtung von so einem Wohnwagen ist halt
auch nicht so gut und dann war es trotzdem voll kalt. Es hat uns alle schon gefroren.
Man gewöhnt sich halt irgendwann mal an die Kälte. Es geht.
S/L: Hm.
HP: Einkaufen gingen wir und die Küche hat so ausgereicht.
S: Wie haben deine Lehrer darauf reagiert? Haben die es gewusst?
HP: Manche Lehrer wussten des schon. Die von meinem Bruder bestimmt auch. Die
meinten schon, des ist voll abgefahren. Die hätten da ja auch nichts machen können
und des Jugendamt war ja auch schon eingeschaltet. Die haben ja auch mit meiner
Mam geredet, aber sie kann auch nichts machen, hat sie gesagt, sie hat voll Angst vor
dem Typen. (Pause)
S: Du hast erzählt, dass du oft die Schule geschwänzt hast, in der Zeit als ihr ständig
umgezogen seid. Was war für dich der Anlass, nicht in die Schule zu gehen?
HP: Ja, des war in Hamburg. Da habe ich die kaufmännische Schule gemacht. Da
dachte ich halt so, … ja, die Klasse war echt voll scheiße. Da waren voll die
eingebildeten Leute. Ich habe nicht wirklich in die Klasse gepasst und dann habe ich
immer die Schule geschwänzt. Montags hatte ich immer frei. Dienstag bin ich,
glaube ich immer gegangen, weil wir da immer Computerunterricht hatten. Des war
voll ok. Mittwoch ging auch noch, da hatten wir 2 Stunden noch Mathe … ja Mathe.
Dann Sport ging auch noch. Aber die letzten zwei Tage bin ich dann immer weg
geblieben. Meine Deutschlehrerin möchte ich überhaupt nicht und sie mich auch
nicht. Sie hat mir natürlich am Ende eine 6 reingedrückt, weil sie mich ja auch nie
gesehen hat. Ja, in der Hauptschule habe ich ja auch öfters schon gefehlt. Ist echt
nicht gut.
Die Lehrer haben immer mal wieder bei meiner Mutter angerufen. Doch sie hat
gesagt, sie weckt mich ja, aber wenn er nicht aufsteht, kann ich auch nichts machen.
Des Problem war ja, ich war da schon volljährig … also… habe ich meine ganzen
Entschuldigungen selbst unterschrieben.
L: Wie alt bist du jetzt?
HP: 19. Also werde jetzt 20.
Das Gespräch endete über einen Austausch von Interviewformen, da HP für ein
Schulprojekt auch ein paar Interviews machen muss. Er führt uns noch nach draußen
auf die Straße und verabschiedete sich.
6
INTERVIEW 3
Interview mit einem Obdachlosen (Stuttgart Mai 2008)
Isabell und ich sind zusammen nach Stuttgart gefahren, sie unterhält sich bereits mit
einem Obdachlosen und da dieser weiß, dass ich auch einen Gesprächspartner suche,
spricht er einen jungen Mann, der an uns vorbei läuft, an. Er ist sehr offen, sofort für ein
Gespräch bereit und setzt sich vor mir auf den Boden, begrüßt den anderen
Obdachlosen und Isi mit Handschlag und streckt auch mir die Hand entgegen. Da ich
im Schneidersitz auf einer kleinen Mauer sitze gerate ich ins Wanken, als ich mich zu
ihm umdrehen will. Also streckt er mir die Bierflasche entgegen: „Hier Mädel, trink
erstmal was, damit du deine Balance nicht verlierst.“ Zuerst will ich nicht, aber der
andere Obdachlose meint nur „Kannst ruhig!“ Okay, dann muss ich wohl. Nach einem
Schluck Bier stelle ich mich vor und erkläre, warum ich mich gerne mit ihm unterhalten
möchte. Er nuschelt und ich verstehe ihn kaum, also setze ich mich zu ihm auf den
Boden.
Er: „Oh, du lässt dich auf den Boden herab?“
Ich: „Ja, warum nicht?“
Von da an verstehen wir uns echt gut, nicht nur akustisch. Allerdings: Das Gespräch
aufnehmen geht nicht, keine Frage! Dafür gibt’s zuviel Polizei in Stuttgart und
überhaupt, wer weiß, wer das dann zu Ohren bekommen würde... also mache ich
Notizen.
Ich: „Wie alt bist du?“
Er: „Zwanzig.“
Ich: „Und woher kommst du?“
Er: „Hm, also ich wurde viel herumgereicht, aber eigentlich aus xy“ (Stadt im
Großraum Stuttgart)
Ich: „Wie bist du auf die Straße gekommen?“
Er: „Hm, da muss ich weiter ausholen. Also ich hab Hauptschulabschluss gemacht und
dann mit 15 eine Ausbildung zum Koch angefangen. Ich musste immer arbeiten, wenn
meine Freunde gefeiert haben. Abends, am Wochenende,... und das mit 15.
Dann hab ich eineinhalb Jahre arbeitslos gemacht.“
Ich: „Hast du die Ausbildung fertig gemacht?“
Er (stolz): „Jaja, die Ausbildung zum Koch hab ich!“
Ich: „Dann warst du danach arbeitslos?“
Er: „Ja genau, eineinhalb Jahre. Ich hab halt gesifft, gekifft, war auf Drogen. Dann
heroinabhängig. An Silvester lag meine beste Freundin da, um Mitternacht haben wir
versucht, sie aufzuwecken, aber sie ist nicht aufgewacht. Also dachten wir, wir lassen
sie schlafen. Um zwei haben wir es wieder versucht, sie lag auf dem Bauch und wir
haben sie umgedreht. Sie war ganz grün im Gesicht. Der Arzt meinte, wenn wir sie um
Mitternacht geweckt hätten, hätte sie vielleicht eine Chance gehabt. Sie hatte sich eben
einen letzten Schuß gesetzt.
Danach hab ich einen Entzug gemacht. Dann hatte ich eine Freundin, deren Mutter
Apothekerin war. Ich war ja gerade auf Entzug, also hab ich ihr Valium gestohlen. Aber
es ist rausgekommen und ich bin dort rausgeflogen. Dann hab ich erstmal eine Weile
bei einem Kumpel gewohnt. Ich hab in xy (kleines Dorf im Großraum Stuttgart) Arbeit
INT03: Seite 1
bekommen in einem Gasthof. Dort hab ich Marihuana in meinem Zimmer angebaut,
aber die Haushälterin hat es gemerkt und ich bin dort auch geflogen. Dann bin ich nach
Stuttgart. Manchmal denke ich, mein Leben auf der Straße ist eine Bestrafung für mein
altes Leben.“
Ich: „Warum meinst du das?“
Er: „Weil ich die Familie zerstört habe.“
Ich: „Welche Familie?“
Er: „In dem Gasthof. Die hatten wegen mir total Stress.“
Ich: „Hast du dort direkt gewohnt?“
Er: „Ja, ich hatte ein Zimmer dort und hab da Marihuana angebaut und als das rauskam
hat das ganze Dorf darüber geredet, weil eben der Koch dort kifft. Sie hatten wegen mir
voll das Gerede dort.
Dann war ich in xy (Stadtteil von Stuttgart), dort haben wir ein Haus besetzt. Aber die
Bullen haben das nicht toleriert und haben uns rausgeschmissen. Seitdem bin ich auf
der Platte.“
Ich: „Ihr habt in einem leerstehenden Haus gewohnt?“
Er: „Ja, das war voll die schöne Villa, kennst du den Bahnhof dort? (Ich nicke) Wenn
Du da rauskommst und dann nach links gehst, da ist die. Aber wir mussten raus.“
Ich: „Wo schläfst du jetzt?“
Er: „Draußen. Meistens vor xy“ (öffentliches Gebäude in Stuttgart).
Ich: „Was ist mit deiner Familie? Warum hat sie dich nicht aufgefangen?“
Er: „Puh, meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich 16 war. Einmal hat mich
meine Schwester gesehen, als ich hier in Stuttgart vor xy geschlafen hab. Fünf Minuten
später hat meine Mutter angerufen, zehn Minuten später mein Vater. Das sind voll die
Bonzen, sie meinten, wie ich sowas machen kann und sie haben mir eine
Eigentumswohnung angeboten. Aber ich will von ihnen nichts. Auf keinen Fall.“
Ich: „Habt ihr gar keinen Kontakt?“
Er: „Nee, überhaupt nicht. Nur mit meiner Großmutter. Die ist super! Sie ruft mich
jeden Tag an!“
Ich: „Ohja, meine Großeltern sind auch genial, ich hab sogar ein paar Jahre bei ihnen
gewohnt! Großeltern sind was tolles!“
Ich: „Seit wann hast du keinen Kontakt mehr zu deinen Eltern?“
Er: „Seit ich 16 bin.“
Ich: „Wie geht das denn? Ich mein, du warst ja noch voll jung.“
Er: „Ich war ja im Hotel, hab da Ausbildung gemacht.“
Ich: „Ah, und da hast du dann auch gewohnt?“
Er: „Ja, genau.“
Isi schaltet sich ein: „Hast du Geschwister?“
Er: „Ja, drei.“
INT03: Seite 2
Isi: „Älter oder jünger als du?“
Er: „Jünger.“
Isi: „Und wie verstehst du dich mit deinen Eltern?“
Er: „Ah, also mit meinem Vater ziemlich Stress. Er ist nicht mein richtiger Vater, aber
das hab ich erst erfahren, als ich 15 war. Es ist meiner Großmutter aus Versehen
rausgerutscht. Ich sollte das gar nicht wissen. Er hat uns ständig nur beschimpft und
geprügelt.“
Kurze Pause, er verschwindet kurz um was zu erledigen.
Ich: „Wie lange bist du jetzt schon auf der Straße?“
Er (überlegt kurz): „Circa drei Monate.“
Ich (rechne kurz nach): „Hm, vor drei Monaten war es aber noch ziemlich kalt, oder?“
Er: „Ohja!“
Ich: „Wo hast du dann geschlafen?“
Er: „Draußen!“
Ich: „Aber das ist doch scheißkalt!!!“
Er: „Ja!!! Auf jeden Fall! Aber es gibt da ein Parkhaus, das ist belüftet und ziemlich
warm, da haben wir im Winter geschlafen.“
Ich: „Sagt da niemand was?“
Er: „Nee, solange wir keinen Müll machen, wird das toleriert. Die Wächter sagen sogar
„Guten Morgen.“ Einer von uns schläft schon ganz lange dort, ihm bringen sie Kaffee
und Kuchen.“
Ich: „Und was machst du den ganzen Tag?“
Er: „Also ich schlafe vor xy vor dem Eingang und werde um 7 Uhr von den Wächtern
geweckt und sie bringen uns Kaffee.“
Ich: „Krass, das ist ja sehr cool! Sind sie freundlich?“
Er: „Ja, sie sind total freundlich!“
Ich: „Cool!“
Er: „Dann geh ich zur xy-Straße. Kennst du die?“
Ich: „Ja, klar, kenn ich.“
Er: „Dort setze ich mich vor xy (Supermarkt) und schnorre bis 13,14,15 Uhr. Bis ich
genug für Tabak, Alk und Essen zusammen hab. Dann geh ich in einen Park und häng
dort ab und wenn ich keine Lust mehr hab geh ich pennen.“
Ich: „Wieso bist du ausgerechnet nach Stuttgart gekommen?“
Er: „Weil es hier Menschen gibt, die genauso denken wie ich. Die auch keinen Bock auf
diese ganze Staatsscheiße haben. Neulich haben wir zum Beispiel eine Ente im Park
getötet.“
Isi schaltet sich wieder ein: „Warum habt ihr sie getötet?“
Er: „Weil wir Hunger hatten!“
INT03: Seite 3
Isi: „Wie habt ihr sie denn getötet?“
Er: „xy ist ihr mit dem Springer in Arsch getreten, dann ist sie nur noch so rumgewankt
und wir haben ihr den Kopf umgedreht und sie im Schlupf zubereitet.“
Isi: „Hat sie gut geschmeckt?“
Er: „Naja, sie war voll mit Exkrementen... nicht so toll... aber wir hatten halt Hunger.
Oder wir sind neulich zwei Kilometer gelaufen um frisches Wasser zu holen weil wir
zuviel gekifft hatten. Das ist noch ein richtiges Abenteuer! Nicht einfach das Licht
anschalten oder den Wasserhahn aufdrehen können, sondern noch richtig Tiere jagen.“
Ich (ginse): „Naja, DIE Abenteuer kann man in der Einöde, in der Natur wohl noch
besser erleben als im Großstadtpark...“
Er (fühlt sich angegriffen): „Hey, auf der Straße leben ist ganz schön hart, das kann
nicht jeder!“
Ich: „Ja, das glaub ich dir auf jeden Fall! Was machst du denn zum Beispiel wenn du
krank bist?“
Er: „Gar nichts.“
Ich: „Und wenn es richtig schlimm ist? Wenn du medizinische Hilfe brauchen
würdest?“
Er: „Dann würde ich zu einem Arzt gehen, ihm meinen Personalausweis zeigen und
sagen, dass ich obdachlos bin, dann behandeln die einen oft umsonst.“
Ich: „Wie war es für dich, als du nach Stuttgart gekommen bist, hier reinzukommen?“
(ich meine die Gruppe von Obdachlosen, Punks,...)
Er: „Geht. So einfach nicht. Ich bin ein Mensch, der ohnehin nicht gerne die Hauptrolle
spielt. Ich seh mich nicht als Punk, auch wenn ich dieses T-Shirt trage (er trägt ein Shirt
mit durchgestrichenem Hakenkreuz). Mit 15, 16 war ich total rechts, mit Glatze und
Springer. Aber ich will nicht mehr so extrem sein. Ich will einfach nur ich selber sein.
Ich stress dich nicht an, du stresst mich nicht an. Ein einsamer Cowboy... Ich will mich
keiner Richtung anschließen, nicht vom Staat abhängig sein.“
Ich: „Einsame Cowboys haben meistens große Träume...“
Er: „Ja, als Koch arbeiten ist eigentlich schon sehr geil! Die totale Leidenschaft! Aber
ich hasse es, einen Chef über mir zu haben, der alles vorschreibt und so...“
Ich: „Ohja, das versteh ich voll, ich bin auch sehr freiheitsliebend! Aber ist dir nicht
manchmal langweilig, wenn du den ganzen Tag im Park rumhängst?“
Er: „Ja, schon, aber zur Zeit helfe ich zum Beispiel einem Bekannten. Max, er ist
Schauspieler und hat mir immer wieder mal Geld gegeben, wenn er hier vorbeikam.
Grad drehen sie hier einen Film und ich koche und helfe sonst ein bisschen mit. Ich will
ihm einfach was zurückgeben weil er mir immer hilft. Was soziales machen.“
Ich: „Hört sich cool an! Machst du dir Gedanken über deine Zukunft?“
Er (ganz leise und ernst): „Und wie! Ich will auf jeden Fall was erreichen!“
Ich: „Was denn?“
Er: „Eine Wohnung haben! Ganz spießig halt, aber gut!“
Ich: „Ohja, Hauptsache nett und gemütlich, auch wenns spießig ist!
Und was willst du sonst noch erreichen?“
INT03: Seite 4
Er: „Hm, weiß grad nicht, da müsste ich erstmal überlegen...“
Ich: „Nee, ist schon okay wenn Dir nichts einfällt.“
Er: „Was ich auf jeden Fall will, ist Lebenserfahrung sammeln. Hier auf der Straße.
Hier erlebt man Dinge, die man sonst nicht erlebt. Ich will bis Dezember noch auf der
Straße leben. Jetzt kann jeder auf der Straße leben aber im Winter ist es etwas anderes.
Das will ich erleben.“
Ich: „Du bist ja jetzt schon drei Monate hier, da hast du ja bestimmt schon viel erlebt...“
Er: „Ja, auf jeden Fall.“
Ich: „Was sind so die Dinge, die dich am meisten beeindruckt oder zum Nachdenken
gebracht haben?“
Er (sofort): „Der Zusammenhalt!“
Ich: „Ist der Zusammenhalt gut?“
Er: „Ja... es geht. Viele zocken sich gegenseitig ab, aber ein paar wenige halten wirklich
zusammen. Einer von denen hier geht immer schnorren und wenn er genug zusammen
hat, organisiert er sich zwei E`s und dann schnorrt er bei uns Alk, Tabak und Essen.
Absolut mies! So ist das in dieser Stadt!“
Ich: „Glaubst du nicht, dass es überall so ist?“
Er: „Ich weiß es nicht, ich war ja nur hier. Aber ich will bald mal für zwei Wochen nach
Hamburg fahren und schaun, wie es dort so ist.“
Ich: „Wie kommst du nach Hamburg, das ist doch voll teuer?“
Er: „Mit dem Wochenendticket. Das ist ja voll billig. Da lauf ich die Königstraße
einmal hoch und wieder runter, dann hab ich das Geld.“
Ich: „Klar, das Wochenendticket – hatte ich ganz vergessen. Logisch. Willst du allein
nach Hamburg?“
Er: „Mal schaun, wahrscheinlich schon, ich bin eher ein Einzelgänger... ist schon
strange, das Leben hier! Manchen Menschen hier sind soweit unten, so kaputt, dass sie
es nie wieder da raus schaffen werden – das will ich nicht!“
Ich: „Hast du keine Angst, dass du es nicht schaffen könntest, zurück in ein normales
Leben mit Job und Wohnung und so weiter?“
Er: „Nö, eigentlich nicht. Ich hab einfach den Ehrgeiz, es zu schaffen!“
Ich: „Hm, ich wünsch dir, dass du es wirklich schaffst.“
Er verschwindet kurz, um sich Tabak zu holen.
Ich: „Wo wäscht du dich denn zum Beispiel?“
Er: „Gar nicht. Also zuletzt hab ich mich bei meiner baldigen Freundin gewaschen.
Oder im Schlupf. Ich geh gleich Bier holen, kommst du mit?“
Ich: „Ja, okay.“
Er: „Aber erstmal fertig rauchen. Ich bin heute zum ersten mal seit drei Wochen wieder
hier... (sein Blick rüber zu der Gruppe von Obdachlosen und Punks ist nicht so
begeistert) Das ist irgendwie echt alles total strange. Ich will nicht so abstürzen wie
sie...
INT03: Seite 5
Ich: „Ist schon ne ziemliche Gefahr hier, hm?“
Er: „Ja klar, total!“
Ich: „Wodurch?“
Er: „Einfach durch die anderen, es wird einem so viel angeboten, harte Sachen.“
Ich: „Nimmst du gar nichts mehr?“
Er: „Nee, ich kiff nur und halt Alk und Tabak.“
Ich: „Wie gehen denn die 'normalen' Menschen mit dir um?“
Er: „Unterschiedlich. Manchen sagen 'Geh arbeiten' wenn ich schnorre.“
Ich: „Und? Findest du das gerechtfertigt?“
Er (überlegt): Eigentlich schon... ja, schon.“ (sehr nachdenklich)
Wir gehen Bier holen, auf dem Weg erzählt er mir, dass er sich schon total daran
gewöhnt hat, auf dem Boden zu schlafen.
Er: „Letzte Nacht konnte ich in einem richtigen Bett schlafen, aber nach einer Stunde
bin ich auf den Boden – mein Rücken hat sich einfach daran gewöhnt.“
Ich: „Ich hab gerade ne Weile mit einer Frau zusammen gewohnt, die als
Missionarskind in Japan aufgewachsen ist und immer noch auf so ner dünnen Matte auf
dem Boden schläft, weil sie das mehr mag.“
Er: „Das ist cool!“
Er holt sich Bier und was zu essen, wir laufen zurück.
Er: „Das ist für dich alles bestimmt ne total fremde Welt, oder?“
Ich: „Ja, schon. Meine Freundin und ich saßen vorher etwas entfernt und haben uns
nicht getraut, auf euch zuzugehen. Man überlegt sich halt, was die anderen über einen
denken.“
Er nimmt mich mit zur Gruppe und ich setze mich zu ihnen, einige sind sehr freundlich,
andere ignorieren mich total. Kaum haben wir uns gesetzt, geht seine Bierflasche
kaputt, er holt sich eine neue und ich bleibe allein unter den Obdachlosen und Punks
sitzen. Einer macht mich total dumm an und gibt mir sehr deutlich zu verstehen, dass
ich abhauen soll. Er ist ziemlich dicht und ich nehme meine Sachen und geh. Einige
andere verabschieden sich voll freundlich von mir. Ich warte etwas entfernt von der
Gruppe auf meinen Gesprächspartner um mich von ihm zu verabschieden und für das
Gespräch zu bedanken.
INT03: Seite 6
INTERVIEW 4
Wir befinden uns in Calw, einer kleinen Stadt im Schwarzwald.
Jill und Isabell sind unterwegs auf der Suche nach Obdachlosen.
Wir treffen M. mit einem jüngeren Mann an einer Brücke an, beide haben ein Bier in
der Hand. Kurz zuvor haben sie sich von einer großen Gruppe abgesetzt die auf der
anderen Seite des Flusses im Gras saßen, rauchten und ihr Bier tranken. D. sieht im
Gegensatz zu M. sehr gepflegt aus. Unserem Anschein nach scheint es sich bei ihm nicht
um einen Obdachlosen zu handeln. Bei M. sieht dies schon anders aus. Wir sprechen
beide an, stellen uns kurz vor. Sagen, dass wir ihnen nicht zu nahe treten möchten, aber
dass wir einen Obdachlosen suchen, der sich mit uns unterhalten würde, einfach, um
einmal zu hören, was jmd. veranlasst auf der Straße zu leben, wie es dazu kommt, wie
das Leben ohne Dach über dem Kopf ist... .
D: (lacht und meint) da seid ihr hier total falsch, (auch M. lacht und zeigt auf die andere
Straßenseite), da hinten trefft ihr mit Sicherheit jemand, R. lebt schon 28 Jahre auf der
Straße, der kann euch was erzählen.
Es kommen noch andere Männer (einige von ihnen saßen bei der Gruppe auf der
anderen Uferseite) hinzu, diese Stellen sich hinter uns, lehnen sich an die Mauer und
hören gespannt zu, was wir hier machen. Wir werden gefragt woher wir kommen und
was wir tun. Wir erzählen, dass wir in Liebenzell auf dem Theologischen Seminar
Gemeindepädagogik studieren.
(Im Hintergrund unterhalten sich die dazugekommenen Männer.
Jill unterhält sich mit D. während Isabell mit M. spricht)
Isabell: Wohnen sie hier in Calw?
M: Wie man`s nimmt. (Seine Stimme wird etwas leiser) Ich habe heute nacht im
Parkhaus geschlafen.
Isabell: Sind sie also doch obdachlos, oder aus welchem Grund haben sie da geschlafen?
(M. beginnt aus seinem Leben zu erzählen. Er ist früher viel herumgereist, Nepal,
Indien...)
(Wir fragen ihn ob er bereit wäre weiter zu erzählen aus seinem Leben, und ob wir ihn
aufnehmen dürfen. Er bejaht.)
M.: Hatte einen guten Freund da, und ich hab seine Farm gemocht, der hat auch zwei
Geschäfte, eine große Farm mit Avocados oranges und bananas und alles (M. hat einen
leicht englischen Touch in seiner Aussprache, und verwendet zwischendurch Englische
Begriffe) dann sind wir nach Indien, dann sind wir rüber nach Indien, und der ist Jude,
also äh nicht, kein Christ ja , also Jude, und Jesus ist in Israel für Juden, äh, er is äh ein
Niemand. Wenn überhaupt dann fällt er auf, Juden, ja ähm Jesus is, ja das ist ein Ding
was man in Israel nicht anspricht, außer man kennt jemand sehr sehr gut. Das Thema
lässt man außen weg. Und dann warn wir da unten in Nepal auch, ja und in unser altes
Haus also das was ich da früher hatte.
Isabell: Sie hatten ein eigenes Haus da?
M.: Ja gemietet, ein schönes großes Haus außerhalb von Katmandu in Bauda, Bauda und
INT04 – Seite 1
ah das Haus hat dann später übernommen die heißt Päm, ja, die Tochter von nem
Missionar aus Australien ein Australischer Missionar der in Südostasien da unten
arbeitet, ich glaub Neuguinea oder irgendwie sowas na, auf jedenfall die Päm die lebt
seit Jahren da unten in Nepal undkümmert sich um Frauenähm, mit Kindern und wo die
Männer nen Abgang gemacht haben, ja und um die kümmert sie sich.ja, und also und
macht auch Gottesdienste und so, und da bin ich mit .. also wie gesagt Päm besucht,weil
wir kennen uns auch persönlich aä und dann war auch ein Gottesdienst, meeting nennt
man des, also ja warbei dem meeting mit dabei und es war heftig ja und untera anderem
war da einer
der war da wie auch immer manche sind da echt beschucke und wurde geheilt
sozusagen, aber auf jedenfall ähm ist er ein Jude ja und hat mit Jesus gar nichts am
Hutja und zweitens a mal mit Frauen ah er ist halt ein Jude ja ja das ist ein anderes
Thema ja.
M.: Net das er Frauen hasst, ja aber so ich mein vom Jude ist Jude. Und der sagt zu mir
er hat noch nie eine Frau getroffen in seinem Leben, die ihn so beindruckt hat wie Päm.
Ja und der Gottesdienst wo wir da dabei waren hat den echt beeindruckt.obwohls ein
christlicher im Namen Jesus ne Zusammenkunft war.
Isabell: Darf ich nochmal nachfragen, wie hatten sie Kontakt zu dieser Päm? Sie haben
da gewohnt, und haben sie einfach so kennen gelernt?
M: Damals , wir hatten damals in Nepal in Katmandu gelebt davor, also jetzt davor, vor
dem was ich da jetzt grad erzählt habe. Ja davor, da haben wir gelebt. Und wie gesagt
wir haben das Haus gehabt und wie Ausländer und so, wir sind da net in dem Sinn, die
da leben wie ein Haufen Touristen und Trekking und was weiß ich wie. (Undeutliche
Aufnahme, es fehlt ein Teil.)...
Des schon, aber die wirklich da leben sind ne Anzahl und man kennst sich halt
untereinander weißte das ist klar. Man sitzt da sozusagen in einem Boot. Und so ham wir
uns kennen gelernt. Und wie gesagt da ham wir nachher, da sin wir nachher weg, und sie
hat so ein Haus gesucht und dann hat sich das so ergeben, dass sie das Haus
übernommen hat und wir da weg sind. Die Leute die das vermietet haben das waren
eigentlich Dijutaner, (???) na die ja irgendwie wohl ein bisschen Kohle dass sie sich
überhaupt sowas anschaffen konnten, ja und die haben davon immer gelebt, dass das
Haus immer vermietete war. Die waren so und Päm war so wie gesagt, also
wahrscheinlich ist sie da noch heute, ich weiß es nicht.
Isabell: Mh, ja, und wie kam dann dieser Schritt von Nepal hierher und jetzt dann im
Parkhaus übernachten? Das ist...
M: krass, wie man das hinkriegt, naja da kommste halt irgendwann nach Deutschland
und willst dir dann en Haus kaufen und fährst damit auf sand und ähm, äh und hast
nichts am Arsch als wie ein Haufen Schulden, und dann das war ja dann als ich noch die
Kinder hatt, da war das ja auch noch OK aber..
D. (kommt hergelaufen) Jetzt mach erst mal deine Kippe aus und ess was, dass essen ist
noch warm (er hatt es ihm besorgt) Ich hab heut auch noch nichts gegessen
INT04 – Seite 2
M: Ja da bin ich auch grad dabei Damals weißt du da hats sich da gelohnt, aber jetzt,
was will ich allein mit so einem riesigen Haus? (M. packt sein Brötchen aus und isst)
Und weißt du dann hab ich auch viel Geld in die Hütte investiert, in A. bei Horb, da hab
ich mir ne Hütte zugelegt und wirklich ein Haufen, nicht nur Geld, auf das Geld ist
geschissen, ja sozusaggen, ja auch Herzblut da rein gelegt, ja, oweiowei owei, des
ausgebaut, umgabaut, und und und, naja gut (er lacht) es steht immer noch aber ohne
mich.
Isabell: Wurde es dann verkauft, oder... ?
M: Ne, ich hab das Haus nicht gekauft ich hab`s aus der Tasche raus über die Bank
gehabt, so auch finanziert. und dann das sag ich jetzt mal so das Haus hat der Bank
gehört, ..
Isabell: Und die hat es dann einfach einkassiert als sie zuviel Schulden hatten...?
M. Ja ich wollte und konnte dem einfach nicht nachkommen, jeden Monat dann 900
Euro, die du abdrücken musst für die Finanzierung da von der Hütte, und ich mein das
ist ein Haufen Geld. Früher war das kein Problem, ich bin LKW gfahrn und da ist auf
900 Euro gschissen sozusagen, ähm, aber nachher ist`s ein Haufen Geld Wenn du`s nicht
hast. Im Ernst. Ist wirklich ein Haufen Geld
M. Und jetzt nichts mehr, alles die Bank, und dann (er lacht) apropo, wenn man bei der
Bank bleibt, da geh ich mal, da unten da ist in Horb unten, da ist auch so was wie der
Multi, ja so was wie... (zeigt rüber zum Geschäft)
Isabell: so was wie das Kaufland ?
M: auch so was und dann geh ich da rein und dann um sozusagen mein 6er zu holen und
geh da rein und vorne vor dem Eingang so ein stand aufgebaut mit Zigaretten und
Briefpapier und so was und da guck ich so hin "Hallo Herr L." so hat er geheißen, "Wie
geht`s?" Und weißt du wer das war? Das war der ehemalige Chef der Bank in m., der
mir das Haus finanziert hat oder beziehungsweise genehmigt hat das Haus zu
finanzieren. Der hat da irgendwie so kleine Geschäftchen hier so gemacht und so, den
haben se dann 2 oder 3 Jahre eingsperrt und dann kam er und hat natürlich sein Job
verloren, ist ja klar, und dann kam er wieder raus, und der ist so ein Stehaufmännchen
äh, und ja und, und verdient und in der Zeit hat er dann sein Geld verdient mit dem
Zigarettenstand. (lacht) und er hat sich gefreut und ich hab mich gfreut. Ja so geht`s, du,
hier da Bankmanager, ja und jetzt hier Zigarettenverkaufen. Das ist das Leben
Jill: Was haben sie beruflich gelernt?
M: gelernt ?
Jill: Ja
M: überhaupt nichts
INT04 – Seite 3
Jill: überhaupt nichts
Isabell: Aber sie sind schon Lastwagen gefahren, hatten sie gsagt.
M:(spricht etwas undeutlich da er gerade isst) Lastwagen gfahrn (er spricht sehr
undeutlich, es fehlen einige Worte), Innenausbau machen, wie gesagt ich kenn mich aus
mit Plantagen und kann dir , ich bau dir ein Motor ein und aus mit verbundenen Augen
wenn`s sein muss, ich kann schon ein Haufen
D: (kommt wieder zwischen uns) He jetzt ess doch erscht mol, he jetzt lass die doch
mal, komm du, ihr müsst jetzt mal mit uns reden ( im netten Tonfall)
(Es weckt den Anschein, dass die Gruppe welche sich hinter unserem Rücken
versammelt hat, unser Gespräch beobachtet hat, und sich nun auch mit einschalten
möchte, sie scheinen sehr Redebedürftig zu sein)
Isabell : lacht
D: Ja der muss jetzt erst mal essen, der isst den ganzen Tag nichts, oh mein
Hausschlüssel liegt jetzt irgendwo rum
Isabell: Ja, ne also wir können wirklich auf Stopp drücken und nachher weitermachen ..
M: Ach so nö, Ne also, no problem (lacht)
Isabell: Wirklich net?
(Jill unterhält sich währenddessen mit den anderen aus der Gruppe)
Sie wird gefragt, wo sie herkommt..)
M: Und wo bist du her?
Isabell: Wo ich her komm? Also jetzt grad bin ich in Bad Liebenzell, aber eigentlich
komm ich aus Riedlingen an der Donau, ein ganzes Stück weit weg.
M: Ah, an der Donau, mh, was ist da der nächste größere Ort?
Isabell: Ahm, Sigmaringen oder Ulm in die andere Richtung und Sigmaringen
runterswärts.
M: Richtig. Ich wollt grad sagen Riedlingen, hat grad geklingelt, ja des ist klar
Riedlingen, Sigmaringen die Ecke kenn ich
M: (immer noch kauend) Und was verschlägt dich nach Calw?
Isabell: Ich studier hier im Theologischen Seminar von der Liebenzeller Mission,
Gemeindepädagogik, genau das hat mich hier runter verschlagen.
M: Was willste genau machen?
INT04 – Seite 4
Isabell: Wahrscheinlich ins Ausland gehn. Ja
(Es nähern sich 2 junge Frauen, eine mit Kind an der Hand und kommen auf uns zu . Im
weiteren Verlauf wird klar, dass es sich um zwei Töchter von M. handelt)
Tochter 1: Da isch dr Opa...
M: Ja wenn du sagst theologisch, siehste, meine Tochter kommt, mein Vater war
Pfarrer.. Hi.. (Begrüßt Tochter 1)
Tochter 1: Alles Gute zum Geburtstag Papa (Beide Töchter gratulieren dem Vater zum
Geburtstag)
Isabell: Oh , Geburtstag auch noch?
M: Oh!! (M. hat mit den Tränen zu kämpfen, er ist sichtlich gerührt)
Tochter 1: Der weiß es doch selber gar nicht
M: Ich habs wirklich vergessen
(Alle lachen)
Tochter1 : Dacht ich mir schon
Isabell: Oje, ja dann...
Jill: Ja dann auch noch herzlichen Glückwunsch
Isabell: Herzlichen Glückwunsch und Gottes reichen Segen in allem was noch so
kommt. Oje, da ham wir ja grad den richtigen Tag erwischt (lacht)
Tochter1: Wir haben dich jetzt drei Wochen gesucht, jetzt
M: Awa
Tochter2: Durch ganz Calw glaufa. Du warst verschollen, ohne scheiß ich lauf ständig
in der Stadt rum , aber ich hab dich nicht gsehn.
Jill: Und wie alt sind sie geworden?
M: Frag die ich weiß das nicht. (überlegt, lange Pause) 54 bin ich geborn.
(Großes lachen und durcheinander reden, es klinken sich wieder andere aus der Gruppe
ins Gespräch mit ein.)
Tochter2: 54
INT04 – Seite 5
Jill: Ja dann kommt 54 hin
M: ach du meine Güte, also das ist jetzt ein surprise also echt also ich glaub`s echt net so
recht.
Isabell: Das sind beides Töchter?
M: Mhm ja, Mi. ist die Älteste und wo ich vorhin erzählt hab von Nepal oder so ja, das
ist die, und das ist N. Die Zweitälteste und das (er zeigt auf das Kind) ist S. und das ist
die Enkelin. Surprise, surprised
(Vater und Töchter unterhalten sich)
(Wir überlegen ob wir die Familie nun alleine lassen sollen)
Tochter2: (Schaut ihren Vater an und schüttelt den Kopf) Ich glaub wir schenken dir nen
Friseur zum Geburtstag
M: Nicht jetzt
(Alle Lachen)
Tochter2: und hast du immer noch Hausverbot im Irish Pub?
M: Also das ist wirklich, so sind die Sachen im Leben (immer noch sehr überrascht und
erfreut dass seine beiden Töchter vorbeikommen, und dass er doch tatsächlich an diesem
Tag Geburtstag hat) Wenn ihr grade hier so ne Exkursion hier macht, da. Da redet man
gerade über irgendwas und plötzlich ist es da.
Isabell: Ja das sind dann so besondere Momente im Leben
M: Ja und das ist wirklich jetzt ehrlich wahr, also auch wenn wir jetzt Hallo sagen und
so das ist ehrlich wahr, das ist mehr wie`n Zufall
Isabell: zustimmendes nicken
M: Mei ,Ja das ist nicht alltäglich
Isabell: Haben sie noch mehr Kinder, oder sind das die einzigen Töchter?
M: Ja dann hab ich noch zwei Töchter und die sind ein weng kleiner. Und dann hab ich
noch einen Sohn
Isabell: Haben sie zu denen auch noch Kontakt?
M: (etwas längere Pause) zu den zwei Kleinen leider nicht so oft. Die wohnen in N.
Isabell: Ja das isch aber auch nicht so weit weg
INT04 – Seite 6
M: Nicht so arg weit weg aber, weisch wenn ich ein Auto hätte und so, wenn man
beweglich wär weißt dann würd ich schon mal hinfahrn und sagen komm mit und wir
gehn zum Mc und so ja, oder irgendwo spazierengehn. oder was anderes, ja aber da is
leider der Kontakt nicht mehr so. Und die Mutter selber sitzt im Rollstuhl. Ne besondere
Situation
Isabell: Oh, OK
M: Es ist wirklich nicht alles so toll, vor allem für die Kinder ist es scheiße, auf deutsch
gesagt (Man versteht wieder sehr wenig, die Gruppe ist sehr laut, das Kind weint)
M: Naja
Isabell: Und sie haben heut Nacht hier im Parkhaus übernachtet? War`s net kalt?
M: Mh, is egal hauptsach trocken
Isabell: mh, und wo schlafen sie sonst so?
M: Im Moment oft bei einem Bekannten der wohnt da oben, weißt du wo die Erlacher
Höhe is?
Isabell: Ähm, ist das da wo die Straße so quer so hoch geht?
M: Hier oben und dann ein Stück weiter aber noch
Isabell: aha
M: Halt Da oben auf m Berg das wenn man die Stufen da hinten hoch geht und da direkt
da
Jil: Ist das das Wohnheim für Obdachlose?
M: Erlacher.. also da bin ich grad net, aber da war ich schon mal.
M: Aber ja da ist so ein das ist sozusagen ein äh ein ja ein Wohnheim für Obdachlose,
und die haben ne auch eine Werkstatt, also Schreinereiwerkstatt und so,
Möbelrestauration etc., und äh ja das ist da oben alles is eigentlich von der Einrichtung
her echt gut.
Isabell: Sie finden also solche Einrichtungen gut?
M: Ja ich war da ja auch, nur ich hab dann da, mir ist es zu viel dieser Gruppen Türken
und dann das alles und dann hab ich irgendwann gesagt das
Isabell: mh, Ok
M. Weißt ich brauch meinen Frieden und niemand der meine Taschen durchsucht ob da
INT04 – Seite 7
nochn Bier drin ist oder so was, und das is das geht nicht so weiter
Jill: Und in dem Wohnheim da wird das durchsucht?
M: Ja da werden die Taschen sogar durchsucht
Isabell: Echt, ok...
M: Ja, ja weißt, das geht immer zu weit
Isabell: Gibt es dann auch Vorschriften in solchen Häusern?
M: Oh ja zum Beispiel kein Alkohol, und so das is ja sehr Verständlich, ja , weil den
einen morgen weißt, da geh ich da rein in die , da steh ja dann mein Kaffee wenn noch
einer übrig is naja ne und ich denk he, scheiße alles voll Scherben und hier Tassen und
da Glas und ich denk was is denn hier los. Da die Blumen umgekippt und da hat
jemand, weißte der hat hat sich irgendwo einen eingedudelt, ja und nichts anders, und
und ich hab in der Nacht auch noch was ghört.
(Die Töchter gehen fort, Ich überlege mir ob wir das Interview abbrechen sollen, dass
Vater und Töchter sich nun unterhalten können, wenn sie sich sowieso nicht so oft
treffen..)
Isabell: Wollen sie sich verabschieden, oder, geht ihr schon..? ach ihr bleibt noch, ah ok
(M. macht keine Anstalten, sich von ihnen zu verabschieden, er erzählt eifrig weiter)
M: Un ich dachte in der Nacht noch, was is denn da drüben los, ja, da geht hier ab der
Punk ja dann war der alleine, der hat nich mal mit jemand gstritten oder so, alleine! Und
hat die ganze Bude platt gemacht, und ich mei das dat das geht net.
Isabell: Mhh, ja
M: Wenn einer net drinken kann, ja, dann soll er`s bleiben lassen, und net hier ne ganze
Bude hierv in Schutt un Asche legen,ja weil sowas geht net. Dann bin ich da raus da
Isabell: mh ok, und jetzt schlafen se im Sommer dann draußen oder gehen sie jetzt zu
Bekannten, oder wie machen sie es jetzt weiter? Steht das alles noch im wind?
M: Mh Mal so mal so, weißt wenn ich dieses hier hätte (reibt Finger aufeinander)
Isabell: Ja das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen, wie sieht es da aus, es gibt ja so
ne Unterstützung, machen sie davon Gebrauch, oder nützt das gar nichts, oder..?
M: Du wirst lachen, äh ich bekomm sogar Arbeitslosengeld zwei, glaub ich.
Isabell: Echt
M: Ja bis Mai noch, Mitte Mai,... ja wo die Check`s bleiben, da muss ich mal meine,
INT04 – Seite 8
normalerweise zu meiner Tochter, aber also ich glaube einen bekomm ich da noch, aber
dann ist Schabbat
Isabell: aja, ok. Und dann?
M: War vorher au nich anders, ich hab s noch nich mal gewusst wo ich da hingegangen
bin damals, wie lang is es her, vielleich zwei Monate oder so, ich hab nich mal gewusst
das ich Anspruch drauf hab (lacht)
Isabell (lacht mit) aha, ja von solche Dinge weiß man meistens nicht Bescheid
M: Manche wissens, alles mögliche , jede Ecke wo`s zu holen is, bin leider net der Typ.
Ich weiß wenn du nach Bombai willst oder nach Katmandu, mit`m Auto,also ja dann
bist bei mir an der richtgen Adresse
Isabell: (lacht)
M: Wirklich da kannst dich absolut anvertrauen, ja, also wirklich aber bei sowas keine
Ahnung.Keine Ahnung also ich kann grad mal nen Überweisungsformular ausfüllen
und das hat sich. Und ein Handy kann ich noch bedienen, und ne Schreibmachine kann
ich auch schreiben, aber weißt mit dieser ganzen Kultur hab ich wirklich nichts am Hut.
Was den Rest anbetrifft...
(Die Töchter klinken sich wieder ins Gespräch mit ein)
Tochter1: Warum kann dir nicht mal jemand eine schöne Jacke schenken?
Tochter2: Wo ist deine schwarze Jacke abgeblieben?
M: Das ist ne gute Frage
Tochter1: Ja ich hab auf der Bühne noch ne Jacke
M: Ich weiß net wo de Jacke ist
Tochter1: Ich hab auf der Bühne noch ne Tasche von dir
(Töchter unterhalten sich mit ihren Vater, über ihre Arbeit, und ihr Leben)
Wir fragen sie, ob wir später noch einmal kommen sollen, damit sie alleine mit ihrem
Vater reden können..
M: Nee neee
(Vater unterhält sich mit seinen Töchtern, Töchter sagen ihm, dass er noch Geld
zurückzahlen muss. Er meint "woher denn?" Tochter1 sagt: was soll sie denn machen:
Dein Geld streichen?
(Alle lachen)
INT04 – Seite 9
Kinder fragen wozu wir eigentlich dieses Interview führen. Wir erzählen das wir in
Liebenzell studieren, Gemeindepädagogik, und das wir eine Ausarbeitung schreiben
wie das Leben auf der Straße ist, wie man reinkommt oder wie der Tagesablauf ist,
einfach um mal reinzukommen zu hören von jemand wie des so isch.
Isabell: so sind wir hier hängen geblieben? Sehr interessante Lebensgeschichte von
ihrem Vater hier so, mit verschiedenen Ländern und..
Tochter1: Tja und es endet in Calw auf der Brücke.
Isabell: Ja aber so geht`s bei vielen Leuten, die von oben runter kommen, also ...
Isabell: (zu den Töchtern) Und ihr besucht eueren Papa öfters?
Tochter2 : Wenn wir mal hier sind.
Tochter2: Ja ich wohn ja in Calw, eigentlich, aber ich weiß ja nie wo er sich rumtreibt.
Isabell: Ich weiß es jetzt, (lacht) entweder auf der Bank dahinten, oder da oben auf
einer(zeigt auf den Berg)
Tochter1: Da dürfen sie ja nicht mehr sitzen, da ist es verboten (zeigt Richtung
Spielplatz)
M: Ja mich lassen sie in Ruhe inzwischen
T1: Normalerweise nicht. Wegen den Kindern
T1: Ja wegen den Kindern, aber du kannst ja Nachts da sitzen, Tagsüber muss das echt
nicht sein. Also wenn ich dich nicht kennen würde, und mein Kind aufm Spielplatz ist
und da ein versoffener Penner rumsitzt würd ich auch austicken. Ohne Scheiß
M: Penner mag ja stimmen, aber besoffen des stimmt nicht. Du das wäre das letzte was
ich in meinem Leben tun würde, ein Kind anzupöpeln, ja das tut mir Leid
T1: Das hat ja keiner gesagt, darum geht`s ja gar nicht
M: Ja ist ja klar
M: Ich war mal in Darjeling. Kennst du den Tee, das ist hinter Kalkutta, und das ist ne
Teeregion in Indien. Das war die beste Tasse Tee meines Lebens.
(M. erzählt und schwärmt noch von der Landschaft. Töchter klinken sich immer wieder
ins Gespräch mit ein, reden mit uns und mit ihren Vater.)
Jill: Wie viel Uhr haben wir denn? Sollen wir langsam mal zum R. gehen?
Isabell: Ja, ja, aber ich wollt ihm noch was zum Geburtstag schenken, wenn er schon
heute Geburtstag hat, und wir gerade heute auch noch kommen, gibt es irgendwas, was
INT04 – Seite 10
sie gerne Essen, oder darf ich sie zum Bäcker einladen, oder irgendwie was. Essen sie
gern Schokolade?
M: Also ehrlich gesagt nein.
Isabell: (zu den Töchtern) Was isst er denn gerne?
T1: Knoblauch (Alle lachen)
Isabell: Na ja und sonst
M: (M. lehnt alles dankend ab) War sehr schön mit euch sich zu unterhalten, wirklich!
Isabell: Vielen Dank für ihre Offenheit und Alles Erzählen, also sehr interessantes
Leben. Aber vielleicht sieht man sich ja mal noch, wenn man durch Calw läuft.
M: Ja irgendwann
(Wir unterhalten uns noch ein wenig mit den Töchtern und mit M. dann gehen wir)
Isabell: Alles, alles Gute, einen schönen Tag noch.
INT04 – Seite 11
INTERVIEW 5
Dieses Interview wurde von Elisabeth Mack und Sara Bindewald am 5. Mai 08 in
Pforzheim Mitte in der Fußgängerzone geführt. Es wurde nicht aufgenommen,
sondern nur stichpunktartig aufgeschrieben und wir versuchen es hier so gut wie
möglich wiederzugeben.
L = Lissy
S = Sara
O = Obdachloser
Erste Eindrücke:
Zuerst waren wir uns unsicher ob wir diesen Obdachlosen ansprechen sollten, da er
mit zwei großen Hunden an einer Hauswand angelehnt saß. Er machte aber einen
freundlichen Eindruck und sah auch nicht betrunken aus. Als wir zu im stoßen,
sprach er gerade mit einer Frau, die von seinen Hunden begeistert war. Er saß auf
einem Plastikhocker mit einem Sitzkissen, hatte einen Rucksack, Hundefutter und
eine Decke für seine Hunde dabei, auf welcher die Hunde saßen. Die beiden Hunde
machten einen sehr gepflegten Eindruck. Vor sich selber hatte er eine Holzbüchse
aufgestellt, in der er Geld sammelte. Der Obdachlose war gut gekleidet. Seine
Kleidung war sauber und roch nicht unangenehm. Er hatte einen Vollbart, längere
Haare und trug ein Base cap. Ihm fehlten einzelne Zähne und die restlichen Zähne
waren ungepflegt. Er scheint hier sehr bekannt zu sein, da während des Gesprächs
immer wieder Leute vorbei kamen, ihn grüßten und Geld einwarfen.
L: Hallo, hätten sie einen Moment Zeit für uns? Wir würden gerne mehr über das
Leben auf der Straße erfahren.
S: Das ist ein Schulprojekt und wir sollen uns erkundigen, wie Menschen auf der
Strasse leben. Das bleibt völlig anonym und es wird kein Name weiter geben. Es
findet eine Auswertung im Unterricht statt, wird aber nicht anderweitig verwendet.
L: Dürften wir das Gespräch aufnehmen?
O: Ja. (Das Problem war nur, dass dann plötzlich das Aufnahmegerät nicht mehr
funktionierte!!!! So haben wir dann mitgeschrieben)
O: Ich leb jetzt nicht mehr auf der Straße, sondern habe eine Wohnung.
L: Würden sie uns trotzdem etwas über das Leben auf der Straße erzählen?
O: Und was bekomme ich dafür?
L: Wir haben ihnen zwei belegte Brötchen vom Bäcker mitgebracht.
O: (hat die Brötchen in seinen Rucksack gesteckt, weil die Hunde sofort reagiert
haben) Ja, dann fragen sie mal.
L: Dürfen wir uns zu ihnen setzen?
O: Nickt – zustimmend. (So haben wir uns vor ihn auf den Boden gesetzt.)
Die ersten 10 min. saß die oben genannte Frau neben uns und streichelte die
Hunde. Sie bot uns, wie auch dem Obdachlosen, eine Zigarette an – der
Obdachlose nahm die Zigarette an, wir lehnten ab.
Immer wieder unterbrach sie das Gespräch, um über die Hunde etwas zu fragen.
L: Könnten sie uns etwas über den typischen Tagesablauf auf der Straße erzählen?
O: Im Winter stehe ich morgens schnell auf, da es sehr kalt und unangenehm ist. Ich
packe meinen Schlafsack und meine Sachen zusammen und laufe los zum Bahnhof.
Dort trinke ich erst einmal etwas Heißes, meistens einen Kaffee. Dann mache ich
mich auf den Weg ins Amt und hole mir meinen Tagessatz ab. Für einen Tag
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 1
bekomme ich 11,50 !. 700 ! Sozialgeld bekomme ich im Monat. Dann gehe ich in
die Wärmestube. In Ludwigsburg musste ich etwas bezahlen, aber hier in Pforzheim
ist es umsonst. Dann gehe ich zum Bahnhof uns schließe meine Sachen in ein
Schließfach ein. Dann setze ich mich irgendwo hin und Bettel. Jetzt bin ich krank
und x mal operiert worden. Ich wohne in einer Wohnung, die mir eine Streetworkerin
organisiert hat. Jetzt habe ich alles, einen Fernseher, DVD – Player. Das habe ich mir
alles durchs Betteln verdient. (Dies sagte er voller Stolz) Im Moment spar ich jeden
Cent für Notfälle, da ich ja drei Hunde habe und falls irgendetwas passiert wegen den
Versicherungen und Impfungen. Ich habe zu Hause einen Spielautomat und da werfe
ich jeden Cent rein. Ich habe drei Hunde und 11 Vögel.
S: Was sind das für Impfungen?
O: Tollwut
S: Was sind das für Vögel? (da er sehr von seinen Tieren schwärmte, hat sie noch
genauer nachgefragt – er machte auf uns auch den Eindruck, als sei er sehr tierlieb)
O: Kanarienvögel, Wellensittiche, etc, die ich je für 20 ! gekauft habe. Diese Neste
ich und verkaufe sie für 15 ! das Stück weiter. Und zurzeit Nesten sie auch und sie
brauchen viel Pflege. (leicht verlegen sagte er) Ich glaube, ich liebe Tiere. Ich habe
kein Geld und kein Platz für eine Frau. Die ist mir zu teuer. (Lacht)
Hier redet die Frau dazwischen und sagt, dass nicht alle Frauen gleich sind und
auch nicht so viel kosten. Der Obdachlose stimmt dem nicht zu und sagt dann
nur: Den Kaffee können sie morgens noch kochen und dann können sie aber auch
wieder gehen.
O: Ich war 47 Jahre in Frankreich als Obdachloser und bin dann hier ins
Wichernhaus gekommen.
L: Dürfte ich nochmals zurückkommen zum Tagesablauf? Wie ging es nach dem
Betteln weiter?
O: Ich saß immer am selben Platz auf dem Markt. Der Markt war immer donnerstags
und samstags. Die Leute haben mich schon gekannt.
L: Wie sind ihnen die Menschen dort begegnet?
O: (ist nicht auf meine Frage eingegangen) Ich bin solo und will nichts mit anderen
zu tun haben. Ich ab keinen Bock auf Familienrummel, da sich Obdachlosen
gegenseitig oft bestehlen. Ich hab immer zwei große Hunde bei mir, die mich
beschützen. Da wagt sich niemand zu nah an mich ran. Darum hab ich ein
Schließfach und da tu ich alles rein und dann kommt mir nichts abhanden. Ich hab
meine eigenen Plätze gehabt und niemanden mitgenommen. Ich glaub ich bin ein
Einzelgänger.
L: Saßen sie den ganzen Tag an solchen Plätzen oder wie lange waren sie dort?
