centre dürrenmatt - Museen, kulturelle Institutionen, Sammlungen

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centre dürrenmatt - Museen, kulturelle Institutionen, Sammlungen
Pressemappe
AOÛT 24 a DÉC. 07 2014
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CENTRE
CENTRE DÜRRENMATT
DÜRRENMATT
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74, Chemin du Pertuis-du-Sault, CH-2000 NEUCHÂTEL
FONDATION CHARLOTTE
KERR DÜRRENMATT
Verzeichnis
Pressecommuniqué 3
Biographien4 – 5
Publikationen 6
Auszüge aus dem Ausstellungskatalog
7–8
Veranstaltungskalender9
Partnerschaften9
Pressebilder10
Kontakte11
2
The Hidden World - Jim Shaw Didactic Art Collection
with Jean-Frédéric Schnyder & Friedrich Dürrenmatt
Ausstellung vom 24. August bis 7. Dezember 2014
Pressekonferenz : Freitag, 22. August 2014 um 11 Uhr; in Anwesenheit von Jim
Shaw und Marc-Olivier Wahler
Vernissage : Samstag, 23. August 2014 um 17 Uhr; in Anwesenheit von Jim
Shaw, Jean-Frédéric Schnyder und Marc-Olivier Wahler
Im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Glauben präsentiert das Centre Dürrenmatt zum
ersten Mal in der Schweiz die faszinierende Sammlung didaktischer Kunst des international bekannten kalifornischen Künstlers Jim Shaw (*1952). Shaws Sammlung werden Werke
mit religiöser Thematik der Schweizer Künstler Jean-Frédéric Schnyder (*1945) und Friedrich
Dürrenmatt (1921–1990) gegenübergestellt. Für diese letzte Ausstellung unter ihrer Leitung hat
die Direktorin Janine Perret Sgualdo Marc-Olivier Wahler als Gastkurator gewinnen können.
Die Sammlung didaktischer Kunst von Jim Shaw umfasst tausende Objekte, die von Sekten, Geheimgesellschaften und anderen spirituellen Bewegungen in Auftrag gegeben wurden: Bücher, Plakate,
Zeitschriften, T-Shirts, Plattenhüllen und Illustrationen aller Art. Diese unvergleichliche Produktion, die
in keine Schublade passt, wurde von anonymen Künstlerinnen und Künstlern in einer oftmals religiös
geprägten pädagogischen Mission geschaffen. Die Besucherinnen und Besucher werden im Rahmen
der Ausstellung dazu eingeladen, in die überbordende Welt der Mythen und Glaubensbekenntnisse der
USA einzutauchen.
Der 1952 geborene Jim Shaw ist eine der wichtigsten Figuren in der amerikanischen Kunstszene der
1980er-Jahre. Das Material, das er seit mehreren Jahrzehnten sammelt, ist eine bedeutende Inspirationsquelle für sein eigenes Kunstschaffen. Unter anderem hat er eine fiktive Religion gegründet, den O-ismus.
Den Status eines Kunstwerks sowie dessen Ausstrahlung stellt er laufend in Frage, indem er sie im Licht
der Obsessionen, Neurosen und Werte der USA betrachtet.
Der Glaube und die Darstellung des Religiösen sind auch ein zentrales Thema im malerischen und
literarischen Werk von Friedrich Dürrenmatt, Sohn eines protestantischen Pfarrers. Der Glaube ist bei
ihm untrennbar verbunden mit dem Zweifel. Er erachtete die Existenz Gottes zwar als möglich, aber
keineswegs als sicher. Die Ausstellung zeigt Dürrenmatts Werke mit religiösem Hintergrund, wie zum
Beispiel die Bilder über die Kreuzigung, die Engel oder die Päpste. Ebenfalls präsentiert werden Werke
von Jean-Frédéric Schnyder (*1945), der unter anderem an der Biennale von Venedig 2013 ausstellte.
Insbesondere seine metaphysischen «Landschaften» und Dioramen werden mit Shaws und Dürrenmatts
Werken in Beziehung gesetzt.
