48 vinum januar / februar 2013
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48 vinum januar / februar 2013
48 vinum januar/februar 2013 Text: Rainer Schäfer, Fotos: Gerrit Callsen In Oregon, dem «Biberstaat», waren Haselnüsse und Weihnachtsbäume noch Exportschlager, als kalifornische Weine bereits boomten. Heute blickt die junge Winzergeneration des kleinen, ungezähmten Weinlandes längst nicht mehr neidvoll nach Süden oder nach Europa. In Oregon reifen elegante Cool-Climate-Weine von Weltklasseformat. Und mit dem Nachbarn Kalifornien verträgt man sich auch ganz gut. DIE STUNDE DES BIBERS Oregon und Kalifornien Foto: shutterstock.com/BMJ 49 50 «Burgund hat uns gelehrt, dass manche Winzer es können und manche es nie lernen werden. Das ist die wichtigste Erkenntnis.» Jason Lett Eyrie Vineyards, McMinnville J ason Lett grinst, als er auf das Plakat an einer Wand in seinem Weingut Eyrie Vineyards in McMinnville in Willamette Valley zeigt. Darauf steht: «To hell with how they do it in California.» Wen kümmert es schon, wie sie es in Kalifornien machen? Jason Lett allem Anschein nach nicht. Er ist ein grundsympathischer und durchaus nachdenklicher Winzer im Norden Oregons, aber diesen Seitenhieb kann er sich nicht verkneifen. Lett trägt Gummistiefel, eine Brille und eine Baseball-Cap auf dem beinahe kahlen Kopf. Er ist ein wacher Typ, der vieles in Frage stellt. Kalifornien, der benachbarte Bundesstaat, ist die Urzelle des Weinbaus in den USA. Von dort gingen viele Impulse aus, und das lässt man die anderen gerne spüren. Noch heute sehen einige kalifornische Winzer etwas herablassend auf den Weinzwerg Oregon hinab. Dabei wachsen hier einige der reizvollsten Pinot Noir weltweit. So wie Jason Lett denken viele Winzer in Oregon, es ist auch ein Reflex auf das aufgeplusterte Selbstbewusstsein im benachbarten Sonnenparadies, wo scheinbar alles so mühelos geht. Es ist weniger Abneigung, die Winzer wie Lett demonstrieren, sondern mehr eine Form von Abnabelung, um selbstbewusst zu zeigen: Macht ihr mal euer Ding, wir wissen schon, wo es bei uns langgeht. Weinbau in Oregon ist eine blutjunge Disziplin, gemessen an den Erfahrungen und Traditionen der Alten Welt. Einer der Ersten, die ahnten, dass Reben in Oregon wachsen könnten, war Jason Letts Vater David, der in San Francisco Önologie studierte. Er hatte dafür gewaltige Widerstände zu überwinden, stammte er doch aus einer Mormonenfamilie, in der Alkohol als Werkzeug des Teufels verdammt wurde. Aber bei David Lett übertraf die Liebe zum Pinot Noir das Bedürfnis nach familiärer Harmonie. David Lett war einer der Getriebenen, die den Pinot Noir anbeteten und monatelang durch Burgund reisten, um das Wesen der kapriziösen Rebe zu verstehen. Guter Pinot Noir benötige Bedingungen wie in Burgund, das hatte sein Professor ihm mit auf den Weg gegeben. Lett stromerte durch die Gegend, nahm unzählige Bodenproben und beobachtete die klimatischen Bedingungen. Kalifornien war ihm zu heiss für Pinot Noir, aber in Oregon meinte er die idealen Bedingungen vorzufinden. David Lett trat den Exodus aus Kalifornien an, mit dem Antrieb der Flower- Power-Bewegung, mit langen Haaren, Stirnband, wild wucherndem Bart und Pinot-Noir-Reben, am gewaltigen Mount McLoughlin vorbei. Eisblau spannt sich der Himmel wie ein Laken über den mit Schneepuder geschminkten Gipfel. Von Indianern wurde er als heiliger Berg verehrt, er wirkt hellwach, als beobachte er jede Bewegung unter sich. Wenn im Radio Countrymusik läuft, die Steel Guitar schwirrt, dann kann sein Anblick Sehnsüchte wachsen lassen – nach einem Leben voller ungeahnter Möglichkeiten. Auch