O: (lacht) Nein, das ist doch Arbeit. Meistens nur von 8.00 bis maximal 12.00 Uhr.
Dann hatte ich immer genügend Geld zusammen und schloss alles wieder ins
Schließfach ein. Dann geh ich spazieren, lauf durch die Gegend und geh wieder in
die Wärmestube. Dort bekomm ich ein Mittagessen für 1,40 !. In Offenburg kostet
es 1 !. Und nen Kaffee kostet in Stuttgart 30-40 Cent, außerhalb Pforzheim
manchmal 3 !.
S: Da kommen sie ja ganz schön rum.
O: Ja (lacht).
Die Frau schaltete sich nochmals kurz ein und stimmte dem zu, was der
Obdachlose sagte. Dann folgte nochmals ein kurzes Gespräch über Hunde und
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 2
anschließend hat sich die Frau verabschiedet uns gesagt: Wir sehen uns morgen
wieder.
L: Was gibt es da zu essen und wie schmeckt es?
O: Das Essen für 3 ! ist echt schlecht. Das Essen hier für 1,40 ! ist sehr gut. Es gibt
Fisch und immer ganz unterschiedliches Essen. Der Preis ist voll in Ordnung. Die
Hunde dürfen auch mit rein. In Stuttgart und in Ludwigsburg dürfen die Hunde
nämlich nicht mit rein. Ich geh auch in keine Kneipen. Denen will ich nicht auch
noch Geld in den Rachen schmeißen. (hat aber nicht über die Kneipenbesitzer
geschimpfen) Ich trinke kein Bier. Ich bin ein Weintrinker. Ich trinke Weißwein –
Schorle. Kauf das aber im Laden, weil es billiger ist. Aber ich trinks zu Hause allein,
wenn ich mir mal nen Film rein ziehe. Da mach ichs mir gemütlich. Ich hab zu
Hause alles. Das ist meine erste Wohnung die ich hab. (sagt es mit Stolz)
Ich werd im September 52.
L: Seit wann haben sie diese Wohnung?
O: Seit 2 Jahren. Hab die Wohnung durch nen Streetworker bekommen. War 3
Monate als Anzeige in der Zeitung. Freunde sind dann gekommen und haben die
Wohnung renoviert. Die Farbe und das Zeug hab ich mir durch Betteln zusammen
gesammelt. Die Küche muss noch dringend renoviert werden und dafür sammel ich
gerade Geld. Aber ich sammel auch für das Vogelfutter Geld.
L: Haben sie noch Kontakt zu Personen außerhalb der Strasse?
O: Hab mit einer lesbischen Frau auf der Strasse zusammengewohnt, aber jeder hatte
seinen eigenen Platz. Die Frau schlief auf der einen Seite, ich auf der anderen
(verdeutlicht das durch seine Gestik – scheint ihm wichtig gewesen zu sein). Die Frau
haben sie aus ihrer Wohnung geworfen weil sie lesbisch war. Und sie hatte nun
Angst, alleine auf der Strasse zu schlafen und darum hab ich sie zeitweise
aufgenommen.
(schweigen)
L: Dürften ich ihnen noch eine Frage zu ihrer Familie stellen? Haben sie Kontakt zu
ihr?
O: Nein, meine Eltern sind tot. Mein Alter ist im Oktober 1979 verstorben und meine
Mutter 2002.
L: Haben sie noch Geschwister? Wenn ja, auch Kontakt zu ihnen?
O: Ich hab drei Geschwister, aber die sind alle drei drogenabhängig. Hab aber keinen
Kontakt mehr zu ihnen, da sie mich sonst nur zurückziehen würden. Meine
Geschwister sind in Frankreich aufgewachsen, aber ich bin in Deutschland geboren
und dann wieder nach Frankreich gegangen. Ich war selber 30 Jahre drogenabhängig.
Ich bin jetzt knapp vier Jahre von den Drogen weg.
S: Wie haben sie das geschafft? Haben sie Therapien gemacht?
O: Ja, ich hab drei Therapien gemacht. Aber die haben nichts genützt. Irgendwann
hab ichs dann selber in die Hand genommen und bin von den Drogen
weggekommen. Darum möchte ich auch meine Geschwister nicht mehr sehen.
Hab nen 100% Schwerbehindertenausweis und mein Sozialhelfer will mir helfen
Sozialrente zu beantragen.
S: Haben sie auch Wohngeld beantragt?
O: Ja, das bekomme ich nicht. Ich hab nen deutsch-französischen Ausweis. Meine
Geschwister wohnen in Frankreich, in unterschiedlichen Städten.
L: Nochmals zurück zum Tagesablauf: Wie ging es dann nach dem Mittagessen
weiter?
O: Ich geh wieder spazieren, treffe mich mit anderen Leuten und geh was trinken.
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 3
L: Wo haben sie denn nachts schlafen und wann sind sie zu „Bett“ gegangen?
O: Immer so um 19.00/ 20.00 Uhr und im Winter früher. Wenns dann halt so dunkel
wird. Ich hab dann meine Sachen aus dem Schließfach geholt. Ich hab immer an der
gleichen Stelle geschlafen und niemand nahm mir meinen Platz weg. In
Ludwigsburg hab ich auf der Bärenwiese geschlafen. Ich hab meistens was gehabt,
was überdacht war und wenn nichts da war, hab ich mir selber etwas gebaut mit einer
Plastikplane und Schnüren. In den Nächsten kann es nämlich sehr kühl werden und
es waren einmal -10 Grad. Die Plane schützt vor dem eisigen Wind. Meine Hunde
sind auch auf der Strasse groß geworden. Leuka und Lata (so heißen die Hunde) sind
auch auf der Strasse groß geworden. Leuka will jetzt nicht mehr auf der Strasse leben
und darum hab ich sie in meiner Wohnung gelassen. Ich war letztes Jahr für 2
Monate in Frankreich.
S: Wo waren sie denn da?
O: Ich war in Strasbourg. Würde gerne öfters da hin gehen, aber das geht nicht
wegen meiner Krankheit.
L: Haben sie schon mal zuvor versucht von der Strasse wegzukommen oder wollten
sie von der Strasse weg?
O: Wäre auf der Strasse geblieben, wenn ich nicht krank geworden wäre. Es ging mir
sehr gut auf der Strasse. Ich hatte alles was ich brauchte und hab mir durch das
Betteln genug verdient. Aber aus meiner Wohnung wollte ich jetzt auch nicht mehr
weg. Die ist mir sehr wichtig und die lass ich mir auch nicht mehr wegnehmen.
L: Was für eine Krankheit haben sie denn?
O: Ich hatte einen Bauchnabelbruch. Ich bin so fett gewesen (zeigte auf seinen
Bauch). Hab 200 Kilo gewogen und wieg jetzt nur noch 104 Kilo. Ich wurde dann
operiert in Frankreich.
Es kamen ein Mann und eine Frau von der Pforzheimer Zeitung bei uns vorbei
und haben unser Gespräch unterbrochen. Sie fragten uns, ob wir ein Buch über
Obdachlose schreiben. Wir redeten kurz mit ihnen und dann sind sie weiter
gegangen. Der Obdachlose kannte die Frau. Sie hat ihm mal ne Mikrowelle
besorgt. Der Mann hat uns gefragt, ob wir das Interview nicht veröffentlichen
wollen, aber wir haben es dann verneint.
O: (erwähnt dann) Ich bin schon mal in der Zeitung gestanden wegen meiner Hunde
Leuka und Lata. Ich bin bekannt wie ein bunter Hund.
(schweigen – wir haben uns dann kurz zu den Hunden gewandt und der Obdachlose
musste immer wieder seine Hunde zurechtweisen, dass sie sitzen bleiben)
L: Sie haben vorher gesagt, dass sie in Frankreich waren. Was war der Grund für
ihren Besuch in Frankreich?
O: Ich war vor 2 Jahren in Frankreich. In Strasbourg. Dort hab ich viele Freunde, die
ich besucht habe. Ich würde sie gerne wieder besuchen, aber im Moment geht es
nicht. Wegen meinem Fuß und auch weil ich viele Vögel habe. Dann müsste ich
jemanden finden, der die Vögel versorgt. Aber ich habe das Vertrauen nicht, da sie
mir sonst vielleicht die ganze Wohnung ausräumen würden. Aber ich wüsste schon
jemand, der mir da helfen würde. Aber ich hab auch noch viele Kakteen und andere
Dinge die versorgt werden müssen. Ich bin sehr naturverbunden. Das kommt wohl
daher, weil ich auf der Strasse gelebt habe.
L: Welche Erfahrung haben sie mit Menschen gemacht, die an der Strasse an ihnen
vorüber gegangen sind?
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 4
O: Die Menschen begegnen mir sehr freundlich. Manche sind auch unfreundlich,
aber mit solchen Menschen habe ich keine Erfahrung gemacht. Ich habe 34 Jahre auf
der Strasse gelebt – im Sommer wie im Winter. Die Leute haben mir Kleider und
Schuhe gegeben. Einmal ging mir mein Gaskocher kaputt und dann haben sie mir
auch einen Neuen gekauft. Das war in Frankreich so. In Deutschland ist das ganz
anders. Da begegnen einem die Menschen oft unfreundlich und komisch. Und sie
wollen mich auf der Strasse mit meinen Hunden nicht sehen.
L: Dürfte ich sie noch etwas zu ihrer Kindheit fragen? Wo sind sie aufgewachsen?
Wo haben sie gelebt?
O: Ich habe mit meiner Familie in einem Haus in Lyon gewohnt. Mit 16 Jahren bin
ich drogenabhängig geworden.
Unterbrechung durch einen Italiener, der vorbeikam und sich kurz mit dem
Obdachlosen unterhalten hat. Es machte den Eindruck, als wenn sie sich gut
gekannt haben, da sie sich mit Namen angesprochen haben. Sie redeten über das
Geld und dabei erzählte uns der Obdachlose: Ich hatte mal ne 5 im Lotte gehabt.
Doch leider hatte noch weitere 60 Personen die gleiche Zahl und so hab ich nur
1000 ! gewonnen.
Dann ging der Italiener weiter und wir knüpften an dem vorigen Gespräch an.
L: Sind sie dann auch mit 16 von zu Hause ausgezogen?
O: Ich bin mit 15 ausgezogen.
L: Weshalb?
O: Ich hatte keinen Bock mehr auf zu Hause. Mein Alter war drogenabhängig und
sobald er auf Entzug war, hat er uns Kinder immer vertrimmt. Ich bin dann nach
Lyon abgehauen.
L: Haben ihre Eltern sie nie gesucht und versucht sie wieder nach Hause zu holen?
O: Nein. Mein Alter ist drogenabhängig, aber meine Mutter ist nicht
drogenabhängig. Aber meine drei Geschwister sind aber auch drogenabhängig. Mein
einer Bruder hat ne Frau und viele Kinder. So viele, dass ich mir gar nicht vorstellen
kann, wo er die Kinder alle her hat. Das hat er wohl im Drogenrausch gemacht.
Meinen Eltern war das mit mir egal. Ich will jetzt auch mit der ganzen Sippschaft
nichts mehr zu tun haben.
S: Ist die Versuchung der Drogen zu groß?
O: Ja, ich will mit ihnen nichts mehr zu tun haben, weil es zu gefährlich ist und ich
vielleicht wieder in die Drogenszene abrutsche. Darum gesell ich mich auch zu
keinen anderen Junkies hier in der Stadt.
Ich hab immer auf alles verzichtet. Mein Alter wollte mir etwas geben, aber ich
wollte nichts von ihm. Noch bevor mein Alter ganz tot war, kam schon meine
Schwester und hat den Fernseher mitgenommen. Den hat sie dann verzockt, um sich
mit dem Geld nen Schuss zu versetzen. Ich hab mich nie gefixt, sondern nur durch
die Nase geschnieft. Ich hab Heroin geschnieft. (schnieft)
S: Ah, die Nasenschleimhäute sind betroffen.
O: (fast sich an die Nase) Jaja, da ist alles am Ende und zerstört.
L: Wie lange waren sie in Lyon?
O: Bis vor 3 Jahren. Ein Chirurg in Frankreich hat zu mir gesagt, dass ich nach
Deutschland gehen soll. In Benzheim (in Hessen) soll es einen Arzt geben, der mich
operieren kann. So wurde ich dann in Benzheim operiert. Ich lag sogar drei Tage im
Koma. Dann ging ich nach Stuttgart. Dort konnte ich wegen meiner Hunde nicht
bleiben. Dann ging ich nach Ludwigsburg und auch dort konnte ich wegen der
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 5
Hunde nicht bleiben. Und dann bin ich hierher nach Pforzheim gekommen. Hier
konnte ich dann 3 Monate im Wichernhaus wohnen. Eine Streetworkerin hat mir
dann geholfen und für mich eine Wohnung gesucht. Seit dem wohne ich in dieser
Wohnung und will um nichts aus der Welt da wieder raus. Ich kann auch kaum mehr
laufen, aufgrund der Krankheit. In der Wohnung hab auch nen großen Balkon und da
sitzen die Hunde immer draußen. Da geht es ihnen gut. Das ist gut für meine Hunde.
Ich bekomme 700 ! Sozialhilfe. Aber das reicht nicht! Die ganze Versicherung für
die Hunde, die Telefonkosten und auch die Miete für die Wohnung. Ich zahle 200 !
Miete plus 99 ! Nebenkosten. Deshalb gehe ich noch weiterhin auf die Strasse
betteln und da kommt dann noch mal einiges zusammen.
Ich bekomme dann hoffentlich bald Rente und dann würde ich 1200 ! im Monat
bekommen. Das Geld, das ich dann noch übrig habe, möchte ich sparen und nutzen
um die Wohnung zu renovieren. Ganz besonders die Küche muss renoviert werden
und die anderen Räume hätten es auch wieder nötig. Ich möchte auch unbedingt
einen PVC Fußboden. Ich habe es mir schon ausgerechnet und das wäre dann auch
nicht so teuer und möglich.
Ja, und dann die Hundesteuer! Ich habe meinen dritten Hund angemeldet und dann
wollten die doch tatsächlich auch noch, dass ich 180 ! Hundesteuer für meinen
dritten Hund zahlen soll. Ich hab gesagt, dass ich kein Geld habe, doch das wollten
sie mir zuerst nicht so richtig glauben. Dann habe ich ein paar Cent Stücke auf den
Tisch gelegt und gesagt, dass das alles ist, was ich habe. Dann haben sie mir die
Hundesteuer erlassen. Sollen sie die Steuern doch von denen holen, die Geld haben!
Dann kommt eine alte Frau vorbei. Sie bleibt stehen und schaut den Obdachlosen
sehr böse an und machte den Eindruck, als wollte sie etwas sagen, vor allem
wegen den Hunden. Der Obdachlose hat die Frau dann auch angeschaut. Es sah
aus, als wenn er überlege, ob er etwas zu ihr sagen soll, blieb dann aber doch
still. Als die Frau weggelaufen war sagt e dannr: Die lief vorher schon mal an
mir vorbei und hat mich blöd angemacht. Aber ich lass mich von hier nicht
vertreiben!
Nun werden die Hunde unruhig und der Obdachlose sagt zu ihnen: Ruhig. Wartet
noch bis die Zwei mit ihrem Interview fertig sind.
Wir haben uns dann bei ihm bedankt und verabschiedet. Noch bevor wir gehen
greift er nach seiner Sammelbüchse und liest alle Eurostück aus ihr heraus und
steckt sie in seine Hosentasche.
Interview von Elisabeth Mack INT05 – Seite 6
INTERVIEW 6
ctl 3582 Angewandte Ethnologie und Soziologie Tamar Seidler, BS 3
Gesprächsprotokoll vom 07.05.2008
Interview mit Marek, wohnungslos
Notiert im Anschluss an das Gespräch
Fragen:
Interviewpartner:
Tamar (T)
Marek (M)
Im Vorfeld wurden Erkundigungen eingezogen, wo sich in Karlsruhe gewöhnlich Obdachlose aufhalten. Wir erhielten eine genaue Ortsbeschreibung über den Aufenthaltsort eines Mannes – an einer belebten Straße,
gleich neben einer Straßenbahnhaltestelle. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite ein Einkaufsmarkt. Kein gerade ruhiges Fleckchen, möglicherweise aus Sicherheitsgründen gewählt, da man dort ist meist in Jemandes Blickfeld ist. Morgens 9.15 Uhr sei der Mann meistens da, manchmal
lägen da aber auch nur ein paar Decken, dann sei er wohl unterwegs.
Zu zweit begeben wir uns morgens auf die Suche, „bewaffnet“ mit einem
üppig gefüllten Picknickkorb – wie wäre es, gleich mit einem anständigen
Frühstück aufzuwarten? Der Versuch ist es wert.
An besagtem Ort ist weit und breit niemand zu sehen, auch keine Decken
liegen da. Er scheint schon weggegangen zu sein... Auf Nachfrage in einem
Lottogeschäft in der Nähe meint die Verkäuferin, sie kenne diesen Mann, er
tauche zwischen 10.30 Uhr und 12.00 Uhr auf und würde öfter in ihrem Geschäft eine Zeitung kaufen. Es sei ein gutmütiger Mann. Umgänglich. – Wir
vertreiben uns derweil die Zeit und kommen gegen 10.45 zurück. Da finden
wir zwei Männer vor, an einer Parkmauer stehend bzw. darauf sitzend, einen
älteren mit einem Rolli, in dem sich wohl sein Hab und Gut befindet und
einen jüngeren (Jeans und schmutziges weißes T-Shirt, braungebrannt, aber
deutlich vom „Lotterleben“ gezeichnet) – beide mit einer Bierflasche in der
Hand.
Wir gehen langsam dran vorbei. Es scheint uns schwierig, es mit Beiden
aufzunehmen, was wenn sie dumme Sprüche machen? Im Lottogeschäft
fragen wir noch einmal nach, ob es einer von Beiden sei, den die Verkäuferin kenne. Sie bejaht es, den anderen jedoch habe sie noch nicht gesehen.
Sie versichert noch einmal, der ältere sei ein guter Mann, es habe einmal
einen starken Streit zwischen einigen Männern vor ihrem Geschäft gegeben,
der in Prügelei mündete. Sie sei rausgegangen und habe gesagt, wenn nicht
Ruhe würde, würde sie die Polizei holen. Da vertrudelten sich die Männer
und der Obdachlose habe sich bei ihr entschuldigt für die Unannehmlichkeiten, die die Männer ihr bereitet hätten.
Wir nehmen erneut Anlauf, sehr zurückhaltend und skeptisch, da verlässt
der Jüngere den Platz und läuft zum Markt. Das ist unsere Gelegenheit. Der
INT06: Seite 1
Ältere liest so etwas wie Kontoauszüge. Er liest und liest und wird nicht fertig, was tut er da? Kann man ihn da stören? Macht er es nur aus Langeweile? Wir wünschen ihm freundlich einen guten Morgen, bleiben ein wenig
abseits, er erwidert den Gruß und blickt wieder in sein Papier. Meine Begleiterin spricht ihn an, fragt dies und das – er antwortet ziemlich kurzangebunden. Mir scheint, es sei ihm lästig, ich würde am liebsten auf dem Absatz kehrt machen. Da kehrt der andere zurück. Wir haben inzwischen erfahren, dass er Pole ist. Er spricht gebrochen deutsch. Und plötzlich höre ich
ein paar russische Worte. Sie sprechen paar Sätze miteinander und finden es
witzig, dass wir nicht verstehen, aber ich lache und sag ihnen was ich doch
verstanden hab. Und sag auch paar kleine russische „Phrasen“. Jetzt ist eine
kleine Barriere überwunden, ein Small-Talk kommt in Gang.
M:
T:
M:
T:
M:
(verwundert)
He, - die hat verstanden! Woher kannst du das, woher weißt du?
Ich hab 7 Jahre Russisch gelernt, in der Schule.
Ich habs auch in Schule gelernt, 9 Jahre lang. Vier Jahre in Grundschule, 3 Jahre in ...Schule und 2 Jahre in Oberstufe.
Das ist ja richtig intensiv. Und Sie können das noch – ich hab fast
alles vergessen, es ist schon so lange her. Ich weiß nur noch ein paar
Worte und Sätze.
Russisch hab ich in Schule gelernt. Mein Vater war deutsch, von
Hamburg. Wir haben deutsch gesprochen, als ich war ein Kind. Aber
ich geschlagen worden. Die andern haben geprügelt mich. Und beschimpft: Du Faschist! Und solche Sachen. Da hat mein Vater beschlossen (Konrad): Wir reden deutsch nie wieder. Wir haben nur
polnisch gesprochen. Ich habe Deutsch verlernt. Erst hier in
Deutschland auf Straße habe ich das wieder gelernt. Nur auf Straße,
gar nicht in Schule.
M. schnappt auf, dass nebenan über das Leben auf der Straße gesprochen
wird und sagt, er sei versichert, renten- und krankenversichert, und schon
wühlt er in den Taschen seiner Jacke um sein Portemonnaie zu suchen, das
er dann auch findet und holt alle möglichen Karten raus, unter anderem
auch eine AOK-Versicherungskarte. Ja, da ist tatsächlich sein Foto drauf
und der Name – Marek heisst er (ich dachte er hieße Konrad, weil er den
Namen vorhin so erwähnte, aber dann war wohl sein Vater damit gemeint)
T:
M:
T:
M:
T:
M:
Wie kommt das, dass Sie versichert sind?
(erst mal ganz empört) Ich bin nicht Sie, ich bin Marek! Ich bin DU!
Okay, ich wollte nicht einfach DU sagen, weil, wenn man einfach zu
jemand Fremden Du sagt, das könnte so klingen, als sei er es nicht
wert, anständig angesprochen zu werden – (um ihn nicht wie einen
Niemand zu behandeln o. ä.). Deswegen!
(winkt ab)
Also, ich bin Tamar. (???) Tamar, wie Tamara, nur ohne a.
Das ist auch russisch. Tamara. Tamar.
INT06: Seite 2
T:
M:
Ja, noch mal – wegen der Versicherung (ich bin übrigens auch bei
der AOK) - Bist du vom Sozialamt versichert?
(Die Antwort war nicht ganz eindeutig, Marek spricht von Arbeit,
allerdings von Schwarzarbeit)
Ich hab gearbeitet. (Etwas vorsichtiger) Aber nicht in richtige Firma.
Immer schwarz. Hab mir immer mal was verdient. Aber jetzt hab ich
eine Firma ...
(Er hat eine Firma, was redet er da? Ach so, er spricht etwas gebrochen Deutsch, ein kleines Missverständnis)... da habe ich gesprochen. Jetzt warte ich auf eine Antwort. Die wollen mir Bescheid geben. 1 ! Wochen, vor 1 ! Wochen war ich dort, und die wollen mir
sagen, ob ich bald dort arbeiten kann. Dann ich Geld verdienen kann
und eine Wohnung habe.
Im weiteren Reden scheint mir, er wolle am liebsten auf ehrliche Weise Geld
verdienen. Auf die Frage, was für Arbeit er am liebsten machen würde, ob
es da etwas bestimmtes gäbe, winkt er ab, das sei scheißegal, Hauptsache
Arbeit. Und noch mal: Ja. Hauptsache Arbeit.
M
Ich hab Kinder. Ein Sohn. Und eine Tochter. Sohn arbeitet in England. Tochter studiert in Amerika.
Man kann sich wundern! Wenn das stimmt, was werden diese Kinder von
ihrem Vater halten? Was wissen sie von seinem Leben? Das kann man natürlich nicht rauskriegen.
T
M
T:
M:
T
M
O, das ist ja über die ganze Welt verteilt, ganz international!
Jede Woche ich rufe an (er zeigt sein Handy). Aber jetzt, ich 3 Monate nichts gehört. Und immer, wenn ich anrufe, die Frau sagt – die
Frau, wo meine Tochter wohnt – „Julia ist nicht da.“ Ich versteh ein
bisschen Englisch, aber ich nicht kann sprechen. Ich höre, sie ist
nicht da. Ich weiß nicht, wo sie ist. Und warum.
O, das ist lange, da macht man sich Sorgen ...
Ich habe ein neues Handy, ich altes Handy hab weggeschmissen. Eine neue Nummer. Sie weiß nicht Nummer. Vielleicht sie ist in England bei meinem Sohn. Und wenn zurück – ich muss meine Ex-Frau
anrufen, in Polen, sie muss es wissen, wo Tochter ist. Aber meine
Ex-Frau ist böse! Sie sagt mir nicht ...
Meine Ex-Frau ist böse. Ich weggegangen von Polen. Hab ihr alles
geschenkt, alles dort gelassen, 4000 Mark (???) damals und alles.
Bin nach Deutschland gegangen.
Wann war das?
Das ist lange her, schon (er rechnet), 17 Jahre, ja – 1991 war das.
Bin weggegangen, nur mit Tasche. Ich 5 bis 6 mal zu Besuch wieder
dort. Aber jetzt ist (er macht eine entsprechende Handbewegung) ist
– finito. Nix mehr. Ich hab angerufen, wir treffen in Frankfurt/Oder.
Ich etwas Geld verdient. Ich ihr sage: Komm nach Frankfurt. Sie
sagt: Ich nicht habe Urlaub, nur 1 Tag, ich kann nicht kommen nach
INT06: Seite 3
Frankfurt! Ich musste fahren 800 km, sie nur 200 km! Und sie sagt:
Ich komme nicht! Ich keine Zeit!
Ich gesagt: Leck-mich-doch-am-Arsch!!! (macht die Bewegung vom
Telefon auflegen) Ich in einer Nacht 3000 M einfach alle gemacht,
vor Wut. Ach, ich brauch doch nichts ...
Geld und Besitz ist in Mareks Augen scheinbar etwas völlig nebensächliches.
Irgendwann erzählt er, er sei in Spanien gewesen, mit einem Auto.
M
Mein Auto ist in Spanien. Da hatte ich Unfall. Ganz kaputt. Und
meine Geldbörse, geklaut. Da ich nicht konnte das bauen lassen. Ich
hab dort gelassen.
(Na ja, so sei er halt so wieder zurückgekommen, und das Geld war
halt weg)
Marek kriegt wieder mit, wie meine Begleiterin den Picknickkorb anpreist,
der ältere Mann lehnt schon zum zweiten Mal ab, mit dem Bier sei er zufrieden (Anm.: was soll er da mit unserem popeligen Kaffee ... oder Tee, liebe
Zeit, aber die schönen Brötchen!? – vielleicht ist er eben heute fürs erste
schon satt.)
Marek lehnt auch entschieden ab und hält seine Bierflasche fest.
M
Ich nichts brauche (er lacht abwertend – so wie: geh mir weg mit
Essen), mein Kühlschrank ist voll.
Ich 7 Jahre bei meinem besten Freund gewohnt, Peter. Jetzt ich wohne bei einem andern Kumpel. Manchmal ich schlafe draußen, oder
unter Brücke. Aber ich bei meinem Kumpel wohnen kann. Mein
Kühlschrank ist voll.
Es klingt so wie: Ich lebe mein freiheitliches Leben, aber ich habe, was ich
brauche und wenn ich es brauche. - Er klopft auch mehrmals seinem Nachbarn auf die Schulter, der sei sein Freund – dieser reagiert zwar immer etwas gleichgültig, ein bisschen abweisend, Marek scheint ziemlich ausnutzend zu sein, wie ich am Rande mitkriege
M
So, jetzt ich dir hab von meinem Leben erzählt, jetzt du musst von
dir erzählen.
Ach du liebe Zeit, so war das ja nicht unbedingt gedacht, aber es ist
nur fair, dass ich ihm dazu was sage, wenn ich ihn andererseits so ausfrage
oder zum Reden bewege.
Ich setze mich auf seine andere Seite auf die Mauer – weil, bis jetzt habe ich
nur schwer verstanden, wegen der Straßengeräusche und auch wegen des
Gespräches nebenan mit dem älteren Mann, außerdem der polnische Akzent. Nun kann ich etwas besser verstehen.
INT06: Seite 4
T:
Ich erzähle von meinem Haus (Anm: Missionarische Wohn- und Lebensgemeinschaft für junge Leute), und dass ich mich viel um Jugendliche und Kinder gekümmert hab und was für verschiedene
Menschen immer zu Besuch gekommen sind; von der Teestube, wo
sie gerne kamen – obwohl es da kein Bier gab, das habe denen
nichts ausgemacht !! Und dass es eine Arbeit gewesen sei, die mir
so richtig gefallen habe.
Und dass ich jetzt in der Nähe von Calw (er weiß nicht, wo Calw ist,
von Pforzheim hat er schon gehört) eine theologische Ausbildung
mache.
Von meiner „Hausaufgabe“ erzähle ich nichts, irgendwie wage ich das
nicht. Es könnte das ganz zwanglose Reden, das Vertrauen zunichte machen,
also muss es wohl so gehen und deshalb können wir auch nicht das Aufnahmegerät auspacken ...
Weil ich aber mein Anliegen nicht genannt hab, kann ich auch nicht so interviewmäßig fragen, es bleibt immer ein bisschen ein Plaudern, bei dem
ich nebenbei so einiges von seinem Leben erfahre. Man merkt, dass die beiden Männer sichtbar auftauen, und sich wohlfühlen in einer Atmosphäre, in
der zwei „nette“ Frauen auf eine anständige Weise mit ihnen reden und zuhören - mit großer Selbstverständlichkeit.
T
Ich komme eigentlich von Sachsen. Es ist eine schöne Gegend. Aber
hier im Schwarzwald gefällt es mir auch sehr gut. Ich bin auch hier
ein bisschen zu Hause.
Pause
T
Wo ist eigentlich dein Zuhause? In Polen? Oder hier in Deutschland,
wenn du schon so lange hier bist? Was ist deine Heimat?
M
(überlegt ein wenig)
Ich nicht weiß, wo mein Zuhause ... in Deutschland? In Polen? Ich
nirgendwo zu Hause. Aber (er fasst sich ans Herz) mein Herz ist
polnisch. Ja.
Vielleicht wenn meine Tochter wieder zurück ist, dann ich gehe wieder nach Polen. Aber vielleicht kommt sie gar nicht zurück? Dann
weiß ich auch nicht.
Es klingt wirklich ein bisschen entwurzelt, fast ein bisschen sehnsüchtig
nach etwas, was man verloren hat.
T
(ganz spontan rutscht es mir raus, das musste ich ihm sagen:)
Also, weißt du was - ich – also ich hab ja wirklich ein gutes Zuhause, auch liebe Eltern und Geschwister, mir geht es in dieser Beziehung richtig gut ... Aber meine eigentliche Heimat, die ist im Himmel, bei Gott. Dort ist mein richtiges Zuhause. Und darauf freu ich
mich!
INT06: Seite 5
M
T
M
T
M
(ganz normale, ruhige Reaktion) Ja ...
Ich auch eine Wohnung, in Polen. Dort meine Mutter wohnt. Mein
Vater nicht mehr lebt. Meine Mutter ist 85. Ist noch gesund. Da geh
ich wieder hin, dort wohnen, vielleicht.
(Pause)
Ich auch in Kirche gegangen. Ich Messdiener gewesen, als Junge, 5
Jahre lang. Ich auch geheiratet in Kirche. Und gegangen in Gottesdienst, manchmal – mit meine Frau. Aber dann nicht mehr. Weißt du,
die Pfarrer!!! Die Pfarrer, das sind alles – o bitte entschuldige (er
fasst mir beschwichtigend an den Arm), dass ich vor dir so schlechtes Wort sage, aber ich muss sagen, weil das ist so! – das sind alles
Arschlöcher. Richtige Arschlöcher! Die reden und predigen von Bibel - und der eine hat mit Huren rumgemacht, ja! Und der andere, in
anderer Stadt, der hat mit Kindern! Brrrr ....
Das sind alles Arschlöcher! Ich damit nichts zu tun haben will.
Ich geh schon in Kirche, manchmal - wenn niemand da ist. Und
dann (er legt die Hände entsprechend zusammen), dann bet ich.
(Ich nicke) Na ja, also es gibt nicht nur „Arschlöcher“. Da gibt’s
schon auch andere.
Ich weiß, was in Bibel steht - dass man nicht soll morden und nicht
stehlen. Und das mach ich nicht. Na ja ... (Kunstpause, kleine Einschränkung), das letztere – vielleicht 2 Mal - oder so... Ich mach
nicht so ne Scheiße wie die andern! Das weiß der Gott auch. Ich
brauch das nicht mit der Kirche.
(Ich kann mir nicht so ganz vorstellen, dass er höchstens 2x im Leben was gestohlen hat, aber ich sag besser nichts dazu)
Na ja, da steht auch noch viel mehr in der Bibel. Es steht ja auch viel
Tröstliches drin. – Hast du das mal gelesen? - Hast du eine Bibel?
Nein. Nein, hab ich nicht.
In diesem Moment ärgere ich mich sehr, dass ich nicht so ein kleines Evangelium einstecken hab, das hätte ich ihm glatt gegeben, damit er mal reingucken könnte, schade!
Und jetzt will der ältere Mann nebenan tatsächlich ein belegtes Brötchen –
zum Mitnehmen für den Tag. Während wir unsere vermeintlichen „Schätze“
zutage fördern, winkt Marek wieder großspurig ab. Später deutet er auf seinen (zahnlosen) Mund und sagt:
M
Ich keine Zähne mit habe ... in Polen ... (ich versteh nicht ganz, ob
er in Polen welche hat oder in der Wohnung von seinem Kumpel oder überhaupt nicht – jedenfalls:) Ich nicht essen Brötchen.
Pause
M
T
M
T
Hast du – Mann? Wo ist dein Mann - du hast doch?
Nein. Ich hab keinen Mann.
guckt ganz fragend
Nein, ich bin ledig.
INT06: Seite 6
M
T
M
T
Aber Kinder. Deine Kinder?
Nein, Kinder hab ich keine.
Warum du keine Kinder?
Weil ich nicht verheiratet bin. Deswegen hab ich auch keine Kinder.
(Das scheint ihm nun wieder ganz verwunderlich zu sein, wie man
das in Zusammenhang bringen kann)
...
M
Wenn ich Arbeit habe und verdiene etwas, dann ich hier eine Wohnung nehmen, und dann (begeistert) du kommst zu mir zum Wohnen.
So, hier haben wir die Schwierigkeit!!! Es sollte doch besser ein Mann mit
einem Mann sprechen oder mindestens ein Paar. Aber doch nicht 2 Frauen!
Noch dazu, wenn ein Gespräch so bisschen nach Interesse aussieht (auf jeden Fall nicht „amtlich“), und das wollte ich schon bekunden. Bei dem älteren Mann wär es ja nicht so problematisch.
Im Fall Marek schon, denn Marek ist tatsächlich der Meinung, dass ich ihm
gerade recht komme und recht wäre.
M
(wiederholt) Dann du kommst zu mir in meine Wohnung. Dann ich
nicht gehe nach Polen. Dann ich bleibe hier.
Die Diskussion darüber versuche ich nun halt abzublocken.
Irgendwie scheint mir, dass eben doch in einem Menschen, der solch ein
Leben führt, ein bisschen Sehnsucht nach einer heilen Welt vorhanden ist,
die nun an dieser Stelle ans Tageslicht geriet.
Was den Ausschlag für meine folgenden Worte gab, ist nicht mehr ganz
nachzuvollziehen. Vielleicht lag es daran, dass ich mir generell ein bisschen
schäbig vorgekommen wäre, ihn einfach nur wegen des Interviews zu beachten und dann meines Weges zu ziehen, wenn ich hab, was ich brauche.
Auf jeden Fall schien es mir das Einzige, was ich für ihn überhaupt tun
kann:
T
Aber ich kann für dich beten. Dass Gott auf dich aufpasst. Weißt du,
das wichtigste ist, dass Gott das tut. Sein Segen ist wichtig, darum
kann ich beten. (Er scheint das einigermaßen für normal hinzunehmen)
Pause/dies und das geschwätzt
Wir sitzen so auf der Mauer, ich lobe diesen herrlichen „Sommer“-Tag.
M
T
M
Für mich ist das ein Scheiß-Tag!!!
Warum denn?
Ja ein Scheiß-Tag!! Weißt du warum?? - Weil ich dich getroffen
hab!! Und noch eine Stunde, oder eine halbe, dann du bist wieder
INT06: Seite 7
T
M
weg, und das ist Scheiße! (theatralisch) Da werd ich ganz traurig ...
Du bist so ... sympathisch.
(herausfordernd) Na, weißt du, das kann man auch anders sehen:
Man sagt immer: Schade, traurig, dass Der oder Die jetzt weg ist,
dass die schöne Zeit vorbei ist. Aber man kann das genauso gut anders sagen: Ach, war das aber heute eine schöne Stunde, die ich hatte!! Wenn man so denkt, ist das Leben leichter!
gibt sich für ne Weile zufrieden
Wir bedeuten den Beiden, dass wir uns nun so langsam auf die Socken machen werden. Marek droht indirekt an, er wolle sich das Leben nehmen, wegen der „Herzschmerzen“ Sein Nachbar spottet drüber. Und ich sag so nebenhin:
T
M
Nein. Das machst du besser nicht, das lohnt die Sache nicht (ich
weiß ohnehin, dass er das nicht macht ...)
Weißt du, wenn du tot bist, wer weiß, wo du dann landest!
(wieder ziemlich herausfordernd – völlig spontan, solche direkten
Sätze bin ich von mir überhaupt nicht gewöhnt):
Wenn man ein Kind Gottes ist, wenn man Gott kennt, und man stirbt,
dann kommt man zu Gott. Aber wenn man kein Kind Gottes ist, und
man stirbt – dann wird’s hinterher schlimmer, als das Leben jetzt. So
isses.
(einlenkend) Ich weiß das. Ich bring mich auch nicht um, das mach
ich nicht!
Wir werden von Marek mit Handkuss verabschiedet. Durchaus mit Ehrerbietung.
INT06: Seite 8
INTERVIEW 7
H=
N=
T=
V=
Obdachloser
Nadine Zerrenner
Tamar Seidler
Verkäuferin des Lotto- Geschäftes
Es ist gegen 10 Uhr. Tamar und ich befinden uns mit unserem Picknickkorb in Karlsruhe, an der von ihrer Schwester beschriebenen Straßenbahn-Haltestelle. Jedoch ist
von dem besagten Obdachlosen nichts zu sehen. Nach einigen Minuten hastiger Suche und auf und ab Laufens beschließe ich in ein Lotto- Geschäft, nahe der Haltestelle, zu gehen und nachzufragen.
Das Geschäft ist wenig komfortabel eingerichtet, aber man kann alle möglichen Sachen kaufen (u.a. Nahrungsmittel, Zeitungen, Schreibzeug). Die Verkäuferin macht
einen freundlichen und netten Eindruck auf mich.
N:
V:
N:
V:
N:
V:
N:
V:
N:
V:
Guten Tag. Ich führe im Rahmen meines Studiums ein Interview mit einem
Obdachlosen durch. Ich habe gehört, dass sich ein Mann an dieser Haltestelle
täglich aufhält. Stimmt das?
Ja, genau. Er kommt jeden Morgen mit der Straßenbahn angefahren, steigt
aus, kauft sich hier eine Zeitung und liest sie vor dem Geschäft. Danach geht
er auf die andere Straßenseite und setzt sich auf die Mauer. Heute hat er sich
noch keine Zeitung gekauft. Sitzt er nicht draußen?
Nein.
Vielleicht kommt er noch.
Mhmm... Was mache ich jetzt?
Wie spät ist es denn?
(Schaut auf ihre Uhr.)
Ach, es ist doch erst 10 Uhr. Er kommt immer erst halb elf und bleibt bis
zwölf. Ungefähr. Er kommt bestimmt noch, er kommt jeden Tag.
Wie schätzen Sie ihn ein? Verstehen Sie mich, ich habe etwas Hemmung den
Mann anzusprechen.
Ach, nee... (Winkt ab) Machen Sie sich mal keine Sorgen. Das ist ein ganz
feiner. Ich hatte mal eine Schlägerei vor meinem Geschäft. Da kamen andere
Obdachlose und haben ihn angepöbelt. Ich bin aus dem Geschäft raus und hab
gesagt: „Wenn ihr den Scheiß nicht sofort lasst, rufe ich die Polizei.“ Einer
hat mir sogar gedroht. Als alle weg waren kam der Mann rein und hat sich bei
mir entschuldigt.
O.K.. Vielen Dank. Dann versuche ich mal mein Glück. Wiedersehen!
Wiedersehen. Viel Erfolg!
Nach einer halben Stunde kamen Tamar und ich wieder zurück. Schon von weitem
sahen wir zwei Männer in der Nähe der Haltestelle. Beide halten eine Flasche Bier
in der Hand. Von ihrem Aussehen her konnte man darauf schließen, dass sie obdachlos sind. Unser Problem bestand nun in der Tatsache, dass sie zu Zweit waren.
Wir vermuteten, dass sie sich nicht auf ein Gespräch einlassen, Sprüche reißen und
uns nicht erst nehmen würden. Aus diesem Grund betrachteten wir die Beiden aus
einem guten Abstand: Beide lehnten lässig an der Mauer, gegenüber dem Lotto- Geschäft. Sie waren schätzungsweise 30 und 60 Jahre alt. Ihre Kleidung war sauber,
aber heruntergekommen. Ihr Haar war jeweils schulterlang und relativ ungepflegt
und ihre Haut von der Sonne braun gebrannt.
INT 07
-1-
Wir beschlossen noch einmal in das Geschäft zu gehen und nachzufragen, welcher
der besagte Obdachlose sei.
N:
Hallo, wir sind es noch einmal. Sagen Sie, ist das der Mann dort drüben?
(Ich zeigte der Verkäuferin den Mann.)
V:
N:
Ja,...genau. Der Ältere der Beiden ist es. Den anderen Mann kenne ich nicht.
Vielen Dank.
In diesem Augenblick stand der jüngere Mann auf und ging fort. Tamar und ich
stürzten aus dem Geschäft, liefen auf die andere Straßenseite und blieben in einiger
Entfernung stehen. Der ältere Mann las. Es schien ein Kontoauszug zu sein. Konnten
wir ihn in einem solchen Augenblick ansprechen? Nach ein paar Minuten bewegten
wir uns auf ihn zu und lehnten uns neben ihn an die Mauer.
T:
Hallo!
(Er schaut langsam in unsere Richtung. Ich betrachte seine Hände: sie sind durch
Wassereinlagerungen (Ödeme) dick. Seine Bewegungen sind langsam.)
T:
Können wir uns neben Sie auf die Mauer setzten?
H:
Ihr sitzt doch schon.
(Er liest weiter seine Kontoauszüge.)
N:
Sagen Sie, was macht man den ganzen Tag?
T:
Ich kann mir vorstellen, dass es manchmal langweilig ist, wenn man den ganzen Tag Zeit hat...
H:
(schaut auf und grinst) Wenn man ‘ne kleine Blonde hat wird’s so schnell
nicht langweilig!
N:
Ähmm... gut... ja...
H. lacht, blinzelt mir zu und hebt seine Bierflasche hoch.
H:
Ich meine, wenn man genügend zu trinken hat (zeigt auf seine Flasche) wird’s
so schnell nicht langweilig.
Der jüngere Mann kommt über die Straße geschlendert.
N:
H:
Ist das Ihr Freund?
Der da? Nee, der ist nicht mein Freund. Das ist ein Bekannter. Der kommt
nur, wenn er durst hat zu mir und pumpt mich an.
Der andere Mann kommt und stellt sich grüßend zu uns. Tamar kam nach kurzer Zeit
mit ihm ins Gespräch.
N:
H:
N:
H:
N:
INT 07
Schläfst du eigentlich das ganze Jahr draußen? Im Sommer kann das ja angenehm sein, aber im Winter...
Nee du, ich bin kein richtiger Penner. Ich wohn bei meiner Freundin. Nur
wenn’s mir zu bunt kommt hau ich ab.
Und wo schläfst du dann?
In einer Tiefgarage.
Mit ihm zusammen? (Ich nickte mit dem Kopf zu dem anderen Mann)
-2-
H:
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INT 07
Nur ich darf da schlafen. Da nehm ich niemand mit. Die machen alle nur
Dreck, Pinkeln in die Ecke und so. Da kommt auch niemand rein, denn abends machen die die Garage zu. Da fahren an mir die Auti’s, BMW’s und
Mercedesse vorbei, hupen und manchmal laden sie mich auch ins Cafe ein.
Warum schläfst du in der Garage? Du könntest doch bei deiner Freundin
schlafen.
Die is ein bissl schwierig. Die Frau ist total eifersüchtig. Wenn die jetzt mit
der Straßenbahn hier vorbeifahren würde und uns reden sieht, dann kann ich
mich auf was gefasst machen. Die würde herumschreien.
Sie ist eifersüchtig...
Ganz genau! Darum hau ich ab und zu ab. Aber wir sind schon dreizehn Jahre
zusammen. Willst du mal ein Bild von ihr sehen? (Zieht ein Passfoto aus seiner Jackentasche) Das ist sie.
Sieht doch hübsch aus.
Hübsch? Na ja, vielleicht ein bissl komisch, oder?
Wenn man dreizehn Jahre mit der gleichen Frau zusammen ist, dann muss
Liebe dahinter stecken.
Liebe? Nee, Liebe ist das schon lange nicht mehr. Um ehrlich zu sein hab ich
sie nur aus Mitleid genommen. Die hat fünf Kinder und eins ist behindert. Ihr
Mann hat sie verlassen. Jetzt lebt sie in der Wohnung mit meinen Möbeln. Ich
habe drei Fernseher. Einen nehme ich immer mit. Der ist hier in meinem Koffer.
Und dann schaust du in deiner Tiefgarage fern?
Nee, das ist ja der Scheiß. Ich hab da keinen Empfang. Aber sonst ist es gut
da.
Hat deine Freundin eine Arbeit?
Die macht nichts. Ist den ganzen Tag zu Hause und bekommt Sozialhilfe.
Hast du mal gearbeitet?
Klar. Ich hab als Maurer gearbeitet ... war viel unterwegs. Montage. Bin viel
rumgekommen: Italien, Belgien, Holland, Russland...
In Russland? Wo hast du dort gearbeitet?
In Moskau. War eine schwere Arbeit. Ich habe in einem Stahlwerk gearbeitet.
Ich war auch in Russland, im Uralgebirge.
Die Russen sind sehr gastfreundlich. Aber überall lassen sie ihren Müll liegen. Und saufen tun se...
Wodka.
Wodka! Wie der da drüben. (Nickt mit dem Kopf zu seinem Kollegen. Dieser
ist in diesem Augenblick im Gespräch mit Tamar vertieft)
Wie dein Freund...
Hör mir auf, der ist nicht mein Freund. Der kommt nur, wenn er durst hat.
Willst de nen Schluck? (H. hält mir seine Bierflasche hin.)
Nein, Danke. Ist sehr freundlich von dir, aber ich trinke nur wenig Alkohol.
Ich werde davon schnell müde.
Ich hab früher auch nichts getrunken. Nur Cola. Jetzt trinke ich Bier. Aber
nur aus Langeweile.
Wo hast du nach Russland gearbeitet?
In Italien. Aber ich sag’s dir: die Italiener sind alle faul, trinken den ganzen
Tag Rotwein. Und wenn man keinen mittrinken will, dann sind sie sauer. Ich
mag keinen Rotwein.
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INT 07
Damals hab ich 8000 Mark verdient. Die hab ich meiner Alten geschickt. Die
hat‘s sich damit gutgehen lassen. Stell dir vor: ich schick der Monat für Monat meinen Lohn und die fängt was mit dem Postboten an... Aber das hab ich
nicht von ihr erfahren, sondern von den Nachbarn...
Mhmm... Was hast du dann gemacht?
Ich hab die Scheidung eingereicht. Es hat vier Jahre gedauert bis ich sie durch
hatte. Überleg mal: vier Jahre das ganze hin und her...
Vier Jahre ist schon eine lange Zeit.
Und meine Frau und der Postbote hatten dann die Idee, dass ich mit seiner
Frau zusammenziehen sollte.
Das ist ja krass!
Die wollte, dass ich ihr weiterhin das Geld schicke.
Hast du Kinder?
Ja, einen Sohn.
Hast du noch Kontakt zu ihm?
Der ist für mich gestorben. Mein Sohn kam nur zu mir, wenn er Geld brauchte. Wenn er ein neues Fahrrad wollte, dann hat er mit mir geredet. Heute ist er
Chef bei Siemens und verdient nen Haufen. Du kennst doch Siemens, oder?
Klar.
Mein Sohn kann mir gestohlen bleiben. Ich brauche niemand.
Du kommst am Besten allein klar?
Genau! Die Anderen machen nur Ärger. Wo kommst du eigentlich her?
Aus der Nähe von Pforzheim. Ich studiere Theologie. (Ich wollte an diesem
Punkt des Gespräches nicht die Studienrichtung ‚Gemeindepädagogik‘ erklären)
Theologie?
Genau. Ich bin Christ und glaube an Gott. Glaubst du an Gott?
Na klar glaube ich an Gott. Ich bete jeden Morgen und jeden Abend.
Gehst du in eine Kirche oder Gemeinde?
Nein! Die können mir alle gestohlen bleiben. Ich glaube für mich allein.
Warum gehst du in keine Kirche?
Hab da mal so ne unschöne Geschichte erlebt: Damals hab ich im Ruhrgebiet,
in der Nähe von Dortmund gelebt. Ein Kumpel wollte mich mit in einen Puff
nehmen... In einen Puff (lacht)... Das ist überhaupt nicht meins. Ich hab
schließlich eine Freundin. Da hab ich vor dem Puff gewartet.
Was ist dann passiert?
(Nimmt einen Schluck aus seiner Flasche) Stell dir vor: Da kam ein roter
BMW angefahren, zwei Pfarrer stiegen aus und sind in die Hütten gegangen.
Die waren dort Stammkunden. Seit dem sag ich mir: Kirche, nein danke.
Aber trotzdem glaubst du an Gott? Obwohl du die beiden Pfarrer beobachtet
hast?
Das musst du auseinander halten. Die Pfarrer haben nichts mit Gott zu tun.
Ich glaube an Gott. Auf den kannst du dich verlassen. Wenn du dir von dem
was wünschst, das geht in Erfüllung. Das kannst du glauben.
Ich studiere Theologie und werde später in einer Gemeinde oder Kirche arbeiten. Würdest du zu mir in den Gottesdienst kommen?
Zu dir? Immer.
Ich finde dein Leben sehr interessant. H, du bist wirklich ein guter Mensch.
Du hast ein gutes Herz.
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INT 07
Das haben schon Viele gesagt. Vielleicht hab ich ein zu gutes Herz. Ständig
kommen die anderen Penner zu mir und wollen sich Geld ausleihen. „Das
kriegst du auf jeden Fall zurück“, sagen sie immer. Aber, ich bekomme nichts
wieder. Und trotzdem leih ich ihnen was. Dreimal wurde ich ausgeraubt und
zusammengeschlagen.
Da bist du in deiner Tiefgarage schon sicherer.
Stimmt.
Wie spät ist es eigentlich? Wir haben uns jetzt bestimmt schon eine Stunde
unterhalten, oder? Ich glaube Tamar und ich müssen langsam weiter...
(Schaut auf seine Uhr) Es ist fast zwölf. Sag mal hast du keine Uhr?
Nein.
Komm ich schenk dir eine. (Fängt an in seinem Rollkoffer zu suchen)
Hey H., lass mal. Du hast doch viel weniger Geld als ich. Du brauchst mir
keine Uhr schenken.
Doch, ich will sie dir gern schenken. Hab ich Gestern neben meiner Kiste
gefunden. Normalerweise verkauf ich die Sachen die ich finde an Typen die
Stoff brauchen.
(H. holt eine große, goldene Uhr heraus und hält sie mir hin. Ich lege sie an
und freue mich)
Siehst du, da hast de gleich ne Erinnerung an den H.
Vielen Dank! Solche Sachen verkaufst du weiter?
Richtig. Die Typen nehmen alles, was sie kriegen können. Drogen sind ein
Scheiß. Ich hab nie was genommen und trinke auch nicht. Nur mein Bier.
Aber nur die eine Sorte, andere schmecken mir nicht. Wie gesagt, früher hab
ich nur Cola getrunken.
Das geht auch nicht, wenn man einen verantwortungsvollen Beruf hat.
Und den hatte ich. Ich habe viele Lehrlinge angeleitet. Ich habe mir niemals
einen Krankenschein geholt. Dafür habe ich viele Prämien und Bonusse bekommen. Viermal wurde ich befördert.
Und was ist dann passiert?
Dann habe ich eine Thrombose bekommen.
Mir ist aufgefallen, dass deine Hände ganz dick sind.
Das sind Wassereinlagerungen.
Nimmst du Medikamente?
Ja. (Zieht aus seiner Jackentasche eine Packung) Das hier sind Wassertabletten.
Wie bezahlst du den Arzt und die Medikamente?
