Toronto NewsletterVI 2010
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Toronto NewsletterVI 2010
11/27/10 ad Toronto Newsletter VI Hey dudes! Es ist wieder soweit. Ich erstatte Bericht. Sicherlich habe ich mir Zeit gelassen, aber dafür vermag ich auch wieder ein paar Seiten zu füllen. Denn, wie könnte es auch anders sein, ich bin nicht wochenlang in Toronto herumgehockt, sondern habe mich wohl oder übel auf einen weiteren Trip begeben. Ende Oktober habe ich mich bereits von Marlene und Henry verabschiedet, denn unsere Reisepläne waren so gegenteilig aufgestellt, dass wir uns bis zu meiner Abreise (ich habe vor einer Woche Kanada verlassen, bin jetzt in der Schweiz, aber fliege morgen nach Florida und verweile dort bis Weihnachten) nicht mehr sehen würden. Nachdem das erledigt war flog ich in die Stadt der Städte, New York City. Dort traf ich meinen alten Herrn, seine Langzeitverlobte Graziella und den altbekannten Freund der Familie Andi Wagner. Obwohl ich die Stadt kaum erwarten konnte, würdigten wir ihr keinen Blick, sondern machten uns gleich per Mietwagen in Richtung New Jersey auf. Dann bald ein Déjà-Vu, eine vom Regen überflutete Autobahn. Ich versuchte mein Physikwissen abzurufen und herauszufinden ob man in einem 2 Tonnen schweren Dodge Charger in dieser Situation sicherer ist als Anne und ich im geliehenen VW Jetta vor einem guten Monat, der nur wenig mehr als eine Tonne wog. Mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung von Physik mehr habe und auch nie gehabt habe. Möglicherweise hilft ein Bier, dachte ich, und es half. Im stilvollen Cape May im äussersten Süden New Jerseys angekommen heisste uns sogar noch die Sonne willkommen. Das intakte Örtchen ist wirklich einen Besuch wert, da es eine Seite der USA zeigt, die wir Schweizer kaum kennen. Die gepflegten Häuser sehen aus wie überdimensionale Puppenhäuser und der Atlantik präsentiert sich an schönen Sandstränden. Trotz oder gerade wegen der Idylle musste ich an den weissen Hai denken. Dieser Film wurde zwar auf der Insel Martha’s Wineyard, Massachussetts gedreht, geht aber auf eine wahre Geschichte zurück, die sich in New Jersey ereignete. Der Sommer 1916 war ein Hitzesommer. Zum ersten Mal begab sich eine breite Masse an Menschen an die Strände der Ostküste. Viele Menschen konnten zu dieser Zeit nicht schwimmen und noch weniger hatten eine konkrete Vorstellung vom Wesen des Hais. Am 1. Juli ereignet sich der erste Vorfall. Ein junger Mann wird beim Schwimmen attackiert und verstirbt kurz darauf. Die Medien beginnen vom Vorfall zu berichten, allerdings ist man sich nicht einig, dass es sich um eine Haiatacke handelt. Eine Woche später und 72 km entfernt geht Charles Bruder, trotz Warnung zweier junger Männer, schwimmen. Charles Bruder ist ein guter Schwimmer und scheint sogar schon Erfahrungen mit Haien in Kalifornien gemacht zu haben. Er ist überzeugt, dass Haien aus Angst vom Menschen davonschwimmen. Spannendes Detail: Bruder ist Schweizer, also wohl auch für Haie neutral. Es hilft ihm nichts, er wird attackiert und verstirbt noch am Strand. Die letzten 3 Attacken ereigneten sich interessanterweise in einem Wasserlauf 16 km landeinwärts. Nur eine Person überlebte. Und wir entschieden nicht schwimmen zu gehen. Am zweiten Tag gelangten wir per Fähre nach Delaware. Als Etappenziel war Washington D.C. angesetzt. Das erreichten wir auch nach einem Stopp in Annapolis, Maryland. In Washington waren -1- 11/27/10 ad wir bei Robert und seiner Frau Corina zu Besuch. Robert, einst selbst aus Österreich importiert, macht grade einen Auslandsaufenthalt in D.C. Irgendwie hat er es geschafft dem ganzen einen offizielleren Touch zu geben als ich. Während ich den Ruf habe, in einem englischsprachigen Land zwanglos Ferien zu geniessen, forscht Robert ein bisschen in der Medizin für Herrn Obama. Nichts desto trotz sind sie hervorragende Gastgeber. Wir genossen die Zeit in der Stadt. Auch mein Vater genoss die Zeit. Also bis zum Tag als er den Marine Corps Marathon laufen musste. Das heisst er wollte. Auf alle Fälle an dem Tag an dem er sich angemeldet hatte. Jetzt musste er. Er lief die ganze Strecke ohne zu jammern. Jedenfalls nicht vor uns. Die Stadt Washington D.C. ist eine Planhauptstadt. Lustiges Plätzchen von