David Lett mag das gefühlt haben auf der Fahrt nach Oregon. Besessene Pinot-Pioniere Als er dort mit seinen Reben ankam, wurde er mitleidig belächelt. Weinbau in Oregon war so unvorstellbar wie der Anbau von Gemüse auf dem Mond. Die Banken jedenfalls weigerten sich, ihm Geld für sein Wahnsinnsprojekt vorzustrecken: «Die hielten das für keine grossartige Idee», sagt sein Sohn Jason mit einem ironischen Blitzen in den Augen. Deshalb steht das Weingut noch heute im beschaulichen Industriegebiet von McMinnville zwischen Werkstätten und Autohäusern, es ist ein schlichter Holz- vinum oregon/kalifornien schuppen. Aber David Lett war besessen davon, in Oregon Pinot Noir von Weltformat zu erzeugen. 1965 brachte er die ersten Reben in den Dundee Hills aus, 1979 schockierte er die Weinwelt, als er auf der Weinolympiade in Paris mit seinem Pinot South Block Reserve aus dem Jahr 1975 Spitzenwinzer aus dem Burgund deklassieren konnte. Als Antwort darauf kauften Winzer von der Côte d’Or Land in Oregon. Grösser konnte das Kompliment der Platzhirsche für die neue Konkurrenz nicht ausfallen. In Dundee, wo Lett seine besten Weinberge stehen hat, liess sich Robert Drouhin nieder, der im Burgund auch das berühmte Maison Joseph Drouhin leitet. «Als die Drouhins kamen, hat die Welt aufgehorcht», erzählt Alison Sokol Blosser, Nachbarin der Domaine Drouhin. Ihr Vater arbeitete damals als Geschichtslehrer und fing an, sich nach dem Unterricht mit Wein zu beschäftigen. Heute zählt die Sokol Blosser Winery zu den angesehenen Gütern im Willamette Valley. Burgundische Wegbereiter Die Sogwirkung, die der Landkauf der Drouhins auslöste, war gewaltig. Auch bei der Familie Pfeiffer in Junction City wollten französische Winzer Parzellen erwerben, auf denen damals Schafe gehalten wurden. Nur mit Mühe konnte Robin Pfeiffer seinen Vater überzeugen, ihm das Land zu überlassen. Pfeiffer, inzwischen 73, zählt wie David Lett zu den Pinot-Pionieren, die aus jedem Rückschlag neue Erkenntnisse ziehen mussten, um das heutige Niveau zu erklimmen. Tagsüber unterrichtete Pfeiffer an der Hochschule, nachts nutzte er den Schein des Polarsterns, um seine Reben möglichst exakt in Nordsüdrichtung auszupflanzen. Danuta Pfeiffer amüsiert sich noch heute über die Spleens ihres Mannes: «Er redet auch stundenlang mit den Reben, er glaubt tatsächlich, dass er die Pinot-Noir-Sprache beherrscht.» Pfeiffer ist ein gebildeter und kontrollierter Mann, aber wenn er über seine Leib-undMagen-Rebe redet, dann zuckt es nervös um seine Augen. Er ist wohl der einzige Winzer, der in einem abgedunkelten Raum bei Kerzenlicht eine Pinot-Klinik betreibt, in seinen Behandlungen vermittelt er wortreich und humorvoll die Vorzüge der Rebe – und überzeugt die Besucher, nur ihrem eigenen Gaumen zu vertrauen. Die Weine des PinotDoktors werden sogar im Weissen Haus Der berühmte Pinot Noir 1975 von Eyrie Vineyards. getrunken. Pfeiffer sieht das auch als Beleg dafür, dass sich der Weinzwerg zu beachtlicher Grösse hochgeschraubt hat. Oregon gilt längst als bevorzugter Ort für Cool-Climate-Weine, für elegante Gewächse, die nicht mit ihren Muskeln protzen wie viele in der Neuen Welt. David Lett, der charismatische Anführer der Weinbewegung in Oregon, ist im Oktober 2008 verstorben, er wird als 51 enorm leidenschaftlich, aber auch als schwierig beschrieben. Sein Sohn Jason versuchte jahrelang, mit ihm zusammenzuarbeiten, die beiden gerieten immer wieder aneinander. Frustriert beschloss Jason Lett, Tischler zu werden und dem Vater aus dem Weg zu gehen. Er kam erst zurück, als sein erkrankter Vater die Arbeit nicht mehr alleine bewältigen konnte. Jason