Krankenkasse. Ich bekomme auch eine Rente. Aber der Schröder hat sie
viermal runtergestuft. Was ich jetzt bekomme, das kannst du vergessen.
Hast du auch Stützstrümpfe bzw. Strumpfhosen?
Ja, aber die zieh ich nicht an. Die sind viel zu dick für den Sommer.
Mensch, H. du musst sie aber schon anziehen, sonst hast du gleich die nächste
Thrombose. Trink viel und beweg dich wenigstens.
(lacht) Trinken tu ich, wie du siehst. (Zeigt auf seine Bierflasche) Und Bewegung hab ich auch genügend.
Hast du auch jeden Tag was zu essen?
Ich brauch nicht jeden Tag zu essen. Manchmal esse ich einen Tag nichts und
geh dafür am nächsten Tag an einen Döner-Stand oder fahr mit der Straßenbahn aus der Stadt raus. Es gibt ein kleines, einfaches Restaurant, wo man ordentliche Schnitzel bekommt. Das reicht mir.
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Eine letzte Frage: Was ist dein größter Wunsch oder Traum? Was würdest du
gern noch machen, erleben etc?
Nichts machen. Ich hab genug gearbeitet.
Und reisen?
Ja, reisen ist gut, Nadine. Aber ich bin schon so viel rumgekommen. Jetzt
reichts. Karlsruhe ist O.K.. Aber das Münsterland ist noch schöner.
Ich war vergangenes Jahr in Ecuador. Südamerika.
Ecuador? Erzähl!
Es ist ein wunderschönes Land. Man hat verschiedene Landschaftszonen:
Küste, Strand, Gebirge mit Vulkanen, Dschungel und Steppe.
Hast du Affen gesehen?
Ja. Wir haben eine Tour in den Regenwald unternommen. Auf einmal hing
über mir ein Wollaffe. Das ist ein eigenartiger Anblick. Eine große Spinne
haben wir auch gesehen.
Interessant. Südamerika, da war ich noch nicht.
Danke, für unser Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute! Vielleicht sehen wir
uns mal wieder.
Ich bin jeden Tag hier. Ich würde mich freuen dich wieder zu sehen.
(Ich lache) Vielleicht würdest du mich gar nicht mehr erkennen!
Ich werde dich erkennen. Ich vergesse dich so schnell nicht. Und wenn wir
uns hier nicht wiedersehen, dann sehen wir uns im Himmel.
Zum Abschied hat H. mir noch ein Gebet vorgesungen.
INT 07
-6-
INTERVIEW 8
Fortsetzung des Interviews von M.
Interviewt von Isabell und Jill
M: ...keine Ahnung, ich kann grad mal ein Überweisungsformular ausfüllen ...
und das hat sich (Isi lacht mit ihm) und ein Handy kann ich noch bedienen und
an einer Schreibmaschine kann ich auch schreiben, aber weißt du mit dieser
ganzen Kultur habe ich wirklich nichts am Hut und was den Rest anbetrifft
Isi: Was was betrifft?
M: Was den Rest anbetrifft (er lacht)
Isi: Ah, ok.
Jill: Ich verstehe nicht, warum sie auf die Straße gekommen sind! Das habe ich
immer noch nicht verstanden. Seit wann leben sie im Parkhaus, oder ... mal hier
mal da in Nepal und in Israel
M: Das ist normal.
Jill: Ja, sie sind ja nicht auf der Straße geboren. Sie sind irgendwo...
M: Du meinst jetzt Nepal, Israel.
Jill: Nee, nee, nee, ich meine jetzt die Geburt seit... sie sind ja irgendwann
geboren.
M: Ja. (Isi lacht)
Jill: Was dann war?
M: Mein Vater war Pfarrer, ja und ich bin irgendwann mal geboren und bin im
Pfarrerhaus aufgewachsen und im Pfarrerhaus da sind viele Kontakte auch, ja
von außen. Das heißt: Missionare kommen, ja die machen dann in den
Gemeinden so Rundtrips, ja und erzählen und machen Diashows oder
sonstwas. Auf jeden Fall ist ein Pfarrerhaus ein sehr offenes Haus. Da ist die
Welt sozusagen mitdrin. Äh, ich hab Latein gelernt in der Schule - war auf dem
Gymnasium, näh.
Jill: Ich auch. (Isi lacht)
M: Und sozusagen äh, ähm äh. Nachhilfeunterricht gehabt äh oder genommen,
Stunden genommen und es war ein katholischer Pater. Katholischer Pater, ja.
Der war in seinem, der hat, da wo, in der Zeit wo ich da war, der hat ein Heim
geleitet. Das war auf dem Land in Kirchschönbach. Sozusagen schwer
erziehbare Mädchen, ja - sagt er. Hat er damals gesagt. Hat er da geleitet.
Sozusagen seine Ruhestellung, aber in seinem Leben, in seinem aktiven Leben
INT08 1
sozusagen, da war er in Afrika. Ja.
Tochter Michelle: Papa! (sie spricht ihn von der Seite an) Wir gehen mal kurz in
Müller (Geschäft in Calw) und schnell davor. Wir kommen dann wieder. Ja.
M: Ja.
M: Und da hat er (???) die haben ja nicht viel Eigenbesitz und so. Da hat er zwei, drei
Statuen gehabt da so an der Wand, weißt du. Und da kamen wir irgendwie auf Afrika
und wir haben uns mehr über Afrika unterhalten und seine Arbeit da und alles, wie
über Latein. Bin gerne zu ihm hin, jedes Mal echt gerne zu ihm hin. Ich konnte es kaum
erwarten bis er da kam, wo ich sozusagen wieder dahin konnte. Und jetzt Jahre später,
ja, und du hast gerade meine Tochter getroffen, ja, die Große.
Isi: Aha.
M: Michelle. Und das ist Diejenige,wenn wir schon jetzt bei (???)tour sind, ja. Da waren
wir mal draußen in Parkistan in Changamanga (Isi u.M lachen)- so heißt das Changamanga. Ähm, da waren wir draußen und da war eine Wildschweinjagd, ja. Die
schlachten da die Wildschweine ab. Und die Moslems essen ja kein Schweinefleisch,
auch kein Wildschwein. Aber er kam dahin, äh und hat sich da so ne Sau halt
mitgenommen. Die, die, die machen die nur kaputt, weil die machen die Felder kaputt
und so.
Isi: Ja, ja, ja, ja.
M: Und lassen sie liegen für die Geier.
Isi: Crass.
M: Aber er hat sich da so ne Sau mitgenommen, gell. Und so haben wir uns
kennengelernt da in Changamanga. Und er hat gemeint: Ja, kommt mit und so könnt
ihr da duschen und Wasser und alles. Kein Problem. Ja. Und dann sind wir darauf
gekommen und Michelle war damals noch - äh- wie alt war sie damals? Äh, naja, sie
war schon ein halbes Jahr. Ja, neun Monate vielleicht.
Isi: Da war ihre Frau mit dabei?
M: Die Mutter, ja. Die damalige Frau, ja, war mit dabei. Und dann sind wir darüber
gegangen bei Pater Luk und dann kamen wir so ins Gespräch, hat er uns eingeladen in
sein Haus. Er hat sogar eine Flasche Whiskey in seinem Haus gehabt (Isi lacht sehr).
Ja, das ist in Pakistan was besonderes. Die Moslems trinken ja kein Alkohol.
Isi: Stimmt, stimmt, ja.
M: Und da haben wir da so ein Gläschen zusammen getrunken. Und da meinte er so
wegen Taufe und das haben wir uns auch wirklich überlegt gehabt. Ja. Michelle auch
taufen zu lassen - äh -. Ja, und das wars dann. Ja, gut, das ist dein Platz und lassen
Taufe machen. Hat er gemeint, dann sollen wir noch so ne Tüte kaufen, so Bonbons
und sowas, weißt du auf dem Markt, ja, für paar Cent. Da kommen viele Kinder. Also
INT08 2
gut, wurde getauft, ja in Changamanga von Pater Luk und so. Und dann nachher war
Taufe fertig und so und hier überall die Kinder und Tüte dabei und wir die Bonbons
raus. Und die haben sich gefreut und alles... es war einfach nur schön.
Jill: Sie sind ... also, sie sind im im, ihr Elternhaus war ein Pfarrhaus, gäh, aber wie sind
sie auf die ... (lacht), ich habe das noch nicht verstanden. Wie sind sie auf die Straße
gekommen? Sie sind quasi in einem Pfarrerhaus groß geworden und da war immer was
los. Aber dann, wie ging es dann weiter? Irgendwann waren sie in Pakistan. Ich habe
das noch nicht verstanden.
M: Nee, und äh und. Weißt du .. ich hab hier geschwind.
Jill: Also, sie haben Abitur gemacht, wenn sie Latein gelernt haben?
M: Ja, das war alles so vielleicht vor dreißig Jahren.
Jill: Ja, ja, weil von der Geburt bis zum selbst Papa werden von der Michelle ist ja ne
lange Zeit. Das verstehe ich nicht.
M: Natürlich. Das war jetzt nur ein ...was ich gesagt hab
Jill: ein Ausflug.
M: Ja, ein Auslug (Isi lacht wieder).
Jill: Mich würde interessieren. Ich wohne ja in einem festen Haus. Mich würde
interessieren, wieso man auf der Straße lebt!? Wieso sie auf der Straße leben?
M: Weil dir irgendwann mal alles am Arsch vorbeigeht.
Isi: und was ist dieser Punkt, wo einen dazu führt?
M: Da kommt vieles, äh, zusammen.
Isi: Mhh, das ist meistens so im Leben. Glaub ich, gell.
M: Ja, das kommt nicht von heut auf morgen. Da kommt vieles zusammen. Das ist wie
gesagt, irgend ä mal 00:26:22-5
Er wird abgelenkt von außen und spricht schließlich mit Daniel oder einem anderen der
Männer in einer anderen Sprache.
M: (nochmals) Ja, da kommt vieles zusammen, weißt du. Irgendwann einmal, ist es
halt. 00:26:45-0
Jill: Wie alt waren sie dann, seitdem sie das erste Mal auf die Straße ...
Isi: ihr Haus aufgegeben haben? Wann war das?
INT08 3
Daniel: Jetzt konnte der arme Mann nicht mal in Ruhe essen.
Isi: Er sagt, ihm hat es nichts ausgemacht. (Dem Martin hat es nichts ausgemacht, dass
wir ihn interviewt haben, während er nachmittags um 16Uhr die erste Mahlzeit für
diesen Tag zu sich genommen hat).
M: Jaja.
(Ein Mann spricht uns an, der in unserer Nähe stand): Was ihr für ein dings?
Isi: Was wir jetzt gerade machen? Wir machen eine Ausbildung in Bad Liebenzell zur
Gemeindediakonin.
Jill: Wollen wir jetzt mal hier weiter machen?
Isi: Ja genau, zurück. Ihr Haus, wieviel Jahre war das jetzt zurück, dass sie es
hergegeben haben? Und sie gesagt haben, sie möchten nicht mehr?
M: Was willst du erzählen? Das kommt dann einfach so.
Jill: Es muss ja irgendetwas gewesen sein, was sie dazu veranlasst hat? Irgendeine
Begegnung, die sie verletzt und verärgert hat oder so …
M: Nein, nein.
Jill: Oder der Staat.
M: Nein, nein, ich habe gar nichts gegen den Staat. Die Leute, die über Deutschland
schimpfen wissen doch nicht, wie das Leben woanders ist. Aber irgendwann hast du die
Schnauze voll.
Im Hintergrund reden die Freunde von Martin über das Stichwort: Bekehrung.
Als wir uns als "Liebenzeller" (> Mission) geoutet haben, kamen immer wieder von den
Freunden Kommentare: "Jesus lebt." "Jetzt wird er bekehrt." u.a. 00:28:30-1
M: Ja, irgendwann hast du die Schnauze voll und dann bist du alleine und was soll ich
dann mit der Hütte. Was soll ich mit so einer rießen Hütte? Ja, das war wirklich ne
rießen Hütte.
Isi: Ja, und ihre Kinder waren dann weg zu diesem Zeitpunkt?
M: Ja, ja, die waren schon außer Haus. Und was soll ich alleine mit so ner rießen Hütte
und jeden Monat einen Haufen Geld abdrücken. Das muss auch erhalten sein und das
alles. Ja. Was soll ich da?
Isi: Sie haben ein interessantes Leben, wenn sie so erzählen. Das hört sich wirklich
interessant an. Wo sie schon waren und ...
INT08 4
M: Ja, das stimmt, ohne mir jetzt auf die Schulter zu klopfen. Das war wirklich gut und
ich bin dankbar dafür. Weißt du, ich würde vielleicht, wenn ich es nochmal anfangen
könnte, ich würd es wieder tun und paar Dinge anders machen!
Isi: Was zum Beispiel? Wenn man fragen darf.
Martin antwortet zunächst nicht.
Isi: Zum Beispiel diesen SChritt auf die Straße und das Übernachten im Parkhaus.
Würden sie das wieder so wollen?
M: Nee, bestimmt nicht (lacht dabei). Nee. Das würde ich mir bestimmt nicht freiwillig
aussuchen? Also, sicherlich nicht.
Isi: Und alternativ. Was wäre da ihr Wunsch?
M: Was wäre mein Wunsch? Sagen wir mal, wenn du mich jetzt so fragst, ja und ich
jetzt hier die Taschen voller Geld hätte, hätten wir uns hier sowieso nicht getroffen,
weil ich schon längst auf dem Flughafen wäre und in Israel, ja. Das ist nun mal eine
Frage von Geld. Ja. Und jetzt in einen Lastwagen zu steigen, abgesehen davon ist es
heute nicht mehr so einfach, wie es einmal war. Mit Jobs und so, egal wo.
Isi: Ja, das stimmt. Ja.
M: Früher war es einfach. Das war kein Thema. Heute nicht mehr. Und nichts gegen
Ausländer, verstehste, aber die ganzen Polaken, Türken und alles, ja, die machen den
Markt kaputt. Und, äh, es nicht mehr so, wie es mal war. ... früher hat das Telefon
geklingelt ... das ist heute nicht mehr so ... keine motivation. Das soll jetzt nicht nach
Selbstmitleid klingen oder so, aber es ist ganz einfach so.
Isi: Nee, ich kann es ein Stück weit nachvollziehen. Ja, das irgendwann die Motivation
weg ist.
M: Weißt du - nach dem Motto: Just open another beer.
Jill: Können sie nicht bei einem ihrer fünf Kinder wohnen?
M: Nein, die Michelle wohnt selber mit ihrem Kind und dann noch zwei Mädchen und
das Appartment ist nicht so groß. Und Nathalie ... da weiß ich nicht, ich weiß es ehrlich
nicht. Wo Nathalie gerade ist. Die haben schon genug daran zu nagen, ihren Vater im
Park zu suchen (er lacht dabei). Das ist ja lieb von denen (er spricht gerade von dem
Geburtstagsüberraschungsbesuch seiner Töchter).
Isi: Ja, das hat mich auch gerade sehr überrascht.
M: (lacht sehr) Ja,also mich auch. Also, ich habe wirklich an alles mögliche gedacht,
aber nicht daran. Wenn wir schon mal beim Thema waren. (bevor die Kinder kamen,
war schon die Rede von ihnen)
INT08 5
Isi: Und dann auch noch Geburtstag.
M: (lacht) Und ich weiß es noch nicht mal.
Isi: Krass.
M: Da hast du recht. Das ist krass. Den Geburtstag werde ich in Erinnerung behalten,
du.
Jill: Wenn sie sich ein Geburtstagsgeschenk wünschen könnten, was wäre das für
heute?
M: Wenn du mich jetzt so fragst. Also, einfach so geredet. Ein Flug nach Israel. Weißt
du, so einfach. Und wenn es zwei Tage sind. ODer drei. Und dann, ich sage es einfach
mal so und ihr würdet mit kommen. Ich sage es einfach mal so und dann an nach
Jerusaelm und an die Klagemauer gehen, ja. Da trennen sich unsere Wege allerdings.
Frauen rechts, Männer links. Ja. Und dann ein kleines Zettelchen, nur so groß wie ein
Zigarettenpapierchen und da schreibst du irgendetwas drauf, ja. Das weißt nur du und
Gott, sonst niemand. Das wäre mein Wunsch. Das ja. Das steckst du in die Ritze da. Ja,
das wärs. ... Ich bin kein Freak von Anbetung oder Andacht vor irgendwelchen Statuen
oder, ja ... absolut nicht, aber glaube es mir, ja wirklich im Ernst, das ist der einzige
Platz jemals in meinem Leben und jemals in der Welt, ja - wo ich wirklich hingehe und
Steine küsse. Und das wirklich so meine. Das ist der Platz der Plätze. Ich kann nicht
vorstellen an einen anderen Platz in dieser ganzen Welt zu gehen wie an die
Klagemauer.
Jill: Weil sie eine Klage haben oder Ehrfurcht vor Gott empfinden? 00:36:05-0
M: Nein, wenn ich dahin gehe, dann sage ich nur "Tadaraba, Tadaraba", das heißt:
Danke, ja und "Adonai" und Adonai heißt Gott. Ja, "Adonai tadaraba" und das ist alles.
Und dann sage ich nur "Danke". Sie heißt nur Klagemauer.
Jill: Ja, da kann man alles reinschieben.
M: Ja, alles reinschieben. Du kannst Danke reinschieben, du kannst Bitte reinschieben,
sonstwas reinschieben. Das ist eine Sache zwischen dir und Gott. Und ja, das ist das
Einzige. Nur um da hinzugehen und zu sagen "Tadaraba adonai", ja nicht mehr und
nicht weniger.
Isi: Haben sie jetzt hier noch Anschluss an irgendwelche Christen und Gemeinden? Sie
haben gesagt, in Altensteig waren sie schon mal und jetzt grad zur Zeit irgendwie?
M: Zur Zeit gar nichts. Ja, ich meine in Altensteig war ich schon mal. Früher war mal in
Altensteig viel. Und ich kenne die ja auch. Aber jetzt hat sich natürlich in den Jahren,
der Hermann ist nicht mehr da und der Rudi ist wahrscheinlich auch nicht mehr da. Äh
und die sind wahrscheinlich auch älter. Aber äh nicht mehr, nee. Weiß nicht, wann ich
das letzte Mal dort war. Bestimmt auch schon wieder allermindestens ein Jahr her.
INT08 6
Allermindestens. Äh nee, überhaupt nicht und sonst weißt du, äh so manche von diesen
freikirchlichen Gemeinden , die so kleine Gruppen sind und so, weißt du, äh. Ich weiß
nicht, das ist manchmal auch ein Haufen Selbstdarstellung und Verklemmtheit, ganz
einfach. Ja und ähm, das war jetzt in Altensteig nicht der Fall.
Isi: Eine sehr jugendliche Gemeinde, glaub ich, oder?!
M: In Altensteig, oder?
Isi: Ja.
M: Oh nee.
Jill: Pfingstlerisch.
M: Pfingstler, ja.
Isi: Ja,ja aber auch so. Mein Papa ist da auch zum Glauben gekommen bei denen, als
die so einen Jugendgottesdienst veranstaltet haben mit 40.
M: Ja, die sind schon sehr jugendlich orientiert, sicher. Aber jetzt, die Gemeinde als
solches und auch die Gottesdienste und so, ja da hat das Alter nichts zu tun. Da ist
zwischen ein Tag und 95 alles dabei.
Isi: Ja, ja das meinte ich auch nicht. Aber halt jung dynamisch.
M: Ja, das ist ja wichtig. Und da wird wirklich noch gesungen. Und da wird noch
geklatscht und aufgestanden. Das ist wirklich äh halleluja. Das ist wirklich gut. Also, das
kann ich nur empfehlen. Wenn du mal die Chance hast, da rüber zu machen.
Isi: Ja doch, da würde ich gerne mal vorbeikucken.
M: Äh, ich glaube, halb zehn sonntags haben die immer. Also, die fangen net so früh
an. Und nachher, ja da gibts noch Gespräche und so. Das ist net so ein Ding, was
anfängt und aufhört und so. Wo man auch miteinander reden kann und so. Das ist
wirklich gut so irgendwie. Ich wüsste im ganzen Umkreis hier nichts besseres.
Isi: Ja doch, das würde mich mal reizen, da mal reinzukucken. Also, wenn sie wollen,
dann können wir auch mal abholen irgendwann, wenn wir da hinfahren. Wenn sie Lust
haben. Wäre kein Problem.
M: Ja, ich würde nicht Nein sagen.
Isi: (fragt nach seinen AUfenthaltsorten) Sie sind immer hier irgendwo unterwegs,
oder?!
M: Ja, ich bin normalerweise immer irgendwo unterwegs wenn schönes Wetter ist.
Siehst du dahinten die Bank, da links auf dem Spielplatz (Isi bejaht). Da zum Beispiel,
INT08 7
das ist eine von meinen Bänkchen.
Isi (lacht sehr): Ach sie haben so Bänkchen (lacht wieder gemeinsam mit Martin).
M: Ja und da oben. Wenn man da so zwischen den Häusern. Da gehen so Treppen
hoch. Da auf dem Hermann Hesse Platz. Da ist ein wunderschöner Platz und auch paar
Bänkchen. Und da sitze ich auch manchmal.
Jill: Und wie sieht ihr Tagesablauf aus? Also, wenn sie morgens aufstehen, was machen
sie dann?
Zeitgleich fragt ein anderer Mann den Martin, ob er noch ein Bier hat. Auf der Mauer
stand tatsächlich noch ein Bier für den Mann. Es schien uns, als wenn diese
befreundete Gruppe von Obdachlosen untereinander gerne teilen. Der Mann bedankt
sich für das Bier.
M: Wie der Tagesablauf aussieht?
Jill: Wenn wir aufstehen, müssen wir meistens nach dem Frühstück zur Schule gehen.
M: Ah, ja. Und ich schaue, wo ich das erste Bier her bekomme. (lacht dabei) So sieht es
im Moment aus, muss ich ganz ehrlich sagen. Falls Geld in der Tasche, dann ist
halleluja, ja und falls nicht in der Tasche, dann ist man angesagt, hier einen Rundgang
zu machen. 8 Cent pro Flasche (er sucht im Park nach Pfandflaschen, um Geld zu
bekommen). (Isi lacht) Das ist mein Ernst.
Jill: Das Brötchen eben war wahrscheinlich das erste, was sie heute gegessen haben,
oder?
M: Ja und seit gestern. (nachmittags um 16Uhr hat er die erste Mahlzeit seit dem
vorherigen Tag gegessen) Nee, apropo Essen. Ich habe in Indien, da isst du sowieso
erst mal wenig, sowieso überhaupt kein Fleisch. Das ist überhaupt kein Problem. Reis
und Dahl.
Isi: Reis und ?
M: Dahl. Das sind die gelben Linsen. (Isi: Ah, ok.) Die gibt es auch als rote Linsen. Wie
sagt man hier in deutsch? Auf jeden Fall ist es Dahl und das reicht. Nix Fleisch.
Isi: Dann haben sie also schon in Indien gelernt mit wenig auszukommen? Das war
dann vielleicht hilfreich für jetzt?
M: Oh ja. Das muss ich ehrlich sagen. Die Zeit da möchte ich nicht missen. Ja. Die hat
mir schon in vielen Bezügen, in Bezug auf vieles sehr geholfen. Also, wirklich, die Zeit,
die ich in Indien erlebt habe, möchte ich nicht missen. Ja.
Isi: Ich war selbst schon mal ein Jahr in Paraguay und ich weiß sowas kann einen
formen, ja. Ich war bei den Indianern im Busch und ich kann so annähernd mitfühlen.
M: oh ja. Das kann ich mir vorstellen. Cool. Was hast du da gemacht?
INT08 8
Isi: Ich hab äh, ich war bei Missionare und hab die Kinder unterrichtet und ich bin
Krankenschwester von Beruf und hab dann dort auch mitgeholfen so gut wie es ging.
Hebamme hab ich, war ich mal bei Indianern dort. Je nach dem was ich, wo ich
gebraucht wurde, habe ich mitgeholfen. Also, alles mögliche. Auf die Tiere aufgepasst
und so weiter.
M: Echt cool.
Isi: Und deshalb kann ich es nachvollziehen, man lernt mit wenig auszukommen.
M: Ja.
Jill: Also, ich habe das eben so verstanden. Sie glauben an Gott, oder? SInd wir
eigentlich beim Du oder beim Sie. (Darf ich ihn dutzen oder Sie`tzen??)
M: (er lacht) beim Du.
Jill: ALso, du glaubst an Gott. Du würdest in Jerusalem Gott Danke sagen. Das spricht
von einer Beziehung zu Gott und in meiner Beziehung zu Gott ist es so, dass ich frage,
was Gott für eine Aufgabe für mich hat. Es geht ja net nur darum, dass ich sehe: Oh
heute hat er mir durch den Tag geholfen, sondern ich überlege auch, was ich ihm
zurück geben kann als Dank.
M: Ja natürlich.
Jill: Hast du schon mal gedacht, welche Aufgabe er für dich vielleicht noch hat, außer
... ähm .. du bist ja ein wertvoller Mensch und wertvolle Menschen sind gebraucht.
M: Ja, das ist gut. Das mit der Aufgabe, das ist gut. Das letzte Mal, als ich auch bei so
einem Mädchen war, da war ich Lastwagenfahrer und war in England oben. Und habe
eine gute alte Freundin besucht. Bei Manchester. Und da waren wir dann in einem
Gottesdienst, ja. Und da kam ein Prediger, der war aus Indien. Und hat da gepredigt.
Also, er war aus Indien und lebte in Amerika. Und hat da gepredigt. Und da sind wir
dahin.
Seine Töchter kommen zu ihm und wollen mit ihm anstoßen auf seinen Geburtstag mit
zwei Picolo Sektfläschchen. Wir tauschen uns über die gute Sektmarke aus.
> der Enkeltochter ist kalt. Die Mutter schickt sie auf den Spielplatz, damit ihr warm
werden soll beim Toben. Martin meint, dass seine Enkeltochter übermüdete Augen hat.
Dann reden sie darüber, dass die Tochter Michelle weit wegziehen will - auf die Alb
wahrscheinlich, doch so genau weiß sie es noch nicht. Hauptsache weit weg von Calw.
Dann fragen sie ihren Vater, was er die nächsten Tage, Wochen und Jahre noch
machen will und ob er weiterhin an der Nagold stehen will?! Danach stellen sie fest,
dass ihr Vater "neue Kleidung" hat. Michelle wundert sich, warum ihr Vater nicht mal
eine hübsche Jacke zur Abwechslung geschenkt bekommt!?
Eine Tochter fragt Martin noch, wo seine schwarze Jacke steckt, worauf Martin keine
Antwort weiß. Kurz darauf erzählt Martin noch die Geschichte seines Spitznamens
INT08 9
„Mini“. Seine Töchter fragen uns schließlich bevor wir uns verabschiedeten, wozu wir
das Interview brauchen. Nach unserer Erläuterung betont Isi noch mal, das das Leben
von Martin wirklich sehr interessant verlaufen ist und betont dabei speziell seine
Auslandserfahrungen und Auslandsaufenthalte.
Schließlich wollte Isi dem Martin noch etwas kaufen, als Dank und anlässlich seines
Geburtstages. Dieses Angebot aber wurde von Martin dankend abgelehnt. Er betonte
aber, dass ihm die gemeinsame Zeit und die Befragung sehr gefallen hat. Auch wir
haben uns noch mal ausdrücklich für seine Offenheit bedankt und uns schließlich
verabschiedet.
INT08 10
INTERVIEW 9
Joachim Berger
Donnerstag 08.05.2008
Ethnographisches Interview
Joachim: „Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht helfen.“
Thomas: „Wenn ich kann.“
J: „Im Zuge meines Studiums darf ich Personen verschiedenster sozialer Gruppen
befragen, um einen Einblick in ihre Lebenswelt zu bekommen.“
T: „Gut. Kein Problem. Vor ca. 10 Jahre hat Alles angefangen. Mei Frau hat mich
verlassen. Und als die Nächste vor ca. 2 Jahren in mei Wohnung einzog, hat die
Scheiße angefangen. Sie hat n Hund mitgebracht. Der Vermieter wollte keine Tiere
im Haus. So hat er mich aus der Wohnung geworfen. Des war vor ca. 2 Jahr. Isch
alles irgendwie scheiße glaufen. Aber des wird scho wieder. I brauch a Wohnung und
an Job.“
J: „Von was leben Sie?“
T: „8! am Tag. Jeden Tag krieg ich des vom Staat. Reicht vorn und hinten ned.
Manchmal geh i zum a Taxifahrer – weisch der kennt mich – der gibt dann so 2 !
oder so.“
J: „Gehen Sie dort jeden Tag hin?“
T: „Ne, kansch ned machen. Jeden zweiten Tag. Sonscht frag ich halt manche Leut
nach Geld. I frag gar ned nach Euros, sondern i frag bloß nach a paar Cent. Dann
gebns dir eh ein oder zwei Euro. Weisch des isch mei Trick.“
J: „Reichen Ihnen diese 8! zum Essen aus?“
T: „Ne. Aber ab und zu geh i zu de Schwestern. Kriegsch Essen um sonst. Und kann
Nachschlag holen so viel du willsch. Hau i mir immer den Bauch voll. Brauch an
dem Tag sonst nix mehr zum Essen.“
J: „Wie oft essen Sie dort?“
T: „Zwei- maximal dreimal in der Woche. Gut manchmal hasch Hunger. Aber i hab
noch gnug Reserve (streicht sich mit seiner Hand über den Bauch).“
J: „An den anderen Tag haben Sie dann nichts zu essen?“
T: „Doch. Mittwoch und Samstag isch Markt. Wart i halt bis alles rum isch. Lauf
dann durch. Zum Schluss hab i zwei Tüten voll mit Wurst und Käse. Vitamine
brauch i keine. Krieg i zwar, will i aber ned. Seh doch no gsund aus, oder?“
J: „Ja, schon. Sie haben gerade gesund gesagt. Sind Sie krankenversichert? Oder wie
läuft dass, wenn Sie zum Arzt müssen?“
T: „Kranknversicherung zahlt dr Staat. Muss i ned selber zahln. Von was au. Von
dene 8!? Geh ganz normal hin und krieg mei Sach zahlt. Manchmal geh i au zum
Roten Kreuz.“
INT09: 1/7
J: „Das Rote Kreuz auf dem Kuhberg?“
T: „Nein. Auf dem Michelsberg!“
J: „Lassen Sie sich dort untersuchen?“
T: „Kannsch au machen lassen. Mach i aber ned. Geh halt ab und zu zum Schlafen
hin. Isch aber scheiße. Wie bei der Bundeswehr. Warsch bei der Bundeswehr?“
J: „Nein.“
T: „Hasch Zivildienst gmacht?“
J: „Nein.“
T: „Egal. Na erklär i ders halt. Da schläfsch mit 8 Männern in eim Raum. Kannsch
vergessen. Aber im Winter ischs ganz gut.“
J: „Und wo schlafen Sie sonst?“
T: „Hinten am Bahnhof. Da bei der Post. Des isch stillgelegt. Kennsch des?“
J: „Ja, dass kenne ich.“
T: „Da isch mei Schlafplatz. Sommer wie Winter. Sommer geht’s gut. Winter isch
hart. Alle zwei Stunden musch aufstehen und laufen, dass wieder warm wird. Unter
der Woche isch des kein Problem. Am Sonntag isch hart. Kein Geschäft hat auf.
Sonst gehm da immer rein zum Wärmen. Blättern mer halt a Zeitung durch und
laufen durch. Des isch gut. Der Winter isch hart.“
J: „Haben Sie da eine Matte oder einen Schlafsack?“
T: „Plastikfolie, Strohmatte und eine Decke. Versteck i immer, damit mers niemand
klaut. Langsam merk i mei Hüfte (hält sich mit beiden Händen die Hüfte).“
J: „Das ist alles?“
T: „Jetzt schon. Vor a paar Wochen hams mir mein Rucksack mit alle Papiere klaut.
Jetzt hab i nix mehr. Ausweis, Papiere alles isch weg.“
J: „Schlecht.“
T: „Des kannsch laut sagen. Aber bis jetzt wars kei Problem.“
J: „Schlafen Sie dort allein?“
T: „Normalerweise simmer zu viert. Aber zwei sind im Knast. Und der eine isch mer
gestorben vor 14 Tagen. Ich wach auf und er liegt tot neben mir. Mit 38. Hat halt
gesoffen. Er hat bis zu drei Flaschen Wodka gesoffen am Tag. Dann hat er
Kaffeebohnen wie Nüssle gegessen. Pure Kaffeebohnen. Isch klar.“
2/7
J: „Ja.“
T: „Entweder isch an der Leber oder am Herz gestorben.“
J: „Sind sie jetzt allein?“
T: „Nein. Seid a paar Wochen, isch a Russ bei mir. Versteh ihn zwar fast ned, aber
mir schlafen zam.“
J: „Das heißt, Sie halten untereinander zusammen?“
T: „Wir halten zusammen. Sonst habm wir niemand. Es gibt auch Zigeuner. Die
haben keine Chance. Zigeuner nennen wir die Einzelgänger. Sie nutzen andere nur
aus!“
J: „Wie würden Sie den Zusammenhalt unter den Obdachlosen beschreiben?“
T: „Als Verein. Man hält zusammen, hilft einander, steht füreinander ein. Für
Zigeuner gibt es keinen Platz.“
J: „Kommt man schnell rein, wenn man neu auf der Straße ist?“
T: „Ne. Dauert sei Zeit. Muss sich erst kennen lernen. Wie bei einem Verein halt.
Muss sich vertrauen können. Weil Zigeuner wollen wir keine haben.
Der Russe und ich wir passen aufeinander auf. Halten auch zusammen. Ich kanns
ihm ned verbitten. Er klaut halt. Ich finds ned gut. Gibt mir aber 50% von allem ab.“
J: „Klaut er Geld?“
T: „Nein. Alkohol. Wodka, Schnaps, ... Eigentlich trink ich nur Wein. Die Berber da
vorne (Gruppe von Obdachlosen) trinken Bier. I bin au a Berber, siehsch ja an meim
Bart. Ich trink meist Wein. Kann´s ihm nicht verbieten. Versteht mich eh nicht.“
J: „Wo bekommen Sie ihren Alkohol sonst her?“
T: „Hinterm Kino stehn einige Mülleimer. Sind immer Reste in dr Flasche. Trink
mer halt leer. Wenn Glück hasch isch au a Schnaps drin. Oder da vorn, hinter dem
Restaurante stehn au a paar Mülleimer. Da findsch meist au was. Manchmal sogar
halb Flasch. Und in der Biotonne liegt meist no was zum Essen. Die Leut schmeißen
viel weg. Isch gut für uns. (steckt sich eine Zigarette an) Willsch au eine?“
J: „Dank aber ich rauche nicht.“
T: „Die hab ich mir au schnorrt. Siehsch. Die schenkens mir halt. I machs dann aus
und rauchs a anders mal weiter.
Mit m Alkohol muss i aufpassen. Weisch i weiß, dass i Alkoholiker bin. Hab scho
vier Entziehungskuren gmacht. Aber hat nix gnutzt. Sitzt da am Strand – im Urlaub –
und dacht mir, trinksch halt an Schluck Wein. Scheiße! Konnt nimmer aufhörn. Jetzt
trink i halt wieder. Aber muss aufpassen. Hab Tabletten kriegt. Darf nimmer so viel
trinken.“
3/7
J: „Mh.“
T: „Vor a paar Wochen bin i Rolltreppe gfahrn. A Freundin war dabei. Bin runter
gefalln. Isch mer scho zweimal passiert. Erst im Krankenhaus bin i wieder
aufgwacht. Mei Freundin war no bei mir. Dann isch a Schwester kommen und hat mi
fragt ob i mi waschen will. Hab i ja gesagt. Stunde später isch se kommen und hat mi
fragt ob i was Neues zum Anziehen will. Hab i au ja gesagt. Wieder a Stunde später
isch se kommen und hat mer a Bier bracht. Fand i ned schlecht. Hat gesagt, damit
mich ned nochmals umhaut. Hab jede Stunde a Bier kriegt. Dann kam dr Doktor.
Hat mich gfragt wie viel i denk, dass i gehabt hab. Wusste es aber ned. Hat er gsagt:
6,8 Promille. Weisch bei wie viel a Normaler Tod isch?“
J: „Nein.“
T: „Bei vier Promille. I habs überlebt. Aber jetzt muss i aufpassen.“
J: „Sie haben gesagt, dass sie im Krankenhaus neue Klamotten bekommen haben, wo
bekommen Sie sonst neue Klamotten her?“
T: „Bestimmt ned im Kaufhaus. Isch viel zu teuer. Mit 8! kannsch da ned viel
anfangen. Geh da immer zur Caritas. Verkaufen gute und billige Klamotten. Koscht a
Pullover 50 Cent. Grad im Winter isch des wichtig. Gibt’s gute Sachen zum Kaufen.
Und die Leut dort sind ganz gut drauf.“
J: „Nachdem was Sie gesagt haben, leben sie hier in Ulm, oder reisen Sie in
verschiedenen Städten herum?“
T: „Früher hab i des gmacht. Also als i noch Arbeit gehabt hab. Da war i in Mexiko,
Texas, … Aber jetzt bin i scho seid 6 Jahr in Ulm. Zuvor hab i in Günzburg gelebt.
Weil i in Ulm gearbeitet hab, bin i 28 Jahr gependelt. Deswegen bin i nach Ulm
zogen. Seid dem wohn i hier.“
J: „Das heißt, Sie haben in Ulm gearbeitet?“
T: „Ja, des hab i. Bis. War ich krankgeschrieben. Hab mei Krankmeldung am Freitag
ned abgeben und dann hab i meine Kündigung gekriegt.“
J: „Das war vor zwei Jahren.“
T: „War vor zwei Jahren. I bin au ein gläubiger Mensch. Hab 25 Jahre Orgel gespielt
in der Kirche und war Dirigent. Aber jetzt bin ich halt. Des war in Günzburg. Bin
extra auf Ulm zogen, weil ich hab im Donautal draußen gearbeitet. Bei Iveco
Magirus.“
J: „Und dann wo die große Entlassungswelle kam, oder?“
T: „Da war i ned dabei. Da waren zwei Entlassungswellen. Die eine war 7000 Leut
Zwei Jahr zuvor ham se auch welche entlassen. Dann kam der nächste Chef. Ich hab
im Büro gearbeitet. Den hab ich in PC eingelernt. Nach fünf Jahren hat er auf einmal
4/7
anfangen zum spinnen. Der war kurz vor der Rente. Der hat mich gemobbt ohne
Ende.
Hab bloß um 9:00 und mittags a Bier trunken. Gut in de Früh au noch eins.
Unter vier Augen hab ich zu ihm gesagt – ich hab Konnexions zum Personalchef
gehabt – Unter vier Augen hab ich zu ihm gesagt: Du bisch a Arschloch. Des war a
Fehler. (Pause)
So viel Scheiße gelaufen. Bin einfach abgerutscht. Ok. Aber ich komm wieder
hoch.“
J: „Das heißt diese Hoffnung haben sie noch?“
T: „Ich werde ja auch älter. Kann doch ned so weiter leben. Ich brauch eine
Wohnung und Arbeit. Als erste brauch ich eine Wohnung, oder a Zimmer. Krieg i
zahlt vom Staat. 286 ! krieg ich zahlt. Des isch schon geregelt. Jetzt muss ich mir
einen Job suchen. Vielleicht muss ich sogar einen 4! Job annehmen. Weiß ja ned,
wie lange der Staat und die Caritas noch zahlen. Wahrscheinlich auch ned ewig.
Normal müssen sie bezahlen, kann ja ned verhungern.“
J: „Sie haben vorher gesagt, dass sie sich durchschnorren. Sitzen sie dann auch in der
Hirschstraße beim betteln?“
T: „Nein des hab ich noch nie gemacht. Eine Freundin von mir hockt in der
Hirschstraße. Die Blonde, kennen Sie die?“
J: „Nein.“
T: „Monika Maser heißt sie, aber ihr Spitzname ist Claudia Schiffer. Die macht des
schon 6 Jahre. Hockt jeden Tag beim Müller vorn. Aber die gibt ihnen keine
Auskunft. Die Berbergruppe da vorn sagt dir nix. Musch aufpassen, die haben
Hunde.“
J: „Kennen Sie noch mehr Obdachlose in Ulm?“
T: „Ich kenn alle!“
J: „Vorher haben Sie gesagt, sie helfen sich gegenseitig aus. Haben sie Tricks, wie
Sie besser leben können?“
T: „Ja. Wir helfen einander. Auf der Straße lebst du wie ein Hund. Da brauchst du
Hilfe und Tricks. Ich verrat dir jetzt mal einen (zieht einen Ausweis aus der Tasche).
Kuck mal. Unbegrenzt gültig steht da drauf. Kann überall hinfahren wo ich will, im
Umkreis von 50 km. Isch von ner Freundin. Siehsch des Bild.“
J: „Ja. Und wie funktioniert das?“
T: „Wir ham uns getrennt, aber den Ausweis hab ich mitgenommen. Wenn ich mit
meine 8! Bus und Straßenbahn fahren müsst, des würd ned gehen. Nimm i halt den
Ausweis. Isch a Begleitausweis. Sie müsst eigentlich dabei sein. Ham uns aber
trennt. So fahr i immer umsonst. Ausweis verfällt au ned. Dreimal hams mi erst
kontrolliert. Na hab i gsagt: Sie isch mer fortglaufen, hab se verlorn. Hab no nie
5/7
Probleme mit gehabt. Finden die au ned raus. Brauchsch halt deine Tricks. Sonst
geht’s halt ned. Aber des weiß niemand.“
J: „Sie haben den Zusammenhalt mit den anderen Obdachlosen als eine Art Verein
geschildert, haben Sie auch eine Familie?“
T: „Ja mei Mutter isch im Pflegeheim. Der geht’s gut. Mei Bruder isch mit m LKW
in Frankreich. Der kommt alle zwei Wochen vorbei. Weisch mir ham in Günzburg a
Haus mit 1000 qm Grund ghabt. Dr Mutter geht’s gut. Kinder hab i keine. Also muss
i mir keine Sorgen machen.“
J: „Also haben Sie das Haus in Günzburg verkauft, oder?“
T: „Ja. Des war a schönes Haus. Hab i mei Zimmer oben drin gehabt. Richtig schön
ausbaut. War gut. Viel Platz ghabt. Großen Garten ums Haus. Aber muss ja nach
Ulm zum Arbeiten. Also hammers verkauft.“
J: „Und das Geld, welches Sie für das Haus bekommen haben?“
T: „Liegt auf dr Bank. Pflegeheim muss zahlt werden. Isch ja ned so, dass i kei
Rücklagen hab. Bissle was von dem Geld isch auf meim Konto. Dann hab i noch a
Lebensversicherung und an Bausparvertrag. Aber des will i noch a bissle liegen
lassen. Brauchs ja grad ned. Im Sommer isch des hier kei Problem. Und den leb i no
auf dr Straße. Aber ob i den Winter no auf der Straße mach, des weiß i no ned. Isch
halt scho ziemlich hart.“
J: „Können Sie zur Not auch bei Freunden unterkommen?“
T: „Ja, hab drei Freundinnen. Aber grad hab i mit alle drei Stress. Des Dumme isch,
die wohnen alle im gleichn Haus. Kann i also grad ned hin. Des wird scho wieder.“
J: „Haben Sie vom Staat schon mal einen Arbeitsstelle vorgeschlagen bekommen?“
T: „Scheißjob. I soll i einer Bibliothek Bücher einsortieren. Bin doch ned blöd. Und
des für 1!! Hab i gsagt ihr könnt mi mal. Dann ham se mer noch mal ein angeboten.
Soll alte Leute ihre Einkaufssachen tragen. Bin doch kei Esel. Hab i wieder gesagt:
Ihr könnt mi mal. Bevor i so ein Scheißjob annehm, lass ichs halt. Weisch i hab zwei
Berufe gelernt und Hobbykoch bin i au no. Und dann soll i so was machen. Kein
Chance.“
J: „Sie haben aber noch die Hoffnung, dass Sie eine Job und eine Wohnung finden?“
T: „Klar. I brauch a Wohnung und an Job. Dann verdien i wieder Geld. Und komm
weg von dr Straße. Die Hoffnung hab i no. Den Sommer noch auf der Straße und im
Winter a Wohnung. Dann wieder arbeiten. Weisch Geld krieg i doch für die
Wohnung. 286 ! krieg ich zahlt. Des isch scho geregelt.
Abers klappt ned immer. Ein Freund von mir hat a Wohnung gehabt. Hats aber ned
ausgehalten in der Wohnung. Lebt jetzt wieder auf dr Straße. Der brauch sei Freiheit.
Aber wenn arbeiten willsch, brauchsch au a Wohnung.“
6/7
J: „Es freut mich, dass Sie diese Hoffnung noch haben. Ich möchte mich bei Ihnen
recht herzlich für das Gespräch bedanken. Sie haben mir geholfen. Ihnen wünsche
ich einen guten Tag und hoffe für Sie, dass Sie es noch vor dem Winter von der
Straße weg schaffen.“
T: „Isch schon ok. Ja des hoff i au.“
J: „Hier noch eine Kleinigkeit für Sie. Ein kleines Dankeschön für die Zeit, welche
Sie sich für mich genommen haben.“
T: „Danke. Schönen Tag.“
7/7
INTERVIEW 10
Ethnographisches Interview von Simon Feucht für das Fach Interkulturelle
Studien
Interview mit Uwe, ein Obdachloser, den ich in Heilbronn getroffen habe.
Nachdem ich um die zwei Stunden in Heilbronn nach einem Obdachlosen gesucht habe,
bin ich in Uwe fündig geworden. Er saß an einer Wand, in der Nähe eines kleinen
Ladens gelehnt und hatte seinen Becher rausgestellt um ein bisschen Geld zu sammeln.
Er hatte einen größeren Rucksack und war mittelgroß hatte kurze, ein bisschen
gräuliche Haare und ein mehr oder weniger ungepflegtes Gesicht. Ich bin zuerst an ihm
vorbeigelaufen, um noch nach ein paar anderen Kandidaten zu sehen, die mir vorher
aufgefallen waren, da es aber eine größere Gruppe war, entschied ich mich für die
ungefährlichere Variante und fing mit ihm ein Gespräch an. Ich setzte mich zu ihm und
erklärte ihm um was es ging. Er war offen und bereit sich aufnehmen zu lassen, was ich
mit meinem Handy dann auch tat…
Nicht alle Worte waren verständlich und übersetzbar, da er eine Mischung aus breitem
hohenlohisch (meiner Muttersprache, nur etwas extremer…) und schwäbisch redete.
Manches habe ich dann einfach weggelassen. Das Gespräch dauerte etwas mehr als 30
min und fand am 15. Mai 2008 in der Heilbronner Fußgängerzone zwischen 13.45 und
14.30 Uhr statt.
Uwe: Ich bin jetzt 45, lebe seit über 22 Jahren auf der Straße, vorher hab ich gelernt
Schreiner. Dann ist mein Chef damals gestorben und dann ist der Betrieb auch Bankrott
gegangen. Da hatte ich noch eine Wohnung gehabt, hab die Miete aber nicht mehr
bezahlen können und dadurch bin ich dann auf die Straße gekommen. Seither lebe ich
auf der Straße und wandere halt von einer Stadt zur anderen.
Simon: Dann bist Du schon in mehreren Städten jetzt unterwegs gewesen?
Uwe: Ja.
Simon: Und wo überall schon?
Uwe: Oh, je. Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, England, Schweden,
Norwegen, Dänemark, Holland...
Simon: Also, bist Du schon viel in der Weltgeschichte herumgekommen.
Wie schätzt Du das so ein, also wie bist Du dazu gekommen, dass Du jetzt auf der
Straße lebst?
Uwe: Ist halt schnell passiert: Kein Job mehr gekriegt, dann die Wohnung verloren und
dann bin ich auf der Straße gelandet. Und seither habe ich es auch nicht mehr geschafft
hoch zu kommen.
Simon: Und Familie, die Dich irgendwie aufgefangen hätte oder unterstützt hätte, hast
Du gar nicht?
Uwe: Nein.
Simon: Keine Geschwister?
Uwe: Nein, ich bin ein Heimkind.
Simon: Das ist ja ein hartes Leben.
Uwe: Ja, das ist nicht schön.
Simon: Wie erlebst du die Reaktion von den Menschen hier? Sind sie eher freundlich,
oder?
1
Uwe: Ja, es gibt freundliche, es gibt aber auch unfreundliche. Manche sagen auch zu
mir: „Geh doch schaffen, dann hast Geld!“ Dann sag ich: „Hey, gib mir eine Arbeit, gib
mir eine Wohnung, dann kann ich auch schaffen gehen.“
Simon: Was denkst Du, was war so das Schlüsselereignis, das dazu geführt hat, dass Du
auf die Straße gekommen bist? Oder gab es da irgendwelche besondere Erlebnisse, wo
einfach alles dann vorbei war?
Uwe: Ich hatte ja gesagt: Wohnung verloren, Job war weg und dann ist es halt gleich
passiert.
Simon: Ja, klar, wenn man dann keine family hat und auch keine Freunde... Freunde hast
Du auch, so Bekannte oder?
Uwe: Ja, von der Straße noch mehr jetzt.
Simon: Und an die kannst Du Dich halten? Die helfen Dir dann auch wenn es
Schwierigkeiten gibt oder so?
Uwe: Ja, freilich. Wir helfen uns gegenseitig.
Simon: Schön. Wow... Wie sieht so dein Alltag aus, also was machst Du so den ganzen
Tag?
Uwe: Ein bisschen sitze ich mal und geh betteln, dann ein bisschen in der Stadt
herumlaufen, ein bisschen was trinken, aber möglichst nicht so viel Alkohol. Dann
danach schauen, dass ich mal was zu essen kauf. Ja, aber sonst ist alles in Ordnung.
Simon: Dann hast Du Dich damit abgefunden, im Grund genommen, schon ein bisschen
oder?
Uwe: Ja, nach 22 Jahren schon.
Simon: Stimmt. Da verliert man irgendwie auch die Hoffnung, dass es besser wird oder
dass sich was verändert. Hm...
Uwe: Ja, es wird immer schlimmer. Wenn ich jetzt schon sehe in manchen Städten, wie
viele Jugendliche schon auf der Straße sind, kann ich das nicht verstehen. 14-jährige,
13-jährige, 12-jährige.
Simon: Ja, du warst ja schon Mitte 20 dann, als Du auf die Straße gekommen bist, ne?
Uwe: Ja. Und die meisten von den Jugendlichen, die gehen her und, ich sag immer: sie
schaffen an. Die verkaufen sogar ihren eigenen Körper.
Simon: Ja. Und versaufen ihr Geld, das sie kriegen... Das ist schon eine Misere, also das
ist schon übel.
Uwe: Da tun mir die Kinder, also meist Jugendliche, oft Leid und dann noch ihre sch…
Drogen dazu ...
Simon: Ja... Was hättest Du gern gemacht, wenn Du ein anderes Leben hättest? Was sind
so deine Vorstellungen oder deine Träume gewesen?
Uwe: Ich hätte mal eine Familie vielleicht gegründet, Kinder hätte ich dann gehabt...
Simon: Aber hast dann nie jemand kennen gelernt, eine Frau, bei der Du gedacht hast...
Uwe: Doch, ich habe Frauen kennen gelernt, aber die sind selber auf der Straße
gewesen. Für eine Frau ist es noch schlimmer auf der Straße.
Simon: Ja. Und dann warst Du auch in großen Städten wie Berlin und so oder?
Uwe: Ha, ja.
Simon: Ist es da leichter, so allgemein, sein Geld zu verdienen oder irgendwie zu was zu
kommen?
Uwe: Das kommt drauf an. Es gibt Stellen, wo Du aufpassen musst und dann gibt es
Stellen, da gehts. Von drüben zu, da gehts schon ein bisschen her. In der ehemaligen
DDR - da musst arg aufpassen.
2
Simon: Da ist es dann auch gefährlich.
Uwe: Ja, ja... da sind auch viele oder vielmehr von den Neonazis und so - die haben es
auch auf uns abgesehen.
Simon: Hast Du da schon einmal Begegnungen gehabt, wo Du in Schlägereien
gekommen bist - bestimmt auch, ne?
Uwe: Ja, ja.
Simon: Oh, oh. Und wie kommt so etwas zustande. Für uns ist das ja schwierig zu
verstehen ... Wenn man nicht auf der Straße lebt und das nicht so kennt...
Uwe: Das ist ganz einfach. Du lebst auf der Straße, sie sehen Dich, Du hast keinen
Lebenswert für die. Die gehen dann auf Dich los und schlagen Dich halber tot oder sie
schlagen Dich tot.
Simon: Oh, Mann... Hast Du da auch schon Freunde verloren, die Du gehabt hast oder?
