Körper im Gebet - Erzdiözese Wien
Transcription
Körper im Gebet - Erzdiözese Wien
geistvoll_2010_2_v1_1_cover.qxp 10.05.2010 08:09 Seite 1 2/2010 ISSN 1815-4859 Körper im Gebet WARUM MIT DEM KÖRPER BETEN? GEBETSHALTUNGEN BEI DEN VÄTERN KÖRPER BEI IGNATIUS I n h a l t „Körper im Gebet“ 04 Theresia Heimerl „Dulde keinen, der sagt, unser Körper habe mit Gott nichts zu tun!“ (Cyrill von Jerusalem). Warum Christen mit dem und durch den Körper beten müssen 08 Marianne Schlosser Der Leib sei die Ikone der Seele. Gesten und Haltungen des Gebetes bei den Vätern 13 Stefanie Strobel sa Körperhaltungen, Körperhandlungen im Gebet – ausgehend von Ignatius von Loyola 18 Weiterführende Hinweise Spiritualität konkret 19 Helene Berger SSpS Ich beginne zu beten … Ignatius verstehen 20 Dominik Terstriep SJ Aszese bei Ignatius von Loyola (Teil 2) Gegenargument 22 Józef Niewiadomski Religion erzeugt Gewalt? 24 aufgefunden Impressum Titel: „geist.voll spirituell. orientierend. praktisch“; Medieninhaber (Verleger): Erzdiözese Wien, A-1010 Wien, Wollzeile 2; Herausgeber: Pastoralamt – Erzdiözese Wien, Förderung Geistlichen Lebens Redaktion: Mag.a Beate Zimmermann, P. Dr. Bernhard Bürgler SJ, P. Dr. Thomas Neulinger SJ; alle: 1010 Wien, Stephanspl. 6/1/5/Zi. 551; Tel. (01) 515 52-3309, Fax: -2371; E-Mail: fgl@edw.or.at, Homepage: geistvoll.pastoralamt.at Gestaltung: Peter List; Druck: Fa. Hannes Schmitz, 1200 Wien Erscheint viermal jährlich, Jahresabo s 9/ Einzelheft s 2,25 Offenlegung: Die Zeitschrift „geist.voll“ dient sowohl der theologischen und praxisbezogenen Information über die Ignatianischen Exerzitien und über andere Formen der Spiritualität als auch der Auseinandersetzung damit. Einzahlungen und Zuwendungen auf das Bankhaus Schelhammer & Schattera: Kto. Nr. 24 54 98, BLZ 19190, IBAN: AT93 1919 0000 0024 5498, BIC: BSSWATWW, Pastoralamt der Erzdiözese Wien „geist.voll“ 2 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 2 19.05.2010 12:59:22 Liebe Leserin! Lieber Leser! „Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Dieser Satz aus dem Johannes-Prolog steht im Mittelpunkt unseres Glaubens. Wenn wir nach der Bedeutung von „Körper im Gebet“ fragen, können wir uns in Erinnerung rufen, dass unser Gott nicht eine gestaltlose „geistige Macht“ ist, sondern eine konkrete Person, ein Du, mit dem wir kommunizieren, zu dem wir sprechen können. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ In Jesus Christus begegnet uns gleichsam die „Leibhaftigkeit“ Gottes, ein Mensch mit Fleisch und Blut, jemand, den man „berühren“ kann (Lk 8,45 par), und der selbst keine Scheu hat, die Menschen anzufassen. An zahlreichen Stellen im Evangelium wird beschrieben, dass Jesus seinen Körper bewusst einsetzt. Das Heilen eines Menschen unterstützt er häufig durch eine körperliche Handlung: „Er ergriff ihre Hand und rief: Mädchen, steh auf (Lk 8,54 par).“ Jesus geht auf die Menschen nicht wie ein Harry Potter mit Zauberstab und Zauberformel zu, sondern er heilt mit seinem Willen. Doch damit die Menschen das Geschehen leichter begreifen und mit ihrem eigenen Glauben unterstützen können, bekommt die leibliche, sinnlich wahrnehmbare Handlung eine wichtige Bedeutung. Wenn Jesus betet, zieht er sich zumeist zurück; manchmal schickt er die Leute sogar ausdrücklich fort, um allein zu sein. Trotzdem dürften ihn die Jünger aus diskreter Distanz beim Beten beobachtet haben, bis sie den Mut aufbringen, ihn zu bitten, auch sie das Beten zu lehren. Noch bevor die Jünger gehört haben, was Jesus betet, haben sie gesehen, wie