Ausgabe 03/2010 Fachliche Mitteilungen für fliegende
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Ausgabe 03/2010 Fachliche Mitteilungen für fliegende
Flugsicherheit Ausgabe 03/2010 Foto: Bildstelle MFG 3 „Graf Zeppelin“ / Bildbearbeitung Guido Sonnenberg Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände Flugsicherheit Ausgabe 03 / 2010 Heft 3 November 2010 - 47. Jahrgang Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände Flugsicherheit In this issue Written by Major Jonathan „Ganso“ Gallego, German Armed Forces Flight Safety Directorate Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände Don’t press it! Do not delay your decision to go „missed approach“! The article recaps the human factors associated with the decision process, as well as, how an instrument approach is built around the obstacles in the landing environment. It happens quite involuntarily // Es passiert ganz unwillkürlich Accidents are going to happen! In order to minimize the risk of an accident, Safety needs to be followed from every level in an organization. From the top to the bottom, there must be an understanding throughout the work force about how we conduct ourselves, in order to prevent mistakes from taking place. Titelfoto: Bildstelle MFG 3 „Graf Zeppelin“ Bildbearbeitung www.schaltwerk.eu „Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände der Bundeswehr Expect the unexpected Expect the unexpected, that’s the main point! Never assume that everything will happen as it normally happens. Prepare for the unexpected. Herausgeber: Luftwaffenamt General Flugsicherheit in der Bundeswehr Redaktion: Hauptmann Klemens Löb, Tel.: 02203-9083124 Luftwaffenkaserne 501/07 Postfach 906110 51127 Köln redaktionflugsicherheit@bundeswehr.org klemensloeb@bundeswehr.org Gestaltung: Hauptmann Klemens Löb GenFlSichhBw Erscheinen: dreimonatlich Manuskripteinsendungen sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheits- publikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher möglich und erwünscht. Druck: Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR 10117 Berlin Editorial 1 Don‘t press it! 2 „Es passiert ganz unwillkürlich ...“ 5 Expect the unexpected 6 Neckische Spielchen 8 Der Flugplatz auf der Autobahn 12 Die Geschichte von Killi und Kiiski 18 Laserstrahl-Attacken auf Flugzeuge 20 Hilfe bei Flugunfällen 25 Dinge gibt‘s, die gibt‘s doch gar nicht! 26 Wir sind nicht allein ... 28 Wir begrüßen ... 32 In this issue 33 Mischievous play // Neckische Spielchen A joke gone wrong! The moral of the story is: There is a time and place for horsing around, but not while flying. We are all professionals and must always act that way. The airport off the highway // Der Flugplatz auf der Autobahn The Autobahn, from cars – to emergency runways – to mobile airports. The history of how the German Autobahn changed the way we could deploy our forces. The story of Killi and Kiiski // Die Geschichte von Killi und Kiiski Bird strikes were on the rise and something needed to be done! Germany hired the help from a couple Finnish bird-hunting dogs to solve the problem. This is their story. Laser attack on airplanes // Laserstrahlattacken auf Flugzeuge A very informative and technical article about the effects of lasers. But most importantly, this article gives us the insight and options, on how we can protect ourselves from these laser attacks. „Help in case of a plane crash” // Hilfe bei Flugunfällen This is the new brochure that you can download. It contains expert information and tips about different aircraft types and how you can help support flying safety/safety in general. There are things that happen, that you would never expect // Dinge gibt’s, die gibt’s doch gar nicht! A dangerous situation developed because a construction company was given permission from a neighboring airport to access a runway at another airport. We are not alone // Wir sind nicht allein With the never ending increase in air traffic, military/civilian pilots and air traffic controllers need to be aware of the advantages and disadvantages of each other’s systems. In this article TCAS is the main point of discussion. Editorial Wohin!? Seit Jahren stellen wir bei fast allen fliegenden Besatzungen einen Rückgang an Flugstunden fest. Dies geschieht quasi schleichend, denn kontinuierlich sinkt die Zahl um einige Prozentpunkte weiter ab. Wer sich mit dem Thema nicht eingehend beschäftigt, nimmt diese Entwicklung kaum wahr. Und, etwas provozierend gefragt, haben wir uns nicht irgendwie schon an diesen Zustand gewöhnt oder sogar damit arrangiert? Die geplanten zusätzlichen drastischen Einschränkungen für das Jahr 2011 lassen uns jetzt aber alle aufschrecken. Vielleicht aber nur diejenigen, die mittelbar bzw. unmittelbar mit dem Flugbetrieb der Bundeswehr in Berührung stehen. Was ist mit denen, die letztendlich den Kuchen, sprich das Geld, für den Flugbetrieb aufteilen? Ist denen bewusst, welche Auswirkungen mit den Kürzungen verbunden und welche Langzeitwirkungen zu befürchten sind? Ich kann mich gut erinnern, als die Luftwaffe sich für ihre Kampfflugzeuge von der NATO-Forderung von 180 Stunden (Minimum) pro Jahr verabschiedet hat. Nicht freiwillig, sondern dem Sparzwang folgend, einigte man sich auf ein vorübergehendes Abschmelzen auf 150 Stunden, ohne dabei das Ziel von 180 Stunden aus den Augen verlieren zu wollen. Doch wo stehen wir heute? Wer träumt noch von 180 Stunden? Wohl gemerkt, ich rede von Durchschnittswerten, nicht von positiven Ausreißern, die es auch heute noch gibt. Derzeit reden wir von Durchschnittswerten bei z. B. den Kampfflugzeugen von leicht über 100 und bei Hubschraubern (alle TSKs) von z. T. deutlich unter 100 Stunden. Lediglich der Transportflotte gelang es annähernd auf akzeptablem Niveau zu verharren. Weniger Stunden im Cockpit bedeuten weniger Erfahrung. Auch wenn manches durch zusätzliche Simulatornutzung wettgemacht werden kann, so sind sich die Experten einig: Unter dem Strich gibt es keinen Einszu-eins-Ersatz. Aufgrund dieser Situation hat sich z. B. der Erfahrungsaufbau gerade für jüngere Besatzungsmitglieder nicht nur verlangsamt, sondern er weist in Teilbereichen Lücken auf. Wir sehen schon jetzt, dass Handlungssicherheit verloren geht. All dies kann nicht ohne Auswirkungen bleiben. Die Jungen sind unsere Zukunft, sie wachsen gezwungener Maßen mit weniger Rüstzeug in verantwortungsvolle fliegerische Führungspositionen und schleppen Defizite schleichend mit. Aufgrund dieser anhaltenden Entwicklung sind für den Einsatzoffizier bis zum Verbandsführer schon jetzt andere Erfahrungswerte zu konstatieren. Wir sind z. T. weit entfernt von Flugstundenpolstern (= Erfahrungspolstern), die noch vor Jahren selbstverständliche Voraussetzung für die Übernahme eines fliegerischen Führungsdienstpostens waren. Geradezu unglaublich klingt es, dass junge Flugzeugführer nach ihrer konzentrierten Ausbildung in Shep- pard oder Bückeburg mehrere Monate, ja bis zu einem Jahr Wartezeit durchstehen müssen bis zum Beginn der weiterführenden Musterschulung. Auch dies ist letzten Endes der Flugstundenproblematik geschuldet. Dass sich diese Entwicklung noch nicht im Anstieg der Unfallbilanz zeigt, ist sicherlich auch dem bewussten Risikomanagement auf allen fliegerischen Führungsebenen zu verdanken, das hier noch greift. Wann die Möglichkeiten eines solchen Gegensteuerns ausgeschöpft sind, lässt sich aufgrund der inhärenten Dynamik schwer vorhersehen. Mit den notwendigen Einschnitten für 2011, die alles Bisherige in den Schatten stellen, wird die Fliegerei an neue Grenzen geführt. Aus Sicht der Flugsicherheit kann es ein „weiter so“ nicht geben. Geben Sie Laut, ziehen Sie dort, wo notwendig die Reißleine, bevor wir die Flugsicherheit überfordern. Ich bin sicher, dass Sie bei den fliegerischen Vorgesetzten auf allen Ebenen dafür Verständnis wecken können. Aber nur, wenn wir alle diese Message nach vorne tragen, schaffen wir die notwendige Transparenz. Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen einen besinnlichen Jahresausklang und einen guten Start ins neue Jahr 2011. Schmidt Brigadegeneral 1 Flugsicherheit Don‘t press it! Gefahren beim Schlechtwetteranflug Foto: R. Kellenaers - http://kellenaers.zenfolio.com von Oberstleutnant Heribert Mennen, LwA FlSichhBw Bei der Durchsicht einer flugbetrieblichen Untersuchung (aeronautical study) der Hindernislage eines Bundeswehrflugplatzes musste ich an einen vor langer Zeit 2 veröffentlichten Artikel1 in der Zeitschrift „Flugsicherheit“ zur Entscheidungssituation eines Luftfahrzeugführers beim Schlechtwetteranflug denken. Dieser legte sehr anschaulich dar, dass derjenige leichtsinnig ein unkalkulierbares Risiko eingeht, der bei Erreichen der Entscheidungshöhe den Anflug fortsetzt, ohne die Landebahn oder das Landebahnumfeld in Sicht zu haben. Mein damaliger Ausbilder auf dem Lehrgang für die Erarbeitung von Instrumentenan- und abflugverfahren bei der TSLw 1 Kaufbeuren hat in der Folge mit einem Leserbrief2 die im Artikel gemachten Angaben ergänzt und präzisiert. Beide Beiträge haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt, DA Skizze 1 HAT 200‘ Mindestsicht ohne Befeuerung 1200 m Mindestsicht mit Befeuerung 800 m Grafik: LB weil die darin gemachten Angaben Relevanz für meine Arbeit als Flugverkehrskontrolloffizier hatten. Was war mir in der aeronautical study aufgefallen? Es wurde sinngemäß ausgeführt, dass bei Instrumentenanflügen das niedrigste Anfluglimit an diesem Flugplatz 200 Fuß über Grund ist und ein Luftfahrzeug (Lfz) damit noch 100 Fuß über einer circa 100 Fuß hohen Baumgruppe im Anflugsektor liegt. Auf den so ermittelten Wert baute dann die Risikobewertung des Autors auf. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass diese Aussage so nicht stehen bleiben kann, weil sie unpräzise ist und zur falschen Einschätzung der Flughöhe eines Lfz nach Passieren der Entscheidungshöhe bzw. über Hindernissen in diesem Bereich führen kann. Außer Acht gelassen wurde die benötigte menschliche Reaktionszeit und die luftfahrzeugeigentümlichen Erwiderungszeiten, die in Abhängigkeit von der Anfluggeschwindigkeit dazu führen können, dass das Lfz deutlich unter 200 Fuß über Grund sinkt, bevor es im Falle eines Fehlanflugs zu einer Flugwegänderung kommt. Hier noch einmal die wichtigsten Fakten aus den oben genannten Beiträgen zur „Flugsicherheit“: Die Bw-Flugplätze sind in der Regel für Instrumentenanflüge der Betriebsstufe 1 (CAT 1) ausgelegt. Die Entscheidungshöhe (DA) darf nicht tiefer sein als 200 Fuß über der Aufsetzzonenhöhe (HAT); die Mindestsicht muss 800 Meter (m) betragen. Das am häufigsten genutzte Anflugverfahren ist weiterhin der Präzisionsradaranflug (PAR). Gemäß NATOStandardisierungsabkommen STANAG 3579 AATCP-1(C)3 ist die niedrigste Entscheidungshöhe für PAR-Anflüge zwar 100 Fuß, sie wurde jedoch vom BMVg Fü L auf 200 Fuß (ausgenommen Hubschrauber) heraufgesetzt. Bei einem Standardanflugwinkel von 3 Grad bedeutet dies, dass die Entscheidungshöhe oder besser gesagt der Entscheidungspunkt 1163 m vom Gleitweg-Pistenschnittpunkt (GPI) liegt. Diese Entscheidungshöhe ist genau die Höhe, in der ein Fehlanflug eingeleitet werden muss, falls die erforderliche Erdsicht nicht gegeben ist. Erdsicht bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass die Landebahn gesehen werden muss. Bei einer erlaubten Mindestsicht von 800 m ist dies häufig nicht der Fall, liegt doch besagter Entscheidungspunkt ca. 900 m vor der Schwelle. Es genügt vielmehr das Landebahn-Umfeld (runway environment), zu dem per Definition die An- Schritt Sinnesempfindung Wahrnehmung (Erkennen) Entscheidung Steuerung (Controls) Flugwegänderung flugbefeuerung zählt. Die Kontrollan weisung des Lotsen sollte daher lauten (Beispiel): „approaching decision altitude“ und „decision altitude now, report visual“. Zum besseren Verständnis sei noch erwähnt, dass die Mindestsicht ohne standardisiertes Anflugbefeuerungssystem bei einem Precision Approach 1,2 km beträgt. Ist nun eine Anflugbefeuerung vorhanden und uneingeschränkt funktionstüchtig, kann deren Länge (durchschnittlich 800 m) von dem Mindestwert „ohne Befeuerung“ subtrahiert werden. Bei Erkennen der Befeuerung ist man somit „im grünen Bereich“ und kann den Anflug fortsetzen (Skizze 1). Sehen, Erkennen und Reagieren benötigen Zeit. Insbesondere in schnellfliegenden Luftfahrzeugen ist Zeit oft Mangelware, aber lebenswichtig. Die Reaktionszeit (Zeit zwischen einem Reiz und der Handlung auf diesen) beträgt im Bevölkerungsschnitt etwa 1/3–1/5 Sekunde. Werden jedoch mehrere Reize angeboten, steigt Zeit (Sek.) für den jeweiligen Schritt Ø Gesamtzeit (Sek.) 0,395 0,395 0,65 1,045 2,0 3,045 0,4 3,445 2,0 5,445 3 Flugsicherheit die Reaktionszeit, weil Reaktionsalternativen bewertet werden müssen. Im Mensch-Maschine-Komplex sind die luftfahrzeugeigentümlichen Erwiderungszeiten zu addieren. Dieser natürlichen Zeitverzögerung muss man sich im Schlechtwetteranflug immer bewusst sein. Der Reiz-Reaktionsablauf kann in vier Schritte untergliedert werden: Die Sinnesempfindungszeit hängt von der Größe, der Intensität, der Dauer des Reizes und dem entsprechenden Sinnesorgan ab. Die Wahrnehmungszeit hängt von der Komplexität des Signals ab. Bevor Entscheidungen getroffen werden können, muss das Signal interpretiert werden. Die Entscheidungszeit hängt von der Komplexität der Situation ab. Sie steigt proportional zur Anzahl der Handlungsalternativen. Die Erwiderungszeit hängt von der Position der Steuerorgane, der Steuerungskräfte, der Größe der Steuerbewegung und dem ausführenden Körperteil ab. Dazu müssen Verzögerungen, die innerhalb der Übertragungsmechanismen der Luftfahrzeugtechnik entstehen (z. B. Aktivierung von Antriebsmotoren oder hydraulische Pumpen zur Bewegung der Steuerflächen) und die individuelle aerodynamische Trägheit des Luftfahrzeugs addiert werden. Außerdem wird die Reizreaktionsqualität durch die momentane psychophysische Verfassung des Luftfahrzeugführers beeinflusst. Zeitverzögerungen und Fehlerquellen in der Erfassung, Beurteilung und Übermittlung durch den Radarlotsen PAR bleiben im Rahmen dieses Beitrages unberücksichtigt. Gemäß Bezug 1 beträgt der gesamte Zeitblock von der Sinnesempfindung über die Wahrnehmung, Entscheidung und Steuereingabe bis zur luftfahrzeugseitigen Umsetzung durchschnittlich knapp 5,5 Sekunden. Bei einer Anfluggeschwindigkeit von 135 Knoten werden in dieser Zeit eine Strecke von ca. 350 m, bei 155 Knoten ca. 420 m und bei 175 Knoten ca. 475 m im weiteren Sinkflug zurückgelegt. Dass es bei einem Fehlanflug durch die benötigte Reaktionszeit zu einem deutlichen Absinken unter den festgelegten Wert von 200 Fuß (HAT) kommt, wird auch aus Skizze 2 ersichtlich: Wenn ein Luftfahrzeugführer bei Erreichen der Entscheidungshöhe das Landebahnumfeld nicht in Sicht hat, sollte er deshalb konsequent den Fehlanflug einleiten. Wird die Entscheidung hinausgeschoben (z. B. aus übersteigerter Erfolgsmotivation), nimmt der Zeit- und Entscheidungsdruck für den Luftfahrzeugführer erheblich zu. Unter Umständen ist mehrmals ein Wechsel von der Instrumentenanzeige nach draußen und zurück erforderlich. Dies kann die Qualität der Steuerführung beeinträchtigen. Schließlich kann der Punkt erreicht werden, wo selbst eine Entscheidung zum Durchstarten praktisch nicht mehr durchführbar wird. Das Überschreiten des Reaktions-/ Handlungsspielraums macht dann, in Verbindung mit der Abnahme der Flugzeugsteuerungsqualität, den Unfall möglich, ja wahrscheinlich. 