Nach 14-jähriger Leitung des CDN schliesst Janine Perret Sgualdo das Kapitel Berufs- und Museumsleben, um ein neues, ihr Privatleben betreffendes, zu öffnen. Für ihre letzte Ausstellung als Direktorin hat
sie Marc-Olivier Wahler als Gastkurator eingeladen. Wahler leitete zunächst das Swiss Institute in New
York von 2000 bis 2006, danach den Palais de Tokyo in Paris von 2006 bis 2012. Seit 2012 ist er Direktor der Chalet Society in Paris. Anlässlich der Ausstellung im CDN kehrt Marc-Olivier Wahler in seine
Heimatstadt zurück, wo er 1995 das Centre d’Art Neuchâtel (CAN) mitbegründet hat. Das Institut für
Kunstgeschichte und Museologie der Universität Neuenburg hat ebenfalls am Projekt mitgewirkt.
Die einzigartige Ausstellung bietet zahlreiche innovative Denkansätze, indem sie den Begriff des Glaubens und seine ontologischen Grundsätze sowie den Status eines Kunstwerks hinterfragt.
3
Biographien
Jim Shaw
Jim Shaw wurde 1952 in Midland, Michigan, USA, geboren. Er lebt und arbeitet in Los Angeles. 1974
erhält er den Bachelor of Fine arts an der Universität Ann Arbor (Michigan) und 1978 den Master of Fine
Arts am California Institute (Los Angeles). Seit 1976 hat Jim Shaw an 85 Einzelausstellungen teilgenommen, unter anderen im MoMA PS1 in New York (2007), im Musée des Beaux-Arts in Bordeaux (2010)
und an der Chalet Society in Paris (2013-2014) sowie an über 270 Gruppenausstellungen, insbesondere im Centre Pompidou (2006, 2013), im Palais de Tokyo (2009, 2011) und am Centre Culturel Suisse
in Paris (2011), im Musée des Beaux-Arts in Lausanne (2011–2012), im Metropolitan Museum in New
York (2012–2013), an der Biennale von Venedig (2013) sowie am MOCA Museum of Contemporary Art
in Los Angeles (2014).
Jim Shaw gehört zu den wichtigsten Figuren der amerikanischen Kunstszene seit den 1980er-Jahren.
Sein Werk umfasst Bilder, Installationen, Videos und Performances. Er lässt sich sowohl von Regionalismen als auch von der Kunstgeschichte inspirieren und stellt dabei den Status eines Kunstwerks in
Frage, indem er es im Licht der Obsessionen, Neurosen und Werte der USA betrachtet. Seine Arbeit
widerspiegelt auf groteske Art und Weise die Vielfalt der ideologischen Grundlagen einer Gesellschaft.
Insbesondere hat Jim Shaw den O-ismus gegründet, eine neuartige Religion nach dem Modell der neuen
Religionen aus der Zeit der Entstehung der Vereinigten Staaten. Basierend auf der Verehrung der Göttin
O, einer Zeitrechnung, die rückwärts statt vorwärts läuft und auf einem Verbot sämtlicher gegenständlicher Kunst, bedient sich der O-ismus aller Bereiche des Kunstschaffens, von der Malerei bis zur Installation und zur Performance.
Die Didactic Art Collection von Jim Shaw
Jim Shaw ist ein interdisziplinärer Künstler und auch als Sammler sehr aktiv. Er sucht in Brockenhäusern
oder im Internet unermüdlich nach Objekten des Volkskults, nach Comics, Rockmusik, B-Movies und Sonntagsmalereien. In der Ausstellung The Hidden World präsentiert Jim Shaw nicht seine künstlerische Arbeit,
sondern seine Sammlung didaktischer Kunst, die für ihn eine der wichtigsten Inspirationsquellen darstellt.
Bücher, Plakate, Zeitschriften, T-Shirts, Plattenhüllen und sonstige Illustrationen aller Art: Die Sammlung
vereint tausende, während mehrerer Jahrzehnte zusammengetragene Dokumente. Die Produktionen lassen sich nicht einordnen und wurden von meist anonymen Künstlerinnen und Künstlern geschaffen, im
Auftrag von Sekten, geheimen und weniger geheimen Zirkeln, eigenwilligen Orden und Bruderschaften,
evangelischen und fundamentalistischen Bewegungen, spirituellen Strömungen des New Age, Scientologen, Mormonen, Zeugen Jehovas, Freimaurern, Ultrakonservativen und Verschwörungstheoretikern
aller Art. Besucherinnen und Besucher können in die überbordende Welt der Mythen und Glaubensbekenntnisse der USA eintauchen und ein verblüffendes Archiv der zeitgenössischen Vorstellungswelten
entdecken.
