Die Cloud ist kein Selbstbedienungsladen - T
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Die Cloud ist kein Selbstbedienungsladen - T
Reinhard Clemens, CEO T-Systems, über die Cloud Reinhard Clemens ist Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG und CEO von T-Systems. Seit 1. Januar 2012 verantwortet der diplomierte E lektrotechniker zudem alle IT-Aktivitäten des Konzerns. Zuvor war Clemens seit 2001 bei der EDS in Deutschland als Vorsitzender der Geschäftsführung für den Vertrieb, Business Operations und Strategie in Zentraleuropa verantwortlich. „Die Cloud ist kein Selbstbedienungsladen“ Wenn neue Technologien auf den Markt kommen, landen sie in der ICT-Branche schnell im Gartnerschen Hype-Zyklus. Hier rutschen sie nach dem Gipfel der überzogenen Erwartungen in das Tal der Enttäuschungen, bevor eine Innovation in den Pfad der Erleuchtung einbiegt. Bis dahin schaffen es jedoch nur wenige. Cloud Computing, Big Data und Mobilität gehören dazu. Mit zunehmend einfachem Zugang zur Technologie verändern sie die Beziehung zwischen IT-Abteilungen, Fachbereichen und Kunden. W ann ist eine Innovation disruptiv? Wenn sie bestehen- de Technologien, Produkte oder Dienstleistungen verdrängt, sagt Wikipedia. Disruption ist auflösend, aufspaltend, zerstörend, verrät das Synonymlexikon. Die IT-Branche neigt dazu, Innovationen allzu schnell als disruptiv zu bezeichnen. Denn die meisten IT-Technologien geraten so schnell, wie sie gekommen sind, in Vergessenheit. Was die IT-Branche jedoch aktuell erlebt, ist in mehrfacher Weise disruptiv. Cloud Computing, mobile Lösungen, Social Media oder Big Data sind Entwicklungen, die sich in großem Maße auf Unternehmen jeglicher Größe und Branche durchschlagen. Sie rücken die IT noch stärker als bisher in das Zentrum von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ermöglichen neue Geschäftsmodelle und zusätzliches Geschäft. Sie verändern aber auch die Beziehung zwischen ITAbteilungen und Fachbereichen, indem sie der IT durch zunehmende Consumerization ein gutes Stück ihrer Aura nehmen. „Die disruptiven Technologien Cloud, Big Data, Social Media und Mobility haben die Kraft, unsere klassische Geschäftswelt radikal zu verändern“, ist auch Gartner-Analyst Dennis Gaughan überzeugt. 24 Detecon Management Report blue • 1 / 2013 Selbstbedienung in der Cloud Um ihre Geschäftsmodelle anzupassen und näher am Kunden auszurichten, brauchen die Fachbereiche IT-Lösungen, mit denen sie die Anforderungen umsetzen können. Diese Technologien verändern somit in den Unternehmen das Rollenverständnis. Wenn die IT-Abteilungen ihnen diese Lösungen nicht bereitstellen, dann nehmen die Fachbereiche das Heft selbst in die Hand und gehen in der Cloud auf Einkaufstour. Laut IDCExperten kaufen Fachbereiche bereits heute zu 25 Prozent die benötigte Software komplett selbst – die IT-Abteilungen stehen außen vor. Und rund 60 Prozent aller IT-Ausgaben erfolgen gemeinsam mit den Lines of Business. So mancher CIO spürt die Veränderung. „In Zukunft werden Cloud-Anbieter zum Beispiel IT-Komponenten nicht mehr an CIOs verkaufen“, glaubt Phil Colman, CIO von British American Tobacco. Stattdessen verkaufen sie umfassende Geschäftslösungen gleich an unsere Marketing- und Supply-Chain-Geschäftsführer.