HANDBUCH Alpinsanitäter Vorarlberg
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HANDBUCH Alpinsanitäter Vorarlberg
HANDBUCH Alpinsanitäter Vorarlberg Herausgeber Doz. Dr. Matthias Hohlrieder Autoren Bürkle, Hohlrieder, Radl Österreichischer Bergrettungsdienst Land Vorarlberg Handbuch Alpinsanitäter Seite 2 HERAUSGEBER ÖSTERREICHISCHER BERGRETTUNGSDIENST - VORARLBERG DOZ. DR. MATTHIAS HOHLRIEDER Landesarzt, Leitender Notarzt Kirchstraße 31, A-6835 Zwischenwasser matthias.hohlrieder@lkhf.at AUTOREN DR. CHRISTIAN BÜRKLE DOZ. DR. MATTHIAS HOHLRIEDER DR. MELANIE RADL KORREKTUREN DANIEL SPIEGEL ALEXANDER STOISER JÜRGEN TÜRTSCHER LAYOUT DOZ. DR. MATTHIAS HOHLRIEDER RADL ANDREAS 1. Auflage November 2010 Das Copyright liegt beim Herausgeber. Die Bergrettung Vorarlberg hat ein Nutzungsrecht inklusive Vervielfältigung und Abdruck zu Zwecken der Ausbildung ihrer Mitglieder. Anderen ist die Reproduktion und Verbreitung ohne Zustimmung des Herausgebers nicht gestattet. Anregungen, Kritik und Verbesserungsvorschläge sind willkommen! Bitte richten Sie diese direkt an den Herausgeber. Handbuch Alpinsanitäter Seite 3 Vorwort Der medizinische Notfall im alpinen oder unwegsamen Gelände stellt an die Retter ganz besondere Anforderungen. Die Topographie erschwert häufig bereits den Antransport der Rettungsteams und der notwendigen Ausrüstung. Die Bergung und Versorgung des oder der Patienten in exponiertem Gelände ist oft schwierig und bei Steinschlag oder Lawinengefahr auch gefährlich. Und schließlich ist der Abtransport nicht selten technisch aufwendig und langwierig. Neben den topographischen Herausforderungen sind die Retter zudem regelmäßig mit widrigen Umweltfaktoren wie Kälte, Nässe, Wind, Niederschlag oder Dunkelheit konfrontiert. Diese besonderen Umstände erfordern vom Bergretter besondere Fertigkeiten und spezielle Kenntnisse, um eine optimale Versorgung der Patienten gewährleisten zu können. Mitunter erlauben die Umstände es nicht, sofort einen Notarzt zum Patienten zu bringen. So sind Bergretter gelegentlich auch bei schweren Verletzungen und ernsten Erkrankungen auf sich allein gestellt. Das vorliegende Handbuch fasst in Kürze alle für den Alpinsanitäter wichtigen medizinischen Themen zusammen. Es soll und kann ein umfassendes medizinisches Lehrbuch nicht ersetzen. Primär deckt das Handbuch die Ausbildungsinhalte des Alpinsanitäters ab und dient damit als Lernzielkatalog zur Alpinsanitäterprüfung. Aufgrund des handlichen Formats kann es als Checkliste auch im Einsatz nützlich sein. DOZ. DR. MATTHIAS HOHLRIEDER NOVEMBER 2010 Handbuch Alpinsanitäter Seite 4 Inhaltsverzeichnis Einführung 9 A. Medizinische Einsatztaktik a) Strukturierte Einsatztaktik b) Kommunikation c) Allgemeine Grundsätze d) Notarztindikationen 11 11 12 13 15 B. Medizinische Grundlagen a) Bewusstsein b) Atmung c) Herz/Kreislauf d) Patientenbeobachtung e) Todesfeststellung f) Hygiene 16 16 17 18 20 20 21 C. Lebensrettende Sofortmaßnahmen a) Allgemeines b) Bewusstseinskontrolle c) Freimachen der Atemwege d) Kontrolle der Atmung/Notfalldiagnosen e) Defibrillation/AED f) Verlegung der Atemwege g) Reanimation von Kindern h) Starke Blutung i) Schock 1. Kardiogener Schock 2. Hypovolämer Schock 3. Anaphylaktischer Schock 4. Neurogener Schock 23 23 23 24 24 26 26 27 27 28 29 29 29 30 D. Arbeitstechniken a) Geräte 1. Vakuummatratze 2. Absaugung 31 31 31 31 Handbuch Alpinsanitäter Seite 5 3. Bergetuch 4. Schaufeltrage 5. HWS-Schienen 6. SAM-Splints 7. Dreiecktuch 8. Beatmungshilfen 9. Blutdruckmesser 10. Pulsoxymeter 11. Sauerstoff 12. AED b) Rettungsgriffe c) Lagerungen d) Notarztassistenz 31 32 32 32 32 33 33 34 34 35 36 36 37 E. Allgemeine Traumatologie a) Traumatologischer Notfallcheck b) Wunden c) Verbrennungen d) Verätzungen 39 39 39 40 41 F. Spezielle Traumatologie a) SHT, Gesichtstraumen b) Augentraumen c) Halstraumen d) Wirbelsäulentraumen e) Thoraxtraumen f) Bauchtraumen g) Beckentraumen h) Extremitätentraumen i) Polytrauma 43 43 44 44 45 46 47 47 48 49 G. Nicht-traumatische Notfälle a) Kopf 1. Schlaganfall/Gehirnblutung 2. Epileptischer Anfall 3. Nasenbluten b) Lunge 50 50 50 50 51 51 Handbuch Alpinsanitäter Seite 6 c) d) e) f) g) 1. Asthma 2. Aspiration 3. Lungenödem 4. Hyperventilationstetanie Herz/Kreislauf 1. Herzrhythmusstörungen 2. Herzversagen 3. Angina pectoris, Herzinfarkt 4. Bluthochdruckkrise 5. Synkope Abdomen/Stoffwechsel 1. Akutes Abdomen 2. Hypoglykämie (Unterzucker) Intoxikationen 1. Alkohol 2. Kohlenmonoxid CO, Rauchgase 3. Kohlendioxid CO2, Gärgase Sonnenbedingte Notfälle 1. Sonnenstich 2. Hitzschlag 3. Hitzeerschöpfung 4. Hitzekollaps 5. Sonnenbrand 6. Schneeblindheit Systemische Notfälle 1. Ermüdung, Erschöpfung 2. Allergische Reaktion H. Spezielle alpine Notfälle a) Lawinennotfall b) Kälteschäden 1. Wärmehaushalt 2. Hypothermie 3. Erfrierung c) Blitzschlag d) Hängetrauma e) Schlangenbiss Handbuch Alpinsanitäter 51 52 53 53 54 54 54 55 55 56 57 57 57 58 58 59 59 60 60 60 61 61 62 62 63 63 63 65 65 68 68 68 70 71 72 73 Seite 7 f) Zeckenbiss g) Insektenstiche h) Ertrinken 73 74 75 I. Hubschraubereinsatz a) Indikationen b) Alarmierung c) Einsatzformen d) Einweisung e) Besonderheiten bei Dunkelheit f) Verhaltensregeln 76 76 76 77 78 78 79 J. Psychologie a) Kommunikation mit dem Patient b) Psychische Erste Hilfe für Retter c) Psychische Erste Hilfe für Angehörige d) Krisenintervention e) Psychisch auffällige Patienten 80 80 81 82 82 82 K. Großschadensereignis a) Definition b) San-HiSt c) Patientenmanagement 84 84 84 86 Anhang 87 87 88 88 88 88 90 91 92 a) Abkürzungsverzeichnis b) Medizinische Ausrüstung 1. Erste-Hilfe-Set 2. Rettungsrucksack 3. Notarztrucksack c) Weiterführende Literatur, Quellen d) Links e) Telefonnummern Handbuch Alpinsanitäter Seite 8 Einführung Jeder Notfall ist anders, jeder Patient ist anders! Dieser Umstand macht die Notfallmedizin zu einer besonderen Herausforderung, bringt aber auch einige Probleme mit sich. Die Notfallmedizin umfasst alle medizinischen Fachgebiete, vom Atemstillstand bis zur Zwerchfellruptur ist alles möglich. Kein Notarzt oder Sanitäter kann aber auf alle Verletzungen/Erkrankungen spezialisiert sein. Vielmehr ist entscheidend, das Wesentliche zu wissen und das Entscheidende zu können. Dieses Handbuch deckt die wichtigsten im Bergrettungsdienst relevanten Notfälle ab, insbesondere beschreibt es die essentiellen Maßnahmen bei vital bedrohten Patienten. Eine vitale Bedrohung beim Patienten zu erkennen und dann richtig zu handeln, ist das Allerwichtigste in der Notfallmedizin. Obwohl wir für viele Situationen standardisierte Vorgangsweisen festgelegt haben, ist meist auch Improvisation ein wichtiger Bestandteil des Managements. Die Umstände erfordern nicht selten ein Abweichen vom optimalen Versorgungsschema. Hausverstand und Improvisationstalent sind für einen guten AS mindestens so wichtig, wie das gelernte theoretische Wissen und praktische Können. Neben der eigentlichen medizinischen Versorgung ist eine überlegte Organisation des Einsatzes, von der Alarmierung der notwendigen Einsatzkräfte bis hin zum Transport ins Krankenhaus, notwendig. Die einzelnen Verletzungen/Erkrankungen/Notfallsituationen sind im Folgenden strukturiert beschrieben. Unter L finden Sie jeweils allgemeine Informationen zum Notfall und Hintergrundwissen. Der mit 1 gekennzeichnete Handbuch Alpinsanitäter Seite 9 Absatz enthält die wichtigsten Erkennungszeichen bzw. Symptome. Hierbei ist zu beachten, dass natürlich nicht alle beschriebenen Zeichen vorhanden sein müssen und darüber hinaus auch weitere Auffälligkeiten bestehen können. Der Abschnitt * verweist immer auf mögliche Gefahren und Komplikationen, und unter , sind schließlich die wichtigsten therapeutischen und organisatorischen Maßnahmen zusammengefasst. Handbuch Alpinsanitäter Seite 10 A. Medizinische Einsatztaktik a) Strukturierte Einsatztaktik Der Erfolg eines Einsatzes hängt maßgeblich von einer strukturierten Einsatztaktik ab, dies beginnt lange vor der eigentlichen medizinischen Behandlung. IM DEPOT - EL bestimmen (EL-Weste) - Kommunikation zur RFL sichern (BüFu/Telefon) - Informationen einholen - Welches Fahrzeug? Welche Besatzung? - Welches technische, medizinische Material? - Gefahren abklären (Leitstelle, Karte, Telefon) AUF ANFAHRT/ANMARSCH - Gefahren erkennbar? - Personaleinteilung: Wer macht was? AM EINSATZORT - Fahrzeugaufstellung (Weg nicht versperren!) - Warnkleidung (EL, AS, Arzt etc.) - Gefahren für Retter und Patient? - Kommunikation sichern (Taktischer Funk, BüFu) - Ev. bestehende Einsatzleitung kontaktieren - Treffpunkt markieren LAGEERKUNDUNG - Gefahren? (Steinschlag, Lawine, Absturz,…) - Ereignis? (was, wie, wann) - Verletzte? (wie viele, Verletzungsmuster) - Wetter? (Temperatur, Niederschlag, Nebel,...) - Topographie? (Zufahrt, Abtransport, Landeplatz,...) - Was wird gebraucht? - besondere Maßnahmen, Auskünfte Handbuch Alpinsanitäter Seite 11 - Spezialpersonal, Ärzte, Spezialmaterial - POL, RK, FW, WR, KIT LAGEMELDUNG an die Leitstelle (Nachalarmierung, Vorinformation KH) AM PATIENT - Eigenschutz zwingend (Handschuhe!) - Patientenschutz (Rettung aus Gefahrenzone!) - Notfallcheck (Vitalfunktionen) Æ Ggf. lebensrettende Sofortmaßnahmen - Traumatologischer Notfallcheck (Kopf Æ Fuß) - Lagerung - NA-Indikation? (ggf. Nachalarmierung) - Wundversorgung, Immobilisation - Isolation: Schutz vor Unterkühlung - Psychische Betreuung - Laufende Kontrolle der Vitalfunktionen TRANSPORT - Bergung: rasch, sicher, schonend - Heli-Landeplatz vorbereiten - Geordneter Abtransport (Voranmeldung im KH) b) Kommunikation Die Sicherung der Kommunikation ist bei jedem Einsatz zwingend. Die Mannschaft vor Ort muss mit dem EL in Verbindung stehen (taktischer Funk oder BüFu), der EL wiederum muss über BüFu/Telefon für die Leitstelle erreichbar sein. Der Funkverkehr ist auf das Notwendige zu beschränken. Es gilt folgende Grundregel: „Denken – Drücken – Sprechen!“ Handbuch Alpinsanitäter Seite 12 Die Leitstelle ist über BüFu („Sprechwunsch senden“) erreichbar, aber auch telefonisch über 144 oder 05522/201. Bei Netzproblemen kann eventuell ohne SIMKarte über ein Fremdnetz mit der Nummer 112 die Bezirksleitzentrale der POL erreicht werden. „Bleiben Sie immer erreichbar!“ Insbesondere muss die Bodenmannschaft für den Hubschrauber erreichbar sein (Kanal 1)! c) Allgemeine Grundsätze „Überblick behalten“: Behalten Sie auch in unübersichtlichen Situationen den Überblick und vermeiden Sie den sogenannten „Tunnelblick“. Verschaffen Sie sich immer zuerst einen Gesamtüberblick über die Lage und erst dann über den Patienten oder die Patienten. „1. Eigenschutz, 2. Patientenschutz“: Denken Sie immer an mögliche Gefahren. Ihre eigene Sicherheit und die des Patienten haben immer Priorität. „Sehen und gesehen werden“: Verwenden Sie immer eine entsprechende Warnweste, damit Sie als Funktionsträger von den anderen Einsatzkräften gefunden und vom Patienten erkannt werden. „keep cool“: Bleiben Sie auch in hektischen Situationen ruhig. Handeln Sie immer überlegt und bedenken Sie: „Zeit nehmen = Zeit gewinnen!