Uwe: Ja, sehr viele schon. Erst gestern habe ich wieder erfahren, von einem Kollege,
den ich getroffen habe hier, dass wieder zwei Kumpels, zwei Freunde von mir gestorben
sind. Das tut immer weh, wenn man jemand verliert.
Simon: Wie gehst Du damit um?
Uwe: Wie sollst Du damit umgehen? Ist unschön.
Simon: Du akzeptierst es halt?
Uwe: Ja, ist klar. Das kann auch mir passieren...
Simon: Wenn man dem so nahe ist so, dann ist das schon eine ganz andere Sache, wenn
man dann irgendwie, gut den Tod vor Augen kann man vielleicht nicht ganz sagen, aber
vielleicht doch irgendwo... Hast Du da schon mal drüber nachgedacht, was Gott für
Dich bedeutet?
Uwe: Nein... Nicht wirklich.
Simon: Gar nicht? Was denkst Du über Gott?
Uwe: Ich hoffe, dass er vielleicht einmal die Welt anders macht, besser.
Simon: Also, kannst Du Dir vorstellen, dass es eine neue Welt gibt oder irgendwie.
Uwe: Ja, keine Kriege wenigstens mehr und so...
Simon: Eine christliche Erziehung oder so hast Du wahrscheinlich auch nie gehabt oder?
Uwe: Nein, nein.
Simon: Ich selber bin christlich erzogen worden, da habe ich das schon von klein auf
mitgekriegt und darum auch irgendwann mein Weg zur Bibelschule... Zwischendrin
waren sicherlich auch Zeiten, in denen ich ausgebrochen bin und anderes gemacht
habe... so im Teenageralter... Aber ich habe auch irgendwann gemerkt, wie ich des
selber für mich brauche, ein Halt im Leben und auch irgendwie Orientierung und habe
viele Freunde in der Gemeinde gefunden, bei denen ich gesagt habe: Mit denen kann ich
etwas anfangen.
Ja, das ist irgendwie... Da weiß man nie so richtig wie man damit umgehen soll, auch
mit Menschen wie Dir... Da weiß ich auch nie so richtig... Wie kann man denn helfen?
Uwe: Ich sage mal, hier in Heilbronn. Es hat einmal ein Obdachlosenheim gegeben. Da
hat man dann hingehen können - so drei Tage lang. Das haben sie jetzt einfach
geschlossen. Da kommst Du gar nicht mehr hinein. Da hast Du drinnen kochen können
und so, aber es gibt auch noch Stellen, da kannst Du hin, kannst kochen, da kannst
nichts sagen...
Simon: Gibt es Dinge, die Dir viel Freude machen, bei denen Du sagst: „Das gefällt mir
jetzt richtig gut am Tag! Das ist etwas Schönes?“
3
Uwe: Ja, es gibt viele Sachen. Wenn ich Freunde wieder treffe und so, mit denen von
früher noch ein bisschen rede, wie es mir geht und so. Wenn man sich wieder trifft - das
ist schön. Das ihnen noch gut geht.
Simon: Da ist man dann auch froh, ne? Wenn man auch weiß, dass manche auch weg
sind und nicht mehr leben... Wie viel Geld nimmst Du so ein Tag für Tag?
Uwe: Das ist verschieden. Manchmal mache ich so... Also, wenn ich so zehn, zwölf
Euro habe, höre ich sowieso immer auf. Das reicht mir. Das reicht mir um etwas zu
essen zu kaufen und alles... Mehr brauche ich nicht.
Simon: Und dann hast Du mit dem Alkohol auch keine Probleme oder so?
Uwe: Nein. Klar, ich trinke ab und zu schon mal ein Bier, aber jetzt nicht so krass wie
manche.
Simon: Da kennst Du sicherlich auch Freunde von Dir, die da Schwierigkeiten haben?
Uwe: Schwierigkeiten? Da kenn ich viele. Die stehen schon morgens mit dem Schnaps
auf und gehen abends mit dem Schnaps ins Bett.
Simon: Ja, es ist ja oft das Vorurteil, dass man sagt, man gibt lieber kein Geld. Nachher
versäuft er es ja eh.
Uwe: Ja. Es sind auch schon Leute hergekommen, die mich gefragt haben: „Wollen Sie
was essen, Geld kriegen sie keines.“ Dann sag ich: „Ich nehme alles an, was ich kriege.“
Ich nehme auch Essen - das ist kein Problem!
Simon: Ja, mir ging es auch schon einmal so. Da habe ich jemand etwas zu essen
angeboten, aber dann hat er gesagt: Nein, er will nur Geld. Dann habe ich gesagt: „Na
gut, dann...“ Dann weiß ich wie der Hase läuft... Dann ist klar,...
Uwe: ... dass er Stoff will, den Alk.
Simon: Ja, und ich glaube damit ist dann nicht geholfen,... Also, ja, man kann
unterschiedlicher Meinung sein. Man könnte auch sagen, man hilft irgendwie doch,
aber...
Uwe: Ja, ja. Aber selbst da würde ich sagen: „Nein. Damit wird Dir nicht geholfen.“
Simon: Ja,... Was denkst Du? Wie kann man euch etwas Gutes tun? Wie kann man, auch
langfristig gesehen, euch helfen. Gibt es da irgendwelche Möglichkeiten, bei denen Du
sagst: Das wär was. Also, wenn ich jetzt z. B. Jugendpastor wäre oder Pastor in einer
Gemeinde und würde in einer Stadt leben... Was könnte ich tun, damit wir euch helfen?
Uwe: Das ist verschieden. Die meisten wollen ja gar nicht mehr weg von der Straße.
Die sind schon zu lange drauf. Ich bin noch ein bisschen skeptisch, ich sag hin und
wieder immer noch: Hey, ich guck trotzdem noch nach einem Zimmer oder so. Finden
tu ich es zwar, oder kriegen tu ich es nicht, weil ich obdachlos bin, aber suchen tu ich es
trotzdem. Es kann ja auch mal sein, dass einer sagt: „Ja, ok. Du kriegst es.“ Dann habe
ich halt eine Herumrennerei mit der Behörde. Aber das ist auch nicht so schlimm. Das
kriegen wir auch noch hin.
Simon: Dann muss man offiziell obdachlos gemeldet sein oder? Und gibt es da
Unterstützung irgendwie staatlicherseits?
Uwe: Ja, ja. Da kann man Tagessätze abholen. Bloß jede Stadt ist wieder anders, wie
viel Du dann kriegst.
Simon: Ah ja. Das heißt immer wenn Du in eine andere Stadt gehst, dann musst Du
wieder neu beantragen?
Uwe: Nein, nein. Da gehst Du hin und das ist eine Auszahlungsstelle und dann gehst Du
hin und musst einen Ausweis abgeben. Und dann dauert es eine Weile und dann kriegst
Du von denen Geld, aber es ist immer unterschiedlich, wie viel Geld Du kriegst. Hier in
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Heilbronn kriegst Du jetzt 11,50, das weiß ich. In Ludwigsburg kriegst Du bloß wieder
9,50.
Simon: Pro Tag? Das ist aber nicht viel Geld. Verrückt... Wie teilst Du Dir Dein Geld
ein, das Du hast? Also, was geht da „drauf“ für das Geld? Essen, Trinken, was man so
braucht oder?
Uwe: Ja, Essen, Trinken... Ja, und dann gibt es noch eine Kleiderkammer hier in
Heilbronn oder auch in jeder Großstadt. Da kann man dann auch duschen, kann man
sich andere Klamotten wieder holen. Dann gibt es noch Anlaufstellen, da kann man sich
seine Wäsche waschen lassen, dann gibt’s Anlaufstellen, da kannst Du essen, also
schlecht geht’s nicht. Es ist schon viel gemacht worden gegenüber früher.
Simon: Also Du hast das Gefühl, dass eher mehr gemacht wird, dafür dass euch
Menschen geholfen wird und dass ihr auch irgendwo vielleicht wieder Boden unter die
Füße kriegt oder so?
Uwe: Ja, es passiert wenigstens was. Uns gefällt das auch, wenn mal wieder jemand da
ist und uns hilft. Da gibt es auch Anlaufstellen für uns wie Suchtberatungen,
Schuldenberatungen, arztmäßig und so. Das gibt es alles für uns. Wo auch die Ärzte das
ehrenamtlich sogar machen - für uns. Da muss ich echt sagen: Hochachtung vor solchen
Leuten!
Simon: Das ist gut, ja. Wie erlebst Du das mit christlichen Gemeinden oder so. Gibt es
da auch Aktionen, zu denen Du schon einmal von jemand eingeladen worden bist oder
wo jemand mit Dir geredet hat, so wie ich gerade?
Uwe: Ja, ja. Ist auch schon passiert.
Simon: Wie reagierst Du da drauf? Ist es eher lästig für Dich oder freust Du Dich
einfach mit jemand zu reden?
Uwe: Ach, mir macht das nichts aus. Ich bin hin und wieder froh, wenn ich mal mit
jemand anders reden kann. Wenn Du nicht immer nur das hörst, von der Straße und wie
es geht, was da los war und was da wieder sch... war und so. Wenn Du mal wieder was
anderes hörst, ist es auch mal schön.
Simon: Aber dann fragst Du Dich bestimmt auch, warum es Dir so geht oder warum Du
da sitzt.
Uwe: Was willst Du machen? Zum Beispiel hole ich meistens die Anlaufstelle, wo es
Geld gibt, die hole ich gar nicht ab. Will ich auch manchmal gar nicht. Ich sitze lieber
eine Weile hin - das macht auch Spaß. Ja, manchmal kommen sogar ältere Leute her und
schwätzen mit mir und so und andere Leute, die kommen her und schwätzen mit mir:
Oh, wie geht’s Ihnen, soll man ihnen bisschen helfen? Dann sag ich: „Ja, gute Frau, wie
wollen Sie mir helfen?“ Dann sagt sie: „Ja, kann ich etwas für Sie tun?“ Dann sag ich:
„Ja, was wollen Sie denn für mich tun?“ „Ja haben sie Hunger, soll ich ihnen etwas zu
essen bringen?“ Dann sag ich: „Ja, wenn sie Lust haben, zu jederzeit. Ich nehme alles
an!“ Ich habe auch schon Klamotten geschenkt gekriegt, also Kleider und alles. Das
waren dann soviel, dann habe ich es wieder hergeschenkt - an andere Kollegen
verschenkt.
Simon: Also, da hilft man sich dann gegenseitig? So ein bisschen ein Geben und
Nehmen oder? Ah, das ist schön. Eine schöne Gemeinschaft dann.
Uwe: Ich habe auch schon so viel Essen gehabt, das habe ich gar nicht essen können.
Dann hab ich gesagt: „Komm, hast Du Hunger?“ Sagt er: „Ja, klar, ein bisschen,
warum?“ Sag ich: „Komm, such Dir was raus. Guck mal, was ich geschenkt kriegt hab,
ich weiß gar nicht wo hin damit.“ Sagt er: „Ähm, danke, danke! Willst was trinken von
mir oder ...“ Dann hab ich gesagt: „Nein, wir haben genug. Mir ist es nur lieber, ich
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gebe es jemanden, bevor ich es fort schmeiße.“ Ha, ist doch so! Andere haben auch
Hunger!
Simon: Ja, klar. Wie ging es Dir so in deinem Leben als Heimkind? War das eine
schwierige Zeit?
Uwe: Ja, stellenweise ja und stellenweise nein.
Simon: Wie ist da dann so der Ablauf gewesen?
Uwe: Na ja, ist gegangen. Ein bisschen streng war es dort, aber ist gegangen.
Simon: Und wie viele wart ihr insgesamt da?
Uwe: Wir waren,... es waren mehrere Häuser, in einem Haus waren zwanzig Leute. Da
ist hin und wieder was los gewesen.
Simon: Dann habt ihr auch ein sehr straffen Tagesablauf gehabt oder? Wie sah der so
aus? Also, was habt ihr den ganzen Tag so gemacht?
Uwe: Nach der Schule haben wir Mittagessen gehabt, da haben wir schon den Tisch
decken müssen und solche Sachen, also so im Haushalt helfen und alles Mögliche. Das
war schon hart. Da haben wir dann hin und wieder ein bisschen Taschengeld kriegt... Ja,
das war schon hart. Dann hat man einmal Ausgangssperre bei denen gehabt und lauter
so Zeugs... Fernsehverbot, Fernseh gucken? Vielleicht zweimal in der Woche und vor
grad auch nur das, was sie gesagt haben, was Du angucken darfst.
Simon: Dann hast Du Dich mit deinen Kollegen, Schüler dort, gut verstanden oder gab’s
dort auch Streitereien, wie natürlich in jedem größeren Haus...?
Uwe: Das war so. Es gab auch mal ein bisschen Streitereien da, aber so im Großen und
Ganzen war es in Ordnung.
Simon: Denkst Du, dass die Zeit im Heim dann eher sehr prägend war für Dich, also für
Dein Leben?
Uwe: Könnt schon möglich sein. War schon ein bisschen hart. Und das hier, das ist auch
noch hart. Am schlimmsten ist es, wenn Polizei nachts kommt, wenn Du schläfst. Die
wecken Dich.
Simon: Und wo schläfst Du dann hier?
Uwe: Unter einer Brücke oder sonst wo...
Simon: Im Bahnhof wahrscheinlich oder so, wo es halt Möglichkeiten hat. Oder ist es
eher schwieriger? An öffentlichen Plätzen ist es vielleicht eher schwieriger oder?
Uwe: Ach, es geht. Es kommt drauf an. Wenn man zu dritt oder zu viert ist, geht es. Da
passt dann der eine auf den anderen auf. Wenn aber allein bist, ist es immer sch... Es ist
fast das Beste, wenns mehre Leute sind. An öffentlichen Plätzen übernachten, in Parks
und so, wenn dann vier, fünf Leute zusammenkommen, die sich auch gut verstehen,
dann ist es besser.
Simon: Dann ist es auch nicht so trostlos wahrscheinlich?
Uwe: Das zum einen und alleine, wenn dann jemand kommen würde und Krach
anfangen will, dann sind wir mehrere.
Simon: Dann kam man sich auch besser wehren.
Uwe: Die meisten kommen ja nie allein.
Simon: Ja, klar, meistens sind es größere Gruppen...
Uwe: Die rücken dann mit über acht Mann an, da ist halt manchmal so ein Sch... dabei.
Simon: Ja. Was hast Du so für ein Gefühl, wer Dir am meisten hilft so von den
Menschen, die Du triffst? Sind es mehr junge Leute oder mehr ältere?
Uwe: Verschiedene eigentlich. Durchgehend eigentlich, ältere und jüngere. Ich bin auch
hier schon gesessen und dann ist ein kleines Kind vorbei kommen und hat angehalten
und hat mit mir geschwätzt. Ihre Mutter hat sie gesucht. Dann bin ich dagestanden und
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habe mich mit dem Kind unterhalten. Die Leute haben mich anguckt und haben gefragt:
„Gehört das Ihnen?“ Dann sag ich: „Ich weiß gar nicht, wo das herkommt, wo das
hingehört.... Das ist einfach hergekommen und fängt mit mir an zu schwätzen.“
Simon: Wie lange sitzt Du an so Plätzen ungefähr?
Uwe: Das ist verschieden. Manchmal eine Stunde, manchmal zwei Stunden. Kommt
ganz darauf an, wie Du auch Lust dazu hast.
Simon: Wie suchst Du die raus? Einfach da, wo viele Menschen sind oder?
Uwe: Das merkst Du mit der Zeit. Es gibt auch hier Plätze, da darfst Du gar nicht mehr
hin sitzen. Da haben die Leute was dagegen und dann gibts Plätze, da sagen sie gar
nichts, solange die Leute nicht anmachst. Dann sag ich: „Ich mache ja nichts!“ Sind
auch schon Polizisten gekommen und haben gesagt, ich solle die Leute nicht blöd
anmachen. Dann hab ich ihnen gesagt: „Hey, da grad eben ist die Frau vorbei und hat
was reingeschmissen und ich habe bloß herzlichen Dank gesagt „ ... und einen schönen
Tag noch“, das ist ja nicht blöd angemacht oder?“ Dann sagt er: „Nein.“ Da habe ich
gesagt: „Ja und was soll das dann?“
Simon: Also, erlebst Du auch, dass Du irgendwie dumm angemacht wirst oder
diskriminiert wirst, auch gerade von öffentlich-staatlicher Seite?
Uwe: Ja, manchmal ja, manchmal nicht. Da gibt es halt auch solche und solche drunter.
Simon: Na klar, wie meistens halt... wenn es um irgendwelche Menschen geht.
Uwe: Sind viele aber auch dabei, also hier in Heilbronn kenne ich ein paar schon, die
mich schon ein paar Tage gesehen haben, also von denen ich auch ein bisschen was
mitkriege, die sind voll locker drauf, die meisten hier. Die sind froh, wenn sie ihre Ruhe
haben.
Simon: Du hast vorhin gesagt mit der Ausbildung als Schreiner - kam das dann nach
dem Heim, oder? Wie seid ihr da vermittelt worden?
Uwe: Das hab ich mir selber gesucht.
Simon: Ah ja, hast Du dir dann selber gesucht dann. Und das hat ja dann aufgehört, als
der Chef dann gestorben ist?
Uwe: Als der Chef gestorben ist, der Junior hat nicht mehr weitergemacht
Simon: Und dann gings Bankrott, die Schreinerei oder?
Uwe: Hat sie einfach zugemacht und einfach abgeschlossen. Zugelassen und fertig und
alle gekündigt. Das war damals eine kleine Schreinerei, drei Mann waren es bloß, aber
es hat Spaß gemacht dort.
Simon: Was hast Du für einen Schulabschluss?
Uwe: Hauptschule.
Simon: Hauptschule also. Ja, das ist dann schwierig. Da findest natürlich nicht mehr
viel. Das ist schwer.
Uwe: Ja, sagen wir mal so: Das, was ich bis jetzt alles mitgemacht habe und erlebt habe
noch so nebenher, wenn ich ab und zu noch ein bisschen was gefunden habe zum
Schaffen oder so, das gehört bei uns dazu zur Straße und so. Die holen dich dann für
einen Tag geschwind. Da kann man dann auch nichts sagen. Ja, da habe ich schon
einiges gemacht.
Simon: Also, Du hast dann auch Zeiten gehabt, in denen Du auch mal länger was
gearbeitet hast wieder zwischendrin, ein bisschen Geld verdienst hast? Waren das dann
so Gelegenheitjobs oder? Was muss man da so machen, meistens?
Uwe: Oh, Verschiedenes. Beim Zirkus habe ich mal eine Weile geschafft. Weiß auch
nicht, war auch nicht schlecht, aber hart - Knochenarbeit. Bockelhart.
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Simon: Meinst Du, es ist dann besser, wenn man dann lieber was zu arbeiten hat, als
wenn man hier auf der Straße sitzt und so?
Uwe: Zum einen, ja. Ich meine, es kommt halt darauf an, auf die Arbeitsstelle, bei wem
Du hinkommst. Das habe ich nämlich auch erlebt.
Simon: Da war es dann nicht gut oder?
Uwe: Bei manchen war es gut und bei anderen wieder hast Du mehr Schläge gekriegt
wie was zu essen.
Simon: Wie kommt das, dass Menschen so reagieren oder wenn Du irgendwo arbeitest...
Uwe: Keine Ahnung. Das ist wahrscheinlich denen ihr Gesetz. Die haben andere
Gesetze wieder. Da ist der Hund noch mehr wert wie der Mensch, der bei ihnen schafft.
Das kann es ja auch nicht sein.
Simon: Ja. Hast Du Hoffnung wieder zurückzukommen irgendwie?
Uwe: Ich versuche es immer noch. Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben.
Vielleicht schaffe ich es irgendwann noch.
Simon: Das ist beachtlich nach 22 Jahren. Du scheinst ja auch so ein sehr fröhlicher,
offener Mensch zu sein. Wie hast Du Dir das bewahrt, also ich kenne auch Menschen,
mit denen ich geredet habe die sind auch ziemlich fertig.
Uwe: Ich habe es halt so versucht immer weiterzuleben und nüchtern zu bleiben und so
zu bleiben. Manchmal sind auch so ältere Leute, z. B. eine, die kenn ich durch Zufall
und wenn ich dann in die Stadt rein komme, die Frau sieht mich ab und zu und sagt: Ah,
bist Du auch mal wieder da. Dann sag ich: „Ja, Mutti. Ich bin wieder da. Brauchst Du
etwas?“ „Ja, kommst nachher halt mal bei mir vorbei.“ „Dann sag ich: „Ich komm bei
Dir vorbei.“ Dann laufe ich zu ihr hin, ich weiß wo sie wohnt und sag ich ihr: „Mutti,
was brauchst denn? Muss ich einkaufen für Dich?“ „Ha, wenn es geht und das machen
könntest.“ Dann sag ich: „Sag mir, was Du brauchst, ich hol es dir und bring es dir.“ Ha,
ja, was soll's? Ich kenn auch ältere Leute, die einsam sind. Die sind auch froh, wenn sie
sich einmal mit jemand ein bisschen unterhalten können. Des macht es trotzdem noch
ein bisschen schön.
Simon: Ja. Da freust Du Dich dann auch, wenn Du anderen auch helfen kannst...
Uwe: Ja, unter anderem.
Simon: Da sieht man dann auch ein bisschen einen Sinn wenigstens, warum man da ist
und warum man lebt.
Uwe: Zum ersten Mal das und zum zweiten Mal siehst auch die Leute verurteilen Dich
dann auch nicht so arg. Die sehen dann: Hey, Du lebst zwar schlecht, aber Du hilfst
trotzdem noch.
Simon: Wie ist das mit deiner Familie? Hast Du nie irgendwas mitgekriegt von deinen
Eltern oder so, da weißt Du gar nichts?
Uwe: Gar nichts. Ich habe auch keine Lust mehr gehabt hinterher. Sie haben mich
damals weg gegeben und fertig.
Simon: Also, wurdest Du als kleines Kind, im Grund genommen, gleich ins Heim
gebracht?
Uwe: Ja.
Simon: Puh. Wie alt waren die Kinder da im Heim. Ab wann geht das los?
Uwe: Da gab es Kinder drinnen, die waren noch Babys bis hinauf bis zu 18 Jahren. Mit
18 musstest Du halt raus dann.
Simon: Wie alt warst Du als Du ins Heim gekommen bist? Weißt Du das?
Uwe: Weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich noch ein kleines Kind war.
Simon: Also, im Kleinkindalter wahrscheinlich.
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Uwe: Ja, ja. So ein, zwei Jahre alt vielleicht.
Simon: Du weißt also auch gar nicht, wo Du herkommst oder wo Du gewohnt hast
einmal oder irgendwie?
Uwe: Nein. Ich habe auch nicht mehr, oder nicht nachgeforscht.
Simon: Ist das schwierig für Dich, nicht zu wissen woher Du kommst?
Uwe: Ah, nein. Warum auch?
Simon: Hast Dich damit abgefunden, wahrscheinlich?
Uwe: Was willst Du denn machen sonst?
Simon: Ja, klar. Und ändern kannst Du ja eh nichts.
Uwe: Wenn Du vielleicht nachforschen würdest. Es ist zu lange Zeit.
Simon: Ja. Du hast halt auch nicht viele Anhaltspunkte, wahrscheinlich...
Uwe: Ich könnt vielleicht noch was machen über das Jugendamt oder so. Wenn man da
vielleicht dann rauskriegen könnte, aber...
Simon: ... kostet viel Kraft und die kannst Du ja auch anders nutzen...
Uwe: Ja.
Simon: Wo war das Heim, in dem Du warst?
Uwe: Das war in Waldenburg.
Simon: In Waldenburg.
Uwe: Bei Schwäbisch Hall dort.
Simon: Ja, na klar, das kenn ich. Ich komme aus Kupferzell. Das kennst Du auch,
Kupferzell oder?
Uwe: Ha, ja.
Simon: Also ich bin jetzt grad in der Nähe von Pforzheim, Bad Liebenzell heißt das…
Uwe: Ja, Pforzheim kenn ich auch.
Simon: ... und mach dort eben die Ausbildung als Pastor. Bin jetzt im fünften Jahr, also
bin fast fertig und bin ab September dann im Amt oder im Dienst, wie man es auch
nennen mag. Aber ich hab 19 Jahre in Kupferzell gewohnt, bei meinen Eltern, hab zwei
Brüder. Die besuche ich auch heute. Also, ich komme selten heim, weil ich einfach viel
zu tun habe und dann hast auch nicht mehr so den Bezug nach zuhause. Ist auch ob,
aber jetzt komm ich mal wieder ein paar Tage heim, mein Vater und meine Mutter feiern
Geburtstag zusammen und mein Neffe hat auch Geburtstag. So dachte ich, auf dem Weg
fahre ich noch nach Heilbronn, geh ein paar Sachen einkaufen und dann hoffe ich, dass
ich ein paar Leute treffe... Das fand ich jetzt echt gut, dass Du mir da auch
weitergeholfen hast.
Uwe: Ja, freilich, warum auch nicht.
Simon: Ne gute Sache. Gibt es sonst noch irgendwas, das Dir einfällt von deinem
Leben, bei dem Du sagst, dass des wichtig gewesen war oder wenn es da anders
verlaufen wäre, dann...?
Uwe: Ja, dann hätte ich vielleicht eine Familie gegründet und hätte ich wieder einen Job
gehabt und vielleicht eine Wohnung oder sogar ein Haus. Wer weiß...?
Simon: Wollst Du dann weitermachen im Schreinerbereich? Hat Dir das also Spaß
gemacht?
Uwe: Ja. Bei dem Kleinbetrieb war es ja so schön. Da lernst Du auch viel.
Simon: Ja. Da wirst Du dann auch noch als Mensch gesehen und nicht als Angestellter
oder Maschine oder Roboter...
Uwe: Ja, eben. Die in einer Großfirma geschafft haben, die haben nicht so viel gewusst
wie ich schon im ersten Lehrjahr. Da habe ich schon mehr gewusst wie die. Ich hab ja
alles machen müssen. Bin überall mit hinein gekommen. An die Maschinen haben wir
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hin müssen und alles... Da hat keiner gesagt: Du musst des Bier oder des Vesper holen!
So wie es beim Großbetrieb wäre. Da hast Du mit rangehen müssen, hast schaffen
müssen.
Simon: Ja. Und hast Du wieder versucht irgendwie rein zu kommen, in den Beruf?
Uwe: Habe ich versucht... Aber, wenn Du keine Wohnung hast, dann hast Du meistens
auch keine Chance mehr in eine Firma rein zu kommen. Da kriegst Du keine
Lohnsteuerkarte und nichts.
Simon: Ja. Das sehen natürlich auch die Betriebe nicht so gern.
Uwe: Meistens sind es dann vielleicht auch noch Schwarzarbeiter und so Sch...
Simon: Und mit so was willst Du dann nichts zu tun haben oder?
Uwe: Nein. Das gibt bloß Ärger mit der Polizei... Dann muss ich Strafe zahlen und er
muss auch noch Strafe zahlen. Das bringt nichts.
Simon: Gibt es so ein Lebensmotto, das Du hast?
Uwe: Versuchen zu leben und gucken, dass ich vielleicht doch irgendwann von der
Straße wegkomme.
Simon: Ja, das wäre schön. Das wünsche ich Dir, dass Du wieder Boden unter die Füße
kriegst und... Wo geht's jetzt als nächstes hin?
Uwe: Das weiß ich noch nicht.
Simon: Weißt noch nicht. Das ist immer recht spontan oder?
Uwe: Ja. Manchmal trifft man durch Zufall ein paar die fahren die Richtung... Dann
sagst, jetzt warst auch schon lange da, fahren wir mit.
Simon: Ja. Und vom Geld her geht es dann wahrscheinlich auch gut, wenn man sich das
dann teilt ist es nicht mehr so viel.
Uwe: Ha, ja. Wir holen uns dann meistens ein Wochenendticket.
Simon: Klar, damit funktioniert es dann auch.
Uwe: Da können fünf Leute dann mitfahren immer. Das ist billiger, wenn Du allein
durch die Gegend reist.
Simon: Ja, das stimmt. Gab es irgendein eindrückliches Erlebnis jetzt als Du auf der
Straße warst, das Du nie vergessen hast oder irgendwas, das Du immer in Erinnerung
behältst oder so?
Uwe: Das sind viele Sachen gewesen. Neulich habe ich welche gesehen, die haben ein
Hund gesucht und sind zu uns gekommen, wo wir geschlafen haben. Die haben uns
gefragt, ob wir den Hund gesehen hätten, dann haben wir gesagt: "Nein, aber wir
gucken." Dann haben wir überall gesucht und dann sind sie auf einmal gekommen: „Der
Hund ist daheim gelegen, vor der Haustüre.“ Wir haben noch gewusst, wir haben noch
Trinken und Sachen gefunden... Dann haben wir noch andere Leute gehabt, die haben
uns einmal Zelt abends gebracht oder Klamotten gebracht und alles Mögliche ... Das
sind alles Erlebnisse, die Du auch nicht vergisst. Oder sind sie schon gekommen und
haben Essen gebracht und alles mögliche ... Warmes Essen - dort wo wir geschlafen
haben. Oder ist uns Kaffee morgens schon gebracht worden.
Simon: Wow! Gut bis dahin mal. Nehme ich’s jetzt mal auf und dann schau ich mal.
Uwe: Alles klar.
Nach dem Interview habe ich noch eine Weile mit Uwe geredet und mit ihm zusammen
eine Quarktasche gegessen.
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INTERVIEW 11
Gabriel Häcker MS2003
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Interview mit einem Obdachlosen:
Geführt am 29. April 2008 in Stuttgart beim Landespavillion (Im Park neben dem
Hauptbahnhof.) Dauer etwa 48 Minuten.
Der Obdachlose hat zwar inzwischen auch wegen seines Alters von 63 Jahren eine
Sozialwohnung, lebt aber immer noch zeitweilig auf der Straße und lebte über 15 Jahre
komplett auf der Straße.
Vielen Dank an dieser Stelle an meine Frau (die so lange shoppen gehen musste) mein
tolles Handy (mit Aufnahmefunktion) den Obdachlosen (der viel erzählt aber meine
Fragen nicht beantwortet hat), Daniel Keller (für die mentale Unterstützung), der SBahn (für die Bereitstellung eines Transportmittels nach Stuggi), UdoSnack (für das
Mittagessen), meinem Laptop und dem Programm „F4“ (für die Unterstützung beim
Abtippen) und noch vielen anderen, die ich jetzt vergessen hab.
Abschrift des Interviews:
1. Obdl.: Ich hab ne schwere Kindheit gehabt, war lange in nem Heim, der Herr Rick
weiß dass, den Namen kann man ruhig nennen, der ist sehr beliebt. In Möhringen
wie auch in Stuttgart. #00:00:19-4#
2. Interv.: Das ist ihr Betreuer. #00:00:19-4#
3. Obdl.: Wie auch auf der Königstraße. Der hat mal ganz klein angefangen als
Streetworker. Sozialarbeiter auf der Straße. Ich hab auch ne schwere Kindheit
gehabt. Wurde sogar in der Schule rausgezogen vom Jugendamt, dass die Kinder
ganz geschockt waren. Und dann kam ich ins Heim. Dort wurde ich geschlagen grün
und blau. Ich hab nen Stiefvater gehabt, aber nicht mein Stiefvater hat mich
geschlagen sondern meine Mutter. Da war ich dann halt in Mulfingen bei
Künzelsau. Das Heim gibts nimmer, wurde aufgelöst. Dann Konradinhaus in
Schleklingen. Dann in Stuttgart. Jedes Heim kenn ich. Von der Hauptstätter Straße
würd ich auch nicht mehr hingehen. Vom Nordstriet wo früher noch ein
Übernachtungsheim war. Des ist jetzt ein Wohngruppenheim. In Bayern gibts auch
ein. Dann hab ichs später wieder versucht, und ne Lehre hab ich gemacht. In
Rottenburg, die hab ich auch abgeschlossen. Landschafts-Blumen-Gärtner.
Deswegen kenn ich mich auch mit Blumen aus, ich hab daheim sehr viele Blumen
wo ich... von meim großen Gummibaum, der ist zweimeterzwanzig hoch hab ich
Stecklinge gemacht, die Stecklinge sind jetzt schon so groß (Zeigt eine Höhe von
etwa 50cm). Und dann die ganzen Rosen auf dem Balkon.
Wollt ich nur sagen,
dann hab ichs wieder versucht, heim zu gehen, dieses Haus besteht jetzt nimmer, wo
meine Eltern gewohnt haben. Die sind dann gestorben. Erst ist meine Mutter
gestorben, die hat mehrere Operationen gehabt, und dann mein Stiefvater. Meinen
richtigen Vater kenn ich nicht. Und da bin ich nach Stuttgart gekommen.
Aufgewachsen in Albstadt. Auch wenn Stuttgart früher besser war. Kameradschaft
war besser, viel besser und keine Rücksichtslosigkeit wie heute, wenn man da unten
hin geht zu diesen Leuten, wo die grünen Zäune sind (Zeigt auf Jugendliche
Punks??) war nicht gut. Da sind sogar Leute auf dem Boden gelegen von den
Punkern. Ich hab das selber miterlebt, wo es vor kurzem vier Polizeiwägen da unten
standen und 15 Beamte standen da im Halbkreis. Da wurde einer neben mir
festgenommen. Wegen dem Mord, dem Tod von der Erlacher Höhe. Der Rentner
wo sie umgebracht haben, in dem Schwulenmillieu, in dem Zusammenhang. Und
auch der Mord in Heubach ist jetzt aufgeklärt nach siebzehn Jahren. Auch was
ähnliches. Auch hier wurde einer überfallen und über hundert Euro geklaut. War ein
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junger Kerl. Das Opfer war ein junger Kerl. Da sind also ne Gruppe von zwei, drei
junge Leut, Punker oder so was.
In die Szene rein, also Obdachlosigkeit:
War lang in der Hauptstätter Straße, bin ab und zu in meinen Heimatort, Richtung
Aalen, Ostalbkreis. Dann wo meine Eltern noch gelebt haben, hab ich des Zimmer
schön hergerichtet gehabt im Erdgeschoss. Das Haus musste abgerissen werden,
weil das schon seit 1800 war. 1830 und dann sehr baufällig, jaja. Auf jeden Fall ich
war dann aber immer für mich allein, wo ich dann mit dem Schlafsack da oder da
aber hier in der Innenstadt. Da drüben wo die große Versicherung ist, gegenüber die
Rot Kreuz Zentrale,... wenn man da also geschaut hat, das war überdacht, hinter mir
ne Wand, neben mir... privat, aber bei mir hats sauber ausgesehen, ... #00:05:13-8#
4. Interv.: Und da haben sie dann gelebt?? #00:05:11-8#
5. Obdl.: Ja. Und dann bin ich mehrmals im Krankenhaus gewesen, auch von hier in
der Wärmestube in der Neckarstraße. Da wo die Häuser abgerissen worden sind.
Und dann ... Gesundheitsamt... Ich war auf der Schillerhöhe, zweimal, dann
Rückfall gekriegt, nach Löwenstein gekommen, und zum Schluss mit dem
Hubschrauber nach Freiburg gekommen. Wegen LungenTB. Und gleichzeitig
Lungenentzündung und Hepatitis...C.
Normal enden die meistens tödlich,
die C, war halt sechs, sieben Wochen in Quarantäne. Da sind die Leute nur mit
Handschuhen zu mir reingekommen. Und dann war ich da etliche Zeit, und hab
Chemotherapie hinter mir gemacht, bin froh, dass die Haare wieder n bissl
gewachsen sind. Jeden Tag fünfzehn Tabletten nehmen müssen. Des ist jetzt alles
gut gelungen, gut später kam das mit dem Magen. Wo zwei Magengeschwüre
aufgebrochen sind. Das ist jetzt drei Jahre her, aber das ist jetzt auch gut. Dafür habe
ich ein gutes Medikament, das Omep, O-M-E-P, kriegt man nur über Rezept, aber
ich brauch in der Apotheke keinen Pfennig zahlen, weil das ne andere Firma ist. Ne
Kapsel ist das,... nur nehmen wenn man es wirklich braucht. Und nie mit Alkohol...
Ich hab früher viel Alkohol getrunken. Heut trink ich ab und zu, aber daheim in der
Wohnung gar nicht. Weil ich weiß wie das endet. Und ich hab das jetzt gemerkt,
zwei junge Leute, auf der, wovon der eine der Wolfgang Müller ist, den Namen
kann man ruhig veröffentlichen, oder der Alexander Kopf-- Beide, beide haben nur
auf Kosten anderer gelebt. Beide sind fünfunddreißig und wollen nicht arbeiten.
Ähm, haben sie Wohnungen gehabt, und die Wohnungen alle verloren durch
Alkohol. Ich hab jetzt über zwei Jahre nen Wohnberechtigungsschein gehabt, bevor
ich überhaupt die Wohnung da gekriegt hab. Da hat man mich Gesundheitsmäßig
ins Hotel Wangener Post reingebracht. Des ist in Wangen. Die waren sehr zufrieden,
da war ich zwei Jahre. Dann bekam ich den Bescheid von der Heuchstraße, ähm,
Wohnungsamt. Hier mein Ding (Zeigt seine Post von den Ämtern) vom Jobcenter...
das ist in Möhrigen, in Möhringen, Oberdorfplatz. Das sind nur dreihundert Meter
von mir weg. Da hab ich im Juni mein Termin. Auch das hab ich gezahlt (Zeigt
Quellerechnung). Was hier drauf ist... Meine Uhr. Diese Uhr... haben sie den Preis
gelesen (ca. 70,-) so günstig kriegen sie so ne Uhr nicht mehr. Die tut sich
automatisch einstellen und die Batterie, das steht unten auch drauf, hält 10 Jahre.
Meisteranker.... die Firma hats schon hundert Jahre gegeben. ... Naja auf jeden Fall
ähm, ich war hier, da waren noch viele Sträucher hier gestanden, hier wo jetzt Rasen
ist, da war kein Rasen, Sträucher halt. Und hier waren auch Sträucher,.. alles weg. ...
und die Junkies.... #00:09:44-2#
6. Interv.: Und die Junkies sind jetzt weg? #00:09:50-2#
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7. Obdl.: Ähm da drüben haben sich jetzt die Punker niedergelassen. Nur die haben sie
jetzt auch, gell. Der Ordnungsbürgermeister Scheurer, der war ja früher
Polizeipräsident. Also der, der räumt aus. Mich kennen sie schon lang, ich bin am
Anfang viel kontrolliert worden. Aber ich hab jetzt auch meinen Geldbeutel an der
Kette dran. Die kann mir nicht einer wegklauen. Und da sind alle meine Papiere
zusammen. (Zeigt den Geldbeutel) Meine Krankenkasse, bis zum Jahre
Zwölfzwanzig, ähm zweitausendzwölf gültig. Mei Pinnummer Handy. Die Hotline
wo mer anrufen kann. ....
Ja, von den Kindern wird man n bissl blöd auch
angequatscht. Die waren da jetzt am Planetarium. Da wird man halt bloß blöd
angequatscht. #00:10:56-3#
8. Interv.: Was sagen die dann? #00:10:54-5#
9. Obdl.: Alter Opa, ja. Ich bin aber immer noch so fit,.. und heb immer noch meine
siebzig Kilo. Also mein Kühlschrank, mein Kühschrank hab ich selber hochgelupft.
Ich hab nämlich nen speziellen Kühlschrank, der kann Wochen, Monate laufen,
ohne dass ein Tropfen runterkommt. Wissen sie warum? Ökokühlschrank. Des ist
wegen der Rückwand. Und wenn sie zum Beispiel hinten was hinstellen ist das ruck
zuck eingefroren. Ökokühlschrank, sie müssen das nur ... das Eis ist nur so dünn,
und tut sich automatisch wieder verflüchtigen. Da läuft also kein Tropfen Wasser
raus. Und er hat dreimal die A (Umweltkategorie). Energiesparend. Und alle
Lampen die bei mir daheim sind, sind auch energiesparend. Gut, die haben drei vier
Euro gekostet, aber das hat sich rentiert. Eine brennt schon drei, dreieinhalb Jahre
schon.
Und hier... Ich kenn viele vom Sehen, aber ich will nix zu tun
haben. Zu mir kann jeder reinkommen. Des isch, ja mein Hausmeister, das ist n
ganz junger noch, und ... im Haus da gibts keine Kontakte außer dem älteren Mann,
im Erdgeschoss. #00:12:35-9#
10. Interv.: Haben sie andere Freunde, Obdachlose? Sie haben ja von den zweien
berichtet, die sie hintergangen haben. #00:12:39-0#
11. Obld.: Ja, ja, die dürfen nimmer rein. Ich konnt da nicht mal das Silbergeld auf den
Tisch legen, dann haben die das mitgenommen. Und mir den ganzen Wein
weggetrunken, gell. Und das waren fünf Flaschen, in einer Nacht. Da wär ich ja
blau. ...
Gut ich hör gern Musik. Aber ansonsten, .. ab und zu sprech ich
jemanden an hier... die kennen mich vom Sehen. Aber sonst ... sonst bin ich alleine.
#00:13:17-1#
12. Interv.: Und so ihr Tagesablauf: Was machen sie, wenn sie morgens aufstehen?
Wann stehn sie auf? Können sie da noch n bissl was erzählen? #00:13:17-1#
13. Obdl.: Ich bin ein Frühaufsteher. Heut morgen bin ich um viere aufgestanden. Wenn
ich was durchsetzen tu, tu ich des durchsetzen, ... der wird sich wundern. Weil
diesen Namen hab ich auch gleichzeitig der Polizei mitgegeben und seine ganzen
Daten, was er für Augen hat, Farbe, wieviel Kilo er hat, was er für Tätowierungen
hat, wann er geboren ist, wie groß er ist. Sagen die, sie sind doch einer von den
seinen, sag ich nee, ich bin das nicht. Aber ich will dass der Mann da rein kommt, er
weigert sich ne Arbeit anzunehmen. Ich hab ihn acht Wochen durchgehalten, mit
Lebensmittel. Er hat jeden Morgen Bohnenkaffee gekriegt. Mittagessen, und ich
kann gut kochen, ich hab das gelernt von meiner Mutter. Und so Leute kommen
nicht mehr rein, aber ich weiß, da ich den dreizehn Jahre kenn, das Geld geht auch
bei ihm schnell zu Ende, weil er nicht so sparen kann. Ganz einfach, ähm, ihm
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reichen vielleicht die dreihundert, vielleicht ne Woche. Ich hole nur soviel Geld,
was ich brauch für eine Woche. Und ich hab, mein Kühlschrank ist voll genug. Ich
hab Fleisch drinnen, bayrischer Leberkäse, Würste und so weiter, auch Salat. Ich
hab auch jetzt nen Rhabarber gemacht, frischen Rhabarber, das ess ich gern, ist gut
für den Magen. Für Magen und die Darmflora. Ja das hat er auch gegessen, aber so
bald er Geld hat, ist es aus. Und jetzt kommt er nimmer rein, er hat sich selber
verraten. Das heißt, diese Telefonnummer von dieser Frau die unten wohnt. Die ruft
an, du, ähm, die wohnt da direkt im Erdgeschoss. Jeder wo da die Treppe hoch
kommt, außen die kleine, die hat drei Stufen. Die sieht wer da außen an der
Haustüre ist. Ob das vielleicht der Postbote ist oder ich oder sonst jemand. Ich ruf
ihr runter, "du holst dann das Paket weg" von mir. Das heißt, er drückt auf nen
Knopf, die Tür geht auf, er stellts hin, geht wieder, und die Alte kommt hoch und
holt das Paket zu sich raus. Und so hat er das Paket kassiert. Ja. Telefonnummer
steht dann ja... die Tür war ja von außen abgeschlossen, gell... #00:16:22-2#
14. Interv.: Und nochmals zurück: Wenn sie dann aufgestanden sind morgens um vier,
was sind dann so?? #00:16:35-8#
15. Obdl.: Ja ich mach einige Sachen... Gemütlich eine rauchen, .... die Füße und die
Arme streken, nie hetzen. Der andere, der ist ja nie aus dem Bett rausgekommen.
Der braucht ja erst zwei Stunden Anlaufszeit. Der hat trotzdem weitergeschnarcht,
und wie der schnarcht. Dann hab ich erst meine Sachen sauber gemacht, mein
Bett gemacht, mich dann gewaschen, und dann mein Frühstück gemacht. Und so
nach und nach ein paar Schreibarbeiten gemacht. Briefe oder so, ne. Und dann will
ich in Ruhe frühstücken. Meistens, wenn er da war hab ich Kaffee mitgetrunken,
sonst trink ich den nicht. Ich trink meistens den Ceylontee. Und dann tu ich immer
zwei Esslöffel Honig rein. In zwei Jahren war ich nur zweimal beim Arzt. Mein
Arzt der ist auch nur dreihundert Meter, direkt neben dem Jobcenter. In nem
Ärztehaus, das steht auch groß dran. #00:17:53-3#
16. Interv.: Und wie geht ihr Tag dann weiter? ab wann sind sie dann jetzt hier oder so?
#00:17:57-8#
17. Obdl.: Ja, net immer. Heut ja. #00:18:00-7#
18. Interv.: Seit wann sind sie heute hier? #00:18:00-7#
19. Obdl.: So seit halb zehn. Ich fahr mit den Öffentlichen hier runter. Aber sehn sie
hier, das ist meine Kundenkarte, von Quelle, und gleichzeitig auch die
Kontonummer. Und unten die Telefonnummer, die wissen auch sofort... Und Yves
Rocher bin ich Kunde, sehn Sie. Das ist meine Monatskarte (Verbundspass) sehn sie
da ist meine Nummer und meine Rechnungsnummer. Die kriegt man nicht einfach
so. Die kriegt man immer so zwischen Dezember und Neujahr. Meistens vor
Weihnachten. Die gilt dann ein Jahr. Ich muss dann immer nur die neue Karte holen,
und die ist bis zum vierten Juni gültig. Die Neue Karte hab ich schon geholt. Ich hol
die immer Frühzeitig, da kann nie was passieren. Aber der, der fährt ja immer
schwarz. Sehn sie, so hab ich mal ausgesehen. Ich kann bis Untertürkheim fahren.
#00:19:41-4#
20. Interv.: Und was haben sie jetzt heute noch so vor? #00:19:40-8#
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21. Obdl.: Ich hab immer meine Papiere bei mir. Bis dreißigsten November 2010 ist die
auch gültig. Da stehts ja, Möhringen. Und das Leben geht weiter. Der Chef ist ja
jetzt nicht da da oben, weil der hat einige Sachen schon geschrieben. Die
Auszahlungsscheine, weils ja mein Geld ist. (Interv.: woher bekommen sie überall
Geld?) Ja vom Job,... Jobcenter, und dann von der Leopiner Straße. Weil da wenn
das Wetter jetzt wieder mit macht. Das ist Wangener Höhe, so ähnlich wie die
Weinsteige, sehr steil, und der Garten liegt so steil dran, und das mach ich
ehrenamtlich. Was heißt ehrenamtlich, EinEuroJob, gell. Aber ich klau das nicht,
das verdien ich, und ich war sogar bei drei Ärzten, weil das geht nicht so einfach.
Man wird getestet: Hausarzt, Gesundheitsamt, und Rotebühlstraße,
Rentenversicherungsanstalt, staatlicher Art. Wurde sogar Blut abgenommen. Kann
bis zu zwanzig Stunden arbeiten. Ich bin also noch fit. Diesen Monat werde ich 63,
ja, bin aber immer noch fit, bin auch die Strecke schon hoch gelaufen. Gell. In zwei
Stunden war ich oben, und dann hab ich 50 Euro gekriegt. Weil die gesagt haben ich
schaff des net, aber ich wusste wie das geht. Und zwar so wie die Autos fahren. Die
Autos fahren so teilweise neben der Straßenbahn. Die fahrn ja nicht durchs Tunnel,
aber die Straße ist neben dem Tunnel. Das ist ja nur das Eck, wo die Tunnels sind,
die zwei. Nur nachts, da fahr ich nicht gern, da muss man immer auf passen, da
hocken immer zwei vorne am Fahrer. Bei Degerloch das ist hier in der Nähe, da sind
schon viele Überfälle passiert. Gell. Und hier, ich guck grad die Leut an, aber das ist
denen peinlich. Ab und zu kommt einer her, ja ob ich rauch, aber kein Haschisch.
Da gibts schon welche, gell. Weil jetzt, jetzt haben die ja ihr Geld gekriegt, die
meisten, am Monatsende, und morgen dann Vatertag, und da saufen sie dann
sowieso. (Blättert in der Bildzeitung) Es gibt da so n Auto, hier in der Zeitung. ...
Bild abgebildet, ein Auto, so was ham sie noch nicht gesehn. (Findet das Bild nicht
aber einen Artikel über EM-PublicViewing auf dem Schlossplatzt) Also das ist jetzt
der Schlossplatz. Aber die wollen das jetzt stoppen. Leinwand kommt nur beim
Halbfinale oder Endspiel und sonst kein PublicViewing weil zu viel Beschwerden.
#00:23:35-2#
22. Interv.: Wieviele Jahre haben sie denn so auf der Straße gelebt? #00:23:32-7#
23. Obdl.: Ja, so fünfzehn Jahre, so am Stück. Ich hab da vielleicht mal in ner neuen
Arbeit geschafft. So geh ich bei der Evangelischen Gesellschaft (Obdl.-Arbeit) da
drüben in der Büchsenstraße. Dann hab ich am Waldfriedhof geschafft. Im
Pragfriedhof hab ich gschafft. Also ich hab da schon einige Sachen, zwölf Jahre hab
ich eingezalt oder dreizehn. Ja. Hier hab ich n biss Kreuzworträtsel gemacht. Hund
erhängt auf Polizeiwache... (Bildzeitung) Naja auf jeden Fall ist da n Auto
abgebildet vom Vatertag, und das ist ein Auto wo extra hinten noch überdacht ist
wie das Dach von nem Haus. Das ist ne Neuheit, die ist zugelassen. Dieses Auto ist
mit 50 000 verschiedene Bierdeckel beklebt. Verschiedene von ganz Europa, aber
jedes mal ein anderes Bier.
Zum quatschen kriegt man hier eigentlich nix,
aber das will ich ja auch nicht. Ich schau mir gern auch zuhaus was im Fernseh an,
oder morgen, morgen geh ich gar nicht fort. Ich hab was zum grillen, das mach ich
wohl am Wochenende, da soll das Wetter wärmer werden. Heut soll im laufe des
Abends Regen kommen. Ich hab das schon gesehn an den Wolken, das sind
Schäfchenwolken. Wir haben heut nen Föneinfluss, dann gibts heut nacht noch
Regen. Morgen mal Sonne mal Schauer. Ich fahr heut mittag schon wieder zurück
nach Möhringen. Will auch was essen und sehn wie das weiter geht. Der hat sich
auch schon mal gemeldet, ist jetzt im Krankenhaus. Und dann hat er sich an der
Sprechanlage gemeldet, der Typ. Zu dem seh ich das auch im Treppenhaus, wenn er
unten steht, wenn ich raus geh. Die Tür hat er mir damals so demoliert, kam ein
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Gabriel Häcker MS2003
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Maler an, die Tür musste abgeschliffen werden. Die Tür mit der Eisenstange so viel
war die äußere Platte reingeschlagen. Der wollte rein, aber ich hab ja innen noch ein
Sicherheitsschloss wo man ohne Schlüssel zumacht. Das warn dann 800 Euro, Neue
Farbe. SsBG, Stuttgarter Städtebaugesellschaft, die kriegt ihr Geld schon. Und er
muss aufpassen dass er nicht Hausverbot kriegt. Das Leben geht weiter. Ich krieg
noch ein Lpz, das ist ein ärztliches Attest, Mehrbedarfszuschlag, weil ich bestimmte
Sachen nicht essen darf, zum Beispiel Pommes wegen dem Öl. Das Rapsöl darf ich
nicht nehmen. Nur Sonnenblumenöl. Und dann nur Halbfett oder Deli
Reformmagerine. Gell. Viel Obst ess ich und mein Gemüse mach ich mir selber. Ich
kauf das frisch im Bauernmarkt, da weiß ich, das ist von Möhringen angebaut. Und
mein Gewicht hab ich schon 15 Jahre jetzt. Hab mal nur 60 kilo gewogen, jetzt hab
ich 80.
