48 vinum januar / februar 2013

Transcription

48 vinum januar / februar 2013
48
vinum
januar/februar 2013
Text: Rainer Schäfer, Fotos: Gerrit Callsen
In Oregon, dem «Biberstaat», waren Haselnüsse und Weihnachtsbäume noch Exportschlager, als kalifornische
Weine bereits boomten. Heute blickt die junge Winzergeneration des kleinen, ungezähmten Weinlandes
längst nicht mehr neidvoll nach Süden oder nach Europa. In Oregon reifen elegante Cool-Climate-Weine von
Weltklasseformat. Und mit dem Nachbarn Kalifornien verträgt man sich auch ganz gut.
DIE STUNDE DES BIBERS
Oregon und Kalifornien
Foto: shutterstock.com/BMJ
49
50
«Burgund hat uns gelehrt,
dass manche Winzer es
können und manche es nie
lernen werden. Das ist
die wichtigste Erkenntnis.»
Jason Lett Eyrie Vineyards, McMinnville
J
ason Lett grinst, als er auf das Plakat an einer Wand in seinem Weingut Eyrie Vineyards in McMinnville
in Willamette Valley zeigt. Darauf steht:
«To hell with how they do it in California.» Wen kümmert es schon, wie sie es
in Kalifornien machen? Jason Lett allem
Anschein nach nicht. Er ist ein grundsympathischer und durchaus nachdenklicher Winzer im Norden Oregons, aber
diesen Seitenhieb kann er sich nicht
verkneifen. Lett trägt Gummistiefel, eine
Brille und eine Baseball-Cap auf dem beinahe kahlen Kopf. Er ist ein wacher Typ,
der vieles in Frage stellt. Kalifornien, der
benachbarte Bundesstaat, ist die Urzelle
des Weinbaus in den USA. Von dort gingen viele Impulse aus, und das lässt man
die anderen gerne spüren. Noch heute
sehen einige kalifornische Winzer etwas
herablassend auf den Weinzwerg Oregon
hinab. Dabei wachsen hier einige der reizvollsten Pinot Noir weltweit. So wie Jason
Lett denken viele Winzer in Oregon, es
ist auch ein Reflex auf das aufgeplusterte Selbstbewusstsein im benachbarten
Sonnenparadies, wo scheinbar alles so
mühelos geht. Es ist weniger Abneigung,
die Winzer wie Lett demonstrieren, sondern mehr eine Form von Abnabelung,
um selbstbewusst zu zeigen: Macht ihr
mal euer Ding, wir wissen schon, wo es
bei uns langgeht.
Weinbau in Oregon ist eine blutjunge
Disziplin, gemessen an den Erfahrungen
und Traditionen der Alten Welt. Einer der
Ersten, die ahnten, dass Reben in Oregon
wachsen könnten, war Jason Letts Vater
David, der in San Francisco Önologie
studierte. Er hatte dafür gewaltige Widerstände zu überwinden, stammte er doch
aus einer Mormonenfamilie, in der Alkohol als Werkzeug des Teufels verdammt
wurde. Aber bei David Lett übertraf die
Liebe zum Pinot Noir das Bedürfnis nach
familiärer Harmonie. David Lett war einer
der Getriebenen, die den Pinot Noir anbeteten und monatelang durch Burgund
reisten, um das Wesen der kapriziösen
Rebe zu verstehen. Guter Pinot Noir
benötige Bedingungen wie in Burgund,
das hatte sein Professor ihm mit auf den
Weg gegeben. Lett stromerte durch die
Gegend, nahm unzählige Bodenproben
und beobachtete die klimatischen Bedingungen. Kalifornien war ihm zu heiss
für Pinot Noir, aber in Oregon meinte er
die idealen Bedingungen vorzufinden.