“ Handbuch Alpinsanitäter Seite 13 „Vitalfunktionen kontrollieren“: Kontrollieren Sie bei jedem Patienten zuerst die Vitalfunktionen (Bewusstsein, Atmung, Kreislauf). Außer bei akuten äußeren Gefahren haben lebensrettende Sofortmaßnahmen immer Priorität. Lassen Sie den Patienten nie aus den Augen, Sie müssen in jedem Augenblick eine Verschlechterung seines Zustandes erkennen und sofort reagieren können. „Traumatologischer Notfallcheck durchführen“: Untersuchen Sie jeden Patienten von Kopf bis Fuß – unabhängig davon, wo der Patient Schmerzen angibt. „Wärme erhalten“: Fast alle Notfallpatienten der Bergrettung sind durch Unterkühlung gefährdet. Die meisten liegen oder sitzen auf dem kalten Boden, zum Teil sogar in Schnee und Eis. Hypothermie-Prophylaxe bzw. –Therapie ist auch im Sommer notwendig! „Patientendaten notieren“: Erheben Sie von jedem Patienten die persönlichen Daten (Name, Adresse, Geburtsdatum, Angehörige) sofort nach den wichtigsten medizinischen Sofortmaßnahmen. „NA alarmieren“: Zögern Sie nie, einen NA über die Leitstelle zu alarmieren, auch wenn Sie nicht sicher sind, ob dies notwendig ist. „Rechtzeitig handeln“: Nicht immer liegt die optimale Lösung eines Problems auf der Hand, manchmal hätte man im Nachhinein vielleicht eine bessere Idee. Trotzdem ist es immer besser, rechtzeitig das fast Richtige zu tun, als das ganz Richtige zu spät. Handbuch Alpinsanitäter Seite 14 „REDE richtig“: Die perfekte Kommunikation untereinander, besonders im Funkverkehr, aber auch mit dem Patienten ist von enormer Bedeutung. Sprechen Sie immer RUHIG, EINFACH, DEUTLICH und EINDEUTIG. „Nüchtern bleiben“: Striktes Alkoholverbot gilt nicht nur für die Retter, sondern auch für den Patienten. Außerdem dürfen Patienten wegen einer eventuell notwendigen Narkose nichts essen und nur Wasser trinken. d) Notarztindikationen Ein NA ist immer dann indiziert, wenn Sie glauben, dass ein Arzt für den Patienten hilfreich sein könnte. Unbedingt ist ein NA zu alarmieren, wenn eine vitale Gefährdung nicht sicher ausgeschlossen werden kann. In zweifelhaften Fällen ist auch die Leitstelle gerne bei der Entscheidung „NA ja/nein“ behilflich. Notarztindikationen beispielhaft: - Schwere Kopfverletzung, WS-Trauma, Oberarm-, Oberschenkel-, Beckenfraktur, Thoraxtrauma, Bauchtrauma, Pfählungsverletzung, Verrenkung (grobe Fehlstellung, offene), gestörte Durchblutung, Motorik, Sensibilität, starke Blutungen etc. - Starke Schmerzen, starke Blutung, Schock, Bewusstseinsstörung, Krampfanfall, Lähmung, Sprachstörung, Atemstörung, Kreislaufstörung, Brustschmerzen, Unterkühlung etc. - mehrere Verletzte, eingeklemmter, verschütteter, abgestürzter Patient, großflächige Verbrennung, Verätzung, Hängen im Seil, Blitzschlag, starke Unterkühlung, Lawinenunfall etc. Handbuch Alpinsanitäter Seite 15 B. Medizinische Grundlagen a) Bewusstsein Das Bewusstsein ist das Zusammenspiel von Aufmerksamkeit, Orientierung, Denken, Erinnerung und Handeln. Verschiedene systemische Störungen (Atmung, Kreislauf, Wärmehaushalt, Stoffwechsel, Vergiftung etc.) oder Verletzungen/Erkrankungen des Gehirns können das Bewusstsein beeinträchtigen. Gefährlich ist dabei vor allem der Verlust der Schutzreflexe wie Hustenreflex, Würgereflex, aber auch der Schmerzempfindung. Störungen des Bewusstseins: - Bewusstseinsveränderungen: z.B. Verwirrtheit, Angstzustand, Wahnvorstellung,… - Bewusstseinstrübung: z.B. Schläfrigkeit, Sopor, Koma,… Die Prüfung des Bewusstseins „Ansprechen Æ Berühren Æ Schmerzreiz“ erfolgt durch Ein bewusstseinsklarer Patient - öffnet spontan die Augen - spricht verständlich und ist orientiert - befolgt motorische Anweisungen korrekt Ein bewusstseinsgetrübter Patient - öffnet die Augen nur auf Aufforderung/Schmerzreiz - spricht verwirrt bis unverständlich - befolgt motorische Anweisungen nicht korrekt - reagiert inadäquat auf Schmerzreize Ein bewusstloser Patient - öffnet die Augen auch auf Schmerzreize nicht - zeigt keine verbalen Äußerungen Handbuch Alpinsanitäter Seite 16 - zeigt keine motorischen Reaktionen b) Atmung Die Atmung bewerkstelligt O2-Zufuhr und CO2Abtransport. Ein Ausfall der Atmung führt innerhalb von Minuten zu einem lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel (Hypoxie) mit irreversibler Organschädigung, in erster Linie des Gehirns. Ausdruck des Sauerstoffmangels ist eine Blauverfärbung (Zyanose) der Haut und der Schleimhäute. Eine inadäquate Atmung führt über den Sauerstoffmangel zum Bewusstseinsverlust, kann aber auch über die CO2-Anreicherung (Hyperkapnie) zur CO2Narkose führen. Die Steuerung der Atmung erfolgt durch das Atemzentrum im Hirnstamm, Störungen in diesem Bereich können naturgemäß zur Beeinträchtigung der Atmung führen. Während der Einatmung entsteht durch die Anspannung des Zwerchfells und der Rippenmuskulatur eine Volumenzunahme und damit ein Unterdruck im Brustkorb, wodurch Atemluft über die Atemwege in die Lunge strömt. In den Lungenbläschen wird O2 ins Blut abgegeben, CO2 wird aus dem Blut aufgenommen. Bei der Ausatmung verkleinern sich durch die Erschlaffung der Atemmuskulatur Brustkorb und Lunge durch ihre Elastizität wieder, die Atemluft strömt passiv wieder aus. Die Atemfrequenz ist abhängig vom Alter (Erwachsene: 10-20, Kinder 20-30, Säuglinge 30-40/Minute), das Atemzugvolumen beträgt in jedem Alter rund 6-7 ml/kg. Störungen der Atmung in verschiedenen Bereichen: - Atemluft: Lawine, Ertrinken, CO2 im Gärkeller,… - Atemregulation: SHT, Gehirnblutung, Vergiftung,… - Atemmechanik: Pneumothorax, Rippenserienfraktur,… Handbuch Alpinsanitäter Seite 17 - Atemwege: Aspiration, Fremdkörper, Zunge,… - Gasaustausch: Lungenerkrankung, Lungenödem,… c) Herz/Kreislauf Das Herz ist ein Muskel und pumpt das Blut durch das Gefäßsystem. Es besteht aus 4 Herzkammern: linker Vorhof, linke Kammer, rechter Vorhof, rechte Kammer. Das mit O2 angereicherte Blut strömt aus der Lunge zum linken Vorhof, von hier in die linke Kammer. Die linke Kammer pumpt das Blut direkt in die Hauptschlagader (Aorta) und von hier über die Arterien in den gesamten Körper. Zum Herz zurück fließt das sauerstoffarme Blut über Venen. Über die großen Hohlvenen fließt das Blut in den rechten Vorhof, von hier in die rechte Kammer, diese pumpt das Blut wieder in die Lunge. Die Herzfrequenz ist abhängig vom Alter (Erwachsene: 60-100, Kinder 80-120, Säuglinge 120-140/Minute). Störungen der Herzfunktion: - Pumpfunktion: Herzinfarkt, Herzklappendefekt,… - Rhythmusstörung: Kammerflimmern, Tachykardie,… Es gibt drei Störungen des Herzens, bei denen kein Blut ausgeworfen wird, und damit der Kreislauf still steht: - Asystolie: Fehlen jeglicher elektrischer und damit auch mechanischer Aktionen. EKG: Null-Linie. Therapie: CPR - Kammerflimmern/-flattern: Ungeordnete Erregungen, keine koordinierte Kontraktion. EKG: Flimmerwellen. Therapie: Defibrillation + CPR - Pulslose elektrische Aktivität (PEA): Elektrische Aktivität vorhanden, aber kein Blutauswurf. EKG: ev. normal. Therapie: CPR Handbuch Alpinsanitäter Seite 18 Das kontinuierliche Pumpen des Herzens erzeugt in den Arterien den Blutdruck. Durch den Blutauswurf entsteht jeweils der systolische (obere) Druck, während der Erschlaffung des Herzmuskels messen wir den diastolischen (unteren) Druck. Die Blutdruck-Normalwerte sind abhängig vom Alter. Bei Erwachsenen sind Werte zwischen 100/60 und 140/90 normal, Kinder weisen niedrigere Werte auf. - Hypotonie: Blutdruck zu niedrig. Ursachen: Blutverlust, Flüssigkeitsverlust, Pumpproblem des Herzens, Verlust des Gefäßtonus (z.B. Allergischer Schock),… - Hypertonie: Blutdruck zu hoch. Ursachen: Chronischer Bluthochdruck, Regulationsstörung (z.B. bei SHT),… Sauerstofftransport Die kontinuierliche Versorgung der Zellen, insbesondere der empfindlichen Gehirnzellen, mit O2 ist das primäre Ziel des Atmungs- und Herz-Kreislaufsystems. Dies sicherzustellen ist das wichtigste Prinzip der Notfallmedizin. Damit O2 zu den lebenswichtigen Organen kommt, sind notwendig: - Atemluft mit ausreichendem O2-Gehalt (Umgebungsluft enthält 21% O2) - Freie Atemwege (Mund/Nase, Rachen, Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien) - Funktionierende Atemmechanik (Zwerchfell, Brustkorb) - Funktionierender Gasaustausch in den Lungenbläschen - Ausreichend Transportmedium (Hämoglobin im Blut) - Intakte Blutgefäße für den Bluttransport (keine Embolie/Thrombose oder Gefäßverletzung) Handbuch Alpinsanitäter Seite 19 d) Patientenbeobachtung Die ständige Beobachtung und Beurteilung des Patienten ist Voraussetzung dafür, dass rechtzeitig die notwendigen therapeutischen und organisatorischen Maßnahmen getroffen werden können. Durch Sehen, Fühlen und Hören werden folgende Parameter beurteilt: - Bewusstseinszustand, Kommunikationsfähigkeit (orientiert, verwirrt, schläfrig, bewusstlos,…) - Schmerz (Intensität, Lokalisation,…) - Atmung (Frequenz, Atembewegungen, Geräusche,…) - Haut/Schleimhaut (blass, blau, rosig, kalt, warm, schweißig,…) - Puls (Frequenz, Stärke, Regelmäßigkeit,…) - Augen (Pupillenweite/-reaktion, Augenstellung,…) Insbesondere umfasst die Patientenbeobachtung eine regelmäßige Kontrolle der Vitalfunktionen: Bewusstsein, Atmung und Kreislauf. e) Todesfeststellung Die Todesfeststellung ist eine ärztliche Aufgabe, meist durch den NA. Bei scheinbar leblosen Personen ist daher immer ein Arzt zu verständigen, es darf primär kein Transport durchgeführt werden. Außer der Todesfeststellung ist eine Totenbeschau mit Ausstellung eines Totenscheins durch einen Gemeinde-, Amts- oder Beschauarzt durchzuführen. Zu verständigen sind in jedem Fall NA, POL und ggf. KIT. Bei Verdacht auf Selbstmord oder Vorliegen einer Straftat (Mord, Totschlag) ist darauf zu achten, möglichst nichts am Handbuch Alpinsanitäter Seite 20 Opfer bzw. der Umgebung zu verändern und auf das Eintreffen der POL zu warten. Als sichere Todeszeichen gelten: - Totenflecken: an abhängigen, nicht aufliegenden Körperstellen, rötlich/bläulich, entstehen ca. 20-30 Minuten nach Todeseintritt, sind nach ca. 12 Stunden nicht mehr wegdrückbar - Totenstarre: beginnt rund eine Stunde nach Todeseintritt an den kleinen Gelenken (z.B. Augenlider, Kiefer), löst sich nach 24-48 Stunden wieder - Fäulnis: beginnt abhängig von der Außentemperatur nach Stunden oder Tagen - Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind (z.B. Enthauptung) - steifgefrorener Körper: bei einer längeren Exposition unter 0°C Umgebungstemperatur Personen ohne Lebenszeichen müssen jedenfalls reanimiert werden, außer es liegen eindeutige Todeszeichen vor. Eine Leiche wird zugedeckt, Schaulustige ferngehalten und die POL informiert. Würde und Anstand sind im Umgang mit Toten oberstes Gebot. f) Hygiene Selten müssen Patienten versorgt werden, die an einer ansteckenden Infektionskrankheit leiden. Da dies meist im Vorhinein nicht bekannt ist, müssen alle Patienten unter Einhaltung entsprechender Vorsichtsmaßnahmen behandelt werden: - Einmalhandschuhe - Sofortige Entsorgung von Nadeln und anderen scharfen oder spitzen Artikeln in geeigneten Behältnissen Handbuch Alpinsanitäter Seite 21 - Regelmäßige Reinigung und Desinfektion aller Flächen und Gegenstände, die mit Patienten in Kontakt gekommen sind - Maske zur Beatmung verwenden - Hepatitis-Impfung vorbeugend Beim Helfer kommen als mögliche Eintrittspforten für Infektionen Schleimhäute, Wunden und Augen in Frage („Spritzer“). Bei Nadelstich- oder Schnittverletzungen sind folgende Sofortmaßnahmen indiziert: - Mehrere Minuten bluten lassen - Wunde 10 Minuten kontinuierlich desinfizieren - Betroffenen mit Patienten ins KH bringen Wenn Blut oder Körpersekrete auf die Haut geraten, wird diese sofort gereinigt und desinfiziert. Bei Schleimhautkontamination muss mit Wasser, besser mit geeignetem Desinfektionsmittel gespült werden. Gefährliche, relevante Infektionskrankheiten sind: - AIDS/HIV (Übertragung v.a. durch Blut) - Hepatitis (Übertragung v.a. durch Blut; Impfung!) - Meningitis (Tröpfcheninfektion; Mundschutz!) Handbuch Alpinsanitäter Seite 22 C. Lebensrettende Sofortmaßnahmen a) Allgemeines Der Mensch überlebt rund 30 Tage ohne Nahrung, rund 3 Tage ohne Wasser und das Gehirn rund 3 Minuten ohne O2. Die Organe des menschlichen Körpers müssen also ständig versorgt werden. Dazu muss folgendes mit O2 funktionieren: - Atmung (O2 Æ Lunge) - Gasaustausch in der Lunge (O2 Æ Blut) - Blutkreislauf (O2 Æ Organen) Ein Notfallcheck ist eine Kontrolle der wesentlichen Lebensfunktionen (=Vitalfunktionen: Bewusstsein, Atmung und Kreislauf) und besteht aus 1. Bewusstseinskontrolle 2. Freimachen der Atemwege 3. Kontrolle von Atmung/Kreislauf Die lebensrettenden Sofortmaßnahmen sind: - Rettung aus der Gefahrenzone - Absetzen des Notrufs - Reanimation (CPR) - Blutstillung - Schockbekämpfung Weitere lebenserhaltende Maßnahmen sind: - ständige Überwachung der Vitalfunktionen - SSL bei Bewusstlosen - Wärmeerhaltung b) Bewusstseinskontrolle - Ansprechen (laut) Handbuch Alpinsanitäter Seite 23 - Berühren (Hand, Schulter) - Schmerzreiz (Handrücken, Gesicht) Normale Reaktion Æ Atmung & Kreislauf sind vorhanden! Keine Reaktion Æ Patient bewusstlos c) Freimachen der Atemwege Sind die Atemwege verlegt, kann der Patient nicht atmen. Bei Bewusstlosen sinkt durch den fehlenden Muskeltonus die Zunge zurück und verschließt die Atemwege. Durch Überstrecken des Kopfes und Vorziehen des Unterkiefers (Esmarch-Handgriff) können die Atemwege wieder frei gemacht werden. Außerdem können Fremdkörper (z.B. Zahnprothesen, Erbrochenes etc.) die Atmung behindern und müssen sofort entfernt werden. Nach Freimachen der Atemwege muss kontrolliert werden, ob der Patient auch tatsächlich atmet. d) Kontrolle der Atmung/Notfalldiagnosen Maximal 10 Sekunden lang durch - SEHEN (Brustkorbbewegung) - HÖREN (Atemgeräusch) - FÜHLEN (Luftstrom) Vereinzelte, schnappartige Atemzüge („Schnappatmung“) entsprechen nicht einer effektiven Atmung und sind einem Atemstillstand gleichbedeutend. Atmet der Patient normal, liegt sicher ein Kreislauf vor: Æ NOTFALLDIAGNOSE: BEWUSSTLOSIGKEIT * Verlegung der Atemwege (Zunge) Handbuch Alpinsanitäter Seite 24 Erstickungsgefahr durch Aspiration (z.B. Erbrochenes) Atem-/Kreislaufstillstand , SSL (Kopf überstreckt, Mund am Boden) Atemwege freimachen (Unterkiefer vor, Mund offen) Notruf absetzen O2-Gabe, Sauger