hat sich längst emanzipiert von seinem dominanten Vater. Er gehört einer Generation an, die nicht nur dem sonnengebräunten kalifornischen Nachbarn selbstbewusst begegnet. Sie hat auch aufgehört, ergeben nach Europa zu blicken, in das lange verherrlichte Frankreich. «Burgund hat uns gelehrt, dass manche Winzer es können und manche es nie lernen werden. Das ist die wichtigste Erkenntnis», sagt Lett. Inzwischen zieht es immer mehr Neugierige und Abenteurer nach Oregon, die ihr Glück als Winzer versuchen. Darunter sind Quereinsteiger wie Chris Sarver, ein gut gelaunter Bierbrauer aus Michigan, der viel und scheppernd lacht. Er habe lange Zeit Bier getrunken und ab und «Als die Drouhins kamen, hat die Welt aufgehorcht.» Alison Sokol Blosser Sokol Blosser Winery, Dundee Hier geht’s zur Domaine Drouhin. Quereinsteiger Chris Sarver von der Sarver Winery in Eugene, Oregon. zu ein Glas Cabernet. Jetzt trinke er nur noch Pinot Noir, sagt Sarver, «alles andere ist Zeitverschwendung». Chris Sarver ist einer der Existenzgründer, die ihr ganzes Geld in ein kleines Weingut gesteckt haben. Ein Projekt ganz anderer Grössenordnung betreibt die Familie King, die mit elektronischen Erfindungen wie der Blackbox zu Geld gekommen ist. Eigentlich suchten die Kings in Oregon einen Platz für ihre Pferde, aber sie verliebten sich in das Land und blieben. Heute ist die King Estate Winery, ein stattliches Anwesen im Toskana-Stil, einer der Renommierbetriebe. Hier werden über drei Millionen Flaschen auf beachtlichem Niveau abgefüllt, die drei Weinmacher sind in den weitläufigen Gebäuden mit Fahrrädern unterwegs, zu Fuss wären sie zu schnell erschöpft. Weinfieber statt Goldrausch Im Süden Oregons, in der Nähe des ehemaligen Goldgräberstädtchens Jacksonville, hat sich der Kalifornier Dan Marca niedergelassen. Gemeinsam mit seiner Frau Cindy betreibt er Dancin Vineyards. Wo früher der Goldrausch braven Bürgern den Kopf verdrehte, treibt sie jetzt das Weinfieber um. Obwohl die Sonne sich öfter zeigt als im Norden Oregons, erfordere es Mut, hier als Winzer zu starten. «Man muss schon ein wenig verrückt sein», sagt der gelernte Architekt. 2009 hat er die ersten Reben angepflanzt, bislang sei es schwierig gewesen, gesunde und reife Trauben zu ernten. Der DebütJahrgang 2010 ist abgefüllt, Pinot Noir und Chardonnay. «Cabernet wärmt das Blut, aber Pinot befeuert den Geist», sagt Marca. Aber es sei ein Fehler, Oregon auf Pinot Noir zu reduzieren, meint Brian Gruber vom Weingut Troon Vineyard in Grants Pass. «Südoregon kann viel mehr. Bei uns wachsen Reben, die im Norden nicht zurechtkommen. Wir liegen geschmacklich zwischen Kalifornien und Burgund, zwischen Alter und Neuer Welt», sagt Gruber. Troon Vineyard ist bekannt für Zinfandel, Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und auch Syrah. Auch die Nachbarn, die Schmidt Family Vineyards, setzen auf Rebsorten aus dem Bordelais und von der Rhône. Die Weissweine, wie zum Beispiel der Viognier, sind frisch, während die kräftigen Roten an Kalifornien erinnern, das von hier aus noch sechs Stunden beziehungsweise 600 Kilometer entfernt ist. In Napa Valley schneiden mexikanische vinum oregon/kalifornien Arbeitsbrigaden mit flinken Händen die Reben, die Gesichter sind halb unter Kapuzen verdeckt. Die Hügel sind so geformt, als ob von einer riesigen Kerze Wachs nach unten geflossen wäre. Im Weingut Cuvaison Estate Wines haben sich einige Winzer zur Verkostung getroffen. David Graves von Saintsbury ist dabei, ein erklärter Pinot-Liebhaber, der mit seiner Vorliebe in dieser Runde einen schweren Stand hat. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit der «Heartbreak Grape», wie die Rebe genannt wird, weil sie schon etliche Winzer ins Unglück gestürzt hat. Sein Bart, sagt Graves, sei dabei grau geworden. Er kennt die Macken der Diva ganz genau. «Pinot ist wie ein rothaariges Kind, das man an den Strand mitnimmt. Man muss höllisch aufpassen, um es zu beschützen», sagt Graves. Es sind die kühleren Lagen, die von der Rebe bevorzugt werden, an der Küste, in Flusstälern, in Gebieten wie Carneros, Monterey County oder im Russian River Valley. Aber Graves will die Verhältnisse einmal klarstellen: «Kalifornien ist in erster Linie Cabernet-Land. In Napa Valley Mit dem Pinot Noir von Danuta und Robin Pfeiffer bewirtet auch Barack Obama seine Gäste im Weissen Haus. ist Cab zehnmal wichtiger als Pinot.» Es ist nicht nur das Klima, das für Cabernet spricht: Im Tal haben die wenigsten Winzer die Geduld, sich um die schwierige Rebe zu kümmern. Graves formuliert das, was alle Winzer wissen: «Einen Cabernet kann man in den Bauch treten, er grunzt kurz und ist wieder da. Ein Pinot verzeiht dir keinen Fehler.» In Napa Valley, am Prachtboulevard des kalifornischen Weinbaus, ist Cabernet auch eine Lebensversicherung: Wer hier investiert hat, muss auf verlässliche Rendite zählen können. Neben David Graves sitzen die Kellermeister von Weingütern wie Shafer, Viader, Peju und Heitz Wine Cellars, die ihre mächtigen und würzigen Prestige-Cabernet vorstellen, die weltweit gefragt sind und stolze Preise erzielen. Vor allem an den Wochenenden stehen die Limousinen und Oldtimer auf den Parkplätzen und Auffahrten der Weingüter. Napa Valley gilt als die beliebteste Touristenattraktion Kaliforniens nach Disneyland. Es ist das Tal, in dem der Wein und die Geldströme fliessen, in dem aber auch das Fundament der kalifornischen Weinkultur liegt. Winzer wie Robert Mondavi erkannten frühzeitig, dass Cabernet Sauvignon dem Tal zu Ansehen und Wohlstand verhelfen könnte. Mondavi orientierte sich an der Architektur spanischer Missionen, als er sein Weingut in Oakville errichten liess. Kein Zufall: Der 2008 Verstorbene verstand sich auch als GenussMissionar, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Bewohner Kaliforniens zu Wein-Aficionados zu erziehen. Walter Schug hat sich ausserhalb der Komfortzone Napa Valley in Carneros mit günstigerem Weideland zufriedengegeben. Schug kam 1961 mit seiner Frau Gertrud und einem weissen VW aus Deutschland. Er arbeitete für den Weinkonzern Gallo und für Joseph Phelps, dem er half, den Kultwein Insignia zu etablieren. Schug hat jede Menge Cabernet und Chardonnay vinifiziert, seine Leidenschaft aber galt schon immer dem Pinot, der lange Zeit einen miserablen Ruf hatte in Kalifornien. «Ich wurde schon mit Spätburgunder getauft, in Assmannshausen», sagt er, «ich bin für Eleganz und 53 54 vinum oregon/kalifornien «Die Reben in Oregon sind immer am Limit, sie müssen ums Überleben kämpfen.» Mike Etzel Beaux Frères, Newberg Finesse. Das drückt kein Wein so aus wie Pinot.» Seine Reben stehen in Lagen, wo die Sonne nicht brennt und die Trauben langsam reifen können. Schug, Jahrgang 1935, öffnet eine Flasche Pinot Noir von 1978, und es braucht keine Worte, um die Magie eines grossen Pinot zu verstehen. Walter Schug hat viele Facetten des kalifornischen Weinbaus erlebt und auch mitgeprägt, er kennt Kalifornien als das Weinland der Extreme, mit vielen unterschiedlichen Kleinklimata und einem beeindruckenden Auszug aus dem weltweiten Rebsortenregister. Weinbau-Wundertüte Kalifornien Kalifornien ist die Wundertüte des globalen Weinbaus: Die Brise und der Nebel an der Pazifikküste unterstützen frische, ausbalancierte Weine. Im feuchten Alexander Valley, wo an den Bäu- men silbergrüne Flechten wachsen wie riesige Bärte, erzeugt die Jordan Winery ausdrucksstarke und ausgewogene Cabernet Sauvignon und Chardonnay. «Wir wollen keinen Napa-Stil», sagt Weinmacher Brent Young, das kühle Klima macht es ihm einfach. Auf italienische Rebsorten, mit kalifornischer Expertise ausgebaut, vertraut Seghesio Vineyards in Healdsburg. Im Livermore Valley bietet Concannon als Spezialität würzige Petite Sirah an, die hier seit 1906 kultiviert werden. 