David Lett trat den Exodus aus Kalifornien an, mit dem Antrieb der Flower-
Power-Bewegung, mit langen Haaren,
Stirnband, wild wucherndem Bart und
Pinot-Noir-Reben, am gewaltigen Mount
McLoughlin vorbei. Eisblau spannt sich
der Himmel wie ein Laken über den mit
Schneepuder geschminkten Gipfel. Von
Indianern wurde er als heiliger Berg verehrt, er wirkt hellwach, als beobachte
er jede Bewegung unter sich. Wenn im
Radio Countrymusik läuft, die Steel Guitar schwirrt, dann kann sein Anblick
Sehnsüchte wachsen lassen – nach einem Leben voller ungeahnter Möglichkeiten. Auch David Lett mag das gefühlt
haben auf der Fahrt nach Oregon.
Besessene Pinot-Pioniere
Als er dort mit seinen Reben ankam,
wurde er mitleidig belächelt. Weinbau
in Oregon war so unvorstellbar wie der
Anbau von Gemüse auf dem Mond. Die
Banken jedenfalls weigerten sich, ihm
Geld für sein Wahnsinnsprojekt vorzustrecken: «Die hielten das für keine grossartige Idee», sagt sein Sohn Jason mit
einem ironischen Blitzen in den Augen.
Deshalb steht das Weingut noch heute
im beschaulichen Industriegebiet von
McMinnville zwischen Werkstätten und
Autohäusern, es ist ein schlichter Holz-
vinum
oregon/kalifornien
schuppen. Aber David Lett war besessen
davon, in Oregon Pinot Noir von Weltformat zu erzeugen. 1965 brachte er die
ersten Reben in den Dundee Hills aus,
1979 schockierte er die Weinwelt, als
er auf der Weinolympiade in Paris mit
seinem Pinot South Block Reserve aus
dem Jahr 1975 Spitzenwinzer aus dem
Burgund deklassieren konnte. Als Antwort darauf kauften Winzer von der Côte
d’Or Land in Oregon. Grösser konnte
das Kompliment der Platzhirsche für
die neue Konkurrenz nicht ausfallen. In
Dundee, wo Lett seine besten Weinberge stehen hat, liess sich Robert Drouhin
nieder, der im Burgund auch das berühmte Maison Joseph Drouhin leitet. «Als
die Drouhins kamen, hat die Welt aufgehorcht», erzählt Alison Sokol Blosser,
Nachbarin der Domaine Drouhin. Ihr Vater arbeitete damals als Geschichtslehrer
und fing an, sich nach dem Unterricht mit
Wein zu beschäftigen. Heute zählt die
Sokol Blosser Winery zu den angesehenen Gütern im Willamette Valley.
Burgundische Wegbereiter
Die Sogwirkung, die der Landkauf der
Drouhins auslöste, war gewaltig. Auch
bei der Familie Pfeiffer in Junction City
wollten französische Winzer Parzellen
erwerben, auf denen damals Schafe gehalten wurden. Nur mit Mühe konnte
Robin Pfeiffer seinen Vater überzeugen,
ihm das Land zu überlassen. Pfeiffer,
inzwischen 73, zählt wie David Lett
zu den Pinot-Pionieren, die aus jedem
Rückschlag neue Erkenntnisse ziehen
mussten, um das heutige Niveau zu erklimmen. Tagsüber unterrichtete Pfeiffer
an der Hochschule, nachts nutzte er den
Schein des Polarsterns, um seine Reben
möglichst exakt in Nordsüdrichtung auszupflanzen. Danuta Pfeiffer amüsiert sich
noch heute über die Spleens ihres Mannes: «Er redet auch stundenlang mit den
Reben, er glaubt tatsächlich, dass er die
Pinot-Noir-Sprache beherrscht.» Pfeiffer
ist ein gebildeter und kontrollierter Mann,
aber wenn er über seine Leib-undMagen-Rebe redet, dann zuckt es nervös
um seine Augen. Er ist wohl der einzige
Winzer, der in einem abgedunkelten
Raum bei Kerzenlicht eine Pinot-Klinik
betreibt, in seinen Behandlungen vermittelt er wortreich und humorvoll die
Vorzüge der Rebe – und überzeugt die
Besucher, nur ihrem eigenen Gaumen
zu vertrauen. Die Weine des PinotDoktors werden sogar im Weissen Haus
Der berühmte Pinot Noir
1975 von Eyrie Vineyards.