Oder die hier jetzt (Passantin). Wenn ich hier bin seh ich die jedes
Mal. Schon an der Kleidung seh ich das. Wahrscheinlich eine Putzfrau, denn immer
um die Zeit läuft die hier vorbei, weil die hat da Feierabend. #00:30:11-4#
24. Interv.: Sie haben, so nehme ich an, in den 15 Jahren probiert auszusteigen.
#00:30:13-6#
25. Obdl.: Ja ich hab heute noch meinen Athenrucksack, der 70 Liter fasst. Mit so nem
Metallgestell auf dem Balkon. Da sind auch meine Blumen, die sind heut morgen
schon gegossen worden. Düngerlösung, fünf verschiedene Rosensorten, die Queen
of England, tiefrot und wohlriechend. Clematis als Schlingpflanze. (Interv.: Sind sie
dann noch unterwegs mit ihrem Rucksack?) Nee. Ich bin eigentlich schon seit ´69 in
Stuttgart. Und davor war ich zwar unterwegs, bin aber immerwieder nach Stuttgart
gekommen, meistens. Esslingen, Aalen, den Bereich gell. Einmal war ich in Berlin,
ja. Aber hier bin ich gewisser Maßen aufgewachsen und zwar schon mit 25 war ich
hier. #00:32:14-9#
26. Interv.: Wenn sie jetzt hier schon so lange in Stuttgart sind, was sind da die
Einrichtungen gewesen, wo sie regelmäßig hingehen, die ihnen helfen, gibts da?
#00:32:24-5#
27. Obdl.: Das ist eigentlich nur Möhringen. #00:32:29-4#
28. Interv.: So von den Kirchen, Caritative Einrichtungen. Oder so, gibts da nix.
#00:32:36-4#
29. Obdl.: Nein, nein. ... Ich bin schon mal vom Gemeinderat besucht worden. Der hat
Gemeindeglieder gesucht in Möhringen. Die haben bei mir geleutet. Wenns nach
dem Familienbuch geht, hab ich nicht mehr so lang zu leben. Meine Eltern sind
nicht älter als siebzig geworden. Erst meine Mutter, dann mein Vater, das gleiche
wie ich auch mit dem Magen. Und ich bin auch nicht reich. Das wollt ich mal.
Dieser Eck?? Ring der ist reines Sterlingsilber. Das sind ganz kleine Steine und das
ist ein größerer. Das sind Javeljezusteine oder so. Der eine ist von meiner Mutter.
Aber mit diesen da, der Herr Schröder, der ist da auf m Polizeirevier, da unten in
der Klettpassage, gehn sie nicht da hin. Da ist das kein Wunder, die warten nur bis
sie auf die Toilette müssen, dann ist ihr Rucksack weg oder ihr Radio ist weg. Also
es wird gestohlen, das geht nicht mehr. (Interv.: Also die Obdachlosen werden
beklaut.) Nein, das sind keine Obdachlosen, das sind meistens Leute, punkermäßig,
und die gehen da hin wo man was klauen kann. Und nachts machen die das dann
hier. Nur wenn ich nachts hier bin, dann nehm ich mein Baseballschläger mit, den
hab ich schon lang. Der ist noch von meinem Vater, und mein Pfefferspray. (Interv.:
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Gabriel Häcker MS2003
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Sind sie schon mal überfallen worden?) Ja. Wurde mir sogar der Hund geklaut. Der
Hund hat sich losgerissen und wie durch Zufall ist er da rüber in die Hecken, da hat
er sich verkrochen. Komm ich dannach um nach ihm zu sehen, aber ich hab ja den
grauen Star (Zeigt auf Op-Narbe??) Hier bin ich Operiert worden, da wo ich nen
Pflasterstein da oben drauf gekriegt hab. Hochen sie sich doch mal um, wie da
wieder Gewaltdemo gemacht wird, in Berlin. Erster Mai. Da hab ich mir vorher was
durchgelesen. Das Erster Mai und Vatertag auf den gleichen Tag fällt, so lang ich
leb, hats das nicht gegeben. Das gibts erst wieder im Jahr 2160. Genauso wie
Muttertag und Pfingsten. So n Doppelfeiertag, der Staat kriegt da doch auch weniger
Geld, oder? Das ist zum ersten Mal das Ostern so früh ist. #00:36:25-2#
30. Interv.: Haben sie noch Ziele für ihr Leben? Was möchten sie noch erreichen?
#00:36:25-2#
31. Obdl.: Nöö. Ich will nur dass, so lang ich leb, meine Wohnung. Behalten tu ich die
auf jeden Fall. Da hab ich dann noch die Caritas. Die haben dann auch nen
Ersatzschlüssel, wenn mir was passiert. Es hat ja schon einige Anschläge schon
gegeben [Anfälle??]. Und dann hab ich in Wangen, das ist ja nicht nur ein
Gartengrundstück,da ist ja auch ein Wochenendhaus drinnen. In dem
Wochenendhaus, das ist eingerichtet wie eine Wohnung, das heißt da ist ein
Gasherd drin und elektrisch. (Interv.: Und da können sie auch reingehen?) Ja. Das
kann ich jeder Zeit. Das gehört der Caritas. Der Mann ist gestorben durch Krebs.
Also ich könnte jeder Zeit dort wohnen und bräuchte keine Angst haben. Und in ner
halben Stunde bin ich in Wangen unten am Rathaus. Gell. Und da kann ich auch mal
übers Wochenende bleiben, weil da oben, da darf man grillen und auch Feuer
machen, gell. Hier, das haben sie ja gesehen, da war hier alles voll von viele Neger,
Drogensüchtige, vielleicht haben sie es in der Zeitung gelesen. Gerade hier,
Planetarium das Eck, die roten Toilettentüren, das ist der Drogenstrich. Gewesen
und immer noch. Und dann das Lokal da drüben, die alte Münze, da kommt auch
die Kripo nachts rein, weil das Lokal hat bis zwei Uhr auf. Und dieses Tunnel, die
Unterführung, da lauf ich nachts nicht durch. Weil da können sie in die Vierer
einsteigen, die Neuner, die Einser, oder ins Taxi. Die warten nur bis einer raus
kommt, obwohl links und rechts Telefonzellen sind. Nachts ist das zu gefährlich, da
sind alle Katzen grau. Ich will nur so lange ich leb, dass mir nichts passiert, und das
liegt an jedem selber. Ich hab das selber gemeistert, und zwar auch net bloß über die
Caritas sondern über den Jobcenter bzw. das Sozialamt. Es gibt ja den
Bezirksvorsteher, den Herrn Lohrmann, der ist bekannt. Da ist ja jetzt nächsten
Sonntag auch ein verkaufsoffener Sonntag. Autoschau und zweirädrige
Motorräderschau. (??) Da sind auch alle Geschäfte offen. #00:39:22-0#
32. Interv.: Wenn sie jetzt darüber nachdenken, wie ihnen geholfen worden ist. Oder
wie ihnen auch nicht geholfen worden ist. Was könnte man da verbessern?
#00:39:25-4#
33. Obdl.: Da bin ich selber schuld, dass ich den reingelassen hab. (Interv.: Und wenn
sie jetzt länger zurückdenken?) Gar nicht. Das liegt an jedem selber. Mancher kriegt
eine Wohnung angeboten und nimmt sie nicht. Weil wenn sie eine Wohnung haben,
müssen sie Ordnung haben. Entweder Kehrwoche machen, und dann können sie
nicht Remidemmi machen und die Flaschen zum Fenster rausschmeissen wie in
Hallschlag. Hallschlag war früher berüchtigt, mit eigener Jugendgang. So wie jetzt
Möhringen und Fasanenhof, jeder hat jetzt ein Jugendhaus, da wurde viel für die
Jugend gemacht. Da wird hauptsächlich am Bahnhof Möhringen unheimlich viel
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Gabriel Häcker MS2003
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gebaut, links und rechts. ... Hochhäuser, Neoplan die Busfirma und ENBW das neue
Zentrum und viele Wohnungen, rundförmig.... 422 Zimmer Studentenwohnheim.
#00:41:03-1#
34. Interv.: Wenn sie jetzt nochmals zurückdenken an ihr Leben. An welcher Stelle
hätten sie im Nachhinein vielleicht was anderes gemacht? Oder was anders
gemacht? Gabs da Schlüsselsituationen wo sie im Stich gelassen wurden?
#00:41:15-8#
35. Obdl.: Nein. Mir wurde so geholfen. Zu dem wenn einer sich so totsaufen tut, wie
das uns jetzt schon passiert ist, das hätten wir nie geglaubt. Erst nach einer Woche
hat man das. Das riecht man dann ja auch. Der ist gestorben an Leberzirrose. Da
unten auch schon einer. Ich kann doch nicht einfach das Ding [Leben??]
wegschmeissen, und sagen ich besauf mich zu Tode. Ich weiß wie das bei mir war.
Ich kann jeder Zeit. Naja gut mein Zigarettle brauch ich, aber ich kann mich auch
einschränken, dass wenn ich vier, fünf Stunden im Kino wär gar net rauch. Nee.
Und wenn ich hier her komm, ... hab ich mir das selber angewöhnt, dass hier nicht
mehr zum pinkeln muss, so lang ich hier bin. Und das kann von mir bis abends um
fünfe gehn. Weil bevor ich fort geh, mach ich das bei mir [pinkeln]. Ich hab ne
saubere Toilette, n Doppelbad mit Dusche und Badewanne. Und das was ich mir
vorgenommen hab, das halt ich immer ein. Und bevor ich Frühstücke mach ich
immer ein Gebet, zu dem da oben. Ich hab wohl ne Bibel, aber ich sprech mit dem
per Du. Des hat mir immer geholfen. War aber er da, konnt ich ja nicht beten. Das
ist Feind und ich bin der Teufel, sagt er immer. Der Typ sagt immer ich bin der
Teufel. Es sind mir sehr viele Sachen passiert, wenn er da war. Und man muss
einfach Nein sagen können. Ähm, aber ganz Schluss is net. Die Polizei hat ja die
ganzen Angaben, denn so lange ich den kenn, hat der sich noch gar nicht polizeilich
angemeldet. Gell. Aber der ist schon wegen schwerer Körperverletzung im
Gefängnis gewesen, wegen Betrug, auch wo er einem Rentner seine Rente gestohlen
hat im gleichen Haus wo er gewohnt hat. #00:43:51-7#
36. Interv.: Sie haben eben von Kirche oder davon dass sie eine Bibel haben
gesprochen. Wie sind sie da dazu gekommen? #00:43:52-3#
37. Obdl.: Durch meinen Vater. Die Bibel ist 130 Jahre alt. Die hat mein Großvater
schon gehabt. (Interv.: Also nicht durch irgend ne Gemeinde...) Nee. Die ist in
altdeutsch geschrieben, die Schrift können sie nicht lesen aber ich. Altdeutsch eben.
Aber auf bayrisch. Und es gibt die kleinste Bibel. Kleiner als ne
Streichholzschachtel, hat aber auch 1000 Seiten. Die Kleinste. #00:44:31-3#
38. Interv.: Haben sie hier mal Kontakt zu einer Kirche gehabt oder zu einer Gemeinde?
#00:44:34-8#
39. Obdl.: Das ist da oben. Die Martinskirche. Die Martinskirche wurde jetzt ganz neu
gemacht. Allein die Bürger von Möhringen haben neun Millionen gespendet.
(Interv.: Und da gibts Möglichkeiten für Obdachlose?) Nee, nee, nee. Das versuchen
manche, bei denen Geld zu kriegen, aber sonst nichts. Wenn ich wo hin geh, dann
geh ich zum Caritas, Caritas ist auch eine kirchliche Einrichtung. Da fahrn wir dann
auch öfters nach Holland, mit dem Segelschiff. Muss aber alles genehmigt sein und
so weiter. Wir selber zahlen dann nur fünfzig Euro für eine ganze Woche. Da ist
alles dabei, Getränke,... und die haben da in Holland dann auch ein Ausflugslokal,
mit Hotel dabei. #00:45:42-5#
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Gabriel Häcker MS2003
27.05.2008
40. Interv.: Dann bedanke ich mich mal.... #00:45:42-5#
41. Obdl.: Ich hab ja auch schon zu manchen gesagt, die sagen, das ist ja der Baum, der
ist eingegangen, dass der am spätesten ausschlägt. Übrigens, der hat so lange
Stacheln. Und zwar am Stamm unten bis rauf, so lange Stacheln. Der schlägt ganz
spät aus. Aber sehn sie auch, wenn ich an den zehnten April denk, da war hier alles
kahl noch, oder? Am zwanzigsten war noch alles kahl. Die Nachttemperatur spielt
da eine Rolle. Heut morgen hats in Möhringen noch drei Grad gegeben. Und um
zehn warns schon fünfzehn Grad, aber am Wochenende sollens bis vierundzwanzig
Grad werden. Möhringen hat ein schönes Freibad, das erste wo schon offen hat. Das
ist ein Doppelfreibad. Vorne mit Badehose und nebendran so eine grüne Plane
abgedeckt, so Fkk. Das hat schon an Ostern aufgehabt. Weil das ist ein Solarbad,
das hat immer 25 Grad. Und wenn sie durchs Tunell schwimmen, sind sie in der
Halle drin. Da sind Sonnenliegen, zum hinliegen, kann man auch Imbiss machen
oder was trinken. Und da passen 5000 Leute rein. Direkt vor dem Bad hält der Buss.
Bla,Bla,Bla.... #00:47:45-7#
42. Interv.: Gut, vielen Dank sag ich mal und drück jetzt auf Stop, klick, .... ENDE
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INTERVIEW 12
Die Situation
Das Interview fand auf der Königstraße in Stuttgart statt. Herr Z. machte auf mich
einen sehr gepflegten Eindruck. Einfach aber sehr ordentlich gekleidet. Die Haare
frisch geschnitten, gepflegtes äußeres. Auch seine Sachen, waren sauber verpackt in
zwei Taschen (Schlafsack und Reisetasche). Vor sich hatte er ein Schild auf dem er
um Arbeit und eine Wohnung bat, seinen Behindertenausweis und einen Pappbecher
mit ein paar Münzen.
Es viel mir zum Teil sehr schwer Herrn Z. zu verstehen. Beim Abschreiben des Interviews musste ich Stellen teilweise vier oder fünf Mal anhören, bis ich seine Worte
verstehen konnte. Satzbau und Grammatik sind keine Abschreibfehler, sondern OTon des Obdachlosen.
Das Interview
Mein Name ist K. Z., ich bin 4-4-51 geboren. Ähh hab ne Wohnung, Äh Zimmer
gehabt in Freiburg in der Arbeiterwohlfahrt. Ich hab jetzt die Arbeiterwohlfahrt, sowie die Sozialarbeiter äh Altenpflegedienst vor Gericht gezogen. Ähm ich wohne seit
in diesem Haus in Freiburg wohn ich seit 1.4.2005. Und seit Ende Juli, Anfang August 2005 suche ich aus dem Haus herauszukommen. Mein Betreuer ist dagegen,
dass ich da herauskomme. Ich hab mehrfach auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die soll mal das Haus unter die Lupe nehmen was da abläuft.
Ich wohne mit Leute zusammen, wie ein Herr Walter - also ein Nachbar, der alles
was auf der Straße liegt muss gesammelt werden. Ob das Papier ist oder andere Abfälle, alles muss in sein Zimmer rein. Und der Person hat mich auch in Mitte Juli
2005 gesagt als sein Pflegedienst das Ding in den Mund genommen hat.
HaPe: Was hat er in den Mund genommen?
Penis, in den Mundgenommen. Mit solchen Leuten möchte ich nicht leben. Ich hab,
bin aus der Wohnung auszogen und ich hab versucht über das was ich geschrieben
hab (er hat ein Schild vor sich stehen, auf dem er um Arbeit und eine Wohnung bittet), dass ich irgendwie Arbeit kriegen. Und ähm die von Zara (Einkaufladen in der
Königsstraße in Stuttgart) haben mir am Samstag gesagt und heute wieder gesagt, sie
wollen ihren Chef mal fragen ob sie nicht ein klein wenig Arbeit für mich haben.
HaPe: Also hier von dem Geschäft?
Ja, Zara und wie heißt das: Regus (ein weiteres Geschäft, direkt neben Zara). Dann
hätte ich die Möglichkeit Arbeit zu bekommen auf 400 Euro-Basis. Aber ihr Chef
muss auch erst sein OK geben. Es macht mir, es fällt mir nicht leicht so zu sitzen und
um Arbeit betteln muss. Ich bin kein Alkoholiker und ich trinke auch keinen Alkohol. Ich war in meinem ganzen Leben nur zweimal betrunken. Da war ich gerade 18,
19 Jahre war ich da. Ne. Verschiedene Leute geben mir lieber Geld als was auf dem
Schild draufsteht, also sag mal Wohnung oder Arbeit.
HaPe: Wie kam es, dass sie in diese Situation hineingekommen sind?
Ja, ja, ja. Du, du Durch das Haus von der Arbeiterwohlfahrt.
HaPe: Haben sie den mit 18, 19 nach der Schule einen Beruf gelernt
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Ich habe Bäcker gelernt. 2,5 Jahre gelernt und dann musste ich aufhören wegen
Mehlallergie. Dann lief mir das ganze Blut so runter in die Arme und in die Beine.
Konnte ich nicht mehr weiterarbeiten. Ich bin jetzt 90 Prozent behindert (seinen Behindertenausweis hat er ebenfalls offen neben sich auf der Straße liegen). Ich hab
mehrfach Knochenverletzung, ich hab die erste und dritte Lendenwirbel angebrochen. Und ich hab Bruch mit Beckenverschiebung von knapp 1,8.
HaPe: Woher kam das?
Weil ich aus zweiten Stock 92 äh seitlich geflogen bin. Also halb Hinterteil, halb
Rücken bin ich geflogen. Dann bin ich seit dem gehumpelt. Wenn ich zu lange auf
einem Fleck stehen würde, dann kann ich mich nicht mehr richtig bewegen. Dann
geh ich so als ob ich besoffen bin - so geh ich dann. Also ziemlich wacklig auf den
Beinen.
HaPe: Das wurde nicht operiert? Hat das keine Krankenkasse übernommen?
Es sind damals Fehler gemacht worden, weil die Ärzte gesagt haben, das geht wieder
weg. Und dann hat sich das nie wieder erholt, hat sich das. Zurzeit kann ich nur
leichte Arbeit machen, keine körperliche Arbeit mehr. Ich bin immer froh wenn Leute wat Arbeit anbieten ne, da bin ich zufrieden. Und waschen kann ich mich am Olgaeck. Ich weiß nicht ob sie das kennen. Da kann ich Frühstücken für 50 Cent - Tasse Kaffee. Frühtstück auch für 50 Cent. Da kann ich mich - jeden zweiten Tag tu ich
mich duschen. Alle zweiten Tag tu ich mir Sachen wechseln - was ich anhab. Dass
ich nicht so - sag mr mal - rumlauf wie die andern, ne. Sag mr mal wie die anderen
Obdachlosen oder Alkoholiker. Weil ich halt mich, von gewissen Leuten halt ich
mich ja fern. Zurzeit hab ich jemand kennen gelernt. Dem versuch ich jetzt vom Alkohol wegzukommen.
HaPe: OK, dass er vom Alkohol wegkommt.
Ob der das machen tut ist eine andere Frage Er muss jetzt kucken wegen dem ersten
Schritt, ne. Um noch mal zu sagen. Hat alles mit Arbeiterwohlfahrt zu tun, warum
ich jetzt auf der Straße bin. Weil ich weiß nicht wann der Prozess gemacht wird gegen die Leute, ich hoffe nur, dass das bald wird.
HaPe: Das heißt sie haben die Bäckerausbildung gemacht, dann kam die Mehlallergie...
Ja nach zweieinhalb Jahren
HaPe: Nach zweieinhalb Jahren und wie ging es dann weiter?
Dann hab ich andere Arbeit gemacht, dann war ich wieder krank gewesen durch die
ganzen Verletzungen. Da hatte ich den Fuß angebrochen gehabt hier untern. Also
dann kommt das Knie hier noch dran, dann hab ich ne Bauchoperation äh 25 cm
Dickdarmentfernung und das muss noch mal gemacht werden. Hier auf der rechten
Seite noch mal so viel weg, dann hab ich nichts mehr. Und denn ist nur die Frage ob
ich noch mal arbeiten kann. Auch wenn ich 57 bin jetzt seit 4. April. Ne ich hab einen Ausweis hab ich, wenn die Leute mich fragen kann ich den Ausweis vor, kann
ich auch darüber reden warum ich auf der Straße bin. Weil ich hab mal einen BetreuHans-Peter Hertler - INT12 - Seite 2
er gehabt. Weil 2007 hab ich ne Wohnung in Singen gehabt. Als er das erfahren hat,
hat er dem Arbeitsamt angerufen und gesagt, sie sollen die Miete nicht bezahlen von
300 Euro warm. Da sollte ich Anfang Juli wieder eine Wohnung kriegen in Singen
und da ist er hingegangen hat das ganze Geld von meinem Konto heruntergeholt.
HaPe: Ihr Betreuer?
Ja, er ist kein gesetzlicher Betreuer, sondern ich hab den freiwillig. Ich hab den damals freiwillig beantragt. Der kann jetzt immer so viel machen wie der will jetzt mit
mir. Verstehen sie jetzt warum ich auf der Straße bin? Und das macht mir kein Spaß,
so, so, so betteln um Arbeit.
HaPe: Und übernachten...
Das tu ich, wie heißt das noch eben, in der Stadtbücherei.
HaPe: Bei der Stadtbücherei? Da gibt es dann so einen Übernachtungsmöglichkeit?
So wie hier (zeigt auf einen Hauseingang). Aber alles was abgedeckt ist.
HaPe: Ach, so und dann mit dem Schlafsack im Freien?
Ja. Auch im Winter. Mein Schlafsack hält -21 Grad aus.
HaPe: Wenn sie dann einen Ausweis haben. Was für eine Adresse haben sie da dann
angegeben?
Das steht Freiburg drauf. (Er zieht seine Papiere heraus und zeigt mir seinen Personalausweis).
HaPe: Haben sie dort noch eine Wohnung?
Ich bin dort einquartiert worden, nur ich geh dort nicht mehr hin. Weil ich nicht bei
den Schweinen leben möchte.
HaPe: OK, jetzt verstehe ich. Das war diese Wohnung wo diese ganzen komischen
Sachen laufen.
Das war die Wohnung von der Arbeiterwohlfahrt.
HaPe: Da kommen sie ganz schön rum, Singen, Freiburg, Stuttgart.
Stuttgart haben mir schon sehr viele Leute geholfen, aber die trauen mir nicht mehr
Arbeit und Wohnung anzubieten, weil die immer lesen Obdachloser ist ein Alkoholiker. Es gibt Obdachlose die können sich pflegen, die trinken auch keinen Alkohol.
HaPe: Ich hatte auch zuerst gedacht, ihr Erscheinungsbild passt nicht zu dem, was
man als Klischee hat.
Heute Morgen hab ich mir noch die Haare geschnitten noch - kostenlos. Für 50 Cent
können sie ne Tasse Kaffee trinken und kriegen ein Frühstück. Und für 1, 60 Euro
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 3
können sie gutes Mittagessen kriegen, was in den Restaurants für 30 Euro kostet das
kriegen se dann für 1,60 Euro. Zurzeit kann ich sowieso nicht viel essen, weil ich
viel Luft im Bauch hab.
HaPe: Wie läuft das bei ihnen dann mit der Krankenversorgung?
Ich bin doch versichert.
HaPe: Das läuft über das Sozialamt?
Über das Arbeitsamt - Freiburg.
HaPe: Das heißt sie können ganz normal zum Arzt gehen. Aber die 10 Euro Praxisgebühr sind dann schon ein ordentlicher Happen.
Die muss ich selbst bezahlen alle vier Monate, alle drei Monate. Weil ich geh ja selten zum Arzt hin. Ich lass mir ne Spritze geben in die Hüfte, damit die Schmerzen
nachlassen.
HaPe: Aber mit ihrem Darm?
Da ist zu viel Luft drin. Blähungen.
HaPe: Gehen sie da auch zum Arzt?
Ja nur wenn das schlimm wird. Da muss die Seite hier noch mal. 25 cm Dickdarm
weg ne. 2002 haben sie in Ludwigsburg den unteren Teil weggemacht - 25 cm. Und
jetzt muss die Seite hier noch mal. Also die rechte Seite. Wenn ich klein bischen Essen tu - Kartoffeln, Nudeln, ne. Da wird der Bauch, der wird da unheimlich dick
dann. Weil so viel Luft drin ist. Also ich muss ganz wenig essen in letzter Zeit.
HaPe: Sie haben gesagt, sie kümmern sich um diesen einen Mann. Haben sie sonst
irgendwie Freunde?
Ne, ne. Hab ich keine. Nur immer einer da, der sagt, haben sie ein klein bischen
Kleingeld, ich bin Hamburger, ne und den versuch ich von Alkohol wegzukommen
erstma. Ich hab schon versucht so en Schnaps den er immer trinken tut, so ein Jägermeister, hab ich gesagt, wenn du noch mal trinken tust, dann ist unsere Freundschaft
aus. Nich. Du kannst, du kriegst am Tach 30 Euro zusammen von den Leuten, wenn
du jeden Tach für 30 Euro Alkohol trinken tust - dann ist unsere Freundschaft aus
dann ne. Ich hab versucht zu helfen, du kannst deine sechs Bier trinken am Tag, da
sagt kein Mensch etwas, aber lauf nich in der Stadt besoffen rum, dass die Leute das
sehen können. "Ich halt mich daran immer" - du hältst dich überhaupt gar nicht dran
immer. Ein zwei Tage mach ich das noch mit, ne. Und dann muss ich sagen, ne tut
mir leid ich hab versucht dich zu helfen, ne aber du nimmst keinen Rat an, dann
musst du kucken, dass du selbst damit klarkommst.
HaPe: Ist das so ungefähr was sie am Tag bekommen, diese 30 Euro?
Darüber rede ich nicht gerne. Wenn ich so sitze 60 bis 80 bei mir, was die anderen
kriegen das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen was ich kriege. Für das Geld was ich
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 4
bekomme hole ich mir Strümpfe, Hemd, T-Shirt, Hose, ne dann ist das auch wieder
weg.
HaPe: Ausgaben für Essen, Frühstück...
Ich darf nicht viel essen. Frühstück kost nur so, also Kaffe kost 50 Cent und Brot,
Wurst, Butter, Marmelade ist umsonst. Das heißt nur der Kaffee 50 Cent pro Tasse.
Ich bin froh dass es so was gibt. Und Mittagessen von Montag bis Freitag 1,60 Euro.
HaPe: Es gibt ja auch so Häuser wo man übernachten kann, so Wichernhäuser oder
so. Haben sie so etwas schon mal überlegt?
Ne da mach ich ein großen Bogen drum, großen Bogen. Das was in Freiburg passiert
ist, diese Arbeiterwohlfahrt, das passiert mir kein zweites Mal mehr. Ich war in Singen gewesen, in Vöhringen, wollten sie mich - 2000 - wollten sie mich da auch übernachten, ne. Da waren acht Betten drin in kleinen Raum. Da hab ich Sozialarbeiter
gefragt, was kost das im Monat? 1250 DM. Für Betreuung. Da sind acht Betten drin,
das heißt die vom Sozialamt kriegen acht mal 1250 DM. Da können se mal ausrechnen was die Verdienen, die Sozialarbeiter vom Sozialamt. Und wenn die wirklich
was helfen würden, die Obdachlosenheime, ne. Würden nämlich nicht so viele auf
der Straße sein. Aber jetzt können sie sich ungefähr ein Bild machen warum ich auf
der Straße bin, warum ich mit solchen Leuten nichts zu tun haben will. Ob das Arbeiterwohlfahrt ist, oder Caritas oder Heilsarmee oder Übernachtungsheime. Das ist
alles nur was mit Alkohol zu tun hat. Es gibt keine Übernachtungsheime wo keine
nicht Alkohol trinken tut. Ob das Drogen sind oder sonst irgend etwas, ich halt mich
von allem fern. Und ich versuch jemand zu helfen noch, so gut wie ich das kann,
wenn er meinen Rat nicht Annehmen würde und die Finger von Alkohol nicht lassen,
dann muss er kucken, dass er selbst zu recht kommt.
Mehr kann ich auch nicht tun für die Leute, ne, weil ich geb auch keinen Leute Geld
nur für Alkohol, das mach ich auch nicht. Höchstens was zu Essen kann er haben,
aber kein Geld für Alkohol. Wenn die Leute ein, zwei Euro geben, wenn die fünf
oder zehn Euro zusammen haben, dann holen die sich Schnaps, Wodka oder sonst
etwas. Es ist schade um das Geld. Und ich versuch das Geld das ich kriege in Sachen
wie Strümpfe, Hosen, Unterwäsche, Hemden, sowas für kaufen. Ich hab mir Schlafsack gekauft für 120 Euro im Februar und hab mir ne Matte gekauft für 40 Euro, das
ist alles Geld was ich von den Leuten zusammenkriege. Hose, Ersatzschuhe, paar
Hemden hab ich noch drin (zeigt auf seine Tasche) T-shirt. Alles vom Geld von den
Leuten.
HaPe: Das heißt, Sie würden auf jeden Fall gerne wieder zurück in ein normales LEben.
Normales Leben, wo ich meine vier Stunden Arbeit machen kann und nicht überfordert werde. Wenn ich ne Wohnung kriegen würde - bis fünfzig Quadrat darf ich haben, dass das Arbeitsamt mir zahlen würde. Ich brauche mindestens 40 Quadrat
brauch ich durch die ganzen Verletzungen wo ich hab. Weil ich möchte nicht so ne
kleine Wohnung haben, falls ich irgendwie umkippen tu, kann mir nachher keiner
mehr helfen. Der Mittlere Raum muss bei mir frei sein, weil ich auch Bewegung
brauche.
HaPe: Das Arbeitsamt würde ihnen also eine 50 m! Wohnung bezahlen?
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 5
Ja, das kommt darauf an wie hoch die Kaltmiete ist.
HaPe: Gibt es keine Möglichkeiten hier in Stuttgart?
Am 7. April war ich auf dem Sozialamt gewesen dem hat das nicht interessiert, wie
die Leute hier leben. Ich war beim Bürgermeister gewesen hier in Stuttgart - ja wir
machen etwas. Bis heute immer noch nichts gemacht worden. Ich hab dem Bürgermeister gesagt, dass die Obdachlosenheime, dass ich da ausgenutzt werde und trotzdem wird für die Leute nichts gemacht. Trotzdem sitzen Hunderte von Leuten auf
der Straße. Und wenn die was machen würde überhaupt keiner mehr auf der Straße
sitzen. Es geht ihnen nur ums Geld. Arbeitsamt hat in Freiburg immer bezahlt 530
Euro warm. Für was denn? Da geht ein Sozialarbeiter hin, ein Altenpfleger gehn die
hin, holen Schnitzel vier Stück für zwei Euro und verkloppen das für zwei Euro
wieder pro Stück an die alten Leute. Da verdienen die pro Packung 6 Euro dran. Kaffee ein Euro müssen sie bezahlen, Würstchen müssen bezahlen, Kuchen müssen se
bezahlen, da müssen Salat bezahlen. Alles was die zu Hause machen müssen die alten Leute denen wieder bezahlen. Das ist Ausnutzerei. Die tun acht mal im Jahr grillen und ich kann auch weitersagen, dass ein Sozialarbeiter in Freiburg wo ich war
und ne Altenpflegerin nicht mehr als von 365 nicht mehr als 150 Tage arbeitet - Rest
sind sie Urlaub und krank. Das ist Arbeiterwohlfahrt. Da frag ich mir, wo sind die
die ganze Zeit. Ich kann auch nicht zehn Tage krank sein und anschließend zehn Tage Urlaub machen. Das geht von Mai bis in Dezember rein, Jahr für Jahr. Und ich
mach auch ne Wette seit 92 wo das Haus steht, 93, machen die beiden das hin und
her. Erst ich krank, anschließend Urlaub, dann bist du dran. Nicht mehr als 150 Tage.
Ich hab das auch mal bei Gericht gesagt. Gericht hat dann gesagt: Herr Z. wenn wir
das nachweisen können alles, dann wird das Haus geschlossen. Seither hat der Sozialarbeiter und die Altenpflegerin und der Dreisam-Pflegedienst Angst, dass das Haus
geschlossen wird. Jetzt wissen se ungefähr warum ich auf der Straße bin. Jetzt muss
ich abwarten ob Remus oder Zara mir arbeit anbieten können jetzt - das muss ich
jetzt wissen.
HaPe: Aber eben nur leichte Arbeit. Im Lager arbeiten gänge ja nicht.
Ich kann nur so hoch greifen. (hebt beide Arme hoch, den rechten Arm, kann er nur
halb nach oben strecken). Ich kann auch keine Zeitungen austragen, das ist aber eigentlich schlecht weil ich muss ja hin und her laufen. Wenn ich nur zehn Minuten
auf einem Fleck stehe, das geht mir auf die Hüfte, also an der Gürtellinie sind das nur
noch Schmerzen. Da hab ich Angst, dass es zum Bandbruch kommt bei mir. Da muss
ich immer in Bewegung bleiben. Außen ein paar Fenster putzen, fegen oder Papier
aufheben, da bin ich zufrieden mit schon. Ja hab ich einen großen Teil über mich
selbst was gesagt. Aber ich kann noch was sagen, es macht mir keinen Spaß so zu
sitzen um Arbeit und Wohnung zu betteln. Nur ich trau mich nicht mehr äh mir
Wohnung zu suchen gehen ohne dass mein Betreuer. Der hat mir einmal ne Wohnung kaputt gemacht, der hat mir zweimal ne Wohnung kaputt gemacht und das dritte Mal wird er mir nicht kaputt machen.
HaPe: Und ihren Betreuer können sie nicht wechseln.
Er will nicht. Er will das nicht abgeben. Weil sonst hat er weniger. Geht nur um
Geld.
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 6
HaPe: Er bekommt aber vom Staat das Geld?
Natürlich kriegt er Geld. Pro Mann kriegt er Geld. Je mehr Leute er hat umso mehr
Geld bekommt er.
HaPe: Er hat keinen Vorgesetzten zu dem sie gehen könnten.
Ich war beim Gericht, beim Vorgesetzten, beim Sozialamt gewesen. Er lehnt alles ab,
er will mich haben, aber ich will eigene Wohnung haben.
HaPe: Er will dass sie keine eigene Wohnung haben. Eigentlich müsste er dafür sorgen, dass sie eine eigene Wohnung haben, aber er tut alles, damit sie keine bekommen.
Weil ich damals beim Landgericht gewesen bin und hab meinen Betreuer vor Gericht
gezogen und die sollten mal seine Wohnung kontrollieren, weil ich hab ja gesagt, als
er mich mal eingeladen hat zu sich nach Hause zu kommen, da hab ich ja gesehen,
Pfanne, Töpfe, Teller, Besteck, Tassen, ne alles im Becken drinne. Da hab ich zum
Gericht gesagt hat er 14 Tage bestimmt drinne und daraus frisst er noch. Und so was
gibt sich als Betreuer aus. Und jetzt hat er so einen Hass auf mich.
HaPe: Also er konnte in seinem eigenen Haushalt keine Ordnung halten.
Ne er kann das nicht halten, sondern er muss ne Putzfrau haben, das ist mein Betreuer. Und mir will er Vorschrift machen ne, ich bin sauber, ich kann backen, ich kann
kochen, ich hab auch für paar Leute gekocht und er will das nicht haben. Jetzt können sie ungefähr sehen wie ich bin. Ich versuch so gut ich kann offen zu reden und
ehrlich zu sein. Ich schäme mich nicht diese Äußerungen zu sagen. Weil ich werde
auch in Zukunft nicht mehr in diese Häuser reingehen. Ich werde auch nicht mehr
nach Freiburg gehen, ne, ich hab den Schlüssel noch, aber ich geh dort nicht mehr
rein, weil ich nicht unter Schweinen leben möchte. Es geht nur um Geld.
HaPe: Eine andere Frage noch: Wie sieht bei ihnen ein Tagesablauf aus?
Ich sitz den ganzen Tag, da so. Entweder sie geben mir Geld oder sie geben mir Arbeit. Und dann geh ich abends essen was für zehn Euro und ne Schachtel Zigaretten,
dann trink ich Kaffee und dann geh ich um zehn Uhr zur Stadtbücherei und leg mich
da hin. Morgens sechs Uhr steh ich auf und geh zum Olgaeck hin, ich tu mich waschen jeden Tag und all zweiten Tag tu ich dann duschen noch und tu die Sachen
wechseln und trink ne Tasse Kaffe noch kostet 50 Cent, dann geh ich da Mittagessen
kostet 1,60 Euro was in der Stadt so zehn Euro bezahlen tu, krieg ich für 1,60 Euro.
Und von anderen Leuten halte ich mich alle fern. Und Sonntag da zieh ich mich ganz
anders an, dass die Leute sehen was ich bekommen habe an Geld dass ich auch Sachen für gekauft habe. Wie gesagt, wenn mich einer Fragen sollte ich versuch darüber zu reden.
HaPe: Vielen Dank für alle Antworten.
Nachdem ich das Band abgeschaltet hatte, entwickelte sich noch einmal ein Gespräch, bei dem mir klar wurde, dass ich von seiner Biographie noch recht wenig
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 7
verstanden hatte. Auch die Aussagen, die im vorangehenden Text jetzt weitgehend
eindeutig erscheinen waren im Gespräch wesentlich schwerer zu erfassen.
Aus dem nicht aufgezeichneten Gespräch ergab sich folgende Biographie:
1951 geboren
ca. 1966-1968 Ausbildung zum Bäcker - eine Mehlallergie hat dazu geführt, dass er
seinen Beruf aufgeben musste. Es folgten andere Arbeiten und mehrere Verletzungen
1992 Sturz aus dem zweiten Stock in Neustadt,
daher kommen seine Hüft- und Wirbelschäden
Einstufung als Schwerbehinderter (90 Prozent)
1993 Miete konnte nicht mehr bezahlt werden
1996-1998
ABM in Hamburg
2000 Obdachlosenheim in Ludwigsburg, Arbeit in einer Teppichfabrik, konnte sich
einen Urlaub in Thailand leisten.
2002 OP am Bauch
2004 Kellerwohnung in Offringen bei Freiburg
Halbes Jahr in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet, ohne Gehalt zu
bekommen.
2005-2007 Wohnung in Freiburg bei der Arbeiterwohlfahrt
Laut seinem Personalausweis ist Herr Z. immer noch in Freiburg gemeldet, aber will
unter keinen Umständen mehr in dieses Haus zurückkehren.
Als ich ihm als kleines Dankeschön einen Kaffee und eine Brezel brachte und ihm
noch fünf Euro zusteckte nahm er mich mit auf die Seite in einen Hauseingang und
zeigte mir seinen Geldbeute mir den Einnahmen der letzten beiden Tage. Er hatte so
ungefähr 80 Euro in Scheinen in seiner Börse.
Dabei betonte er noch einmal, dass es ihm viel lieber wäre, die Menschen würden
ihm Arbeit geben, anstatt dass sie ihm nur Geld gaben.
Hans-Peter Hertler - INT12 - Seite 8
INTERVIEW 13
Interview-Nachschrift Daniel Keller
Interview am Sa., 18. Mai 2008 im Mautepark in VS-Schwenningen
Vorbemerkungen:
- Der zu Interviewende war nicht bereit einen Namen anzugeben, so dass im
Folgenden der Name nur beim Interviewer verwendet wird.
- Am Ende des Gesprächs ist die Batterie zu Ende gegangen, so dass für den Rest
des Gesprächs nur noch Notizen gemacht werden konnten. Dabei sind meine
Fragen zu kurz gekommen, weil ich mich beim Notieren vor allem den
Antworten gewidmet habe. Deshalb sind am Ende nur noch seine Antworten zu
erkennen. Es ist durch das Ende der Batterie leider auch ein Bruch im Gespräch
entstanden.
- Die Umgangssprache wurde erhalten und nicht geglättet, so dass
grammatikalische Fehler vorhanden sind.
D: OK, also jetzts gehts los. Wie kam es dazu, dass du obdachlos geworden bist vor,
einiger Zeit? Wann war das ungefähr und wie kam es dazu?
Zehn Jahr her, aber obdachlos geworden bin ich eigentlich nie richtig, weil Mutter
Erde ist mein Zuhause und deshalb… Ich hab den Staat beklaut, weil die uns beklaut
haben. Dann hab ich den Staat beklaut und 27 Tresore geknackt vom Vater Staat
aber nur vom Vater Staat, nie Privatpersonen und dann hab ich halt so auf der Straße
gelebt und das viele Geld was da drin war in den Tresoren hab ich ausgegeben für
mein eigenes Vergnügen, um den Staat auszulachen. Es war recht schwierig die
ganze Zeit, aber es hat funktioniert. Und dann bin ich Rocker geworden und hab auf
der Straße gelebt. Und - was soll ich dir verzählen, jetzt?
D: Ja, wenn du soviel Geld hattest, warum hast du dir keine Wohnung genommen,
um irgendwo zu wohnen?
Weil ich nicht wollt. Des wär mit dem einen und anderen hätte nicht zusammen
gepasst. Deshalb bin ich rumgezogen von Stadt zu Stadt und hab den Staat beklaut.
Und dann Knast und dann rausgekommen und dann wieder auf der Straß. Das hat
richtig Spaß gemacht und macht es auch jetzt noch. Und ich weiß nicht wie ich das
erklären soll. Macht echt Spaß so den Staat zu beklauen. Und deshalb red ich auch
nicht mit Polizisten, weil die sind mir zuwider. Weil die tun nur, was für gute Leut,
gut ist für uns nied. Und da hab ich einfach weiter gemacht. Mach ich auch heute
noch.
D: Ja, wie war dann so der typische Tagesablauf? Wenn du umhergezogen bist, was
hast du dann morgens gemacht?
Morgens aufgestanden, erst mal ein Bierchen getrunken, was gegen meine Epilepie
machen und dann weitermachen, Geld besorgen, des war das Wichtigste. Du
brauchst ja was zum Trinken, was zum Essen. Deshalb gehe ich ja auch auf den
Markt zum Betteln und auch sonntags in die Kirche zum Betteln. Könntest du das?
D: Ja das ist jetzt eine andere Frage.
INT13- Seite 1
Interview-Nachschrift Daniel Keller
Ja warum, darf ich ja, oder? Darf dich ja was fragen? Könntest du des machen?
D: Betteln? Dürft ich schon.
Könnteschs?
D: Weiß nicht - ich bin jetzt nicht in der Situation das ich das muss. Ahm - ja, erzähl
einfach noch weiter. Was war der erste Punkt, dass es dazu kam, dass du obdachlos
geworden bist. War das schon in deiner Familie so oder war das dann?
War ich selber.
D: Ja wann war das?
Wollt ich selber. Ich bin einfach gegangen. Weil meine Frau behauptet hat ich hätte
sie verprügelt. Und das stimmt nicht. Weil ich sowas nicht darf, sowas. Ich hab
Konfu gelernt und da musst du deinen Sensei, weißt du was das ist?
D: Selbstbeherrschung, oder?
Sensei ist einer der dich ausbildet.
D: Ach so, Sensei, der Lehrer?
Sensei, genau.
D: Sensei, Lehrer, genau.
Dem musste ich versprechen, dass ich so was niemals gegen Frauen oder Kinder
oder so einsetze. Nur wenn mich jemand angreift, darf ich des. Und ich hab das halt
gemacht. Wenn ich gesehen hab, dass jemand eine Frau prügelt oder so bin ich hin
und hab ihn umprügelt, Richtung Krankenhaus. Und das ist mir insgesamt so 10-mal
passiert. Aber ich hab die Frauen beschützt. (lacht) Das hab ich hingekriegt. Und die
Kinder. Aber, wenn du das so drauf hast, die ganze Zeit so zu leben, dann geht’s mit
dem Ändern nicht so schnell. Das ist dann recht schwierig so. Und wie du das jetzt
formulieren willst oder so, weiß ich nicht, kannst ja selber aufschreiben dann, aber so
einfach ist das gar nicht, sich da durchzuboxen im ganzen Leben. Das ist halt die
Kacke. Wenn du Rückendeckung hast von irgendjemandem, dann funktioniert das.
Bei jemandem, der die Rückendeckung nicht hat, funktioniert halt gar nichts. Und
dann wird’s recht schwierig. Und des isch bei einem Haufen Leut so, die wissen
nicht, wie man das macht. Die haben Null Ahnung. Ich habs mir geholt so, von
meinem Schwager, der ist richtig gut drauf so, der lebt schon seit über 20 Jahren auf
der Straße und der hat mir des dann gezeigt. Den hab ich erst mal suchen müssen, um
ihn zu finden. Und dann hab ich ihn gefunden, ich hab drei Tage bloß gebraucht, um
ihn zu finden und dann hat er mir das verklickert, wie das so funktioniert. Wir haben
dann den Staat abgezockt. Damals konnte man noch von Staat, also von BadenWürttemberg und Baden-Baden und was weiß ich, in die anderen Länder gehen und
da gab es noch keine Computer und so ne Kacke und dann konnste überall
abkassieren, ja das hat richtig gut funktioniert. Und die Tresore so hab ich auch recht
gut aufgekriegt.
INT13- Seite 2
Interview-Nachschrift Daniel Keller
D: Ja, was waren das für Tresore? In Banken oder ne in ?
Nein, des waren immer vom Vater Staat oder so…
D: Was meint Vater Staat? Was meinst du damit?
Vater Staat? Feintechnikschulen, dann Arbeitsamt, wo sie dann die die Kohle
ausgezahlt haben, früher noch bar und so. Da bin ich immer hin und hab mir die
Tresore angeschaut und hab mir die technischen Zeichnungen besorgt, weil das
konnte… Und dann hab ich so 20 Minuten gebraucht, um den Tresor aufzumachen,
hab die aufgemacht und dann von dem Geld recht gut gelebt. Und deshalb bin ich nie
hoim, sondern immer in der Gegend rumgezogen.
D: Und zurückzugehen zu deiner Frau, des war dann nie?
Ne, kann ich nicht. Die hat behauptet ich hätte sie verhauen. Und das war gelogen.
Und willst du sonst noch was wissen?
D: Ja, ja. D.h. du hast nie das Interesse gehabt aus dieser Situation herauszukommen,
d.h. ein normales, d.h. ein Leben, wie es die Mehrheit der Bevölkerung lebt, ein
Leben zu leben? Das Interesse war gar nicht da.
Hab ich gemacht, so dreizehn Jahre so. Und dann wieder raus. Und dann nach zehn
Jahren wieder rein. Und kein Interesse mehr an denen ihre ganzen gschissene
Probleme, die die da haben. Weil Politiker sind die größten Lügner, die es gibt, in
meinen Augen. Ich weiß nicht wie du denkst. Aber für mich sind es die größten
Lügen die es gibt. Die lügen ohne rot zu werden und so und bauen nur Scheiße. Und
wenn ich Kinder sehe, wie da auf dem Spielplatz. Was die Kids alles, wenn sie es
drauf hätten, täten die jeden Politiker eine aufs Maul hauen, hähä (lacht), 100 pro. Da
bin ich mir sicher. Und deshalb hab ich kein Bock mehr da drauf.
D: Was hat man dann sonst den Tag über gemacht, wenn du jetzt da gelebt hast? Du
bist nur umhergezogen? Was macht man dann abends? Was macht man…
Ein Trinken, sich amüsieren und gucken, dass man nicht saudumm angemacht wird
von irgendjemandem so. Des isch eigentlich des Ding. Ich geh immer den Leuten,
die Probleme haben, ich helf Leuten so, die Probleme haben. Aber des sind dann
meine Freunde. Denen helf ich dann. Aber Fremden, die Probleme haben und mit
denen zu mir kommen, dann guck ich sie krumm an und sag: Warum kommst du zu
mir? Du bist doch nicht mein Freund? Warum laberst du mich an mit der ganzen
Kacke und dann dreh ich mich um und geh.
D: Du hast gerade von Freunde gesprochen. Wer sind jetzt deine Freunde? Mit
welchen Leuten hast du zu tun. Welche würdest du als Freunde bezeichnen?
Die, die ein gutes Karma haben. Die, die… Weißt du was ein gutes Karma ist? So …
D: Versuchs mal zu erklären.
Das ist ne Aura um dich rum. So wenn ich jemanden nicht mag, dann red ich gar
nicht mit dem. Dann lass ich es bleiben, weil sonst krieg ich Streit und das mag ich
INT13- Seite 3
Interview-Nachschrift Daniel Keller
ned. Ich hab zu viele Leute ins Krankenhaus geschlagen so. Und des will ich
nimmer.
D: Wie ist es mit anderen Obdachlosen? Gibst da… Wie ist da so die Beziehung?
Recht gut. Die lassen mich in Ruhe und dann lass ich sie in Ruhe. Kennst du keine?
D: Bitte?
Kennst du keine?
D: Ich kenn wenige, nein, ich kenn keine.
Dann bisch ne arme Sau (lacht).
D: Deswegen lern ich jetzt ja dich kennen und lern etwas drüber kennen. Das ist ja
schon mal ein Anfang.
Aber eigentlich ist es stinke einfach so zu überleben, so, wenn man es kann, aber
dazu muss man das Kämpfen gelernt haben. Kannst du kämpfen? Hast du Boxen
gelernt oder sonst irgendwas, um jemanden, der dir blöd kommt eine aufs Maul zu
hauen, oder so? Hast du das gelernt?
D: Ne, des hab ich nicht gelernt. Aber habs bisher auch nicht gebracht. Bisher hab
ich erlebt, dass Gott immer bei mir war und mich gut versorgt hat.
Aber ich, aber ich, aber ich musste das schon mit 14 lernen.
D: Jetzt würde mich noch interessieren, wie jetzt vorher haben deine Kollegen
gemeint, jetzt ist niemand von euch mehr obdachlos. Wie kam es dazu, dass sich das
dann geändert hat? Wie ist es heute und wie kam es dazu?
Durch Denken und Handeln. Selber Fühlen, selber Denken, selber Handeln. Kennst
du das nicht? Das bringe ich jedem Kind bei, wenn ich Babysitter mach oder so. Du
musst niemals irgendwelche Befehle oder so entgegennehmen. So… Ich bin von
einem Nazi erzogen worden, der im zweiten Weltkrieg war, weißt du und der hat zu
mir gesagt: Du musst nur eins merken: Selber fühlen, selber denken und selber
handeln und niemals Befehle oder so ne Kacke entgegen nehmen. Du musst dich
wehren. Und das hat der mir beigebracht so. Und des ging eigentlich recht gut.
D: Ja, wie sieht das konkret aus? Wo wohnst du jetzt heute?
Hier.
D: Also doch, doch obdachlos? Nicht in einem Heim?
Ich hab schon ne Bude, seit zehn Jahren. Nur bin ich da recht selten. Weil ich ne…
einen festen Wohnsitz brauch, um meine Kohle zu kriegen. Verstehst? Sonst gibt’s
kein Geld?
D: Hartz IV, oder?
INT13- Seite 4
Interview-Nachschrift Daniel Keller
Nein.
D: Geld vom Staat?
Ah wa. Nicht mal des (lacht). Ne, das sind … insgesamt hab ich 235 EUR für mich
zum Leben und der Rest geht alles drauf für Bude, Strom, Gas, all den Kack.
D: Und wie oft übernachtest du da im Monat da?
Keine Ahnung. Ich zähl das nicht.
D: D.h. du bist zum einen obdachlos und zum anderen hast du auch einen festen
Wohnsitz. Und wie kam es dazu, dass du dir den zugelegt hast? Nur wegen der
Kohle, oder? Um die dann zu kriegen?
Ja, ich hab das zugelegt, um Kohle zu kriegen vom Vater Staat. Weil ich hab ja was
gschafft früher. Und jetzt will ich meine Kohle dafür. Und das ist schon ein
ziemlicher Teil. Aber - übrig bleiben tun nur 235 EUR. Wie viel hast du?
D: Im Monat zur Verfügung? Ja, ich studier ja noch.
Ja.
D: Ich krieg vom Staat, Bafög halt.
Wie viel ist des?
D: 370 EUR.
Sisch, kriegsch mehr wie ich (lacht).
D: Aber meine Frau verdient noch Geld und dann können wir die Wohnung
bezahlen. Ahm - du hast hast vorher von Freunden gesprochen, die, die die richtige
Aura haben. Gibt es auch sonst hier, wo du öfters bist, Leute, mit denen du
befreundet bist? Bekannte?
Ja, zum Glück. Hast du doch vorher gesehen.
D: Die Leute, wo da hinten sitzen. Und was macht ihr so zusammen? Außer
rumsitzen und?
Die tun was, die arbeiten. Die können das? Ich kann’s nicht. Epilepie, aber happy!
Weisch was Epilepie ist?
D: Epilepsie, oder?
Ja, ich kann nix mehr machen. Ich hab drei Berufe gelernt und kann keinen mehr
machen davon.
INT13- Seite 5
Interview-Nachschrift Daniel Keller
D: Was wären das für Berufe?
Werkzeugmacher, Schweißer und Rollladenmonteur. Rollladen, Jalousien, Markisen,
Fenster, Türen und so ein Scheiß. Die drei Berufe ab ich gelernt. Aber wegen der
Epilepie kann ich nix mehr machen. Ich kann ned mal auf einen Stuhl stehen, ich
kann nicht man in den Himmel gucken. Wenn ich stehen würde, jetzt und in den
Himmel gucken - doing - fall i um. Und deshalb geht des nimmer.