“ Diese wollen Informationen und Analysen in Echtzeit erhalten, Marketingkampagnen gezielter steuern oder Produktdefizite direkt in die Entwicklung zurückgeben können. Kurzum: den Kunden in die Geschäftsprozesse einbinden, um ihn bedürfnisgerecht bedienen zu können. Dafür brauchen sie Lösungen, die immer häufiger aus der Cloud kommen. Enges Zusammenspiel von Business und IT Vor diesem Hintergrund müssen IT-Dienstleister und CIOs in den Unternehmen erkennen und verstehen, was die Fachbereiche voranbringt. Statt starre IT-Systeme zu verwalten, steuern und managen IT-Verantwortliche künftig dynamische IT- Services aus der Cloud, werten mit Big Data geschäftsrelevante Informationen aus – und entwickeln sich zum Treiber des Business. Sie führen Millionen von unstrukturierten Informationen aus Social-Media-Kanälen zusammen und verknüpfen sie mit vorhandenen Daten – etwa aus CRM- und ERP-Systemen – und analysieren sie gemeinsam. Die beste Analyse ist noch kein Wettbewerbsvorteil. Die Differenzierung entsteht bei Produkten und Services. Amazon revolutionierte den Buchhandel, der eReader das Buch an sich. Digitalkameras brachten den Fotopionier Kodak in die Insolvenz. Apple, Spotify und Juke setzen der Musikindustrie zu. Google News bringt den Nachrichtenmarkt durcheinander. Neckermann und Quelle gibt es nicht mehr, dafür florieren OTTO und Zalando. Hinter allem steckt Kundennähe kombiniert mit einem außergewöhnlichen Nutzererlebnis. „Erfolgreiche Geschäftsmodelle gehen den Weg zum Kunden schnell, transparent und direkt“, sagt Wolfgang Schwab von der Experton Group. „Unternehmen müssen ihre IT-Prozesse darauf abstimmen. Denn die Performance der Fachbereiche ist ohne Technologien im Hintergrund kaum möglich.“ Dafür müssen die IT-Verantwortlichen, so Schwab, „Anforderungen aufnehmen und sie in technische Lösungen überführen“. Stichwort: Big Data. In der IT stehen Daten für Wissen. Angesichts der Datenmassen und -vielfalt – 90 Prozent aller gespeicherten Daten entstanden erst in den vergangenen zwei Jahren – blieb dieses Wissen bisher jedoch meist ungenutzt. 85 Prozent der 500 umsatzstärksten Unternehmen sind heute nicht in der Lage, sinnvolle Analysen dieser meist unstrukturierten Datenmengen durchzuführen, geschweige denn in Echtzeit. Aber genau darauf kommt es künftig an, wollen Unternehmen ihren Kunden standortbezogene und individuell zugeschnittene Services anbieten. Beispiele wie Zalando oder Amazon haben eines gemeinsam: Sie basieren auf engem Zusammenspiel von Business und IT und schaffen Kundennähe in neuer Dimension – auf Zero Distance zum Kunden sozusagen. Für Unternehmen ist diese Nähe die Basis für „Customer Excellence“. Sich mit besseren Informa tionen aus tausenden von Datenquellen ein perfektes Bild vom Kunden zu machen, ihn in die Geschäfts- und Marketingprozesse zu integrieren, immer schneller auf seine Bedürfnisse zu reagieren: Das ist die neue Welt, für die IT-Abteilungen ihren Beitrag leisten müssen. Bei Online-Händlern fallen Millionen von Daten an, die bisher nur wenige in Echtzeit auswerten. Wer diese mit Nutzerinformationen aus Internet-Foren, Blogs und sozialen Medien kombiniert, leitet neue Impulse für Produktentwicklung und Services ab. Ein weiteres Beispiel für Big Data bietet die Energiewende. Die von der Europäischen Union geforderte Ausstattung der Haushalte mit intelligenten Stromzählern sowie der steigende Anteil regenerativer und dezentral erzeugter Energie, stellen ganz neue Anforderungen an die Energieerzeuger. Wenn allerdings 40 Millionen Smart Meter wie geplant im Viertelstundentakt Verbrauchsdaten an