Jean-Frédéric Schnyder
Jean-Frédéric Schnyder wurde 1945 in Basel geboren. Er lebt und arbeitet in Zug. Schnyder wuchs in
einem Berner Waisenhaus auf und absolvierte anschliessend in Olten eine Lehre als Fotograf. Als autodidaktischer Künstler ist er zugleich Maler, Grafiker und Fotograf. Er schafft zudem Objekte und Installationen. Für seine frühen, der Pop Art nahestehenden Objekte, erhält er das eidgenössische Stipendium
für angewandte Kunst. 1969 lädt ihn Harald Szeemann an die legendäre Ausstellung When Attitudes
4
Become Form in der Kunsthalle Bern ein. Er nimmt an der documenta 5 (1972) und an der documenta
7 (1982) teil. 1993 vertritt er die Schweiz an der Biennale von Venedig, wo er 2013 erneut ausstellt. Zu
seinen wichtigsten Einzelausstellungen gehören die in der Kunsthalle Basel (1987), im Kunstmuseum
Bern und im Aargauer Kunsthaus (1992), im Akron Art Museum in Ohio (1995), in der Kunsthalle Zürich
(1998), im MAMCO in Genf (1999), an der Graphischen Sammlung der ETH Zürich (2001), am Centre Culturel Suisse in Paris (2004), im Kunstmuseum Basel (2007) und am Swiss Institute in New York
(2011). Im September 2014 wird im Kunsthaus Zürich die Ausstellung Ferdinand Hodler/Jean-Frédéric
Schnyder eröffnet (12.09.2014 – 26.04.2015).
Friedrich Dürrenmatt
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen in der Nähe von Bern geboren und starb 1990 in
Neuenburg, wo er rund vierzig Jahre seines Lebens verbracht hatte. Als Schriftsteller, Dramatiker und Künstler ist er mit seinen Theaterstücken wie Der Besuch der alten Dame und Die Physiker sowie mit seinen
Kriminalromanen international bekannt geworden. Parallel zu seiner Tätigkeit als Schriftsteller war er auch
Maler und Zeichner. In seinen «dramaturgischen» Bildern setzt sich Dürrenmatt oftmals mit Motiven aus der
griechischen Mythologie oder dem christlichen Glauben auseinander und interpretiert diese neu.
Mit 25 Jahren entscheidet sich Dürrenmatt, Schriftsteller zu werden, behält aber gleichzeitig seine Leidenschaft für die Malerei und die Zeichnung. Er nimmt an verschiedenen Ausstellungen teil, insbesondere im Restaurant du Rocher in Neuenburg (1976), in der Galerie Keel in Zurich (1978), im Musée d‘Art et
d‘Histoire in Neuenburg (1985–86), und posthum am Kulturzentrum in Solothurn (1991), im Kunsthaus
Zürich (1994) und am Swiss Institute in New York (1997). Nach seinem Tod wird der grösste Teil seiner Zeichnungen und Gemälde der Schweizerischen Eidgenossenschaft vermacht. Das 2000 eröffnete
Centre Dürrenmatt Neuchâtel hat den Zweck, Dürrenmatts Bildwerk in Zusammenhang mit seinem literarischen Werk zu vermitteln.
Marc-Olivier Wahler
Marc-Olivier Wahler wurde 1964 in Neuenburg geboren. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie
an den Universitäten Neuenburg und Lausanne. 1993 wird er Konservator am Musée des Beaux-Arts
in Lausanne und ist anschliessend für das MAMCO in Genf tätig. 1995 wirkt er bei der Gründung des
Centre d’Art Neuchâtel (CAN) mit und ist während sechs Jahren dessen künstlerischer Leiter. Gleichzeitig arbeitet er als Kunstkritiker (Art Press, Flash Art, Kunstbulletin…) und freischaffender Kurator (Transfert, Bienne 2000, Lost, LAMAG, Los Angeles 2012 …). Von 2000 bis 2006 leitet er das Swiss Institute
in New York und von 2006 bis 2012 den Palais de Tokyo in Paris. 2012 gründet er in Paris die Chalet
Society, welche er auch leitet.
In den letzten zwanzig Jahren hat Marc-Olivier Wahler über 400 Ausstellungen organisiert. 2011 wird er
mit dem Titel des Chevalier des Arts et des Lettres der Französischen Republik ausgezeichnet und 2013
erhält er den Prix Meret Oppenheim.