und AED bereit Atem- und Kreislaufkontrolle alle 2 Minuten Atmet der Patient nicht und sind auch sonst keine Lebenszeichen vorhanden: Æ NOTFALLDIAGNOSE: ATEM-/KREISLAUFSTILLSTAND * Tod , RL auf harter Unterlage Notruf absetzen CPR: - 30 mal Herzdruckmassage 5 cm tief, Mitte Brustbein, 100/Minute - 2 mal Beatmung Maske-zu-Mund (oder Mund-zu-Mund) Kopf überstreckt, Unterkiefer vor WICHTIG: - Keine Unterbrechungen der CPR - Sofortiges Anschließen des AED - Langsam blasen, mit wenig Druck (Gefahr der Magenüberblähung Æ Erbrechen Æ Aspiration) - O2 und Reservoir an Beatmungsbeutel anschließen - Sauger bereithalten Der Brustkorb muss sich bei der Beatmung heben, ansonsten: - Fremdkörper entfernen - Erbrochenes absaugen - Kopf mehr überstrecken - Unterkiefer mehr vorziehen - Maske dichter halten - Nase zuhalten (bei Mund-zu-Mund) - Guedeltubus verwenden Ist eine Beatmung überhaupt nicht möglich, wird die Herzdruckmassage ohne Pause fortgesetzt. Die CPR Handbuch Alpinsanitäter Seite 25 wird fortgesetzt, bis eine normale Atmung einsetzt oder der NA sie abbricht. e) Defibrillation/AED In vielen Fällen liegt einem Herz-/Kreislaufstillstand in den ersten Minuten ein Herzkammerflimmern oder eine pulslose Tachykardie zugrunde. Gelingt es, diesen Zustand schnell durch eine Defibrillation zu beenden und wieder einen Herzrhythmus mit Blutauswurf herzustellen, dann bestehen gute Überlebenschancen. Findet diese Defibrillation nicht zeitgerecht statt, entsteht letztendlich eine Asystolie, die Aussichten auf Erfolg sind dann weit geringer. Der Herztod ist die zweithäufigste Todesursache in den Bergen. f) Verlegung der Atemwege L Eine leichte Verlegung der Atemwege liegt vor, wenn der Betroffene sprechen und husten kann. Bei einer schweren Verlegung ist Sprechen und Husten nicht mehr möglich, es besteht Lebensgefahr. Ursächlich kommen Fremdkörper aller Art, sowie Schwellungen nach Insektenstichen oder allergischen Reaktionen in Frage. 1 Atemnot, Hustenreiz, Würgereiz, Atemgeräusche, Zyanose, Panik * Atemstillstand, Bewusstseinsverlust, Kreislaufstillstand , Fremdkörper wenn möglich entfernen. Bei Schwellung im Bereich der Atemwege: Eis lutschen. Handbuch Alpinsanitäter Seite 26 Bei leichter Verlegung: - Beruhigung und Aufforderung zu weiterem Husten - Solange der Patient atmen kann: O2-Gabe Bei schwerer Verlegung: - bei Bewusstsein: OK vornüber beugen, 5 Schläge zwischen die Schulterblätter, 5 Heimlich-Manöver - ohne Bewusstsein: Patient auf den Boden legen Æ NOTFALLDIAGNOSE: Bewusstlosigkeit g) Reanimation von Kindern Die Besonderheiten gelten bei Kindern Pubertätszeichen. - Drucktiefe ca. 1/3 der Brustkorbtiefe - Frequenz 100/Minute - Beginn der CPR mit 5 Beatmungen - Zwei Helfer: Zyklus 15:2 - Ein Helfer: Zyklus 30:2 ohne h) Starke Blutung L Ein gesunder Mensch kann einen Blutverlust von rund 20% seines Blutvolumens (also ca. 1 Liter) gut kompensieren. Größere Blutverluste führen zum Volumenmangelschock, ab 40% besteht akute Lebensgefahr. Arterielle Blutungen sind meist spritzend und wesentlich stärker als venöse Blutungen. 1 Spritzende oder schwallartige Blutung * Schock, Bewusstseinsverlust, Atem-/Kreislaufstillstand , - Eine starke Blutung muss sofort gestoppt werden, egal Handbuch Alpinsanitäter Seite 27 welche anderen Symptome vorliegen! - Blutenden Körperteil hochlagern, Patient hinlegen. Vorgehen nach Stufenplan: - Fingerdruck: Sterile Tupfer mit den Fingern auf die Wunde pressen - Druckverband: Wundauflage + Druckkörper + Umwicklung Die Durchblutung (rosige Hautfarbe, tastbare Pulse, keine gestauten Venen) und die Nervenfunktion (Motorik und Sensibilität) müssen erhalten bleiben, ansonsten wieder lösen. - Abdrücken: - Leiste (Faustdruck) - Innenseite Oberarm (Fingerdruck) - Abbindung: nur in verzweifelten Fällen (Amputation, Verletzung großer Arterie, Einklemmung, MANV) - Oberarm: Blutdruckmanschette - Oberschenkel: Dreiecktücher + Knebel oder C-A-T-System® Zeitpunkt notieren, nach 30 Min. probehalber öffnen i) Schock L Ein funktionierender Kreislauf setzt einen Blutdruck in den Arterien voraus, der das Blut durch das Gefäßsystem treibt. Ein adäquater Blutdruck kommt nur zustande, wenn das Herz als Pumpe funktioniert, eine ausreichende Blutmenge vorhanden ist, und das Gefäßsystem intakt ist. Letzteres ist intakt, wenn die Blutgefäße einen gewissen Spannungszustand haben und kein größeres Leck aufweisen. Ist ein Faktor gestört, kommt es letztlich zur Sauerstoffunterversorgung der Gewebe mit Entstehung eines lebensgefährlichen Zustandsbildes (Schock). Faustregel: Ein Schock liegt vor, wenn der Puls höher als der systolische Blutdruck ist. Handbuch Alpinsanitäter Seite 28 1 Allgemeine Schockzeichen Haut: - zunächst blass, kühl, kaltschweißig - später blau oder grau Puls: beschleunigt, schwach oder nicht tastbar Blutdruck: niedrig bis nicht messbar Bewusstsein: Schläfrigkeit bis Koma * Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, Kreislaufstillstand 1. Kardiogener Schock: L Ursache ist ein Pumpversagen des Herzens, z.B. bei Herzinfarkt. 1 - Allgemeine Schockzeichen - Blutrückstau vor dem Herzen: Lungenödem, gestaute Venen (v.a. Halsvenen) , sitzende Lagerung, außer bei Bewusstlosigkeit O2-Gabe 2. Hypovolämer Schock (Volumenmangel-Schock): L Ursache ist ein Blutvolumenmangel, meist infolge einer Blutung, aber auch anderer Flüssigkeitsverluste. 1 - Allgemeine Schockzeichen - Zentralisation, schlecht gefüllte Venen , Sofortige Blutstillung, Flachlagerung, Beine hoch O2-Gabe 3. Allergischer (anaphylaktischer) Schock: L Ursache ist eine Weitstellung der Blutgefäße auf Grund einer allergischen Reaktion. Handbuch Alpinsanitäter Seite 29 1 - Allgemeine Schockzeichen - rosige, warme Haut , Flachlagerung, Beine hoch O2-Gabe 4. Neurogener Schock: L Ursache ist eine zentrale Fehlregulation des Kreislaufsystems, z.B. bei SHT oder Verletzungen des Rückenmarks (spinaler Schock). 1 - Allgemeine Schockzeichen - Störung in Gehirn/Rückenmark , HWS-S, flache Lagerung, harte Unterlage O2-Gabe Handbuch Alpinsanitäter Seite 30 D. Arbeitstechniken a) Geräte, Material 1. Vakuummatratze (VM): L Die VM dient der Ganzkörper-Immobilisation. Jeder Patient soll auf einer VM gelagert werden, dadurch werden Schmerzen gelindert und weitere Schäden verhindert. Absolute Indikationen für den Einsatz der VM sind Rückenverletzungen, Beckenverletzungen und Oberschenkelfrakturen, geeignet ist sie jedoch für Frakturen aller Art. Das Absaugventil befindet sich meist im Bereich des Kopfteils. Ein optimales Lagerungsergebnis wird erzielt, wenn möglichst viele Helfer beim Anformen während des Absaugens mithelfen. Wegen der leichten Verletzbarkeit der VMHülle muss sie in Kombination mit einem Bergesack angewendet werden. Bei Verletzungen der WS muss außerdem aus Stabilitätsgründen eine Trage verwendet werden. 2. Absaugung: L Absauggeräte funktionieren akkubetrieben oder handbetrieben. Sie dienen der Absaugung der VM, in besonderen Situationen können damit über einen Absaugkatheter auch Sekret, Erbrochenes, Schleim etc. aus den Atemwegen abgesaugt werden. 3. Bergetuch: L Das Bergetuch dient zum Aufnehmen, Tragen und Umlagern von Patienten. Das Unterlegen des Tuchs erfolgt idealerweise nach achsengerechter Seitdrehung und anschließender Zurücklagerung des Patienten. Für Patienten mit WS- oder Beckenverletzungen ist das Handbuch Alpinsanitäter Seite 31 Bergetuch nur in absoluten Ausnahmefällen verwenden (z.B. Rettung aus Gefahrenzone). zu 4. Schaufeltrage (ST): L Die ST ist ein Bergegerät zur Verbringung eines Patienten auf die VM. Wichtig sind die richtige Größeneinstellung, sowie die Angurtung des Patienten. Im speziellen eignet sich die ST zur Bergung von Patienten mit WS-Verletzungen. 5. HWS-Schienen (HWS-S): L HWS-Schienen (z.B. Stifneck®) dienen der Stabilisierung der HWS. Sie sind bei jedem Verdacht auf HWS-Verletzungen vor Lagerung und Transport des Patienten anzulegen. Hinweisend können SHT, WSVerletzungen, entsprechende Schmerzen oder ein verdächtiger Unfallmechanismus (z.B. Lawinenunfall) sein. Bei Verletzungen im HWS-Bereich besteht immer die Gefahr der Rückenmarksverletzung mit dem Risiko einer hohen Querschnittslähmung. Die Anlage erfolgt durch zwei Helfer: einer stabilisiert die HWS inklusive Kopf, der andere befestigt die HWS-Schiene. Auf die Auswahl der richtigen Größe ist zu achten. 6. SAM-Splints®: L SAM-Splints sind vielseitig einsetzbare Aluschienen für obere und untere Extremitäten. Die Steifheit wird durch Formung in Rinnenform erzielt, die Befestigung erfolgt durch Verbandsmaterial. 7. Dreiecktuch: L Dieses Verbandstuch dient als wertvolles Verbandsmittel bei verschiedenen Verletzungen. Erwähnenswert ist die Handbuch Alpinsanitäter Seite 32 Verwendung als Armtragetuch bei Verletzung des Ober- und Unterarms, oder zur Abbindung bei unstillbaren Blutungen an Extremitäten. 8. Beatmungshilfen: L Die Standardbeatmung ist die Mund-zu-MaskenBeatmung. Dabei befindet sich der AS hinter dem Kopf des Patienten, die Maske wird mit beidseitigem C-Griff dicht gehalten. Es stehen verschiedene Maskengrößen zur Verfügung. Bei Verwendung eines Beatmungsbeutels ist ein entsprechender Filter zu verwenden. Wenn vorhanden ist O2 über das Reservoir anzuschließen. Zur Freihaltung der Atemwege kann außerdem ein Guedeltubus verwendet werden. Die passende Größe wird dabei durch Messen der Ohrläppchen-Mundwinkel-Distanz bestimmt. 9. Blutdruckmesser: L Für eine grobe Beurteilung des Patienten ist der obere (systolische) Blutdruckwert ausreichend. Tastet man am Handgelenk einen Puls, ist der systolische Druck größer als 100 mmHg, tastet man am Hals einen Puls übersteigt der Druck zumindest 70 mmHg. L Eine orientierende Blutdruckmessung erfolgt ohne Stethoskop: Manschette anbringen, Puls am Handgelenk fühlen, Manschette aufpumpen, Druck kontrolliert ablassen, bei Wiederauftreten des Pulses ist der systolische (obere) Blutdruckwert erreicht. Elektronische Blutdruckmesser messen zuverlässig entweder am Oberarm oder Handgelenk (Voraussetzungen sind ein völlig ruhiger Arm und eine richtige Haltung). Handbuch Alpinsanitäter Seite 33 10. Pulsoxymeter: L Das Pulsoxymeter misst den Anteil am roten Blutfarbstoff Hämoglobin, der mit O2 beladen ist. Als sehr einfach zu bedienendes Gerät (Fingerclip) gibt es schnell und zuverlässig Auskunft über die Effizienz der Atmung oder Beatmung. Die Sauerstoffsättigung wird in Prozent angegeben und soll immer über 95% betragen. Bei einer Sättigung unter 90% muss unbedingt O2 verabreicht werden, unter 80% ist eine (assistierte) Masken-Beatmung oder Intubation notwendig. Außerdem zeigt das Gerät die Herzfrequenz an und liefert eine Information über die periphere Durchblutung. * Die Werte sind nur dann verlässlich, wenn das Pulssignal ausreichend stark ist; Kälte, Bewegung, Schmutz oder helles Licht können Fehlmessungen zur Folge haben. Außerdem sind die Werte bei einer COVergiftung falsch hoch. 11. Sauerstoff: L Die O2-Gabe ist fast nie falsch, besonders angezeigt jedoch bei Problemen in den Bereichen Atmung, Herz und Kreislauf. Die Applikation erfolgt über eine Maske (6-8 Liter/Minute), damit werden O2 Konzentrationen um 50% erreicht. Höhere O2Konzentrationen (bis 100%) können bei Verwendung eines Reservoirs und höheren Flowraten (12 Liter/Minute) erzielt werden. Kontakt mit Feuer, Funken, Fett oder Öl ist unbedingt zu vermeiden (Explosionsgefahr!). * Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit chronischobstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) geboten, bei denen es unter O2-Gabe zu einer Verminderung des Atemantriebs kommen kann. Trübt ein derartiger Handbuch Alpinsanitäter Seite 34 Patient unter O2-Gabe ein, ist dies sofort wieder zu beenden. Berechnung des Gasvorrats: Flaschengröße * Druck (Bsp: 5 L Flasche mal 120 bar = 600 Liter Gasvorrat) 12. AED: L Kammerflimmern, Kammerflattern und extrem hohe Herzfrequenzen gehen funktionell mit einem Kreislaufstillstand (kein Blutauswurf) einher. Mit einem AED kann ein Stromimpuls abgegeben werden, wodurch diese Herzrhythmusstörungen in gewissen Fällen terminiert und in einen Herzrhythmus mit Blutauswurf überführt werden können. L AED´s sind auch von Laien zu bedienen. Sie werden heute vielfach an leicht zugänglichen Orten zur allgemeinen Verwendung angebracht (PAD oder public access defibrillator), oder sind Teil der BergrettungsAusrüstung. Die Geräte weisen den Bediener akustisch und optisch zur Bedienung, aber auch zur Beatmung und Herzdruckmassage an. L Das Rettungsteam beginnt wie üblich mit Notfallcheck und CPR und klebt unter laufender CPR die Elektroden auf den Brustkorb (unter rechtem Schlüsselbein bzw. an linker Brustkorbwand). Über