getrunken. Pfeiffer sieht das auch als
Beleg dafür, dass sich der Weinzwerg
zu beachtlicher Grösse hochgeschraubt
hat. Oregon gilt längst als bevorzugter
Ort für Cool-Climate-Weine, für elegante
Gewächse, die nicht mit ihren Muskeln
protzen wie viele in der Neuen Welt.
David Lett, der charismatische Anführer der Weinbewegung in Oregon, ist
im Oktober 2008 verstorben, er wird als
51
enorm leidenschaftlich, aber auch als
schwierig beschrieben. Sein Sohn Jason
versuchte jahrelang, mit ihm zusammenzuarbeiten, die beiden gerieten immer
wieder aneinander. Frustriert beschloss
Jason Lett, Tischler zu werden und dem
Vater aus dem Weg zu gehen. Er kam
erst zurück, als sein erkrankter Vater die
Arbeit nicht mehr alleine bewältigen
konnte. Jason hat sich längst emanzipiert
von seinem dominanten Vater. Er gehört
einer Generation an, die nicht nur dem
sonnengebräunten kalifornischen Nachbarn selbstbewusst begegnet. Sie hat
auch aufgehört, ergeben nach Europa zu
blicken, in das lange verherrlichte Frankreich. «Burgund hat uns gelehrt, dass
manche Winzer es können und manche
es nie lernen werden. Das ist die wichtigste Erkenntnis», sagt Lett.
Inzwischen zieht es immer mehr Neugierige und Abenteurer nach Oregon, die
ihr Glück als Winzer versuchen. Darunter
sind Quereinsteiger wie Chris Sarver, ein
gut gelaunter Bierbrauer aus Michigan,
der viel und scheppernd lacht. Er habe
lange Zeit Bier getrunken und ab und
«Als die Drouhins
kamen, hat die Welt
aufgehorcht.»
Alison Sokol Blosser
Sokol Blosser Winery, Dundee
Hier geht’s zur Domaine Drouhin.
Quereinsteiger Chris Sarver von der
Sarver Winery in Eugene, Oregon.
zu ein Glas Cabernet. Jetzt trinke er nur
noch Pinot Noir, sagt Sarver, «alles andere
ist Zeitverschwendung». Chris Sarver ist
einer der Existenzgründer, die ihr ganzes Geld in ein kleines Weingut gesteckt
haben. Ein Projekt ganz anderer Grössenordnung betreibt die Familie King, die
mit elektronischen Erfindungen wie der
Blackbox zu Geld gekommen ist. Eigentlich suchten die Kings in Oregon einen
Platz für ihre Pferde, aber sie verliebten
sich in das Land und blieben. Heute ist
die King Estate Winery, ein stattliches
Anwesen im Toskana-Stil, einer der Renommierbetriebe. Hier werden über drei
Millionen Flaschen auf beachtlichem Niveau abgefüllt, die drei Weinmacher sind
in den weitläufigen Gebäuden mit Fahrrädern unterwegs, zu Fuss wären sie zu
schnell erschöpft.
Weinfieber statt Goldrausch
Im Süden Oregons, in der Nähe des
ehemaligen Goldgräberstädtchens Jacksonville, hat sich der Kalifornier Dan Marca niedergelassen. Gemeinsam mit seiner
Frau Cindy betreibt er Dancin Vineyards.