die Versorger senden, müssen sie pro Stunde rund 3,8 Milliarden Datensätze vereinbaren. Ohne Big Data ist dies kaum zu realisieren. Auf Basis der Analysen steuern die Stromproduzenten die Produktion in Echtzeit, informieren ihre Kunden zeitnah oder bieten ihnen gezielt neue Tarifmodelle an. Die Zeit der unverstandenen IT-Abteilungen und des „dummen“ Anwenders ist dank Cloud, Apps und Mobilität vorbei. Immer mehr Entscheider setzen sich selbst damit auseinander, Geschäftspotenziale von ICT zu erschließen. Spätestens 2015 investieren die Fachbereiche mehr als 100 Milliarden Euro in die IT – ohne Umweg über die IT-Abteilung. Dies fordert die zentralen IT-Abteilungen zusätzlich, macht sie aber auch zum wichtigen Bindeglied. Genau dieser Trend wird im klassischen IT-Bereich das Thema Standardisierung und Automatisierung zusammen mit Cloud-Services weiter vorantreiben. IT-Verantwortliche als Treiber des Business Zwei Beispiele, die zeigen warum Big Data eines der wichtigsten IT-Themen der nächsten Jahre ist. 2012 wurde bei Big Data vor allem in Hard- und Software investiert. Bis 2016 soll der Anteil der Big-Data-Services auf 43 Prozent steigen. Der Gesamtumsatz zum Thema Big Data wird bis dahin schnell und überproportional wachsen und sich auf 15,7 Milliarden Euro verdreifacht haben. Aber wie erfolgt die dafür nötige Transformation der Unternehmens-IT? Wie werden Legacy-Systeme in die Cloud überführt, bestehende Systeme um Cloud-Ressourcen erweitert sowie Applikationen modernisiert und mobilisiert? Und das alles bei laufendem Betrieb? Diese Fragen kann in der Regel nur die IT-Abteilung beantworten. Und dieser Wissensvorsprung gibt der IT die Chance, das langjährige Beziehungsgefüge zu den Fachbereichen zu korrigieren. Vom traditionellen Auftragnehmer von Marketing, Vertrieb oder HR hin zu einem Enabler des Business. „Der CIO kennt nicht nur Businessprozesse und strategische Ziele. Er beobachtet auch neue Entwicklungen, die Einfluss auf die Geschäftsziele haben können“, ist ExpertonAnalyst Schwab überzeugt: „So bewahrt er Fachbereiche vor Fehlentscheidungen.“ 25 Detecon Management Report blue • 1 / 2013 Die Neue Nähe zum Kunden Zero Distance 26 Detecon Management Report blue • 1 / 2013 Gestern noch Start-Up, heute bereits Umsatzmilliardär. Jahrzehntelang traditioneller Marktführer, heute Online-Primus. Die Gewinner haben eines gemeinsam: Sie agieren radikal kundenzentriert. Verlierer dagegen, darunter namhafte Traditionsfirmen, haben verkannt, dass der Kunde und seine Bedürfnisse die neue Marktmacht sind. Und gehen oft in die Insolvenz. W enn der Berliner Schuhversand Zalando rund vier Jah- re nach dem Start schon eine Milliarde Euro umsetzt, in 14 Märkten Europas Fuß gefasst hat und in seiner Heimat eine Markenbekanntheit von 95 Prozent erreicht, bringt das etablierte Platzhirsche schnell in Bedrängnis. Gleiches gilt für den Versandhändler Otto – mittlerweile zweitgrößter Online-Universalversender hinter Amazon. Gleichzeitig gehen traditionelle Händler wie Neckermann in die Insolvenz. Unternehmen, die heute erfolgreich sind, agieren schnell, einfach, direkt und transparent. Sie sind im „Zeitalter des Kunden“ angekommen und schaffen eine radikal neue Nähe zu Kunden, Mitarbeitern und Daten. Der Shop oder die Dienstleistung kommt direkt zum Kunden nach Hause. Tablets, Smartphones und Co. sind die neue Ladentheke, und Social Media wird Teil der Wertschöpfungskette – „Zero