den Indianern stehlen, ein paar lustige Regierungsgebäude hinstellen und nach einem lustigen Typen benennen. Fertig ist die Planhauptstadt. Das Stadtzentrum ist schön anzusehen mit seinen blitzblanken Regierungsgebäuden. Aber wie oft in Nordamerika täuscht die Fassade. Die Stadt war vor 20 Jahren diejenige mit der höchsten Mordrate in den USA. Mehr als die Hälfte der Einwohner sind Schwarze, nicht wenige davon gehören zu der absoluten sozialen Unterschicht. Denn so gut wie Herr Obama sind nicht alle Schwarzen gestellt in dieser Stadt. Nicht gerade hilfreich, dass Nationalheld George Washington, nachdem die Stadt benannt ist, einst selbst über hundert Sklaven hielt. Auch sonst entdeckt man interessante Details in Washingtons Biografie. Der erste Präsident der Vereinigten Staaten war nicht nur ein begnadeter Militärstratege, er war, vor allem in seinen späteren Jahren, ein Junkie. Wegen schlechter Zähne und sonstiger Gebrechen war er auf Schmerzmittel angewiesen. Und zu dieser Zeit verwendete man dazu Laudanum, eine Opiumtinktur. Die pure Manipulation. Das Staatsoberhaupt dieser noch so jungen Nation kontrolliert durch Drogen. Dieses Laudanum ist eine üble Sache und definitiv nicht aus echten schweizer Kräutern. Doch wer hat’s erfunden? Die Schweizer. Genauer Theophrastus Bombastus von Hohenheim. Nach ein paar Tagen in der Hauptstadt des Bösen zogen wir weiter ins Lengeschder Kaundi. Lengeschder Kaundi (Lancaster County) iss en Kaundi in Pennsilfaani. Viel amische unn mennischde Leit wuhne in Lengeschder Kaundi. Die Schtadt Lengeschder iss die greescht Schtadt. Die amische Gmeeschaft in Lengeschder Kaundi iss die eldscht amische Gmeeschaft ass noch rum iss in de Schteets unn in der Welt. Nein, ich schreibe nicht in Schweizerdeutsch. Es handelt sich um Pennsylvania Dutch, die Sprache der Amischen und der Mennoniten in Pennsylvania (und anderen Teilen Nordamerikas). Nicht nur die Sprache stammt vom süddeutschen, elsässischen und deutschschweizer Raum ab. Auch die Geschichte dieser Leute reicht in unsere Heimat zurück. Zur Zeit Martin Luthers entstanden noch weitere religiöse Bewegungen. Unter anderem auch die der Mennoniten. Diese hatten vor allem im Bezug auf die Taufe andere Ansichten als die Reformierten. -2- 11/27/10 ad Dies führte dazu, dass sie bald verfolgt wurden. Gute hundert Jahre später gab es dann auch noch Uneinigkeiten unter den Mennoniten in der Schweiz und im Elsass und eine Gruppe spaltete sich ab. Diese nannten sich die Amischen, nach einem Schweizer namens Jakob Ammann. Die Gruppe ist heute bekannt dafür, dass sie jeglichen technischen Fortschritt ablehnen. Sie führen ein sehr bescheidenes Leben und dies grösstenteils als Selbstversorger. Mich hat beim Besuch des Lancaster County fasziniert, wie friedlich die Amischen neben den Leuten leben, die ein moderneres Leben führen und nicht dieser Glaubensrichtung angehören. Allgemein fühlte sich der Abstecher dorthin ein wenig wie eine Zeitreise an, denn die Amischen ziehen sich sehr altertümlich an und verzichten teils auch auf die Benutzung von Autos. Stattdessen bewegen sie sich in Kutschen fort. Hierfür gibt es auch extra Kutschen Parkplätze vor dem Supermarkt. Grund für die Reise nach Pennsylvania war, dass wir Graziellas Cousine besuchen gingen, die der amischähnlichen Gruppe der Anabaptisten angehört. Wenn auch hinter vielem Schweizer Wurzeln stecken, war Graziella mit ihrer Italian Connection doch auch gut vertreten. Und dies würde sich nach dem Besuch ihrer ebenfalls italienisch stämmigen Cousine auch nicht ändern, denn wir bewegten uns in Richtung New York City. Immerhin 8% der Einwohner sind italienischer Herkunft. Leider hatten wir nur 4 Tage für den Grande Mela. Am ersten Abend nutzten wir gleich die multikulturellen Vorteile und gingen in Chinatown essen. Das Restaurant war eine gute Wahl, denn ausser einem Tisch waren wir die einzigen Langnasen. Der Rest war ordentlich besetzt mit Schlitzaugen. Wir bestellten uns quer durch die ganze Karte, liessen jedoch den „Living Eel“ weg. Den ersten vollen Tag verbrachten wir auf den Strassen Manhattans. Schon beeindruckend, der Spaziergang durch die gigantischen Betontäler. Richtig bewusst wie eng alles bebaut ist, wird einem erst, wenn man bei der Lichtung des Ground