Wo früher der Goldrausch braven Bürgern den Kopf verdrehte, treibt sie jetzt
das Weinfieber um. Obwohl die Sonne
sich öfter zeigt als im Norden Oregons,
erfordere es Mut, hier als Winzer zu starten. «Man muss schon ein wenig verrückt
sein», sagt der gelernte Architekt. 2009
hat er die ersten Reben angepflanzt, bislang sei es schwierig gewesen, gesunde
und reife Trauben zu ernten. Der DebütJahrgang 2010 ist abgefüllt, Pinot Noir
und Chardonnay. «Cabernet wärmt das
Blut, aber Pinot befeuert den Geist», sagt
Marca. Aber es sei ein Fehler, Oregon auf
Pinot Noir zu reduzieren, meint Brian
Gruber vom Weingut Troon Vineyard in
Grants Pass. «Südoregon kann viel mehr.
Bei uns wachsen Reben, die im Norden
nicht zurechtkommen. Wir liegen geschmacklich zwischen Kalifornien und
Burgund, zwischen Alter und Neuer
Welt», sagt Gruber. Troon Vineyard ist
bekannt für Zinfandel, Merlot, Cabernet
Sauvignon, Cabernet Franc und auch
Syrah. Auch die Nachbarn, die Schmidt
Family Vineyards, setzen auf Rebsorten
aus dem Bordelais und von der Rhône.
Die Weissweine, wie zum Beispiel der
Viognier, sind frisch, während die kräftigen Roten an Kalifornien erinnern, das
von hier aus noch sechs Stunden beziehungsweise 600 Kilometer entfernt ist.
In Napa Valley schneiden mexikanische
vinum
oregon/kalifornien
Arbeitsbrigaden mit flinken Händen die
Reben, die Gesichter sind halb unter
Kapuzen verdeckt. Die Hügel sind so
geformt, als ob von einer riesigen Kerze
Wachs nach unten geflossen wäre. Im
Weingut Cuvaison Estate Wines haben
sich einige Winzer zur Verkostung getroffen. David Graves von Saintsbury ist
dabei, ein erklärter Pinot-Liebhaber, der
mit seiner Vorliebe in dieser Runde einen schweren Stand hat. Seit 20 Jahren
beschäftigt er sich mit der «Heartbreak
Grape», wie die Rebe genannt wird, weil
sie schon etliche Winzer ins Unglück gestürzt hat. Sein Bart, sagt Graves, sei dabei grau geworden. Er kennt die Macken
der Diva ganz genau. «Pinot ist wie ein
rothaariges Kind, das man an den Strand
mitnimmt. Man muss höllisch aufpassen, um es zu beschützen», sagt Graves.
Es sind die kühleren Lagen, die von der
Rebe bevorzugt werden, an der Küste, in
Flusstälern, in Gebieten wie Carneros,
Monterey County oder im Russian River
Valley. Aber Graves will die Verhältnisse
einmal klarstellen: «Kalifornien ist in erster Linie Cabernet-Land. In Napa Valley
Mit dem Pinot Noir von Danuta und
Robin Pfeiffer bewirtet auch Barack
Obama seine Gäste im Weissen Haus.
ist Cab zehnmal wichtiger als Pinot.» Es
ist nicht nur das Klima, das für Cabernet spricht: Im Tal haben die wenigsten
Winzer die Geduld, sich um die schwierige Rebe zu kümmern. Graves formuliert das, was alle Winzer wissen: «Einen
Cabernet kann man in den Bauch treten, er grunzt kurz und ist wieder da. Ein
Pinot verzeiht dir keinen Fehler.» In
Napa Valley, am Prachtboulevard des
kalifornischen Weinbaus, ist Cabernet
auch eine Lebensversicherung: Wer hier
investiert hat, muss auf verlässliche Rendite zählen können.
Neben David Graves sitzen die Kellermeister von Weingütern wie Shafer, Viader, Peju und Heitz Wine Cellars, die ihre
mächtigen und würzigen Prestige-Cabernet vorstellen, die weltweit gefragt sind
und stolze Preise erzielen. Vor allem an
den Wochenenden stehen die Limousinen und Oldtimer auf den Parkplätzen
und Auffahrten der Weingüter. Napa
Valley gilt als die beliebteste Touristenattraktion Kaliforniens nach Disneyland.