Distance“. Wenn der Shop zum Kunden kommt Beispiel: Die britische Supermarktkette Tesco. Sie stellt mit ihren virtuellen Supermärkten in Südkoreas U-Bahnen den Kunden in den Mittelpunkt. Bestellt wird per QR-Code und geliefert direkt nach Hause. So entwickelte sich das Unternehmen innerhalb weniger Wochen zum Marktführer des Landes im Lebensmittel-Internethandel. Das Fundament: Hinter dem Bestellprozess der Zahlungsabwicklung und der genauen Auslieferungssteuerung steht eine durchgängige ICT-Kette. Oder im Banking: Mit einem reinen Onlinebanking-Ansatz ist INGDiBa mit heute 7,5 Millionen Privatkunden die Nummer eins unter den Online-Brokern und drittgrößte Privatkundenbank Deutschlands. Und das ohne eine einzige stationäre Filiale, aber mit 1.200 Geldautomaten im ganzen Land. Das Erfolgsrezept all dieser Unternehmen ist der konsequente Einsatz von so genannten disruptiven Technologien. Die Analysten von Gartner sagen, dass Cloud Computing, Big Data, Social Media und Mobility gebündelt die Kraft haben, „unsere klassische Geschäftswelt radikal zu verändern“. Weil sie Distanzen auflösen und Wege zum eigenen Mitarbeiter, zu verfügbaren Daten und zum potenziellen Kunden Richtung Null verkürzen. Nie war Informations- und Kommunika tionstechnik für den Erfolg von Businessstrategien so entscheidend wie heute. Dies haben auch die Fachbereiche erkannt und greifen immer mehr zu IT-Selbsthilfe in Form von Cloud- basierten Lösungen. Wer trifft zukünftig IT-Kaufentscheidungen? De facto werden CIOs von zwei Seiten in die Zange genommen: Zum einen von den eigenen Usern – jenen, die immer und überall egal mit welchem Device arbeiten wollen, sowie von den Fachbereichen, die, getrieben von ihren Aufgaben, eigenes Budget für IT-Lösungen einsetzen. Zum anderen vom IT-Consumer befeuerten Marktgeschehen vor der Tür. Besonders an der Geschwindigkeit, mit der IT-Abteilungen ihre Aufgaben lösen, wird bemessen, welche Rolle sie zukünftig in Unternehmen spielen. Zum Beispiel bei Investitionen. So wird die Frage „Wer erkennt schneller, was dem Business nützt – der Fachbereich oder die IT?“ zum Kriterium dafür, wer zukünftig IT-Kaufentscheidungen trifft. IDC-Experten jedenfalls gehen davon aus, dass schon in diesem Jahr fast 60 Prozent aller IT-Ausgaben in Unternehmen unter direkter Einbindung der Lines of Business vorgenommen werden. Der CIO muss daher seine Unternehmens-IT in dynamische Bereitstellungsmodelle und in die Cloud transformieren. Denn damit kann er die Legacy-Systeme um Cloud-Ressourcen erweitern, Applikationen modernisieren und schließlich mobilisieren. Gelingt diese Anstrengung, wächst die IT vom traditionellen Auftragnehmer von Marketing, Vertrieb oder HR hin zu einem Enabler des Business – und ermöglicht so Zero Distance. 27 Detecon Management Report blue • 1 / 2013 IT-Abteilung im Fokus Einfach einfacher machen Der Wunsch, Business-Anwendungen so unkompliziert und mobil zu nutzen wie Consumer-Apps, konfrontiert Mitarbeiter und Fachbereiche zunehmend mit der ITAbteilung. Fest steht: CIOs müssen eine Antwort auf den Simplification-Virus finden. llein in Deutschland drängen jährlich mehr als 300.000 A Hochschulabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Sie bringen feste Erwartungen an Arbeitgeber und ihren Aufgabenbereich mit – auch in die IT-Ausstattung ihrer Arbeitsplätze. Hier gilt für viele der Digital Natives oder Generation Y das Motto: Keep it simple. „Dieses Simplification-Virus“, so Thomas Spreitzer, Leiter Marketing T-Systems, „hat längst nicht nur die Generation Y infiziert, sondern User aller Altersklassen im Unternehmen. Sie alle fordern IT-Anwendungen am Arbeitsplatz oder mobil, die so schnell verfügbar und einfach bedienbar sind, wie die Apps, die sie auch privat nutzen. Wir halten das für keine Modeerscheinung, die Unternehmen aussitzen können, sondern einen ernstzunehmenden Trend und haben dafür den Begriff der ‚Generation Easy‘ geprägt.“ Diese Generation will einfach mit Kollegen, Partnern und Kunden zusammenarbeiten, wie sie es etwa mit Skype, Facebook, WhatsApp oder Dropbox gewohnt ist – beliebige Smartphone- oder Tablet-Versionen inklusive. 28 Detecon Management Report blue • 1 / 2013 Die völlige IT-Durchdringung des privaten und beruflichen Alltags durch Apps, Cloud Computing und leistungsfähige Endgeräte hat inzwischen auch das Verhalten und die Bedürfnisse der Mitarbeiter beeinflusst, die anderen Generationen angehören. Verbote führen nicht weiter Auf die Forderungen nach der neuen Freiheit müssen CIOs sich erst noch einstellen. Und zwar schon bald. Denn ihre Wünsche nach einfachen IT-Werkzeugen setzt die Keep-it-simple-Fraktion schon ohne die IT-Abteilung um. „Verbote helfen CIOs nicht“, sagt PAC-Analyst Dr. Andreas Stiehler, „und alle Wünsche bedingungslos zuzulassen schon mal gar nicht“. Noch fällt es den IT-Chefs daher schwer, unterschiedlichste mobile Endgeräte unabhängig von Hersteller und Betriebssystem zu akzeptieren und zu managen. Auch wenn es technisch möglich ist dank Unified Communication & Collaboration-Tools (UCC), virtuellen Desktop-Lösungen (Mobile Device Management) aus der Cloud oder Mobile Enterprise Solutions. Doch dafür müssen Unternehmen ihre Infrastrukturen erst überführen. Stiehler: „Es bleiben zwei Varianten: Entweder Social-MediaTools und Bring-your-own-device-Lösungen sicher zu integrieren und klare Unterscheidungshilfen vorzugeben, ob Businessdaten etwa Dropbox-verträglich sind oder nicht. Oder sie bieten den Mitarbeitern Enterprise-IT-Alternativen für Facebook, Skype und Co an.“ Denn ohne Schutz der geschäftskritischen Applikationen sowie Unternehmens- und Kundendaten, über die Mitarbeiter dann ortsunabhängig und rund um die Uhr Zugriff haben, sind die Risiken vorprogrammiert. Daher heißt es: Sharepoint statt Dropbox und WebEx anstelle von Skype. Aufzuhalten ist die Keep-it-simple-Entwicklung nicht, wie ein Beispiel aus einer Branche zeigt, die täglich mit wichtigen Kundendaten umgeht und eher als vorsichtig gilt. Als Samet Yilmaz 2011 bei KPMG einstieg, waren Skype, Dropbox oder USBSticks strikt verboten. Doch immerhin erlaubte das Unternehmen den Mitarbeitern mit dem ersten Arbeitstag von Yilmaz, ein iPhone statt Blackberry als Firmenhandy zu nutzen. KPMG hatte erkannt, was das Unternehmen daran hat, Mitarbeitern ihre gewohnten Arbeitsbedingungen weitgehend zu erhalten: „Das schafft Identifikation, motiviert und erhöht die Produktivität“, ist Yilmaz sicher. Wollen der Senior Associate und sein Team gemeinsam Excel-Dateien für einen Kunden bearbeiten, mit ‚MS Project’ Präsentationen abstimmen oder via ‚Visio’ ihre Workflows codieren und modifizieren, bietet ihnen KPMG das Sharepoint-Upload „Live Meeting“ als Alternative zu Skype. Ab Oktober führt das Unternehmen zudem den Social Media Service „tippr“ ein: eine Crowd-Information-Sourcing-Plattform, die das Teamwork der Mitarbeiter