diese wird die elektrische Herzaktivität abgeleitet, „defibrillationswürdige“ Rhythmen werden erkannt und eine Schockabgabe gegebenenfalls empfohlen. L Der Patient darf während der Defibrillation nicht berührt werden, eine Defibrillation ist in nasser Umgebung zu unterlassen. Aludecken und O2 müssen entfernt werden. Für Kinder stehen besondere Defi-Elektroden Handbuch Alpinsanitäter Seite 35 zur Verfügung. Bei Patienten mit einer KKT unter 30°C sind maximal drei Defibrillationsversuche zu unternehmen. b) Rettungsgriffe Zur schnellen Rettung aus einer Gefahrenzone, auch aus Fahrzeugen, dient der Rautekgriff: Der Helfer greift unter den Achseln des Patienten durch und erfasst dessen Unterarm. Patienten mit WS-Verletzungen werden mit dem Brückentragegriff umgelagert: 3 Helfer stehen in Grätschstellung über dem Patienten, ein vierter kniet beim Kopf (gibt Kommando), ein fünfter schiebt nach Anheben die Trage unter den Patienten. c) Lagerungen Lagerungsmaßnahmen zählen zu den wichtigsten Maßnahmen des AS: die richtige Lagerung hilft Schmerzen zu lindern, Folgeschäden zu vermeiden und kann sogar lebensrettend sein. Allerdings wird ein Patient nie zu einer Lagerung gezwungen. - Schocklagerungen: Blutung allgemein: Atemnot: Hitzeschaden: bewusstlos: CPR: Herzprobleme: Kollaps: Schwangere: Handbuch Alpinsanitäter siehe Kapitel „Schock“ liegend, blutender Teil hoch sitzend, Hände aufgestützt OK hoch SSL RL, harte Unterlage OK hoch, sitzend Beine hoch, Kopf tief Linksseitenlage Seite 36 - SHT: - Blutung Gesicht: Thoraxtrauma: Bauchtrauma: WS-Trauma: Beckentrauma: HWS-S, erhöhter OK (Hirndruck!), prophylaktisch SSL (Erbrechen!) SSL, Gesicht unten OK hoch, RL/SSL (auf verletzte Seite) RL, Knierolle, Kopfpolster HWS-S, RL, ST, VM RL, ST, VM d) Notarztassistenz L Der Sinn der NA-Assistenz besteht darin, den NA bei seiner Arbeit zu unterstützen. Der gute Assistent reicht dem NA zum richtigen Zeitpunkt das richtige Material. Dies setzt voraus, dass der Assistent sein Material kennt, dieses im Rucksack findet und weiß, wie es dem NA zu reichen ist. Der Assistent hält sich immer an die Anweisungen des Arztes und fragt nach, wenn etwas unklar ist. L Der Arzt befindet sich meist beim Kopf des Patienten. Der erste AS kniet neben dem Patienten, bedient den NA-Rucksack und assistiert dem Arzt. Der zweite AS kümmert sich um das Monitoring und übernimmt im Wechsel mit dem ersten die Herzdruckmassage. L Für folgende Standardprozeduren ist jeweils Standardmaterial in angegebener Reihenfolge vorzubereiten: - Venenzugang: Handschuhe, Stauband/-schlauch, Desinfektionsmittel, Venenverweilkanüle (verschiedene Größen), Fixiermaterial, Abfallbehälter (für Nadel), Verschlussstöpsel - Infusion: Infusionsbeutel, Infusionsbesteck Handbuch Alpinsanitäter Seite 37 - Medikament: Ampulle, Nadel, Spritze (je nach Ampullengröße), Abfallbehälter, Stift (Beschriftung) - Beatmung: Handschuhe, Beatmungsbeutel, Beatmungsmaske (verschiedene Größen), ev. Guedel-/Wendltubus, O2, Absaugpumpe mit Absaugkatheter - Intubation: Handschuhe, Beatmungsbeutel, Beatmungsmaske (verschiedene Größen), ev. Guedel-/Wendltubus (verschiedene Größen), O2, Absaugpumpe mit Absaugkatheter, Laryngoskopgriff, Laryngoskopspatel (funktionierendes Licht, verschiedene Größen), Tubus (verschiedene Größen), Führungsstab mit Gleitmittel, Blockerspritze (20 ml), Fixierband/-pflaster, Stethoskop Handbuch Alpinsanitäter Seite 38 E. Allgemeine Traumatologie a) Traumatologischer Notfallcheck Nach der Kontrolle der Vitalfunktionen und ggf. nötigen Maßnahmen dient der traumatische Notfallcheck dazu, einen Überblick über die Verletzungen des Patienten zu erhalten. Der Patient wird systematisch von Kopf bis Fuß untersucht, um nichts zu übersehen. Zu jeder Körperregion wird er befragt, überall inspiziert und abgetastet. Die Kleidung wird so weit wie nötig geöffnet, entfernt aber nur bei offenen Verletzungen. KOPF: Eindellungen, Schwellungen, Blutungen aus Nase/Mund/Ohr, Wunden, Pupillengröße HALS: Wunden, Hautemphysem, Halsvenenstauung, Prellmarken THORAX: Druckschmerzen, Wunden, Atembewegungen, Prellmarken, Hautemphysem WS: Schmerzen, Motorik, Sensibilität BAUCH: Druckschmerzen, gespannte Bauchdecke, Prellmarken, Wunden BECKEN: Stabilität, Schmerzen EXTR: Schwellungen, Wunden, Druckschmerzen MDS: - Motorik (aktive Bewegung) - Durchblutung (Puls) - Sensibilität (Gefühl) b) Wunden Zu einer Wundversorgung müssen aus Gründen des Eigenschutzes immer Einmalhandschuhe getragen werden. Eine Wunde wird mit einer ausreichend großen sterilen Wundauflage (z.B. Tupfer) bedeckt, damit sie vor Schmutz und Keimen geschützt ist. Die Wundauflage Handbuch Alpinsanitäter Seite 39 wird dann mit einem Verband befestigt, dieser dient als mechanischer Schutz. Durch den Verband dürfen Blut- und Nervenversorgung nicht beeinträchtigt werden. Die betroffene Extremität wird hochgelagert. Fremdkörper werden grundsätzlich nicht entfernt (Gefahr starker Blutung bzw. Abbrechen des Fremdkörpers), außer sie sind oberflächlich und lassen sich leicht entfernen oder abwaschen. Verschmutzte Wunden werden mit klarem Wasser gespült. Wunden können mit einem Schleimhautoder Wunddesinfektionsmittel (z.B. Betaisodona®, Octenisept®) desinfiziert werden. Starke Blutungen (spritzend, schwallartig) müssen sofort gestoppt werden: siehe Kap. „Starke Blutung“. Allgemein sollten alle Wunden innerhalb von 6-8 Stunden versorgt werden, um Infektionen und Störungen der Wundheilung vorzubeugen. Neben der Wundversorgung ist ggf. eine Tetanus-Auffrischungsimpfung und eine Behandlung mit Antibiotika notwendig. c) Verbrennungen L Verbrennungen entstehen durch Einwirkung großer Hitze auf Haut oder Schleimhaut. Entscheidend sind Flächen- und Tiefenausmaß der Verbrennung, besonders gefährlich sind Verbrennungen bei Kindern und alten Menschen. Bei heißen Flüssigkeiten spricht man von einer Verbrühung. 1 Grad I: Rötung, Schwellung, Schmerzen; heilt vollständig aus, z.B. leichter Sonnenbrand Grad II: zusätzlich Blasenbildung, feuchter Wundgrund; längerer Heilungsprozess, eventuell Narbenbildung Grad III: völlige Gewebezerstörung, trockene Wunde; Handbuch Alpinsanitäter Seite 40 keine Durchblutung/Schmerzen, ev. Verkohlung * Schock, Infektionsgefahr, Schwellung (Atemwege!) , - Patient aus Gefahrenbereich retten Brennende Kleidung löschen Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Verklebte Kleidung nicht entfernen Verbrannte Stellen sofort mit Wasser kühlen (für rund 10 Minuten), bei Verbrennungen >20% KOF wegen Hypothermiegefahr keine Kühlung Steril verbinden, spezielle Wundauflagen (z.B. metallisierte) verwenden Wärmeerhalt (nasse Kleidung entfernen!) Schmuck entfernen (bevor Schwellung eintritt) NA-Indikation Verbrennung der Atemwege: Einatmen heißer Rauchgase Æ starke Schwellungsgefahr Æ Erstickungsgefahr! Das Verbrennungsausmaß kann anhand der NeunerRegel abgeschätzt werden: Eine Handfläche entspricht ca. 1% der KOF, der Kopf 9%, die Arme je 9%, die Beine je 18% und der Rumpf insgesamt 36%. Ab 10% verbrannter KOF können Schocksymptome auftreten, bei Kindern schon wesentlich früher. d) Verätzungen L Verätzungen sind chemische Wunden (Haut oder Schleimhaut), die durch Laugen, Säuren oder andere ätzende Substanzen verursacht werden. 1 Rötung, Schwellung, Schmerzen, Schorfbildung Handbuch Alpinsanitäter Seite 41 * Tiefe Wunden, Flüssigkeitsverlust, Schockgefahr, Infektionsgefahr, Speiseröhren- oder Magenperforation , - Schutzhandschuhe! Kontaminierte Kleidung sofort entfernen Ausgiebige Spülung mit klarem Wasser steriler Verband Informationen über die Substanz einholen NA-Indikation Handbuch Alpinsanitäter Seite 42 F. Spezielle Traumatologie a) SHT, Gesichtstraumen L Jegliche Gewalteinwirkung auf den Kopf kann zu Verletzungen des Schädels, des Gehirns und der HWS führen. Bewusstseinsstörungen sind Warnzeichen für Gehirnschäden, motorische oder sensible Defizite weisen auf Verletzungen im Bereich der HWS hin. Gedächtnislücken und/oder eine kurze Bewusstlosigkeit sind Zeichen für eine Gehirnerschütterung (Commotio). 1 - Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen Prellmarken, Brillenhämatom, offene Fraktur, Wunden Gehirnaustritt Bewusstseinsstörungen, Erinnerungslücken Seh- und Sprachstörungen, Lähmungen, Krämpfe Blut/Liquor aus Nase/Ohr (V.a. Schädelbasisfraktur) Pupillenstörung (Seitendifferenz, keine Lichtreaktion) * - Gehirnblutung (ev. Zustandsverschlechterung nach längerer Zeit!) - Hirndrucksteigerung, Bewusstlosigkeit, Aspiration - Atemstörungen, Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe HWS-S, ST, VM SSL (Aspirationsschutz), erhöhter OK (Hirndruck) Wundversorgung Ständige Kontrolle der Pupillen und Vitalfunktionen NA-Indikation Wichtige Fragen: - War der Patient anfänglich bewusstlos? - Kann er sich an den Unfallhergang erinnern? Handbuch Alpinsanitäter Seite 43 b) Augentraumen L Augenverletzungen entstehen durch direkte Gewalteinwirkung (spitz, stumpf) oder eingebrachte Fremdkörper, seltener sind Verätzungen. 1 - Rötung, Schwellung, Tränen, Bulbusfehlstellung - Fremdkörpergefühl, Lidkrampf, Sehstörung, Schmerzen * Spätfolgen bis Erblindung , - erhöhter OK - Oberflächliche Fremdkörper können in Richtung Nase ausgespült oder ausgewischt werden - Beide Augen mit sterilem Tupfer verbinden - Verätzung: ausgiebig mit klarem Wasser spülen (Seitenlage, betroffenes Auge unten) - Transport in ein KH mit Augenabteilung Wichtig: - Fremdkörper im Auge sind oft kaum zu erkennen Æ im Zweifel immer augenärztliche Untersuchung! - Eine Pupillenerweiterung kann auch Folge einer Augenverletzung oder Vergiftung sein und muss nicht immer auf eine Störung im Gehirn hinweisen. c) Halstraumen L Halsverletzungen sind gefährlich, weil hier empfindliche Strukturen wie Rückenmark, große Blutgefäße oder die Atemwege relativ schlecht geschützt und damit leicht verletzlich sind. 1 - Schmerzen, Prellmarken, offene Wunden, Blutung Handbuch Alpinsanitäter Seite 44 - neurologische Ausfälle, Atemnot * Ersticken, starke Blutung, neurologische Ausfälle , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Wundversorgung Kopf unter Zug halten, HWS-S, Flachlagerung Neurologische Kontrolle (Motorik und Sensibilität) NA-Indikation d) Wirbelsäulentraumen L WS-Verletzungen sind gefährlich, weil das darin verlaufende Rückenmark mitverletzt werden kann (Gefahr der Querschnittslähmung). Sie sind grundsätzlich häufig beim Sturz aus großer Höhe. Bei Lawinenopfern oder Kopfverletzungen ist speziell an HWS-Verletzungen zu denken. 1 - Schmerzen Störungen der Motorik (Æ Lähmungen) Störungen der Sensibilität (Æ Gefühlsstörungen) unkontrollierter Stuhl-/Harnabgang * Atemstillstand / Kreislaufversagen (hoher Querschnitt) , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Kopf unter Zug halten, HWS-S, Flachlagerung Immobilisation der gesamten WS (RL, ST, VM) Achsengerechtes Drehen MDS-Kontrolle NA-Indikation Wichtig: - Lebensrettende Sofortmaßnahmen haben Priorität! Handbuch Alpinsanitäter Seite 45 - An die Möglichkeit einer WS-Verletzung muss bei jedem bewusstlosen Traumapatienten gedacht werden! - Der Zeitfaktor ist nicht primär entscheidend, viel wichtiger sind eine sorgfältige Lagerung und ein schonender Transport. e) Thoraxtraumen L Häufige Diagnosen sind Prellungen und Frakturen der Rippen oder des Brustbeins. Im Brustkorb befinden sich Herz, Lungen und zentrale Blutgefäße, bei deren Verletzung können lebensbedrohliche Störungen auftreten. Auch geschlossene Brustkorb-Verletzungen haben mitunter schwere innere Verletzungen zur Folge. 1 - Schmerzen, Atemnot, Reizhusten - Prellmarken, Zyanose - abnorme Atembewegungen bei instabilem Brustkorb - Pneumothorax: Halsvenenstauung, Hautemphysem, Schock * - Schock, Atemstillstand, Kreislaufstillstand - Pneumothorax: Kollabieren eines Lungenflügels bei Luftansammlung zwischen Lunge und Brustwand - Rippenserienfraktur: oft instabiler Thorax mit Ateminsuffizienz - Hämatothorax: Blutung im Brustkorb - Herzkontusionen: Herzrhythmusstörungen , - OK hochlagern, ev. auf die verletzte Seite Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe ev. assistierte Beatmung zügiger Transport ins KH NA-Indikation Handbuch Alpinsanitäter Seite 46 f) Bauchtraumen L Bauchtraumen sind meist stumpf, selten kommt es zu offenen Bauchverletzungen. Bauchorgane (v.a. Leber, Milz, Nieren) können immer mitverletzt werden, die größte Gefahr liegt dabei in lebensgefährlichen, unkontrollierbaren inneren Blutungen. Diese können auch nach längerer Zeit plötzlich auftreten. 