Es ist das Tal, in dem der Wein und die
Geldströme fliessen, in dem aber auch
das Fundament der kalifornischen Weinkultur liegt. Winzer wie Robert Mondavi
erkannten frühzeitig, dass Cabernet Sauvignon dem Tal zu Ansehen und Wohlstand verhelfen könnte. Mondavi orientierte sich an der Architektur spanischer
Missionen, als er sein Weingut in Oakville
errichten liess. Kein Zufall: Der 2008 Verstorbene verstand sich auch als GenussMissionar, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Bewohner Kaliforniens
zu Wein-Aficionados zu erziehen.
Walter Schug hat sich ausserhalb der
Komfortzone Napa Valley in Carneros
mit günstigerem Weideland zufriedengegeben. Schug kam 1961 mit seiner Frau
Gertrud und einem weissen VW aus
Deutschland. Er arbeitete für den Weinkonzern Gallo und für Joseph Phelps,
dem er half, den Kultwein Insignia zu
etablieren. Schug hat jede Menge Cabernet und Chardonnay vinifiziert, seine
Leidenschaft aber galt schon immer dem
Pinot, der lange Zeit einen miserablen Ruf
hatte in Kalifornien. «Ich wurde schon
mit Spätburgunder getauft, in Assmannshausen», sagt er, «ich bin für Eleganz und
53
54
vinum
oregon/kalifornien
«Die Reben in Oregon sind
immer am Limit, sie müssen
ums Überleben kämpfen.»
Mike Etzel Beaux Frères, Newberg
Finesse. Das drückt kein Wein so aus wie
Pinot.» Seine Reben stehen in Lagen, wo
die Sonne nicht brennt und die Trauben
langsam reifen können. Schug, Jahrgang
1935, öffnet eine Flasche Pinot Noir von
1978, und es braucht keine Worte, um die
Magie eines grossen Pinot zu verstehen.
Walter Schug hat viele Facetten des kalifornischen Weinbaus erlebt und auch
mitgeprägt, er kennt Kalifornien als das
Weinland der Extreme, mit vielen unterschiedlichen Kleinklimata und einem beeindruckenden Auszug aus dem weltweiten Rebsortenregister.
Weinbau-Wundertüte Kalifornien
Kalifornien ist die Wundertüte des
globalen Weinbaus: Die Brise und der
Nebel an der Pazifikküste unterstützen
frische, ausbalancierte Weine. Im feuchten Alexander Valley, wo an den Bäu-
men silbergrüne Flechten wachsen wie
riesige Bärte, erzeugt die Jordan Winery
ausdrucksstarke und ausgewogene Cabernet Sauvignon und Chardonnay. «Wir
wollen keinen Napa-Stil», sagt Weinmacher Brent Young, das kühle Klima
macht es ihm einfach. Auf italienische
Rebsorten, mit kalifornischer Expertise
ausgebaut, vertraut Seghesio Vineyards
in Healdsburg. Im Livermore Valley bietet Concannon als Spezialität würzige
Petite Sirah an, die hier seit 1906 kultiviert werden. 160 Kilometer östlich von
San Francisco stehen im Lodi-Delta Palmen am Strassenrand. Das Delta ist flach
und heiss wie ein grosses Backblech,
auf dem die Reben schwitzen. Während
andere Reben unter zu grosser Hitze leiden, stellt sich der Zinfandel gerne in
die pralle Sonne. Lodi ist vor allem Zinfandel-Land, hier werden viele mollige
Weine abgefüllt. «Wir wollen Weine mit
breitem Hintern, keine Hungerhaken»,
sagt Jeff Farthing von der Michael David
Winery. Es ist ein bewusstes Bekenntnis zur Üppigkeit. «Kalifornien ist ohne
Zinfandel undenkbar», glaubt Joel Peterson, der Gründer von Ravenswood. Der
heitere und gewitzte Peterson gilt als
Spezialist für diese Rebsorte, als «King of
Zin». Mit 4000 Dollar gründete Peterson
sein Garagenweingut, gleich mit seinem
ersten Zinfandel Dry Creek belegte er
1976 den ersten Platz beim San Francisco
Tasting. «Danach bin ich um die Welt
geflogen, um meinen Zin vorzustellen»,
erinnert sich Peterson. Anders als viele
andere Kellermeister versucht er, «Weine
im europäischen Stil zu erzeugen, fruchtig, nicht zu schwer». Joel Peterson versteht sich als «kommerzieller Künstler».