160 Kilometer östlich von San Francisco stehen im Lodi-Delta Palmen am Strassenrand. Das Delta ist flach und heiss wie ein grosses Backblech, auf dem die Reben schwitzen. Während andere Reben unter zu grosser Hitze leiden, stellt sich der Zinfandel gerne in die pralle Sonne. Lodi ist vor allem Zinfandel-Land, hier werden viele mollige Weine abgefüllt. «Wir wollen Weine mit breitem Hintern, keine Hungerhaken», sagt Jeff Farthing von der Michael David Winery. Es ist ein bewusstes Bekenntnis zur Üppigkeit. «Kalifornien ist ohne Zinfandel undenkbar», glaubt Joel Peterson, der Gründer von Ravenswood. Der heitere und gewitzte Peterson gilt als Spezialist für diese Rebsorte, als «King of Zin». Mit 4000 Dollar gründete Peterson sein Garagenweingut, gleich mit seinem ersten Zinfandel Dry Creek belegte er 1976 den ersten Platz beim San Francisco Tasting. «Danach bin ich um die Welt geflogen, um meinen Zin vorzustellen», erinnert sich Peterson. Anders als viele andere Kellermeister versucht er, «Weine im europäischen Stil zu erzeugen, fruchtig, nicht zu schwer». Joel Peterson versteht sich als «kommerzieller Künstler». Um seine Schaffenskraft zu beweisen, öffnet er einen Zinfandel von 1995, der nach getrockneten Rosen riecht, erstaun- lich frisch wirkt und rätselhaft bleibt. Ja, tatsächlich: ein Kunstwerk, das entschlüsselt werden will. Kalifornien trägt zwar den Stempel des Starkwein-Produzenten, und doch wird auch um filigrane Weine gerungen. In Acampo bei Clarksburg hat sich Dancing Coyote der leichten Seite Kaliforniens verschrieben. Bis vor wenigen Jahren mischte man mit im Kräftemessen der Monsterwein-Erzeuger. Inzwischen setzt Dancing Coyote auf frische Weissweine, auf Grünen Veltliner und auf die portugiesischen Weissweinreben Albariño und Verdelho. Auch die Roten, wie Tempranillo und Pinot Noir, streben nach Eleganz. «Es ist eine grössere Kunst, leichte Weine zu erzeugen», sagt Weinmacher Chad Joseph. «Viele kalifornische Kellermeister sind auf Farbe und Kraft fixiert und vergessen die Finesse.» It’s Show Business! In Kalifornien ist Wein nicht nur ein Getränk, da gehört die Show mit dazu. Im Betrieb von Regisseur Francis Ford Coppola werden die Weine am Swimmingpool mit Popballaden gereicht. Manche halten es für Kitsch, der mit Disneyland konkurrieren will. Andere für das perfekte Wein-Event. Bei Wente Family Vineyards im Livermore Valley ist ein ganzer Golfplatz in das Rebengelände integriert. Aber auch Vogelliebhaber beobachten mit Ferngläsern stundenlang seltene Arten, daneben fahren Golf-Carts, alles miteinander verbunden im Namen des Weines. Aber das, was manchmal widersprüchlich wirken kann, macht auch einen Teil des kalifornischen Charmes aus: Im Sonnenland ist vieles erlaubt. Eric Wente sagt: «Wir sind auch ein Teil des Lifestyle-Geschäftes.» Geächtet wird dafür in Kalifornien niemand. 