1 - Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen (ev. blutig) - Prellmarken, gespannte Bauchdecke, Schockzeichen * Innere Blutungen, Schock, Kreislaufversagen , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe - Flachlagerung, Knierolle, Nackenrolle - Ev. austretende Darmschlingen steril abdecken, mit Infusionslösung benetzen - Fremdkörper belassen, steril abdecken - bei V.a. Blutung zügiger Transport ins KH - NA-Indikation g) Beckentraumen L Beckentraumen sind besonders gefährlich, weil sie mit großen Blutverlusten und Organverletzungen einhergehen können. Die Abgrenzung von Oberschenkelfrakturen im Hüftbereich ist schwierig. An eine Beckenfraktur ist vor allem beim Sturz aus großer Höhe zu denken. 1 - Starke Schmerzen, gespannte Bauchdecke - Beckeninstabilität, Fehlstellung eines Beins * Innere Blutung, Schock, Kreislaufversagen Handbuch Alpinsanitäter Seite 47 , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Immobilisation in RL, ST, VM Beckenkompressionsgurt MDS-Kontrolle NA-Indikation h) Extremitätentraumen L Die Verletzungen können vielfältig sein: - Weichteilverletzungen (Quetschungen, Prellungen, Muskelriss, Sehnenriss, Bänderriss, -zerrung) - Gelenksverletzungen (Verstauchung, Verrenkung) - Knochenverletzungen (offene / geschl. Frakturen) 1 Schmerzen, Prellmarken, Schwellung, Bluterguss, Fehlstellung, Bewegungseinschränkung, Gefühlsstörungen, Amputation * Problematisch ist in erster Linie der Blutverlust bei Gefäßverletzungen (offene Frakturen oder innere Blutungen bei Frakturen großer Röhrenknochen) Æ Schock. Gefährlich sind außerdem Durchblutungsstörungen, Nervenverletzungen oder Infektionen bei offenen Frakturen. , - Entkleiden/Aufschneiden, um offene Verletzungen zu erkennen (ggf. Blutstillung, Wundversorgung) - Uhren/Ringe entfernen (Schwellung!) - MDS-Kontrolle an Hand und Fuß: - Motorik (Bewegung?) - Durchblutung (Hautfarbe, Hauttemperatur, Puls?) - Sensibilität (Gefühl, Kribbeln?) - Reposition: Ist M, D oder S bei grober Fehlstellung Handbuch Alpinsanitäter Seite 48 - - gestört und länger kein Arzt verfügbar, muss unter Längszug eine annähernd achsengerechte Lage hergestellt werden. Schuhe/Handschuhe lockern, aber nur bei MDSStörung oder Blutung entfernen (Kältegefahr!) Immobilisation/Schienung: SAM-Splint, VM, Dreiecktuch Hochlagerung Amputation: - Blutstillung und Wundversorgung am Stumpf - Amputat steril einpacken, kühl lagern, aber keine direkte Eiskühlung O2-Gabe NA-Indikation bei Frakturen des Oberschenkels, starken Schmerzen, Luxationen, größerem Blutverlust, MDS-Störungen, Teilamputationen und Amputationen i) Polytrauma L Ein Polytrauma ist eine Kombination mehrerer Verletzungen, von denen zumindest eine, oder die Kombination lebensbedrohlich ist. 1 Mehrere Einzelverletzungen, Schocksymptomatik * Atemstillstand, Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Lagerung nach Verletzungsmuster, ST, VM ständige Kontrolle der Vitalfunktionen Wundversorgung, Blutstillung NA-Indikation Wichtig: Priorität hat immer die Sicherung der Vitalfunktionen, alles andere ist sekundär! Handbuch Alpinsanitäter Seite 49 G. Nicht-traumatische Notfälle a) Kopf 1. Schlaganfall/Gehirnblutung: L Einem Schlaganfall liegt entweder eine Durchblutungsstörung oder eine Blutung im Gehirn zugrunde. Je nach Lokalisation können Motorik, Sensibilität, Sprache, Sehen etc. beeinträchtigt sein. 1 Plötzliche Schwäche oder Gefühlsstörung, herabhängender Mundwinkel, Sprachstörung, Sehstörung, Pupillenstörung, Kopfschmerz, Schwindel, Gangunsicherheit, unkontrollierte Stuhl-/Harnentleerung, Bewusstseinsstörung, Bewusstlosigkeit, Krampfanfall * Bewusstlosigkeit, Aspiration, Atemstörungen, Kreislaufstörungen , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe SSL (auch bei nicht Bewusstlosen) Strenge Überwachung der Vitalfunktionen NA-Indikation 2. Epileptischer Anfall L Aufgrund einer Funktionsstörung im Gehirn kommt es zu unkontrollierter elektrischer Aktivität, wodurch lokalisierte oder generalisierte Krampfanfälle auftreten können. 1 - Muskelstarre oder Muskelzuckungen - Atemstillstand während des Anfalls mit Zyanose - Stuhl-/Harnabgang - Zungenbiss, Schaum vor dem Mund, Nach dem Anfall: Benommenheit, Nachschlafphase Handbuch Alpinsanitäter Seite 50 * - Aspiration, Verletzungen durch Sturz, Atemstörung - anhaltender Krampfanfall (Status epilepticus) , - Schutz vor Verletzungen während des Anfalls Prophylaktisch SSL, Atemwege freimachen O2-Gabe NA-Indikation Wichtig: Keinen Beißschutz einbringen 3. Nasenbluten: L Ursächlich kommen Blutgerinnungsstörungen, Trauma oder Bluthochdruck in Frage. Ausgangspunkt der Blutung ist meist der vordere Nasenabschnitt. 1 Bei nach vorne gebeugtem Kopf tropft Blut aus der Nase * - Schlucken des Blutes Æ Erbrechen , - Sitzende Position, Kopf nach vorne gebeugt Blut ausspucken, nicht schlucken! 10 Minuten anhaltend Nasenflügel aneinanderpressen Ev. Nase mit zusammengerolltem Tupfer tamponieren Medikamentenanamnese (Blutverdünnung?) massive Blutung: Schockbekämpfung, NA-Indikation b) Lunge 1. Asthma: L Asthma-Anfälle werden ausgelöst durch plötzliche Einengung der Bronchien mit erhöhter Schleimsekretion, meist infolge einer allergischen Reaktion, eines psychischen Ausnahmezustandes oder durch Trigger wie Staub oder kalte Luft. Dabei ist Handbuch Alpinsanitäter Seite 51 insbesondere die Ausatmung Atemnot ist die Folge. 1 - behindert, akute akute Atemnot, ev. pfeifende Atemgeräusche aufrechte Körperhaltung, Atemhilfsmuskulatur Angstzustand, Panik Zyanose * - Anhaltender Asthma-Anfall (Status asthmaticus) - Atem-/Kreislaufstillstand , - OK hochlagern Patient beruhigen, Anleiten zu ruhiger Atmung O2-Gabe Asthmaspray (Eigenanwendung) NA-Indikation 2. Aspiration: L Beim Bewusstlosen erlöschen die Schutzreflexe, sodass Blut, Schleim, Erbrochenes oder Fremdkörper in Luftröhre und Bronchien eindringen können, ohne dass entsprechende Abwehrreaktionen (Husten) folgen. Dadurch werden die Atemwege verlegt, es folgen schwere Atemstörungen. Wenn die Masken- oder Mund-zu-Mund-Beatmung falsch erfolgt, gelangt Luft in den Magen. Der Patient kann erbrechen, die Folge ist meist eine Aspiration. 1 - Blut, Erbrochenes etc. in der Mundhöhle - akute Atemnot, Atemgeräusche - Zyanose * Atemstillstand, Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe - SSL, Kopf überstrecken Handbuch Alpinsanitäter Seite 52 - Absaugen, Fremdkörper entfernen - NA-Indikation 3. Lungenödem: L Ein Lungenödem ist eine Flüssigkeitsansammlung in der Lunge, die den Gasaustausch massiv behindert. Ursache ist meist eine Herzschwäche und damit ein Rückstau des Blutes in die Lunge, seltener ist ein Lungenödem Folge einer Reizgasinhalation (toxisch), einer Allergie oder großer Höhe (Höhenlungenödem). 1 - akute Atemnot, Zyanose - gurgelnde Rasselgeräusche, schaumiges Sekret * Atem-/Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe - Sitzende Lagerung - NA-Indikation 4. Hyperventilationstetanie: L In psychischen Ausnahmezuständen kann es zu einer abnormal gesteigerten Atmung (Hyperventilation) kommen. Folge davon ist ein CO2-Abfall und pH-Anstieg im Blut mit Änderungen der Elektrolytverhältnisse. Dadurch können u.a. Krämpfe und Kribbelgefühle ausgelöst werden. 1 - Beschleunigte Atmung, Tachykardie, Hypertonie Unruhe, Angst, subjektive Atemnot Kribbeln in Armen / Beinen, „Pfötchenstellung“ „Karpfenmund“, Taubheitsgefühl an Lippen / Zunge * harmlos Handbuch Alpinsanitäter Seite 53 , - Beruhigung, Anhaltung zu ruhigem Atmen, Ablenkung - Rückatmung in Plastiktüte (nur bis Symptome besser) c) Herz/Kreislauf 1. Herzrhythmusstörungen: L Normale Herzfrequenz: 60-100/Minute. - Bradykardie: Frequenz<60 - Tachykardie: Frequenz>100 - Arrhythmie: unregelmäßiger Herzschlag - Extrasystolen: Extraschläge 1 - Patient spürt „Herzstolpern“, Thoraxschmerzen - Entsprechender Pulstastbefund, EKG-Befund * Kreislaufstörungen, Schock, Bewusstlosigkeit Kreislaufstillstand, Atemstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED - CPR bei Asystolie, Kammerflimmern und PEA - NA-Indikation 2. Herzversagen: L Unter Herzversagen versteht man eine Pumpeinschränkung, z.B. aufgrund einer Herzmuskelschwäche, eines Herzinfarkts oder eines Herzklappenproblems. 1 - Hypotonie, Tachykardie Schockzeichen, Zyanose Lungenödem, Atemnot Gestaute Halsvenen und Schwellung der Beine * Schock, Bewusstseinsstörung, Atem-/Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED Handbuch Alpinsanitäter Seite 54 - Sitzende Lagerung, außer bei Schock - NA-Indikation 3. Angina pectoris, Herzinfarkt: L Bei einer Verengung der Herzkranzgefäße kommt es unter Belastung (körperlich oder psychisch) zu einer Mangelversorgung des Herzmuskels, wodurch typische Schmerzen entstehen (Angina pectoris, Besserung durch körperliche Ruhe und Nitro-Spray). Durch den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes kommt es zum irreversiblen Absterben von Herzmuskelgewebe (Herzinfarkt, Dauerschmerz). 1 - Heftige Brustschmerzen, ev. ausstrahlend Engegefühl, Atemnot, Angst, Übelkeit, Erbrechen Herzrhythmusstörungen Zyanose, gestaute Halsvenen, Lungenödem Schockzeichen * Herzrhythmusstörungen, Schock, Bewusstlosigkeit, Atem-/Kreislaufstillstand , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED Beruhigung, OK hochlagern, „völlige Entspannung“ Absolutes aktives Bewegungsverbot Nitro-Spray (Eigenanwendung) NA-Indikation 4. Bluthochdruckkrise: L Eine Bluthochdruckkrise ist gekennzeichnet durch ein lebensbedrohliches Ansteigen des Blutdrucks über 220/120. Ursächlich liegt eine abnorme Engstellung der arteriellen Blutgefäße zugrunde, wodurch das Handbuch Alpinsanitäter Seite 55 Herz gegen einen enormen Widerstand Blut auswerfen muss. 1 - Blutdruck > 220/120 Schwindel, Sehstörung, Kopfschmerzen, Ohrensausen Übelkeit, Erbrechen Brustschmerz, Herzklopfen, Atemnot Nasenbluten * Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt, Lungenödem, Schlaganfall, Bewusstseinsstörung , - Beruhigung Sitzende Lagerung O2-Gabe Nitrospray (Eigenanwendung) NA-Indikation 5. Synkope: L Durch Schmerz, Angst, Schreck, starke Emotion, schnelles Aufstehen, Herzrhythmusstörungen, Hitze, langes Stehen und andere Auslöser kann es zu vorübergehenden Kreislaufregulationsstörungen kommen. Folge davon ist eine Mangeldurchblutung des Gehirns mit kurzzeitiger Bewusstlosigkeit. 1 - Schwindel, Übelkeit, Schwarzwerden kurzzeitige Bewusstlosigkeit, Blässe, Schwitzen Tonusverlust der Muskulatur meist jüngere Menschen * Verletzungen bei Sturz , - Flachlagerung, Beine hoch - O2-Gabe, Frischluftzufuhr Handbuch Alpinsanitäter Seite 56 d) Abdomen/Stoffwechsel 1. Akutes Abdomen: L Unter einem akuten Abdomen versteht man akut einsetzende Bauchschmerzen, denen verschiedene, mitunter lebensbedrohliche Erkrankungen (z.B. Darmverschluss, Magen-Darm-Blutung, Darmentzündung, Darmperforation etc.) oder ein Trauma (z.B. Perforation, Blutung etc.) zugrunde liegen können. 1 - Starke Bauchschmerzen, Bauchdeckenspannung - Übelkeit, Erbrechen, Durchfall - Schockzeichen * Innere Blutung, Kreislaufstörungen, Schock , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Leicht erhöhter OK, Knierolle Absolutes Ess- und Trinkverbot NA-Indikation 2. Hypoglykämie (Unterzucker): L Diabetiker müssen Insulin, welches den Zuckerspiegel im Blut senkt, aufgrund unzureichender oder fehlender Eigenproduktion (Bauchspeicheldrüse) in Abhängigkeit von der Kohlenhydrataufnahme spritzen. Zu viel Insulin (z.B. Dosierungsfehler), zu wenig Kohlenhydrate (z.B. körperliche Aktivität) oder eine Alkoholintoxikation können zum Unterzucker führen. 1 - Heißhunger, Bauchschmerzen, Schwäche, Doppelbilder Bewusstseinsveränderung, Müdigkeit, Verwirrtheit Unruhe, Tachykardie, Zittern, Schwitzen gemessene Blutzuckerwerte < 30-50 mg/dl bekannter Diabetiker Handbuch Alpinsanitäter Seite 57 * Bewusstlosigkeit, Atem-/Kreislaufstillstand , - Ansprechbar: Zuckergabe (z.B. Schokolade, Traubenzucker, Limonade etc.) - Bewusstlos: - lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe - NA-Indikation - Es kann Zucker unter die Zunge verabreicht werden. Dabei ist zu beachten, dass dieser Zucker auf keinen Fall aspiriert wird. Wichtig: - Wenn nicht klar ist, ob beim bekannten Diabetiker Unteroder Überzucker vorliegt, kann Zucker probehalber verabreicht werden. - Neben Zucker als Sofortmaßnahme müssen bei der Hypoglykämie auch länger anhaltende Nährstoffe (Brot, Nudeln, Reis,…) zugeführt werden. e) Intoxikationen 1. Alkohol: L Eine Alkoholvergiftung kann lebensgefährlich sein, wenn im Rahmen der Bewusstlosigkeit die Schutzreflexe erlöschen. Ohne Schutzreflexe ist beim Erbrechen eine Aspiration wahrscheinlich, der Patient kann ersticken. 