D: Würdest du gerne arbeiten, wenn du es könntest? Also, wenn du die Krankheit
nicht hättest? Würdest du gern arbeiten dann?
Ja, würd ich schon gern. Aber ich hab sogar ein eigenes Geschäft aufgebaut mit
meinem Vater - und des hab ich meinem Bruder geschenkt, weil ich es nicht mehr
machen kann. Würdest du es machen?
D: Arbeiten? Ha ja, ich studier jetzt ja und werd dann…
Was willsch mal werden?
D: Ich werd dann Pastor.
Pastor?
D: Richtig ja, ab September.
Bisch so... Aber scheinheilig bisch ned, hoffentlich.
D: Ne, ich hoff nicht.
** Ab hier nur noch Notizen, keine genaue Aufzeichnung mehr.
D: Ich hab gehört hier gibt es in Schwenningen ein Obdachlosenheim. Kontakt?
Arbeit im Obdachlosenheim, Arbeitszeit dort abgeleistet, nachdem ich geklaut habe.
Ich komme nur mit 10% der Leute dort zu Recht.
Der Rest sind Wixer. Mit denen will ich nichts zu tun haben. Mit denen komm ich
nicht zu Recht.
Die sind außerdem dämlich. Die fangen an zu lügen, wenn sie reden und hören nicht
mehr auf damit.
D: Behörden? Leute die dir halfen?
Die Behörden sind mir Wurst. Die Polizei ist nicht gut.
D: Hilfe von Sozialarbeitern?
Manche helfen, manche nicht. Für manche bist du nur eine Stück „Nummer“.
D: Warum Straße jetzt und nicht mehr zur Frau zurück?
INT13- Seite 6
Interview-Nachschrift Daniel Keller
Geht nicht, weil die Frau behauptet hat, ich hätte sie verhauen.
D: Möglichkeit die alte Sache auszuräumen, versöhnen?
Keine Möglichkeit zum Ausräumen. Ich brauchte 10 Minuten, um sie zu beruhigen,
die war ganz durchgedreht. Dann bin ich gegangen.
Ich habe Mutter Erde als zu Hause. Ich will nicht jedem Mein Leben erzählen.
Betteln in der Kirche. Da kommen ein paar Euros zusammen.
D: Wie viel?
Sag ich nicht, sonst kommt Vater Staat und will Steuern dafür.
Am Markt gibt es umsonst Essen. Da geh ich gleich jetzt hin.
Den Staat geht das Leben einen Scheiß an. Deshalb: Selber Fühlen, Denken, selber
Handeln. Mein Pflegevater war im 2. Weltkrieg. Acht Jahre Gefangenschaft. Von
ihm hab ich gelernt, mir nicht Befehle geben zu lassen.
Ich lasse mich nicht angreifen. Wer es macht, bekommt eine zurück und landet im
Krankenhaus.
INT13- Seite 7
INTERVIEW 14
Interview mit einem Obdachlosen
(von Andreas Ludwig)
Fußgängerzone in Pforzheim. Der Obdachlose sitzt allein in einer Seitenstrasse auf
einer Bank und trinkt Bier.
Er trägt einen langen Vollbart, ein ausgebleichtes kariertes Hemd und eine braune
Hose. Neben ihm steht eine Einkaufstasche mit Rollen und Griff, wie sie oft von
älteren Menschen gebraucht werden. Am Griff ist ein Schlafsack mit Schnüren
befestigt.
Vor ihm liegt ein mittelgroßer, etwas verwahrloster Hund mit einem roten Halstuch
um seinen Hals gebunden.
Andi (A): Hallo! (Setze mich zu ihm auf die Bank)
Obdachloser (O): Tach!
A.: (Nach einer kurzen Weile) Ahh! Wunderschöner Tag heute.
O.: Jo! Kam’ma aushalten. (Packt ein Päckchen Tabak raus und beginnt sich eine
Zigarette zu drehen).
A.: Was rauchst du denn da?
O.: Jawanse! Is aber teuer. Mein Lieblingstabak kauf ich im Penny. Is aber schon seit
Wochen ausverkauft. Wenn die den kriegen is der immer gleich weg.
A.: Kann ich mir auch mal eine drehen?
O.: Klar! (Er reicht mir die geöffnete Tabakpackung).
- Wir rauchen schweigend einen Moment und sehen uns die Fußgänger an –
A.: Bist du schon lange hier in Pforzheim?
O.: Och! Zwei Jahre werden des schon sein?!
A.: Wo warst du denn vorher?
O.: (Atmet tief aus) War vorher lange in Köln. War aber nich so toll. Zuviel Stress
mit den Bullen dort. Is ja alles „schickmicki“ da. Man kann sich gar nich
breitmachen, ohne dass die Bullen sofort kommen und einen vertreiben.
A.: Und da hast du es trotzdem lange ausgehalten?
O.: War ja nich alles Scheiße in Kölle. Hatte’n paar gute Kumpels dort. Aber
irgendwann wird halt auch öd. Dann treibt’s mich woanders hin.
A.: Und hier kommst du gut klar?
O.: Och es geht! Die Leute hier sind nich ganz so spießig wie in Köln.
A.: Wie kommt’s denn überhaupt dazu, dass du auf der Straße lebst?
O.: Ach ja! Is ne lange Geschichte. (Grübelt kurz vor sich hin) Läuft eben nicht
immer alles so rund wie man will. Hab einfach Pech gehabt.
A.: Was is denn passiert?
INT014 - Seite 1
1
O.: (Dreht sich nun bewußt zu mir) Na, du bist mir einer. Was frägst du mich denn so
aus? Willst du was von mir? (Mustert mich)
A.: Wenn du so fragst, dann will ich wirklich was von dir. Ich bin Theologiestudent
und habe die Aufgabe bekommen, dass ich mit einem Menschen von der Strasse
rede.
O.: Wozu soll das gut sein?
A.: Damit wir Theologiestudenten mehr Verständnis bekommen für Leute, denen es
nicht so gut geht.
O.: Theologiestudent? Siehst gar nicht aus wie ein Pfarrer.
A.: Ist es o.k. für dich? Wenn dir das unangenehm ist, dann kann ich auch gehen.
O.: Ne, Ne! Is schon ok! Aber lass mich mich bloß mit Gott und so in Ruhe,
verstanden?
A.: Ich versprech’s dir. Ich bin übrigens der Andi.
A.: Und wie heißt du?
O.: Kannst mich Bruno nennen.
O.: (Holt aus seiner Tasche ein Stück Brot heraus und gibt es dem Hund zu fressen).
A.: Wie heisst denn dein Hund?
O.: Das is „Mäx“ (Streichelt den Hund).
A.: Hast du Mäx schon lange?
O.: So etwa 4 Jahre. Hab ihn damals in Köln-Giesdorf bekommen. Hat vorher einem
Punk gehört. Der war aber’n Junkee und is draufgegangen. Seit dem gehört Mäx mir
(Herzt ihn, klopft dem Hund an die Schulterseite und setzt sich wieder).
A.: Köln ist schon ein rauheres Plaster, oder?!
O.: Das kannst du mir aber glauben. Vor allem die Faschos gehen einem auf’n Sack.
Nen Kumpel von mir haben se damals fast mal umgebracht. Nur, weil er im falschen
Park gepennt hat.
A.: Hast du auch schon mit Nazis Ärger gehabt?
O.: Nee, zum Glück nie so richtig. Aber mit „Tschabbos“ hatt ich schon oft Ärger.
A.: Was sind denn „Tschabbos“?
O.: Na, so Ausländer halt! Türken, Albaner und so, die nich wissen, was sie mit sich
anstellen sollen. Rennen in Gangs haufenweise rum und suchen Leute, die sie
verkloppen können.
A.: Ist schon nicht so leicht, wenn man auf der Strasse wohnt, oder?
O.: Ach, abgesehen von solchen Stressmachern ist es einigermaßen o.k. Vor allem
jetzt im Frühling und Sommer! Wenns Wetter gut is, dann kann man überall pennen.
Aber im Winter is es echt Scheiße! Entweder es schifft oder man friert sich den
Arsch ab. In den beheizten Räumen verscheuchen die einen ja andauernd. Und in der
Unterführung pennen is auch nich der Hit.
INT014 - Seite 2
2
A.: Wie kam es denn dazu, dass du auf der Strasse gelandet bist?
O.: Is einfach Scheiße gelaufen damals. War mal ein erfolgreicher Mann (Lacht ein
wenig verbittert). Hab in Düsseldorf ne Bankfiliale geleitet. War ein guter Job. Hab
dann irgendwann mal aufs falsche Pferd gesetzt. Hab große Kredite vergeben und so.
Wurden aber nich gedeckt. Dann haben die mich rausgeworfen, is doch klar. Tja, so
läuft das halt (Seufzt).
A.: Hast du nicht wieder versucht, einen Neuanfang zu machen?
O.: Na, du bist lustig. Wenn man sich im Finanzwesen verspekuliert, dann is man
doch sofort bekannt, wie ein bunter Hund! Dann will dich keiner mehr.
A.: Hättest du nicht ne Umschulung machen können?
O.: Wollt ich ja! Aber dann ging alles den Bach runter. Meine damalige Frau kommt
aus ner Bonzen-Familie. Die war Luxus gewohnt. Als ich dann kein Geld mehr
verdiente, hat die mich einfach verlassen. Blöde Kuh (Spuckt auf den Boden)! War
nur an meiner Kohle interessiert. (Ironische Stimme) Konnte auf einmal nicht mehr
mit ihren Schickimicki-Ladies shoppen gehn. Hat nur noch gemeckert. Am laufenden
Band rumgeheult, wie elend ihr’s doch geht. Hat sich geschämt wegen mir. „Ich sei
ein Looser“, hat sie gesagt. Hab das dann auch nich mehr ausgehalten. Hab damals
viel gesoffen. War ständig in’ner Kneipe. Hab’s daheim einfach nicht mehr
ausgehalten.
A.: Und dann?
O.: Ja, und dann?! Is doch klar! Die hat mir nen Arschtritt verpasst. Hat mich einfach
aus dem Haus geschmissen. Nach der Scheidung hab ich dann nichts mehr
hingekriegt (Starrt vor sich hin). Glaub ja nich, dass alle Penner freiwillig auf der
Strasse sind. Ich kenn viele, die haben sogar studiert. Säuselt leise in seinen Bart:
Keiner will auf die Strasse! (Leert mit einem langen Schluck seine Bierflasche)
A.: Und jetzt? Wie meisterst du dein Dasein?
O.: Mein Dasein? (Grinst ironisch) Auf der Strasse gibt es nur eine Devise:
Überleben! Einfach nur überleben. Und das ist heutzutage verdammt hart! Früher
konnte man noch gut schnorren. Die Leute hatten noch Mitleid. Hatten immer mal
nen Groschen locker. Aber heute? Die Leute geben einen nichts mehr. Nur noch
denen, die Musik machen können. Aber auch das hab ich nie gelernt.
Schau dir doch die Leute an! (Zeigt auf ein älteres Ehepaar, die im Abstand zu uns
rübergucken) Die Leute haben nur noch Verachtung für uns übrig. Entweder sie
schauen auf uns herab oder sie gehen an uns vorüber, als wären wir Luft. Die meisten
machen so, als würden sie uns nicht sehen. (Kramt aus einer Alditüte eine PlastikBierflasche heraus)
O.: Willst du auch’n Bier? Hab heut Spendierhosen an.
A.: Nein danke.
A.: Hast du eigentlich auch Verwandte?
INT014 - Seite 3
3
O.: Hab noch ne Stiefschwester. Miriam heißt se. Hab schon lange kein Kontakt
mehr mit ihr. Wohnt irgendwo in Braunschweig. Hat so’n Fuzzy geheiratet aus der
Textilbranche. Kam nie so richtig klar mit dem. Hat immer was an mir auszusetzen
gehabt. Früher haben Miriam und ich richtig zusammengehalten. Aber mit den
Jahren haben wir uns immer mehr auseinandergelebt. Das Letzte, was ich
mitgekriegt hab is, dass sie ein Kind bekommen hat. Manuel soll der Junge heißen.
A.: Und was ist mit deinen Eltern?
O.: Meine Mutter hab ich nie kennengelernt. Sie is gestorben, als ich noch ein Baby
war. Meine Stiefmutter war ganz ok. Hat mich immer fair behandelt, obwohl ich nich
wie Miriam, ihr eigner Sohn war.
A.: Und dein Vater?
O.: Hab mich nie so gut mit dem verstanden. Er war eigentlich auch nie für uns da.
Hat viel gearbeitet. War ständig auf Montage. Und wenn er mal daheim war, hat er
oft seinen ganzen Lohn versoffen. Aber eins muss ich ihm gutheißen: Er hat uns nie
verprügelt! Ich hab schnell gelernt, dass ich allein für mein Leben sorgen muss.
A.: Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?
O.: Nee! Sind beide schon tot. (Öffnet seine Bierflasche und trinkt) Vater starb an
Krebs, als ich noch Filialleiter war. Und Elisabeth (vermutlich seine Stiefmutter) is
vor 4 Jahren im Altersheim gestorben. War nicht mal bei der Beedigung (Trinkt noch
einen Schluck).
A.: Hast du auf der Strasse auch Freunde?
O.: Es gibt schon hier und da ein paar Kumpels, mit denen ich abhängen kann. Aber
so richtig Freunde hab ich eher nich. Bin mehr en Einzelgänger. Der Einzige, der
immer bei mir ist is Mäx (Hebt dem Hund ein Stück Brot vor die Schnauze und
streichelt ihn kurz). Es gibt halt auch viele Assis unter uns. Manche beklauen einen.
Vor allem bei der Sozi.
A.: Bei der Sozi?
O.: Da hinten die Strasse runter beim Bahnhof gibt’s ne Sozialstation. Da können wir
pennen und mal was warmes Essen. Ich geh da nich so gern hin. Die lassen auch nich
meinen Mäx rein, wenn ich da pennen will. Außerdem bin ich da schon beklaut
worden. Is echt Scheiße, wenn man keinem trauen kann.
A.: Gibt es wirklich keinen, dem du trauen kannst?
O.: Hier in Pforzheim gibt es wenige, denen ich über den Weg trau. In Kölle kenn ich
einen, der ganz korrekt is. Der Udo. Bei dem kann ich auch im Winter in der Garage
pennen. Hat mich immer super behandelt.
A.: Woher kennst du den Udo?
O.: Durch Zufall! Hab ihn damals in der Köllner Innenstadt kennengelernt. Hing
immer am Kiosk in der Lütticherstrasse rum. Der war mal einer von uns. Der Udo
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weiß, wie’s auf der Strasse aussieht. Hat jetzt ne kleine Wohnung in der Ehrenfelder
Ecke.
A.: Und wie hat der Udo das geschafft, von der Strasse wegzukommen?
O.: Hat halt Glück gehabt. Konnte sich en Job verschaffen, obwohl er damals noch
auf der Strasse war. Is echt selten, weil dir keiner nen Job anbietet ohne Wohnsitz.
Das is ja die Scheiße, wenn man auf der Strasse abhängt! Ohne Arbeit kein Geld,
ohne Geld keine Bude, ohne Bude keine Arbeit. So einfach is das!
A.: Gibt es da keine staatliche Einrichtungen, die dir aus diesem Problem helfen
können?
O.: Doch, sowas gibts schon. Programme von der Sozi. Aber diese Sozi-Scheiße
kannst du total vergessen. Da musst du dich viel zu sehr anpassen. Das is nichts für
mich. Dann bleib ich lieber auf der Strasse. Ne danke, ohne mich (Holt sich wieder
den Tabak raus und beginnt sich eine Zigarette zu drehen). (Nach kurzer Denkpause)
Außerdem stellt dich eh keiner ein, wenn du schon über 50 bist.
A.: Aber hast du dir schon mal Gedanken gemacht, wie es mit dir weitergehen kann?
Ich meine, du wirst ja auch nicht jünger? Willst du dein ganzes Leben lang auf der
Strasse bleiben?
O.: Naja, da mach ich mir schon ab und zu mal Gedanken. Aber im Moment gehts
mir noch ganz gut. Solange es noch geht, leb ich lieber von heut auf morgen.
A.: Und wie lebst du „von heut auf morgen“? Ich meine, wie sieht dein Tagesablauf
so aus?
O.: Is ganz unterschiedlich. Aber meistens steh ich morgens auf und schnorr mir en
bissl Kohle zusammen. Hol mir dann was zum beißen und Bier drüben im Aldi.
(Weist mit seiner Hand in eine Richtung) Is dort am Billigsten.
A.: Und dann?
O.: Treff mich mit manchmal mit meinen Kumpels und hängen irgendwo ab. Im Park
oder so. In der Innenstadt schnorr ich meistens nur. Hast Glück gehabt, dass du mich
heut getroffen hast. Geh eigentlich lieber in’nen Park. Da kann man um die
Jahreszeit auch gut pennen, wenn einen die Bullen nicht vertreiben.
A.: Und wie sieht das im Winter aus?
O.: Da is’es natürlich viel schwerer. Da muss man schauen, dass man ein warmes
Plätzchen findet. Am Bahnhof is’es nicht mehr so einfach wie früher, aber da häng
ich trotzdem oft ab. Zum Einkaufen brauch ich im Winter auch immer besonders
lang (Zwinkert mir freundlich zu). Kaufhäuser sind auch schön warm. Manchmal
kann man auch in Treppenhäusern sich ein paar Stunden aufwärmen. Aber am Besten
ist es, wenn du jemand kennst, zu dem du gehen kannst. Vielleicht geh ich diesen
Winter wieder nach Kölle zum Udo. Gerade mit Pennplätzen wirds im Winter immer
schwierig. Scheiße is’es auch, wenn du krank bist und keinen Platz zum Pennen hast.
Dann gehts dir echt dreckig. Manche gehen im Winter auch einfach in den Süden.
Leben dann in Frankreich oder so. Aber das ist nichts für mich. In einem fremden
Land ohne die Sprache zu können is auch Scheiße.
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A.: Is ja der Hammer! Hab mir ehrlich gesagt nie groß Gedanken gemacht, mit was
für Schwierigkeiten ihr im Winter zu kämpfen habt.
O.: Ja,ja! Is nich leicht auf der Strasse.
A.: Sag mal, wie lange lebst du denn schon auf der Strasse?
O.: So 7-8 Jahre insgesamt.
A.: Wow! Du, ich muss langsam wieder mal los. War echt nett, mit dir mal geredet
zu haben. Ich wünsch dir noch viel Glück auf deinem weiteren Lebensweg und dass
du auch mal die chance hast, von der Strasse wegzukommen.
O.: Danke! War auch ganz o.k. mit dir.
A.: Ich hab hier noch ne Kleinigkeit für dich (Drücke ihm 5 Euro in die Hand). Aber
nicht nur Bier von kaufen! Kauf lieber dem Hund mal was Gescheites zu futtern.
O.: Hey! Danke man! Geht klar! (Ich stehe auf, gib ihm nochmal die Hand und
entferne mich)
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INTERVIEW 15
Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
Einleitung
Das Interview mit Siggi (Name wurde von mir geändert) führte ich am Samstag, den
17.05.2008 im „Olgakeller“, einer Einrichtung der beiden Gemeinden „OLGA Gemeinde“, einer evangelisch freikirchlichen Gemeinde, und „Biblische
Glaubensgemeinde“. Jeden Samstagabend stellt die Olgagemeinde ihren
Gemeindesaal in der Olgastraße 96 in Stuttgart zur Verfügung, um ca. 110 sozial
schwache und obdachlose Personen mit einer warmen Mahlzeit, einer Andacht und
anschließend mit Kaffee und Kuchen versorgen zu können. Um den Wert des Essens
hervorzuheben, wird ein symbolischer Preis von einem Euro erhoben. Die
Mitarbeiter setzen sich aus Ehrenamtlichen aus den beiden oben genannten
Gemeinden zusammen, die den Gemeinderaum herrichten, das Essen und Trinken
zubereiten und den Kuchen spenden.
Bevor ich meine Ausbildung in Bad Liebenzell angefangen habe, habe auch ich dort
mehrere Jahre mitgearbeitet. Daher kommt es, dass Siggi sich noch an mich erinnern
konnte. Als ich ihn fragte, ob er bereit wäre, mir über sein Leben als Obdachloser zu
berichten, sagte ich ihm auch, dass ich früher im Olgakeller mitgearbeitet hätte. Er
antwortete mir, dass er sich an mich erinnern könne, da er sich zwar keine Namen
merken könne, aber Gesichter würde er nie vergessen.
Siggi fiel mir durch seinen langen Vollbart auf. Deshalb erkundigte ich mich bei den
Mitarbeitern, ob er ohne Obdach lebte, oder ob er zu den vielen finanziell
Schwachgestellten gehöre. Die Mitarbeiter informierten mich, dass Siggi obdachlos
sei und so fragte ich ihn, ob er zum Interview bereit wäre.
Da Siggi gerade am Essen des Kuchens war, sagte ich ihm, er solle zuerst in Ruhe
aufessen, wir könnten uns dann im Anschluss unterhalten. Er erklärte sich damit
einverstanden. Bei diesem kurzen Gepräch konnte ich feststellen, dass Siggi nicht
alkoholisiert war. Auch der Gesamteindruck, der sich auch im Verlauf des weiteren
Gespräches bestätigte, schien mir nicht auf eine Alkoholsucht, wie es ja bei vielen
Obdachlosen der Fall ist, hinzuweisen.
Als Siggi seine Mahlzeit beendet hatte, setzte ich mich auf den Platz neben ihn und
wir führten folgendes Gespräch, das ich mit dem Handy, das ich ihm vorhielt,
aufzeichnete:
Interview
S: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst mir etwas von Dir zu erzählen.
Siggi: So, was willst du denn wissen?
S: Erstmal, Du lebst richtig auf der Strasse, oder?
Siggi: Genau.
S: Wie lange machst du das schon?
Siggi: Ja, das letzte jetzt cirka 3 Jahre. (zeigt drei Finger)
S: 3 Jahre
Siggi: Aber wenn ich alles zusammen zähle kommen cirka 18 Jahre raus.
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Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
S: Oh, 18 Jahre. Warst du die ganze Zeit hier in Stuttgart?
Siggi: Überwiegend.
S: Aber ursprünglich kommst du nicht von hier, oder?
Siggi: Nö.
S.: Das hört man.
Siggi: Gebürtig bin ich von der Waterkant also von der Ostsee, ja. Und, ähm, wie ich
hierher gekommen bin, das weiß ich selber nicht.
S: Das ist erstmal extrem komisch, aber ich halte das (gemeint ist das Handy zur
Aufzeichnung des Gesprächs) so vor dich hin.
Siggi: Ja, und ich fühl mich hier wohl und komm mit den Schwaben gut aus und hab
mich hier voll akklimatisiert und so und ich hab viele Bekannte.
Freunde, wirkliche Freunde hab ich nur (zeigt drei Finger und macht eine
überlegende Pause)
S.: (Reaktion auf die drei Finger) Drei Stück.
Siggi: Drei Stück. Da ist er einer (zeigt auf eine Person), der hier neben mir sitzt
(zeigt auf den Stuhl, auf dem ich sitze)
S.: Ja, okay.
Siggi: Und noch zwei.
S: Okay.
Siggi: Das sind wirkliche Freunde. Wenn da mal einer in Not ist, tut der andere
helfen. Und ich bin schon verschiedentlich reingefallen aber ich hab mir mein Geld
wieder geholt.
S: Bist du da abgezockt worden von diesen Leuten?
Siggi: Ja. Und zwar hab ich das so gemacht: Wenn die Leute Geld gekriegt haben,
dann hab ich vorne gestanden und hab gesagt: So, abliefern. Ohne das (reibt die
Finger ineinander, um auf Geld hinzudeuten) läuft nichts. Dann haben sie blechen
müssen.
Ja, und sonst, ich komm gut zurecht. Ich hab eine gute Platte. Die ist in Privatbesitz.
Die ist windstill.
S.: Gut!
Siggi: Und ich kann mein ganzes Zeug dort lassen, da kommt nichts weg. Auch mit
den „Grünen“ hab ich ein gutes Verhältnis. Auch die vom Ordnungsamt, die mit dem
Hund, hab ich auch ein gutes Verhältnis. Ich glaub besser könnt ich es gar nicht
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Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
haben. Und ich bin froh darum, Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich mich
noch so frei bewegen kann.
Wie alt schätzt Du mich?
S: Oh, das ist ganz arg schwierig. Das ist eine schwierige Frage.
Siggi: Ich habe dieses Jahr einen „Runden“ gehabt.
S: Okay, dann schätz ich jetzt mal siebzig.
Siggi: Genau.
S: Du stehst echt noch gut da, muss man echt sagen.
Siggi: Ja, und ich tu da auch was dafür. Ich laufe jeden Tag zwischen drei und vier
Kilometer, ne, und das hält mich fit.
S.: Ja.
Siggi: Ja, und dadurch, weil ich in der Natur lebe. Ich kann von mir behaupten, ich
war schon fünfundzwanzig Jahre nicht mehr krank, geschweige denn bei einem Arzt.
S: Krass!
Siggi: Nur die Natur.
S: Ja.
Siggi: Weil mein Immunsystem ganz anders aufgebaut ist.
S: Ja klar, weil du auch ganz anderen Sachen ausgesetzt bist.
Siggi: Ja.
S.: Ja.
Siggi: Wenn ich mal einen Schnupfen habe, das ist keine Krankheit. Das ist eine
Begleiterscheinung. Nicht wie bei vielen Leuten, die haben im Jahr drei- viermal
Krippe – da lach ich doch nur, ja?
S.: Ja.
Siggi: Genau so mit der Wettervorhersage. Ja, ich tu mich viel nach Wolken, Wind
und Mond richten, ne, und meistens haut das immer hin bei mir, wenn ich was
vorhersage. Und da haben sich auch schon viele gewundert, woher ich das weis. Ja
Leute, ihr müsst halt die Natur mehr beobachten, sage ich. Dann kriegst du das mit.
Weil mein Hauptberuf ist Landwirtschaft, und da lernt man das von den Alten. Die
geben das weiter. Und ich habe es beherzigt und lebe danach.
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Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
Auf dem Killesberg, ich hab dort viele Bekannte, die fragen mich oft, wie das Wetter
wird. Dann sag ich ja, es wird so und so. Und, äh, ja, da fragen die auch oft großartig
nicht, woher ich das weiß.
(Eine Frau läuft vorbei. Sie hat einige Teller und Tassen aufeinander gestapelt und
trägt diese zur Geschirrrückgabe)
Siggi: Tu mal in die Hände klatschen…Die kenn ich auch schon lange – das ist
Gisela…
Ja, und so im Großen und Ganzen, nicht wahr, komm gut zurecht.
S: Wie kam es dazu, dass du auf die Strasse gekommen bist?
Siggi: Ja, ich konnte mal meine Miete nicht bezahlen, weil meine Rente nicht
gekommen ist. Und dann ist der Hauswirt gekommen und hat gesagt: Da hat der
Maurer das Loch gelassen… und bums war ich draußen.
S.: Okay.
Siggi: Ja, und (macht eine längere Pause).
S: (Reaktion auf die Pause) Und dann war der feste Wohnsitz weg.
Siggi: Ja.
S: Und dann? Hast du dich so durchgeschlagen?
Siggi: Joa.
S.: Ja.
Siggi: Ich sag ja, ich kenn viele auf dem Killesberg. Ich hab da auch verschiedene
Privilegien und so weiter. Natürlich muss ich auch was dafür machen und das, das
mach ich gerne. Ja.
S: Hilfst du auf dem Killesberg ein bisschen, irgendwie?
Siggi: Ja, verschiedentlich. Bei verschiedenen Lokalen, ja, wenn da Veranstaltungen
sind und so. Ja, und dadurch habe ich verschiedene Begünstigungen.
S: Wie machst du das sonst so? Wie ist deine Versorgung mit Essen und so geregelt,
jetzt außer hier im Olgakeller?
Siggi: Montag bis Freitag esse ich bei der Caritas in der Olgastrasse am Olgaeck
vorne (zeigt in Richtung Olgaeck). Da gibt es auch gutes Essen. Das kostet einen
Euro und sechzig Cent. Täglich was frisches und man wird auch satt und so weiter.
Und auch so im Großen und Ganzen, zum anderen, äh, kann ich nur sagen: Einer der
in Stuttgart verhungert ist selber schuld. Weil, man kriegt überall was. Ob das die
Krankenhäuser sind, oder die verschiedenen Einrichtungen. Sei es Caritas oder
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Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
Diakonie, oder die Pfarrämter – man kriegt überall was. Also, da braucht keiner
verhungern, ja?
S.: Ja.
Siggi: Und so im Großen und Ganzen, ich bin mit meinem Leben zufrieden.
Ich lauf jeden Tag zwischen drei und vier Kilometer. Das sind im Jahr zwischen elf
und zwölfhundert Kilometer. Und das hält mich fit .
S.: Ja, das ist klar.
Siggi: Das hält mich fit. Ich kann zum Beispiel in zehn Minuten vom Killesberg zum
Feuerbacher Bahnhof laufen. Das geht ja nur bergab. Aber ich mach gemütlich. Ich
lauf gemütlich…
S: Ja, warum auch Hektik…?
Siggi: Mir läuft ja nichts weg.
S: Ja, genau.
Siggi: Es pressiert mir nicht und so weiter. Besser kann ich es nicht haben.
S: Mit dem Finanziellen, wie machst du das?
Siggi: Finanziell… Ja.
Anfangs bin ich mit meiner Rente nicht gut zurechtgekommen.
Heute, hab ich jetzt den Bogen raus. Wenn ich meine Rente krieg, wird gleich
halbiert ein Teil kommt dahin (zeigt auf die rechte Brusttasche seiner Weste). Weil
mein Abo tu ich in der Monatsmitte kaufen und dann hab ich immer noch was wenn
zum Beispiel Angebote sind bei Lidl oder Aldi. Dann tu ich überlegen, brauchst du
das, oder brauchst du das nicht. Wenn nicht, dann ist es gestorben. Und so komm ich
gut hin.
S: So kommst also gut hin mit der Rente, die du kriegst.
Siggi: Ja, das sind nicht einmal fünfhundert Euro die ich im Monat zur Verfügung
habe.
S: Das ist nicht gerade viel.
Siggi: Nö.
S.: Ja.
Siggi: Mit der D-Mark würde ich besser hinkommen.
S: Ja, das war damals schon stabiler.
Siggi: Dann hätte ich neunhundert D-Mark.
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Samuel Maser
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Interview mit einem Obdachlosen
S.: Ja.
Siggi: Aber (macht eine Pause).
S: (Reaktion auf die Pause) Da kann man jetzt nichts mehr dran ändern, leider.
Siggi: Nee. Ja, aber wie gesagt, ich komme so am Besten durch.
S: Wie sieht es mit deinen sozialen Kontakten aus? Du sagtest ja, ihr trefft euch
immer mal so, hast ja Freunde und so. Auch oben am Killesberg, wahrscheinlich sind
da mehrere, oder?
Siggi: Ich habe viele, viele Bekannte. Das sind ältere Ehepaare, junge Ehepaare mit
Kindern. Weil ich habe schnell Kontakt zu Kindern, beziehungsweise die Kinder zu
mir…. Ja, und ich will so sagen, es gibt nichts Schöneres als Kinder.
S: Ja, das stimmt. Ich erwarte mit meiner Frau auch gerade eins.
Siggi: Und das ist so, äh, durch die Kinder krieg ich Kontakt zu den Eltern. Die tun
mich Anfangs beobachten, was macht er und so weiter… Und das macht mir
überhaupt nichts aus.
Da hab ich mal ein Erlebnis gehabt bei Kinderkarussell. Da war eine Mutter mit Ihrer
Tochter und die Tochter wollte noch mal mit dem Karussell fahren, und die Mutter
hatte aber kein Geld mehr gehabt. Da fing die Kleine an zu weinen. Und ich hab oft
so Chips einstecken vom Kinderkarussell. Und dann hab ich einen rausgeholt bin zu
ihr hin, und hab gesagt: „Guck mal was ich da habe.“ Und dann haben Ihre Augen
geleuchtet. Dann hab ich gefragt: „Wo möchtest du denn fahren?“ „Auf der Giraffe.“
Dann hab ich sie da hochgehoben – in dem Moment kommt die Mutter. Dann hat Sie
gesagt: „Wie können Sie …?“ „Moment!“, hab ich gesagt, „Erstens kann ich Kinder
nicht weinen sehen.“, sag ich, „Und zweitens wollte ich Ihrer Kleinen eine Freude
machen.“ Dann hat Sie gesagt: „Ja, das ist Ihnen gelungen!“ Dann hat Sie gesagt:
„Aber das nächste Mal wenn wir uns sehen, dann lade ich Sie zum Kaffee ein.“ Und
tatsächlich, als sie das nächste Mal gekommen ist, hat sie mich zum Kaffee
eingeladen.
S.: Schön!
Siggi: Und Ihre Kleine, wo sie mich gesehen hat ist sie sofort gekommen und wollte
gar nicht mehr weg von mir.
S: Das ist schön.
Siggi: Ja, das war wunderschön.
Ja, und, ja, die guten Erlebnisse und so weiter, das ist meistens überwiegend. Das tut
das Schlechte alles aufwiegen. Ja, ich sag ja, mir kann es gar nicht besser gehen.
S: Schön.
Siggi: Was möchtest Du noch wissen?
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Samuel Maser
Interkulturelle Studien
Interview mit einem Obdachlosen
S: Das war eigentlich schon alles. Ich bedanke mich ganz herzlich für deine
Offenheit!!
Siggi: Ja. Ja warum sollt ich es nicht tun!
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INTERVIEW 16
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INTERVIEW 17
Diesem Interview ging voraus, dass ich zweimal vergeblich in Tübingen einen
Obdachlosen gesucht hatte. Daraufhin vermittelte mir ein Bekannter jemanden, der auf
der Straße gelebt hatte. Telefonisch machten wir einen Termin und Treffpunkt aus, ohne
dass schon irgendwelche Details zu der Zeit auf der Straße genannt wurden. Allerdings
wusste meine Informantin schon, worum es in dem Interview gehen sollte. Nach der
Begrüßung und kurzer Suche nach einem geeigneten Platz begannen wir das Gespräch.
Bei der Aufzeichnung des Interviews verzichte ich weitgehendst auf zustimmende
Kurzkommentare (Mhm o.ä.).
Jochen (J): Mich würde einfach interessieren wie das Leben so auf der Straße war.
Informantin (I): Soll ich anfangen, wie es dazu kam?
J: Ja genau.
I: Also angefangen hat es damit, dass ich mit 15 mehrfach von zu Hause abgehauen bin,
jetzt nicht, weil mein zu Hause so schrecklich gewesen wäre, im Gegenteil, meine
Eltern waren Hippies und total liebevoll halt und auch mit strafen war es nicht so dicke
oder so. Ich hatte einfach einen tierischen Freiheitsdrang, ich wollte einfach die Welt
sehen, neue Leute kennenlernen und ahmm -. So kam es einfach dazu, dass ich in
Karlsruh Leute kennen gelernt hab und ähm insbesondere ne Freundin halt dann auch
dort gefunden hab. Die halt im Gegensatz zu mir halt wirklich ein schreckliches
Zuhause hatte und halt auch weg wollte, und wir haben uns dann halt zusammen getan
und sind dann halt immer mit dem Wochenendticket so von Stadt zu Stadt und haben
uns halt erst mal die Städte angeguckt und halt tierisch viele Leute kennengelernt. Und
ähm und ja und haben teilweise mehrere Wochen in den Städten verbracht.
J: Mhm.
I: Und, ja das richtige erste Abhauen, wo ich dann wirklich länger weg war, das war '95.
Ähm, da bin ich auf die Chaostage nach Hannover abgehauen, weil ich davon schon in
den Medien gehört hatte und mich das halt total gereizt hat das halt mal mit zubekommen, halt ein Punkertreffen damals halt. Ähm, haben sie bestimmt schon was davon
gehört damals in den Medien damals, weil es halt schon ziemlich rund ging. Also es
waren Straßenschlachten mit Wasserwerfern. Polizei in voller Montur und die Punks
haben auch Steine geschmissen und, die Polizisten aber auch (lacht), was halt in den
Medien immer runtergespielt wurde, aber is ja auch egal. Und ähm, ja, jetzt muss ich
grad mal überlegen, was ich eventuell, ja ich hab dann natürlich irgendwann auch in der
einen oder anderen Stadt einen Freund gehabt, wo ich dann halt einmal auch bischen
länger geblieben bin. Einem bin ich sogar nachgereist bis nach Lübeck. In Lübeck war
ich ganze sechs Wochen. Das war auch ähm. Für meine Mutter ziemlich hart, weil sie
überhaupt gar nicht wusste, wo ich bin. Ich hab mich überhaupt nicht gemeldet. Einfach
nur, weil nicht wollte, dass ich gefunden werde. Und sie hat sich tatsächlich versucht
das Leben zu nehmen in der Zeit, weil sie halt echt schon gedacht hat, ich liege
irgendwo tot im Graben. Oder irgendwo im Wald oder so. Hab ich natürlich alles erst
erfahren als ich schon lang wieder da war, also viel später. Und ähm, ja. Und das
richtige Leben auf der Straße gestaltet sich in dem z.B. morgens, wenn man aufsteht,
durchaus so seinen ganzen Krempel zusammenpackt, ... wenn man, wenn man
überhaupt einen gescheiten Schlafplatz gefunden hat. Also wir haben teilweise in den
Vorräumen von Sparkassen übernachtet, wenn es mal wirklich arg kalt war. Ähm,
ansonsten ich hab halt die meiste Zeit in Karlsruh verbracht und da gibt 's im Schlossgarten ähm vorm Schloss so so kleine Häuschen vorne dran, ich weiß grad nicht, wie
man die nennt, weiß nicht für was die mal da waren, aber die haben so 'n so 'n, kleine
Nische immer und da ist es recht windgeschützt, da hat man halt schlafen können und
wenn man halt Glück hatte auch bei Freunden, wenn die halt; die hatten meist selber nur
so eine Einzimmerwohnung oder so und naja dann war 's dann halt meistens, dann nicht
oft so, dass man da schlafen konnte oder haben teilweise auch selber bei ihren Eltern
gewohnt, da ging 's dann natürlich auch nicht. Erst später, als ich dann älter war haben
dann echt grad die Punk WGs ziemlich viele Leute immer aufgenommen. Und es war
eigentlich immer eine einzige Party.
Ja und die Nahrungsbeschaffung hat sich eigentlich immer so abgespielt, dass wir ähm
direkt nach dem Aufstehen nachdem wir unser Zeug zusammengepackt hatten ähm
entweder sind wir in die Kinder- und Jugendanlaufstelle IGLU gegangen, haben da erst
mal gefrühstückt und da konnt' man halt auch duschen und sich seine Wäsche waschen.
Allerdings hab ich das eigentlich nie in Anspruch genommen, weil ich irgendwie immer
andere Möglichkeiten haben sich für mich halt immer aufgetan gehaben. Ich bin halt
auch oft in Bahnhof, da gibt es ja auch diese Reisendenduschen, und ähm die Wäsche
habe ich meistens Freunden mitgegeben, die sie dann für mich mitgewaschen haben.
Oder ich hab sie gleich weg geschmissen hab mir (lacht) beim Roten Kreuz neue geholt
oder so. Also es gab immer eine Möglichkeit. Es ist zum Beispiel auch in meinen Augen
kein Grund siffig rumzulaufen, wenn man auf der Straße lebt, weil es echt wirklich
genug Möglichkeiten gibt eben Bahnhof, dann Anlaufstellen ähm öffentliche Toiletten
gibt es ja auch, gerade zum Zähne putzen oder zum so schnell außen rum waschen (lässt
Hand über das Gesicht kreisen). Ja. Dann haben wir halt meistens ne Weile geschnorrt,
falls wir überhaupt ins IGLU, wenn nich', dann haben wir direkt damit angefangen.
Ähm. Ja es lief halt auch manchmal gar nicht so gut, dann ist man dann halt echt mit
einer Dose Ravioli zu viert oder so was dann ausgekommen für den ganzen Tag. Oder,
weil die Hunde teilweise auch mitversorgt werden mussten, die standen immer über
unserem eigenen Wohl. Also es war - ja die können ja nichts für ihre Situation und die
dürfen darunter nicht leiden, quasi und wir haben's uns ja selber so ausgesucht. Und. Ja
teilweise war es dann aber auch wiederum so, dass wir tatsächlich von Wildfremden
Leuten dann, nachdem wir se Angeschnorrt hatten zum Essen eingeladen wurden, weil
se eben nicht wollten, dass das Geld für Alkohol oder Drogen ausgegeben wird. Ist ja
klar, was ich auch vollkommen in Ordnung fand. Und, ja manchmal hatte man auch so
Glückstreffer, dass man halt beim Schnorren - damals noch DM teilweise 100 DM in
die Hand gedrückt bekommen hat, einfach so, weil der die Person gerade einfach nen
guten Tag hatte oder besonders viel Mitleid hatte, ich weiß es auch nicht, also gab 's auf
jeden Fall dann. Zwar selten die Fälle, aber - ja gut. Wir sind halt auch ziemlich viel auf
Konzerte gefahren, also das waren halt auch so Lichtpunkte dann immer, wo sich dann
alle getroffen haben aus verschiedenstens Städten, alle nach Karlsruhe gekommen und
von dort aus dann auf ein Konzert, es war immer ein riesiges Gelage. Hab natürlich
auch wieder wahnsinnig viele Leute kennengelernt. Ja die meisten Menschen
verurteilen ja die Punks zum Beispiel, weil sie halt dauernd bunte Haare habe und dann
behaupten sie hätt'n kein Geld. Wobei ich sagen muss man färbt sich ja auch nicht jeden
Tag die Haare. Reicht ja teilweise alle zwei Wochen bis einmal im Monat und die hat
damals auch nur 5-6 Mark gekostet also es ging. Teilweise haben wir auch
zusammengelegt, weil so eine Dose reicht ja locker für zwei Leute mindestens (lacht).
Und ja, so die Piercings haben wir untereinander selbst gestochen meistens, also J: Krass!
I: Ja wobei, also ich hab jetzt nur am Mund schon, das hab ich auch bis heute
beibehalten, das einzigste, was ich überhaupt Leuten stech mittlerweile tätowier ich.
Das hat sich mit Sicherheit auch aus der Scene ergeben, so weil 's einfach ähm - Mangel
an professionellen Tätowierern hatte und man sich dann halt einfach angewöhnt hat,
weil man immer öfters gefragt ist, gerade ich hatte halt von Anfang an, schon seit der
ersten Klasse äh, ne außergewöhnliche Begabung im Zeichnen, steht sogar in meinem
Zeugnis. Schon in der ersten Klasse. Und ähm, ja und dann hab'n se halt immer
gemeint, ja wenn du so gut zeichnen kannst du bestimmt auch tätowieren, hier hast du
ne Maschine probier mal an mir aus, so ungefähr.
J: Wow.
I: Mhm. So hat sich das immer mehr gesteigert. Mittlerweile ist es halt echt so, dass ich
in der Woche fünf sechs Leute tätowieren muss. Ja.
J: Ja und die Maschinen hat irgendjemand g'habt einfach oder -?
I: Die kann man sich ja selber bauen. Es gab ja viele, die waren im Gefängnis schon.
Die haben's einfach mitgebracht. Meine allererste Maschine hat mir mein Kumpel
gebaut gehabt. Also mit der war ich nicht - ja hät man genauso gut wieder
wegschmeißen können, weil die Qualität halt wirklich zu wünschen übrig ließ.
Mittlerweile hab ich von meinem Vater, ähm Maschinen aus London geschenkt
bekommen, drei Stück. Eine hab ich schon verkauft (lacht), aber auch nur weil's ähm die lag überhaupt nicht in der Hand, und jetzt hab ich zwei Maschinen, mit denen ich
halt -. Also mit der einen tätowier ich permanent und die andere hab ich als Ersatz,
einfach, falls die andere mal kaputt geht. Ja und - Halt auch damals 'n - hat beim
Tätowieren halt echt ein gesundheitliches Risiko gewesen, weil man halt - ähm - ganz
falsche Farben benutzt hat. Einfach halt - Ich hab z.B. jetzt ähm Japanische Tinte. Also
richtige Japanische Tätowiertinte, die hab ich mir bestellt im Internet bei nem
renommierten Anbieter für täto - für Tattoo Zubehör. Und damals gab 's dann wirklich
ganz normale schwarze Tusche von Rotring oder so was.
J: Also aus 'm Schreibwarenladen, die.
I:Ganz genau, oder was ich auch letztens gehört hab, dass mein Bruder, hat sich im
Gefängnis ähm - selbst tätowiert und hat dazu ähm - diese Einmalrasierer, die blauen,
die werden einfach geschmolzen und da kommt Farbe raus, blaue. Und die ist so hoch
giftig und die tätowieren sich damit.
J: Wow.
I: Ja und dann gibt es dann noch welche, die tun so was wie ähm Asche und, weiß nicht,
was es noch war? Irgendwas, Ruß oder irgend sowas halt, also so - mischen halt und
sich das dann - also ritzen sich und tun es dann reinreiben. Von klaren Linien kann man
da überhaupt nicht reden, also (lacht) absoluter Pfusch. Ich versteh 's auch nich warum
die Leute dann unbedingt dadrinnen unbedingt eins haben wollen, sollen sie lieber
warten bis sie wieder draußen sind und dann halt machen. #00:10:04-8#
J: Sin dann auch welche krank 'worden? So durch des tätowiera, oder?
I: Also hab ich jetzt -. Also mir sind keine Fälle bekannt.
J: Mhm.
I: Is halt man weiß es einfach, dass die Farbe giftig ist und ich würd 's halt allein aus
Prinzip nicht machen, weil ich mir dafür zu schade für bin. Am Ende dann Krebs zu
kriegen, ich mein, es kann ja alles später noch kommen. Muss ja nicht alles sofort
passieren, es sind ja auch Langzeitfolgen dann, weil sie hab'n s ja im Körper. Und es
wuchert da vielleicht vor sich hin und keiner merkt 's und irgendwann nach 20 Jahren
auf einmal kommt an der Stelle Hautkrebs oder so. Muss ja nicht immer nur durch die
Sonne komm'n. Ja - Jetzt fällt mir auf die schnelle auch nichts mehr ein, was ich
erzählen könnte. Noch irgendwelche Fragen.
J: Und dieses IGLU, des ist ne Anlaufstelle g'wesen immer wieder.
I: Ja für Kinder und Jugendliche.
J: Des isch für Kinder und Jugendliche, des heist, da konnt man hingehen und die händ
einem dann eben was zum Essa geba oder?
I: Ähm, die hatten, ähm ja die haben immer Spenden bekommen von der Tafel, von der
Karlsruher Tafel. Und ähm - hab'n des halt da als richtiges Frühstück. Das gab 's halt
immer nur morgens, das IGLU hatte glaub bloß bis um elf oder 12 auf. Und später dann
bis zwei oder so. Und ähm, da gab 's dann halt Frühstück. Ganz am Anfang war 's
kostenlos. Später haben se dann immer so'n kleinen Unkostenbeitrag insbesondere für
Kaffee und so, weil den haben se selber kaufen müssen, den gabs nur ganz gahnz selten
bei der Tafel, aber so frisches Obst und Gemüse und Brot habn se noch von der Tafel
bekommen. Oder auch so Brotaufstriche gab 's auch ganz oft, oder Joghurt und so. Und
teilweise konnt' man den Überfluss halt dann auch mit nach Hause nehmen. Es wurde
halt teilweise auch verteilt 'n bischen. Und ähm -, also ich war ja nur ein Jahr auf der
Straße, weil ich nämlich, während ich auf der Straße war, dann nen festen Freund hatte.
Und mit dem zusammen 'n Kind bekommen hab. Und da hab ich am Anfang noch, am
Anfang der Schwangerschaft noch in ner Punk WG gewohnt. In Karlsruh in der
Luidstraße und die war dafür bekannt, dass halt ziemlich hoch herging, da flogen
teilweise Fernseher aus 'm Fenster und 's warn halt richtige Randalindskis sag ich
immer. Aber auch nicht wirklich bösartig, 's warn einfach nur totale Chaoten. Und is' ja
klar, dass man da als Schwangere dann nich' unbedingt leben will. Vor allem 's war jetzt
halt nicht grad der sauberste Ort. Ja und danach bin ich dann in ne WG gezogen, wo ich
dann später mitbekommen hab, dass - also, 's war ein Pärchen und der Mann war 'n
Junke. Das wusste ich aber, als ich einzog noch nicht. Hab's dann aber direkt danach
erfahren, so quasi zwei Tage nachdem wir eingezogen waren und hab das gleich wieder
gekündigt, weil - war ne wunderschöne Wohnung, aber nee echt nicht. Und dann haben
se mir noch hundert Euro, äh Mark geklaut gehabt und das auch von meinem letzten
Geld und das als Schwangere, also, das is' ne Schweinerei. Und dann hab ich meine
erste eigenen Wohnung bekommen, da haben mir dann die Streetworker in Karlsruh
geholfen, der Norbert Zimmermann und der Uwe Buchholz, die haben, also die stellen
dann immer den Sperrmüll die Zeitung zur Verfügung und man darf bei denen auch
telefonieren und die machen auch so teilweise Ämtergänge mit einem und ahm bei mir
haben sie es sogar so gemacht dass sie mit zum Vermieter mitgekommen sind und tja ist
einfach kleine seelische Unterstützung und so ...
J: Mhm super.
I: Ja und 's war damals ne anderthalb Zimmerwohnung, natürlich auch eigentlich viel zu
klein aber für die ersten Tage halt oder fürs erste Jahr hab da fast ein Jahr gewohnt. Der
Vater meiner Tochter hat mich sitzen lassen als sie vier Monate alt war. Schöne Frau mit
'nem vierjährigen Kind, (kichern) ist doch eigentlich Ironie. Naja egal. ähm ja aber ich
hab relativ schnell danach halt wieder jemand kennengelernt und .. wollte halt
unbedingt noch mehr Kinder also zwei Kids – also nich' so, so ach Gottchen schon
wieder en Unfall oder so - ich wollte halt noch eins. Dann haben wir noch mal ein Kind
bekommen, die Kinder sind nur eineinhalb Jahre auseinander. Wenn man dann noch die
Schwangerschaft abzieht, 9 Monate, also..5 Monate vielleicht, also ich glaub ein Monat
nachdem mein Ex Schluss gemacht hatte, so war ich schon wieder schwanger, aber halt
gewollt.
J: Ja.
I: 's war halt auch ähm, abgesprochen mit meim damaligen Partner wir sind noch drei
Jahre zusammengeblieben und dann war 's halt aber auch so dass er halt - auch
gewalttätig war also mir gegenüber halt hauptsächlich und später hat 's dann auch
immer mehr ausgeartet so dass er teilweise auch auf die Kinder los gehen wollte. Und
dann hat er halt auch den Fehler gemacht, also da er halt in der Stadt bekannt war was
seine Aktionsausbrüche anging, seine Gewaltausbrüche hat er auch ziemlich viele
Straftaten hinter sich, die er begangen hat. Jetzt nicht mir gegenüber oder aufgrund
derer - hat er jemand zwei Schneidezähne vorne ausgeschlagen hat, halt
Gerichtsauflagen bekommen, hat die halt nicht eingehalten und ist dann abgeschoben
worden weil das war ein Türke, also ein türkischer Punk, wie selten das auch ist, mhm.
J: Ja.
I: Mhm, ja, dann war nach den drei Jahren halt auch Finito. Ja und dann war ich, muß
grad mal überlegen... mein Kleiner ist jetzt fast zweieinhalb, mein Kleinster... muß echt
grad nachrechnen... Moment.. drei Jahre...ja vier oder fünf Jahre lang, also ich hatte
zwar Beziehungen aber die längste dazwischen war zwei Jahre. Mit meinem jetzigen
Freund bin ich wieder drei Jahre zusammen und wir haben jetzt seit zweieinhalb Jahren
auch ein Kind, den Kleinsten. So ´n - wir haben uns vor kurzem dazu entschieden
getrennt zu leben aber halt wir bleiben auf jeden Fall zusammen und wollen auch
heiraten aber einfach weil wir gemerkt haben auf so engem Raum da keppeln wir uns
dauernd und dem wollen wir halt ausm Weg gehen, vorbeugen einfach dass wir uns
nicht dauernd auf der Pelle hocken und ähm, dass jeder seine Rückzugspunkte einfach
hat. Jetzt woll'n wir Richtung Karlsruh wieder ziehn. Ja, weil man halt einfach mehr
machen kann und ich kann diese Berge nicht mehr ertragen, echt überall wo man hin
will muß man entweder Berg hoch oder Berg runter mhm... und dann auch so die
Einwohnerschaft die sind halt alle ziemlich alt, (lacht) ja und in der Stadt fällt halt auch
jemand der so bunt ist wie ich nicht so arg auf.