5
Publikationen
Zwei Publikationen begleiten die Ausstellung: Ein Katalog zur Didactic Art Collection von Jim Shaw
(in Englisch) und eine Publikation zur Ausstellung im CDN mit Texten über Jim Shaw, Jean-Frédéric
Schnyder und Friedrich Dürrenmatt (in Französisch und Deutsch).
«The Hidden World – Jim Shaw Didactic Art Collection», Hrsg. Marc-Olivier Wahler, Koproduktion Chalet Society Paris und Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Koenig Books, London. Sprache:
Englisch, 512 Seiten, 16 x 12 cm. Design: The Bells Angels. Erscheinungsdatum: Juli 2014.
ISBN 978-3-86335-584-5.
Summary
A Foreword, Marc-Olivier Wahler
A Conversation with Jim Shaw [Interview by Marc-Olivier Wahler and Anne Davidian]
Freemasons, UFOs and Cartographies of Time, The Hidden World, Szukalski, Netter and Kahn, Tarot
Cards, Didactic Photographs,Children’s Books and Magazines, How to Look, Ad Reinhardt, Mormons,
Right Wing Conservatives, Christian T-shirts, LPs and Magazines, Tent Revival Banners, Dr. Jaggers and
Miss Velma, The Bethel Series, Jehovah’s Witnesses and Christian Comics, Wolverton, Houteff and the
Branch Davidians, It Will Set Your Mind Ablaze
Five Documents on Truth, Tristan Garcia
Glossary
Images and Beliefs, Janine Perret-Sgualdo
«The Hidden World – Jim Shaw Didactic Art Collection with Jean-Frédéric Schnyder &
Friedrich Dürrenmatt», Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Sprachen: Französisch, Deutsch, 62
Seiten, 16 x 12 cm. Design: The Bells Angels. Erscheinungsdatum: August 2014. Erhältlich im
Bookshop des CDN.
Sommaire
Vorwort, Janine Perret Sgualdo
Jim Shaw Didactic Art Collection, Marc-Olivier Wahler
Friedrich Dürrenmatt: das dramaturgische Potential von religiösen Motiven erkunden, Myriam Minder und
Pierre Bühler
ARS PRO DEO – Religiöse Themen im Werk von Jean-Frédéric Schnyder, Régine Bonnefoit
Biografien von Jim Shaw, Jean-Frédéric Schnyder und Friedrich Dürrenmatt
6
Auszüge aus dem Ausstellungskatalog
Marc-Olivier Wahler: «Jim Shaw Didactic Art Collection»
The Hidden World beschränkt sich nicht auf eine einfache Präsentation von pädagogischen Dokumenten. Jim
Shaw stellt sich wichtige Fragen über die ontologischen Grundlagen dieser Ausstellung. Als Besucherinnen
und Besucher haben wir es hier nicht mit Kunstwerken zu tun. Im Gegenteil: Nichts ist weiter von einem Kunstwerk entfernt als pädagogisches Material, das für die Massen produziert und verteilt wird. […] Daher werden
sich die Besucherinnen und Besucher nur schwer überzeugen lassen, in dieser Ausstellung wertvolle Dokumente vorzufinden. Wir erfahren kaum etwas über die Geschichte der Geheimgesellschaften und werden
weder über Mormonen noch über Freimaurer aufgeklärt. […] Die Ausstellung besitzt keinen pädagogischen,
historischen oder kulturellen Wert und kann auch keinem dieser Bereiche zugeordnet werden.
[…] Es wäre daher durchaus logisch und beruhigend, die Objekte als Readymades der Kunstrichtung zuzuordnen, die nun schon seit einigen Jahrzehnten historischen Dokumenten neues Leben einhaucht und sie in
die Kunstwelt überträgt. […] Das pädagogische Material kann noch so ausgearbeitet und noch so nahe an
den künstlerischen Praktiken und den Bildsprachen der Kunstwelt sein, es entzieht sich sämtlichen Deutungsversuchen. Es bleibt, was es ist und verschliesst sich so allen Interpretationssystemen. […] Was tun wir also
vor einer solchen «Ebene der ontologischen Angleichung», wie Tristan Garcia es nennt, auf der alle Darstellungen ohne Hierarchie nebeneinander bestehen können?