1 Rauschzustand, Euphorie, Aggressivität, Schläfrigkeit, Augenrötung, Übelkeit, Erbrechen, Sprachstörung, Alkoholgeruch * - Bewusstlosigkeit, Aspiration Atemstillstand, Kreislaufstillstand Verletzungen durch Sturz Unterkühlung durch Weitstellung der Gefäße Handbuch Alpinsanitäter Seite 58 , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Hypothermie-Prophylaxe/-Therapie SSL (Aspirationsschutz!), auch prophylaktisch NA-Indikation bei Bewusstlosigkeit Wichtig: - Bewusstseinsgetrübte Patienten nie allein lassen! - Ein Patient mit Unterzucker (Hypoglykämie) kann ähnlich wirken wie ein stark Betrunkener! - Die toxische Grenze ist abhängig von der Gewöhnung, bereits ab 2 Promille ist Lebensgefahr möglich. 2. Kohlenmonoxid CO, Rauchgas: L CO ist farblos, geruchlos und geschmacklos. Es entsteht bei der unvollständigen Verbrennung organischer Substanzen (Autoabgase, schlechte Öfen,…). CO bindet an die roten Blutkörperchen und verdrängt dort den Sauerstoff. Rauchgase können die Lunge schädigen, Symptome (z.B. Lungenödem) können mitunter erst nach Stunden auftreten. 1 - Kopfschmerzen, Atemnot, Bewusstlosigkeit - Rußpartikel im Gesicht, in den Atemwegen * Lungenödem, Atem-/Kreislaufstillstand, Tod , - Bergung aus dem Gefahrenbereich (FW!) Lebensrettende Sofortmaßnahmen O2-Gabe (mit hohem flow) NA-Indikation 3. Kohlendioxid CO2, Gärgase: L CO2 ist farblos und geschmacklos, es riecht leicht säuerlich. Es entsteht u.a. bei Gärprozessen in WeinHandbuch Alpinsanitäter Seite 59 kellern, Silos oder Jauchegruben. Es ist schwerer als Luft, sammelt sich daher am Boden („KohlendioxidSee“) 1 Gärprozess, Bewusstlosigkeit * Atem-/Kreislaufstillstand, Tod , - Bergung aus dem Gefahrenbereich (FW!) Lebensrettende Sofortmaßnahmen O2-Gabe (mit hoher Flussrate) NA-Indikation f) Sonnenbedingte Notfälle 1. Sonnenstich: L Durch intensive direkte Sonneneinstrahlung des unbedeckten Kopfes (Achtung Glatzenträger, Kleinkinder) und Nackens entsteht eine Reizung und Schwellung der Hirnhäute. Dies tritt mitunter erst Stunden nach der Exposition auf. 1 - Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Kollaps, heißer Kopf - Kopf- und Nackenschmerzen bis Nackensteifigkeit * Gehirnödem, Krämpfe, Bewusstlosigkeit, Schock , - Sonnenschutz, Ruhepause, OK hochlagern Flüssigkeitszufuhr, Elektrolytzufuhr (Mineralwasser) externe Abkühlung (nasse Tücher auf Kopf/Nacken) NA-Indikation 2. Hitzschlag: L Durch Stoffwechselprozesse, insbesondere Muskelaktivität entsteht Körperwärme, die hauptsächlich über die Handbuch Alpinsanitäter Seite 60 Haut abgegeben wird. Ist die Umgebungstemperatur bzw. Luftfeuchtigkeit zu hoch, versagt die Thermoregulation und die Körpertemperatur steigt (Wärmestau). Lebensgefahr ab 40°C KKT. 1 - Schwäche, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen - heiße Haut (ev. ohne Schweißbildung), Kopfschmerzen - schnelle Atmung, Tachykardie, Kollaps * - Atemstillstand, Schock, Kreislaufstillstand - Bewusstseinstrübung, Gehirnschäden , - Sonnenschutz, Ruhepause, OK hochlagern Flüssigkeitszufuhr, Elektrolytzufuhr (Mineralwasser) externe Abkühlung (nasse Tücher auf Haut) NA-Indikation 3. Hitzeerschöpfung: L Bei ungenügender Flüssigkeitszufuhr und körperlicher Anstrengung (Schwitzen!) entsteht ein Flüssigkeitsund Elektrolytmangel. 1 Durst, Schwäche, Schwindel, Hypotonie, Tachykardie, Muskelkrämpfe, Kollaps, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen * Bewusstlosigkeit, hypovolämer Schock , - Flachlagerung - Flüssigkeitszufuhr, Elektrolytzufuhr (Mineralwasser) - Sonnenschutz, Ruhepause 4. Hitzekollaps: L Durch Wärmeeinwirkung kommt es zur Erweiterung der peripheren Blutgefäße und zum Versacken des Blutes Handbuch Alpinsanitäter Seite 61 in die unteren Körperpartien, längerem Stehen. typischerweise nach 1 Schwäche, Schwindel, Hypotonie, Tachykardie, Blässe * Schock, Bewusstlosigkeit , - Flachlagerung, Beine hoch, Flüssigkeitszufuhr - Sonnenschutz, Abkühlung 5. Sonnenbrand: L Ein Sonnenbrand ist ein Verbrennungsschaden (Entzündung) der Haut durch übermäßige UVBestrahlung; auch an den Lippen möglich. 1 - Rötung, Schwellung, Schmerzen, Blasenbildung - Maximum nach ca. 24h * Spätschäden (Hautkrebs, vorzeitige Hautalterung) , - Feuchtkühle Umschläge, Blasen steril abdecken - keine weitere Sonnen-/Wärmeexposition 6. Schneeblindheit L Ursache ist eine übermäßige Einwirkung von UVStrahlung, die die Hornhaut und Bindehaut des Auges schädigt. 1 Rotes Auge, Tränen, Schmerzen, Fremdkörpergefühl, Lidkrampf * heilt meist folgenlos ab , - kühlende Umschläge auf die geschlossenen Augen - lichtundurchlässiger Verband beider Augen Handbuch Alpinsanitäter Seite 62 g) Systemische Notfälle 1. Ermüdung, Erschöpfung: L Je nach Trainingszustand kommt es bei körperlicher Belastung früher oder später zur Ermüdung. Mit Erreichen der Leistungsgrenzen sind die energetischen Reserven verbraucht, es ist keine weitere Energie mehr für Gehirn, Muskulatur und restliche Organsysteme mobilisierbar, ein lebensbedrohlicher Erschöpfungszustand tritt ein. 1 - Kraftlosigkeit, Müdigkeit, Gleichgültigkeit Konzentrationsstörungen, Koordinationsstörungen Muskelschmerzen Tachykardie, Hypotonie * Bei fehlender Erholung kann ein lebensbedrohlicher Erschöpfungszustand eintreten (Bewusstlosigkeit, Kreislaufversagen) , - Körperliche Erholung Essen (Kohlenhydrate), Trinken (Elektrolyte, Zucker) Hypothermie-Prophylaxe NA-Indikation bei Erschöpfung 2. Allergische Reaktion L Eine allergische Reaktion ist eine überschießende Antwort des Immunsystems auf harmlose Allergene (z.B. Tierhaare, Nahrungsmittel, Pollen, Metalle, Milben, Tiergifte etc.). Die Symptome reichen von der gefahrlosen Hautrötung bis zum lebensbedrohlichen Anaphylaktischen Schock. 1 - Stadium 1: Hautrötung, Juckreiz, Quaddeln, Ödeme - Stadium 2: zusätzlich Tachykardie, Hypotonie, Übelkeit, Erbrechen, Atemnot Handbuch Alpinsanitäter Seite 63 - Stadium 3: Manifester Schock, Bronchospasmus - Stadium 4: Atemstillstand, Kreislaufstillstand * - Ersticken bei Schwellung im Bereich der Atemwege - Kreislaufversagen, Schock, Tod , - Auslöser beseitigen Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Flachlagerung, Beine hoch Allergie-Notfallset des Patienten verwenden (Adrenalin-Injektion) - NA-Indikation Handbuch Alpinsanitäter Seite 64 H. Spezielle alpine Notfälle a) Lawinennotfall L Lawineneinsätze sind gefährlich! Beim Lawinennotfall ist der Zeitdruck offenkundig, der Eigenschutz der Einsatzkräfte steht jedoch immer im Vordergrund. Als Richtzeiten bis zur Bergung gelten für die Kameradenrettung 15 Minuten, im organisierten Rettungsdienst 90 Minuten. Ist der Kopf verschüttet, sprechen wir von einer Ganzverschüttung, ansonsten von einer Teilverschüttung. Bei der Ganzverschüttung sind für das Überleben die Verschüttungsdauer (u.a. abhängig von der Verschüttungstiefe) und das Vorhandensein einer Atemhöhle entscheidend. L Verschüttungsdauer: - Überlebensphase: In den ersten 18 Minuten überleben über 90%, die führende Todesursache in dieser Zeitspanne sind tödliche Verletzungen. - Erstickungsphase: Zwischen der 18. Und 35. Minute fällt die Überlebensrate auf rund 30%. Alle Opfer ohne Atemhöhle versterben durch akutes Ersticken. - Latenzphase: Zwischen der 35. und 90. Minute sterben nur wenige. Opfer ohne Atemhöhle sind in aller Regel bereits tot, während Opfer mit Atemhöhle weiterhin Überlebenschancen haben. - 3H-Phase: Nach der 90. Minute sterben die meisten an der Trias „Hypoxie+Hyperkapnie+Hypothermie“ (3H-Syndrom), rund 7% leben länger als 2 Stunden. L Atemhöhle: Eine Atemhöhle liegt vor, wenn Mund und Nase nicht mit Schnee zugestopft sind. Dies ermöglicht dem Lawinenopfer prinzipiell auch nach Stillstand der Lawine zu atmen und erhöht die Überlebenschancen entscheidend. Auf das Vorhandensein einer Atemhöhle Handbuch Alpinsanitäter Seite 65 ist während der Bergung zu achten, davon hängen wichtige Entscheidungen ab. L Hypothermie: Die Abkühlungsgeschwindigkeit unter den Schneemassen ist von vielen Faktoren abhängig und damit sehr unterschiedlich, im Durchschnitt beträgt sie rund 3°C/Stunde (bis 9°C/Stunde). Die kritische KKT von 32°C mit Gefahr von Herzrhythmusstörungen wird damit nach ca. 90 Minuten erreicht, selten bereits nach 35 Minuten. Nach der Bergung können Lawinenopfer sehr rasch auskühlen, insbesondere dann, wenn sie bewusstlos sind. Die Temperaturmessung erfolgt mittels Ohrthermometer. L Verletzungen: Ein hohes Verletzungsrisiko besteht bei Nassschneelawinen, Lawinen über Geländestufen oder Hindernissen in der Lawinenbahn (Bäume, Lawinenverbauung etc.). Häufig sind Frakturen, stumpfe Thoraxtraumen und WS-Verletzungen, insbesondere im HWS-Bereich (=häufigste traumatische Todesursache). L Todesursachen: Ersticken 85%, Trauma 10%, Hypothermie 5% L Spezialausrüstung: Ohrthermometer, AED, hot packs, Aludecken, Wolldecken, warme Ersatzbatterien, VM, Bergesack , Einsatztaktik: - Eigenschutz - Erfassungs- und Verschwindepunkt markieren - Alarmierung und sofortiger Beginn der Suche - Oberflächensuche, LVS, Hund, Sonde - immer Einsatz eines NAH und Libelle (+Lawinenhund) - Das medizinische Personal hält sich während der Suche einsatzbereit (mit Ausrüstung!) oberhalb des Handbuch Alpinsanitäter Seite 66 Lawinenkegels auf, um schnellstmöglich den Fundort erreichen zu können. - Medizinisches Personal und Material warmhalten! - Beim Ausgraben (von der Seite) ist das medizinische Team inkl. NA anwesend. Atemhöhle nicht zerstören! , Verschüttungsdauer < 35 Minuten / KKT > 32°C: - sicher keine schwere Hypothermie - Hauptproblem ist Ersticken Æ möglichst rasche Bergung (Freilegung des Kopfes) Æ Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED Æ Temperaturmessung, Hypothermie-Therapie Æ HWS-S, Versorgung der Verletzungen Æ bei erfolgloser CPR Abbruch durch den NA (Todesursachen: Trauma, Ersticken) , Verschüttungsdauer > 35 Minuten / KKT < 32°C: - relevante Hypothermie möglich Æ möglichst schonende Bergung Æ Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe Æ Temperaturmessung, Hypothermie-Therapie Æ HWS-S, Versorgung der Verletzungen Æ Ohne Atemhöhle: bei erfolgloser CPR Abbruch durch den NA Æ Mit Atemhöhle: eventuell gute Prognose Æ lückenlose CPR, wenn nötig Transport unter laufender Reanimation in Klinik mit Herz-Lungen-Maschine Leitsatz: „Kein unterkühltes Lawinenopfer mit Atemhöhle wird ohne adäquate Wiedererwärmung im Krankenhaus für tot erklärt!“ L Posttraumatische Belastungsreaktionen: Viele Lawinenopfer leiden nach diesem traumatischen Erlebnis an psychischen Belastungsreaktionen, wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Schuldgefühle oder Handbuch Alpinsanitäter Seite 67 sich aufdrängenden Erinnerungen. Eine fachkundige psychologische Nachbetreuung ist jedenfalls sinnvoll. b) Kälteschäden 1. Wärmehaushalt: L Der Mensch hält seine Körpertemperatur bei rund 37°C konstant. Entscheidend ist dabei die Temperatur des Körperkerns (KKT), die Oberfläche ist deutlich kühler. Zur Wärmeregulation dient in erster Linie die Haut. Bei Hitze wird die Hautdurchblutung gesteigert, damit kann – unterstützt durch die Schweißproduktion – viel Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Bei Kälte werden die Blutgefäße der Haut (v.a. im Bereich der Arme und Beine) eng gestellt, dadurch wird die Peripherie weniger durchblutet. Die Hautdurchblutung sinkt und damit auch die Wärmeabgabe, die Wärme wird im Körperkern gleichsam konserviert (Kreislauf-Zentralisation). Außerdem wird durch Kältezittern Wärme generiert. Risikofaktoren für Wärmeverluste: - tiefe Lufttemperatur, Wind (wind-chill-effect) - kindliches oder hohes Alter - nasse Kleidung, Immobilisation - Erschöpfung, Bewusstseinsstörungen, Verletzungen - Vergiftungen (Alkohol, Medikamente,…) 2. Hypothermie: L Sinkt die KKT unter 35°C, spricht man von einer Unterkühlung (=Hypothermie). Parallel mit dem Absinken der KKT kommt es zu einer Reduktion des Stoffwechsels, des Sauerstoffverbrauchs und des Bewusstseins bis hin zum tiefen Koma. Bei einer im Freien vorgefundenen Person muss zu jeder Jahreszeit mit einer Unterkühlung gerechnet werden. Handbuch Alpinsanitäter Seite 68 Stadien der Unterkühlung: - mild: 35-32°C Bewusstsein klar, Muskelzittern vorhanden Tachykardie, Hypertonie, Hyperventilation, Stress - moderat: 32-28°C Schläfrig, teilnahmslos, kein Muskelzittern Bradykardie, Hypotonie, Hypoventilation Æ Risiko Herzrhythmusstörungen! - schwer: < 28°C Bewusstlos, Pupillen weit/lichtstarr Æ Atem-/Kreislaufstillstand < 24°C wahrscheinlich Messung der KKT: Ohrthermometer mit entsprechendem Messbereich! * Bei moderater und schwerer Hypothermie besteht die Gefahr, durch Manipulationen am Patienten lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen, insbesondere Kammerflimmern auszulösen (Bergungstod). Daher sind derartige Patienten nur in Anwesenheit eines NA (unter EKG-Monitoring und Defibrillationsbereitschaft) extrem vorsichtig