1Flugsicherheit 4/1984, „Vorher an die Grenzen denken“ von OTL G. Spohd, FlMedInstLw Abt. II 2Flugsicherheit 2/1985, „Leserbrief“ von Hptm P. Kley, TSLw 1 3STANAG 3759 ASP (Edition 8) NATO Supplement to ICAO Doc 8168-Ops/611, Volume II, for the preparation of instrument approach and departure procedures – AATCP-1(C), 627a. Skizze 2 DA Wolkenuntergrenze 3° Gleitweg HAT 200‘ 1163 m zur DA A/C Erwiderung Steuerung Entscheidung Wahrnehmung Sinnesempfindung 4 Grafik: LB „Es passiert ganz unwillkürlich ...“ von Jörg Leonhardt, mit freundlicher Genehmigung des DFS Unternehmenssicherheitsmanagements VY Manchmal ist es Glück oder die Hand Gottes, die uns in einer speziellen Situation hilft und zur Lösung führt. Manchmal ist es auch reiner Zufall (happenstance), dass nichts Schlimmeres passiert. In einer Organisation, die Sicherheit als oberstes ihrer Unternehmensziele definiert hat, sollten Zufälle als Retter nicht zum Standardrepertoire gehören. Professionelles Arbeiten auf allen Ebenen des Unternehmens muss selbstverständlich sein. Safety Leadership muss von den Führungskräften gelebte Praxis sein. Gerade die Führungskräfte haben hier Vorbildfunktion. Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit sind von allen Mitarbeitern gefordert. Professionelles Handeln operativer Mitarbeiter muss so selbstverständlich sein, wie wir es auch von Piloten und Ärzten erwarten. Es ist nicht zu tolerieren, wenn von dieser Grundhaltung abgewichen wird. Alle Mitarbeiter der DFS sind in diesem Sinne Safety Manager. Die Pflicht zur Einhaltung von Standards und Professionalität ist nicht delegierbar an das Safety Management oder die Revision. Wer diese Vorstellungen haben sollte, dem sei empfohlen, sich unter den gleichen Bedingungen in die Situation eines Flugzeugpassagiers zu versetzen, oder sich vorzustellen, auf dem OP-Tisch eines Krankenhauses zu liegen. ES passiert eben nicht, sondern wir gestalten ES. Wie befremdlich und unverständlich ist es, wenn Manager eines Unternehmens nach einem Desaster den Medien und der Öffentlichkeit gegenüber die Aussage treffen: „Das konnten wir uns nicht vorstellen. Wir konnten damit nicht rechnen.“ Diese Aussagen kennt man aus den obersten Etagen der kürzlich finanziell eingebrochenen Bankhäuser, von Managern aus der Kernenergiebranche nach kritischen Vorfällen und ähnlich auch von Air France nach dem Absturz eines Flugzeuges über dem Atlantik. Unternehmen, die SICHERHEIT als oberstes Ziel definieren - was bei allen High Reliability Organisations (HRO) der Fall ist -, müssen Risiken managen, um die Unternehmensziele Safety und Produktivität zu erreichen. Das Managen von Risiken ist dabei Tagesgeschäft, andauernd und fortlaufend, da die Risiken dynamisch und komplex sind. Das Managen von Risiken findet auf allen Unternehmensebenen statt: kurzfristig durch die Lotsen an Bord, mittel- und langfristig durch Führungskräfte auf den verschiedenen Managementebenen. Neben einem hohen Maß an Professionalität gehört dazu auch eine innovative Vorstellungskraft. Das stetige Abwägen zwischen den in Konflikt stehenden Zielen Effizienz und Sicher- heit ist proaktives Risk Management. Sich etwas nicht vorstellen zu können, ist in einer HRO Bad Management. Denn es geht nicht darum, alles zu wissen, sondern es geht darum, sich etwas vorstellen zu können. Leadership oder besser Safety Leadership braucht, um erfolgreich zu sein, Followership. Das Management einer HRO muss sich absolut auf die Professionalität seiner Mitarbeiter verlassen können. Zur Professionalität in einer HRO gehört auch der Umgang mit Langeweile, um nur ein Beispiel herauszugreifen: Phasen und Abschnitte in den Arbeitsabläufen, in denen wenig oder gar nichts passiert. Unprofessionelle verstehen solche Phasen als zusätzliche Pausen, Zeit zum Lesen oder gar, um sich vom Arbeitsplatz zu entfernen. Stellen Sie sich vor, der Anästhesist verlässt mal den OP, da es für ihn gerade nichts zu tun gibt und die OP sowieso noch länger dauert. Würden wir dies auch noch als „Professionalität“ bezeichnen? Es soll hier nicht in einer Moralpredigt enden, obwohl mir noch etliche unprofessionelle Beispiele aus der Praxis einfallen, sondern ein klarer Appell an alle ergehen: SAFETY ist nicht delegierbar. SAFETY geschieht durch das tägliche Tun in einem professionellen Verständnis aller Akteure des Unternehmens. Trotz aller Aufmerksamkeit und Professionalität können Fehler passieren. Wie wir damit umgehen und was wir daraus lernen, zeichnet auch professionelles Handeln aus. 5 Flugsicherheit Expect the unexpected von Fluglotse Pedro Contreras Blanco, erschienen in der EUROCONTROL-Publikation „Hindsight 11“ Madrid/Barajas, Juli 1974. Dieser Zwischenfall lehrte uns, aufmerksam zu bleiben und das Unerwartete zu erwarten! 6 Der Morgen dämmerte, es war kurz vor Sonnenaufgang und auf dem scheinbar schlafenden Flughafen gab es nicht die geringste Flugbewegung. Diverse Tankkraftwagen und Catering-Fahrzeuge begannen ihre Arbeit bei den Frühmaschinen. Über die Towerfrequenz von Barajas fand die erste Kommunikation zwischen dem diensthabenden Fluglotsen und dem russischen Navigator des Cubana-de-Aviacion-Fluges 652 statt, dessen Englisch durch einen starken Akzent geprägt war. Alles war normal, die IL62 war in Sicht und das Licht ihrer Scheinwerfer vermischte sich mit der aufkommenden Klarheit des neu anbrechenden Tages. Der Fluglotse erteilte dem Flugzeug die Landefreigabe und man konnte nun sehen, wie es über San Fernando flog. Plötzlich war die erschrockene Stimme des russischen Funknavigators zu hören: „Barajas Tower. We have an ass in sight, just on the runway centreline“ (Kontrollturm Barajas, wir sehen einen Esel direkt auf der Mittellinie der Start- und Landebahn). Der Fluglotse bekam Zweifel, da der englische Begriff „ass“ nicht nur „Esel“, sondern auch „Gesäß“ bedeutet, und bat natürlich um eine Bestätigung. „Ja, Sir, ja. Ein Tier, ein Pferd oder eine Kuh, in der Mitte der Start- und Landebahn 33“, antwortete der Russe. „Aha! Ein Esel!“, erwiderte der Fluglotse. Die CU652 erklärte daraufhin unvermittelt: „Wir brechen den Anflug ab und starten durch.“ Der Fluglotse übergab den Flug an die Anflugkontrolle zur Landung auf der Start- und Landebahn 01. Aus dem Fenster des Kontrollturms waren nun die Umrisse des Esels unmittelbar vor der Kreuzung von zwei Start- und Landebahnen zu erkennen Foto von Brunhilde Drespling sowie die Ankunft eines Fahrzeugs mit drei Einweisern, die versuchten, den Esel an der Leine, die um seinen Hals hing, fortzubewegen. Aber das Gemüt dieses Esels und die Sturheit, für die Esel bekannt sind, ließen ihre Versuche fehlschlagen, und es erwies sich als unmöglich, das Tier einzufangen. Mittlerweile bekamen sie Unterstützung von zwei landwirtschaftlichen Traktoren, die normalerweise zum Grasschneiden verwendet werden, und weiterem Personal. Schließlich schafften sie es, sich dem Esel zu nähern, das Leinenende am Traktor festzubinden und den Esel von der Startund Landebahn zu ziehen. Die CU652 landete ohne weiter Verzögerung auf der Start- und Landebahn 01, wohl immer noch mit dem Bild des streunenden Esels vor Augen. Das Schicksal des Tiers ist nicht bekannt, aber der Grund für sein Abenteuer war klar. Die Umzäunung des Flughafens, die sich freilich in einem etwas schlechten Zustand befand, machte es den Menschen aus den umliegenden Orten problemlos möglich, ihre Esel, Pferde, Ziegen etc. zum Grasen zu den Grünflächen zu führen. Alle Tiere waren natürlich mit einer Leine um den Hals angebunden, deren Ende an einem sicher in den Boden gerammten Eisenpfosten befestigt war. Das Flughafengelände bot auch angenehme Abwechslung, z. B. die Jagd auf die „Dauermieter“ des Flughafens wie Kaninchen und Hasen, deren Treiben auch für die Flughafenangestellten, Piloten und Passagiere ein interessantes Schauspiel war. Außer den Tieren kamen im Sommer auch Familien zum Picknick und junge Liebespaare. Alle genossen den Aufenthalt in dem umzäunten Gelände, in der grünen Umgebung im Schutz von kleinen Pinienbäumen. Es war einfach eine andere Welt! Wieder einmal wird deutlich, wie wichtig es ist, nicht immer vom „Normalen“ auszugehen - erwarten Sie das Unerwartete. Madrid/Barajas, July 1974. This incident taught us to remain attentive and expect the unexpected. to the approach frequency for what would now become an arrival on runway 01. It was dawn, close to sunrise, and at the apparently sleeping airport there was not even the slightest movement of air traffic. Various refuelling and catering trucks were beginning their work around aircraft with early departures. Out of the Tower window, the outline of the donkey could now be distinguished just before the intersection of two runways, as well as the arrival of a vehicle with three marshallers, who tried to move the donkey by means of the rope hanging from its neck. However, the spirit of this particular donkey, combined with the wellknown stubbornness of all donkeys, defeated their attempts, and the animal proved impossible to capture. They were now joined by two agricul-turaltype tractors, normally used for grass cutting, together with more personnel. They finally managed to get close, tie the rope back to the tractor, and drag the donkey clear of the runway. Over the Barajas tower radio-repeater frequency, came the first communication between the duty controller and, in strongly-accented English, the Russian navigator of Cubana de Aviacion flight 652. Everything was normal, the IL62 was in sight, and its lights mixed with the emerging clarity of the newly dawning day. The controller cleared the aircraft to land and it could now be seen flying over San Fernando. Suddenly, the startled voice of the Russian radio navigator was heard: “Barajas Tower. We have an ass in sight, just on the runway centreline”. The controller was now in doubt, since “ass” also means “buttocks” in English, and, of course, requested confirmation. “Yes, Sir, yes. One animal, one horse or cow, in the middle of runway 33,” replied the Russian. “Ahh! A donkey!” replied the controller. The CU652 without continuity announced: “We miss the approach and go around.” The controller transferred the flight The CU652 landed without further delay on RWY 01, perhaps still with the vision of the stray donkey in mind. As for the animal, its fate is unknown, but the reason for its adventure was clear. The airport perimeter fence, admittedly in somewhat poor condition, easily allowed local people to take their donkeys, horses, goats etc. down to graze in the green areas. All the animals were, of course, restrained by a rope tied around the neck with its other end attached to an iron stake driven securely into the ground. The airport „enclosure“ also provided for pleasant diversions, hunting the perennial airport tenants, such as rabbits and hares, whose activity also made an interesting spectacle for airport employees, pilots and passengers. Beside the wildlife, families also came in the summer to picnic and young lovers, too. Everyone enjoyed being inside the fence, in the green surroundings sheltered by small pine trees. It was another world! Once again, we see the importance of not assuming that all will be „normal“ ... expect the unexpected. By Pedro Contreras Blanco, Air traffic Controller, later Spanish AENA Safety Manager from 2000 to 2007. 