Zero vorbeischaut. Aber das sieht man nicht mehr lange, denn bereits schlängeln sich neue Türme in die Höhe. Das Abendessen genossen wir in der obersten Etage unseres Hotels Marriott am Times Square. Dort ist ein Drehrestaurant mit wundervoller Aussicht installiert. Times Square -3- 11/27/10 ad Am nächsten Tag fing das marathonorientierte Programm an. Es hiess: „Füsse schonen“. Wir schlenderten nicht durch die Stadt, sondern setzten uns auf ein Boot um Manhattan zu umrunden. Dies ist natürlich ideal, um Fotos der Skyline zu schiessen. Zu diesem Zweck nahmen wir trotz winterlicher Frische auf dem Aussendeck platz. Die Fotos wurden gut, jedoch nicht unsere. Wir haben die Inder hinter und neben uns nicht einkalkuliert in unseren Plan. Es scheint in Indien Sitte zu sein, kein einziges Bild der nackten Bauwerke zu schiessen. Die scheinen misstrauische Freunde und Verwandte zu haben, denn die Inder sind auf jedem, ich übertreibe nicht, auf jedem einzelnen ihrer Fotos abgebildet. (Man stelle sich dieses Fotoalbum vor.) Um dies überhaupt zu schaffen, mussten sie stets aus den eng bestuhlten (ich meine bestuhlt im Sinne von: mit Stühlen ausgestattet) Reihen aufstehen und sich auf die eine oder andere Seite bewegen um dort zu posieren. Dabei standen sie immer allen anderen Leuten im Weg, die, ob die das glaubten oder nicht, ein Bild der Freiheitsstatue ohne braunen Kopf am Bildrand schiessen wollten. Das interessante dabei war, dass da 4 Inder waren. Und die Inder konnten alleine, zu zweit oder zu dritt posieren, mit abwechselndem Fotografen. Daraus ergeben sich 14 Kombinationen. Und dies machten sie sicher vor der Freiheitsstatue, der Brooklyn Bridge, dem Empire State Building, dem Chrysler Building, dem UN Hauptsitz und aus mindestens 5 Perspektiven vor der Skyline. Dies wiederum heisst, dass sich diese Inder um die 140 Mal vor unsere Linse quetschten. Und als Bonus, in den raren Momenten als die Inder sassen, stellten sich dann ein paar aufgestylte Schickimicki-Italiener vor uns. Graziella versuchte dem ganzen als Aussendeckpolizistin entgegenzuwirken. Sie brillierte mit Sätzen wie: „Sit down, please!“. Etwas ähnliches, dass allerdings mehr nach Schimpfwörtern klang, richtete sie auch an unsere italienischen Sitznachbarn. Ironischerweise assen wir an diesem Abend italienisch und am Abend darauf indisch. Wir sind definitiv nicht nachtragend. Der Sonntag stand im Zeichen des Marathons. Andi und ich suchten uns eine geeignete Stelle im Central Park und stellten uns dort ein paar Stunden hin. Wir warteten umsonst auf den Favoriten Gebredingsbums und auf den schweizer Spitzenläufer Röthlin, denn beide gaben das Rennen auf. Graziella lief pflichtbewusst in ihrem Zeitplan (3:24h), jedoch auf meinen Vater warteten wir vergebens. Als die Uhr 2 km vor dem Ziel schon über 5 Stunden anzeigte und die Läufer nicht mehr wirklich an aufrecht gehende Wesen erinnerten, entschieden wir, dass wir Andy einen grösseren -4- 11/27/10 ad Gefallen machen, wenn wir ihm nicht zuschauen, wie er in diesem Zustand an uns vorbeihumpelt. Als wir zurück im Hotel waren, trafen wir nicht nur auf Graziella, sondern auch auf Andy. Glück für ihn, wir haben ihn unter den mehr als 30'000 Teilnehmern einfach nicht gesehen und er erreichte das Ziel doch noch in der geplanten Zeit. Nochmals zurück zu Graziellas Italian Connection. Besonders stolz war sie stets darauf, dass das Gebiet von New York schon 1524 durch ihren Landsmann Giovanni da Verrazano entdeckt wurde. Darum widmete ihm die Stadt später auch die Verrazano-Narrows Bridge, auf der der Marathon beginnt. Das ist ja alles schön und gut und ich gönne den Italienern diesen Erfolg. Nur blöd dass Verrazano kurz darauf von der Bildfläche verschwand. Er wurde vermutlich von kannibalischen Indianern auf Guadeloupe verspeist. Er konnte leider keinen Profit mehr schlagen aus der Entdeckung New Yorks. Doch ratet mal wer sich dank Verrazano doch noch ein paar Dollars dazuverdiente. Die Verrazano Bridge musste zuerst einmal geplant werden. Und wer könnte das besser als ein Schweizer? Schlussendlich ist der Ingenieur Othmar Ammann nur ein weiteres Beispiel dafür, wer heimlich die Welt kontrolliert. (Und es ist immer noch cooler, vom Hai gefressen zu werden, als vom Menschen.) -5-