zu bergen und ausschließlich horizontal zu lagern. L Unter Hypothermie ist der Sauerstoffbedarf des Gehirns deutlich reduziert, sodass Patienten auch bei längerem Kreislaufstillstand oder insuffizienter CPR mitunter ohne Dauerschäden überleben können. Reanimationsmaßnahmen sind daher zu beginnen, wenn eine kontinuierliche Fortsetzung vorhersehbar ist, und konsequent weiterzuführen. Es gilt der Grundsatz: „Nobody is dead until rewarmed and dead“ (Gregory´s Prinzip). , - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED - Beurteilung mittels Temperaturmessung Handbuch Alpinsanitäter Seite 69 - Immobilisation bei moderater / schwerer Hypothermie - Isolation (Windschutz, Alufolie, Kopfbedeckung!) - Wärmepackung (bestehend aus Wärmebeuteln, Alufolie, Wolldecken, trockener Kleidung und Mütze) - NA-Indikation bei moderater / schwerer Hypothermie , Nur bei leichter Hypothermie sind erlaubt: - Aktive Bewegung - Heiße Getränke (nur wenn unverletzt) - Wechsel nasser Kleidung, wenn praktikabel 3. Erfrierung: L Eine Erfrierung ist ein lokaler Kälteschaden, über eine Durchblutungsstörung kommt es letztlich zum Gewebeuntergang. Gefährlich ist vor allem die Kombination Kälte+Nässe+Wind. Besonders gefährdet sind exponierte Körperteile wie Finger, Zehen, Nase oder Ohren. Der Betroffene bemerkt zunächst Schmerzen, welche wieder verschwinden; es bleibt eine anhaltende Gefühllosigkeit. Stadien der Erfrierung: Grad 1: Gewebe blass, kalt, taub, schmerzlos Æ heilt in aller Regel folgenlos ab Grad 2: blaurote Verfärbung, Blasenbildung Æ Abheilung oft mit Dauerfolgen Grad 3: tiefe Gewebszerstörung, schwarze Verfärbung Æ bleibende Gefühllosigkeit, totes Gewebe wird abgestoßen * Initial sind Schweregrad und Ausdehnung kaum beurteilbar, jede Erfrierung sieht zunächst aus wie eine Erfrierung ersten Grades. , Vor Ort: - Therapie der Hypothermie Handbuch Alpinsanitäter Seite 70 - Windschutz am entsprechenden Körperteil - Erwärmung nur, wenn erneutes Einfrieren unwahrscheinlich ist : - Auflegen warmer Hände im Gesicht - Finger unter Achsel - Wärmepackung - Nasse Kleidung durch trockene ersetzen - Aktive Bewegung des betroffenen Körperteils - Lockerer steriler Verband, Polsterung , Unter Dach: - Weitere Therapie der Hypothermie - O2-Gabe - Acetylsalicylsäure 100-500 mg (z.B. Aspirin, Aspro): (verbessert Durchblutung, wirkt schmerzstillend) - Auftauen in körperwarmem Wasserbad (Temperatur langsam steigern bis max. 40°C, aktive Bewegung, bis Haut wieder rosig und Gefühl zurückkehrt, jedoch max. 30 Minuten) - Hochlagern reduziert Schwellung * Verboten sind: Rauchen, Einreiben mit Schnee, Eröffnung der Blasen, direkte Erwärmung (Verbrennungsgefahr wegen Gefühllosigkeit) Wichtig: Meist sind Erfrierungen mit einer Hypothermie kombiniert, letztere hat therapeutisch immer Priorität! c) Blitzschlag L Ein Blitz kann die Person direkt treffen, schwere Folgen sind aber auch bei einem Einschlag im Nahbereich zu erwarten. Nicht selten tritt primär ein Atemstillstand ein, der ohne sofortige Beatmung in einem Kreislaufstillstand mündet. Handbuch Alpinsanitäter Seite 71 1 - Verbrennungen, Krämpfe - neurologische Auffälligkeiten (Lähmungen, Gefühlsstörungen etc.), Bewusstlosigkeit - Herzrhythmusstörungen - Zusatzverletzungen durch Absturz, Wegschleudern * Atem-/Kreislaufstillstand, Bewusstlosigkeit , - Bergung aus Gefahrenbereich (Eigenschutz!) Lebensrettende Sofortmaßnahmen, AED, O2-Gabe Wundversorgung (Verbrennungen!) Triagesituation bei mehreren Betroffenen: Priorität haben die Patienten mit Atemstillstand und erhaltenem Kreislauf. d) Hängetrauma L Bei längerem freien Hängen im Seil kommt es durch die Schwerkraft, durch Einschnürung der Oberschenkel und Fehlen der Muskelpumpe zu einer Minderung des venösen Blutrückstroms und damit zu einer Blutumverteilung in die unteren Körperpartien. Außerdem kann die Einschnürung des Brustkorbs eine Behinderung der Atmung zur Folge haben. Diese Kombination führt – je nach der Möglichkeit zur Entlastung, z.B. durch eine Trittschlinge – zunächst zum Kollaps, in weiterer Folge zum manifesten Schockzustand. * Verletzungen durch Fangstoß (z.B. WS, innere Organe) oder Aufschlagen (z.B. Frakturen, SHT) im Rahmen des Sturzes , Zur Normalisierung der Atmung und Kreislaufverhältnisse ist eine sofortige schonende Bergung anzustreben. Nach der Bergung erfolgt die Behandlung Handbuch Alpinsanitäter Seite 72 symptomatisch, eine vorübergehende sitzende Lagerung ist nicht zwingend notwendig. e) Schlangenbiss L In Österreich kommen folgende Giftschlangen vor: Sandviper (Hornviper), Kreuzotter, Aspisviper. Bisse führen sehr selten zu lebensbedrohlichen Situationen. Die Gifte können jedoch zu allergischen Reaktionen, Herz-Kreislaufreaktionen, Gewebezerstörungen und Blutgerinnungsstörungen führen. 1 Lokal: Sichtbare Bissverletzung, Rötung, Schwellung, Schmerzen, Taubheitsgefühl Systemisch: Schwäche, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Schwitzen, Kreislaufstörung, Sprachstörungen, Bewusstseinsstörung , - Eigenschutz! - Beruhigung des Patienten („keine Lebensgefahr!“) - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe - Evaluierung der Biss-Stelle, steriler Verband - Ringe, Uhren etc. entfernen (Schwellung!) - Bandagierung und Schienung der ganzen Extremität - Dokumentation (Uhrzeit, Symptome) - Schlange fotografieren (zur Identifikation) - Passiver Abtransport Wichtig: Kein Abbinden, Ausschneiden, Aussaugen! f) Zeckenbiss L Zecken können zwei gefährliche Erkrankungen übertragen: Die Borreliose wird durch ein Bakterium verursacht, befällt verschiedenste Organe und muss Handbuch Alpinsanitäter Seite 73 antibiotisch behandelt werden. Die Früh-SommerMeningo-Enzephalitis (FSME) wird durch das FSMEVirus ausgelöst, führt zu einer Gehirnhautentzündung und kann nur durch eine vorbeugende Impfung sicher verhindert werden. 1 sichtbare Zecke, Rötung, Schwellung, Juckreiz , - Frühzeitige Entfernung (Pinzette, spitzes Skalpell) - Desinfektion der Stichstelle Wichtig: Zecke nicht quetschen! Nicht drehen! g) Insektenstiche L Insektenstiche können bei allergischen Patienten in kurzer Zeit zu lebensgefährlichen Symptomen führen. Meist sind Bienen und Wespen verantwortlich, seltener Hornissen, Hummeln oder Mücken. Gefürchtet sind insbesondere Schwellungen im Bereich der Atemwege, sowie schwere Kreislaufreaktionen (allergischer Schock). 1 - Einstichstelle: Rötung, Schwellung, Juckreiz, Schmerz Schwellung an Lippen, Zunge, Augen Atemnot, asthmatische Beschwerden Blutdruckabfall, Übelkeit, Erbrechen * Allergischer Schock, Atem-/Kreislaufstillstand , - Ggf. verbliebener Stachel entfernen („wegkratzen“) - Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED - Allergie-Notfallset des Patienten verwenden (Adrenalin-Injektion) - NA-Indikation bei bekannter Allergie, Atemoder Kreislaufproblemen Handbuch Alpinsanitäter Seite 74 h) Ertrinken L Ertrinken ist eine Sonderform des Erstickens. Bereits wenige Minuten nach Untertauchen treten irreversible Schäden durch den Sauerstoffmangel auf, vor allem das Gehirn ist extrem empfindlich. 1 - Blässe oder Zyanose, Bewusstlosigkeit - Atemstillstand, Kreislaufstillstand * Aspiration , - Eigenschutz bei Bergung! Lebensrettende Sofortmaßnahmen, O2-Gabe, AED HWS-S bei Verdacht auf Sprung ins Wasser Hypothermietherapie NA-Indikation, auch bei Beinahe-Ertrinken! Wichtig: - Gute Überlebenschancen bestehen mitunter dann, wenn der Betroffene in Eiswasser oder sehr kaltem Wasser ertrinkt (Hypothermie verlängert Hypoxietoleranz). Handbuch Alpinsanitäter Seite 75 I. Hubschraubereinsatz a) Indikationen L Für den Einsatz eines Hubschraubers gibt es zwei Indikationen: - Medizinische Indikation: Liegt vor, wenn die Verletzung/Erkrankung/Situation einen NA erfordert und dieser am schnellsten mittels Hubschrauber den Patienten erreicht. (NAH) - Rettungstechnische Indikation: Liegt vor, wenn die Bergung des Patienten bodengebunden deutlich aufwendiger, zeitraubender, gefährlicher oder für den Patienten unzumutbar wäre. (NAH, auch Polizeihubschrauber bei Unverletzten). b) Alarmierung L Die Alarmierung erfolgt ausschließlich über die RFL (144). Entscheidend sind genaue Angaben zum Notfallort. Ideal sind GPS-Koordinaten, hilfreich sind auch Höhenangaben. Wichtig ist immer die Beurteilung der am Einsatzort vorherrschenden Bedingungen bzw. die Erkennung von flugbehindernden Situationen, die der Leitstelle und Crew bekannt gegeben werden müssen: - Wolken, Nebel, Dunkelheit, Niederschläge: Sind gefährliche Sichtbehinderungen! Bei Nebel soll der Melder bekanntgeben, ob er sich im Nebel, über oder unter dem Nebel befindet. Die Mindestsicht darf 500 m nicht unterschreiten. - Wind: Entscheidend sind Windstärke, Turbulenzen und Windrichtung. Handbuch Alpinsanitäter Seite 76 - Gewitter: Hagel, Blitzschlag, Vereisung, Turbulenzen können gefährlich sein. - Temperatur: Höhere Temperatur = abnehmende Heli-Leistung - Meereshöhe: Größere Höhe = abnehmende Heli-Leistung - Hindernisse: Seile, Leitungen, Flugverkehr (Paragleiter!) etc. c) Einsatzformen L Über die Einsatzform entscheidet die Crew. Von Bedeutung sind die Geländebeschaffenheit, das Wetter und der Zustand des Patienten. - Landung: - Aufsetzfläche 4 mal 4 Meter, eben, tragfähig - Gesamte Landefläche hindernisfrei, 25 mal 25 Meter (keine Mulde, Bewuchs max. 30 cm) - Landeanflug gegen den Wind - keine Hindernisse im Anflug (Seile, Leitungen, Paragleiter etc.) - keine losen Gegenstände (Schi, Kleidung etc.) - lockeren Schnee ggf. festtreten - großräumige Absperrung - Landung nicht direkt neben dem Patienten - Angestütztes Ein-/Aussteigen / Schwebeflug: Unverletzte oder zumindest gehfähige Patienten können mit Hilfe der Crew in den schwebenden Hubschrauber einsteigen. - Taubergung: Zunächst Überflug über den Notfallort, ev. Aussteigen des NA aus dem schwebenden Hubschrauber, dann Landung am Zwischenlandeplatz, Einhängen des Taus, Taubergung, zurück zum Zwischenlandeplatz, Verladen des Patienten. Handbuch Alpinsanitäter Seite 77 d) Einweisung L Grobeinweisung: Sobald der Hubschrauber hörbar wird, nimmt die Bodenmannschaft über Funk Kontakt auf (Kanal 1, 70 cm-Band). Erreichbar ist die Crew auch über Kanal 27 (2m-Band), sowie über BüFu. Wichtig ist die Warnung vor Hindernissen und Gefahren! Die grobe Einweisung erfolgt durch Benennen der Himmelsrichtung bzw. markanter Punkte, sowie Bekanntgabe der Höhe des Einsatzortes. L Feineinweisung: Sobald der Hubschrauber sichtbar ist, bedient man sich des Uhrenziffernblatts zur Feineinweisung (z.B. 12 Uhr geradeaus, 1 Uhr schwach rechts, 3 Uhr 90° rechts). L Landung: Der Einweiser steht mit Warnweste, Funkgerät, erhobenen Armen und dem Wind im Rücken am Rand der Aufsetzfläche. Bei lockerem Schnee trägt der Einweiser Schibrille, Mütze und Handschuhe. Nach Annäherung des Hubschraubers nimmt der Einweiser eine Kauerstellung ein und verlässt bis zum Stillstand des Rotors keinesfalls seine Position (wichtiger Orientierungspunkt für Pilot!). e) Besonderheiten bei Dunkelheit L Hubschraubereinsätze in der Nacht sind deutlich gefährlicher und können nur unter optimalen Bedingungen erfolgen. Als Mindestsichtweite sind 5000 Meter gefordert, außerdem muss der natürliche Horizont sichtbar und die gesamte Flugstrecke Handbuch Alpinsanitäter Seite 78 wolkenlos und nebelfrei sein. Die Landefläche soll mindestens 50 mal 50 Meter groß sein und wird am besten durch die Scheinwerfer zweier Fahrzeuge (Blaulicht!) beleuchtet. Die Fahrzeuge leuchten gegen den Wind, sodass der Hubschrauber gegen den Wind landen kann, ohne geblendet zu werden. Die Schweizer REGA fliegt regulär Nachteinsätze und kann jederzeit über die RFL angefordert werden. Die Flugrettung Vorarlberg leistet Einsätze nach Sonnenuntergang nur in besonderen Fällen nach Absprache. f) Verhaltensregeln - Keine unaufgeforderte Annäherung an den Hubschrauber! Annäherung nur auf eindeutige Anweisung der Crew, von vorne, gebückt und mit Blickkontakt zum Pilot. Keine Annäherung mit Schi, Lawinensonden oder ähnlichen Gegenständen über Kopfhöhe. Im Gelände Annäherung nur von der Talseite her. - Türen werden nur von der Crew bedient! Der liegende Patient wird links verladen, gehfähige Patienten steigen rechts ein. - Helfen Sie der Crew bei der medizinischen Versorgung und technischen Bergung nur auf Anforderung! Unternehmen Sie keine eigenständigen Aktionen, denn die Crew muss wissen, was gemacht wird! Handbuch Alpinsanitäter Seite 79 J. Psychologie a) Kommunikation mit dem Patienten L Ziel der Kommunikation ist es, ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufzubauen. Dazu ist es wichtig, dass eine Person immer direkt beim Patienten bleibt und mit diesem kontinuierlich in Kontakt ist. Der AS übernimmt also keine technischen Aufgaben. 