entscheidend vereinfachen wird. Auf den Firmen-iPhones der KPMG fungiert eine passwortgesicherte „Good App“ als Schleuse zum unternehmensinternen VPN-Tunnel. Sie kapselt und verschlüsselt Unternehmens- und Kundendaten und hält geschäftliche von privaten Anwendungen ihrer User strikt auseinander. Geht ein Handy verloren, wird es remote abgeschaltet und alle Business-Daten stehen für das Ersatzgerät sofort wieder zur Verfügung. Genau so nutzt der Wirtschaftsprüfer auch sein privates iPad – mit Genehmigung und Zugangskarte von KPMG. Risiko der Self-Service-Mentalität „IT-Chefs müssen sich öffnen“, sagt auch Dr. Markus Müller. „Andernfalls“, so der CIO der Deutschen Telekom, „droht uns eine einzige Selbstbedienungswelle, in der jeder Mitarbeiter an Applikationen und Devices ins Unternehmen holt, was ihm gerade sinnvoll, praktisch und zielführend erscheint“. Dieser Self- Service-Mentalität lässt sich entgegensteuern, „indem IT-Chefs heute schon wissen, welche Begehrlichkeiten das Netz morgen bei Mitarbeitern wecken wird, und entsprechende Alternativen anbieten, die die Konkurrenz der Public Tools nicht fürchten müssen.“ Wo liegen aber die Grenzen zwischen Wunsch der Mitarbeiter und der Machbarkeit aus CIO-Sicht? Die Grenzen seien vor allem bei der Integration in die Legacy-Architektur und bei der Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten schnell erreicht. Priorität muss daher haben, „was dem Unternehmen und damit letztlich den Kunden nützt. Dazu gehören effektive Tools zur Zusammenarbeit genauso wie räumliche Flexibilität bei der täglichen Arbeit. Hier bin ich als IT-Chef auch offen für Innovationen.“ Um das „keep-it-simple“ vieler Apps und Devices aus der Consumer-Welt in die Enterprise-IT zu überführen, muss die Usability auch für einen CIO ganz oben auf der Liste stehen. Dabei gilt neben Eigenentwicklungen „die Devise, wenige wirklich gute Beispiele, die es auf dem Markt gibt und die viele nutzen und kennen auszuwählen und diese intelligent aber umsichtig in die Enterprise-IT zu integrieren“. Dazu gehört bei Applikationen aus dem Netz auch, unberechtigte Datenabfragen unmöglich zu machen und Mitarbeiter „mit modernen Endgeräten und mit einer überschaubaren, getesteten Software-Auswahl auszustatten, um unnötige Komplexität zu vermeiden“. Ähnlich sieht das auch Dr. Andreas Stiehler. Obwohl Tools & Services aus dem Social-Media-Bereich mehr Schnelligkeit und einfachere, transparente Bedienung suggerieren, würden viele von ihnen eine Tauglichkeitsprüfung für’s Business gar nicht bestehen, sagt der PAC-Analyst. „CIOs müssen diese Tools aus dem Flohzirkus des SoMe-Spektrums so in ihre Infrastrukturen, Security und Prozesse integrieren, dass sie dort keinen Schaden anrichten können, oder Enterprise-IT-Alternativen anbieten“. Dies funktioniert nur, wenn Unternehmen und ihre IT-Dienstleister die sichere Integration einzelner ConsumerAnwendungen beherrschten und wüssten, wie sich IT-Funktionalitäten in der Administration entschlacken lassen. „Das kostet Zeit, IT-Ressourcen und Geld“, gibt Stiehler zu bedenken, rechne sich aber: „Wenn die Mitarbeiter gern arbeiten, weil auch die IT reibungslos funktioniert, erhöht das die Motivation und damit die Produktivität. Bei dem heutigen Kampf um qualifizierten Nachwuchs werden Mitarbeiter kompliziertere Prozesse und Anwendungen nicht akzeptieren. Dann wandern sie fort zur Konkurrenz.“ 29 Detecon Management Report blue • 1 / 2013