J: Klar.
I: Die Anonymität ist ein bis'n mehr gewahrt. Also was ich am Anfang mitmachen
musste, ich hab ähm vorher in Calmbach gewohnt. Und da hat' ich in meinem
Wohnzimmer ´ne rote Lampe die abends angemacht hab' und dann hieß es gleich 's wär
'n Puff und sonst irgendwas und ich hätt ja eh nur Männerbesuch ... . Da bedenken die
einfach gar nicht, dass ich halt fast nur männliche Kumpels hab. Also ich hab halt zwei
drei Freundinnen und der Rest sind einfach nur oder junge Kerle, das hat sich einfach so
ergeben ja, und dass die dann ein und ausgehen ist ja wohl klar. Also ich lass sie ned vor
der Tür stehen nur weil meine Nachbarn denken könnten, da geht was. Ja.. na.
J: Ja, wenn man dann so auf der Straße lebt zieht man dann meistens mit den gleichen
Kumpels rum oder?
I: Ja, man ja.. also in Karlsruh direkt, als ich da gewohnt hab schon, halt auch immer
von außerhalb von anderen Städten immer Leute dazugekommen mit denen man sich
dann auch angefreundet hat, aber ähm so im Konkreten, also ein zwei Leute waren
meistens dabei mit denen man fast täglich rumgezogen ist. Das war dann fast schon so
ne Art kleine Clique. So 'ne kleine Gruppe, ist echt, kann man schon Familie nennen,
weil 's halt einfach auch den Rückhalt irgendwie gibt. Also die stehen hinter einem
wenn´s Stress gibt, die sorgen dafür wenn man zum Beispiel nicht aus 'm Haus kann,
wenn man krank ist, dann kucken die das was ran kommt, also es ist einfach gegenseitig
man hilft sich einfach so und guckt, dass man zusammen über die Runden kommt. Also
eine Hand wäscht die andere quasi. Es ist zum Beispiel auch gut wenn man so kleine
Talente wie ich hat, dann kann man nämlich auch, dann im Tausch gegen irgendwas
anderem zum Beispiel, dann so ne kleine Dienstleistung erbringen, tätowieren halt, und
ähm das kann man teilweise sogar als Bezahlung nutzen. Also mein jetziges neues
Handy, hab ich leider nicht dabei, ich hab 's vergessen weil mein Freund war grad noch
am spielen, und ich hab 's vergessen es einzupacken, ähm, das hab ich auch, das ist ein
ganz tolles Motorola, also so 'n total flaches im Tausch gegen 'n Tattoo das grad mal so
groß ist (zeigt mit den Fingern eine Fläche mit ca. 5 cm Durchmesser). Also, ja freut
ei'n. Ja, oder ich hab so 'n, so 'n Drucker und Scanner im Tausch gegen ein Tattoo das
über die ganze Wade geht, also mh ja (lacht) so is' des manchmal schon. Ansonsten halt
meistens gegen so 'n kleines Entgelt aber das ..., da ich´s noch nicht professionell mach,
ich würd´s ja gerne anmelden, aber dazu steh ich noch nicht arg genug auf festen Beinen
und ähm ein bischen Geld muss ich verlangen sonst würd ich gar nicht mi'm Harz Vier
über die Runden kommen. Ich weiß auch dass es nicht grade legal ist, aber mir sind
ehrlich gesagt meine Kinder wichtiger und ich hab einfach vor jetzt erst mal 'ne Mappe
zusammenzustellen mit den ganzen Sachen die ich gemacht hab, die Tattoos, und ähm
mich dann halt zu bewerben, weil ich einfach noch bei 'nem Tätowierer in die Lehre
gehen will. Einfach nur um noch kleine Tricks zu lernen, die ich einfach noch nicht
beherrsch. Ich tätowier zum Beispiel nur mit der Dreiernadel und es gibt da eine ganze
Spannweite von verschiedenen Nadeln. Also extra zum Schattieren, und nur für die
Außenlinien und extra für Tribals. Und das will ich einfach lernen und dann werd ich
gucken dass ich mich irgendwo in irgend 'nem Studio bewerbe, dass ich richtig dort
arbeiten kann. Ein eigenes möcht ich nicht führen weil mir das einfach zu stressig ist
und zu riskant dann irgendwie pleite zu gehen und naja, will ich nicht. Nee will ich
nich, den Papierkram sollen andere machen (lacht). Ich will da hingehn jeden Tag für´n
paar Stunden bisl tätowieren, dann hab ich mein Geld und dann is gut. Ja. so mein Ziel
für die nächste Zukunft.
J: Super.
I: Ja. Ist ja jetzt auch nicht so, dass die Kinder da zu kurz kommen, sondern meistens
arbeitet man ja auch nicht den ganzen Tag als Tätowierer. Es kommt dann noch drauf -,
man kann sich dann nun auch einteilen ob man eine Person nur an einem Tag, weil man
kann ja die Termine selber annehmen, wenn 's heißt morgen hab ich keine Zeit, dann tu
ich halt auf übermorgen die Person noch mit dann hab ich halt am - am nächsten Tag
drei anstatt nur zwei oder so. Aber man kann sichs halt echt selber einteilen. 's fehlt halt
dann an dem Tag, dann halt das Geld, aber mein Gott. - Ja. - Ist halt auch gut, weil die
Anschaffungskosten von den Tattoomaterial sind, direkt jetzt für die Nadeln und die
Farbe ist halt auch nicht so hoch. Das heißt also, der, der Nettobetrag is' halt relativ
hoch. Also man kriegt halt -, gut jetzt Steuern weiß ich jetz' nich' was da jetzt abgezogen
wird, aber ich glaube nich' so viel, wie wenn man jetzt in irgend nem Betrieb, also
richtigem Handwerksbetrieb oder so arbeiten würde. Ich glaub tätowieren geht niemals
aus. Also ich glaub 's wird immer modern bleiben. Für gewisse Gruppen zumindest.
J: Was waren denn so die größten Probleme in dera Zeit. Ähm. Also so von wegen
Stress und so, den 's da geben kann und wo man dann den Rückhalt aus der Gruppe
braucht?
I: Hm, War halt oft so erstens mal ähm - klar Nazis. Also wo man Rumsass oder
Rumstand kam immer irgendjemand, der einen dumm angemacht hat und grad, wenn
man allein unterwegs war, war 's halt echt riskant und allein deshalb ist man schon
meistens so in kleinen Gruppen gegangen, einfach halt weil man dann halt auch ähm nicht immer gleich dumm angemacht wird. So steh'n se halt da und kucken nur blöd
anstatt, wenn man alleine ist halt dann halt gleich irgendwie provokant auf einen
zuzugehen. Also, das war jetzt des Haupt Ding. So kleinere Sachen, ähm - was ich noch
als Problem sehen würde, waren damals ähm - mit dem Schwarzfahren. Einfach, weil 's
halt immer 'n riesiges Problem war irgendwo Geld für 'ne Fahrkarten aufzutreiben,
deswegen hat man 's meistens grad gelassen. Und ähm, das ist zum Beispiel auch jetzt
bei mir immer noch, - das hängt mir immer noch im Nacken obwohl ich jetzt schon seit
- muss grad mal überlegen - 17 - seit elf Jahren nicht mehr auf der Straße leb. Und ich
hab immer noch die Schulden deswegen am Hals, also das sind so Spätfolgen, die ich
immer noch zu spüren hab, also von damals einfach so, so jugendlicher Leichtsinn
einfach, weil man einfach gedacht hat eben, ach Gott, mein Gott schwarzfahren -. Man
hat halt nie direkt die Strafe gespürt. Kommt alles erst später wenn man 's nicht zahlt.
Und es erhöht sich halt, dann kommt noch die Mahngebühren dazu und
Bearbeitungsgebühr und also -. Is' jetzt halt so, die Spätfolgen. Ich hab noch viele
Freunde aus der Zeit, immer noch. Ähm, die haben 's teilweise auch selber geschafft
und teilweise selber jetzt schon Kinder. Ähm - also da merkt man, dass einen die Zeit
dann doch schon geprägt hat und ähm -auch zusammengeschweißt hat. Wenn man nach
so vielen Jahren, vor allem ich bin echt voll weit weggezogen, wenn man 's so jetzt - für
Karlsruher Punks, der nicht unbedingt erpicht ist in ein Kurort hierher zu fahren und wir
halten trotzdem noch Kontakt. Also ich hab z.B. echt seit Jahren 'ne Freundin, die wohnt
in der nähe von von Raststadt mit der telefonier ich im Jahr vielleicht zwei drei mal.
Und trotzdem sie kommt immer wieder gern mal vorbei und hat sich jetzt auch von mir
tätowieren lassen (lacht), ja hab jetzt auch am 22, also am nächsten Donnerstag bei -,
ihr'n Freund von mir tätowieren lassen möchte, als Geburtstagsgeschenk. Ja - Probleme,
es gab dann auch noch, äh doch ein Problem war z.B. auch noch, dass man ähm
ziemlich darauf achten musste mit wem man sich einlässt. Also jetzt, wen man in seiner
nähe haben möchte, grad wegen so Krankheiten wie Schleppe, Krätze. Es gab halt
immer welche, die sich eben nicht gepflegt haben. Anstecken kann man sich ja immer,
selbst wenn man nur neben dran hockt oder sie nur an der Hand berührt. Da musst du
echt schon aus zwei Meter Entfernung so vorsichtig abchecken, hat er offene Wunden
und ähm - sieht er sauber aus, wie sehn seine Haare aus und -. Also des ist schon - ja
fast schon diskriminierend eigentlich so, weil man halt wirklich aufs äußere erst mal
achtet so und. Man kann gar nicht erst auf den Charakter achten eigentlich. Zumindest gut, es gibt immer Leute denen ist es total egal, mein Gott, dann bin ich halt krank, 's
geht auch irgendwann wieder weg, so ungefähr. Aber so war 's bei mir nich'. Ja ich war
ziemlich oft in ander'n Städten. Wo 's halt hippig. Also grad jetzt zum Beispiel in
Lübeck da gab 's ein Haus in Kügnitz, also Stadtteil von Lübeck und das ist geschlossen
worden wegen Seuchengefahr. Da war ich zwar nur einmal zu besuch, hab gar nicht dort
übernachtet aber es ist schon schlimm genug wenn ich da dran denk, ich hät' 'ne Seuche
kriegen können. Oder in - ähm Ludwigshafen, da hab'n se äh 's war 'n Haus, 's stand
mitten in so ner ähm - Schrebergarten Kolonie so 'n frei stehendes Haus halt. Und es ist
auch geschlossen worden wegen Seuchengefahr, das hab'n se sogar kontrolliert
niederbrennen lassen.
J:Ja, Wahnsinn.
I: Also haben 's abgebrannt, weil se nicht mehr Herr der Lage geworden sind, weil da so
viel Bakterien -.
J: Weil 's so verseucht war?
I: Ja genau. Allein die Vorstellung, da hab ich ne weile drin gewohnt, allerdings Jahre
bevor das abgebrannt is'. Also da muss dann erst später -. Also ich hab gehört, aus
Erzählungen, dass wenn einfach ein Hund irgendwo hingemacht hat nur ne Zeitung
drüber und liegen gelassen. Also richtig eklig. Wäh. Als ich da war war 's natürlich in
Ordnung (lacht). Da lag nur draußen im Hof ein riesen Berg aus leeren Bierdosen, also
der war bestimmt drei Meter hoch der Berg oder so, das war Wahnsinn echt. Die haben
alle total aus dem Fenster mit leeren Bierdosen rausgeworfen, so. 's war 'n skuriles Bild.
J: Ja und so die Punk WGs musste man dann da au Miete zahlen? Oder war das ... ?
I: Ach quatsch nee. Das waren WGs, die Teilweise eigentlich von der Stadt bezahlt
wurden, weil se selber arbeitslos waren eben, ähm - ja und die Nachbarn haben sich
herzlich wenig dafür interessiert, wer da kreucht und fleucht, zumal sie die Leute
wahrscheinlich eh nicht auseinanderhalten konnten, weil s' eh alle drei Tage neue
Haarfarbe hatten und, mei ist es jetzt der, oder hat er sich einfach nur die Haare wieder
gefärbt, oder war 's jetzt doch 'n Anderer, da hab'n s'es wahrscheinlich gleich bleib'n
lass'n (lacht). Ja aber es war halt dann schon so, dass man halt auf jeden fall beim sauber
machen mit eingespannt wurde. So einmal in der Woche oder so. Leerpfand wegbringen
und ähm - durchfegen oder durchsaugen, Geschirrspülen. Oder dass ma' halt z.B. mit
dem Hund vom Eigentümer der Wohnung - was heißt Eigentümer, Mieter der Wohnung,
ne Runde Gassi geht, also das war dann selbstverständlich, dass man halt solche Sachen
mit übernimmt. So als Dankeschön sozusagen. Ja -.
Na wir ham dann halt noch ... so Punkertreffen gemacht. Also des war'n Punkpicknick
wurde, die genannt. Ich mein da war immer mit Polizeiaufgebot zu rechnen, weil 's halt
einfach immer eine riesige Herde von Bundhaarigen war. und ähm - da bin ich z.B. auch
mit dem Vater von meinem mittleren Sohn zusammengekommen, bei so einem Treffen.
Da is' er nämlich irgendwie ausgerastet und ist dann bei einem Polizeiauto vorne auf die
Scheibe gesprungen und hat die Scheibe eingetreten und ich und ne Freundin hab'n ihn
dann weggeschleift durch die Büsche über ne Mauer, obwohl der ganze Park umstellt
war mit Polizei, sind wir trotzdem durchgekommen, weil se halt nich gedacht haben,
wir klettern über die Mauer, sondern wir kommen aus irgendeinem Ausgang. Wir haben
ihn dann schnell, weg, damit se ihn nich' erwischen und so sind wir zusammen
gekommen (Lacht). Ja -. Oder meinen jetzigen Freund, hab ich auch so bei den Punks
kennengelernt, also, damals war er noch Oi Skin, also Glatzkopf, aber nich rechts,
sondern neutral. Also unpolitisch. Und bin ich auch mit ner Freundin halt durch
Pforzheim gelaufen und, ach ne quatsch, im Zug nach Karlsruhe genau. Da bin ich
nämlich mit meinen Kindern zu meiner Mutter nach Karlsruh gefahren, weil ich abends
weggehen wollte und meine Mutter hatte gemeint sie passt auf meine Kinder auf und
ich wollt' se halt zu ihr bringen. Ja genau und dann in Pforzheim am Bahnhof standen
dann so ein paar Punker rum, ein paar Glatzköpfe ich hab halt ganz normal nach Feuer
gefragt und in der Bahn hab ich dann gefragt ob einer keine Fahrkarte hat, weil ich hab
ne Fahrkarte für fünf Personen, und wer keine hat kann bei mir mitfahren. Ist auch noch
ne Solidarität, die immer noch von früher ist. Das wird wahrscheinlich kein normaler
machen, denn ne Fahrkarte, also Platz noch drauf hat, zu den' hingehen so wie ich, so
was verbindet einfach. Man weiß genau, da hat bestimmt einer keine Fahrkarte. Ja und
dann hat halt mein Freund gemeint, äh ich hab keine. Dann hat er noch die Fahrkarte
mitgenommen und hab ihm noch meine Visitenkarte gegeben und die habn's dann
Abends dann irgendwie verloren und er hat halt total geflucht, weil er mich eigentlich
noch anrufen wollte und dann haben wir uns durch Zufall irgendwo in Pforzheim dann
wieder getroffen und ähm – habe. Genau da waren wir in dem Stadtpark von Pforzheim
und hab'n ewig gelabert und dann is' er Abends dann noch mit zu uns gegangen. Also
waren mehrere Leute, sind - also auch wieder so mit mehreren Leuten, die man in der
Stadt getroffen hat, dann nach, noch 'n bischen rumhängen und so. Da war er dann auch
dabei und das war dann auch, wie wir zusammengekommen sind, so hat sich das
ergeben.
J: Und wie wurde das organisiert, wenn da so Punkertreffen war, dass es alle
mitgekriegt hen. Gab es Flyer, oder?
I: Jap. Also 's wird teilweise so ins Internet gestellt, also fast immer eigentlich, auf
speziellen Punk Seiten, einfach so -. Also 's gibt z.B. so ne Community, also so 'n Chat
quasi mit ein paar Spezials, da kann man dann Konzerttermine nachkucken, dann eben
Veranstaltungen, wie Punkpicknicks oder Festivals, kann man alle Termine nachkucken.
Ein kleiner Flohmarkt ist drinn. Also, wo man sein Krempel loswerden kann oder auch
nach anderen Sachen so kucken kann. Stehen die ganzen Geburtstage von den
Mitgliedern drin und -. Was gibt 's dann noch? Ja so allgemein Neuheiten, die 's in der
Politik gibt werden da drin verkündet und da gibt es dann eben auch so 'was dann. Dann
und dann Punkpicknicks eben so und so, alle kommen Freibier (lacht) oder so. Ja und
damals aber als bei mir so aktuell wurde mit solchen Veranstaltungen, waren es
hauptsächlich nur Flugzettel. Die man irgendwie auf irgendwelchen Konzerten. Also
hauptsächlich Konzerten lagen die teilweise aus, oder wurden halt am Eingang verteilt,
oder am Ausgang. Und ähm - ja, 's war halt so üblich, dass man dann einfach so sich
wieder zusammengeschlossen hat, dann wieder als Gruppe wieder dahingefahren ist.
Also es is' echt, man unternimmt mit seinen Freunden in dem Punkt dann echt auf jeden
fall mehr, wie mit seiner Familie. Also ich bin alle zwei Wochen einmal zu meinen
Eltern gefahren, hab Geld abgeholt und bin wieder wieder weg - quasi. Zumindest in
der Punk Zeit. Zwischen durch war ich auch Grufti. Ja und Techno Freak war ich auch
zwischendurch. Aber nur zwei Jahre ungefähr und dann war ich wieder Punk und jetzt
geht 's bei mir eher so in die Richtung Seiko Hippie, Rock 'n Roll, so - ja -.
J: Das liegt dann hauptsächlich am Musikstiel so zu welcher Gruppe man gerade gehört,
oder?
I: Auf jeden Fall. Ich meine es gibt immer Ausnahmen, ich hab z.B. 'n Kumpel, der sitzt
jetzt grad im Gefängnis und der jetzt grad im Gefängnis mit dem hab ich jetzt seit zwei
Wochen durch nen dummen Zufall wieder Briefkontakt. Weil einer, der mit ihm
zusammen im Knast saß, war bei mir zum Tätowieren, den hat mein Bruder
angeschleppt, also ist auch wieder über zehn Ecken. Und der hat ge-, er hat mich
gefragt, ob ich den Muffei kenn und ich dann so, na klar, dann hat er mir so seine
Adresse gegeben ich hab halt mal geschrieben, weil jeder weiß, irgendwie im Knast ist
jeder froh über jeden Brief, den se kriegen, damit se überhaupt was zum lesen haben
und so. Und ähm -, der - früher war er immer so Punk mäßig, aber hat dann auch so
leichte Nazianwandlungen gehabt, also, was man bei uns halt Nazipunk halt bezeichnet.
Das ist einer, der hat überall so Hakenkreuze reingeritzt und Tätowiert und, ist aber
nicht wirklich so. Ich glaub den fasziniert es einfach bloß irgendwie und er kann es
nicht anders äußern, als zu Tätowieren. Ich mein, mich fasziniert das auch, ich hab jetzt
grad erst meinem Freund so ein Eisernes Kreuz gekauft, aber nicht weil ich damit
sympathisiere, sondern einfach, weil mich die Geschichte allgemein, weil 's einfach so
ähm -, ne derbe Geschichte ist , also so so dermaßen blutrünstig, ich meine ich kenne
viele, die fahren auch auf Horrorfilme ab nur, dass es halt real passiert ist und das ist das
hm- faszinierende eben. Und ähm - hört halt teilweise, also er hört halt auch teilweise
rechte Musik z.B. Aber halt auch Punk und deswegen da sind wieder so, der schmale
Grat, wo man halt eben nicht weiß, als was man ihn jetzt betiteln soll, und deswegen
halt 'ne Mischung Nazipunk. Genauso wie Gruftpunks, das sind auch Punks oder
Gruftis, die entweder Gruftimusik hören, es gibt immer so Mischungen. Und ähm- das,
was halt hauptsächlich auffällt oder was dazu führt in welche Gruppe man kommt ist
dann halt schon das Äußere. Was halt wiederum durch die Musik geprägt wird. Also ich
mein, ich hab noch nie 'n Punk gesehen, der Volkstümliche Musik hören. Also 's schließt
dann schon manche Musikrichtungen aus, eigentlich, wenn man sich da bewegt. Wobei
es sehr viele Punks gibt z.B., die Techno hören, aber das ist dann oft bei der Antifa oder
bei den Autonomen. Weil das sind ja auch wieder so, so extra Gruppen unter den Linken
oder unter den Bunthaarigen. Ach, so viele ich kann glaub ich den ganzen Tag erzählen,
wenn ich jetzt jede Gruppierung aufzählen würde. Ähm. Ja, wobei ich auch sagen muss,
ich bin auch schon öfters ins Fettnäpfchen gedappt. Also ich hab schon öfters Angst vor
irgendwelchen Glatzen gehabt obwohl sich dann später rausgestellt hat, dass es Ois
sind, also unpolitische, die sogar mit Punks rumhängen. Also bin echt schon, ach Gott
ne Glatze, um Häuserblocks außen rumgerannt, anstatt an ihm vorbei naja und später
saß ich dann neben ihm und hab mit ihm zusammen Bier getrunken. Aber, wobei, es ist
auch echt so, dass manche mit dem Aussehen spielen. Also, es ist oft so, dass z.B. also
früher gab 's ja diese Schuhbändelpolitik.
J: Ja, das hab ich mitbekommen.
I: Ja, z.B. weiße Schuhbändel is rechts, rote Schuhbändel is links, schwarze
Schuhbändel is entweder neutral oder autonom. Äh grüne waren glaub ich Oi oder
irgendwie so was ....
J: Oi?
Oi, ja das sind die Oi Glatzten - unpolitische Skinheads halt. Und ja die haben dann
später angefangen einen roten und einen weißen Schuhbändel zu tragen, also einen
Linken und einen Rechten. Einfach so, wo man dann dasteht - oh, was bist' denn jetzt.
So ungefähr. Und die meisten Punks tragen einen schwarzen und einen roten, was halt
auf den Kommunismus und halt das Autonome symbolisiert, also einfach ne Mischung
aus beidem, halt dann mit beiden Sympathisieren. Ähm. Oder dass es so viele Glatzen
gibt, allein die Tatsache, dass Menschen - es gibt da sogar linke Glatzen, dass die dann
genau so rumrennen wie die Nazis, also wie die Rechten, das ist in meinen Augen schon
- absolute Verwirrungsstrategie. Also dass entweder, dann die Glatzen, also die Nazis
vor einem stehen oder vor denen stehen und nicht wissen ob se zu denen gehören oder
in Wirklichkeit Verräter sind sozusagen. Und ja. Gut bei den Punks ist das nicht so, wer
wie ein Punk rumläuft ist auch meistens einer. Aber grad bei den Glatzen, kann man se
sehr schwer auseinanderhalten, wirklich. Ansonsten immer dreimal überlegen ob man
einen anspricht, weil man eben nie weiß ob 's jetzt 'n linker, ein Neutraler oder ein
Rechter ist. Das ist auch der Grund, warum ich nie zu der Szene gehört hab, einfach so
weil's mir zu riskant war an den Falschen zu geraten. Ich persönlich hab jetzt z.B. nie zu ner extremen Organisation gehört, oder so. Es gibt ja
die Antifa, dann die Autonomen an sich. Es gab ja dieses besetzt Haus in Karlsruh, die
Ecksteffi. Ganz früher war es die Steffi, die hab ich auch noch mitbekommen, als in der
Stefanien Straße, später war es dann das Haus in der Schwarzwaldstraße, wurd' aber
Ecksteffi genannt, damit jeder weiß um was für ein Haus es sich handelt. Und also ich
muss schon sagen, die haben ein sehr sehr interessantes Angebot da, weil se halt ähm -.
Ich meine Autonom sagt ja schon alles, selbstbestimmtes Leben führen. Da gibt 's 'n
Kino, da gibt 's 'n Café, die haben unten drin 'ne eigenen Disco, die machen Kampfsport
also tun so 'was wie Stockkämpfe anbieten. Teilweise machen sie sogar was mit
Kindern, also ähm, töpfern und ja so richtig, alles, was Handwerk, ja Handwerkliche
Sachen eben. Dann gibt 's da so was wie die Vokü, Volksküche. Du zahlst 'n Euro und
kannst dich satt essen. Also die kochen dann halt meistens Vegan oder Vegetarisch, weil
halt die meisten Autonomen sich tatsächlich Vegan sind, weil se eben der Meinung sind,
alles, was 'ne Mutter hat, das wird nicht gegessen, so ungefähr. Und ähm, auch nicht das
Produkt dieser Tiere, also Milch, Eier, Käse gibt 's gar nichts, also in diese Richtung.
Noch nicht mal Honig, weil es wird ja auch von Tieren produziert. Ja weil bei Milch
grundsätzlich sind se der Meinung die Milch gehört dem Kalb und nicht dem
Menschen. Oder beim Honig, Honig brauchen die ja für ihre Larven und nicht für den
Menschen und also es ist einfach nicht für uns bestimmt, quasi.
J: O.K.
Das übrige Interview als Zusammenfassung.
I: Erklärt Vegan, alles wird roh gegessen. Auch das Kind ohne Tier zu ernähren. Sie ist
kein Fleisch, aber hat nichts gegen Milch.
Sie hat eine Tochter und zwei Söhne. Manche Essen Fleisch, manche nicht. Ihr Freund
isst Fleisch und ein Kind mag überhaupt kein Gemüse, aber ihr ist es wichtig, dass sich
die Kinder gesund ernähren.
Sie hat sich verändert durch die Zeit auf der Straße. Sie ist vorsichtiger geworden, an
welche Leute man gerät. Sie hat nach eigenen Angaben viel Lebenserfahrung gewonnen
und gelernt die Leute richtig einzuschätzen. "Weil man ja irgendwie immer in Gefahr
ist. Weil man ungeschützt ist, ... , [kein] Rückzugspunkt, ... man ist wie Freiwild".
Außerdem spricht sie über die Junkies, von denen sie Abstandgenommen hat und das
Anjunken, also das unwillentliche Heroin Süchtig machen anderer durch Junkies.
Sie erzählt dann nach Angabe von anderen auch von der schönen Seite der Droge:
Warmes Gefühl, absolute Liebe, nur noch wohlfühlen ... Aber eben diejenigen sind
sofort süchtig.
Sie selbst hat viele Drogen in ihrer Jugend ausprobiert, aber nie Heroin genommen, da
sie in der Verwandtschaft Herointode kennt. Sie spricht von den spät Folgen von Drogen
und die Folgen während sie auf den Drogen war.
Sie trinkt kaum noch Alkohol 3-4 mal im Jahr und raucht etwa 4 Zigaretten am Tag
außer in Gesellschaft.
Sie wollte während der Schwangerschaft aufhören zu rauchen, hat es nicht geschafft,
aber danach konnte sie für ein Jahr aufhören. Heute hat sie die Sucht im Griff und
raucht halt ab und zu.
Über ihr Outfit, sagt sie über sich, dass sie nicht mehr auffällig rumläuft mit Ausnahmen
ihrer Tätowierungen, die sie zum Teil erst nach ihrer Zeit auf der Straße stammen.
Trotzdem wird sie immer noch von Rechten als Zecke in der Gegenwart der Kinder
beschimpft wird. Ihre Kinder wollen auch schon farbige Haare haben und
Tätowierungen und Piercings.
Erzählt dann, ab welchem Alter sie es ihren Kindern erlauben will.
Sie schneidet den Kindern selbst die Haare. Sie achtet dabei darauf, dass die Frisuren
nicht zu extrem sind, so dass die Kinder nicht ausgegrenzt werden.
Auf meine Frage hin, ob auch Kinder mit auf der Straße gelebt haben, meint sie, "bei
den Treffpunkten schon". Sie selbst hat am Anfang ihre Kinder auch mitgenommen, hat
es dann aber aus Angst vor dem Jugendamt bleiben lassen. Ein Polizist musste ihr mal
gesagt haben, dass es kein Ort für Kinder ist, sie hatte daran nicht gedacht. Dabei sieht
sie das Problem, dass die Kinder zum Alkohol verführt werden könnten. Bei ihr daheim,
darf keiner vor den Kindern Alkohol trinken und wenn ihr Freund betrunken kommt
schickt sie ihn wieder weg. Er darf nicht mal nach Alkohol riechen. Sie will damit
vermeiden, dass die Kinder Alkohol trinken als Normal empfinden. Bis jetzt sagen ihre
9 und 10 jährigen Kinder, dass sie nie Rauchen und Alkohol trinken wollen (ihr jüngstes
Kind ist 2 1/2?).
Bei Krankheit lieh man sich auf der Straße die Krankenversicherten Karten aus, da nicht
jeder über das Amt versichert war.
Sie hatte von 14-16 offiziell bei ihrem Vater gewohnt. Lebte aber zwischen 15 und 16
auf der Straße in Karlsruhe. Mit 16 konnte sie zum Amt gehen, dabei halfen ihr die
Streetworker. Mit dem Einverständnis der Eltern musste sie dann nicht mehr zu Hause
wohnen. Zumal das Jugendamt von ihr wusste, dass sie ständig von zu Hause
weggelaufen war, mit allen Tricks.
Mit 16 ist sie mal alleine nach Portugal getrampt. Einfach, weil sie was von der Welt
sehen wollt. Für sie war und ist es der absolute Kick allein unterwegs zu sein, zu
trampen.
Wobei sie positive und negative Erfahrungen gemacht hatte. So erzählt sie, dass sie mit
13 oder 14 beim Trampen mit ihrem Bruder von einem etwas zweideutig zum
Pizzaessen eingeladen wurde und sie dann die Tür aufgemacht hätte und mit ihrem
Bruder dann aus dem dann langsamer werdenden Wagen flohen.
Hier beendeten wir das Interview.
Nachdem wir noch kurz weitergeredet hatten bedankte ich mich und wir
verabschiedeten uns.
INTERVIEW 18
Ethnographisches Interview mit einer obdachlosen Person (07.05.2008)
Von: Eberhard Schuler
Für: Interkulturelle Studien
Dozent: Dr. Jürgen Schuster
--Wie sieht das Leben auf der Strasse aus? -Langweilig! die einzige Abwechslung ist, wenn es Geld vom Sozialamt gibt. Zum
ersten Mal mit der Strasse bin ich damit in Berührung gekommen während meiner
Militärzeit. In Stuttgart, hab ich so Leute getroffen, die auf der Strasse lebten und ich
schaute mir mal an wie das so ist. da muss man sich dann so Sachen mit anhören Einfach mal so ne Kontaktaufnahme.
-- Nach dem Wehrdienst ? -Nein, nein während dem. Sicher, sonst wäre ich ja nicht abgehauen. In diesen Tagen
da hab ich ungefähr mal so reingeschnuppert. Diese Leute überhaupt mal so...was
weiß ich? Das war gezwungener Maßen. Überlegen sie mal sie sind auf der Flucht.
Jetzt zum Beispiel vom Baras, von der MP, oder was weiß ich. Dann müssen sie sich
irgendwo aufhalten. Das können sie vielleicht ein paar Tage mal irgendwann. aber es
gibt in einem selber quasi irgendwie so einen Druck, wo man einfach sagt- Ich kann
ja auch da raus gehn und mich irgendwo auf die Wiese setzen und sagen: Der Tag
kommt, der Tag geht, ja was soll ich und so, was weiß ich ? - Aber man sucht in
gewissem Sinn mal ne Nähe. Einen Kontakt so Quasi zu der Menschheit falls es
sowas gibt. Ich bin jedenfalls ein Unmensch. Jedenfalls so ging das am Anfang. Ich
überspring das alles Mal. Ich wohn seit 1962 in L.. Mittlerweile kenn ich so quasi
jeden Arsch, wo sich hier bewegt hat. Mittlerweile nicht mehr.(G. Streitet sich
massiv mit einer Person die Auftaucht, beruhigt sich dann wieder) Also weiter, da
wird irgendwann, wissen se was ? Alle meine Freunde, so gesehen, obwohl ich nie
einen Freund hatte in meinem Leben. Mein Vater hat mal zu mir gesagt: G. in
deinem Leben wirst du nie nen Freund finden. Kumpel an jeder Straßenecke, Okay?
-- Ja: aber keine Freunde? -Nein, und irgendwie ist mir das hier auch in L.. Ich bin von der Weltanschauung
irgendwie so, als wäre irgendwie ein Trieb in mir. Einfach auszubrechen aus dieser
Gesell.äh , ned Gesellschaft. Auszubrechen und dann geht man einfach mal nach
Stuttgart, oder so, einfach nur ein Ortswechsel indem Sinn. Und dann bin ich einfach
nach Stuttgart rein. Erstens mal kuck ich gern Kino, dann bin ich ins Kino gegangen
und was weiß ich und dann kuckt man da auf der Straße und dann hängt da ne
Gruppe rum: Trinkt und macht und so, so Straßenkinder wie ich, oder was heißt
Kinder in dem Sinn? Schon Erwachsene. Also: Der Ablauf. Wie die Gesellschaft
einfach nicht funktioniert, wie sie funktionieren sollte, oder wie es denen quasi
eingeimpft wird. Oder was, wo nichts mit funktioniert. Zum guten Schluss sind wir
ja die, Ähm. Da hab ich mal nachgeschlagen im Duden: Was ist ein Asozialer? Der
Gesellschaft nicht angepasster Mensch. Na Ja, er funktioniert einfach nicht, das ist
ein asozialer nichts schlimmes. Wir müssen ja blöd sein, um nicht asozial zu sein. In
dem Sinn. Wo die Geschichte angefangen hat, so der Punkt, da hab ich da so gewisse
Leute, dass man mal reinkommt. Da hat schon gelangt: „Was kuckst den du so Blöd
?“ „Äh ich kuck doch, kann ich nicht mehr kucken, oder was weiß ich ?“ Allein
schon mal in den Kontakt zu kommen mit solchen Menschen. Und dann ist auch mal
irgendwie was fehl gelaufen. Dann hab ich mal einem geholfen. Zum Beispiel mal
dem langen P. was weiß ich oder so.
--Jemand von der Strasse? -Auch von der Strasse hat gewohnt in der H. Strasse. Ex-Besetztes Haus aufgekauft
von der evangelischen Gesellschaft. Auch zum guten Schluss mussten wir da alle
wohnen. Punker, Drogis, alles, alles durch die Wand: Alkoholis: Alles durch die
1
Wand: Da ist das hier ein harmloses Haus. Die ganze Barracke. Bin ich auch drinnen
gewesen: wissen sie, was da abging? Der absolute Punk. Wissen sie was Punk ist?
Das ist gar nichts. 2 Polizisten, wie hier ist gar nichts. Da ist ne Hundestaffel
gekommen und hat das Haus umstellt.
-- Und dann haben sie dem langen P. geholfen? -Zum Beispiel, das ich in Kontakt gekommen bin mit diesen Leuten. Da ist der Dings
her gekommen. Den kannte ich noch nicht, später habe ich ihn dann im Knast kennen
gelernt, und ging auf mich los. Dann ist aber der lange P. aufgestanden, von dem sie
auch alle Respekt hatten und hat gesagt: weißt du was : Lass die Pfoten vom langen
G. von L. Und ab da hab ich Platte gemacht in L.
-- Platte gemacht das heißt? -Schlafsack draußen auf der Strasse bei 15-20 Grad Minus. Und dann bin ich den
Leuten immer näher gekommen. Auch Leute, wo man sich selber Fragen tut: Wie
kommen sie auf die Strasse: Meinen Punkt kennen sie ja vielleicht: Ich weiß es ja
nicht, vielleicht haben sie auch gesucht. Wie kommen sie auf die Strasse?
-- Sie sind durch den Kontakt dann auf die Strasse gekommen? -Nein das stimmt nicht. Den Kontakt mit der Strasse hab ich wahrscheinlich selber
gesucht. Quasi um in der Gesellschaft einfach nicht mitzuspielen.
-- Wie alt waren sie da 18-20 ? -Weiter viel weiter. Gehn wir schon nen Schritt weiter. Wo ich angefangen hab den
Kontakt hier in die Welt abzubrechen, da war ich ungefähr 14, 15. Amnesty
International. Hat mich mal mein Lehrer H. mitgenommen. Da gings um
Ungerechtigkeiten auf dieser Welt. Folterung und des und des wies überhaupt
abgeht, wie die ganze Politik irgendwie abgezogen wird. Egal ich will kein Land
nennen oder irgend jemand diskriminieren, als Staat. Und als ich das alles so gehört
hab, da hab ich in diesem Alter angefangen Sozialbücher zu lesen. Wissen sie was
ich mal werden wollte? Sozialhelfer: In irgend einem Kinderheim, oder was weiß
ich? Sozialpädagogik zum Motivieren. oder so oder so. Ich könnte ihnen Bücher
sagen: Was weiß ich. Dann hab ich aber auch Bücher gelesen über
Konzentrationslager und des und des. Ich bin sowas von - geworden und irgendwann
hab ich gesagt: Ich möchte kein Mensch mehr sein. So blöd kann man doch gar nicht
sein. Dann hab ich gesagt basta. Das einzige was ich noch hab ist vielleicht ein
Mitgefühl für die Gesellschaft. (Es folgte eine massive Auseinandersetzung mit
einem Mitarbeiter des Sozialamtes). Das ganze System: es gibt in dem Sinn
überhaupt kein System. Wie kommt einer auf die Strasse, wie wird einer Penner, wie
wird einer was weiß ich so, gehen wir wieder vom asozialen aus, was ich gar nicht
mag ist das Wort. Die ganzen Menschen, die da draußen Leben haben auch in
gewisser Art eine Ideologie. Also quasi irgendwie ne Hoffnung oder Träume. Ohne
Traum gibt’s kein Leben gehn wir mal von dem aus.
-- Was wäre dein Traum? -Mein Traum. Ich wach jeden Morgen auf: Herr Vater im Himmel, Herr Jesus
Christus ich wünsch mir einen positiven Tag ohne Streitereien und Ärger. Der Ärger
kommt von alleine, aber den mach nicht ich. Den macht ihr da draußen, nicht ich. Ich
muß mich damit abfinden, falls ich es nicht tue muss ich mich besaufen, oder was
weiß ich. Oder irgendwann mal zurück schlagen bei der ganzen Geschichte. Ich kann
mir doch nicht alles gefallen lassen. Bis zu einem gewissen Punkt ja, das geb ich zu.
Und was, wo sind wir? In Stuttgart hab ich so viel Leute verrecken sehn an Aids, an
Drogen, Tabletten, was weiß ich. Alkohol egal oder Selbstmord egal. Mir braucht
niemand was sagen da draußen. Die Gesellschaft oder hier irgendwelche
Nachrichten, eine Merkel mittlerweile oder was weiß ich ein Kohl, der die ganze Zeit
an der Macht war, oder überhaupt auf so Schwachköpfe brauch ich doch gar nicht
2
hören. Die haben ihr Geld im Schlaf verdient. Könnt ich denen auch sagen, dem
Volk und sie anlügen nach Strich und Faden
-- Wie Alt warst du, als du in Kontakt mit der Strasse kamst 18-19? -20-21 Ja. Weiter.
-- Du bist nicht so begeistert von Ämtern. Wie siehts aus mit Polizei? -Gehört dazu zum Geschäft. Ich hab nichts gegen die Polizei in dem Sinn. Ich wollt
selber in meiner Jugend mal Polizist werden. Ich wollte sogar Berufssoldat werden.
Ich wollte alles. Aber bei der ganzen Geschichte ist eins Polizei und Polizei ist ein
großer Unterschied. Viele gehn zur Polizei um nicht arbeitslos zu werden. Viele gehn
zur Polizei oder zum Militär und da muss ich mir von so einem Wichser doch nicht
sagen lassen, wie ich mich beim Militär: stehen se mal stramm! Allein schon wo ich
als Ordonanz geschafft habe, wie ich das Bier hin zu stellen habe, oder was weiß ich.
-- Du hast gesagt: Freunde findest du da draußen keine Gibt es überhaupt keine? -Es gibt keine Freunde. Mein Vater in meiner Jugend hat schon gesagt- ich hab nie
nen Vater gehabt in meinem Leben. War mein Steifvater und ich hab mein Vater
nicht leiden können. In meiner Kindheit, ich bin unter der Decke und hab geheult.
Wenn er auch meine Mutter irgendwie so traktiert hat in seinem Suff. Wenn er
irgendwie aus der Kneipe kam: Papa lass doch die Mama in ruh. Ich hab gedacht:
Wegen mir könnt er verrecken. Und mein Vater auf irgend’ne weiße ist auch ein
armes Schwein gewesen. Das hab ich aber erst in meinen späteren Jahren irgendwie
erkannt. Wir waren acht Kinder, ernähr doch mal acht Kinder. Wer kriegt den des auf
die Reihe? Kein Arsch. Andere hätten da,-wärn abgehauen. Hätten sich gesagt: Leck
mich doch am Arsch. Hätten sich ne andere Frau gesucht, oder was weiß ich: ein
anderes Leben. Und da hab ich mein Vater irgendwann mal erkannt, was der
überhaupt gemeint hat. Auch mit den ganzen Weisheiten, was er mir gegeben hat.
Das ich reden kann, wem ich glauben kann. Glaub dir nicht mal selber!
-- Dann sind die anderen Kumpels, aber keine Freunde? -Lebewesen, sonst gar nichts. Soll ich Kreaturen sagen oder was? Man kann mich
auch irgendwie nötigen zu irgendeiner Aussage, die ich zu titulieren hab.
-- Nein überhaupt nicht du bist da völlig frei -Ich bin frei. Wann ist einer überhaupt? Bist du frei? Reden wir weiter von dem
Pennertum. Hab ich Leute kennengelernt. Der M. ein Berliner auch unten in
Stuttgart, selbst wo ich mich dann mal gefangen hatte, so für ein halbes Jahr, wenn
ich ne Freundin hab kennen gelernt, oder irgendwie ne Frau, wo ich gedacht hab:
Steig wieder ein ins Leben. Bin ich auch wieder arbeiten gegangen und des, hab ich
mir gedacht lass deine alten Kumpels so in dem Sinn, wo du auch gesoffen hast und
gefroren hast wo dir auch geholfen haben, wenn ich morgens ankam mit zitternden
Händen und so: „Ist dir kalt, oder brauchst nen Zitterschluck zum Trinken oder so?“
Die haben mir auch geholfen, und deshalb hab ich mir gesagt: Lass die nicht jetzt so,
in deinem Leben sein wie -. Vergess des nicht. Warst auch mal so. Die haben es
vielleicht nicht geschafft. Und ich hab Glück gehabt oder so? Was heißt Glück? Lass
sie einfach nicht im Stich, und ich hab sie nicht aus den Augen verloren. 2000 bin ich
weg aus Deutschland. Ich bin noch nach Stuttgart in die Leonhardskirche da wo die
immer zum Essen hin kommen. Gegenüber vom Breuninger.
--Und wo bist du dann hin aus Deutschland? -Nach Frankreich. In Zug grad reingegangen: und Tschüss. Fünf Jahre lang da
draußen gehaust wie ein Schwein. Auf der Strasse genauso. Da hab ich genauso das
gleiche Volk kennen gelernt. Ich spreche überhaupt kein Französisch, nur: Parlez
vous Francais? Ich versteh viel Französisch: Mich verarscht kein Arsch: Kein
Franzose. Kein Italiener, kein Spanier. In der Welt wird sich alles wiederholen.
--Das Essen gab es in dieser Kirche? -3
Das nur übern Winter manchmal.
-- Wie bist du sonst ans Essen gekommen, oder wie seit ihr ans Essen gekommen? -Evangelische Gesellschaft , die haben da ein Kantinenessen. Das gleiche Essen essen
auch die Angestellten. Das Essen damals noch zu DM Zeiten 2,50 DM.
-- Und das Geld? -Entweder hat der eine Mal grad seine. Ich hab ja nicht viel gekriegt. Teilweiße war
ich ja auch dreieinhalb Jahre auf der Flucht. Jetzt geh ich in ne andre Zeit zurück.
-- Auf der Flucht vom Militär? -Nein das war danach. Gehn wir hoch zum Essen: Was gibts denn ? Haben wir schon
den Speiseplan gesehn. War immer der Speiseplan da für die ganze Woche. Was
gibt’s denn zum Essen ? Des und des. Ach nee des Essen wir heute nicht! Da holen
wir uns lieber da unten beim Hertie. Da gabs immer ein halbes Hühnchen schon für
3,50. Mit Brötchen. Das ist teurer, aber ich ess doch kein Grießbrei oder was es an
dem Tag so gibt. Da gab es so ein Süßspeisetag. Die Kohle haben wir uns geschnorrt.
Haste mal ne Mark oder 50 Pf. übrig? Hast mal ne Mark oder 50 Pfennig übrig:
Entschuldigung guten Tag: Hast mal ne Mark oder 50 Pfennig übrig ? Das
funktioniert alles. Für was? Für des und des. Man wird auch von gewissen Leuten
angesprochen: Ja wie kommst du in so ne Situation? Für was brauchst du das Geld?
Sag ich: Zum Saufen. Ich bin Alkoholiker. Was iss? Komm mit: Der hat selber so
vielleicht mit seiner Alten, oder mit seiner Familie oder was weiß ich Stress. Der
nimmt dich noch mit in die Kneipe und gibt dir noch vier fünf Bier aus. Und gibt dir
noch nen Zehner oder nen Zwanziger und sagt: war ein schöner Tag, Danke das ich
mich mal aussprechen konnte. Oft kamen Leute und ich hab gedacht in der Zeit hab
ich doch schon zehnmal soviel gebettelt. Kam ne Frau so aus dem Leben raus, keine
Probleme gar nichts. Hat z.B. Probleme mit der Tochter. Und da hör ich dann zu und
sag: hoffentlich hört die mal auf zu reden. Das gibt’s ja gar nicht. In der Zeit hätt ich
ja schon zehnmal soviel gebettelt! Ich geb der dann auch was, ich hab immer jedem
was gegeben. Die ist quasi permanent in die Stadt reingekommen, um sich
auszuheulen. Bei Leuten, wo sie das Gefühl hat, das sie zuhören. Die hätte ja auch
zum Psychiater gehen können, dann hätt der auch gesagt: Jajaja und leck mich am
Arsch und hätt’s Geld eingestrichen. Quasi an die Kasse gestellt, oder was weiß ich.
-- Bist du sonst noch irgendwo in Deutschland durch die Gegend gereist? -Ich bin von Messe zu Messe. Nicht in ganz Deutschland. Auf Arbeitsdienst, nicht
jetzt bettelmäßig. Ich hab da manchmal so Schwerpunkte, wo ich einfach. Ich könnt
jetzt ganz laut sagen die Frauen haben einem immer das Genick gebrochen so quasi.
Erst mal schlag ich keine Frau. Unterhalten ist auch ne schwierige Sache, es kommt
immer drauf an wenn man ran kommt an Frau. Was sie will. Frauen machen einfach
alles kaputt. In meinen Augen. Frauen sind ganz nett und so wenn man sie im Bett
hat. Aber im Grunde genommen nicht wenn es drauf ankommt.
-- Die haben dich dann dazu gebracht, dass du ab und zu gearbeitet hast? -Vielleicht mit anderen Worten erklärt, aber. Ne Frau erwartet auch irgendwas. In
dem Sinn. Wo man einfach sagt: Deine Füße stinken, brauchst ja jeden Tag deine
Dusche oder was heißt jeden Tag, ist ja auch egal. Irgendwie das du clean bist
irgendwie attraktiv für die Frau. Du musst ja der Frau auch irgendwas bieten. Den
nächst besten hier Schnösel wo nen Porsche fährt, oder was? Hauptsache die Beine
breit gemacht. Ja also, Dann kommt man irgendwann mal wieder zurück. Und das
ganze was ich bei der ganzen Scheiße irgendwie markant finde, ist eigentlich, das ich
eigentlich immer nach L. Man kann in der ganzen Welt irgendwie zurecht kommen,
ich bin überall zurecht gekommen: Ein halbes Jahr in Corsica, ein halbes Jahr in
Spanien, ich hab eigentlich immer alles geschafft aber irgendwie hab ich immer
irgendwie gedacht ich such ein Zuhause: eigentlich war das Immer L. Wo ich quasi
4
groß geworden bin. Aus dem Kindergarten raus ja. Gehen wir von dem aus. Da war
ich in Frankreich. Mit nichts bin ich da angekommen, mit nichts! Gar nichts, nicht
mal nen Schlafsack. Da waren gerade die Filmfestspiele in Cannes. Da haben sie
noch so Teppichreste weggeschmissen, da hab ich mir so ein Stück Teppich
genommen, und hab mich drin eingerollt und hab ich am Strand gepennt und sowas
und hab vor mich hingezittert. Da war noch Frühjahr. Ne war schon Mai. Bis mal mir
einer geholfen hat und gesagt: Du, hier hast du ne Decke. Auch wo am Strand
gepennt hat auch Obdachlose in dem Sinn. Was heißt Obdachlose, kannst du nicht
sagen. Man muss ja nicht unbedingt Obdachlos sein in dem Sinn, dass man auf der
Strasse lebt, man kann ja auch irgendwie "anschauend" sein, je nach Jahreszeit
wechselt mal das Klima, wechseln mal die Länder, dass man einfach draußen ist
einfach Frei, so einfach der Gesellschaft, so unterstellt in dem Sinn. So abhängig
was weiß ich, einfach: man muss das Leben ja anfangen. Da bin ich raus, nach
Cannes rein, unweit vom T. sitzt da einer: E. zum guten Schluss war er froh, dass ich
überhaupt da war: Monsieur: Possible une Cigarett ? Non: Hau ab ! Ja ist ja gut :
Pardon ! Apres sitz ich am Peer unten. Ein Typ, lange Haare, hinten
zusammengebunden, durch die Mütze durch, Ein Zehn Pack Bier zu 0,25
Fläschchen. Also die kleinen Bierchen. Monsieur, possible une Bier ? Priorä, oder
Please oder Matin , oder Leck mich doch am Arsch. Näh geh Arbeiten! Hä ich
arbeiten? Dann hab ich meine Ruhe. Da konnte ich noch nicht einmal wissen, wer
das überhaupt ist. Es war der W. ein Deutscher, das hab ich später erfahren. Da saß
ich dann auch mit so einer Clique von der Strasse. Am MC Donald in Cannes. Bis
ich dann erst mal kapiert hab, was da überhaupt ablaufen tut. Wie man überhaupt
überleben tut auf der Strasse. In dem Sinn richtig knallhart überleben tut. In einem
Land mit einer Sprache die man quasi gar nicht kann. Je compried hä?
-- Wie läuft das dann ab? -Nichts ! Er hat ja gesagt, komm mal her. W. Kuchenzahn:hat nur noch einen Zahn
gehabt, 57 war er, wo ich ihn aus den Augen verloren hatte. Er hat am Hotel
Martinece geschlafen, hintendran. Geduld, Es ist es so das zweitgrösste Hotel, vom
Namen her in Cannes. Ich mach die Post hat er gesagt. Oben in Cannett. Dahin muss
man einen Kilometer laufen. Ich mach die Post von morgens 8 bis 12. Dann macht
die Post zu von 12 bis 1. Von 1 bis 5 kannst du die Post machen. Dann hab ich da die
Post gemacht. Immer, jeden Tag hoch. Und ich bin immer an seinem Hotel vorbei
gelaufen, weil ich oberhalb von dem Hotel geschlafen hab, Richtung Hilton hoch.
Zwischen den ganzen Promenaden. Wir waren richtig beschützt: Keine Überfälle,
nichts, gar nichts. Security Service, Polizei, alles Spalier mit Fahnen und was weiß
ich. Wunderschön. Wenn dann Bankett war in irgendeinem Hotel neben an oder so,
haben die mir sogar noch die Tafeln gebracht. Mit Kaviar und allem drauf und dran.