7 Flugsicherheit Zeichnung von SFw J.P. Dierkes © Neckische Spielchen von Oberstabsfeldwebel d. R. Karl-Heinz Weiss, LwA FlSichhBw Am 27. Februar 1969 ereignete sich mit einem Flugzeug Nord 2501 D „Noratlas“ ein Zwischenfall, der von den Verursachern als Streich angesehen wurde. Er wurde dann aber wie ein Unfall untersucht und führte zeitweise zur „Stilllegung“ der Transporterflotte. Auch mit dem Ergebnis dürften die Verursacher nicht glücklich gewesen sein. 8 Eine Nord 2501 D „Noratlas“, auch „Nora“ genannt, war wegen Triebwerkproblemen (Aussetzer während des Fluges) in Lyon abgestellt worden. Mit einer weiteren Nora, die 3.300 kg Verpflegung von Neubiberg nach Decimomannu auf der italienischen Insel Sardinien bringen sollte, wurden die Abholbesatzung und drei Techniker am 26. Februar 1969 nach Lyon gebracht. Noch am selben Tag wurde die dort liegen gebliebene Nora durch Wechsel der Magnete repariert. Am Morgen des 27. Februar wurde ein Prüfflug von 50 Minuten Dauer durchgeführt, der ohne Beanstandungen verlief. Nach einem gemeinsam eingenommenen Mittagessen erfolgte um 14.45 Z der Start zum Rückflug nach Neubiberg. Der Start, Steigflug und der erste Teil des Reisefluges verliefen normal. Das Flugwetter nach Erreichen der Reiseflughöhe war VMC. Da es Probleme mit der Heizung gab, hielten sich die gesamte Besatzung und die drei Mechaniker im Cockpit auf. Etwa fünf Minuten nach dem Überflug des VOR TANGO zog das Flugzeug nach rechts oben weg und erreichte dabei eine Fluglage, die vom Kommandanten auf ca. 39° pitch und 30 bis 35° bank geschätzt wurde. Das Flugzeug war ca. eine Minute vor dieser Änderung kurzzeitig von Hand geflogen worden. Der Autopilot war allerdings wieder aufgeschaltet, als es ohne Einwirkung der Besatzung zur o. a. Änderung der Fluglage kam. Der Kommandant übernahm sofort die Steuerung des Flugzeuges. Das Flugzeug schüttelte sich. Beim Versuch, es wieder in Normallage zu brin- gen, stellte er nur geringe Steuerdrücke und eine träge Reaktion auf seine Steuerausschläge fest. Mithilfe der Höhenruder- sowie Seiten- und Querrudertrimmung gelang es schließlich, die Kontrolle wiederzuerlangen. Nach Einleiten eines Sinkfluges wurde eine Luftnotlage (Mayday) erklärt und der nächstgelegene geeignete Flugplatz angeflogen. Während des Sinkfluges und des Landeanfluges waren die Ruderdrücke und Ruderwirkungen weiterhin nicht normal. Sie waren weich wie kurz vor dem Erreichen eines überzogenen Flugzustandes. Die Landung erfolgte ohne Klappen um 16.07 Z auf dem Fliegerhorst Leipheim. Bis hierher war dieses Ereignis nur ein Zwischenfall und wäre auch als solcher entsprechend bearbeitet worden, wenn nicht der Inspizient für Flugsicherheit in der Bundeswehr (InspizFlusiBw, heute GenFlSichhBw) gewesen wäre. Nach Bekanntwerden des Zwischenfalles hatte dieser die Untersuchung dieses Ereignisses wie bei einem Unfall angeordnet. Weil die Ursache dieses Vorkommnisses zunächst völlig unerklärlich war und es möglicherweise einen Zusammenhang mit einem Unfall des Verbandes in Erding hätte geben können, erteilte der Kommandeur des Lufttransportkommandos ein Startverbot für alle Noratlas. Bei dem vorangegangenen Unfall war eine Nora nach dem Start in ein Bauerngehöft unweit des Platzes gestürzt. Dabei wurden zehn Menschen tödlich verletzt. Am 28. Februar 1969 wurde eine eingehende technische Untersuchung der gesamten Steuerungs-, Trimmund Flugregleranlage durchgeführt, dabei aber keine Mängel festgestellt. Wegen vereister Tragflächen konnte die Untersuchung im Bereich der Tragflächen erst am 4. und 5. März durchgeführt werden. Auch hier zeigten sich keine Mängel. Am 5. März 1969 wurde ein Werkstattflug durchgeführt, der ohne technische oder fliegerische Bean- standungen verlief. Der im Anschluss durchgeführte Überführungsflug von Leipheim nach Neubiberg verlief ebenfalls problemlos. Ein am 6. März durchgeführter Prüfflug für die Flugregleranlage (SEP 2Anlage) ergab keine Beanstandung. An diesem Flug nahm ein Team der Betreuungsfirma teil. Am 7. März wurde die gesamte Flugregleranlage durch das Team der Betreuungsfirma erneut durchgemessen und ein weiterer Prüfflug durchgeführt. Es ergaben sich wieder keine Beanstandungen. Mit einem anderen Flugzeug fand am 4. März ein Demonstrationsflug statt, bei dem die Maschine so gesteuert wurde, wie es der Kommandant geschildert hatte. Als Ergebnis wurde eine sinnwidrige Bedienung der Trimmung (Querruder links, Seitenruder rechts getrimmt) festgestellt, was je nach Ausschlag zu einer erheblichen Labilität des Flugzeuges führte. Am 12. März 1969 fand die Flugunfall-Verhandlung in Neubiberg statt. In deren Verlauf wurde der vom Flugsicherheitsoffizier des Geschwaders erstellte Vorbericht verlesen. Anschließend trugen der Fliegerarzt und der technische Offizier das Ergebnis ihrer Untersuchungen vor. Als nächstes wurden die drei Mechaniker und die Besatzung befragt. Bei der Befragung eines Mechanikers gab dieser zu Protokoll, dass der Kopilot in Höhe Stuttgart zur Toilette in die Heckschale der Maschine gegangen sei. Er will ein Grinsen im Gesicht des Bordmechanikers gesehen haben. Dann stellte er fest, dass der Kommandant das Flugzeug zu diesem Zeitpunkt von Hand steuerte. Es kam zu einer Flugbewegung, die ihn in die Knie zwang, sodass er sich festhalten musste. Anschließend flog die Maschine wieder ruhig. Er sah, wie der Kopilot zurückkam, im Laderaum unter der Tragfläche die Verkleidung öffnete und in die Steuerseile griff. Dabei schlingerte das Flugzeug. Während der Kopilot ins Cockpit zurückging, flog es anfangs ruhig weiter. Plötzlich sei die Maschine hoch und die rechte Tragfläche nach unten gegangen. Die mitfliegenden Mechaniker hätten dann Fallschirme anlegen und sich in den Laderaum begeben müssen. Der befragte Kopilot gab an, dass er zum Austreten in die Heckschale gegangen und zu diesem Zeitpunkt die Maschine kurz hoch und runter gegangen sei. Er sei danach noch im Laderaum hin und her gelaufen, um sich aufzulockern. Auf Nachfrage stritt er ab, die Verkleidung des Laderaumes geöffnet und an den Steuerseilen gezogen zu haben. Nach der Rückkehr ins Cockpit habe er dann auf Anfor- Foto von OSFw Karl Heinz Weiß 9 Flugsicherheit Foto von OSFw Karl Heinz Weiß derung des Kommandanten den Notruf Mayday, frozen stick abgesetzt. Während des Sinkfluges will er keine Anomalie festgestellt haben. Das Steuerhorn sei aber nach links geneigt gewesen. Er will aber nicht auf die Trimmung geachtet haben. Auch habe er ein gewisses Angstgefühl gehabt, da niemand wusste, was mit dem Flugzeug nicht in Ordnung war. In der Unterbrechung der Verhandlung führten der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses und der Flugsicherheitsoffizier einen Versuch durch. Sie versuchten an einer Noratlas am Boden stehend durch Zug an den Steuerseilen einen Einfluss auf die Ruder und Trimmung auszuüben und stellten dabei fest, dass durch Zug oder Druck an den Steuerseilen sowohl die Ruder als auch die Trimmung zu bewegen waren. Bei der Befragung gab der Kommandant an, dass er, als der Kopilot in der Heckschale war, die Flugregleranlage SEP 2 ausgeschaltet, kurz am Steuerhorn gedrückt und gezogen und anschließend die SEP 2-Anlage wieder aufgeschaltet habe. Nach ungefähr einer Minute sei die Maschine plötzlich ruckartig nach oben weggegangen. Er habe dann sofort zum 10 Steuerhorn gegriffen und gleichzeitig den Autopiloten ausgeschaltet. Er legte Wert auf die Feststellung, dass sich die Maschine schüttelte, solange sie die Nase oben hatte. Er habe auch trotz Seitenrudertrimmung so stark in das linke Seitenruder treten müssen, dass sein Bein noch nach der Landung gezittert habe. Das Flugzeug sei nicht mehr koordiniert geflogen. Er habe seinen Kopiloten nach dem Zwischenfall, als der wieder ins Cockpit kam, gefragt, ob er an den Seilen gezogen habe, was dieser verneinte. Er sei daher der Ansicht gewesen, dass es sich um einen mechanischen Fehler (z. B. Seilriss o. ä.) gehandelt habe. Ferner sagte er aus, dass bei ihm bei der Flugzeugführerschule (FFS) „S“ in Wunstorf schon einmal jemand an den Seilen gezogen habe. Dabei sei die SEP 2-Anlage herausgesprungen, aber die Maschine sei leicht zu fangen gewesen. Er sah keinen Zusammenhang mit diesem Zwischenfall. Auch sei er durch den Unfall in Erding nicht beeinflusst gewesen. Daraufhin wurden zur Klärung des Sachverhaltes einige Zeugen und Betroffene noch einmal gehört. Der Mechaniker bestätigte seine am Morgen gemachten Angaben und gab an, dass er dem mitfliegenden Prüfer von seiner Beobachtung berichtet habe, der habe dem aber anscheinend keine Bedeutung beigemessen, was dieser auch anschließend dem Untersuchungsausschuss bestätigte. Danach wurde der Kopilot mit den gewonnenen Erkenntnissen konfrontiert. Nun gab er zu, an den Steuerseilen gezogen zu haben. Welches Steuerseil er erwischt habe, konnte er aber nicht sagen. Nach seiner Aussage trat die Veränderung der Lage des Flugzeuges erst ein, als er die Verkleidung schon wieder geschlossen hatte. Auch er hatte an der FFS „S“ schon einmal gesehen, wie jemand an den Ruderseilen gezogen hat. In seiner Beratung kam der Untersuchungsausschuss zu folgender Ursachenfestlegung: Zu dem Zeitpunkt, als der Kopilot zum Austreten in die Heckschale des Flugzeuges ging, entkuppelte der Kommandant die SEP 2-Anlage und bewegte das Flugzeug zweimal durch Drücken und Ziehen leicht um die Querachse. Damit wollte er seinen Kopiloten in scherzhafter Absicht beim Toilettengang stören. Um sich zu revanchieren, öffnete der Kopilot auf dem Rückweg zum Cockpit die Deckenverkleidung und bewegte ein unter der Decke laufendes Steuer- oder Trimmseil. Über die Folgen war er sich nicht im Klaren. Er verstellte aber die Höhenrudertrimmklappe so stark, dass dabei die SEP 2-Anlage überdrückt und entkuppelt wurde. Unmittelbar danach ging das Flugzeug in einen zügigen Steigflug über und kurvte dabei nach rechts. Der Kommandant wurde durch die ungewöhnliche, plötzlich auftretende Änderung der Fluglage überrascht. Daraus erklärte sich die Verzögerung bei der Einleitung der Gegenmaßnahmen. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich das Flugzeug bereits einem überzogenen Flugzustand, der sich durch leichtes Schütteln ankündigte. Der Kommandant drückte das Steuerhorn nach vorn und versuchte durch vollen Ausschlag des Querruders nach links die Rechtsdrehung des Flugzeuges zu beenden. Dabei stellte er nur geringe Steuerdrücke und keine sofortige Reaktion auf seine Steuerausschläge fest. Er erkannte die Annäherung an den überzogenen Flugzustand nicht, sondern vermutete einen technischen Schaden an der Steueranlage. Das richtige Notverfahren wurde deshalb nicht angewandt. Er versuchte vielmehr, mit Hilfe der Trimmung das Flugzeug in einen normalen Flugzustand zu bringen. Nach Auffassung des Fliegerarztes hatte der Flugunfall am 12. Februar 1969 in Erding Einfluss auf die Fehleinschätzung des Kommandanten. Bei dem Versuch, das Flugzeug mit Hilfe der Trimmung unter Kontrolle zu bringen, wurde sinnwidrig getrimmt (cross trimming). Die durchgeführten Untersuchungen und die Beweisaufnahme des Ausschusses ergaben, dass die Querrudertrimmung nach links, die Seitenrudertrimmung nach rechts gestellt wurden. Daraus resultierten die Labilität und die schlechte Steuerbarkeit des Flugzeuges. Dieser Zustand wurde durch beide Flugzeugführer bis zur Notlandung in Leipheim nicht erkannt. Durch den Untersuchungsausschuss wurde vorgeschlagen, in das Programm der Kommandantenausbildung bei der FFS „S“ eine Demonstration des approach to stall aufzunehmen, um das Erkennen dieses Flugzustandes und die richtigen Gegenreaktionen zu schulen. Auch sollte bei dieser Ausbildung das Verhalten eines vertrimmten Flugzeuges demonstriert werden, weil eben diese Symptome nicht erkannt wurden und ein technisches Versagen vermutet wurde. Für die beiden Flugzeugführer hatten diese neckischen Spielchen noch ein ernstes Nachspiel. Sie hatten gegen die allgemeine Dienst- und Treuepflicht verstoßen, die sie zur Mithilfe bei der Aufklärung des Zwischenfalls verpflichtet. Durch ihre zunächst falschen Aussagen war dem Dienstherren ein immenser Schaden zugefügt worden. Es wurden folgende Maßnahmen getroffen: - Dem Kommandanten wurde die Personenbeförderungsberechtigug (PBB) und die Kommandatenberechtigung für drei Monate entzogen. Eine intensive Überwachung und Weiterbildung und ein erneuter Überprüfungsflug sollte nach drei Monaten darüber entscheiden, ob die PPB erneut erteilt werden könne. In dieser Zeit konnte er nur als 2. Luftfahrzeugführer eingesetzt werden. - Der Inspizient Flugsicherheit in der Bundeswehr forderte zudem eine Überprüfung der Schulung von Noratlas-Besatzungen. Lesson learned Derartige Spielchen zeugen von einer mangelnden Professionalität der Flugzeugführer. Wer seinen Spieltrieb ausleben möchte, sollte dies in der flugfreien Zeit, nicht aber bei der Flugvorbereitung und während des Fluges machen. In Zeiten des Crew Resource Managements sollte dies heute (hoffentlich) nicht mehr vorkommen. - Dem Kopiloten wurde für drei Monate der MFS I entzogen. Durch die zuständige Kommandobehörde wurde die Einleitung eines truppendienstlichen Verfahrens beantragt. Außerdem wurde ein Ausschuss einberufen, um zu prüfen, ob er angesichts festgestellter charakterlicher Mängel weiterhin als Flugzeugführer eingesetzt werden dürfe. Foto von OSFw Karl Heinz Weiß 11 Flugsicherheit Der Flugplatz auf der Autobahn http://de.wikipedia.org/wiki/Autobahnflugplatz von Oberstabsfeldwebel d. R. Karl Heinz Weiß, LwA FlSichhBw Bereits Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts erkannte man, dass es für den Verteidigungsfall notwendig ist, die Beweglichkeit und Sicherheit der fliegenden Verbände unter anderem durch die Inanspruchnahme geeigneter Straßenabschnitte für Start und Landungen von Flugzeugen zu erhöhen. 12 Dazu mussten bereits im Frieden die baulichen Maßnahmen an den in Frage kommenden Straßen durchgeführt werden sowie der Truppe die Möglichkeit geboten werden, diese Abschnitte zu nutzen. Da die Nutzung bereits für den Verkehr freigegebener Abschnitte einen zu großen Eingriff in den Verkehr bedeutet hätte, wurde die Erprobung vor der offiziellen Freigabe neuer Autobahnteilstücke durchgeführt. Der erste westdeutsche Notlandeplatz (NLP) auf einer Autobahn entstand 1961 auf der A5 in der Nähe von Lahr. Er war als Notlandeplatz (besser hätte die in der DDR gebräuchliche Bezeichnung Behelfs-Start- und Landebahn, BSLB, gepasst) für die in der Nähe gelegenen und von der französischen Luftwaffe genutzten Plätze Bremgarten und Friedrichshafen sowie den von der kanadischen Luftwaffe genutzten Flugplatz Lahr vorgesehen. 