Jesus betet. Sie haben sich eingeprägt, welche Gebetshaltung Jesus einnimmt und wie sich sein Gesicht während des Gebetes verändern kann. „Körper im Gebet“: auch bei Jesus. Später werden die Jünger noch häufig am Gebet Jesu unmittelbar teilnehmen können, und sie werden am Ölberg erleben, wie anstrengend bis zur körperlichen Überforderung dieses Gebet Jesu sein kann. Liebe Leserin, lieber Leser! Am 1. März habe ich die Aufgabe als theologischer Berater im Bereich „Förderung Geistlichen Lebens“ von P. Bernhard Bürgler, dem ich für seinen Einsatz herzlich danken möchte, übernommen. Ich freue mich, meine Erfahrung in der Exerzitien- und Geistlichen Begleitung nun hier einbringen zu können. P. Josef Anton Aigner SJ 3 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 3 19.05.2010 12:59:25 Ao.Univ.-Prof. Mag. DDr. Theresia Heimerl ist Universitätsdozentin am Institut für Religionswissenschaft an der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Graz. „Dulde keinen, der sagt, unser Körper habe mit Gott nichts zu tun!“ (Cyrill von Jerusalem) C Warum Christen mit dem und durch den Körper beten müssen Caro cardo salutis, das Fleisch ist der Angelpunkt des Heils, schreibt der frühchristliche Theologe Tertullian im 2. Jahrhundert. Tatsächlich sind der Körper und die Auseinandersetzung mit dem Körper zentral für das Christentum. Im Zentrum des Christentums steht ein allmächtiger, ewiger und allwissender Gott, der wirklicher Mensch und damit Körper wird. Für die Umwelt des jungen Christentums war dieses Ereignis unbegreiflich. „Den Heiden eine Torheit, den Juden ein Ärgernis“ berichtet Paulus. In der Tat ist die Vorstellung von einem Gott, der freiwillig den vergänglichen, hinfälligen menschlichen Körper annimmt, der inkarniert, zur Zeit der Entstehung des Christentums schockierend. Die meisten wollen weg aus dem unvollkommenen „Kerker der Seele“, ein Gott, der sich freiwillig dieser Mühe unterwirft und den Körper bis zur letzten, tödlichen Konsequenz am Kreuz erfährt, ist ihnen suspekt. Gerade darum aber bringt das Christentum etwas wirklich Neues. Es nimmt den ganzen Menschen in seiner Verfasstheit als körperliches, geistiges und seelisches Wesen ernst und es verspricht ihm ein Weiterleben in dieser Ganzheit. Schon in den Evangelien wird das Gebet der Menschen und die Erfüllung dieser Gebete oft am Körper sichtbar: Jesus heilt die Blinden und Aussätzigen, der Körper der Geheilten wird zum machtvollen Zeichen göttlichen Heilshandelns und provoziert viel mehr als theologische Argumentationen es könnten. Das Schockierendste an der Lehre der ersten Christen, beginnend mit der Mission des Paulus bei den Griechen und Römern, ist die „Auferstehung des Fleisches“. Der Mensch wird als ganzer auferstehen, verwandelt zwar, aber nicht bloß als Seele, wie es seit Platon die Mehrzahl der Gebildeten glaubt. Der Körper ist in der Tat Angelpunkt des Heiles. An ihm wird Gottes 4 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 4 19.05.2010 12:59:25 Heilshandeln in der Inkarnation und in der Auferstehung sichtbar, ohne ihn ist der Mensch kein ganzer Mensch. Wenn der Mensch mit Gott in Beziehung tritt, dann immer als körperlicher Mensch. Das Gebet, eine besondere Form der Beziehung zu Gott, hat daher immer wesentlich auch eine körperliche Dimension. Der Körper in der Schöpfungsgeschichte Wie sehr der Mensch in seiner Beziehung zu Gott körperlicher Mensch ist, zeigen uns bereits die ersten Kapitel der Bibel. In Gen 2,7 formt Gott den Menschen aus Erde vom Ackerboden und haucht ihm Lebensatem ein, erst beides zusammen, das von Gott Geformte und Behauchte, ergibt den Menschen. Und dieser Mensch in beiden Geschlechtern ist Abbild Gottes. Auch der Sündenfall, das freiwillige Sich-Abwenden von Gott, manifestiert sich im Menschen körperlich und geistig. Der Mensch kann Gott nicht mehr unbefangen gegenüber treten, seine gestörte Beziehung erfährt er buchstäblich am eigenen Leib, den er verstecken will (Gen 3,7-8). Die Haltung des Körpers spiegelt jene der Seele bzw. des Geistes wieder, erst durch den Körper kann sich der Mensch seinem Gegenüber ausdrücken. Unzählige Kunstwerke zeigen diese Szene, Adam und Eva ängstlich zusammengekrümmt, oftmals die Hände abwehrend erhoben, die Gesichter abgewandt von Gott und doch sehnsüchtig zurückschauend auf das Paradies. Diese körperliche Haltung, der Mensch in sich gekrümmt und nicht mehr fähig direkt zu Gott zu blicken, kennzeichnet für Augustinus und Bernhard von Clairvaux den Menschen in der Welt. Homo incurvatus in se, der in sich gekehrte, verkrümmte Mensch. Wer mit Gott in Beziehung treten will, muss sich „entkrümmen“, sich mit Gottes Hilfe wieder aufrichten. Der Körper in der mystischen Tradition Die christliche Tradition sieht die Beziehung des Menschen zu Gott immer als eine, die sich im und durch den Körper ausdrückt. Gebet aber ist Beziehung zu Gott und daher viel mehr als bloßes Aufsagen von Texten. Von Anfang an spielen im Christentum in der Liturgie der Körper, seine Bewegungen, Haltungen, seine Bekleidung eine große Rolle. Doch gerade auch im individuellen Gebet des oder der einzelnen beten alle großen Heiligen der Geschichte des Christentums zu Gott nicht nur mit Worten, sondern als Ganzes, durch ihren und mit ihrem Körper. Es sind dies zum Teil Formen des Gebetes, die uns heute seltsam anmuten, wenn Männer und Frauen stundenlang bewegungslos ausgestreckt vor dem Kreuz auf dem Boden verharren, wenn sie kniend Kirchen umrunden oder barfuß auf Berge gehen. Auch das exzessive Fasten vor und während des Gebetes irritiert uns. Und gänzlich unverständlich sind uns selbstzugefüg- 5 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 5 19.05.2010 12:59:25 te Wunden, die an das Leiden Christi erinnern sollen. Alle diese Formen und Praktiken führen uns aber deutlich vor Augen, dass Gebet immer auch den Körper einschließt und wesentlich im und durch den Körper geschieht. Es geht in der christlichen Gebetstradition nicht darum, wie immer wieder behauptet wird, den Körper zu unterwerfen oder gar abzutöten. Der Körper stört nicht beim Gebet, er bildet dieses bzw. dessen Inhalt ab: Sehnsucht, Verzweiflung, Dankbarkeit, Schmerz werden im Körper erfahren und diese Erfahrung bringt der Mensch in seinem Gebet vor Gott, er bringt sich als Ganzes vor Gott. Umgekehrt braucht der Mensch die Sprache des Körpers, um seine Beziehung zu Gott in vollständige Bilder fassen zu können. Das beste Beispiel hierfür ist die Mystikerin Mechthild von Magdeburg, die ihre Gottesbegegnungen in Bildern größter körperlicher Intensität beschreibt: „Je enger das Minnebett wird, umso inniger wird die Umarmung, /Je süßer das Mundküssen, um so inniger das Anschauen.“ (Das Fließende Licht der Gottheit, I, 22). Die Mystikerin versucht hier, ihre unmittelbare Gottesbeziehung in Bilder körperlichen Erlebens zu fassen, gleichzeitig aber ist sie sich sehr bewusst, dass der irdische Körper kein „Ort“ uneingeschränkter Gottesbegegnung sein kann: „Ich kann dich noch so zart berühren, /du musst unendlich Weh verspüren an deinem Leib.