Ganz sauber gegangen. Morgens um 7 dann wieder raus auf die Strasse. Am W.
vorbei: W. komm in die Gänge. Post. Uhrzeit! ÖÖHH. Heute mach ich nicht meine
Post: kannst du meine Post machen. Hab ich gesagt: Ach, okay, dann mach ich deine
Post auch noch. Doppeltes Geld, heut mittag hab ich ja die Post gemacht. Dann hab
ich Geld bekommen so um den Dreh von hundert France. Die Leute waren schon
richtig froh, dass ich da gesessen bin. Und wenn ich die Post von W. gemacht hab,
dann sind die schon gekommen und haben gesagt: Was ist den mit dem wo morgens
die Post macht? Dann hab ich gesagt: malad! also dem geht’s heut ned gut. Ja und so
hat das so funktioniert. Und dann gibt’s auch Leute, wo da unten Sozialhilfe gekriegt
haben. Ihre Eremie. Und die haben innerhalb von ner Woche ihre Kohle versoffen ,
da hast du sie nicht gesehen, da sind sie in irgendwelchen Knaeipen gewesen und
haben einen auf Größus gemacht und zum guten Schluss kommt zu denen ein
Penner. Hast du mal ein Bier oder kann ich mal nen Schluck oder eine Zigarette , une
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Roll ? Scheisse. Da geh ich von einer Bar zur andern Bar und dann sag, wenn ich auf
dem Tisch schon die Zigaretten seh, sag ich: Possible une Cigarett? Monsieur, Cest
possible? Ja dann kriegt man halt ne Zigarette. Dann kommen se aber zu den Pennern
und tun noch die Penner ausnehmen. Und das sind dann Leute, wo quasi ein
Standbein haben auf irgend ne Art mir gegenüber. Und da wird man noch selber
ausgenommen. Da muss man sich durchsetzen, und dann gibt’s noch das ganze
Affenpack da unten, wies in Deutschland zum Beispiel die Türken gibt. Sind das da
die Araber. Algier hauptsächlich. Ne totale Pest. Entweder die haben sowieso alles
unter und klauen wie die Raben. Da siehst du schon morgens die alten Männer
teilweise rumlaufen. Um 5-6 Uhr . Dann denk ich mir: Was macht der? Der muss
doch ein Zuhause haben. Der schläft doch nicht auf der Strasse. Der schläft auch
nicht da. Die schleichen schon am Morgen rum und gucken, wo sie klauen können.
Da muss man immer aufpassen und sich quasi durchsetzen. Und durch die Öffnung
der des europäischen Daseins: Union, oder, was man alles so in Schutz nimmt.
Merkel Schlampe. Sind die ganzen Polaken reingekommen, die ganzen Russen, und
so. Und die wo sowieso schon da waren. Rumänen Albaner und was Ziegeunerpack.
Auf die muss man auch noch Rücksicht nehmen. die ganze Welt ist
--Wurdest du auch überfallen, und von wem? -Garantie, Garantie Messer an die Kehle: Klatsch. Rattenpack, nicht vom eigenen
Gesindel. Drogenheinis, was weiß ich so. Abhängige von Drogen, oder was weiß ich
oder so. zehnmal schlimmer, wie hier. Gibt es auch in Deutschland, klar. Die
beklauen ihre besten. Quasi. man kann sich auch in so einer Gruppe bewegen. Aber
man wird nie auf den Gedanken kommen dass dir so was passieren könnte, oder dass
das einer machen könnte. Das passiert dir hier genauso. Wie ich gesagt hab, wo ich
in der H. Strasse gewohnt hab. Rauben sie dich aus nach Strich und Faden oder
beklauen den einen oder beklauen den andern. Wenn du eins zuviel gesoffen hast,
oder vielleicht einen Druck zuviel hast. Die nehmen dich am Wickel, dann wirst du
ausgenommen. Die treten dich auch noch, wenn’s sein muss. Obwohl er es gar nicht
will, weil er es alles nur aus seiner Sucht heraus macht.
-- Wie sieht’s aus mit Platte machen: wie und wo findet man einen Platz? -Einen Platz gibt’s überall. Wenn du dich hier unten auf die Wiese legst. Pass auf: In
einen Park was nicht abgeschlossen ist oder so. Gibt’s auch ne Bank. Kann dann
sein, dass mitten in der Nacht die Pole. Die Polizei auftaucht und so. Sagt:
Ausweißkontrolle: Was machen sie? Ausweißkontrolle! Was machen sie hier und so:
was weiß ich und so, dann sagst du: Ich bin gerade auf der Durchreise, oder was
weiß ich. Ich hab nichts zum schlafen gefunden oder was weiß ich oder so. Dann
sagen die okay, wenn se Glück haben. Kommt dann noch drauf an in welchem
Zustand des Tages sie sind. Vielleicht haben sie ein zuviel gesoffen, dann kann ja
sein du landest noch in der Ausnüchterungszelle, oder was weiß ich. Weil du keine
richtigen Angaben machen kannst oder was weiß ich oder so. Falls du gesucht wirst,
bist du sowieso im Eimer.
-- Von der Kirche in Stuttgart hast du erzählt, was hälst du sonst von Kirchen? -An den Kirchen hocken schon die ganzen Zigeuner. Frauen mit dem Baby in der
Hand, obwohl das Baby schon drei vier Jahre alt ist. Bäääh bäääh. Die hängen die
Brust noch raus und hängen das Baby mit drei vier Jahren noch an die Brust und was
weiß ich. In Italien und hinten 50 Meter weiter stehen die Männer und wo das alles
kontrollieren alles so quasi ne Machenschaft. Kriminelle, kriminelle Bettlerei ist das
in meinen Augen. Wenn jetzt die Filmfestspiele in Cannes sind, da kommen die in
Scharen runter und betteln an jeder Stelle: Entweder spielen sie Geige und können
nicht mal Geige Spielen oder machen was weiß ich hä? Oder verkaufen irgendeinen
Kram. Es gibt auch einige Künstler unter denen, wo Pantomime machen oder des
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oder des oder des oder irgendwie so. Wo einfach ihr Geld quasi mit ihrer Kunst
verdienen. Aber nicht hier mit Waffen. Da sind die-? Auf mich zugekommen in
Italien oder was weiß ich oder so. Erst sind sie zum J. gekommen haben gesagt: Süüt:
Mach nen Abflug! Und vor allem wir waren ja schon vorher da und haben gebettelt.
Da kommen die da her, so richtig professionell, stellen ihren Stuhl da hin, ihren
Klappstuhl: zack, holen ihr Kind mit drei Jahren raus und huhuhuhbuhu. Da sag ich
zum J. noch: was machen wir jetzt? Hä bleib mal sitzen machen wir erst mal: Ruhe
bewahren. Auf einmal kommen die Typen, zwei Typen gleich , Zigeuner, Rumänen,
Albaner, oder so oder nicht mal Zigeuner, so in der Richtung das sind alles sowieso
Zigeuner. Wir sollen hier nen Abflug machen: Nö : der J. sagt nein! ich sag nein!
Und dann sind die Leute gekommen, wo Geld geben wollten. Und wussten aber nicht
mehr: Soll ich da der Frau mit dem Kind da das geben, oder hier uns armen Pennern?
So quasi auch so auf der Strasse lebende Menschen. Da ging das so ne weile und
dann haben wir einfach gesagt: Weißt du was wir jetzt machen? Du gehst jetzt
fünfzig Meter in die Richtung, und ich geh fünfzig Meter in die Richtung und dann
haben wir sie in der Zwickmühle. Weil die Leute kommen. Dann hängt die in der
Mitte, und dann hat sie gar nichts.
-- Seit ihr dann zu zweit gereist, der J., oder hast du ihn unten kennen gelernt ? -Der J. war: den hab ich da unten kennen gelernt. Der hat mich kennen gelernt. Den
hab ich mal in Marseille getroffen. Am Bahnhof, hat er mich angeschnorrt, hab ich
ihm noch so ne halb dreiviertel Flasche Wein gegeben, hab ihm gesagt: komm, ich
geh Richtung Cannes und auf einmal Stand er in Cannes vor mir. So ein halbes
dreiviertel Jahr später. Ich hab ihn zuerst gar nicht erkannt. Da hat er gesagt: Hey,
Hallo! Ich kuck ihn an so Was. Weißt nicht mehr? Marseille!
-- Das heißt man trifft sich da immer wieder? oder? -Jein Ja. Den hab ich zweimal getroffen. Das war’s erste mal da bin ich mit ihm
losgezogen. Bis nach Rom runter und dahinter rum Richtung Neapel waren wir
schon. Da hab ich mich mit Ihm verstritten. War total 20 Jahre Knast wegen Mord
und was weiß ich. Von oben bis unten tätowiert. Ausgesehen wie was weiß ich, da
hat er dann auch immer damit angegeben und was weiß ich. Jedenfalls hat der mir
aber auch gezeigt, wie ich ungefähr lang gehen könnte. Auf der Welt.
-- Kirchliche Einrichtungen hast du gesagt, da gab’s da wo man Essen konnte? -Zehnmal besser wie in Deutschland. Hier in Deutschland gibt’s die Tafel. Bezahlen!
Das haben die sowieso geschenkt gekriegt von irgendwelchen Einkaufsläden. So
kurz vorm Ablauf oder schon abgelaufen. Ich hab von denen schon gekriegt das hab
ich denen mal erzählt wo sie mir hier drei Gutscheine geben wollten. Hab ich hier
vegitieren lassen, vegitieren da bei war das garnicht meine Schuld, das war deren
eigene Blödheit dass sie mir mein Geld gestrichen haben: für eineinhalb Monate.
Haben die Quasi im Dreck liegen lassen, das interessiert die da oben gar nicht.
-- Sonst Kirche, Pfarrer kannst du mir dazu noch was sagen, was du davon hältst? -Eigentlich gut. keine schlechte Erfahrungen. Oben in Cannes hab ich ne Zeit einmal
ein Jahr lang an der Kirche geschlafen. Keine schlechten Erfahrungen, außer wenn
die Jugendlichen kommen. Wo da oben dann ihre Joints rauchen und hier rumsaufen
und Saufgelage und hier was sonst noch machen. Das sind auch Leute quasi. Warum
bekiffen die sich, warum besaufen die sich? Die haben doch auch irgendwie die
Schnauze von der Gesellschaft voll oder? Aber doch nicht auf meine Kosten Hä ?
Dann sollen sie doch irgendwie hier irgend ein Politiker auf die Fresse hauen aber
doch nicht mir. Oder ihrem Bürgermeister, oder was weiß ich oder so, aber doch
nicht mir. Was hab ich damit zu tun ? Gar nichts. Ich brauch keine Flasche an Kopf.
-- Wie sieht das aus wenn du mal krank warst oder krank bist? --
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Die ersten drei Jahre gar nichts. Wo ich in Frankreich war. Bis ich mal bekommen
habe Sozialhilfe in Frankreich hab ich bekommen Eremie. Da musst ich hier aber
alles durchgeben. Da hat mir die Streetworkerin Mademoiselle M. hat mir ganz arg
geholfen in Cannes.
--Und wie ist es hier in Deutschland, jetzt ? -Asozial. Hier gehen wir wieder auf die Tafel zurück. Bezahlst du noch und wenn du
nichts zu fressen hast, kriegst du nen Gutschein hier oben von der Kasse her, vom
Rathaus: hier haben sie nen Gutschein für 2,50 können sie bei der Tafel einkaufen
gehn. Dann krieg ich den letzten Rotz. Da frägt dich aber auch keiner ob du mal
vielleicht ein Schampoo brauchst, das kriegst du da gar nicht. Ob du mal dies oder
das brauchst: ein Rasierapparat, oder irgendwas. Dich frägt keiner und dann mußt du
hier irgend so nen Joghurtbecher fressen, von denen, was sie grad hier an der Tafel
anbieten tut. Du bist quasi ausgeliefert vom Amt. Und wenn du daherkommst was
weiß ich unrasiert dann kucken sie dich noch blöd an: Kuck mal dieser Penner!
-- Hast du hier in Deutschland die Möglichkeit zum Arzt zu gehen? -Gar nichts. Mir ham sie hier mein Geld gesperrt. Wo ich dieses Jahr fast zwei
Monate wieder in Frankreich unten war. Und ich hab denen alles dargeliefert:
Arbeiten kann ich gar nicht. In keiner weiße. Aber ich kann denen auch jedesmal ne
Krankmeldung vorbeibringen. Um mich abzusichern. Das wissen die aber auch: Das
ist alles - nicht mal ne Anmasung in dem Sinne. Das ist Nötigung. Die nötigen dich
einfach. Wenn du nicht mitspielst, hast du ausgespielt. So ungefähr. Kontoauszüge.
Da bin ich auf die Post gegangen und dann sagst du: Ich brauch die und die
Kontoauszüge. Selbst der Beamte an der Post sagt noch das ist doch dargestellt. Aber
beim Kontoauszug haben quasi 12 Tage gefehlt. Da sagen die: Wir können ihnen ja
drei Gutscheine geben: Hier bei der Tafel können sie einkaufen. Dann sag ich weißt
du was? Das muss ich nacher sowieso zurückbezahlen. Das zeihen die mir nachher
wieder ab. Nichts: ein Dreck: Die hätten mich verrecken lassen. Dann hab ich ihnen
gesagt: Weißt du was: Es wird schon wieder grün da draußen, ich kann auch Gras
fressen gell. So etwa. So kommen die einem entgegen. Und die Maßen sich was an.
Haben sie Termine? Habe ich gesagt: wir können uns zwischen Tür und Angel
unterhalten. Nein, da wird man so genötigt! Die würden ein Verrecken lassen. Wenn
ich nicht den und den kennen würde, wär ich quasi verhungert.
-- Und wenn du krank bist, kannst du dann einfach zum Arzt gehen? -Nein, hab ich doch gefragt da oben. Hier, wo du ne Nummer ziehen musste. Da war
ich dann nicht bei meiner Sachbearbeiterin, sondern bei einem Mann. Hat der auch
gleich Zugriff in seinen Computer und kann sich ungefähr ein Bild drauß machen,
was da mit mir abgelaufen ist. Dann sag ich so und so. Bei so Sachen muss man
doch ruhig sein. Zum guten Schluss wird man noch was weiß ich da, was weiß ich.
-- Und du kannst nicht einfach zum Arzt gehen? -Hab ich ihn gefragt. Bin ich jetzt versichert, ja oder nein? Dann sagt der : praktisch
nein theoretisch ja. Weil ich hab nämlich zu ihm gesagt: im Falle eines Falles! Ich
muss ins Krankenhaus und passiert mit mir irgendwas, was ist dann? wer bezahlt die
ganze Scheiße? Ja dann, ja dann, dann kommen sie da irgendwie wieder in deine
Richtung, also quasi, das würde dann schon funktionieren. Aber im Moment war ich
quasi einen Monat nicht versichert. Im nachhinein haben die mich nachversichert,
dass haben sie dann nachbezahlt. Wo ich jetzt meine Belege gekriegt hab. Aber in
dem Moment, wo ich das Schreiben nicht hatte, was da vorne liegt, bin ich nicht
versichert. erst dann wenn der letzte Kontoauszug. Und da bin ich noch auf die Post,
hab von meiner letzten Kohle noch 8,50 bezahlt, für die Kontoauszüge. Dabei war
das alles da. Alles eine Bürokratie und dass die einfach über mir stehen wollen.
-- Sie sehen es als Schikane? -8
Nennen wir es so. Das ist doch eine Schweinerei hoch zehn. Da brauch ich doch
nicht studiert haben oder irgendwas oder irgendeinen Beruf haben. Die haben doch
bloß Formulare und ihre Anweisungen von oben: Die Leute klein halten: Wir müssen
sparen und sparen? Und draußen: nen Mercedes fahren? So funktioniert die
Gesellschaft. Und wenn man da nicht mitspielen tut, wie die Uhr, dann läuft sie nicht
mehr gell ? Oder du läufst nicht mehr, oder du tickst nicht mehr? Dann ist nämlich:
Ja ja, dann ist aus und vorbei.
-- Wie ist es mit den so genannten Kumpels, die auch auf der Strasse gelebt haben? -Auf die kannst du dich noch eher verlassen, wie hier auf irgendjemand außen. Und
bist fit drin, während du sowieso betrogen wirst. In Cannes haben wir uns jeden
Morgen getroffen. Oder man ist betteln gegangen und hat gesagt ich komm dann.
Dann sehn wir uns später oder so. Und wenn schlecht Wetter war und es zwei drei
Tage geregnet hat ist man halt so an der Toilette unten in Cannes gestanden und hat
so halt vor sich hin gelullt und sich so verständigt, ist ja nicht, dass da nur
Französisch gesprochen wird. Auch Englisch und was weiß ich welche Sprache. Ich
kann da schon überall mithalten. Straßenleben halt. Ich versteh viele Sprachen, ich
hab mich in Spanien auch rumgeschlagen ohne Sprache. So quasi ohne: hablo
Espaniol. Non non. Ich kapier schon, wenn ich was will, das krieg ich. Cervezs?
Cerveza ! Vino Rosso, oder Vino Blanco, oder was weiß ich oder so Rose ? Une
Baguett? Une Baguett! How are you kein Französisch ! Leg doch alles auf den
Tisch! Mir ist es wichtig: Es gibt nur ein Spiel! Welche Sprach interessiert nicht.
-- Die Leute auf der Strasse, die verstehen sich, egal welcher Sprache sie sind? -Eher. Nee äh das es Schweine auch unter denen gibt, dass ist klar. Aber bevor ich
mich da draußen auf ne normale Person, wo sich hier quasi eingegliedert hat oder so
irgendwie verlassen würde, würd ich mich lieber so auf eine so von der Strasse,
wenn ich ihn also näher kennen würde. Also nicht jetzt so gleich so. Würd ich noch
sagen: weißt du was dann traust du lieber dem W. ein guter Kumpel damals. Und er
hat mich auch eingewiesen so ins Leben, oder wie es so alles abzugehen hat oder was
weiß ich oder so da unten in Cannes. Lieber trau ich dem, bevor ich so einem
Arschloch da trau.
-- Was wurde aus den Leuten mit denen du unterwegs warst? -Weiß ich nicht. Den einen hab ich zweimal getroffen. Dann hab ich ihn in Arsch
getreten. weil er mich blöd angemacht hat. Das war in Italien. Da hab ich ihm mal in
Arsch getreten. Am nächsten Morgen haben wir uns wieder vertragen. Hab ihm aber
gesagt: Du mach das nicht nochmal. weil das ist ein Typ, da schläfst du ne Nacht,
drehst du dich unabsichtlich rum, der schneidet dir auch den Hals durch. Also musst
immer aufpassen. Quasi wenn du mit dem Streit hast, oder mit solchen Leuten Streit
hast musst du immer aufpassen, dass du immer ein Auge offen hast.
-- Gab es irgendwelche Feste und Veranstaltungen? -Es gab auch viele Straßenmusiker. Dann hockst du dich einfach auch hin. Und selbst,
ich als Bettler, wenn mir das gefallen hat, hab denen auch noch was gegeben. Ein
Euro oder so, was weiß ich. Hab ich einfach gedacht. Respekt! Hab ich auch was
geschenkt gekriegt? Wollen doch auch leben? Aber Schnorren bei Veranstaltungen:
mach ich nicht. Nein. Ich hab ungefähr drei Schnorrstellen gehabt. z. B. in Cannes.
Einfach früher die Post. Dann hab ich den W. aus den Augen verloren, dann bin ich
in die Schweiz. da war ich da kurz mal in der Schweiz. 14 Tage nur. Und sehr gut
gelaufen die Schweiz. Sehr spendabel. Aber erst mal reinkommen in die Schweiz
gell ? Da kam ich nämlich von Mühlhausen her, hab den Zug noch bezahlt, nach
Basel. Schweiz, Basel: Kontrolle zufällig am Bahnhof. Passportkontrolle, na.
Passport: Haben sie Geld dabei? Haben sie Geld oder bä bä bä?. Sag ich ihnen: Nein!
Dann sind sie in der Schweiz auch nicht willkommen! Dann haben sie mich gerade
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in Zug reingerufen nach Mühlhausen wieder zurückgeschickt. Umsonst! Dann war
ich in Mühlhausen, dann bin ich wieder zurückgefahren, dann war keine
Passportkontrolle mehr. Dann war ich schon in der Schweiz. War ich in Basel und
bin Richtung Bern, was weiß ich, Zürich Bern was weiß ich! Hoch auf den Genfer
See und dann hab ich das Land wieder verlassen. In 14 Tagen und hab gutes Geld
gemacht. Ich bin in Cannes angekommen und hab die ganzen Taschen voller Kohle
gehabt. Und auch gute Einsteigs, wo man so quasi mal Duschen gehen kann und mal
warm Essen kann oder so. Auch so Sozialstationen. Gehen se mal hier in L. und äh.
Kommen von draußen. Was würden sie dann machen? Gehn wir aufs Rathaus.
Haben wir in Spanien auch gemacht. Haben wir auch gekriegt. Einen Gutschein. In
Maria Mortia mal. Da war ich auch mit einem Österreicher unterwegs, den hab ich
unterwegs auch kennen gelernt. Soll mir blöd kommen. Ein Gutschein, kannst du
einlösen. Nicht jedes Restaurant nimmt es an aber: Dann kriegst du ein schönes
Baguett: belegt, ne Fanta und nen Apfel, oder ne Apfelsine. Und Tschüss, kommen
sie morgen aber nicht wieder, gell? So ungefähr . Einfach nur so Durchreisevesper.
Machen sie das gleiche in L.: Hier haben sie nen Gutschein für die Tafel. Der weiß ja
nichtmal wo die Tafel ist. Können sie mir noch ne Landkarte geben, oder was weiß
ich, oder so, oder ne Statdkarte? Und dann tun sie noch einen auf Sozial gell. Die
Zeiten sind vorbei.
-- Das heißt es war früher besser, oder? -Garantie! Ich weiß nicht, wo die anfangen zu sparen. Ich glaub an ihrem eigenen
Geldbeutel. Die Beamten, dabei ist das ja ihr Geld gar nicht, oder? Ja so kommt mir
das vor: sie haben ihre Instruktionen, ihre Anweisungen ihre Schulungen,
mittlerweile. Die wissen doch schon wo gar nicht mehr, was Sache ist.
-- Das heißt die Leute sind nie die gleichen geblieben mit denen du unterwegs warst,
oder gelebt hast? -Also gehn wir von dem aus: Ich kenn hier Leute: den Herrn W. auf der anderen
anderen Kontainerseite. Der Mensch ist geboren in meiner Stadt. Bad R. im
Flüchtlingslager. Meine Eltern sind mit der Familie so quasi immer gewandert. Und
so kennt man halt so Familien und der Rest da draußen, geht mir am Arsch vorbei.
Was sich früher Freunde genannt habe, für denen ich mal meinen Kopf hingehalten
habe, wenn sie mal Streit in Diskotheken und Kneipen anfingen! Weil sie sich auf
meine Kraft, oder irgend auf mich als Kumpel verlassen haben, hä? Ne große Klappe
und zum guten Schluss hab ich den Dreck weg gekriegt hä? Bin in Teufelsküche
gekommen auf gut deutsch gesagt. Und heute hilft da einer? kuckt einer nach mir,
hat mir einer zu meinem 50. Geburtstag gratuliert, oder irgendwas? Da gibt’s
vielleicht einen. Der A. in der Sch. hat mir gratuliert. Aber ich war nicht da: Meinen
50 Geburtstag hab ich ganz allein in Frankreich gefeiert. Gar nicht gefeiert. Dem
Doug aus Südafrika hab ich noch ne Flasche Pastise bezahlt: Anisschnaps. Und
Verreckt ist er, nach 14 Tagen verreckt na und ?
--Sind viele gestorben? -Viele, viele, viele, viele. Die sind an allem möglichen gestorben. Aids, Sida , Sida ist
Aids im Französischen, ist egal, Drogen, Selbstmord, egal und Alkohol sowieso.
Aber mich lässt das kalt. Ich bin auch schon an der Brücke gestanden und hab
gedacht: Spring runter! Da war aber auch kein Wasser unten.
-- Und was hat dich zurückgehalten? -Nichts! Gott, der hat gesagt: Du bist noch nicht so weit. Deine Prüfung kommt noch.
-- Die kam schon, oder die kommt noch? -Die kommt noch: Wer weiß vielleicht ist sie schon da? Keine Ahnung!
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INTERVIEW 19
Interview mit Bettler in der Fußgängerzone in Esslingen von Andreas Sic.
Tag des Interviews: Mittwoch den 07.05.08.
Vorwort
In der Fußgängerzone von Esslingen sah ich einen bettelnden Mann auf einer Decke
sitzen. Vor ihm lag ein kleiner Hund. Der Mann hielt ein Schild auf dem stand: „Ich
trinke keinen Alkohol und nehme keine Drogen. Geld für Familie sparen. Danke!!“
Ich sprach ihn an und erklärte ihm mein Anliegen. Er erklärte sich bereit für das
Interview und die Aufnahme des Selbigen, betont aber, dass er nur sehr wenig
deutsch kann. Ich möchte es trotzdem versuchen.
Problem bei diesem Interview war, dass er oft meine Fragen falsch verstand und des
Öfteren nicht wirklich beantwortete. Dadurch bekam ich jedoch andere
Informationen über sein Leben heraus. Viele Antworten verstand ich erst bei der
Transkription Zuhause richtig, was sich auch auf meine Fragen auswirkte. Deshalb
wirkt das Interview manchmal etwas durcheinander.
Interview
Andreas: So! Also ich würde gerne wissen, was sie so über den Tag machen? Wie
sieht ein Tag bei ihnen aus?
Informant: Ja, ganze Tag... (zeigt mit den Händen auf den Boden)
Andreas: ... sitzen sie hier den ganzen Tag?
Informant: Klar! Muss für Familie sparen.
Andreas: Wie groß ist ihre Familie?
Informant: Nix große, kleine eine Mädchen hab ich schon ein Jahre. Alles was hier,
sparen für meine Mädchen und Familien.
Andreas: Damit sie in die Schule gehen können?
Informant: Ja, ja ich vier Jahre Schule. Koch, spezial Koch und keine Arbeit hab
keine Nachhause. Alles scheiße ist Sozialhilfen. Slowakai 60 Euro ein
Monat...
Andreas: Oh!
Informant: ...nix bezahlen Sozialhilfemittel nix bezahlen keine. Ich muss alleine
bezahlen Miete und Wasser, Gas, Strom auch.
Andreas: Aha!
Informant: Slowakei nix gut leben. Hier schön.
Andreas: Hier ist besser?
Informant: Ja, ja hier besser.
1 INT19 - Seite 1
Andreas: Und ähm wie viel bekommen sie durch so betteln am Tag?
Informant: Ungefähr 25 - 30 Euro
Andreas: Aha!
Informant: Ich will Auto schlafen. Wohnung keine. (Diesen Satz verstand ich
während dem Interview nicht).
Andreas: Und ihre Familie ist noch in der Slowakei?
Informant: In Slowakei. Nachhause. Ja.
Andreas: Ja? Und wo wohnen sie? (Eigentlich Frage nach seinem Wohnort hier in
Deutschland).
Informant: Mbruschinitz (nicht richtig verstanden. Ein Ort in der Slowakai)
Andreas: In einem Haus?
Informant: (Schaut als hätte er mich nicht verstanden)
Andreas: Wo wohnen sie? In welchem Haus?
Informant: Miete, Miete. Ähm (sucht nach dem richtigen Wort) Untermiete.
Andreas: In so einem Asylantenheim?
Informant: Ja.
Andreas: Ok. Ähm und seit wann sind sie hier in Deutschland?
Informant: Ich? Ungefähr zwei Monate.
Andreas: Zwei Monate?
Informant: Ja.
Andreas: Ok. Haben sie auch Freunde hier schon?
Informant: Äh, ja ja für mich kennen hier viele Leute.
Andreas: Helfen die ihnen auch?
Informant: Nein.
Andreas: Wenig? Sind die Freunde auch so wie sie unterwegs?
Informant: Mh, nix helfen.
2 INT19 - Seite 2
Andreas: Nix helfen?
Informant: Ich immer fragen für Arbeit, für Wohnung oder für Miete, aber kein
Chance. Bringt nix deutsch. Slowakei hier keine Anmeldung. Vielleicht
schon hier Anmeldung oder hab schon Arbeit (Ich schätze, dass er gefragt
wird ob er in Deutschland angemeldet ist oder schon mal gearbeitet hat).
Andreas: Haben sie Arbeit?
Informant: Äh, keine Anmeldung hier nach deutsch.
Andreas: Ach so! Bekommen sie auch keine Anmeldung hier in Deutschland?
Informant: Keine. Jonny, Jonny semboid! (Informant ruft und pfeift nach seinem
Hund, der gerade davonläuft und sich mit den Leuten auf der anderen
Seite der Fußgängerzone beschäftigt. Der Informant fühlt sich sichtbar
unsicher, da er mein Interview, das aufgenommen wird nicht durch so
einen Zwischenfall abbrechen möchte).
Andreas: Machen sie ruhig wie sie es...
Informant: (lässt den Hund einfach machen und möchte das Gespräch fortführen).
Informant: Du, deine Schule... was?
Andreas: Ich studiere Theologie...
Informant: Ja
Andreas: ...und da geht es darum, dass wir versuchen solche Menschen wie sie zu
verstehen, ihre Lebenswelt zu verstehen...
Informant: (pfeift wieder nach seinem Hund und ruft semboid, was wahrscheinlich
„komm her“ oder so bedeutet) warte bissle...
Andreas: Wollen sie ihn (den Hund) holen? Ja, ok! (Er geht auf die andere
Straßenseite und holt den Hund, dann fahren wir mit dem Interview fort)
Andreas: Was haben sie für Lebensträume?
Informant: (versteht nicht) Ähm Träume? Was ist...?
Andreas: Von was träumen sie? Ähm, was ist ihr Lebensziel?
Informant: (wirkt unsicher, denkt nach und schaut mich fragend an) Was ist...?
Andreas: (Ich versuche es in anderen Worten) Wenn ich ihnen einen Wunsch
erfüllen könnte, was würden sie dann...?
3 INT19 - Seite 3
Informant: Hier?
Andreas: Ja.
Informant: Schöne Wohnung, schöne Miete, das ist alles!! ...Meine Familie kommen
hier nach Deutsch. Alles gute, alles schön. Man jetzt hier Miete,
Wohnung und ich hab schon Arbeit. Alles gute!
Andreas: Aha.
Informant: Meine Leben diese hier nach deutsch eine schön Wohnung oder Miete.
Egal!
Andreas: Hier in Esslingen?
Informant: Ja, ja...
Andreas: Oder egal?
Informant: Egal! Und auch Untermiete. Egal!
Andreas: Sie haben Koch gelernt?
Informant: Ja.
Andreas: In der Slowakei?
Informant: Ja... (Es folgt eine längere Pause) ...vier Jahre Schule Spezialkoch.
(Informant beginnt mit den Fingern aufzuzählen) Ich kennen ungarische
Koch, slowakei-koch, Tschechei, deutsch und französisch.
Andreas: Ok!
Informant: Und China auch (Dem Informanten huscht ein Lächeln über das Gesicht.
Er scheint stolz darauf zu sein).
Andreas: ...können sie kochen?
Informant: Ja.
Andreas: Ok! Schön!
Informant: Ich spreche die Spache... fünf Sprache!
Andreas: Fünf Sprachen?
Informant: Ja, ja!
Andreas: Ok! Was sprechen sie da alles?
4 INT19 - Seite 4
Informant: Ja!
Andreas: Welche Sprachen sprechen sie?
Informant: Ungarn, Slowakei, Tschechei, deutsch und Zigeuner. (Auch bei dieser
Aufzählung lächelt er und scheint sehr stolz darauf zu sein)
Andreas: Sind sie schon in all den Ländern gewesen?
Informant: Ja.
Andreas: Viel rumgekommen?! Mit ihrer Familie?
Informant: Was?
Andreas: Sind sie mit ihrer Familie... ähm... gereist? Oder alleine?
Informant: Ich bin hier alleine.
Andreas: Und in den andern Ländern?
Informant: Zuhause, alles das Slowakei.
Andreas: Ach, da waren sie Zuhause (Ich meinte, dass er schon in diesen Ländern
gewohnt habe).
Andreas: Wie fühlen sie sich hier in Deutschland? Haben sie das Gefühl, dass die
Leute Mitleid mit ihnen haben?
Informant: (schaut mich unverständig an).
Andreas: Ähm... haben die Leute Mitleid mit ihnen?
Informant: Nein.
Andreas: Wenig?
Informant: Wenig. Ja, ja. Ich unter hier (bevor ich hierher kam) ich vier Jahre
Pantomime machen.
Andreas: Aha?
Informant: Italien. Ähm meine Fuß diese (zeit auf sein rechtes Knie) kaputt, zuviel
auf stehen, ein Tag 10 Stunden auf stehen ein kleiner Hocker für Geld für
Familie sparen.
Andreas: Und ihre Füße sind kaputt gegangen davon?
5 INT19 - Seite 5
Informant: Ja ja, kaputt. Diese (zeigt wieder auf sein rechtes Knie) mache ich nix
aufstehen. Ich machen aufstehen eine Stunde was Messer schlagen (macht
Messerstechbewegung auf sein Knie).
Andreas: Ok. Und sie haben Pantomime gespielt?
Informant: Ja ja.
Andreas: Interessant!
Informant: Ballon machen. Luftballon machen (zeigt die Bewegung mit den
Händen).
Andreas: So... so Pudel und so?
Informant: Ja ja. Alles! (lächelt)
Andreas: Warum machen sie das hier nicht?
Informant: Ich machen die Samstag. Alle Samstag.
Andreas: Ah, Samstags machen sie das hier? Ok. Machen sie das auch auf Partys
oder so? Oder nur auf der Straße?
Informant: (Schüttelt den Kopf) Auf der Straße.
Andreas: Nur auf der Straße?
Informant: Nur auf der Straße!
Andreas: Nur auf der Straße! Ok. (Pause) Wie groß ist ihre Wohnung?
Informant: Wo?
Andreas: Wo sie jetzt wohnen? Wo sie schlafen?
Informant: Ich?
Andreas: Ja.
Informant: Eine alte, kleine Auto (wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht).
Andreas: (Bin überrascht) Auto? In einem Auto?
Informant: Ja ja.
Andreas: Ok! Was ist das für ein Auto? Ein...
Informant: Skoda Favorit.
6 INT19 - Seite 6
Andreas: Und da schlafen sie drin?
Informant: Ja ja 22 Jahre diese Auto!
Andreas: Ok.
Informant: Große Schrott.
Andreas: Seit zwei Monaten?
Informant: Ja!
Andreas: Ok. Interessant! Und wie essen sie? Oder... Haben sie täglich was zu
Essen?
Informant: Ich hab schon eine Gas... (zeigt die Form mit den Händen)
Andreas: Ja. Gaskocher?!
Informant: Ja ja. Und Abend ich kochen, kochen vor Auto egal.
(Den Rest des Interviews nahm das Gerät leider nicht auf, so dass ich diesen Teil
mitschreiben musste. Aufgrund der mangelhaften Deutschkenntnisse meines
Informanten waren hier nur einzelne Stichworte möglich. Im Folgenden werde ich
deshalb den Rest des Interviews sinngemäß wiedergeben.)
Andreas: Laden sie dann auch Freunde zum Essen ein?
Informant: Ja. Aber nur ganz selten.
Andreas: Wie bezahlen sie das Essen?
Informant: (möchte mir darauf offensichtlich keine Antwort geben und betont:) Ich
bettle komplett für die Familie! Alles für die Familie!!
Andreas: Wann fahren sie wieder zurück in die Slowakei?
Informant: (macht ein strahlendes Gesicht) Dieses Wochenende. 1100 Km mit dem
Auto.
Andreas: Kommen sie mal wieder nach Deutschland?
Informant: Weiß ich nicht. Will mein Mädchen aufwachsen sehen.
Andreas: Sie haben auf ihrem Schild stehen, dass sie keinen Alkohol trinken.
Stimmt das?
Informant: Ich trinke nie Alkohol!
Andreas: Auch nicht Zuhause in der Slowakei?
7 INT19 - Seite 7
Informant: Ich mag keinen.
Andreas: Was wünschen sie sich für die Zukunft?
Informant: Ich möchte mit meiner Familie in Deutschland leben, weil hier Leute
sind, die helfen. Das Arbeitsamt hilft bei der Arbeitssuche und es gibt
Sozialhilfe. Das ist alles schön!
Andreas: Waren sie hier in Deutschland auch mal krank und mussten zum Arzt?
Informant: Ich bin krank am Fuß. Aber ich war damit nicht beim Arzt.
Andreas: Bekommen sie neben dem erbettelten sonst noch Geld vom Staat?
Informant: Nein. Nur das was ich hier arbeite. (Sehr betont fügt er noch hinzu) Von
der Slowakei bekomme ich auch kein Geld!
Andreas: Wie lange haben sie in der Slowakei gearbeitet?
Informant: Ich habe 2 Jahre als Koch gearbeitet.
Andreas: (Bin überrascht über die kurze Arbeitszeit) Darf ich sie fragen, wie alt sie
sind?
Informant: Ich bin 26 Jahre alt. (Ich hätte ihn 10 Jahre älter geschätzt)
Andreas: Wie lange sitzen sie hier am Tag?
Informant: 10 Stunden am Tag. Von 7 Uhr bis 20 Uhr.
Andreas: Sitzen sie immer hier an dieser Stelle?
Informant: Hier oder am Bahnhof.
Andreas: Jeden Tag?
Informant: Jeden Tag außer Sonntags. Ein Tag muss man ausruhen.
Andreas: Was machen sie dann Sonntags?
Informant: Kochen und schlafen.
Ich verabschiede mich von dem Informanten und bedanke mich recht herzlich. Für
das Interview gebe ich ihm 5 Euro, wofür er sich sehr bedankt und mir mit sehr
ernstem Blick viel Glück für meine Zukunft wünscht.
8 INT19 - Seite 8
INTERVIEW 20
Obdachlosen Interview mit Ali aus
Esslingen.
(von Sebastian Stattaus)
Am 07.Mai 2008 habe ich mich auf den Weg nach Esslingen gemacht, um ein Interview mit
einem Obdachlosen zu führen. Irgendwann sah ich im Stadtpark eine Person, die in
verschiedenen Müllbehältern nach brauchbaren Sachen suchte. Er sollte mein
Interviewpartner werden. Also suchte ich das Gespräch mit ihm.
Mittlerweile saß er auf einer Parkbank , schön im Schatten, da die Sonne an diesem Tag sehr
heiß schien. In der Hand hielt er seine „Beute“ aus den Müllbehältern. Es sah aus wie ein
Stück Kuchen. Neben "seiner" Bank, stand direkt eine andere, auf die ich mich setzte. Er weiß
nicht, dass ich ihn für eine Arbeit „missbrauche“, da es für mich ein Gespräch aus dem Leben
heraus sein soll! Ohne wohlüberlegte Antworten.
Meinen MP3Player halte ich die ganze Zeit in der Hand, während er aufnimmt.
Seb: Hallo, geniales Wetter heute oder?
Ali: Ja, ein bisschen warm, zu warm.
Seb: Ja, das stimmt (ich suche in meiner Tasche nach meiner Brezel, die ich als kleine
Aufmerksamkeit für ihn mitgebracht habe)
Ali: (zeigt mir seine Beute: zwei vertrocknete Stückchen Kuchen, mit leichter
Schimmelschicht oben drauf) Möchtest du- Kollege?
Seb: Ähh, ja gern - Danke (Ali beißt herzhaft in seinen Kuchen, ich mache es ihm nachweniger herzhaft -aber ich will ihn gewinnen) Hier habe ich eine Brezel für Dich - ein kleines
Geschenk.
Ali: Oh, danke! Wo kommsch du her?
Seb: Ich bin aus dem Schwarzwald und besuche heute Esslingen. Esslingen ist eine schöne
Stadt. Bist du schon lange hier?
Ali: (lacht) Ja, ich feiere Jubiläum. Am 2.Mai bin ich sechs Jahr hier. Schon eine lange Zeit
ich hier bin.
Seb: Wow, schon so lang?
Ali: Ja in Deutschland ich bin sechs Jahre. Sechs schöne Jahre. Deutschland schön Land und
ich leben gut hier.
Seb: Wo kommst du her und wie heißt du eigentlich?
Ali: Ali, Kollege und wie heißt du?
Seb: Sebastian - aber du kannst Basti zu mir sagen! Das ist einfacher!
INT20 - 1
Ali: Ah, das ist viel besser, Basti (lacht). Ich komme von Türkei, aber ich bin Kurde und als
Kurde sehr scheiße in Türkei. Ich keine Versicherung, keine Arzt. Türkei ist Scheiße für
Leben. Deutschland besser (beißt von seinem Stückchen Kuchen ab) Heute, ich war bei Arzt Kontrolle!
Seb: Ah, du gehst in Deutschland zum Arzt. Hast du dafür eine Versicherung
Ali: (zögert) Ja ich gehe zu Arzt, nix Versicherung, so zu Arzt ohne Versicherung, nix
Problem. Ich gehen so und sagen ich Kontrolle haben und Kollegen macht quecking uns o ich
haben gute Kontrolle. Ich nix zahlen. Ist Kollegen. Gut wenn Kollegen da.
Seb: Na da hast du es ja gut (Pause) - Gefällt es dir in Deutschland?
Ali: Ja sehr, nix Probleme, nette Menschen, Kollegen, in Esslingen ich kann schlafen in Park.
Keine Problem, keine Nazis, in Berlin Nazis, hier und Stuttgart keine Nazis, ich kann schlafen
in Park ohne Problem. In meine Land alles Scheiße, keine Straßen, keine Strom keine
Krankenhaus. Wenn ich jetzt krank, ich kann in Krankenhaus und ich kann telefonieren und
die kann mich abholen. Alles sehr freundlich. Immer sagen Leute Bitte und Danke. In Türkei
nicht Bitte und Danke! Komisch in Deutschland (lacht). Wenn ich eine Frau treffe, sage die
Leute aber nicht "Kann ich Bitte mit dir schlafen - Danke" Komische Deutschland. In Türkei
nicht so (wir lachen beide!)
Seb: Ja in Deutschland leben sehr viele nette Menschen. Ich habe auch noch keine Probleme
mit Nazis in Stuttgart oder im Schwarzwald gehabt. Aber in Berlin bzw. in den Neuen
Bundesländern ist das sehr schwierig. Da wurde ich auch mal verprügelt von Nazis auf dem
Bahnhof!
Ali: Ehrlich? Du siehst freundlich.
Seb: Danke (teste meinen MP3-Player für die Aufnahme)
Ali: Was ist das (zeigt auf meinen Player)
Seb: Damit kann man Musik hören und Sachen speichern (ich wollte ihm nicht sagen, dass
ich unser Gespräch aufnehme. da es so natürlich wie möglich sein sollte - er gab sich damit
zufrieden) Du hast gesagt, dass du im Park gut schlafen kannst. Schläfst du hier oder hast du
ein richtiges Haus, wo du wohnen kannst?
Ali: ja ich haben eine Haus. Aber nix meine Haus. Asylheim, aber da ist so schmutzig und
alle trinken und rauchen, trinken, rauchen den ganzen Tage. Ich nix trinken und so sehr
scheiße in diese Hause. Ich schlafen hier oder da (zeigt auf die Büsche). Da kann gut schlafen.
Nix Probleme und jetzt Sonne, warm in die Nacht. Manchmal Kollege komme und wir
können hier schlafen – nix langweile. Manchmal ich vermissen meine Familie, meine Kinder.
So ich sehr traurig.
Seb: Du hast noch Kinder?
Ali: Ich haben elf Kinder (strahlt)
Seb: Elf??? Holla!
Ali: Ja - elf oder so (war sich nicht ganz sicher)- Älteste Sohn 35 alt - in England, mein ein
INT20 - 2
Sohn Schweiz, ein Tochter Frankreich mein ein Sohn Karlsruhe - arbeitet Baywa - hat drei
Enkel. Fünf Kinder Deutschland.
Seb. Ich habe auch noch drei Brüder, aber in für Deutschland ist das schon sehr viel!
Ali: ja, wenn die Leut und Kollege kommen sagen die "Ach du Nein - elf Kinder“ (wir
lachen). Ich weiß nicht mit wie viel Frauen gemacht. Ich hab 3 Zwilling gemacht - in England
(jetzt wirds ein bisschen Durcheinander - Zeit für die Brezel - damit der Schimmelgeschmack
aus dem Mund verschwindet!) Hast du genug Brezel?
Seb: Ja, du kannst sie haben, wir sind doch ein bisschen Kollegen und da teilen wir. Ich hab
auch eine. Ein schönes Vesper. Typisch deutsche Brezel.
Ali: Nächste Woche ich geh Karlsruhe, drei Woche hier und dann Karlsruhe drei Woche bei
mein Sohn. Sohn hat drei Enkel und mein Tochter Schwäger wohnt da
Seb: Schwiegertochter
Ali: Ja (strahlt) zwei Jungs ein Mädchen- Karlsruhe schöne Stadt, schöne Park und schöne
Schloss. Wir gehen spaziern und Familie sehr schön
Seb: Ja, hier ist auch schön, mit viel Grün und Parks. Aber warum wohnst du nicht bei
deinem Sohn?
Ali: Ich nix da wohnen, nur besuch, und wenn ich da bin, ich muss weg drei Wochen später.
Meine Sohn sagt das ich muss eignes Leben. Ja und ich will nix Belastung. So hier ich kann
leben und wenn meine Sohn komme er kann mich besuchen in diese Park (lacht)
Seb: Haben Sie in der Türkei auch gearbeitet, bevor Sie nach Deutschland gekommen sind?
Ali? (erstaunt) Ich, nein ich keine Arbeit, nur Hausearbeit. Tiere
Seb: Was für Tiere?
Ali: Ich viele Kuhe und Lamm. Mein Land viele Wasser und Berg. Sommer sehr sehr heiß
und Winter kalt sehr sehr kalt, Schnee. Aber jetzt die Leute geht nicht arbeit. Alles kaputt
alles kaputt, in Türkei Krieg machen, Bombarium, alles kaputt. Alle Haus kaputt, Lebe
kaputt, Menschen gehen Deutschland, England, Italien. Die Leute haben, wenn sie eine große
Mann kenne, Arbeit. Sonst keine Chance, kein Chance in diese Land. Alles kaputt und ich
weiße nicht da zu leben, hier besser lebe.
Seb: Das klingt interessant! Hast du deine Arbeit geliebt!
Ali: (lacht) ja schon! Schöne Arbeit. Mit Tiere und Lamm und Kuh. Ich den ganzen Tag mit
den Tier und abends ich kaputt von viele Arbeit, aber gut. Aber jetzt ich kann da nicht lebe,
viel kaputt. Viel Bombarium.
Seb: Schade. (Pause) Hast du Freunde oder Bekannte aus der Türkei hier in Deutschland, die
du manchmal siehst?
Ali: Ich habe keine Freunde. Nix Freunde nur Kollege.
INT20 - 3
Seb: Bist du dann allein nach Deutschland gekommen?
Ali: Wenn ich Deutschland komme, wir sind 30 Leut zusammen Deutschland alle in andere
Stadt, andere bei Kollege, Onkel bei Bruder oder so. Als ich nach Deutschland ich drei
Wochen Stuttgart bei Freund. die kaufen Kleidung und dann nach Karlsruhe in Asylhaus. Von
Karlsruhe sie schicken nach Reutlingen. Mit eine Kollege von Türkei zusammen nach
Karlruhe und er zu Bodensee Ravensburg und ich Reutlingen. Mein Kollege viel weinen. Ich
habe gesagt warum? Sein Name Murat. Er sagt weil ich bin allein! Ich sag, ja warum ich hier
in Reutlingen und du Ravensburg Kollege du hast auch ein Asylheim mit viele kurdische
Leute. Wir können besuchen
Seb: Wie hast du da im Asylheim gelebt
Ali: Ich Scheiße leben. Jeden Tag eine kleine Kartoffel kriegen und ein oder zwei Stück Brot.
Ganz sicher, das nicht gut. Jeden Monat leben 40Euro. Das ist Scheiße, keine Tabak rauchen,
keine Kaffee trinken. Nach sechs Monaten ich einen Brief bekommen. Ich habe meine Pass
verloren und ich zu Gericht in Stuttgart, dann eine zweite Brief und ich eine Pass bekomme
will, weil meine verlore. Viel Ärger, ich muss Bundesamt schauen und hier und da und ich
nix kriegen.
Seb: Hast du jetzt gar keinen Pass oder einen Ausweis?
Ali: ich nix haben, ich nix bin, aber ich der Ali bin! (lachen beide). Jetzt ich habe Pass
machen, aber ich musste Geld geben. 10000Euro aber ich hatte eine Wohnung mieten für
370Euro. Ah nicht Euro Mark, D-Mark, Tschuldigung, so 570 Mark-nix Ahnung! Weil ich
nicht Asylheim wohnen, weil jeden Tag Kartoffeln, jeden Tag, jeden Tag Kartoffeln,
100gramm für Essen geben. 100Gramm (lacht) was ich machen mit 100 Gramm.
Seb: das alles war in Reutlingen? Wie lange warst du dann in Reutlingen?
Ali: Ja, alles in Reutlingen. 6Monate ich Reutlingen
Seb: Was war nach Reutlingen?
Ali: Wenn meine Pass kommt, ich Esslingen.
Seb: Ja Esslingen,
Ali: Jetzt 6Jahre und eine Woche in Esslingen
Seb: (ich zeige auf einen nebenansitzenden "Kollegen" Wer ist das? Kennen Sie den?
Ali: Ja ich kennen, Kollege, nix arbeiten, nur trinken und rauchen. Aber ich nix trinken und
rauchen. Ich trinken Apfelschorle (zeigt mir seine Flasche)
Seb: Das ist sehr gut! Alkohol macht ja nur krank! Und du siehst noch echt gut aus!
Ali: (lacht) ja ich nix trinken. das viel Geld. Alkohol trinken immer Kopf kaputt und ich nix
wissen am nächsten Tag.
INT20 - 4
Ali stellt mir alle Häuser aus der Umgebung vor. Wer wo wohnt und wie lang schon...
Seb: Was machst du den ganzen Tag
Ali: ich? ich nix machen, ich den ganzen Tag sitzen, manchmal hier manchmal andere Seite
manchmal Bank! Da wo Sonne ist, ich nicht sitze, da ist warm. gute Wasser gute Luft.
Morgens ich schlafen bis 8Uhr, dann schauen wo ich essen, dann ich laufen und schauen und
sitzen und Menschen sehen und Abends ich schlafen, mal hier und mal dort drüben oder in
eine Haus oder Park.
Seb: Bist du immer allein?
Ali: Ich nix haben (lacht) nur Kollegen, überall Kollegen, manchmal eine Tag, manchmal eine
Woche. Kollegen nicht sehr freundlich. Sie alle wollen nur Geld und sie keine Geld haben.
Ich auch keine Geld haben
Seb: Bekommst du Geld von Deutschland, eine Hilfe oder so?
Ali: (lacht) Moment, Moment, ich dir zeigen. (Holt seine Kontoauszüge vom letzten Monat
raus). Hier ich zeigen dir. 16Eur60 für eine Monate.
Seb: darf ich sehen
Ali: Ja schau, 16Euro60, mehr nicht. Der Rest ich muss betteln oder Freunde
Mir fällt auf dem Kontoauszug auf das er ca.10Euro GEZ zahlt.
Seb: Du musst das nicht zahlen. Du hast keinen eigenen Fernseher, oder hast du doch einen
oder ein Radio?
Ali: Ich nix haben. Ich mich wundere was das ist! Scheiße das ich nicht zahlen. Danke meine
Freund. Ich gleich schauen, zur Bank gehen. Das ist micht meine Land, ich kann nix machen.
Seb: Was machst du, wenn du mal zu Arzt musst!
Ali: Ich habe Kontrolle machen. Ich habe Kollege, ich war dann bei meine Kollege und der
schaue. Ich gesund.
Seb: Na dann ist gut! Man muss auf seine Gesundheit achten.
Ali: (schaut auf die Uhr) ich jetzt noch gucken.
Seb: Gut ich muss dann auch mal wieder weiterziehen! Es war total schön mit Dir zu reden
mein Freund! Vielen Dank! Interessant dein Leben mal kennenzulernen. Man unterhält sich ja
nicht jeden Tag mit Menschen, die auf der Strasse leben
Ali: Ja (lacht) richtig! Du nicht, ich manchmal. Du sehr nett, ich viel brauchen Menschen zu
reden. Du sehr freundlich! Ich dich kennen nicht und mich nicht und wir reden jetzt so lang
und wir können essen an die frische Luft, sehr schön. Ich kann nix Kaffee trinken in Café aber
ich kann hier Kuchen essen von andere.
INT20 - 5
Seb: Das stimmt. Mir gefällt dein Optimismus. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder. Danke
das wir so reden konnten.
Ali: keine Problem
Seb: und weißt du was! Ich schenke dir noch 5Euro. Damit kannst du einen Kaffee kaufen
oder in eine Café trinken - was du willst!
Ali: (zögert erst, nimmt sie aber doch, hat Tränen in den Augen) danke mein Freund, und
wenn du kommen wir trinken einen Tee zusammen hier.
Seb: Ja das machen wir, Adé
Ali: Tschus (winkt noch lange hinterher)
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