Federico García Lorca Bluthochzeit
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Federico García Lorca Bluthochzeit
Federico García Lorca Bluthochzeit (Originaltitel: „Bodas de Sangre“) Tragödie in drei Akten und sieben Bildern Aus dem Spanischen übertragen von Uwe Kolbe (c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2013. Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Alte Jakobstraße 85/86 10179 Berlin verlag@henschel-schauspiel.de Tel.: 030 - 4431 8888 PERSONEN Die Mutter Die Braut Die Schwiegermutter Leonardos Frau Die Magd Die Nachbarin Mädchen Leonardo Der Bräutigam Der Vater der Braut Der Mond Der Tod (als Bettlerin) Holzfäller Junge Männer 1. Akt Bild 1 Gelb gestrichener Wohnraum. Bräutigam Im Eintreten Mutter. Mutter Was? Bräutigam Ich gehe los. Mutter Wohin? Bräutigam In den Weinberg. Will hinausgehen Mutter Warte. Bräutigam Möchtest du irgendwas? Mutter Junge, das Frühstück. Bräutigam Lass nur. Ich esse Weintrauben. Gib mir das Schnappmesser. Mutter Wozu? Bräutigam lachend Um sie abzuschneiden. Mutter durch die Zähne, während sie es sucht Das Messer, das Messer … Verflucht sein sie alle und der Dreckskerl, der sie erfand. Bräutigam Lass uns das Thema wechseln. Mutter Und die Gewehre, und die Pistolen, und das allerkleinste Messer, und selbst die Hacken und die Heugabeln. Bräutigam Ist gut. Mutter Alles, was fällen kann den Körper eines Mannes. Ein schöner Mann, mit seiner Blume im Mund, der hinausgeht in die Weinberge oder aufbricht zu seinen eigenen Olivenbäumen, denn sie sind sein, sind geerbt … Bräutigam senkt den Kopf Schweigen Sie. Mutter … Und dieser Mann kehrt nicht wieder. Oder kehrt er wieder, ist es, um bedeckt zu werden mit einem Palmzweig oder einem Teller Pökelsalz, damit er sich nicht aufbläht. Ich verstehe nicht, wie du es wagst, ein Schnappmesser am Körper zu tragen, noch, wie ich die Schlange in der Truhe dulde. 5 Bräutigam Ist es genug jetzt? Mutter Hundert Jahre, lebte ich sie, würde ich von nichts anderem sprechen. Zuerst dein Vater, der für mich nach Nelke roch, und ich genoss es knappe drei Jahre. Dann dein Bruder. Ist es denn gerecht und darf sein, dass ein kleines Ding wie eine Pistole oder ein Messer Schluss macht mit einem Mann, der ein Stier ist? Ich hätte nie schweigen dürfen. Es vergehen die Monate und die Verzweiflung brennt mir in den Augen und bis in die Haarspitzen hinein. Bräutigam hart Sind wir fertig? Mutter Nein. Wir sind nicht fertig. Kann mir jemand deinen Vater herschaffen? Und deinen Bruder? Und dann, das Zuchthaus. Was ist das Zuchthaus? Da essen sie, da rauchen sie, da spielen sie ihre Instrumente! Meine Toten werden satt von Gras, reden nicht, sind nichts als Staub; zwei Männer, die Geranien waren … Die Mörder, im Zuchthaus, schauen munter auf die Berge … Bräutigam Sie wollen, dass ich sie töte? Mutter Nein … Wenn ich rede, dann weil … Wie soll ich nicht reden, seh ich dich hinausgehen durch diese Tür? Es ist, weil mir nicht behagt, dass du ein Messer trägst. Es ist, weil … Weil ich nicht möchte, dass du überhaupt hinausgehst. Bräutigam lachend So was! Mutter Wie ich mir wünschte, du wärest eine Frau. Du gingest nicht an den Bach jetzt und wir beide stickten Säume und Hündchen aus Wolle. Bräutigam nimmt die Mutter beim Arm und lacht Mutter, und wenn ich Sie nun mit mir nähme in die Weinberge? Mutter Was sucht im Wein eine