1963 erfolgte auf Anregung der USAF E die Einplanung von Notlandeplätzen im Bereich der in Planung befindlichen Autobahnen A6 und A81. Im März 1964 wurde vom BMVg – FüL III 8 unter Aktenzeichen 40-20-60 „Richtlinien für Infrastruktur-Forderungen zum Ausbau von Straßen als Notlandeplätze“ veröffentlicht. In diesen Richtlinien waren sowohl Forderungen, die bauliche Maßnahmen auslösen, als auch Hinweise auf notwendige Nebenanlagen und Einrichtungen, die baulich nicht vorbereitet werden mussten, da sie feldmäßig durch die Truppe erstellt oder mobil zugeordnet werden, zusammenge- http://de.wikipedia.org/wiki/Autobahnflugplatz fasst. Danach eigneten sich als NLPStraßen mit mehr als drei Fahrspuren, die möglichst in der Hauptwindrichtung verliefen, die auf einer größeren Länge nicht mehr als zwei Meter über oder unter dem Gelände lagen und die keine starke Seitenwindböigkeit aufwiesen. Außerdem sollte die vorgesehene Start- und Landebahn keine Längsneigung von mehr als 3 %, möglichst jedoch weniger als 2 % aufweisen, frei von Kreuzungen mit größeren Bachläufen, wichtigen Verkehrswegen und Hochspannungsleitungen sein. Außerdem sollten - in der Nähe zusätzliche Anlagen der Verkehrsführung, Versorgung und Wartung vorhanden sein, - Parkplätze bzw. Rastplätze im Bereich des NLP nach Möglichkeit an den Enden oder in unmittelbarer Nähe desselben liegen oder angelegt werden können, - Straßenmeistereien bzw. Rastsstätten und Tankstellen erreichbar sein und - sich zusätzlich Deckungen und Tarnungsmöglichkeiten (Mulden, Wälder) seitlich der Straße befinden. Es mussten auch die Auswirkungen auf den Verkehr bei einer Inanspruchnahme des Straßenabschnittes bedacht werden, die im Verteidigungsfall von großer Bedeutung sind. So waren mit der Planung dieser Abschnitte auch die Umfahrungen unter Einbeziehung vorhandener Straßen festzulegen. Die eigentliche Start- und Landebahn musste eine Gerade auf einer Länge von 1.500 m (seit 1973 2.500 m) und mindestens 30 m Breite aufweisen. Um einen größeren Schaden an Flugzeugen zu verhindern, die seitlich von der Bahn hätten abkommen können, musste der Schutzstreifen beiderseits der Längsachse 50 m betragen. Wie auch bei den Runways auf den normalen Flugplätzen mussten die NLP eine Überrollstrecke von 200 m haben, ebenso die entsprechende Hindernisfreiheit und den hindernisfreien Raum. Die Befestigung des Mittelstreifens sollte möglichst in der gleichen Bauweise wie die Fahrbahn ausgeführt sein. Die Leitplanke zwischen den Richtungsfahrbahnen sollte nicht verschraubt, sondern mit einer Schnellbefestigung versehen werden, die in kürzester Zeit hätte demontiert werden können. Die Pfostenlöcher sollten mit Verschlüssen abzudecken sein, die gegen Abheben durch Sogwirkung zu sichern sein sollten. Vorhandene oder geplante Rastplätze im Bereich der NLP sollten so ausgebaut werden, dass mindestens zwei Kampfflugzeuge abgestellt und gewartet werden können. Die Flugzeugabstellfläche sollte circa 1.200 qm groß und über 8,5 m breite Zufahrten zugänglich sein, die im Normalbetrieb durch Leitplanken gesperrt würden. Sollten die Rastplätze auch durch Transportflugzeuge benutzt werden, sind diese Flächen entsprechend zu dimensionieren. Mindestens einer der Park- und Rastplätze war mit fernmeldetechnischen Anschaltpunkten sowie allgemeinen Anschlüssen (Wasser und Strom) zu versehen. Ab 1966 wurde mit der Umsetzung dieser Richtlinie begonnen. Bis Ende 1968 entstanden gleich sieben solcher Plätze. Sechs davon auf der A1. Nach einer Streitkräfteplanung vom 1. September 1969 sollten sechzig NLP angelegt werden. Diese Zahl wurde dann später auf etwa dreißig reduziert. Zwischen 1972 und 1985 wurden sechzehn NLP gebaut, der letzte 1988. Bis zur Wende 1989 wurden nicht mehr alle geplanten dreißig NLP gebaut. Heute werden viele NLP im Rahmen von Erneuerungsmaßnahmen der Autobahnabschnitte zurückgebaut und sind kaum noch als solche zu erkennen. Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts bestand die flugsicherungstechnische Ausstattung lediglich aus einem mobilen Tower. Bei der letzten Autobahnübung im April 1984 auf der A29 bei Ahlhorn kam eine neue Ausstattung für NLP zur Anwendung, die u. a. eine Landebahnbefeuerung umfasste und Radar- und TACANAnflüge ermöglichte. Wie man aus der Auflistung (S. 14) sehen kann, waren und sind nur wenige Kampfflugzeugmuster für den Einsatz von Notlandeplätzen unter vertretbaren Rahmenbedingungen prädestiniert. Dazu zählen neben der Harrier und Jaguar aufseiten der Royal Air Force (RAF) die FIAT G.91 (Gina) und deren Nachfolger Alpha Jet auf der Seite der Luftwaffe. Diese Luftfahrzeuge wurden schon für den Einsatz von unvorbereiteten Plätzen entwickelt. So war für den operationellen Einsatz nur ein Minimum an Bodendienstgerät erforderlich. Mit der Einführung der F-16 und der PA 200 Tornado konnte die Palette in Frage kommender Luft13 Flugsicherheit Übersicht der Notlandeplätze NATO-Bezeichnung BAB Koordinaten Runway Adelsheim Highway Strip A81 492200N 092612E 05/23 2800 m Datum der Übung Ahlhorn Highway Strip A29 525524N 081012E 02/20 2400 m Alpen Highway Strip A57 525524N 081012E 12/30 3100 m Bad Neuenahr Highway Strip A61 503506N 070312E 12/30 1800 m August 1973 Bakum Highway Strip A1 524224N 081018E 18/36 1900 m Juni 1967 September 1978 April 1984 Böhringen Highway Strip A81 481454N 083848e 17/35 2800 m Bollingstedt Highway Strip A7 543736n 092642e 17/35 2100 m Brekendorf Highway Strip A7 542606n 093530e 16/34 2000 m Brenker Mark Highway Strip A44 Buldern Highway Strip A43 515230n 072006E 06/24 2700 m Greven Highway Strip A1 520342n 073724e 03/21 1800 m September 1968 Hohenheide Highway Strip A27 532100n 083536e 15/33 2900 m April 1984 Holdorf Highway Strip A1 523718n 080800e 03/21 2800 m Hövelhof Highway Strip A33 Kleinalmerspann Higway Strip A6 491030n 095900e 10/28 2900 m Ladbergen Highway Strip A1 521030n 074612e Lahr Highway Strip A5 Midlum Highway Strip (Neuenwalde) A27 Oberkammlach Highway Strip A96 Sittensen Highway Strip 1000 m Juli 1972 Luftfahrzeuge A Jet, PA 200, F-4F, F-104G*, F-15, F-16, A-10A, NF-5, Jaguar, Mirage III, C-130, C-160, Do-28, UH-1D, BO-105 G.91, Harrier, C-160 G.91, Noratlas, Do-27, P-149D C-130, C-160 G.91, C-160,H-34,UH-1D, Do-27 G.91, Noratlas, Do-27, P-149D, Hubschrauber G.91, Jaguar September 1985 Harrier 05/23 1900 m September 1968 G.91, Noratlas, Do-27, P-149D und Hubschrauber 482236n 074848e 05/23 1600 m Juli 1961 534118n 083936e 18/36 2200 m Februar 1982 A1 531848n 093400e 06/24 1600 m Sprendlingen Highway Strip A61 495212n 075742e 15/33 1900 m Wildeshausen Highway Strip A1 525706n 083230e 07/25 1800 m Juni 1966 G.91 (50 Landungen) A Jet, A-10A, C-130, F-4*, F-104G*, Harrier, G.91 (insgesamt 230 Flugbewegungen) F-86, F-104G*, G.91, Noratlas, Do-27 *nur Touch and Go’s fahrzeugmuster erweitert werden. Leider zu spät. Die FIAT G.91 war der Gewinner eines Wettbewerbs für ein Leight Weight Strike Aircraft LWSF (leichtes Kampfflugzeug), das für die Ausrüstung aller NATO-Luftwaffen vorge14 sehen sein sollte. Es sollte in der Lage sein, mit minimaler Bodenorganisation von unvorbereiteten Plätzen aus zu operieren. Neben dem Entwicklungsland Italien hielt sich nur Deutschland an die Empfehlung der NATO und kaufte die FIAT G.91 in der Version als Kampfflugzeug und Aufklärer (Light Weight Strike Reconnaissaance LWSR). Am 11. März 1959 wurden zwischen der Bundesrepublik Deutschland und FIAT der Ankauf von 50 G.91 der Version R/3 und 44 G.91 T/3 (Trainerversion der R/3) und ein Vertrag über den http://de.wikipedia.org/wiki/Autobahnflugplatz Lizenzbau von 294 Einsitzern bei der Arbeitsgemeinschaft Süd (bestehend aus den Firmen Dornier, Heinkel und Messerschmitt) besiegelt. Das Einsatzspektrum der mit der G.91 ausgerüsteten Leichten Kampfgeschwader (LeKG) (ab Mitte 1970 Jagdbombergeschwader/JaboG) sah den offensiven und defensiven Kampf gegen feindliche Luftstreitkräfte sowie die offensive Luftnahunterstützung des Heeres vor: Battle Field Air Interdiction: Unterbinden oder Stören der Zuführung des personellen und materiellen Nachschubs auf dem Gefechtsfeld und Lahmlegung des Verkehrs durch Abriegelung des Gefechtsfeldes. Close Air Support: Unmittelbare Waffenunterstützung für die Landstreitkräfte mit Hilfe eines Forward Air Controllers auf dem Gefechtsfeld. Tactical Air Reconnaissance: Beschaffen von Informationen zur Erarbeitung eines genauen Feindbildes durch Augen- und Luftbildaufklärung. Bedingt durch die geringe Reichweite der Gina und der engen Zusammenarbeit mit dem Heer war schon zu Be- ginn der Nutzung ihr Einsatz von NLP aus geplant. Schon beim Truppenversuch der Gina wurde sie auf einem Autobahn-Notlandeplatz eingesetzt. Mit diesem Truppenversuch war der Lehrund Versuchsschwarm G.91 beauftragt worden. Dieser Schwarm unterstand fachlich der Gruppe ATV (Ausbildung, Taktik und Verfahren) der Waffenschule 50 und bestand aus fünf Luftfahrzeugführern, 20 Technikern, zwölf FIAT G.91R/3 und einer Do 27. Die Aufgabe des Schwarms bestand in der Durchführung von Truppenversuchen und in der Erarbeitung von Verfahren und Vorschriften zur Nutzung der Gina in der Luftwaffe. So wurden bei der Autobahnübung 1961 auf dem Autobahnabschnitt bei Lahr 50 Starts und Landungen nur von diesem Schwarm durchgeführt. Die NLP wurden auf Tauglichkeit zur Aufnahme mehrerer Luftfahrzeuge und deren Versorgbarkeit sowie auf Flugbetriebsmöglichkeiten bei Tag und Nacht untersucht. Diese Aktivitäten stellten die Grundlage für das NLP-Nutzungskonzept der Luftwaffe dar. Der NLP bei Wildeshausen wurde 1966 von Luftfahrzeugen des Lehr- und Versuchs- schwarms eingeweiht. Anschließend nahmen Luftfahrzeuge der Leichten Kampfgeschwader an diesen Truppenversuchen teil. Weitere Flugzeuge der bundesdeutschen Luftwaffe und der Luftwaffen vieler NATO-Partner führten auf diesen Landestreifen Touch-and-Go-Anflüge durch. Bei dieser Übung wurde auch ein Triebwerk einer FIAT G.91 gewechselt, das mit einer Noratlas des LTG 61 angeliefert wurde. An neun der zwölf durchgeführten Autobahnübungen nahmen Luftfahrzeuge FIAT G.91 teil, wobei auch ihre Geschwader als Betreiber der Highway Airfields auftraten. Nach Ausmusterung der Gina wurde sie durch den Alpha Jet bei diesen Übungen abgelöst, der bei zwei Übungen eingesetzt wurde. Auch hierbei zeigte sich, dass dieses Luftfahrzeugmuster für diesen Einsatz hervorragend geeignet war. Die Erprobung der Autobahnabschnitte zog sich in den meisten Fällen über einen Zeitraum von drei Wochen hin. In dieser Zeit machte man sich mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut und untersuchte die Fernmeldeanschlüsse und infrastrukturellen Gegebenheiten, wie die Nutzbarkeit der Parkplätze als Wendeplatten und Liegeplätze für Luftfahrzeuge, Bereitschaftsplätze für die Pistenbereitschaft der Feuerwehr und der Zufahrt der Feldtankwagen. Ein wichtiger Punkt war auch der Standplatz des MobilTower, von dem aus der gesamte Bereich des NLP einzusehen sein musste, ohne dass der Tower ein Hindernis darstellte. Ein weiterer wichtiger Überprüfungspunkt war die Anlieferung der Munition gemäß des Transportund Beladekonzeptes. Die Erprobung des NLP schloss in der Regel mit einer meist mehrtägigen Übung ab, bei der versucht wurde, den Platz unter einigermaßen realistischen Bedingungen zu betreiben. Es wurde dabei auch die alarmmäßige Abfertigung von mehreren Luftfahrzeugen in Rotten- und Schwarmstärke geübt. 15 Flugsicherheit Die Übung HIGHWAY 84 auf den Ahlhorn Highway Strip der A29 im April 1984 wurde unter Führung des JaboG 43 geleitet und begann im Anschluss an die taktische Überprüfung des Geschwaders. Bereits am zweiten Tag waren die flugsicherungstechnischen Voraussetzungen geschaffen. Dazu gehörte Aufbau und Inbetriebnahme des Mobil-Towers, des mobilen UHF-Peilers, des mobilen PAR-Anflugradars, der mobilen Befeuerungsanlage TACAN, einer Markierungsfeuerausstattung und der entsprechenden Stromversorgung. Am Montag der darauf folgenden Woche konnte dann der Flugbetrieb aufgenommen werden. Es begann mit Touch and GoAnflügen Oldenburger Alpha Jets und einer Transall C-160, die für die Zeit der Übung in Oldenburg stationiert war und von dort für die Versorgung des NLP eingesetzt wurde. Diesen Touch and Go-Anflügen folgten FullStop‑Landungen. Hierbei wurde die Beschaffenheit der Wendeplatte – ein Parkplatz am nördlichen Ende des NLP – untersucht. Auf dieser Platte mussten die bereits gelandeten Luftfahrzeuge eines Schwarms warten, bis die letzte Maschine gelandet war und die Piste frei gemacht hatte, um dann nach Freigabe durch den Tower zum südlichen Parkplatz – jetzt Liegeplatz der Luftfahrzeuge – zu rollen. Im Falle der Transall war es wichtig, den 8,5 m breiten Zugang zur Wendeplatte und die Hindernisfreiheit festzustellen. Das alles durfte nur mit Hilfe von Einweisern (Marshaller) erfolgen. Im Lauf dieser Übung steigerten sich die Aktivitäten. So wurde dann die Versorgbarkeit mehrerer Luftfahrzeuge innerhalb einer bestimmten Zeit erprobt, wobei nicht nur die Versorgung mit Treibstoff, sondern auch mit Munition getestet wurde. Die Aktivitäten auf dem NLP wurden noch durch Luftfahrzeuge erhöht, deren Luftfahrzeugführer es sich nicht nehmen lassen wollten, auf diesem exotischen Airfield vorbeizuschauen und einen Touch and 16 Go-Anflug zu machen. Erstmalig war bei dieser Übung vorgesehen, den Platz mit der F-4F Phantom zu befliegen. Dazu war der Highway Strip ein Tag für das Jagdgeschwader 71 „Richthofen“ reserviert. Dabei konnte der Teilnehmer feststellen, dass dieses Muster nicht für ein derartiges Szenario geeignet war. Im Laufe der Übung wurde der Platz auch von mehreren Gastflugzeugen angeflogen. Zeitweise hatte man den Eindruck, die gesamte Baseflight/Cross Servicing des JaboG 43 würde auf der Autobahn abgewickelt. Als Gastflugzeuge konnten PA 200, NF-5, A-10, F-15, F-16, Jaguar, Mirage III, C-130 begrüßt werden. Im Rahmen dieser Übung wurden über 2.400 Flugbewegungen und Hunderte von Besuchern gezählt, u. a. auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Höhepunkt dieser Übung war eine Vorführung vor einer großen Anzahl hochrangiger Militärs der NATO, denen die Nutzungsmöglichkeiten von NLP demonstriert wurden. Neben den Touch and Go-Anflügen und anschließenden