Um seine Schaffenskraft zu beweisen,
öffnet er einen Zinfandel von 1995, der
nach getrockneten Rosen riecht, erstaun-
lich frisch wirkt und rätselhaft bleibt.
Ja, tatsächlich: ein Kunstwerk, das entschlüsselt werden will.
Kalifornien trägt zwar den Stempel
des Starkwein-Produzenten, und doch
wird auch um filigrane Weine gerungen. In Acampo bei Clarksburg hat sich
Dancing Coyote der leichten Seite Kaliforniens verschrieben. Bis vor wenigen
Jahren mischte man mit im Kräftemessen der Monsterwein-Erzeuger. Inzwischen setzt Dancing Coyote auf frische
Weissweine, auf Grünen Veltliner und
auf die portugiesischen Weissweinreben
Albariño und Verdelho. Auch die Roten,
wie Tempranillo und Pinot Noir, streben
nach Eleganz. «Es ist eine grössere Kunst,
leichte Weine zu erzeugen», sagt Weinmacher Chad Joseph. «Viele kalifornische
Kellermeister sind auf Farbe und Kraft
fixiert und vergessen die Finesse.»
It’s Show Business!
In Kalifornien ist Wein nicht nur ein
Getränk, da gehört die Show mit dazu.
Im Betrieb von Regisseur Francis Ford
Coppola werden die Weine am Swimmingpool mit Popballaden gereicht. Manche halten es für Kitsch, der mit Disneyland konkurrieren will. Andere für das
perfekte Wein-Event. Bei Wente Family
Vineyards im Livermore Valley ist ein
ganzer Golfplatz in das Rebengelände
integriert. Aber auch Vogelliebhaber beobachten mit Ferngläsern stundenlang
seltene Arten, daneben fahren Golf-Carts,
alles miteinander verbunden im Namen
des Weines. Aber das, was manchmal widersprüchlich wirken kann, macht auch
einen Teil des kalifornischen Charmes
aus: Im Sonnenland ist vieles erlaubt.
Eric Wente sagt: «Wir sind auch ein Teil
des Lifestyle-Geschäftes.» Geächtet wird
dafür in Kalifornien niemand.
55
Gemessen an Kalifornien ist Oregon
noch ein zurückhaltendes und ungezähmtes Weinland. Die Weinszene wirkt
sympathisch verschroben, Geschmacksmoden sind ihr suspekt. Unentwegt plagen sich die Winzer ab, der geliebten und
so schwierigen Rebsorte ihre Vorzüge
abzuringen. Showelemente, das haben
die wenigsten von ihnen im Repertoire,
den unaufgeregten Winzern wie Mike
Etzel oder Ken Wright sind sie gänzlich
fremd. Wright kann wie kein zweiter
Winzer in Oregon die geografische Geschichte des Willamette Valley erzählen.
Davon, wie das Tal am Ende der letzten
Eiszeit mehrfach überflutet wurde. Seitdem findet man im Tal die rote Vulkanasche, die den Weinen ihre Signatur
aufdrückt. Ken Wright ist bekannt dafür,
dass er schnell zu Block und Stift greift.