Alte? Wolltest du mich unter die Ranken stecken? Bräutigam hebt sie in seinen Armen hoch Alte, liebe Alte, allerliebste Alte. Mutter Dein Vater nahm mich wohl mit. Das ist die rechte Zucht. Geblüt. Dein Großvater hinterließ an jeder Ecke ein Kind. So mag ich das. Die Männer Männer; der Weizen Weizen. Bräutigam Und ich, Mutter? Mutter Was, du? Bräutigam Tuts not, es noch einmal zu sagen? Mutter ernsthaft Ach! 6 Bräutigam Findest du es schlecht? Mutter Nein. Bräutigam Was dann? Mutter Ich weiß es selber nicht. So plötzlich überrascht es mich immer. Ich weiß, das Mädchen ist gut. Stimmt doch? Gesittet. Arbeitsam. Knetet ihr Brot und näht ihre Röcke und mir ist trotzdem, wenn ich ihren Namen sage, als würfe man mir einen Stein an die Stirn. Bräutigam Albernheiten. Mutter Mehr als Albernheiten. Allein werde ich bleiben. Mir ist schon nichts geblieben außer dir, und ich spüre, dass du weggehst. Bräutigam Aber Sie werden mit uns kommen. Mutter Nein. Ich kann hier nicht allein zurücklassen deinen Vater und deinen Bruder. Ich habe hinzugehen jeden Morgen, und wenn ich fortziehe ist es leicht möglich, dass einer der Félix stirbt, einer aus der Familie der Mörder, und sie ihn daneben begraben. Und das nicht! Ha! Das nicht! Weil ich sie mit den Fingernägeln ausgrabe und ich allein sie an der Mauer zerquetsche. Bräutigam heftig Fängt das schon wieder an! Mutter Verzeih mir. Pause Wie lange unterhältst du die Beziehung? Bräutigam Drei Jahre. Ich konnte schon den Weinberg kaufen. Mutter Drei Jahre. Sie hatte einen Verlobten, nicht? Bräutigam Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Die Mädchen müssen sich ansehen, wen sie heiraten. Mutter Ja. Ich sah mir niemanden an. Ich sah deinen Vater an, und als sie ihn ermordeten, sah ich die Mauer an gegenüber. Eine Frau und ein Mann, und fertig. Bräutigam Sie wissen, dass meine Braut gut ist. Mutter Ich zweifele nicht daran. Aber auf alle Fälle bedauere ich, nicht zu wissen, wie ihre Mutter war. Bräutigam Was bringt denn das! Mutter sieht ihn an Junge. Bräutigam Was wollen Sie? 7 Mutter Es ist ja wahr! Wie recht du hast! Wann soll ich um sie anhalten? Bräutigam freudig Ist es recht am Sonntag? Mutter ernst Ich nehme ihr die Ohrgehänge aus Messing mit, die sind antik, und du kaufst ihr … Bräutigam Das verstehen Sie besser … Mutter Du kaufst ihr ein Paar durchbrochener Strümpfe, und für dich zwei Anzüge … Drei! Ich habe niemanden mehr außer dir! Bräutigam Ich geh los. Morgen werde ich sie besuchen. Mutter Ja, ja; und mal sehen, ob du mich erfreust mit sechs Enkeln, oder eben wie du Lust hast, schon weil dein Vater keine Gelegenheit hatte, mir so viele zu machen. Bräutigam Der erste für Sie. Mutter Schon, aber dass auch Mädchen dabei sind. Damit ich sticken kann und klöppeln und mich beruhige. Bräutigam Ich bin sicher, Sie werden meine Braut mögen. Mutter Ich werde sie mögen. Sie macht Anstalten, ihn zu küssen und hält inne. Geh, du bist schon zu groß für Küsse. Die gibst du deiner Frau. Pause. Beiseite Wenn sie es ist. Bräutigam Ich verschwinde. Mutter Dass du das Stück bei der kleinen Mühle gut hackst, du hast es vernachlässigt. Bräutigam Bin schon dabei! Mutter Geh mit Gott. Der Bräutigam geht los. Die Mutter bleibt sitzen mit dem Rücken zur Tür. Dort erscheint eine Nachbarin, dunkel gekleidet, mit Tuch um den Kopf. Komm herein. Nachbarin Wie geht es dir? Mutter