55 Gemessen an Kalifornien ist Oregon noch ein zurückhaltendes und ungezähmtes Weinland. Die Weinszene wirkt sympathisch verschroben, Geschmacksmoden sind ihr suspekt. Unentwegt plagen sich die Winzer ab, der geliebten und so schwierigen Rebsorte ihre Vorzüge abzuringen. Showelemente, das haben die wenigsten von ihnen im Repertoire, den unaufgeregten Winzern wie Mike Etzel oder Ken Wright sind sie gänzlich fremd. Wright kann wie kein zweiter Winzer in Oregon die geografische Geschichte des Willamette Valley erzählen. Davon, wie das Tal am Ende der letzten Eiszeit mehrfach überflutet wurde. Seitdem findet man im Tal die rote Vulkanasche, die den Weinen ihre Signatur aufdrückt. Ken Wright ist bekannt dafür, dass er schnell zu Block und Stift greift. Er kritzelt gerne Skizzen und Bodenprofile. Wright kann die Überflutungen so detailliert beschreiben, als habe er als einziger Mensch damals zugeschaut. Auch die anderen Winzer in Nordoregon kennen das schon und grinsen. Aber zuhören würden sie ihm immer wieder. «Es ist so grün, dass die Augen wehtun», sagt Wright. Als die Farbe Grün verteilt wurde, hat Oregon einen Rieseneimer zusätzlich abgekriegt. Ken Wright steht in seinem Weinberg in Yamhill Valley, lässt den Blick über das Tal gleiten und sich dabei die grauen Haare vom Wind durchbürsten. «Pinot Noir ist nicht sehr profitabel», brummt er, «das ist die Wahrheit. You better love it.» Aber Wright wirkt alles andere als unzufrieden dabei. Mit der Geschichte des 58-jährigen Mike Etzel kann man am besten erzählen, wie jemand der Faszination des Pinot Noir erliegt. Etzel ist der Schwager von Robert Parker, dem einflussreichsten Weinkritiker, der eine Vorliebe für üppi- ge, vom Eichenfass geprägte Weine hegt. 1986 beschlossen Etzel und Parker, Pinot Noir zu erzeugen in Newberg. Beaux Frères nannten sie ihr Weingut. Heute gibt Etzel zu, dass er so ziemlich alles falsch gemacht habe, was man falsch machen konnte. Etzel hat die Weine entsäuert oder Säure zugesetzt, mit Enzymen gearbeitet, auch, um dem Weinideal seines berühmten Schwagers nahezukommen. Seine Pinot waren, so sagt Etzel heute, zu mächtig. «Aber der Charakter meiner Weine hat sich verändert, sie sind eleganter als früher.» Sie schmecken inzwischen ganz anders, als sich Parker grossen Pinot Noir vorstellt. «Natürlich würde Robert den alten Stil bevorzugen», räumt Etzel ein, «wir diskutieren darüber, aber wir streiten nicht. Schliesslich sind wir eine Familie.» Für Etzel ist Pinot Noir «der emotionalste Wein überhaupt», den will er mit grösster Sorgfalt und auf möglichst natürliche Weise erzeugen. Etwas besorgt schaut Mike Etzel nach draussen, es regnet schon wieder. Er arbeitet in einem Klima, in dem Weinbau gerade noch möglich ist. «Die Reben in Oregon sind immer am Limit, sie müssen ums Überleben kämpfen», sagt Etzel. 2008 war ein perfektes Weinjahr mit idealem Klima, wie man es selten erlebt. Die Jahre 2010 und auch 2011 waren regnerisch und zu kühl. Es waren Jahre, in denen die Winzer gerne etwas von der kalifornischen Sonne abbekommen hätten. Auf der anderen Seite könnten viele kalifornische Weine etwas von der Frische gebrauchen, die Oregon garantiert. Genau betrachtet, ergänzen sich die beiden ungleichen Nachbarn optimal: Oregon steht vor allem für hinreissenden Pinot Noir, Kalifornien, dieses schillernde Weinkaleidoskop, für Vielfalt und Kraft. Oregon und Kalifornien, sie verhalten sich wie zwei unterschiedliche Geschwister. Man kommt nicht ohne den anderen aus, auch wenn man sich nicht immer grün ist. Aber wenn sie ehrlich sind, dann gestehen auch Winzer wie Jason Lett ein, dass das Leben viel langweiliger wäre ohne den merkwürdigen Nachbarn. «Bei uns in Südoregon wachsen Reben, die im Norden nicht zurechtkommen. Wir liegen geschmacklich zwischen Kalifornien und Burgund, zwischen Alter und Neuer Welt.» Brian Gruber Troon Vineyard, Grants Pass