“ (FL II,25) Vielmehr ist der Körper Aus- drucksmittel der Gottesbeziehung und Erinnerung an die vorläufige Unvollkommenheit dieser Beziehung in einem. Die Wiederentdeckung des Körpers in der spirituellen Praxis Wir haben heute ein ganz anderes Verständnis des Körpers als die ersten Christen oder die Heiligen des Mittelalters. Für uns ist der Körper Gegenstand der Medizin und Biologie, sein Zustand ist wesentlich für unsere gesellschaftliche Akzeptanz, der Körper ist in Werbespots und auf Plakaten allgegenwärtig. Gleichzeitig leben wir in einer extrem „unkörperlichen“ Gesellschaft. Vorbilder für unsere Wünsche, Sehnsüchte, Ängste erleben wir zunehmend nur mehr virtuell, in künstlichen, ungreifbaren, unvergänglichen Bildern, denen unsere realen Körper nie entsprechen können. Heute sehen die wenigsten Menschen noch einen Zusammenhang zwischen Körper und Gottesbeziehung. Erst in den letzten Jahren wird der Körper als wesentlicher Bestandteil des Gebetes als Auseinandersetzung mit Gott im umfassenden Sinn wieder in zumindest einem Bereich wahrgenommen. Die Wallfahrt nach Santiago, Mariazell oder an andere Orte boomt und viele Menschen nennen als Grund, sich auf diesen Weg zu begeben, dass sie dabei sich ihrer selbst bewusst werden (ihre Verkrümmung erkennen, würde Bernhard von Clairvaux sagen) und ihnen 6 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 6 19.05.2010 12:59:25 ihre Beziehung zu Gott in einer anderen, unmittelbareren Form präsent wird als dies in den tradierten kirchlichen Ritualen der Fall ist. Das Gebet im Gottesdienst hat tatsächlich einen festgefügten Rahmen, der es vielen Menschen schwer macht, es nicht bloß als „Lippenbekenntnis“, als auswendig gelernte und mechanisch wiedergegebene Texte, zu begreifen. Die „Unkörperlichkeit“ der Gesellschaft wirkt auch in den kirchlichen Alltag hinein: Jene, die tatsächlich sich als ganze Menschen mit ihrem Körper und ihrer Seele in den Gottesdienst einbringen wollen, kleine Kinder oder auch Behinderte, ernten irritierte oder missbilligende Blicke, wenn sie die beinahe körperlosen, dahin klingenden Gebete der anderen Kirchenbesucher durch ihren Tanz vor dem Altar stören oder gar versuchen, zu Weihnachten das Jesus Kind aus der Krippe zu heben und an sich zu drücken. Eine neue Theologie des Körpers entwerfen und leben Es ist sicher nicht leicht, heute eine Theologie des Körpers zu entwerfen, die Grundlage sein könnte für ein Gebet, das den Körper integral miteinschließt, ohne zur bloßen pseudospirituellen Selbsterfahrung zu werden. Grundlage für eine solche Theologie muss die biblische Anthropologie sein, die den Menschen immer als Einheit aus von Gott geschaffenem Körper und göttlichem Lebensatem begreift. Grundlage muss auch der Glaube an einen Mensch und damit Körper gewordenen Gott sein, der den Menschen gerade in seiner körperlichen Hinfälligkeit und Bedürftigkeit ernst genommen hat. Wenn wir beten, muss uns bewusst sein, dass wir dabei als ganze Menschen in Beziehung zu Gott treten und dass unser Körper unser Gebet spiegelt und verstärkt. Zur selben Zeit müssen wir aber auf der Hut sein, nicht den Körper selbst zu vergöttlichen, wie uns die Körperbilder unserer Umwelt nahe legen. Gebet als Form der Gottesbeziehung kann nur gelingen, wenn wir ehrlich sind zu uns selbst und unsere Beschränktheit als körperliche Wesen anerkennen und wissen, dass unsere Gebete aus dieser heraus erwachsen. Die Erfahrung des Körpers ist immer eine gebrochene, und gerade deshalb blenden wir sie heute wohl gerne auch und sogar in der Begegnung mit Gott aus und tun so, als wären wir zumindest während des Gebetes unseres endlichen, beschränkten Körpers enthoben und nur ein Gedanke, ein flüsternder Hauch. Doch es ist gerade diese mehrfach gebrochene Erfahrung des Körpers, die Verkrümmung in uns selbst, die uns des Gebetes bedürftig macht. Mit der Unbefangenheit des tanzenden Kindes vor dem Altar können wohl die wenigsten von uns noch beten. Wohl aber sollen wir uns dessen bewusst sein, dass wir im Gebet einem Gott begegnen, der selbst körperlicher, leidender Mensch geworden ist und der uns als ein solches körperliches, fühlendes Gegenüber wahr- und annimmt. 7 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 7 19.05.2010 12:59:25 die Beteiligten. Der „Übeltäter“ selbst erschien nun als Segensbringer, das ganze Geschehen als ein „mysterium tremendum et fascinosum“. Menschen erfanden ja ihre Götter nicht, sie vergöttlichten ihre Opfer. Und weil sich die viktimisierten Menschen das Leben nur im Modus der Viktimisierung vorstellen konnten, „forderten“ diese Götter immer neue Opfer. Die heidnische „Opferküche“ wurde bedient, das Gegengift erfüllte seine Funktion. Weil sakralisiert, blieb die Gewalt der betroffenen Gesellschaft unsichtbar. Dieser mythologische Zugang stellte aber das Ergebnis einer Täuschung dar; er ist auch mit dem Blick auf die Oberfläche des Pelzmantels zu vergleichen. Die Geborgenheit schenkende Außensicht muss nur umgedreht werden, schon wird der Preis der Geborgenheit sichtbar. Es ist das vergossene Blut der Opfer! Eine solche „Inversion des Pelzmantels“ vollzieht nun die Offenbarung des wahren Gottes. Der transzendente Gott der Bibel stellt ja kein divinisiertes menschliches Opfer dar; mehr noch: in seiner Zuwendung zu den Opfern menschlicher Gewalt, macht er diese Opfer und die durch sie kanalisierte Gewalt erst sichtbar. Das ist auch der Grund, warum die biblischen Schriften in ihrer Sprache derart gewaltfixiert sind. Weil die Offenbarung einen auf Kosten der Dritten aufbauenden faulen Frieden bloßstellt, tritt in ihr und durch sie die Gewalt buchstäblich aus allen Ritzen menschlicher Kultur hervor. In diesem Sinn kann wohl gesagt werden, die Sprache der Offenbarungsreligion sei gewaltschwanger. Die biblische Offenbarung erzeugt aber die Gewalt nicht, wohl aber macht sie die allgegenwärtige Aggression und die verschleierte Gewalt sichtbar. Schon dadurch, dass sie diese beim Wort nennt, oder sie der Verfügungsmacht der Menschen entreißt („Mein und nicht euer ist der Krieg“ ruft Gott dem im Blutrausch gefangenen Menschen zu), schlussendlich diese im Modus der Gewaltüberwindung zeigt (Gottesknecht, Jesus, Stephanus). Der wahre Gott will keine Gewaltopfer, er will ein neues, ethisch kultiviertes Verhalten. Das ist ja der Inbegriff der prophetischen Logik und auch der Logik Jesu. Sowohl die Propheten als auch Jesus fallen aber der entfesselten Gewalt zum Opfer, stellen also so etwas wie einen Sündenbock dar. Das Dilemma menschlicher Aggressivität wird von neuem auf archaische Weise gelöst. Die Logik einseitiger Anschuldigung und der Kanalisierung der Aggressionen auf einen Sündenbock bleibt ja das erfolgreichste Mittel des Umgangs mit diffuser Gewalt. In der Art, wie Jesus sein Geschick erleidet, ermöglicht er aber Versöhnung selbst durch die Sackgasse des gewaltsamen Todes hindurch. Aus der Kraft eines Gottes, der selber der Inbegriff der Liebe ist. Einer Liebe, die stärker ist als alle Gewalt. Univ. Prof. Dr. Józef Niewiadomski ist Dekan an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Innsbruck. 23 geist_voll_2010_2_v5_1.indd 23 19.05.2010 12:59:26