Full-Stop-Landungen von Alpha Jet, Jaguar, F-15, F-16, A-10 wurde auch ein Quick Turn Around eines Schwarmes Alpha Jet gezeigt. Dazu wurde die Wartungscrew mit dem notwendigen Bodendienstgerät und der vorgesehen Beladung (150 Schuss 27 mm Munition im Wechselbehälter, je vier Bomben MK 82 an zwei Doppellastträgern auf dem Bombenhebewagen BoWag) mit dem Transportflugzeug C-160 Transall angelandet. Kaum dass die Transall nach einer Kurzlandung auf dem Liegeplatz ihre Triebwerke abgestellt hatte, bereiteten einige der Wartungsmechaniker die Aufnahme der im Landeanflug befindlichen Alpha Jets vor, während der Rest der Mannschaft die Beladung aus dem Laderaum der C-160 schoben. Nachdem die Alpha Jets neben der Transall abgestellt wurden, begannen die Wartungscrews mit dem QuickTurn-Around (QTA) der Luftfahrzeuge, wozu die Betankung und Beladung der Luftfahrzeuge gehörte. Direkt nach Beendigung des QTA wurde das Bodendienstgerät in der Transall verstaut, die Wartungscrews gaben Starthilfe beim Anlassen der Alpha Jet und, nachdem diese auf der Startbahn waren, wurde die Transportmaschine bestiegen, um nach den Jets den Schauplatz Richtung Oldenburg zu verlassen. Zwischen der Landung der Transall bis zu ihrem Abflug waren weniger als 30 Minuten verstrichen. Bei allen Autobahnübungen kam es Gott sei Dank nur zu einem einzigen Vorkommnis. Ausgerechnet bei der letzten Übung kam es am frühen http://de.wikipedia.org/wiki/Autobahnflugplatz Nachmittag des 26. März 1984 zu einem Vorkommnis, als ein F-104G Starfighter beim Touch and Go Probleme mit der Bugradsteuerung und der Anti-Skid-Anlage hatte und seitlich von der Bahn abkam, wobei das Bugfahrwerk abbrach. Hier zeigte sich, wie wichtig die Richtlinien gemäße Hindernisfreiheit war. Dass es sich bei dem Flugzeugführer um den Kommodore eines süddeutschen Geschwaders auf seinem letzten Flug, ein Langstrecken-Navigationsflug, in dieser Funktion und späteren General Flugsicherheit handelte, sei nur am Rande erwähnt. Der Starfighter verließ den Highway Strip auf einem Lastkraftwagen als erster Transport auf der neuen Autobahn A29 zum Fliegerhorst Oldenburg. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass nicht nur die bundesdeutsche Luftwaffe Notlandeplätze benutzte. So besaßen einige der Fliegerhorste der Nationalen Volksarmee (NVA) und der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD), wie z. B. Laage und Preschen, einen direkten Taxiway-Anschluss an eine Autobahn. Bei der NVA wurde das Starten und Landen auf schmalen Bahnen im Rahmen einer sogenannten gefechtsnahen Ausbildung als erstes auf der halben Runway („Landung linke Seite“) des Heimatflugplatzes geübt. Anschließend ging es dort auf eine Hilfsstartbahn oder auf einen Autobahnabschnitt (ABA). In den meisten Fällen waren die Hilfsstartbahnen schmaler als ein ABA. Deshalb wurde auch in regelmäßigen Abständen von diesen Hilfsstartbahnen geflogen. Die Durchführung des Flugbetriebes von Notlandeplätzen/BehelfsStart- und Landebahnen erfolgte nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg. So ist die Nutzung von acht Autobahnteilstücken sowie der Baubeginn von zwei weiteren Abschnitten ab 1944 bestätigt. Alle Teilstücke lagen in dem Bereich von Flugzeugwerken und wurden hauptsächlich für die Me-262 genutzt. Um diese Teilstücke nutzen zu können, wurden sogar Brücken entfernt. So glich die heutige A8 zwischen Leipheim und Augsburg einem riesigen Flugplatz, bei dem die Flugzeuge neben der Autobahn im Gebüsch abgestellt waren. Auch in anderen Ländern wie den Niederlanden, Italien, Finnland, Schweden, Schweiz und Österreich war die Nutzung von Ausweich-Flugplätzen auf Autobahnen vorgesehen. Die letzte Übung der schweizerischen Luftwaffe auf einem Autobahnteilstück fand 1991 im Tessin statt. Mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes sind diese Relikte des kalten Krieges überflüssig geworden und werden in wenigen Jahren verschwunden sein. Im Zuge von Bauarbeiten zur Erneuerungen von Fahrbahnen und Verbreiterungen werden die Mittelstreifen umgebaut und die Parkplätze beseitigt oder umgestaltet. Zum Thema Notlandeplätze, Autobahnübungen und Highway Airfields finden sie weitere Informationen, Fotos und Videos unter: - www.lostplaces.de/autobahn-notlandeplaetze-nlp.html - de.wikipedia.org/wiki/AutobahnBehelfsflugplatz - www.tradgemjabog41.de - www.natoflugplatz-pferdsfeld.de - www.fliegerhorst-oldenburg.de - www.fursty.org - www.jabog49.de de.wikipedia.org/wiki/Autobahnflugplatz 17 Flugsicherheit Die Geschichte von Killi und Kiiski Ein Truppenversuch zur Vogelvergrämung anno 1968 von Dr. Heinrich Weitz, OTL, Amt für Geoinformationswesen der Bundeswehr, Dezernat Biologie Mit der Einführung schneller, strahlgetriebener „Düsenjäger“ Ende der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts rückte auch verstärkt der Vogelschlag als ein Flugsicherheitsrisiko in den Vordergrund. Aufgrund der Schnelligkeit der Luftfahrzeuge verblieb den auf Kollisionskurs mit ihnen im Luftraum befindlichen Vögeln keine Zeit zum Ausweichen und mehrere Verluste von F 104 Starfighter sind nachweislich auf Vogelschlag zurückzuführen. Es wundert daher nicht, dass damals weltweit Überlegungen und Versuche angestellt wurden, dem Vogelschlagproblem zu begegnen. Dies gilt auch für die Bundeswehr, und der noch heute im Dezernat Biologie des Amtes für Geoinformationswesen der Bundeswehr befindliche, teilweise recht umfangreiche Schriftverkehr gibt ein beredtes, auch historisch interessantes Zeugnis von den damaligen, vielfältigen Aktivitäten zu Maßnahmen der Vogelschlagverhütung ab. 18 Köstlich zu lesen ist die Geschichte der beiden Hunde Killi und Kiiski, die am 29. August 1967 mit einem Schreiben des damaligen Direktors des Instituts für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ an den damaligen Biologen in der Inspektion Geophysikalischer Beratungsdienst der Bundeswehr im Luftwaffenamt ihren Anfang nahm. In diesem Schreiben schlägt der Direktor der Vogelwarte vor, zur Vergrämung von Möwen auf Flugplätzen versuchsweise einmal Fuchsvogelhunde aus Finnland einzusetzen. Als Einsatzort wird der Flugplatz Wittmund vorgeschlagen. Dieser ist nur unweit von Wilhelmshaven, dem Sitz der Vogelwarte, gelegen und somit sei eine wissenschaftliche Betreuung des Versuches durch Mitarbeiter der Vogelwarte sichergestellt. Nur wenige Tage später zeigt sich der Biologe der Bundeswehr in seinem Antwortschreiben dieser Idee gegenüber sehr aufgeschlossen, informiert die Vogelwarte aber zusätzlich: „Mit den Möwen werden wir jetzt einmal die Schrotbehandlung beginnen.“ Der Leiter der Vogelwarte – ein ausgewiesener Möwenspezialist – wiederum berichtet, dass der Bodenfeind Fuchs als Vertreibe-Feind von am Boden sitzenden Möwenschwärmen am meisten Wirkung haben dürfte: „Da Füchse schlecht zu zähmen und zu halten sind, bietet sich der aus jagdlichen Gründen auf Fuchs gezüchtete finnische Vogelhund an.“ Foto: fixed-in-pics Die Idee eines Einsatzes von Fuchshunden nimmt weiter Gestalt an und am 23. Juli 1968 informiert die Vogelwarte die Bundeswehr: „Mit meinen Bemühungen um zwei auf Fuchs gezüchtete finnische Vogelhunde bin ich jetzt so weit gediehen, dass wir sie nur abzurufen brauchen und etwas Geld haben müssen. Das letztere habe ich nicht. Die Junghunde stehen bei einem finnischen Züchter für uns auf Abruf. Sie kosten zusammen 520,- DM. Der Transport kostet laut Auskunft der Lufthansa von Helsinki nach Bremen 150,- DM.“ Nach einem weiteren, umfänglichen Schriftverkehr wird schließlich seitens des Verteidigungsministeriums einem Ankauf der Hunde zugestimmt mit der Maßgabe, dass das Wehrbereichskommando II die Bezahlung der Tiere veranlasst. Diese treffen dann am 19. September 1968 auf dem Flugplatz Wittmund ein und werden dem Wachleiter der Sicherungsstaffel des Jagdgeschwaders 71 „R“ zur Ausbildung „unterstellt“, der dazu ausführt: „Die Finnenhunde sind im Versuch zur Vertreibung von Möwenschwärmen auf dem Flugplatz Wittmundhafen stationiert.“ Erstaunlich ist, dass erst jetzt nach erfolgter „Stationierung“ der Hunde die Frage aufkam, wo Fuchs-Vogelhunde eigentlich herkommen, wie sie aussehen und was sie können. Hier die daraufhin vom Leiter der Vogelwarte vorgelegte Beschreibung: „Die Tiere kommen aus Finnland und heißen Finnische Vogelhunde. Es handelt sich um eine wohl ziemlich alte Spezialzüchtung der nordischen Spitze auf Kurzläufigkeit, fuchsrote Färbung und fuchsähnlichen Kopfschnitt, möglichst auch auf fuchsartig hängende Rute. Die Fuchshunde sollen weiter nichts, als darauf abgerichtet werden, auf den Rasenflächen neben den Startpisten unregelmäßig zu stöbern.“ Am 16. Februar 1970 gibt der Wachleiter Sicherungsstaffel des Jagdgeschwaders 71 „R“ einen ersten, umfassenden Erfahrungsbericht zum Einsatz der beiden Fuchshunde auf dem Flugplatz Wittmund ab. Darin heißt es unter anderem: „Am 22. November 1969 wurde der Finnenhund Killi auf dem Flugplatz Wittmundhafen zur Möwenvertreibung eingesetzt. Killi wurde von der Leine losgelassen und durch Aufmunterungsrufe zu dem Möwenschwarm herangeführt. Der Finnenhund Killi entfernte sich nur circa 40 – 50 m vom Führer und kam dann wieder zurückgelaufen, ohne die Möwen, die circa 300 bis 350 m entfernt neben der Startbahn waren, zu vertreiben. Wir näherten uns dann den Möwen bis auf etwa 100, dann schickte ich den Finnenhund Killi erneut los, er näherte sich den Möwen wieder auf circa 50 m und dieses Mal flogen die Möwen auf und entfernten sich, wobei Killi sich heftig erschrak und rasch zurückgelaufen kam. Als Erfolg kann dieser Einsatz nicht gewertet werden, da das selbstständige Möwenvertreiben bei dem Finnenhund nicht zum Durchbruch kam.“ Die Artbeschreibung der finnischen Vogelhunde wird ergänzt durch die Ausführungen des Wachleiters in diesem seinen ersten Erfahrungsbericht. „Beide Finnenhunde haben eine starke Ringelrute, sie ist so stark geringelt, dass beim ständigen Wedeln die Deckhaare über der Kruppe abgescheuert werden und dadurch eine kahle Stelle entsteht, die nur spärlich von der Unterwolle abgedeckt bleibt. Ob durch einen operativen Eingriff die gewünschte Rutenhaltung erzielt wird, steht offen.“ Ein Jahr später, am 21. Mai 1971 kommt der Wachleiter in seinem zweiten Bericht erneut zu Wort: „Auch neigen sie während des Einsatzes zur Möwenvertreibung zu eigenwilligen Ausschweifungen, wie in Maulwurfshaufen wühlen und dgl. Ein Anleinen der Finnenhunde, an der Laufleine neben der Startbahn verspricht keinen Erfolg, da die Tiere durch die Behin- derung der Laufleine nur richtungsweisend voranstreben und die Möwen es bald wissen, dass die Finnenhunde ihnen nicht gefährlich werden können. Auch würden die Finnenhunde bald das Interesse an den nicht erreichbaren Möwen verlieren. Später würden sie durch den ständigen Flugbetrieb Gehörschäden erleiden.“ Bereits kurz zuvor war in der Flugunfallverhütungssitzung des JG 71 „R“ am 7. April 1971 festgestellt worden: „Der Einsatz der Fuchshunde habe nicht den gewünschten Erfolg gezeigt, vielmehr ist die Vergrämung durch den täglich eingesetzten Jäger vom Dienst wirkungsvoller; dieser schießt mit Knall- oder Pfeifmunition, ggf. scharf wenn Gefahr droht.“ Damit war der das Ende des Truppenversuches eingeleitet und somit auch das Ende der Stationierung von Killi und Kiiski auf dem Flugplatz Wittmund absehbar. Im abschließenden Bericht des Amtes für Wehrgeophysik an das Verteidigungsministerium heißt es u. a.: „Als Gründe für das Versagen der Vogelhunde werden angegeben: mangelnde Laufeigenschaften, Neigung zu eigenwilligem Verhalten, fehlende Abrichtungsmöglichkeiten infolge geringen Möwenaufkommens während der Sommermonate, stark ausgeprägter natürlicher Freiheitsdrang, Ungehorsam sowie mögliche Gehörschäden durch Fluglärm.“ Die Hunde wurden für jeweils 50,- DM an zwei private Bieter verkauft und im Zusammenhang damit wies die Wehrbereichsverwaltung II an: „Die Standortverwaltung Wittmund stellt Annahmeanordnungen aus und verbucht bei Kap. 1402, Tit. 119 99 Vermischte Verwaltungseinnahmen. Die Geschichte des Truppenversuches mit Killi und Kiiski endet endgültig am 15. März 1972. Mit diesem Datum teilt das Amt für Wehrgeophysik dem BMVg Fü L IV 2 über Fü L III 7 mit, dass die beiden Hunde verkauft seien. 19 Flugsicherheit LaserstrahlAttacken auf Flugzeuge Aktuelle Anlässe erfordern eine Antwort von Dr. Hans Brandl, Augenarzt/Flugmedizin, 82256 Fürstenfeldbruck, und Jürgen Palkoska, Dipl.