Durch diese Fragestellungen habe ich begriffen, dass The Hidden World eine der radikalsten Ausstellungen
ist, die ich bisher kuratieren konnte.
[…] Die Ausstellung von Jim Shaw beeindruckt durch ihre Radikalität. Sie verhindert, dass ein Interpretationssystem (zum Beispiel jenes der Kunstwelt) einem anderen vorgezogen wird und verschafft uns so einen
Blick auf unsere Welt, der von jeglichen Bestrebungen nach Hierarchie befreit ist. Die Ausstellung bildet so
die Grundlage zu einer wahren Geisteshygiene, die als Echo auf eine Hypothese verstanden werden kann,
die der Künstler Olivier Mosset formulierte: «Wenn wir die Kunst ganz einfach als Kunst betrachten könnten,
würde die Realität bleiben können, was sie ist.» Wenn sich das Abenteuer dieser Hypothese verwirklichen
könnte, wäre dies ein entscheidender und heilsamer Beitrag der Kunst zu einer Geisteshygiene, die es uns
ermöglichen würde, die Realität ohne den Drang zur Hierarchie zu betrachten und unsere Urteile vom Filter
der Interpretation zu lösen. Wir haben jedoch gesehen, dass eine solche Hypothese eine Wunschvorstellung
bleiben wird. Es ist sehr schwer, ontologisch betrachtet wohl sogar unmöglich, die Kunst ganz einfach als
das zu sehen, was sie ist, losgelöst von jeglichen Interpretationssystemen. Im Fall von The Hidden World von
Jim Shaw stellt sich diese Frage nicht mehr (und dies macht die Ausstellung so radikal und innovativ), vorausgesetzt, wir formen die Gleichung um: «Da wir unsere Realität ganz einfach als unsere Realität betrachten
können, kann die Kunst bleiben, was sie ist».
Marc-Olivier Wahler, Kurator, Direktor der Chalet Society
Régine Bonnefoit: «Ars pro deo – Religiöse Themen im Werk von Jean-Frédéric Schnyder»
[…] Devotionalien sind – so der Künstler – «eine alltägliche Gegebenheit», die ihn nicht mehr oder minder interessiere als ein Wartesaal in einem Schweizer Bahnhof. Schnyder spielt hier auf seine Serie der Wartesäle an,
die er 1988/89 in 92 verschiedenen Schweizer Bahnhöfen in kleinformatigen Ölgemälden minutiös festhielt.
Er charakterisiert sich selbst als «Augenmensch», der sieht und malt, ohne zu werten.
[…] Als Schnyder kürzlich seinen Arzt besuchte, soll ihn dieser mit der Frage begrüsst haben: «Wie geht es
Ihnen Herr Schnyder, malen Sie immer noch Wartesäle?» Wohlwollend gab er dem Künstler den Ratschlag:
«In Ihrem Alter sollten Sie sich mehr dem Geistigen zuwenden.» Die hochgeistige Antwort von Schnyder, er
sehe «im Materiellen das Geistige», schien der Arzt nicht zu verstehen. Damit der Brückenschlag in die geistige Welt gelingt, muss Schnyder vom Alltäglichen ausgehen.
[…] Seine 1990/91 entstandene Serie Landschaft I–XXXV setzt sich aus 35 durchnummerierten Gemälden
7
zusammen, die in der vom Künstler vorgegebenen Reihenfolge zu «lesen» sind. Ihr Leitmotiv ist das «Schwyzer
Hüsli», das der Künstler in 35 Variationen durchdekliniert. Im vierten Bild wandelt sich das Haus zum Stall von
Bethlehem. Die funkelnden Sterne sehen aus, als seien sie in schwarzes Tonpapier geschnitten und mit gelbem Transparentpapier verklebt, wodurch das Gemälde wie ein Weihnachtsfensterbild wirkt.
Doch schon vier Bilder weiter vergeht dem Betrachter die Weihnachtsstimmung. In einer farblosen Landschaft
zwischen kahlen Bäumen erscheinen vier winzige Häuser, aus deren Kaminen grauer Rauch emporsteigt, der
sich zu einem Hakenkreuz formiert. Im Zentrum der Swastika prangt nicht der Weihnachts-, sondern der gelbe Judenstern, der die Gräuel des Holocaust wachruft. In den folgenden beiden Bildern klingen Ängste und
Endzeitvisionen an, wie sie auch Dürrenmatt zeitlebens beschäftigten. In seinem Essay Zu den Teppichen von
Angers (1951) beklagt Dürrenmatt eine Generation, für die «das Jüngste Gericht nur noch das Ende bedeutet,
eine schauerliche Götterdämmerung der Zivilisation, der, dank der Atombombe, das Nichts folgen soll, […].»