Nachbarin Es geht so. Ich war unten im Laden und komme dich besuchen. Wir wohnen so weit! … 8 Mutter Es macht zwanzig Jahre, dass ich nicht hochgestiegen bin die Straße. Nachbarin Dir geht es gut. Mutter Glaubst du? Nachbarin Sachen passieren. Vor zwei Tagen brachten sie den Sohn meiner Nachbarin, beide Arme abgeschnitten von der Maschine. Sie setzt sich. Mutter Den Rafael? Nachbarin Ja. Und da hast du es. Oftmals denke ich, dass dein Sohn und meiner besser dort sind, wo sie sind, schlafend, in Ruhe, nicht in Gefahr, als Krüppel weiterzuleben. Mutter Schweig. Das ist alles Erfindung, aber kein Trost. Nachbarin Ach! Mutter Ach! Pause. Nachbarin betrübt Und dein Junge? Mutter Ist draußen. Nachbarin Zuletzt kaufte er den Weinberg! Mutter Er hatte Glück. Nachbarin Jetzt wird er sich verheiraten. Mutter wie aufwachend, ihren Stuhl zu dem der Nachbarin rückend Höre. Nachbarin vertraulich Sag. Mutter Du kennst die Braut meines Sohnes? Nachbarin Gutes Mädchen! Mutter Ja, aber … 9 Nachbarin Aber einen, der sie gründlich kennt, gibt es nicht. Sie lebt allein mit ihrem Vater dort, fernab, zehn Meilen vom nächsten Haus entfernt. Aber sie ist gut. Gewöhnt an das Alleinsein. Mutter Und ihre Mutter? Nachbarin Ihre Mutter, die kannte ich. Schön. Ihr leuchtete das Gesicht wie bei einem Heiligen; doch mir gefiel sie nie. Sie liebte ihren Ehemann nicht. Mutter heftig Aber was die Leute nicht alles wissen! Nachbarin Entschuldige. Ich wollte nicht verletzen; aber es ist wahr. Indes, ob sie anständig war oder nicht, das sagt dir niemand. Darüber hat man nicht geredet. Sie war hochmütig. Mutter Immer das gleiche! Nachbarin Du fragtest mich. Mutter Ich wollte, niemand wüsste etwas, weder von dem Lebenden, noch von der Toten. Dass es zwei Disteln wären, die kein Mensch beim Namen nennt, und die stechen, wenn der Augenblick kommt. Nachbarin Du hast recht. Dein Junge verdient es sehr. Mutter Verdient er. Deswegen achte ich auf ihn. Man hat mir gesagt, das Mädchen hatte einen Verlobten vor längerem. Nachbarin Da mag sie fünfzehn gewesen sein. Er heiratete freilich schon vor zwei Jahren eine ihrer Cousinen. Niemand erinnert sich mehr der Verlobung. Mutter Wieso erinnerst denn du dich? Nachbarin Du stellst mir Fragen! … Mutter Ein jeder erkennt gerne das, was ihm wehtut. Wer war der Verlobte? Nachbarin Leonardo. Mutter Welcher Leonardo? Nachbarin Leonardo, der von den Félix. Mutter steht auf Von den Félix! 10 Nachbarin Frau, welche Schuld trägt Leonardo denn? Er war acht Jahre alt bei den Streitigkeiten. Mutter Das stimmt … Doch höre ich dieses „von den Félix“ und es ist dasselbe. Durch die Zähne Félix, bei dem sich mir der Mund füllt mit Schlamm, sie spuckt aus und ich muss ausspucken, ausspucken, um nicht zu morden. Nachbarin Mäßige dich. Was gewinnst du damit? Mutter Nichts. Aber du verstehst es. Nachbarin Stell dich nicht gegen das Glück deines Jungen. Sage ihm nichts. Du bist alt. Ich ebenso. Dir und mir geziemt es zu schweigen. Mutter Ich werde ihm nichts sagen. Nachbarin küsst sie Nichts. Mutter gelassen So was! … Nachbarin Ich gehe los, bald kommen meine Leute vom Feld. Mutter Hast du gemerkt, wie heiß es heute ist? Nachbarin Neger sind die Kleinen geworden, die den Schnittern das Wasser bringen. Adiós, Frau. Mutter Adiós. Sie begibt sich zur linken Tür. Auf halbem Wege hält sie inne und bekreuzigt sich langsam. Vorhang. 11