1. Begrüßung: - Vorstellung (Name, Organisation, Funktion). - Ansprache des Patienten immer mit „Sie“ 2. Befragung: (Nur einer befragt den Patienten!) - Wie heißen Sie? - Wo kommen Sie her? - Was ist wann, wie, warum passiert? - Wie haben die Beschwerden angefangen? - Können Sie sich an alles erinnern? - Wo haben Sie Schmerzen? - Können Sie alles bewegen? - Haben Sie überall ein normales Gefühl? - Leiden Sie an besonderen Erkrankungen? - Ist ihnen übel oder schwindlig? 3. Behandlung: - Erst erklären, dann handeln! - Keine Prognose, Diagnose oder andere Vermutungen äußern! Verhaltensregeln: - höflich, sicher, kompetent und ruhig auftreten - vorsichtigen Körperkontakt anbieten - Selbstbestimmung des Patienten akzeptieren - bei Aggressionen/Beleidigungen/Kritik seitens des Handbuch Alpinsanitäter Seite 80 - Patienten professionell reagieren und sachlich bleiben niemals schreien oder hektisch handeln nie vor dem Patienten diskutieren keine Vorwürfe oder Beschuldigungen Gespräch mit dem Patienten suchen Fragen ehrlich beantworten störende Personen (auch Begleiter, Verwandte etc.) vorsichtig wegschicken b) Psychische Erste Hilfe für Retter L Retter sind mitunter psychisch extrem belastenden Situationen ausgesetzt, zum Beispiel bei Unfällen mit Kindern, beim Tod von Kameraden, beim Umgang mit Angehörigen nach tödlichen Unfällen, bei entstellenden Verletzungen etc. Dementsprechend sind auch beim Rettungspersonal posttraumatische Belastungsstörungen möglich. Hinweisende Symptome können sein: Vermeidung, Rückzugsverhalten, Abstumpfung, Erregbarkeit, aufdrängende belastende Erinnerungen, Albträume, Angstzustände, Depressionen, Alkohol–, Drogenmissbrauch oder Aggressivität. Betroffene sollten sich frühestmöglich in kompetente Behandlung begeben, auffällige Personen müssen unbedingt darauf angesprochen werden. Vorbeugend wirken sowohl die Vorbereitung auf möglicherweise belastende Ereignisse, als auch Nachbesprechungen nach belastenden Einsätzen, idealerweise unter Einbeziehung psychologisch kompetenter Fachleute (critical incident stress debriefing). Handbuch Alpinsanitäter Seite 81 c) Psychische Erste Hilfe für Angehörige L Die Retter müssen sich bewusst sein, dass Unfälle nicht nur für den oder die unmittelbar Betroffenen belastend sind, sondern auch für Angehörige oder Begleiter eine Ausnahmesituation darstellen. Letztere möchten immer wissen, was mit dem Verletzten los ist und wohin er gebracht wird. Es ist wichtig, über den aktuellen Zustand des Patienten zu informieren, die Abgabe von Prognosen oder Mutmaßungen über den Heilungsverlauf sind allerdings zu unterlassen. L Auch Unverletzte müssen betreut und werden. Wenn der Führer verletzt wurde Gruppe aufgrund der psychischen Belastung erscheint, ist immer ein Abtransport durch oder Flugrettung zu erwägen. informiert oder die gefährdet die Berg- d) Krisenintervention L Menschen, die im Rahmen eines Notfallgeschehens akut psychisch traumatisiert sind, brauchen mitunter eine Betreuung. In Absprache mit den Betroffenen kann über die RFL ein KIT angefordert werden. Diese Teams stehen rund um die Uhr zur Verfügung, bestehen aus speziell geschulten Mitarbeitern verschiedener Rettungsdienste und Trägerorganisationen und übernehmen jederzeit die akute Betreuung von Menschen in Krisensituationen. e) Psychisch auffällige Patienten L Zu beachten ist grundsätzlich die Tatsache, dass psychische Auffälligkeiten auch körperliche Ursachen Handbuch Alpinsanitäter Seite 82 (z.B. Unterzucker, Vergiftung, SHT, Gehirntumor,…) haben können. Psychisch auffällige Patienten können sowohl sich selbst als auch andere gefährden. L Wenn sich ein Patient nicht behandeln oder nicht transportieren lassen will, ist das sein gutes Recht, außer er ist aufgrund einer körperlichen oder geistigen Störung nicht zurechnungsfähig. Wenn die Zurechnungsfähigkeit eines Patienten nicht gegeben ist, muss er gegebenenfalls gegen seinen Willen behandelt/transportiert werden, dazu ist immer eine ärztliche Beurteilung notwendig! L Patienten, die einen Selbstmord androhen oder bereits einen Selbstmordversuch unternommen haben, sind mit besonderer Aufmerksamkeit und Einfühlsamkeit zu behandeln. Selbstmordandrohungen sind immer sehr ernst zu nehmen. Selbstmordversuche sind in vielen Fällen ein verzweifelter Versuch, auf seine eigene Lage aufmerksam zu machen, ein tödlicher Ausgang ist nicht immer gewünscht! Ein Patient, der sich das Leben nehmen will, ist auch gegen seinen Willen davon abzuhalten. Es gelten die Prinzipien, sich vorsichtig zu nähern, ihn nicht zu bedrängen, das Gespräch zu suchen, ihn nie alleine zu lassen und ständig zu beobachten. Vorsicht ist geboten, weil sich die Aggression auch plötzlich gegen die Helfer richten kann. Handbuch Alpinsanitäter Seite 83 K. Großschadensereignis a) Definition L Ein Großschadensfall liegt vor, wenn das Ereignis mit den örtlich vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen nicht bewältigt werden kann. Nach einer genauen Lagebeurteilung vor Ort (Betroffene, Verletzungen, Topographie, Wetter, Gefahren etc.) ist eine detaillierte Lagemeldung an die Leitstelle erforderlich. Die Leitstelle deklariert den Großschadensfall und alarmiert geeignete Einsatzkräfte nach. b) San-HiSt L Beim MANV erfolgt die Versorgung der Betroffenen im Rahmen der sogenannten Sanitäts-Hilfs-Stelle (SanHiSt). Diese besteht aus mehreren Räumen und Stellen. - Triageraum: Hier werden die Patienten von einem Triagearzt in Triagekategorien eingeteilt: I: Sofortbehandlung (Patienten in Lebensgefahr, Kennfarbe ROT) II: Transportpriorität (Patienten müssen dringend ins KH, GELB) III: Minimalbehandlung (Leichtverletzte, GRÜN) IV: Betreuung (Schwerstverletzte, Hoffnungslose, BLAU) Nach der Triage erfolgt die Kennzeichnung der Patienten mit einer Patientenleittasche (Informationen über Diagnose, Triagekategorie, Therapie, Ziel-KH). Ziel der Triage ist es, mit den zur Handbuch Alpinsanitäter Seite 84 Verfügung stehenden Mitteln möglichst Vielen Überleben zu sichern. Man versucht bestmögliche Ergebnis für das Kollektiv Geschädigten zu erzielen, wobei das Interesse Einzelnen zurückstehen muss. das das der des - Behandlungsräume: - I (ROT): Patienten werden hier sofort behandelt (z.B. starke Blutung), - II (GELB): Patienten werden stabilisiert und transportfähig gemacht (z.B. SHT) - III (GRÜN): Patienten werden zunächst betreut, später behandelt/transportiert (z.B. einfache Fraktur) - IV (BLAU): Patienten mit schlechter Prognose werden abwartend betreut (z.B. Polytrauma) - Transportraum: Der Transportraum besteht aus einem Sammelplatz für die Fahrzeuge, einem Landeplatz für Hubschrauber und einer Verladestelle. - Sammelstellen für Unverletzte und Tote: An entsprechenden Orten werden Unverletzte gesammelt und betreut. Für Tote ist ein adäquater Ort vorzusehen. - Meldestelle: Hier können sich nachrückende Einsatzkräfte melden und erhalten in der Folge Aufträge von der Einsatzleitung. - Informationsstelle: Medienvertreter und Angehörige haben hier die Möglichkeit, Informationen und Auskünfte zu erhalten. Handbuch Alpinsanitäter Seite 85 - Materialdepot: Das Materialdepot dient der Lagerung medizinischem und technischem Material. von c) Patientenmanagement 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Bergung (ev. Bergetriage) Transport zur Triagestelle Triagierung und Kennzeichnung mit PLS-Tasche Transport zur entsprechenden Behandlungsstelle Behandlung und Herstellung der Transportfähigkeit Triage bzgl. Transportpriorität Abtransport L Zur medizinischen Versorgung stehen dezentral im ganzen Bundesland verteilt Medizinische GroßunfallSets (MEGUS) in Kistenform zur Verfügung. Diese können über die RFL angefordert werden. Je nach Größe (M5, M10, M15) können damit 5, 10 oder 15 Schwerverletzte versorgt werden. Handbuch Alpinsanitäter Seite 86 Anhang a) Abkürzungsverzeichnis AED AIDS AS BüFu CO CO2 CPR EL FW GPS HIV HWS(-S) KH KIT KKT KOF LVS MAD MANV MDS NA NAH O2 OK PEA POL PLS RFL RK RL San-HiSt Automatischer Externer Defibrillator Acquired Immuno Deficiency Syndrome Alpinsanitäter Bündelfunk Kohlenmonoxid Kohlendioxid Kardio-pulmonale Reanimation Einsatzleiter Feuerwehr global positioning system Human Immunodeficiency Virus Halswirbelsäule(n-Schiene) Krankenhaus Kriseninterventionsteam Körperkerntemperatur Körperoberfläche Lawinen-Verschütteten-Suchgerät mucosal anatomization device („Vernebler“) Massenanfall Verletzter Motorik, Durchblutung, Sensibilität Notarzt Notarzthubschrauber Sauerstoff Oberkörper Pulslose Elektrische Aktivität Polizei Patienten-Leit-System Rettungs- und Feuerwehrleitstelle Rotes Kreuz Rückenlage Sanitäts-Hilfs-Stelle Handbuch Alpinsanitäter Seite 87 SHT SSL ST VM WR WS Schädel-Hirn-Trauma Stabile Seitenlage Schaufeltrage Vakuummatratze Wasserrettung Wirbelsäule b) Medizinische Ausrüstung 1. Erste-Hilfe-Set: L Bestückungsvorschlag Beatmungsmaske, Aludecke, SAM-Splint, Handschuhe, Dreiecktuch, Verbandsschere, verschiedene Pflaster, sterile Wundauflage, Mullbinden, PehaHaft, elastische Binde 2. Rettungsrucksack L Bestückungsvorschlag SAM-Splint, HWS-S, sterile Kompressen, PehaHaft, Mullbinden, Dreiecktücher, verschiedene Pflaster, Wärmebeutel, Aludecke, Beatmungsmaske, Ohrthermometer, Blutdruckmesser, Pulsoxymeter, AED, Sauerstoff, Schreibmaterial, Rettungsschere, Lampe, wasserfester Stift, Warnweste 3. Notarztrucksack L Bestückungsvorschlag - Alkotupfer, Stauband, Venflons, Tegaderm, Nadeln, Spritzen, Stöpsel, MAD - Infusionsbestecke, Ringerlaktat, Voluven, Hyperhäs, Natriumchlorid - Akrinor, Atropin, Beloc, Berotec, Bricanyl, Buscopan, Dibondrin, Dipidolor, Dormicum, Ebrantil, Esmeron, Etomidate, Euphyllin, Glukose, Ketanest, L-Adrenalin, Handbuch Alpinsanitäter Seite 88 NaCl, Nitrospray, Novalgin, Propofol, Sedacorone, Ulsal, Urbason - Laryngoskopgriff, Laryngoskopspatel, Ersatzlampe Ersatzbatterien, Endotrachealtuben, Mandrin, Blockerspritze, Magillzange, Stethoskop - Guedeltuben, Wendltuben, Beatmungsmasken, Beatmungsbeutel mit Reservoir - Skalpell, Klemme, Mundspatel, Pinzette, Handschuhe, Octenisept - Pflaster, sterile Tupfer, PehaHaft, Verbandsschere, Dreiecktuch - Pupillenlampe, Blutdruckmesser, Pulsoxymeter, Ohrthermometer - Schreibmaterial, wasserfester Stift, Aludecke, Warnweste, PLS-Taschen Handbuch Alpinsanitäter Seite 89 c) Literatur, Quellen Bergrettung: Lehrbuch der Bergwacht (Freudig, Martin; 1995; Verlag Freudig) Erste Hilfe am Berg, Lehrbuch des Bergrettungsdienstes Südtirol (Beikircher, Paal, Brugger; 2008) Erste Hilfe Bergrettung (Durner, Römer; 2002; AM-Berg Verlag) Erste Hilfe für Wanderer und Bergsteiger (Durrer, Jacomet, Wiget; 2000; Schweizer Alpenclub) Erste Hilfe und Gesundheit am Berg und auf Reisen (Treibel; 2006; Bergverlag Rother) IKAR MEDCOM guidelines (www.ikar-cisa.org) Lehrskriptum Alpin- und Höhenmedizin (Berghold; 2002; Österreichische Gesellschaft für Alpinund Höhenmedizin) Notfalltaschenbuch für den Rettungsdienst (Rossi, Dobler; 2005; Stumpf & Kossendey) Rettungssanitäter Ausbildungsmappe (Rotes Kreuz Österreich) (Weitere Literaturnachweise beim Herausgeber) Handbuch Alpinsanitäter Seite 90 d) Links Bergrettung Vorarlberg www.bergrettung-vorarlberg.at Bergrettung Österreich www.bergrettung.at Bergrettungsärztetagung Innsbruck www.bergrettungsaerztetagung.at berg & steigen www.bergundsteigen.at Int. Kommission für alpines Rettungswesen www.ikar-cisa.org Int. Gesellschaft für Alpinmedizin www.ismmed.org Kuratorium für alpine Sicherheit www.alpinesicherheit.at Österreichischer Alpenverein www.alpenverein.at Österr. Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin www.alpinmedizin.org ÖAMTC Flugrettung www.oeamtc.at/flugrettung Wilderness & Environmental Medicine www.wemjournal.org Wilderness Medical Society www.wms.org Handbuch Alpinsanitäter Seite 91 e) Telefonnummern Christophorus 8, Heliport Nenzing 05522-3505-570 (Fax -588) Doz. Dr. Matthias Hohlrieder, Landesarzt, ltd. Notarzt 0664-5245842 Dr. Christian Bürkle, Landesarzt-Stv. 0664-75021175 Gallus 1, Heliport Zürs 05583-2950 (Fax -14) Geschäftsstelle ÖBRD - Land Vorarlberg, Feldkirch 05522-3505 (Fax -595) Landeskrankenhaus Feldkirch 05522-303-0 Lawinenwarndienst Vorarlberg 05522-201-1588 Libelle, BM für Inneres, Hohenems 05576-1777 RFL, Feldkirch Notruf 144, sonst 05522-201 Vergiftungsinformationszentrale München +49-8919240 Vergiftungsinformationszentrale Wien 01-4064343 Vergiftungsinformationszentrale Zürich +41-12515151 Handbuch Alpinsanitäter Seite 92 Notizen Handbuch Alpinsanitäter Seite 93 Notizen Handbuch Alpinsanitäter Seite 94 Handbuch Alpinsanitäter Seite 95 Handbuch Alpinsanitäter Seite 96