Er kritzelt gerne Skizzen und Bodenprofile. Wright kann die Überflutungen so
detailliert beschreiben, als habe er als einziger Mensch damals zugeschaut. Auch
die anderen Winzer in Nordoregon kennen das schon und grinsen. Aber zuhören würden sie ihm immer wieder. «Es
ist so grün, dass die Augen wehtun», sagt
Wright. Als die Farbe Grün verteilt wurde,
hat Oregon einen Rieseneimer zusätzlich
abgekriegt. Ken Wright steht in seinem
Weinberg in Yamhill Valley, lässt den
Blick über das Tal gleiten und sich dabei
die grauen Haare vom Wind durchbürsten. «Pinot Noir ist nicht sehr profitabel», brummt er, «das ist die Wahrheit. You
better love it.» Aber Wright wirkt alles
andere als unzufrieden dabei.
Mit der Geschichte des 58-jährigen
Mike Etzel kann man am besten erzählen, wie jemand der Faszination des Pinot Noir erliegt. Etzel ist der Schwager
von Robert Parker, dem einflussreichsten
Weinkritiker, der eine Vorliebe für üppi-
ge, vom Eichenfass geprägte Weine hegt.
1986 beschlossen Etzel und Parker, Pinot
Noir zu erzeugen in Newberg. Beaux Frères nannten sie ihr Weingut. Heute gibt
Etzel zu, dass er so ziemlich alles falsch
gemacht habe, was man falsch machen
konnte. Etzel hat die Weine entsäuert
oder Säure zugesetzt, mit Enzymen gearbeitet, auch, um dem Weinideal seines
berühmten Schwagers nahezukommen.
Seine Pinot waren, so sagt Etzel heute,
zu mächtig. «Aber der Charakter meiner
Weine hat sich verändert, sie sind eleganter als früher.» Sie schmecken inzwischen ganz anders, als sich Parker grossen Pinot Noir vorstellt. «Natürlich würde
Robert den alten Stil bevorzugen», räumt
Etzel ein, «wir diskutieren darüber, aber
wir streiten nicht. Schliesslich sind wir
eine Familie.» Für Etzel ist Pinot Noir «der
emotionalste Wein überhaupt», den will
er mit grösster Sorgfalt und auf möglichst
natürliche Weise erzeugen.
Etwas besorgt schaut Mike Etzel nach
draussen, es regnet schon wieder. Er arbeitet in einem Klima, in dem Weinbau
gerade noch möglich ist. «Die Reben in
Oregon sind immer am Limit, sie müssen ums Überleben kämpfen», sagt Etzel.
2008 war ein perfektes Weinjahr mit
idealem Klima, wie man es selten erlebt.
Die Jahre 2010 und auch 2011 waren
regnerisch und zu kühl. Es waren Jahre,
in denen die Winzer gerne etwas von
der kalifornischen Sonne abbekommen
hätten. Auf der anderen Seite könnten
viele kalifornische Weine etwas von der
Frische gebrauchen, die Oregon garantiert. Genau betrachtet, ergänzen sich
die beiden ungleichen Nachbarn optimal: Oregon steht vor allem für hinreissenden Pinot Noir, Kalifornien, dieses
schillernde Weinkaleidoskop, für Vielfalt
und Kraft. Oregon und Kalifornien, sie
verhalten sich wie zwei unterschiedliche
Geschwister. Man kommt nicht ohne
den anderen aus, auch wenn man sich
nicht immer grün ist. Aber wenn sie ehrlich sind, dann gestehen auch Winzer
wie Jason Lett ein, dass das Leben viel
langweiliger wäre ohne den merkwürdigen Nachbarn.
«Bei uns in Südoregon wachsen Reben, die
im Norden nicht zurechtkommen. Wir liegen
geschmacklich zwischen Kalifornien und
Burgund, zwischen Alter und Neuer Welt.»
Brian Gruber Troon Vineyard, Grants Pass