Régine Bonnefoit, Professorin für Kunstgeschichte und Museologie an der Universität Neuchâtel
Myriam Minder und Pierre Bühler: «Friedrich Dürrenmatt: Das dramaturgische Potential von religiösen Motiven erkunden»
«Die Frage nach dem Sinn ist die Wurzel des Glaubens. Immer wieder wagt der Einzelne den Versuch, aus
dem Kerker seiner selbst auszubrechen, um in andere Kerker einzudringen. Glaube, Liebe, Hoffnung: der
Glaube, es sei nicht möglich, den Kerker seiner selbst zu verlassen, die Liebe, es sei möglich, in den Kerker
eines anderen Selbst einzubrechen, die Hoffnung, darin liege ein Sinn.» In diesen Zeilen aus einem späten Text
zeigt Dürrenmatt seine Sichtweise der grundlegenden Bedeutung religiöser Themen und ihrer immer aktuellen
Relevanz für das menschliche Leben. Gleichzeitig sagt er, weshalb diese Motive in seinem Werk ständig
wiederkehren. Ob in Theaterstücken, Erzählungen oder Romanen, in Gemälden oder Zeichnungen: Stets sind
die Fragen nach Glaube, Liebe, Hoffnung, nach Gott, dem Teufel und den Engeln, nach Gnade und Gericht,
nach der Schöpfung und dem Weltende allgegenwärtig. Diese Ausstellung soll einige bedeutsame Spuren
davon in Dürrenmatts zeichnerischem Werk zeigen.
[…] Die Kreuzigung kommt bei Dürrenmatt oft vor, zuletzt 1990, in seinem Todesjahr. Zahlreiche andere Motive der christlichen Ikonografie fügen sich zum Motiv des Kreuzes hinzu und werden auf verschiedenen Ebenen
verarbeitet: Türme zu Babel, apokalyptische Szenen, Engel, Päpste, Teufel, Götter.
Dürrenmatt erklärt, weshalb er diese Kreuzigung als eines der ersten wichtigen Werke betrachtet: «[...] aus
dem einfachen Grunde, dass ich nicht ein kompositioneller, sondern ein ‹dramaturgischer› Zeichner bin. Ich
kümmere mich nicht um die Schönheit des Bildes, sondern um dessen Möglichkeit.» Dies gibt uns Aufschluss
über seine Absicht, mit den Zeichnungen und Gemälden das dramaturgische Potential der dargestellten Motive zu erkunden.
[…] Wie man in seinen autobiografischen Texten, in sonstigen Zeugnissen oder in Hinweisen, die uns seine
Bibliothek gibt, erkennen kann, hat die Omnipräsenz der biblisch und christlich inspirierten Ikonografie ihre
Wurzeln in Dürrenmatts Kindheit. Wenn er von seinem Leben erzählt, beschreibt er diese Prägung durch das
Familienleben. Dürrenmatts Vater war Pfarrer der bernischen Kirche im Emmental und später in Bern, seine
Mutter wird er in der Sonntagsschule die grossen biblischen Geschichten, die Schöpfung, die Sintflut oder
auch die Schlachten der Stämme Israels, wie ein Epos erzählen hören. Er wird sich später vom Glauben seiner
Eltern distanzieren, ohne jedoch seine protestantische Identität ganz aufzugeben.
[…] Die Materialien aus dem Umfeld der Familie werden die Grundlage für künftige Werke bilden. Dieselben
Motive weiter verarbeitend, wird sich Dürrenmatt von der konventionellen Ikonografie lösen, um eine eigene
Sprache zu entwickeln. Er wählt einen einfachen, verzerrenden Strich, eignet sich seine Motive auf gewagte
Art und Weise an und nimmt so die kreative Freiheit seiner Kunst in Anspruch. Denn «das Ursprüngliche ist
stets das Bild, die Situation – die Welt», wie er am Ende seiner Anmerkungen sagen wird.