-Ing. (FH),Laserschutzbeauftragter, 90766 Fürth Die Blendung durch Laserstrahlen als Beeinträchtigung des Sehsinns bedeutet aufgrund des Verlustes von Informationsaufnahme (Blick nach außen, Blick auf Instrumente, Bedienen von Instrumenten etc.) Handlungsunfähigkeit mit all den möglichen Folgen. Der Übergang von „Nur“Blendung zu pathologischen Auswirkungen ist fließend und bei derartigen Attacken nie sicher abzuschätzen. Der Funktionsverlust des Sehsinns – ob temporär oder permanent – ist mit der Flugsicherheit nicht vereinbar. Wie es zu jedem Schloss einen passenden Dietrich gibt, so gibt es auch einen sicheren Blendschutz für fliegendes Personal. Hintergrundwissen hinsichtlich physikalischer Größen und um Schädigungs-Schwellenwerte bei unterschiedlichen Wellenlängen von Lasern ist bei der Auswahl der richtigen Schutzmaßnahme hilfreich. Was macht einen Laser im Vergleich zu gewöhnlichen Lichtquellen so gefährlich? Die einzelnen Wellenzüge eines Laserstrahls stehen zueinander in einer festen Orts- und Zeitbeziehung, d. h. sie sind räumlich kohärent und besitzen nahezu die gleiche Wellenlänge (monochromatisch). Das Laserlicht ist sowohl von der Richtung, in die es sich ausbreitet, als auch von der Wellenlänge sehr geordnet und regelmä- 20 ßig. Daher kann sich Laserlicht über sehr weite Strecken annähernd parallel ausbreiten (kollimierter Strahl) und die Leistung, die auf eine Fläche, z. B. das Auge trifft, ist nahezu unabhängig vom Abstand zur Strahlquelle selbst. So ist der Lichtfleck eines Laserpointers stets etwa gleich groß, unabhängig vom Abstand zur Wand (äußerst geringe Divergenz). Eine weitere Gefahr ist die sehr gute Fokussierbarkeit des kohärenten Laserlichts. Während die Glühlampe auf der Netzhaut des Auges ein etwa 100 µm großes Bild erzeugt, wird das Laserlicht auf einem Brennfleck von nur wenigen Mikrometern (~10 µm) konzentriert. Physikalisch ausgedrückt emittiert eine Glühbirne inkohärentes Licht. Die Lichtleistung des Lasers, die ins Auge trifft, wird somit auf eine wesentlich kleinere Fläche konzentriert. Die dadurch entstehende Leistungsdichte (Leistung pro Fläche) ist so hoch, dass Gewebe, welches sich in diesem Brennpunkt befindet, sehr schnell aufgeheizt und zerstört werden kann. Die Stelle des schärfsten Sehens des Auges auf der Netzhaut – der gelbe Fleck (Fovea) – ist allerdings ebenfalls nur wenige Mikrometer groß, so dass man bereits durch einen einzigen Laserimpuls seine Sehschärfe für immer einbüßen kann. Eine Zerstörung der Sehzellen in der Fovea bewirkt eine Minderung der Sehschärfe auf ca. 10-15 % (!). Auge ist empfindlich gegenüber der Strahlung und der Mensch hat einen natürlichen Schutzmechanismus entwickelt. Wenn das Licht zu grell erscheint, die Leistungsdichte folglich für das Auge eine Gefahrenschwelle übersteigt, dann wendet man sich automatisch ab und schließt die Augen (Lidschlussreflex). Dieser Schutzmechanismus ist allerdings nur bis zu einer Laser-Strahlungsleistung von circa 1 mW wirksam. Bei höheren Leistungen kann bereits zuviel Energie im Auge deponiert worden sein bis der Lidschlussreflex einsetzt und irreparable Schäden wären die Folge. Die vergleichsweise langsame Pupillenreaktion bietet überhaupt keinen verlässlichen Schutz. Für den nahen infraroten und infraroten Wellenlängenbereich (780 nm–1400 nm), ebenfalls ein sehr gefährlicher Lichtbereich, hat das menschliche Auge keine natürliche Schutzfunktion entwickelt. Die Strahlung dringt bis auf die Netzhaut, allerdings wird die Strahlungsexposition erst bemerkt, wenn das Licht bereits Schaden verursacht hat. Schutz vor Laserstrahlen Von einer Schutzvorrichtung muss erwartet werden, dass diese den Laserstrahl so abschwächt, dass keine schädigenden Auswirkungen auf das Auge zu erwarten sind. Sich gleichermaßen gegen alle möglichen Laserstrahlen im sichtbaren Bereich schützen zu wollen, ist zurzeit für das Cockpit noch nicht realisierbar. Eher sollen wir uns an den derzeit eingesetzten Blend-Laser-Wellenlängen im Grünbereich orientieren. Hier wäre nun der frequenzverdoppelte Nd:YAG-Laser zu nennen. Dieser emittiert grünes Laserlicht von 532 nm Wellenlänge. Gerade für diese Wellenlänge ist unser Auge besonders empfindlich (Augenempfindlichkeitskurve, Abb. 1). Nicht auszuschließen, aber wohl kaum zu erwarten, sind Blendlaser im Rotbereich (circa 630 nm). Dieser „Rotblitz“ sei der Polizei für Raser vorbehalten, und wer je „geblitzt“ worden ist, weiß, dass diese „Rotblendung“ nur von sehr kurzer Dauer ist. In diesem Rotbereich sind unsere Netzhaut-Lichtsensoren (Stäbchen) kaum ansprechbar. Abb 1 Welchen Einfluss hat die Laserwellenlänge auf das Auge? Unser Auge hat ein „offenes“ Fenster für den Wellenlängenbereich zwischen 370 nm und 1400 nm. Bis circa 380 nm schützt das Cockpit-Glas, d. h. kürzer welliges Licht (UV-Bereich) wird bereits von der Cockpitverglasung absorbiert. Dieser Wellenlängenbereich stellt also keine unmittelbare Gefahr für unser Auge dar. Im sichtbaren Wellenlängenbereich (380 nm–780 nm) kann allerdings das Licht bis zur Netzhaut vordringen. Das 21 Flugsicherheit Laserschutznormen Laserschutz nach amerikanischem Standard (ANSI) Die amerikanische Norm ANSI Z 136 verlangt die Spezifikation einer Laserschutzbrille ausschließlich nach OD (Optische Dichte). Als Optische Dichte (OD oder D(λ)) bezeichnet man die Abschwächung von Licht, welches durch einen optischen Filter tritt. Je höher der Wert, desto größer ist die Abschwächung. Für die Berechnung der OD ist der dekadische Logarithmus vom Verhältnis der transmittierten Leistung zur eingestrahlten Leistung zu bilden (Abb. 2). Laserschutz nach europäischem Standard (EN 207/208/60825) In Europa muss bei der Auswahl von Laserschutzbrillen eine zweite Komponente berücksichtigt werden: Die Schadensschwelle. Diese wird festgestellt durch die Energie bzw. Leistungsdichte = Energie bzw. Leistung pro Fläche, d. h. Strahlfläche. Schutz ausschließlich gegen Streulicht ist nicht gestattet, nur der Schutz gegen einen direkten Treffer. Ein Schutz nur mit Optischer Dichte wird als nicht ausreichend betrachtet, wenn das Material des Laseraugenschutzes einem direkten Treffer des Lasers nicht standhält. Die Klassifizierung erfolgt von Laserklasse 1 (für das Auge un- gefährlich) bis Laserklasse 4 (sogar die Streustrahlung ist gefährlich). Die Grenzwerte für Klasse 1-Laser sind dabei gleichzeitig die maximal zulässigen Bestrahlungsstärken (MZB-Werte), denen man sich ungeschützt der Laserstrahlung aussetzen darf, ohne einen Augenschaden davonzutragen. Für den Einsatz von Laserschutzbrillen gilt nun grob die Einteilung, dass augenseitig hinter der Schutzbrille genau diese Grenzwerte nicht überschritten werden dürfen. Und das auch bei direktem Laserbeschuss. Die aufgeführten Regelwerke (DIN EN 207/DIN EN 208/ DIN EN 60825) werden als Norm bezeichnet, rechtlich handelt es sich jedoch um gesetzliche Vorschriften, die auch vor Gericht einklagbar sind. Sowohl in den Unfallverhütungsvorschriften als auch in der Medizinischen Geräteverordnung wird darauf Bezug genommen. Und schon stecken wir in einem Dilemma! Für die Zulassung nach DIN EN 207 muss der Laseraugenschutz einen Laserbelastungstest bestehen. Das bedeutet, dass Filter und (!) Fassung unter Normbedingungen einem direkten Treffer des Lasers, für den sie spezifiziert wurden, für mindestens fünf Sekunden (Dauerstrichlaser) oder 50 Abb 2 Absorption I0 Transmission T = I / I0 Optische Dichte OD = - log T T = 100% 50% 10% 1% OD - 0 0,3 1 2 P.S.: Die Helligkeitsempfindung des Auges ist „logarithmisch“ 22 I Pulsen (gepulster Laser) standhalten müssen. Bei bestandenem Laserbeschuss erhält die Brille das CE-Zeichen und wird mit den erreichten Schutzstufen (z. B. D 10600 LB5, wobei LB5 einer Leistungsdichte von 100 MW/m – Schadensschwelle für Filter und Fassung – entspricht) verbindlich spezifiziert bzw. markiert. Eine Kopie des Zertifikats der Prüfstelle kann für jede Brille vom Anwender zur Einsicht angefordert werden. Im Geltungsbereich der Europäischen Norm EN ist es nicht erlaubt, die Brillen nur nach der Optischen Dichte (OD) auszuwählen. Für den zivilen Bereich in der Fliegerei ist jedoch pragmatisch das schmale Schlupfloch diskutierbar, dass man bei Nichterfüllbarkeit der vollen Anforderungen nach DIN EN 207 nur auf die Optische Dichte abstellt. Denn es ist zurzeit davon auszugehen, dass die industriellen/militärischen Hochleistungslaser sich noch nicht in Händen von Kriminellen befinden – aber dies soll einer Bedrohungsanalyse vorbehalten sein. Laserschutztechnologie Grundlagen optischer Filter Da Laserstrahlung aufgrund der beschriebenen physikalischen Eigenschaften, wie gute Strahlqualität und gute Fokussierbarkeit (räumliche Kohärenz), in erster Linie für die Augen ein hohes Gefahrenpotenzial darstellt, werden spezielle optische Filter benötigt, die das „normale“ Licht durchlassen, für das Laserlicht aber eine Sperrfunktion besitzen. Da jeder Laser, abhängig von seinem aktiven Medium, immer eine oder mehrere spezifische Wellenlängen emittiert, benötigt man Filter, die an Wellenlänge und Leistung der jeweiligen Strahlquelle angepasst sind. Optische Dichte (OD) Als Optische Dichte (OD oder D(λ) bezeichnet man die Abschwächung von Licht, das einen optischen Filter durchstrahlt. Je höher der Zahlenwert ist, desto größer ist die Abschwächung. Zur Berechnung der OD wird der dekadische Logarithmus vom Verhältnis der transmittierten Leistung zur eingestrahlten Leistung gebildet (Abb 2). Wichtig ist, dass die Optische Dichte auch im Ernstfall, also beim Auftreffen von Laserstrahlung auf den Filter, erhalten bleibt. Diese Voraussetzung erscheint trivial, allerdings gibt es Wechselwirkungseffekte zwischen Filter und Laserstrahlung, wodurch die Optische Dichte unter Lasereinwirkung nicht in ursprünglicher Höhe erhalten bleibt. Daher müssen Laserschutzprodukte im Rahmen ihrer CE-Zulassung einem Laserbelastungstest unterzogen werden. Als Ergebnis des Laserbeschusses wird der Laserschutzbrille (Rahmen mit Filter) durch das unabhängige Prüflabor eine Schutzstufe erteilt, die die mindestens vorhandene Optische Dichte unter einer normierten Laserbelastung (Wellenlänge, Leistung und Betriebsart) angibt. Eine bestimmte Optische Dichte zur Abschwächung bzw. Filterung von Licht kann mit zwei prinzipiell unterschiedlichen Strategien – Absorption oder Reflexion – erreicht werden. Tageslichttransmission (VLT) und Farbsehen Durch eine Laserschutzbrille oder ein Laserschutzfenster werden aus dem Spektrum, welches auf das Auge treffen würde, einzelne Wellenlängen oder -bereiche herausgefiltert. Wird dabei Licht aus dem sichtbaren Bereich geblockt, führt dies unmittelbar auch zu einer Veränderung der Wahrnehmung der Umgebung. Zum einen wird durch die Optische Dichte des Filters (niedrige Transmission) die Umgebung dunkler (ähnlich beim Blick durch eine Sonnenbrille), zum anderen verändert das Fehlen einzelner Wellenlängen oder -bereiche die Farbsicht des Anwenders. VLT (Visible Light Transmission) Das Maß für die Lichtabschwächung eines Filters mit der Transmission F (λ) im sichtbaren Bereich ist durch die sogenannte VLT, die Tageslichttransmission oder den Lichttransmissionsgrad (Abkürzung: V) definiert. Die VLT (V) wird bezogen auf die Normlichtart D65 (siehe ISO/CIE10526:1991 und CIE10527:1991) bestimmt und mit der spektralen Empfindlichkeit des Auges für das Tagsehen (V(λ)) gewichtet (Abb. 1). Beachtungs-Hinweis hinsichtlich „VLT“: Es werden manchmal phantastische VLT-Werte zu Laserschutzbrillen im Internet genannt, die aber einer Überprüfung der Tageslicht-Transmission dann häufig nicht annähernd standhalten, und da wird es gefährlich: Meist sind ja Laser-Blend-Attacken bei Dämmerung zu erwarten. Wenn dann zum ohnehin gegebenem, und nicht veränderbarem Transmissionsverlust durch die Cockpit-Verglasung eines Verkehrsflugzeuges/Kampfjets von circa 30 %(!) noch ein erhöhter Transmissionsverlust durch eine nicht optimale Laserschutz-Brille sich addieren, dann sinkt dramatisch die Sehschärfe und das würde wiederum die Flugsicherheit tangieren. Farbsicht Ein wesentlicher Aspekt bei der Auswahl eines Filters ist unbedingt die Farbsicht durch den Filter. Da ggf. einzelne Farben gar nicht mehr erkennbar sind, muss bei der Auswahl eines Filters oder Laserschutzfensters unbedingt berücksichtigt werden, dass dieser Effekt auch Warnlampen oder Displays betrifft. Zur Beschreibung der Farbsicht und damit der Farbdiskriminierung gibt es verschiedene Ansätze. Zum einen kann man die „Farbverschiebung“ im CIE-Dreieck dokumentieren und dann interpretieren; pragmatisch kann man die erhaltene „Farbtreue“ auch praxisnah testen (Abb. 3). Techniken und Wirkungsweisen, Absorptionsfilter aus Glas oder Kunststoff Die herkömmliche und weitverbreitete Strategie, um Licht definierter Wellenlängenbereiche aus dem Spektrum zu blocken, ist der Einsatz absorbierender Filtermaterialien. Als Werkstoffe werden z. B. spezielle optische Filtergläser oder amorphe Kunststoffe mit gezielt beigemischten Absorberfarbstoffen eingesetzt. Beim Auftreffen des Laserstrahls wird die Lichtenergie innerhalb des Filters absorbiert und zum größten Teil in Wärme Abb 3 Farbspektrum ohne Filter aufgenommen Farbspektrum durch einen beschichteten Filter für Diodenlaser im nahen IR Farbspektrum durch einen Absorptionsfilter für Diodenlaser im nahen IR 23 Flugsicherheit umgewandelt. Aus diesem Grund ist die gezielte Auswahl der Filtermaterialien unter Berücksichtigung der thermischen Stabilität bei Laserbelastung notwendig. Die beiden unterschiedlichen Grundmaterialien für Absorptionsfilter (Kunststoff und Glas) haben Vor- und Nachteile in Schutzwirkung und Tragekomfort. Aber auch das mögliche Schadensbild bei einer direkten Laserbelastung ist sehr unterschiedlich. Kunststofffilter karbonisieren typischerweise bei hohen Leistungsdichten und werden dann relativ schnell vom Laserstrahl durchbohrt. Glasfilter springen demgegenüber im Schadensfall aufgrund des thermischen Verzuges. Aus diesem Grund werden die qualitativ hochwertigen absorbierenden Glasfilter mit Splitterschutz (Glasverbund mit neutralem Glas) ausgeliefert. Damit können die Glassplitter im Bruchfall nicht zu Verletzungen führen. Gleichzeitig bleibt die Schutzwirkung erhalten, denn auch ein gesprungener Filter besitzt noch die geforderte Optische Dichte, solange die Bruchstücke aneinander liegen. Bezüglich der thermischen Stabilität der Filtermaterialien sind Glasfilter insgesamt höherwertig und den Kunststoffen deutlich überlegen. Sie sind daher besonders für den Einsatz bei Lasern mittlerer bis hoher Leistung geeignet. Reflexionsfilter Die hochwertigere, aber auch technologisch aufwändigere Variante, um Filter mit sehr hoher Optischer Dichte zu erzeugen, ist die Verspiegelung mittels dielektrischer Interferenzschichten. Durch ein spezielles Design der Schichtfolgen und durch geeignete Wahl der Beschichtungsmaterialien werden eine Vielzahl von Schichten auf einem Substrat aufgebracht. Diese vielen unterschiedlichen Schichten werden im Hochvakuum aufgedampft und müssen nanometergenau appliziert werden. In Abhängigkeit 24 von der Wellenlänge des einfallenden Lichtes interferieren die Teilstrahlen, die an den einzelnen Schichten reflektiert werden. Für die Laserwellenlänge, für die der Filter blocken soll, tritt konstruktive Vielstrahlinterferenz in Reflexionsrichtung auf und nahezu die gesamte Laserleistung wird reflektiert. Kleiner Ausflug in die OberstufenPhysik Die vielen Grenzflächen der dielektrischen Beschichtung (Abb. 4) wirken dabei wie ein Beugungsgitter. Der Abstand der Einzelschichten wäre mit der Gitterkonstante gleichzusetzen. Licht, das nicht senkrecht zur Oberfläche einfällt, würde, da der Lichtweg zwischen den Schichten durch den schrägen Einfall verlängert ist, auf einen anderen „Gitterabstand“ treffen und die Abschwächung ginge verloren. Durch ein spezielles Design der Inter- ferenzschichten ist es aber möglich, den zu blockenden Wellenlängenbereich entsprechend des geforderten Winkelbereich von ± 30° (lt. Normen EN207/208) um die Oberflächennormale komplett auszublenden. Spiegelschichten bieten gegenüber absorbierenden Filtern mehrere Vorteile. Da im Falle eines direkten Lasertreffers die meiste Laserenergie vom Material wegreflektiert wird, bleibt die Schutzwirkung unabhängig vom Substratmaterial erhalten. Während man bei herkömmlichen, absorbierenden Filtermaterialien auf werkstoffabhängige Absorptionseigenschaften setzt, werden die Sperrbereiche der Wellenlängen der Interferenzfilter nur vom Schichtdesign selbst bestimmt. Demzufolge werden mit dieser Technologie auch auf Kunststofffiltern hohe Schutzstufen erreicht, die bisher nur Glasfiltern vorbehalten waren. Abb. 4: Dielektrische Beschichtung Interferenzschichten Zusammenfassung und Empfehlung: Es gibt mehrere große Vorteile, die Verspiegelungsschichten gegenüber absorbierenden Filtern bieten. Da im Falle eines direkten Lasertreffers die meiste Laserenergie vom Material wegreflektiert wird, bleibt die Schutzwirkung unabhängig vom Substratmaterial erhalten und es wird kein Loch in den Filter gebrannt, welches die Laserstrahlung dann ungehindert passieren lassen würde. Mit dieser Technologie werden also auch auf Kunststofffiltern ähnlich hohe Schutzstufen erreicht wie auf Glasfiltern. Der zweite große Vorteil ist die nahezu unbegrenzte Einstellmöglichkeit der Filter für alle möglichen Laserwellenlängen. Während man bei absorbierenden Filtermaterialien auf werkstoffabhängige Absorptionseigenschaften setzt, werden die Wellenlängenbereiche der reflektierenden Filter nur vom Schichtdesign selbst bestimmt. Ein weiterer wesentlicher Vorteil – auch z. B. für Anwender im Cockpit – ist die Farbsicht dieser Filter (Abb. 3). Das unverfälschte Erkennen von Farben ist für zuverlässiges Arbeiten im Flugdienst wesentlich. Das Unterscheiden von farbig markierten Instrumenten oder die unbeeinflusste Wahrnehmung von Kontrollanzeigen oder Displays spielen beim Tragen einer Laserschutzbrille eine absolut wichtige Rolle, die hohe Tageslicht-Transmission nach Farbkorrektur bei Verspiegelungsschichten ist von hoher Relevanz bzgl. der Flugsicherheit. Gerade deutsche Firmen sind führend in dieser High-Tech-Technologie von Laserschutzprodukten. Hilfe bei Flugunfällen Die neue Ausgabe der Broschüre „Hilfe bei Flugunfällen 2010“ ist gedruckt und an die Dienststelle LwA FlSichhBw ausgeliefert worden. Bei Bedarf bitte die gewünschte Anzahl und die Postanschrift für Pakete an die Redaktion senden. Diese Ausgabe (wie übrigens alle Publikationen der Redaktion) steht Ihnen zum Download als PDF-Datei im Intranet zur Verfügung – unter der Homepage der Luftwaffe: - Fachinformationen - Infomedien Lw - Zeitschriften und Berichte zur Flugsicherheit Wir bitten um Kritik, Anregungen und Verbesserungsvorschläge der folgenden Ausgaben. Kontakt: Dr. Hans Brandl, Augenarzt/Flugmedizin Stiglmayrstr. 4 82256 Fürstenfeldbruck Tel.: 0049-172-8414296 // 0043-650-7532580 h.brandl@gmx.de 25 Flugsicherheit Dinge gibt’s, die gibt’s doch gar nicht! Zeichnung von SFw J.P. Dierkes © Runway incursion am Nachbarplatz von Oberleutnant Jörg Hoier, WTD-61 An einem Augusttag 2010 führte das Personal einer süddeutschen Firma Arbeiten auf der aktiven Nordbahn des Flugplatzes Manching/ Ingolstadt durch. Im 26 Vorfeld waren Absprachen getroffen worden, wie bei erwartetem Flugbetrieb verfahren werden sollte. Hierzu war das Firmenpersonal mit einem Handfunkge- rät ausgestattet worden und sollte auf einem festgelegten Kanal ständig empfangsbereit sein, um ein sofortiges Verlassen der Piste zu ermöglichen. Als sich gegen 10.00 Uhr (Z) ein EUROFIGHTER beim Kontrollturm zur Landung anmeldete, versuchte das Flugverkehrspersonal mehrmals mit den Arbeitern auf der Piste Kontakt aufzunehmen. Weil diese sich auch nach mindestens zehn Funkrufen nicht meldeten, wurde die Pistenbereitschaft der Feuerwehr alarmiert. Die Besatzung des Feuerlösch-Kfz an der Mittelposition wurde angewiesen, sofort zum Firmenpersonal zu fahren und es von der Piste zu geleiten. Kurz darauf meldete sich ein Firmenmitarbeiter selbstständig über Funk mit der Frage, ob sie denn gerufen worden seien. Der Aufforderung, unverzüglich die Piste zu verlassen, kam das Firmenpersonal nunmehr sofort nach und meldete sich dann in die Mittagspause ab. So weit, so gut! Etwa eine Stunde später beantragte das Firmenpersonal über Funk erneut das Befahren der Nordbahn. Die erbetene Freigabe wurde jedoch mit dem Hinweis verweigert, sich zunächst telefonisch auf Apparat XXX beim TOWER zu melden. Beabsichtigt war, das Firmenpersonal noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass eine dauerhafte Hörbereitschaft und sofortige Reaktion auf etwaige Anweisungen zu gewährleisten sei. Kurz nach diesem Gespräch meldete sich auf Flugfunk der Flugzeugführer eines Zivilflugzeuges zur Landung an, worauf durch den Flugplatzkontrolloffizier eine Genehmigung zum Einflug in die Kontrollzone und Freigabe zum Anflug erteilt wurde. Vor Eindrehen dieses Luftfahrzeuges in den rechten Queranflug wollte sich der Flugplatzkontrolloffizier davon überzeugen, dass die Piste frei ist. Er hinterfragte beim Koordinator, ob sich das Firmenpersonal telefonisch gemeldet habe. Dies war jedoch nicht der Fall. Einige Teile der Nordbahn sowie des parallelen Rollwegs sind nicht in Gänze einzusehen, weil sie durch Bäume verdeckt werden. Deswegen sind Videokameras installiert, mit deren Hilfe diese Bereiche überwacht werden können. Stellen Sie sich nun die Überraschung der Flugverkehrskontrolloffiziere vor, als sie bei der visuellen Überprüfung der Piste ein Fahrzeug auf der vermeintlichen freien Piste entdeckten. Über die Kameras konnte verifiziert werden, dass es sich um das Fahrzeug der Firma handelte, von deren Mitarbeitern man einen Rückruf erwartete. Angesichts des anfliegenden Luftfahrzeuges wurde das Firmenpersonal aufgefordert, sofort die Piste zu verlassen. Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Auf Nachfrage über Funk antwortete das Firmenpersonal, dass sie vom Tower die Freigabe zum Befahren der Piste über Telefon erhalten hätten! Ungläubiges Staunen der Flugverkehrskontrolloffiziere war die Folge, hatte doch niemand ein solches Gespräch geführt und demzufolge auch keine Freigabe ausgesprochen. Dies war ein Fall für das Team Flugsicherheit! hatten. Dort waren Telefonnummern von verschiedenen Flugplätzen der Bundeswehr notiert. Wie sich herausstellte, hatte man versehentlich am Nachbarplatz Neuburg angerufen und vom dortigen Flugverkehrskontrolloffizier die Freigabe für Arbeiten „westlich der Feuerwehr“ erhalten. Dieser Sachverhalt konnte im folgenden Gespräch mit Neuburg Tower verifiziert werden. Die entsprechende Baufirma ist dort des Öfteren tätig. Die Anfrage zur Durchführung der Arbeiten hatte den Lotsen deshalb auch nicht gewundert. Da der Flugbetrieb in Neuburg gerade ruhte, sprach aus seiner Sicht auch nichts gegen eine Freigabe! Aber nicht Neuburg, sondern Manching war der Ort des Geschehens. Hätten Sie es geahnt? Also wurde der Flugsicherheitsmeister (FlSichhMstr) gebeten, die Umstände zu klären und das Firmenpersonal ggf. nochmals einzuweisen. Das Ergebnis seiner Unterredung konnte jedoch nicht befriedigen. Erst in einem weiteren, gemeinsamen Gespräch mit dem Firmenpersonal, dem FlSichhMstr sowie dem Wachleiter Tower stellte sich heraus, dass die Bauarbeiter nicht die angegebene, sondern eine im Firmenhandy eingespeicherte Telefonnummer gewählt 27 Flugsicherheit Wir sind nicht allein ... Foto: Mike Hall von Oberstleutnant Andreas Kern, LwA FlSichhBw Es war einer dieser tollen Tage, an denen das Fliegen doppelt soviel Freude macht. Blauer Himmel, großartige Sichten, ein richtiges Postkartenwetter, und dann fragte einer der Fluglotsen auch noch, ob ich den Steigflug auf die zu28 gewiesene Flughöhe schneller durchführen könnte. „Na, klar doch, da nehmen wir den zweiten Gang!“ Also Nachbrenner ein, und los ging’s. Da kam auch schon der Frequenzwechsel zum Fluglotsen des oberen Luftraumes. Hey, was war denn hier los? Da war ein heftiger Wortwechsel zwischen dem Fluglotsen und zwei Airlinepiloten im Gang. Na, da nehme ich erst mal meine Flughöhe ein und höre zu, was da los ist. Nach einer Weile bekomme ich mit, dass einer der Airliner durch das bordeigene Traffic Alert and Collision Avoidance System (TCAS) eine Ausweichempfehlung Climb bekommen hatte, dieser nachgekommen war und dadurch der ihm entgegenkommende Airliner auch eine TCAS-Warnung bekommen hatte. Beide wollten nun vom Fluglotsen wissen, wo diese plötzliche Gefahr für eine Kollision hergekommen war. Sie verlangten, diesen Vorfall zu melden und den Schuldigen zu bestrafen. Die beiden Airlinepiloten waren ob des unerwarteten Auftretens der Warnung nachvollziehbar sehr aufgebracht. Der Fluglotse hingegen war die Ruhe in Person, beruhigte beide Piloten und versicherte ihnen, der Sache nachzugehen und diese zu klären. Danach war endlich Platz auf der Frequenz. Ich konnte mich anmelden und bestätigen, dass ich meine zugewiesene Flughöhe eingenommen hatte. Beim Verfolgen des vorangegangenen Funkverkehrs hatte ich schon den Verdacht, ohne es exakt zu wissen, dass ich der Grund für die Aufregung war. Das bestätigte sich dann auch durch die Art und Weise der Antwort des Fluglotsens auf meine Anmeldung auf der Frequenz. „Guten Tag, jaaaa, das habe ich gesehen.“ Damit meinte er, dass er genau gesehen hatte, wie ich meine Flughöhe eingenommen hatte. Die beiden Airlinepiloten meldeten die Einnahme ihrer zugewiesenen Flughöhen, die sie vor diesem Zwischenfall hatten. Nach der Landung hatte ich mich um ein Gespräch mit dem Fluglotsen bemüht, um den Hintergrund des gesamten Vorgangs zu erfahren. Er informierte mich, dass durch meinen steilen Steigflug das TCAS-System des ersten Airliners eine Konfliktsituation errechnet hatte. Dann generierte es die Anweisung zum Steigen, um diesem drohenden Konflikt auszuweichen. Damit bestand nun eine Kollisionsgefahr mit dem entgegenkommenden Airliner und auch dort wurde eine Ausweichanweisung ausgegeben. Dass ich, wie befürchtet, Ursache allen Übels, meinen Steigflug rechtzeitig beenden und die zugewiesene Flughöhe vorschriftgemäß einnehmen würde, konnte das System nicht wissen. So, warum schreibe ich nun diesen Artikel? Den Luftraum über Deutschland müssen sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr Luftfahrzeuge (Lfz) miteinander teilen. Wir, die militärische Luftfahrt, merken dies von Jahr zu Jahr am eigenen Leibe. Die Einführung des Reduced Vertical Separation Minimum (RVSM) Airspace (FL 290-FL 410) im Januar 2002 war eine folgerichtige weltweite Umstellung der Luftraumstruktur. Schon kurz nach der Einführung dieser Struktur gab es viele TCASAlarme zwischen Airlinern, die sich in diesem Luftraum bewegten. Man erkannte recht schnell, dass die zu hohen Steigraten kurz vor Erreichen der zugewiesenen Flughöhe das Problem waren. Im Vorgriff auf eine offizielle Änderung der Flugregeln auf internationaler Basis haben sich die Airlines untereinander geeinigt, eine Regelung zur Begrenzung der Steigraten zu treffen und diese dann in ihre jeweiligen Flugbetriebshandbücher zu übernehmen. Doch auch wir müssen uns den vorhandenen Luftraum miteinander teilen und so effektiv wie möglich nutzen. Dabei ist die Flugsicherheit an vorderster Stelle zu sehen. Sie soll aber nicht flugverhindernd sein, sondern im entsprechenden Maße Beachtung bei der Durchführung des Flugbetriebes finden. Niemand soll in seiner Flexibilität und Operationalität beschnitten werden. Das setzt voraus, dass sich die verschiedenen Teilnehmer, die sich einen Raum teilen, gegenseitig kennen und beachten müssen. In diesem Artikel möchte ich besonders auf die Möglichkeiten und Schwächen des bereits angesprochenen Systems der Kollisionsverhinderung eingehen. Ein kurzer historischer Abriss: Nachdem sich in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der USA eine Reihe von Zusammenstößen in der Luft ereigneten, wurde im Jahre 1956 die Forderung nach Entwicklung eines Zusammenstoßwarnsystems konkret erhoben. Die ersten TCASSysteme wurden danach über einen Zeitraum von circa 30 Jahren entwickelt und schließlich Ende der 80er Jahre zunächst nur in den USA eingeführt. Ein Gesetz vom Dezember 1987 verlangte für alle Lfz mit mehr als 30 Sitzplätzen im US-Luftraum die Ausrüstung mit einem TCAS II-System bis Ende 1993. Damit waren nicht nur die US-amerikanischen Airlines betroffen, sondern auch alle internationalen Airlines, die die USA anflogen. In der ICAO und bei Eurokontrol wurde das System Airborne collision avoidance System (ACAS) genannt. Diese beiden Organisationen haben die Forderung nach Ausrüstung mit ACAS II-Systemen für Lfz mit einer Abflugmasse von 17 t ab dem Jahr 2003 gefordert (Eurocontrol bereits 2000). Für Lfz ab 5,7 t Abflugmasse bestand die Forderung seit 2005. Die Systeme haben sich über verschiedene Stufen hinweg entwickelt. In der ersten Entwicklungsphase, dem TCAS I, gaben diese den Flugzeugbesatzungen zunächst nur eine Lageinformation über andere sich in der Nähe befindende Lfz. Danach war und ist gleichzeitig noch heute TCAS II/ACAS II Standard. Diese geben zusätzlich zum Lagebild auch Ausweichanweisungen (Resolution Advisory) an die Besatzung aus. Diese nur in der vertikalen Ebene (Steig- und Sinkflug) automatisch generierten Anweisungen stehen momentan den Fluglotsen noch