Myriam Minder, Doktorandin der Kunstgeschichte an der Universität Neuenburg
Pierre Bühler, Professor für Theologie an der Universität Zürich
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Veranstaltungskalender
Vernissage : Samstag, 23. August 2014, 17 Uhr
Es sprechen: Janine Perret Sgualdo, Direktorin des CDN, Thomas Facchinetti, Gemeinderat der
Stadt Neuenburg und Marc-Olivier Wahler, Kurator. In Anwesenheit von Jim Shaw und Jean-Frédéric
Schnyder.
Symposium «Kunst und Religion» in Zusammenarbeit mit der Universität Neuenburg
(auf Französisch)
Samstag, 1. November, 10:30–16:30
Mit Mark Alizart und Tristan Garcia, Philosophen, Marc-Olivier Wahler, Kurator, Régine Bonnefoit,
Kunsthistorikerin und Pierre Bühler, Theologe.
Öffentliche Führungen (auf Französisch)
25. September, 18 Uhr: Pierre Bühler, Theologe
11. Oktober, 11 Uhr: Janine Perret Sgualdo, Direktorin des CDN
31. Oktober, 18 Uhr: Marc-Olivier Wahler, Kurator
Partnerschaften
Ausstellung in der Galerie C: Die Galerie C in Neuenburg zeigt vom 11. September bis am 25.
Oktober 2014 « La Vengeance de Mathilde » ou la figure de l‘ange dans l‘art contemporain mit Werken von Friedrich Dürrenmatt und den zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern Gérard Alary,
Muriel Belin, Katia Bourdarel, Damien Cadio, Eric Manigaud, David Moses, Guy Oberson, Gérard
Rancinan, Emeli Theander, Kurt Wyss und Myriam Ziehli. Für ihre neuen Werke sind die Künstlerinnen und Künstler von Dürrenmatts Idee des Engels ausgegangen, der auch «etwas Schreckliches»
sein kann. www.galeriec.ch
Video von Jim Shaw in der Banque Bonhôte: Vom 23. August bis am 7. Dezember 2014 zeigt
die Banque Bonhôte in Neuenburg das Video Banyan Tree von Jim Shaw (2011). www.bonhote.ch
Vortrag im Club 44: Der Club 44 in La Chaux-de-Fonds veranstaltet im September 2014 einen
Vortrag zum Thema Religion und Marketing. www.club-44.ch
9
Pressebilder
V.T. Houteff, The World’s History in Prophetic Symbols, 1931, Sammlung Jim Shaw.
Walter Ohlson, Jesus-Spokeman to Distorsion (The Bethel Series), 1960, Sammlung Jim Shaw.
Jean-Frédéric Schnyder, Dritchi VIII, 1986, Öl auf Leinwand, 159,7 x 120,1 cm, Kunstmuseum Bern Sammlung Toni Gerber, Schenkung 1993,
© J.-F.Schnyder.
Jean-Frédéric Schnyder, Landschaft IV, 1990/91, Öl auf Leinwand, 21 x 30 cm, Aargauer Kunsthaus, Aarau, © J.-F.Schnyder.
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FONDATION CHARLOTTE
KERR DÜRRENMATT
Friedrich Dürrenmatt, Kreuzigung I, 1939/1942, Federtusche auf Papier, 48,5 x 36 cm, CDN, © Schweizerische Eidgenossenschaft.
Friedrich Dürrenmatt, Hundeliebender Papst, 1966, Öl auf Leinwand, 64,5 x 53,5 cm, CDN, © Schweizerische Eidgenossenschaft.
Plakat. Grafische Gestaltung: The Bells Angels
Bitte beachten Sie, dass die Bilder nur im Rahmen einer Medienberichterstattung und mit Angaben
des angegebenen Copyrights verwendet werden dürfen.
Pressebilder können auf der Internetseite des CDN heruntergeladen werden:
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Kontakte
Duc-Hanh Luong, Mediensprecherin
Duc-Hanh.Luong@nb.admin.ch
T. +41 (0)32 720 20 63 (Di-Do)
Janine Perret Sgualdo, Direktorin CDN
Janine.Sgualdo@nb.admin.ch
T : + 41 (0)58 466 70 62
Kontaktdaten von Marc-Olivier Wahler, Kurator, auf Anfrage.
Centre Dürrenmatt Neuchâtel
Pertuis-du-Sault 74
CH-2000 Neuchâtel
T : + 41 (0)58 466 70 60
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Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr
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