nicht zur Verfügung. Zukünftig sollen die Systeme auch Ausweichanweisungen in der lateralen Ebene generieren und gleichzeitig dem Fluglotsen diese Information automatisch auf dem Kontrollschirm zur Verfügung stellen. Wie funktionieren nun diese TCAS II bzw. ACAS II-Systeme? Sie arbeiten mit den verschiedenen in Lfz eingerüsteten Transpondern (Mode C und/ oder S) zusammen. Der Luftraum um ein Lfz ist in verschiedene Schutzzonen unterteilt. Die Ausdehnung dieses Luftraumes und die Anzahl der überwachten Lfz sind unterschiedlich und 29 Flugsicherheit Schutzzone 1 bis zu 40 NM 9.900 ft ± 2.700 ft 2.700 ft Blau: Mode DOWN Rot: Mode LEVEL Beobachteter Luftraum in den Modis UP (grün), DOWN (blau) und LEVEL (rot): 150 bis 30 Luftfahrzeug können erkannt werden, 30 bis 8 Luftfahrzeuge werden als non intruding traffic zur Anzeige gebracht. Schutzzone 2 6 NM ± 1.200 ft Luftfahrzeuge innerhalb dieser Schutzzone werden als proximity traffic angezeigt. Schutzzone 3 abhängig vom Hersteller der Systeme. Die Mindestforderungen sind in den Dokumenten der ICAO definiert. In der ersten Schutzzone werden andere Lfz in der unmittelbaren Umgebung bis zu 40 NM Entfernung überwacht. Zum heutigen Zeitpunkt können circa 30 bis 150 Lfz gleichzeitig beobachtet und davon circa acht bis 30 Lfz angezeigt werden. Im Steigflug wird der Luftraum über dem Lfz beobachtet (bis zu 9.900 ft über der eigenen Höhe und bis zu 2.700 ft unterhalb). Im Sinkflug sind diese Bereiche umgekehrt. Für den Reiseflug wird ein sym- metrischer Raum über und unterhalb der geflogenen Flugfläche beobachtet (± 2.700 ft). Wenn sich ein Lfz in dieser Schutzzone aufhält, wird dieses der Besatzung als non intruding traffic angezeigt. Sollte das Lfz in die zweite Schutzzone (näher als 1.200 ft und dichter als 6 NM) einfliegen, wird dieses als proximity traffic dargestellt. Die dritte Schutzzone wird als closest point of approach (CPA) bezeichnet und die Ausdehnung dieser Zone ist abhängig von der Flughöhe. Generell soll eine Annäherung von 300 ft in den unteren und bis zu 700 ft in den oberen Staffelungshöhen zum Lfz verhindert werden. Bei einem möglichen vorherberechneten Einflug in diese Schutzzone, wiederum abhängig von der Höhe, wird 20 bis 48 Sekunden vor Einflug ein traffic advisory (TA), ausgegeben. Diese Warnung führt aber noch nicht zu einer Änderung des Flugweges. Die letzte Warnung wird generiert, wenn ein möglicher Einflug in den CPA in 15 bis 35 Sekunden zu erwarten ist. In diesem Fall wird eine resolution advisory (RA) ausgegeben. Diese Warnung beinhaltet nicht nur eine Darstellung des betroffenen Lfz, sondern auch eine konkrete Ausweichanweisung, um die mögliche Grafik von Oberstleutnant Kern Schutzzone 3 CPA (Closest point of approach), in die ein Einflug verhindert werden soll: In einer Flughöhe von 1.000-5.000 ft r = 300 ft, dieser Wert erhöht sich kontinuierlich bis auf 700 ft über FL 420. Bedrohungsstufen auch höhenabhängig: TA 20 bis 48 sec vor Einflug Ausgabe und Darstellung als Information RA 15 bis 35 sec vor Einflug Ausgabe und Darstellung als Information und Ausweichanweisung CPA CPA r Resolution Advisory Zeit bis zum Einflug in CPA 15 bis 35 sec Ausgabe einer visuellen, akustischen Information und einer Ausweichanweisung 30 Kollision zu vermeiden. Diese Ausweichanweisungen sind von den Besatzungen ausnahmslos zu befolgen. Bei zwei Lfz, deren Leistungsdaten und Auftrag sich dahingehend darstellen, dass die Situation sich langsam entwickelt und die vier verschiedenen Schutzzonen durchlaufen werden, können sich beide Besatzungen rechtzeitig darauf einstellen und ihre Handlungen koordiniert durchführen. Dabei spielt die Kommunikation mit dem Fluglotsen und somit auch mit der anderen Besatzung eine entscheidende Rolle. Meistens werden diese Situationen rechtzeitig erkannt und frühzeitig beseitigt. Sollte es aber, wie in dem am Anfang beschriebenen Fall, gar nicht technisch möglich sein, dass die Besatzung diese Information bekommt und sie dann von einer TA und zeitgleichen RA überrascht wird, sind die Rahmenbedingungen geschaffen, die man bei Auswertung von Flugunfällen und Zwischenfällen immer wieder vorfindet. Die Besatzung sieht sich augenblicklich einer unerwarteten stressvollen Situation gegenüber, die eine sofortige Lösung verlangt. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass menschliche Fehler die Situation noch wesentlich verschlechtern und sich die CPA Traffic Advisory Zeit bis zum Einflug in CPA 20 bis 48 sec Ausgabe einer visuellen und akustischen Information Möglichkeit für Folgefehler öffnet. Der verschüttete Kaffee ist dann sicher nur das geringste Problem. Doch auch dieses gilt es zu verhindern. Das System kann nicht vorhersehen, dass sich die Besatzung des annähernden Lfz im richtigen Moment entscheidet, den Steigflug zu verringern und die zugewiesene Flughöhe einzunehmen. Wo könnten die Lösungen liegen, um diese Schwäche zu beseitigen? Der einfachste Ansatz wäre wohl, wie bei den Airlines, die Steigraten auf einen bestimmten Wert festzulegen. Dies wäre aber, wie so oft, über das Ziel hinaus geschossen und würde eine unnötige Einschränkung der operationellen Möglichkeiten der Jetflugzeuge darstellen. Bei den Airlines lag die Lösung in den letzten 2.000 ft vor Erreichen der zugewiesenen Flughöhe. Durch die wesentlich höheren Steigraten beginnt das Problem für Jetflugzeuge schon weitaus früher. Diese Möglichkeit der großen Steigraten sollte sogar als Vorteil angesehen werden, da die dicht beflogenen Höhenbänder schnell passiert werden können. Im Endeffekt müssen alle Beteiligten gegenseitiges Verständnis aufbringen: - Die Airlinepiloten wollen nicht unnötig von einer RA überrascht werden und sie wollen das Vertrauen in das System behalten. Dafür ist nicht immer eine direkte Flugführung möglich, falls diese über einen Luftraum führt, der durch Jetflugzeuge besetzt ist, und es zu einer RA kommen könnte. - Die Jetflugzeuge müssen ihre Unabhängigkeit und Flexibilität behalten. Durch den erhöhten Kraftstoffverbrauch in unteren Flughöhen werden die unteren Flughöhen nicht gerne in Kauf genommen. Ein kurz veränderter Flugweg zur Höhenänderung ist dafür meist eine gern akzeptierte Möglichkeit. Da man nicht den gesamten Überblick über den umgebenden Luftverkehr hat, sollte man sich an allgemeine Steigraten halten oder beim Fluglotsen nachfragen. 31 Flugsicherheit - Die Fluglotsen sollen die Vorteile beim Umgang mit Jetflugzeugen nicht verlieren. Dazu sollten ihnen die Möglichkeiten der Steigleistungen bekannt sein. Auch die unterschiedliche Priorisierung der Aufgaben bei Airlinern und Jetflugzeugen sollten berücksichtigt werden und in die Entscheidungsfindung über eine Flugführung Einfluss finden. Allgemein ist es auch notwendig, ein besseres Verständnis für die Aufgaben, Möglichkeiten und Zwänge der jeweils anderen zu entwickeln. Es ist wichtig, ein sicheres Miteinander bei der Nutzung des uns zur Verfügung stehenden Luftraumes zu gestalten. Ein engerer Informationsaustausch untereinander, den heutigen Flugverkehrsbedingungen Rechnung tragend, ist dafür unabdingbar. Gleichzeitig sollten aber auch die gegebenen Möglichkeiten für die effektive Durchführung des Luftverkehrs genutzt werden. In diesem Sinne soll dieser Artikel verstanden werden und ich hoffe, dass er zu einem offeneren Dialog aller Beteiligten beiträgt. Mit freundlicher Genehmigung von Iris Zerger Die Suche nach einem Schuldigen wird an einer bestehenden Situation kaum etwas ändern. Die dafür eingesetzte Energie sollte eher verwendet werden, um eine für alle sichere und akzeptable Lösung zu finden. Dazu ist das offene Ansprechen von Problembereichen sehr zielführend. Oberstleutnant Jörg Wegner ist seit Oktober 2010 Dezernatsleiter d in der Abteilung Flugsicherheit in der Bundeswehr. 1977 startete seine Laufbahn mit der Grund- und Offiziersausbildung und dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Neubiberg. Von 1982 bis 1989 war er beim JaboG41 in Husum als LfzTOffz und LfzWaMunTOffz tätig. Es folgten mehrjährige Verwendungen als Kommandant MunDp 82 Wildbergerhütte, als Nuclear Weapon Safety Officer im MatALw III B 7 und als Staffelchef der InstStff/JG 71 “R” in Wittmund. Von 1996 bis 2001 war er Dozent für Wehr- und Raumfahrttechnik an der FüAkBw in Hamburg, anschließend als DezLtr und Stv Assistent Chief of Staff Logistics beim NAEW&C Force Command in SHAPE Mons/Belgien tätig. Im Anschluss folgte eine Verwendung als DezLtr für Luftwaffeneigentümliche Munition und BVMatV IRIS-T bei GenLwRüst im LwA und später im WaSysKdoLw. Im Dezernat Change Management wirkte er mit an der Erarbeitung der neuen Struktur des WaSysKdoLw. In den vergangenen drei Jahren war er als Referent im BMVg Fü S IV 3 tätig. Stabsfeldwebel Karl-Heinz Reinberg wurde 1985 nach seiner Gesellenprüfung zum Elektroinstallateur zur Grundausbildung nach Budel/NL einberufen. Seine Ausbildung zum 1.Lfz Ausrüstungsmeister Alpha Jet und Do 28 begann beim JaboG 43 in Oldenburg. Es folgte 1991 seine Ausbildung zum Fluggerätmechaniker bei der Henschel Flugzeugwerke GmbH in Kassel. Mit der Versetzung zum Lufttransportgeschwader 62 wurde er auf das Waffensystem Transall C-160 umgeschult. Seit 1995 war er im Lufttransportgeschwader 61 Landsberg am Lech in der Instandsetzungsstaffel als Teileinheitsführer Elektrik Transall C-160 tätig. Hier fand auch die Ausbildung zum LfzGefSchadRepMstr (Fläche) statt. Er nahm sowohl 1991 am ersten Golfkrieg bei der Operation Allied Mobile Forces Ace Guard Erhac/Türkei und seid 2002 bei Einsätzen im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) in Usbekistan und Afghanistan teil. Im November 2010 wurde er zum Dezernat b, Abteilung Flugsicherheit in der Bw versetzt, hier ist er nun unter anderem als Beauftragter für Vogelschlag zuständig. Wir wünschen Oberstleutnant Wegner und Stabsfeldwebel Reinberg einen guten Start im Luftwaffenamt. Viel Glück und Erfolg beim weiteren Werdegang! 32 Flugsicherheit Ausgabe 03 / 2010 Heft 3 November 2010 - 47. Jahrgang Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände Flugsicherheit In this issue Written by Major Jonathan „Ganso“ Gallego, German Armed Forces Flight Safety Directorate Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände Don’t press it! Do not delay your decision to go „missed approach“! The article recaps the human factors associated with the decision process, as well as, how an instrument approach is built around the obstacles in the landing environment. It happens quite involuntarily // Es passiert ganz unwillkürlich Accidents are going to happen! In order to minimize the risk of an accident, Safety needs to be followed from every level in an organization. From the top to the bottom, there must be an understanding throughout the work force about how we conduct ourselves, in order to prevent mistakes from taking place. Titelfoto: Bildstelle MFG 3 „Graf Zeppelin“ Bildbearbeitung www.schaltwerk.eu „Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände der Bundeswehr Expect the unexpected Expect the unexpected, that’s the main point! Never assume that everything will happen as it normally happens. Prepare for the unexpected. Herausgeber: Luftwaffenamt General Flugsicherheit in der Bundeswehr Redaktion: Hauptmann Klemens Löb, Tel.: 02203-9083124 Luftwaffenkaserne 501/07 Postfach 906110 51127 Köln redaktionflugsicherheit@bundeswehr.org klemensloeb@bundeswehr.org Gestaltung: Hauptmann Klemens Löb GenFlSichhBw Erscheinen: dreimonatlich Manuskripteinsendungen sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheits- publikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher möglich und erwünscht. Druck: Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR 10117 Berlin Editorial 1 Don‘t press it! 2 „Es passiert ganz unwillkürlich ...“ 5 Expect the unexpected 6 Neckische Spielchen 8 Der Flugplatz auf der Autobahn 12 Die Geschichte von Killi und Kiiski 18 Laserstrahl-Attacken auf Flugzeuge 20 Hilfe bei Flugunfällen 25 Dinge gibt‘s, die gibt‘s doch gar nicht! 26 Wir sind nicht allein ... 28 Wir begrüßen ... 32 In this issue 33 Mischievous play // Neckische Spielchen A joke gone wrong! The moral of the story is: There is a time and place for horsing around, but not while flying. We are all professionals and must always act that way. The airport off the highway // Der Flugplatz auf der Autobahn The Autobahn, from cars – to emergency runways – to mobile airports. The history of how the German Autobahn changed the way we could deploy our forces. The story of Killi and Kiiski // Die Geschichte von Killi und Kiiski Bird strikes were on the rise and something needed to be done! Germany hired the help from a couple Finnish bird-hunting dogs to solve the problem. This is their story. Laser attack on airplanes // Laserstrahlattacken auf Flugzeuge A very informative and technical article about the effects of lasers. But most importantly, this article gives us the insight and options, on how we can protect ourselves from these laser attacks. „Help in case of a plane crash” // Hilfe bei Flugunfällen This is the new brochure that you can download. It contains expert information and tips about different aircraft types and how you can help support flying safety/safety in general. There are things that happen, that you would never expect // Dinge gibt’s, die gibt’s doch gar nicht! A dangerous situation developed because a construction company was given permission from a neighboring airport to access a runway at another airport. We are not alone // Wir sind nicht allein With the never ending increase in air traffic, military/civilian pilots and air traffic controllers need to be aware of the advantages and disadvantages of each other’s systems. In this article TCAS is the main point of discussion. Flugsicherheit Ausgabe 03/2010 Foto: Bildstelle MFG 3 „Graf Zeppelin“ / Bildbearbeitung Guido Sonnenberg Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände