Krisenintervention bei Außenbeziehung in aufrechter Ehe
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Krisenintervention bei Außenbeziehung in aufrechter Ehe
WENN BEZIEHUNGEN IN KRISEN GERATEN SOZIALARBEIT ZWISCHEN PAARBERATUNG UND MEDIATION WAHLPFLICHTFACH JUNI 2014 ELMAR FLEISCH elmar.fleisch@schlosshofen.at INHALTSVERZEICHNIS Fragen der Ethik und des Menschenbildes in der Paarberatung und -begleitung 3 Haltung und Aufgabenstellung in der Beratung von Paaren 5 Wenn Beziehungen schwierig werden … 6 Akute Beziehungskrisen 7 Beziehungskonflikte, die oftmals zu Krisen führen 7 Zum Erkennen von Beziehungskrisen 8 Auswirkungen von akuten Beziehungskrisen 12 Rahmenbedingungen der Beratung 12 Der erste Kontakt mit dem Paar in der Krise 13 Zum Ablauf des Erstgesprächs 13 Das Bemühen um die Wiederbelebung der Liebe 16 Außenbeziehungen in aufrechter Ehe/Partnerschaft 19 Mythen und Scheinwahrheiten über Untreue (Clement 2011/2) 19 Was tut weh, wenn es weh tut? 20 Phasen der Affäre nach U. Clement 21 Zum Beratungssetting 23 Dimensionen der Beratung nach H. Jellouschek 24 Beratungsaspekte bei Außenbeziehungen 26 Versöhnen wir uns?! 27 Trennung als letzter Versuch die Beziehung zu retten 31 Der Trennungsprozess 33 Gewalt in Paarbeziehungen 34 Mediation – eine Begriffsdefinition 36 Rahmenbedingungen und Grundregeln der Mediation 37 Voraussetzungen und Aufgaben seitens des Mediators/der Mediatorin 38 Die problematische Seite der Mediation 39 Grenzen und Kontraindikationen der Mediation 40 Wie läuft Mediation ab? 41 Literaturverzeichnis 47 Beilagen 49 -2- FRAGEN DER ETHIK UND -BEGLEITUNG UND DES MENSCHENBILDES IN DER PAARBERATUNG In der Beratung (insbesondere in der Krisenarbeit mit Paaren) kommen immer wieder ethische Themen – Wertfragen, Verhaltensnormen, moralische Einstellungen – zur Sprache. Dadurch wird deutlich, dass die psychologische Situation von Menschen im Konflikt wie auch die Haltungen, Prinzipien und Wertmaßstäbe Beachtung finden müssen. Beratung – Konflikt – Krise Menschen suchen Hilfe in der Paarberatung, weil sie ihre Beziehungskonflikte mit dem Partner nicht ohne Beistand lösen können. Meistens besteht eine längere Konfliktgeschichte mit Missverständnissen und Auseinandersetzungen, in der verschiedene Beurteilungs- und Wertsysteme gegeneinander stehen. Die Kommunikation ist geprägt von gegenseitigen Beschuldigungen und Vorwürfen in einer Kaskade von Distanzierungs- und Isolierungsprozessen („Die gemeinsame Geschichte wird umgeschrieben“). Paarberatung findet in der Regel in Lebenskrisen statt. In Krisen können sich grundlegende Werte – die bisher Gültigkeit hatten – erheblich verändern und in Frage gestellt werden. Haltung und Einstellung des Beraters/der Beraterin In dieser Situation sind vier Haltungen des Beraters/der Beraterin entscheidend: Die Bewältigung eigener Konflikte Die Einstellung Konflikte als Veränderungschance zu sehen Die Bereitschaft Dissonanzen auszuhalten Die Fähigkeit Verantwortung für den Prozess der Beratung zu übernehmen -3- Die Einstellung des Beraters/der Beraterinn gegenüber der Selbstverantwortlichkeit der Klienten ist entscheidend: Selbstbestimmte Lösungen sind besser als fremdbestimmte, sie sind „maßgeschneidert“ und deshalb nachhaltiger Vertrauen in das Potential der Klienten überträgt sich auf das Selbstvertrauen der Klienten und hilft ihnen, ihre Fragen zu lösen Die Bereitschaft, Halt, Sicherheit und Schutz zu geben Unterstützung der Konfliktpartner und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen Steuerung der Interaktion zwischen den Partnern und dadurch Steuerung des Problemlösungsprozesses. Recht und Gerechtigkeit sind unterschiedliche Dimensionen In der rechtlichen Betrachtung der Krisensituation sind vielfach nur Vermögens-, Unterhalts- und Versorgungsansprüche relevant. Die psychologische Situation ist weitaus komplexer: Analysiert werden primär die subjektiven Bilanzen und Schuldvorwürfe. Diskussion der Schuldfrage Versprechen gebrochen? Benachteiligung herbeigeführt? Normen (Treue) verletzt? Werthaltungen und Emotionen Emotionen sind konstitutiver Bestandteil vieler Konflikte und geben Informationen über die Art der Betroffenheit. Ausklammern von Emotionen erzeugt das Gefühl, auch vom Berater/der Beraterin nicht verstanden zu werden. Unterdrückung von Gefühlen birgt das Risiko von Schwelbränden in sich: (Beispiele: Angst, Scham, Schuld, Eifersucht, Neid, Misstrauen, Kränkung, Trauer, Hass,) -4- HALTUNG UND AUFGABENSTELLUNG IN DER BERATUNG VON PAAREN Neutralität – Allparteilichkeit Brücken, wo bisher das Gespräch gescheitert ist Raum schaffen für Individualität und das Formulieren von Interessen Berater/Beraterin hat keine Entscheidungsgewalt Stellt sachliches Wissen zur Verfügung, wenn es um konkrete, kreative Lösungen geht Berater/Beraterin ist zuständig für den Prozess Stellt methodisches Wissen zur Verfügung und strukturiert das Gespräch Macht auf Aspekte aufmerksam, die vielleicht vergessen würden Verpflichtung zur Verschwiegenheit Ethische Instanz -5- WENN BEZIEHUNGEN SCHWIERIG WERDEN … Partnerschaftskrisen sind ein häufiger Anlass für Krisenberatungen. Stress im Zusammenleben beeinträchtigt die Lebensqualität entscheidend und wirkt sich negativ auf alle Daseinsbereiche aus. Eine Beratung, die zur Verbesserung der Qualität der Partnerbeziehung beitragen kann, ist angesichts der gravierenden Folgen von misslingenden Beziehungen von großer Bedeutung. Sehr häufig ist es aber so, dass Paare zu spät zur Beratung kommen, sodass sich die Bemühungen darauf beschränken müssen, schädliche Auswirkungen zu mildern, z.B. gewalttätige oder destruktive Konsequenzen abzuwenden. Kommt nur ein Partner zur Krisenberatung, so kann er entweder motivierter sein, die Beziehung zu erhalten bzw. zu verbessern, oder er verspricht sich mehr von einer Beratung. Manche Klientinnen kommen auch deshalb allein, weil sie sich angesichts einer Trennungssituation vor den Gewalttätigkeiten des Mannes fürchten. Auch wenn das Paar gemeinsam erscheint, kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass beide gleich motiviert sind, an der Beziehung festzuhalten oder sie zum Besseren hin zu verändern. Es ist sogar gar nicht selten, dass einer der beiden dem anderen in der Beratungssituation zum ersten Mal die Trennungsabsicht mitteilt, weil er sich so geschützter fühlt oder den als gefährdet erlebten anderen gleichsam zur Betreuung weiterreichen will. KIM BERG und MILLER (1993) unterscheiden 4 verschieden Formen von Klientenbeziehungen, die wir zum Teil auch in der Begleitung von Paaren auch antreffen können: Der Kunden-Typ Der klagende Klienten-Typ Der Besucher-Typ Der schwierige, widerständige oder verleugnende Klienten-Typ -6- AKUTE BEZIEHUNGSKRISEN Als akute Beziehungskrise bezeichnet man den durch ein bestimmtes Ergebnis entstehenden Verlust der Beziehungsbalance, die sich nicht mehr einpendeln lässt. Die neue Lebens- und Beziehungssituation kann im Moment von einem der Beziehungspartner oder von beiden nicht sinnvoll bewältigt werden, da die bisher erworbene Lebensbewältigungsstrategien nicht anwendbar sind bzw. diese überfordern. BEZIEHUNGSKONFLIKTE, DIE OFTMALS ZU KRISEN FÜHREN 1. Unreife, Abhängigkeit bzw. mangelnde Ablösung von der Herkunftsfamilie sowie unrealistische, überhöhte Erwartungen in Versorgung, Liebe, Verantwortungsgefühl 2. Persönlichkeitseigenarten, kulturelle Gewohnheiten und Sitten, religiöse und weltanschauliche Vorstellungen 3. Psychische Auffälligkeiten wie z. B. narzistische Störungen und egomane Tendenzen, Ängste und Depressionen 4. Neigung zu dissozialem Verhalten und Gewalt als Problemlösungsmittel 5. Regelmäßigen Umgang mit legalen und/oder illegalen Drogen 6. Der Verlust von Vertrauen, erotischen Attraktivität und sexueller Treue. 7. Mangel an Gesprächsbereitschaft und alltäglicher Zärtlichkeit 8. Mangelnde Beteiligung in der Kindererziehung und im Haushalt 9. Beruflicher Ehrgeiz sowie Geldangelegenheiten 10. Widerspruch grundsätzlicher Lebenstendenzen/-vorstellungen Hohes Sicherheitsinteresse, Ängstlichkeit, starre Gewohnheiten und routinemäßige Abläufe versus lebendige Entwicklungsbedürfnisse, Fortschritt, Dynamik und Veränderung (Selbstverwirklichung). Entnommen aus: Antes, Michael: Der unlösbare Gordische Beziehungskonten. In: Trennung und Scheidung. Praktische und psychologische Hilfestellungen für Seelsorge und Beratung. Möde, Erwin (Hrsg.), Regensburg 2004, S. 65 – 70. -7- ZUM ERKENNEN VON BEZIEHUNGSKRISEN Warnzeichen für einen ungünstigen Partnerschaftsverlauf sind bei Mann und Frau völlig unterschiedlich. Die Unzufriedenheit äußert sich beim Mann mehrheitlich in Rückzugsverhalten und emotionaler Distanziertheit (emotionale Abkapselung, Abschotten, Flucht in die Arbeit, ...) während bei der Frau häufiges Nörgeln und destruktive Kritik zunehmend zu beobachten sind. In einer späteren Phase äußert sich die Partnerschaftskrise vermehrt in destruktiven Kommunikationsverläufen: a) Die Kommunikation wird bei unzufriedenen Paaren zusehends negativer Kritik, Nörgeln sarkastische Bemerkungen, Einschüchterungen, Unachtsamkeiten treten wesentlich häufiger auf als Humor, Bemühen um gegenseitiges Verstehen, Versöhnen, gegenseitiges Nachgehen u.a. b) Die Kommunikation mündet bei unzufriedenen Paaren schneller in Eskalation Bei unglücklichen/unzufriedenen Paaren findet sich eine erstaunlich hohe Wahrscheinlichkeit, dass auf eine negative Äußerung des einen Partners (z.B. einer Kritik oder eines Vorwurfs) eine negative Bemerkung des anderen folgt. Dies heizt den Verlauf des Konfliktgesprächs weiter an und prägt die Kommunikationsdynamik. c) Konflikte sind bei unzufriedenen Paaren häufiger und länger Der regelmäßige Meinungsaustausch wie auch das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Positionen, Vorstellungen und Wünsche sind Teil jeder Partnerschaft und kein Anzeichen für eine unzufrieden stellende oder gestörte Partnerschaft. Problematisch sind nicht die Konflikt an sich – sondern die Art der Austragung. Wenn diese sehr heftig und destruktiv ausfallen (massive Vorwürfe, Abwertungen, verächtliche Bemerkungen, ...), kann von einer gestörten Paarbeziehung gesprochen werden. Wenn zudem das Verhältnis zwischen Konflikten und neutraler oder positiver Kommunikation ungünstig ausfällt, und sich die Partner, kaum dass sie zusammen -8- sind, in die Haare geraten, kann dies als ungünstig interpretiert werden. Unzufriedene Paare gelingt es im Übrigen seltener, einen konstruktiven Ausgang des Konflikts zu finden. Häufig eskaliert der Konflikt (Rausgehen, Türe zuschlagen, Drohungen und Gewalt gegenüber dem Partner/der Partnerin) und das Paar findet keine für beide faire und befriedigende Lösung. d) Unzufriedene Partner kontrollieren sich gegenseitig stärker mit Machtausübung und Druck Dieses Kommunikationsmuster wird als Zwangsprozess bezeichnet, da beide Partner versuchen, mittels negativem Verhalten den anderen zu dem zu zwingen, was sie wollen. Das Prinzip ist einfach. Wird genügend negativ reagiert, lenkt der andere Partner ein. Dadurch verstärkt dies den Partner in seinem negativen Verhalten, weil er erst dann das erhält, was er möchte, wenn er genügend negativ wird. Durch das Einlenken hat der andere seine Ruhe und die Negativität des Partners/der Partnerin legt sich wieder. e) Bei unzufriedenen Paaren verändern sich Erwartungen und Ursachenzuschreibungen Im Falle einer unzufrieden stellenden Partnerschaft bedeutet dies, dass man vom Partner eine hohe negative Verhaltensvorhersagbarkeit annimmt. Das heißt, man erwartet praktisch kein neutrales oder positives Verhalten mehr und ist sich sicher, dass mit einer hohen Wahrscheinlichkeit negatives Verhalten in bestimmten Situationen oder im Allgemeinen auftreten wird. Aufgrund dieser Erwartungshaltung werden in der Folge auch neutrale oder positive Verhaltensweisen (dem Partner sein Lieblingsessen kochen) ungünstig bewertet (Er/sie tut das nur, weil er/sie ein schlechtes Gewissen hat). Ursachenzuschreibungen sind dann destruktiv, wenn Fehler oder negative Ereignisse nicht mehr auf die Situation oder aktuelle Stimmung, sondern auf Charaktereigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale des Partners/der Partnerin zurückgeführt werden. Zudem wird der Partner als Ursache für die Partnerschaftsprobleme angesehen. Dies äußert sich dann in der Regel in „Du bist immer …“ oder „Du bist nie …“-Sätzen, welche Verhaltensweise als Persönlichkeitsmerkmale zementieren. -9- Ab einem gewissen Punkt neigen unglückliche Paare dazu, sowohl das gegenwärtige Verhalten des Partners, ja alles was er denkt, tut und fühlt, ebenso wie das Vergangene negativ zu interpretieren. Es wird alles durch eine schwarze Brille gesehen und einseitig negativ bewertet. Selbst was einmal schön, stimulierend, faszinierend und attraktiv war, wird nun retrospektiv verzerrt, als Täuschung wahrgenommen und abgewertet. In diesem Stadium der Partnerschaft ist es besonders schwierig, offen für Neuerungen zu sein, da auch häufig der Glaube fehlt, dass diese desolate Situation konstruktiv verändert werden kann und je weder Liebe und Zuneigung für den Partner empfunden werden können. Häufige Konflikte und mangelnde Einigung und Versöhnung Negative Ursachenzuschreibung auf Partner/Partnerin Ausbildung einer negativen Erwartungshaltung, dass sich auch in Zukunft nichts ändern wird situatives Verhalten wird auf Persönlichkeit (Charakter) des Partners/der Partnerin zurückgeführt Positive Verstärker verlieren ihre Verstärkerwirksamkeit Prozess einer negativen Partnerschaftsentwicklung - 10 - Untersuchungen belegen, dass allein die Art und Weise, wie Paare von ihrer Beziehungsgeschichte sprechen und welche Erinnerungen sie an die Anfänge ihrer Partnerschaft haben, mit 80 – 90 % Genauigkeit eine Scheidung vorhersagen lassen. f) Wann ist eine Beziehungskrise besonders kritisch? Krisenpaare oder scheidungsgefährdete Paare zeichnen sich durch zunehmend aggressivere Reaktionen (Anschreien, Drohen etc.), Eskalationen des Streitgesprächs und Gewaltanwendung (Stoßen, Schlagen etc.) aus. Zusammenfassend lässt sich sagen: Nach BODENMANN (2005/2) sind Beziehungskrisen besonders kritisch, wenn häufig körperliche und/oder psychische Gewalt vorkommt Krisenpaare oder scheidungsgefährdete Paare zeichnen sich durch zunehmend aggressivere Reaktionen (Anschreien, Drohen etc.), Eskalationen des Streitgesprächs und Gewaltanwendung (Stoßen, Schlagen usw.) aus. sich Frauen emotional zurückzieht „Ich habe lange genug für die Beziehung gekämpft. Jetzt ist mir alles egal!“ Es ist allgemein bekannt, dass Frauen in die Partnerschaft nach wie vor mehr investieren. Beziehungsarbeit wird vorwiegend von ihnen geleistet. So regen Frauen häufiger Gespräche zu Veränderungen an, thematisieren häufiger Konfliktthemen und suchen aktiver nach Lösungen als Männer. Es sind in erster Linie die Frauen, die sich um das Wohl der Partnerschaft und deren Entwicklung bemühen. Dieses Beziehungsengagement der Frauen, welches vom Mann zum Teil mühsam empfunden wird, ist vielfach die Lebensenergie für die Partnerschaft. Beginnt eine Frau – nach langem und meist beharrlichem Bemühen um Veränderung störender Aspekte in der Paarbeziehung – sich emotional zu distanzieren und diese Beziehungsarbeit nicht mehr auf sich zu nehmen, ist dies in den meisten Fällen gleichbedeutend mit dem Ende der Partnerschaft. - 11 - AUSWIRKUNGEN VON AKUTEN BEZIEHUNGSKRISEN Sich in einer Situation zu befinden, die nicht bewältigbar ist, macht hilflos, ratlos und angespannt. Je nachdem ob der Krisenanlass für den Betroffenen Verlust, Bedrohung oder Herausforderung bedeutet, kann sich diese Spannung primär als Depression, Angst oder Panik äußern. Die Gefühle können sich auch in körperlichen Beschwerden mitteilen, z.B. als Herzrasen, Atemnot, motorische Unruhe, Schlafstörungen, allgemeine Erschöpfung, Kopfschmerzen oder Verdauungsbeschwerden etc. RAHMENBEDINGUNGEN DER BERATUNG Grundsätzlich ist die Arbeit mit einem Paar einfacher, wenn zwei Berater (Mann und Frau) zur Verfügung stehen. Vielfach geht es bei der Krisenberatung beim Paar zunächst um eine Bestandsaufnahme und um die Abklärung des Beratungsauftrages, wobei das Paar unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen kann. - Handelt es sich um eine aktuelle Krise und um einen umschreibbaren Konflikt oder um eine tiefergreifende Partnerschaftsproblematik? - Welche Gründe gibt es für die gegenwärtige Krise? Haben Verhaltensänderungen der Partner stattgefunden? Gibt es einen äußeren Anlass? - Sind beide motiviert, die Beziehung aufrecht zu erhalten, oder hat sich einer der beiden Partner schon innerlich getrennt? - Bestehen Asymmetrien hinsichtlich Bindung und Zuneigung? - 12 - DER ERSTE KONTAKT MIT DEM PAAR IN DER KRISE Meist sind es drohende oder erfolgte aggressive Auseinandersetzungen bzw. der schlechte psychische und/oder körperliche Zustand eines Partners, die ein Paar dazu veranlassen, in eine Beratungsstelle zu kommen. Beim Erstkontakt mit dem Paar kann nach SONNECK (2005) folgendes passieren: Der Berater/die Beraterin kann - von einem der beiden als verständnisvolle Aussprechperson für Eheschwierigkeiten einbezogen werden – das Paar geht entlastet nach Hause und eine Auseinandersetzung mit dem Partner erübrigt sich fürs erste. - von einem der beiden die unter Umständen verführerische Rolle des potenten Unterhändlers übertragen bekommen. - vom Paar aufgrund seiner Autorität zu richterlichen Urteilen über Gut/Böse oder Normal/Abnormal genötigt werden. - das Paar im Widerstand erleben, das sich gegen ihn/sie und seine/ihre Interventionsversuche „verschwört“. Bevor mit der Paarberatung begonnen werden kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Die Krise muß als Paarproblem identifiziert sein und nicht als individuelles Problem eines Beziehungspartners. Im letzteren Fall müssen mit diesem Einzelgespräche vereinbart werden. 2. Beide Partner sollen mit dem Gespräch zu dritt bzw. zu viert (mehr oder weniger) einverstanden sein. 3. Die Krisenintervention soll ein gemeinsames Ziel des Paares sein; beide Partner werden Aufgaben und Verantwortung zur Erreichung dieses gemeinsamen Zieles übernehmen müssen. ZUM ABLAUF DES ERSTGESPRÄCHS Paarberatung muss sich nach SONNECK (2005) immer an der aktuellen Situation, der körperlichen und psychischen Verfassung der Betroffenen, an deren Anliegen sowie an den Ressourcen der Umwelt orientieren. - 13 - a) Versuch, zu beiden Partnern eine Beziehung aufzubauen, indem mit Aufmerksamkeit und Empathie zugehört und dem Paar vermittelt wird, dass es ernst genommen wird. b) Wir klären den Grund des Kommens, den Krisenanlass, die momentane Lebens- und Beziehungssituation beider und was bisher zur Bewältigung der Situation von wem unternommen wurde. - Wie ist das Paar bisher mit ähnlichen Schwierigkeiten umgegangen? - Was unterscheidet diese Krise von bisherigen? - Wie ist man im jeweiligen Elternhaus mit Meinungsverschiedenheiten umgegangen? (Konflikt- und Versöhnungskultur) Immer sollen beide die Möglichkeit zur Darstellung der je eigenen Sicht der Dinge erhalten. c) Eingehen auf die psychische und körperliche Situation des Paares Die akute Suizidgefahr und die Gefahr von Aggressionshandlungen soll gemeinsam abgeschätzt werden. Wo gibt es Entlastung für den einen, den anderen oder für beide? (Kurzfristige Trennung, Einbeziehung von unterstützenden Bekannten, Hilfseinrichtungen, Medikamenten, ...). d) Wenn das Problem definiert und seine gefühlsmäßige und reale Bedeutung erfasst ist, gilt es das Paar dabei zu unterstützen, sich für eine Veränderung der derzeitigen Situation zu entscheiden. Wie kann ein Kompromiss/eine Veränderung, die beide akzeptieren, aussehen? Um dies zu erreichen, müssen fallweise Aufgaben übernommen werden. Die dazu notwendigen Schritte gilt es genau zu besprechen sowie einen zeitlichen Rahmen festzulegen. Der Wunsch nach einer „idealen Lösung“ für beide wird oft geäußert und ist durchaus legitim, in der Krisensituation aber kaum erfüllbar. e) Anschließend wird das Gespräch zusammengefasst, indem der/die Berater/in zunächst beide Seiten würdigt, die Verantwortung des Paares für das gemeinsame Unternehmen „Beziehung“ betont und – wenn möglich – erkennbare Konflikte positiv als Bindungsinteressen umdeutet. Daneben soll aber auch die Zuständigkeit des Partners für sein persönliches Glück betont werden. - 14 - mögliche besondere Belastungen des Paares, z.B. die Geburt eines Kindes, Arbeitslosigkeit, ein Hausbau, die Pflege von Angehörigen, gesundheitliche Probleme usw. würdigt und für erlittene Verletzungen mit dem Paar Möglichkeiten der Versöhnung erarbeitet. erkennbare Änderungsmotivation positiv vermerkt. gemeinsame Ressourcen herausarbeitet, Verschiedenheiten nicht bagatellisiert, aber als mögliche Ergänzungen interpretiert. Kommunikations- und Konfliktdefizite benennt und Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigt. das Ganze in einer Weise, die das Selbstbild der Klienten nicht bedroht und mit ihrer Sicht der Problematik vereinbar ist (dosierte Konfrontation) wiedergibt (Doss 2001). Wenn von allen gewünscht, kann ein neuerlicher Termin vereinbart werden. Wichtiger Hinweis: Es ist prinzipiell zwischen einer Krisenintervention bei einem Paarkonflikt und einer Paarberatung bzw. einer Paartherapie zu unterscheiden. Während sich die Krisenintervention auf maximal 5 Begegnungen beschränkt und eine Ersthilfe darstellt, bietet eine Paarberatung/Paartherapie Möglichkeiten an tiefgreifenden Veränderungen und neuen Gestaltungsspielräumen der Partnerschaft zu arbeiten. Oftmals ist eine Weitervermittlung von der Krisenintervention in die Paarberatung oder Paartherapie notwendig! Ziele der Krisenintervention bei Paaren: Bemühen, ein weiteres Eskalieren der Situation zu verhindern Zeit für Krisenbearbeitung zu gewinnen Irreversible Kurzschlusshandlungen zu verhindern Gefühle und Konflikte zu verbalisieren Kompromisslösungen für die akute momentane Situation zu finden Zu einer Paarberatung/Paartherapie zu motivieren - 15 - DAS BEMÜHEN UM DIE WIEDERBELEBUNG DER LIEBE Sie haben keine Hoffnung mehr. Die Beziehung, in der sie leben, ist festgefahren; alle bisherigen Veränderungsversuche sind gescheitert. Zärtlichkeiten, interessiertes Zuhören, Aufmerksamkeit und Freude haben sich verabschiedet. Vieles, was zu Beginn der Liebesbeziehung selbstverständlich war, ging über die Jahre verloren. Das Paar lebt nur noch resigniert nebeneinander her und manchmal spielt einer mit dem Gedanken der Trennung. In vielen Partnerschaften wird jedoch vergessen, dass Beziehung auch mit Arbeit verbunden ist. Wie bei einer Bergtour ist es kein hinaufgleiten, sondern ein Sich-hinaufArbeiten. Beziehung ist nicht ohne Aufwand und ständige Arbeit zu haben. Das Paar hängt gemeinsam am Seil und ist aufeinander angewiesen. Falsche und zu hohe Erwartungen (Problemfelder werden zunächst ausgeblendet), die Selbstfokussierung (die Idee, es muss einem selbst in der Beziehung immer gut gehen) sowie Einschränkungen in der Selbstverwirklichung führen häufig dazu, dass Beziehungen in Brüche gehen. In der Realität gelebter Partnerschaft geht es jedoch darum, unterschiedliche Bedürfnisse auszutarieren, nachzugeben und Kompromisse zu schließen. Zudem müssen immer wieder neue Investitionen in die Partnerschaft getätigt werden. In vielen Beziehungen lässt sich beobachten, dass Attraktivität, Neuartigkeit und Faszination füreinander im Laufe der Zeit abnehmen. Im selben Verhältnis wie dieser Prozess abläuft, muss Intimität und Vertrauen auf der anderen Seite zunehmen. Wenn dies nicht geschieht, kommt es zu einer Leere in der Beziehung, die zu einer Entfremdung beim Paar führt. - 16 - Paare, die in ihre Partnerschaft investieren, nehmen sich Zeit füreinander und für die Gestaltung ihrer Beziehung. Durch gemeinsame Begegnungen, Erfahrungen und Erlebnisse entsteht ein WIR-Gefühl, das auch in schwierigeren Zeiten nährt. Durch das Investieren in gemeinsame Zeit, bekommt auch die Kommunikation eine andere Tiefe. Man spricht eher an, was einem wirklich beschäftigt und sorgt. Zeit füreinander zu haben trägt auch zur Tiefe der emotionalen Begegnung bei. Fehlt die Zeit, steigt die Oberflächlichkeit der Kommunikation und es kommt zu keiner Begegnung, in der Selbstöffnung stattfindet. Dazu gehört das Ansprechen von wichtigen Themen, Gefühlen und Bedürfnissen. Zeitmangel und Stress verhindern die Selbstöffnung. Man lässt den anderen nicht teilhaben an dem, was einem wirklich umtreibt. Damit verlieren sich Paare aus den Augen. Wir bleiben dem anderen nicht nahe, spüren nicht, wo er oder sie im Leben steht, und der andere weiß auch nicht, was mir wichtig ist. BODENMANN (2014) spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit des „emotionalen Updatings“. Findet dieses nicht statt, geht Intimität verloren und ein Gefühl der Entfremdung stellt sich ein. Die meisten Paare gehen heute nicht wegen Zerrüttung, sondern wegen Entfremdung auseinander. Zu Beginn einer Partnerschaft sind sich beide Partner sehr nahe. Man ist interessiert am anderen, will wissen, was er gerne hat, welche Interessen und Einstellungen ihn bestimmen. Jahre später hat sich diese Situation oft verändert. Man denkt, man wisse alles vom anderen, und bedenkt nicht, dass sich der Partner wie man selbst ständig verändert. In solchen Momenten greift man auf „altes Wissen“ zurück, und wird so dem anderen nicht mehr gerecht. Der fühlt sich unverstanden, nicht mehr von Interesse, vernachlässigt und wendet sich ebenfalls ab. Die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau ist an und für sich kein Problem; sie war schon zu Beginn der Partnerschaft da. Was sich jedoch im Laufe der Zeit verändert, ist die Bereitschaft zuzuhören und sich für den anderen zu interessieren. Dieser Verlust an Motivation hängt häufig mit der Verschiebung der Interessenlagen und dem Suchen nach eigener Bedürfnisbefriedigung zusammen. Mit der Dauer der Beziehung tritt an die Stelle der Motivation, dem anderen seine Bedürfnisse zu erfüllen, der Machtkampf um etwas, was vorher häufig funktioniert hat („Wenn Du nicht mit mir redest, bekommst Du auch keinen Sex“ – „Wenn Du nicht mit mir schläfst, höre ich Dir nicht zu“). Das Grundthema dahinter ist die Tatsache, dass man nicht mehr ausreichend motiviert ist, sich auf den anderen einzulassen und sich für seine Bedürfnisse zu interessieren. - 17 - Zudem geht mit der Zeit auch die Faszination am Partner ein Stückweit verloren. Solange man verliebt ist, ist man begeistert vom anderen, hält ihn für etwas Besonderes und interessant. Bei zunehmender Beziehungsdauer kommt es hier zu einer Veränderung (Beispiel: Der Mann legt der Frau die Jacke um die Schulter, wenn sie friert; später macht er ihr den Vorwurf, dass sie keine Jacke mitgenommen habe, obwohl sie wisse, dass es am Abend kalt werden könnte – oder: Zu Beginn sah die Frau ihren Mann als brillanten Unterhalter. Jahre später empfindet sie ihn als aufgeblasenen Schwätzer mit immer denselben Sprüchen). Dass eine Partnerschaft auch gepflegt werden muss, ist leider noch zu wenig ausgeprägt. Oftmals fehlt auch die Bereitschaft dazu. Viele haben die Vorstellung, dass die Liebe allein sie tragen muss. Die anfängliche Liebe ist jedoch kein Garant für Beziehungsstabilität und Beziehungsqualität. Liebe muss gepflegt werden. Geschieht dies nicht, verkümmert sie wie eine Pflanze, die man nicht regelmäßig gießt und düngt. Sowohl der Mann wie auch die Frau müsse sich immer wieder fragen: Was kann ich besser machen? Wie kann ich dem anderen ein besserer Partner sein? Wir sind oft der Meinung, der andere müsse den ersten Schritt tun. Diese Haltung verhindert jedoch Begegnung und jegliches Wachsen der Beziehung. - 18 - AUßENBEZIEHUNGEN IN AUFRECHTER EHE/PARTNERSCHAFT Wir wissen, dass in unserer westlichen Welt etwa ein Drittel bis die Hälfte der Männer und Frauen im Laufe ihrer Ehejahre „untreu“ werden. Die Frage „Warum hast Du mir das angetan?“, macht deutlich, dass nicht selten schwere Verletzungen und Leid damit einhergehen und es zu tiefen Einschnitten – vielfach zu einer Neuorientierung aller Beteiligten kommt. Das Auftauchen des „Dritten“ stellt ein zutiefst krisenhaftes Ereignis dar und wird vom Verlassenen als Verrat an der ursprünglichen „Paar-Utopie“ gesehen. Wichtige Überlegungen zur Dreiecksbeziehung: 1. Durch das Entstehen einer Dreiecksbeziehung wird deutlich, welches Potential an ungelebtem Leben vorhanden ist. Oder anders gefragt: Welches derzeitige Ungleichgewicht zwischen den Partnern soll durch die Außenbeziehung ausgeglichen werden? Die Dreiecksbeziehung macht somit ein Defizit der Zweierbeziehung deutlich und konfrontiert die Partner mit wichtigen Entwicklungsaufgaben. 2. In Dreiecksbeziehungen repräsentieren der/die Geliebte das erregende Element, mit dem/der dann auch sexuelles Erleben wieder möglich ist. Die Partner in der Ehe aber haben vielfach ihre Konturen als Frauen und Männer quasi verloren, mit ihnen hat sich eine Primärfamilie hergestellt, in der sie sich zwar geborgen fühlen, in der es aber langweilig ist – und zwar nicht nur im Bereich des Sexuellen. 3. Vor allem Menschen, die ihr Leben ausschließlich über die Leistung definiert haben, erleben eine tiefe Krise, wenn das Ende dieser Leistungsfähigkeit in Sicht kommt. Eine junge Geliebte scheint das Gespenst des Alterns zu vertreiben. MYTHEN UND SCHEINWAHRHEITEN ÜBER UNTREUE (CLEMENT 2011/2) Affären sind ein Beweis dafür, dass die Beziehung in Schieflage geraten ist. Eine gelegentliche Affäre tut einer langjährigen Ehe gut. Männer sind von Natur aus untreu. Untreue beweist, dass der untreue Partner weniger liebt als der Betrogene. - 19 - Der Betrogene ist zumindest mit schuld, wenn der untreue Partner sich auf ein Abenteuer einlässt. Nach einer Affäre ist die Beziehung nicht mehr zu retten. WAS TUT WEH, WENN ES WEH TUT? Die sexuelle Verletzung: Die Außenbeziehung wird als Angriff auf die eigene Männlichkeit/Weiblichkeit interpretiert. Es kommt zu Vergleichen mit dem/der Rivalen/Rivalin und zur Aufforderung, intime Details zu „beichten“. In der Beschreibung der sexuellen Details wird die Kränkung jedoch konkret. Die Details bringen keine Aufklärung, sondern bebildern und intensivieren den Schmerz. Die Loyalitätsverletzung: Für die schlechten Zeiten definiert der Ehevertrag das, was in guten Zeiten die Liebe von selbst macht. Er legt nicht nur Verlässlichkeit fest, die auf Besonderheit und Ausschließlichkeit gründet. Er fordert und bietet auch Loyalität, das Einstehen füreinander im Ernstfall. Damit schließt er Zweifel und Kompromisse aus. Der Beziehungsvertrag ist also absolut. Fast. Eine Einschränkung besteht, und diese liegt in der Gültigkeit. Als der Vertrag geschlossen wurde, gingen beide von uneingeschränkter Gültigkeit aus. Liebe will Ewigkeit. Deshalb wird dieser Punkt bei einer Außenbeziehung hochaktuell. In einem Bündnis sichert Loyalität den Schwächeren ab. Und der im Moment Schwächere ist der betrogene Partner. Die soziale Verletzung: Untreue findet nicht nur heimlich und ungesehen statt. Freunde, Kollegen, Nachbarn können etwas mitbekommen. Wenn die Untreue aus dem Schutz der Heimlichkeit heraustritt, wenn sie auffliegt und der andere den Betrug bemerkt, kommt die Dimension der Kränkung dazu: die Blamage vor den anderen. Der Betrogene sieht sich bloßgestellt, sieht die bewertenden Blicke und die öffentliche Stigmatisierung. Besonders groß ist die soziale Kränkung, wenn Affärenpartner aus demselben Freundeskreis kommen. Die existentielle Verletzung: Affären können Sinnfragen aktualisieren, auf die es keine Antworten gibt. Das Bewußtsein, für jemanden da zu sein, zu jemand zu gehören, eine Geschichte - 20 - und eine Zukunft mit jemand zu teilen, ist zerbrochen und weicht einer Leere ohne Resonanz. Fragen wie „Warum jetzt?“, „Was habe ich falsch gemacht?“ „Womit habe ich das verdient?“ „Wie konntest Du mir das antun?“ sind Fragen an die Freiheit des anderen, der sich auf einen andern Menschen eingelassen hat. Aber egal welche Antworten der fremdgehenden Partner auch gibt, sie werden nicht ausreichen – und zwar deshalb nicht, weil das ängstigende Moment durch keine Antwort eingefangen werden kann, nämlich das der Partner nichts anderes tut, als seine Freiheit – und nicht die Erwartungen des Liebenden – zu realisieren. PHASEN DER AFFÄRE NACH U. CLEMENT 1. Phase: Die heimliche Affäre und der Verdacht Die Entscheidung, eine Affäre geheim zu halten, hat Konsequenzen. Die eine Sünde zieht die andere nach sich. Dazu gehört auch die Lüge. Ohne Lügen lässt sich eine Affäre nur kurzfristig geheim halten. Wer das Geheimnis wahren will, muss im Prinzip bereit sein zur Lüge. Damit wertet er den Schutz der Affäre höher als das Gut der Wahrheit. 2. Phase: Die Affäre wird offen gelegt In dem Moment, in dem die Affäre nicht mehr geheim gehalten wird bzw. auffliegt, ist die Beziehungswelt nicht mehr dieselbe wie zuvor. Und es gibt keinen Schritt mehr in die unschuldige Treue zurück. Die Unschuld ist vorbei. 3. Phase: (Entweder – oder) – Die Entscheidung Wenn die Affäre offen gelegt wurde – geht die Primärbeziehung nicht einfach weiter wie bisher. Auch dann nicht, wenn sich beide Partner das einreden und die ganze Sache vergessen wollen. Häufig kommt die Frage auf den Tisch, welchen Preis für welche Entscheidungen zu bezahlen ist – emotional, praktisch, finanziell. Vor allem wenn die Affäre frisch offengelegt ist, bestimmen radikale Gefühle das Geschehen. Sie reichen von Rachegelüsten bis zu Mord- und Selbstmordphantasien. - 21 - Der Rivale wird abgewertet oder bloßgestellt, der/die Untreue wird pathologisiert oder moralisch in Grund und Boden verurteilt. Alles ist schrecklich, aber vernichtend klar. Wenn sich die Wut gelegt hat, kommt vielfach wieder die Ambivalenz: Ich hasse den geliebten Partner für das, was er mir angetan hat. Ich möchte ihn allein haben und ich möchte ihn zum Teufel jagen. Und es stehen Konsequenzen an: Auf den ersten Blick geht es um die Entscheidung, wer das Paar ist und welche zwei welchen Dritten ausschließen. Verbündet sich das „alte“ Paar gegen die Affäre, die dann als Störenfeind behandelt wird oder wandelt sich die Außenbeziehung zur neuen Partnerschaft? 4. Phase: Der Preis de Entscheidung Wer sich entscheidet, eine Affäre zu beenden, weil die Konfliktspannung zu hoch ist oder weil er die Ehe retten will, zahlt einen Preis. Er gibt eine Beziehung auf, die ihm etwas bedeutet hat und muss mit dem Gefühl der „ungelebten Liebe“ weiterleben, muss mit unerfüllten Wünschen umgehen lernen. Auch wenn er sich eindeutig entschieden hat, bleibt seine Gefühlslage zwiespältig. Die Trauer wird meist tabuisiert. 5. Phase: Das Problem mit dem Vertrauen „Wie soll ich dir jetzt noch trauen, wo du mich betrogen und belogen hast?“ Wie lässt sich verlorenes Vertrauen wiedergewinnen? In der Beratung wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man Vertrauen nicht geschenkt bekommt, sondern es sich verdienen muss. Die amerikanische Autorin A. Spring (1996) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Varianten: Low cost behaviors: „Gib mir einen genauen Ablauf deiner Dienstreise“! „Sag mir, wenn dein Geliebter dich anruft“. „Komm früh von der Arbeit nach Hause, um mit der Familie zu Abend zu essen“…. High cost behaviors sind größere, zum Teil auch finanziell spürbare Veränderungen wie „Lass uns in eine andere Stadt umziehen“, „Überschreibe das Haus auf meinen Namen“, „Zahle Geld auf unser gemeinsames Konto „! Diese Maßnahmen müssen mit Skepsis betrachtet werden, da sie den Charakter von Abbüßen von Schuld haben. Und sie erreichen genau das nicht, was sie sollen, weil sie Vertrauen auf dem Weg über Kontrolle erlangen wollen. Kontrolle aber widerspricht dem Wesen des Vertrauens. - 22 - 6. Phase: Das Verzeihen Neben dem Vertrauen ist das Verzeihen das zweite große Thema bei der Verarbeitung einer Affäre und beim Übergang in eine neue Beziehungsphase. Während Vertrauen seinen Fokus in der Zukunft hat, ist Verzeihen vergangenheitsorientiert. Vertrauen öffnet den Zukunftsraum, Verzeihen schließt einen Teil der Vergangenheit. Verzeihen ist ein Thema zwischen zwei Ungleichen. Wer um Verzeihung bittet, gesteht ein, dass er dem anderen Unrecht oder Schmerzen zugefügt hat, gibt also Schuld zu. Wer verzeiht, verzichtet auf einen Ausgleich, obwohl im Unrecht geschehen ist. Verzeihen wollen heißt noch nicht verzeihen können. ZUM BERATUNGSSETTING Krisenintervention in der Paararbeit setzt grundsätzlich die Anwesenheit beider Betroffenen voraus. Daneben ist es aber auch möglich, im Einzelsetting zu arbeiten. Dies hat den Vorteil, das Fragen, die die individuelle Entwicklung des Einzelnen betreffen, besser besprochen werden können. Wenn der Untreue nicht da ist, fällt es leichter, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Aber auch die eigene Situation zu reflektieren und eigene Anteile am Entstehen der Außenbeziehung sehen zu können, ist im Einzelgespräch mit dem „Betrogenen“ leichter möglich. Schließlich lässt sich auch der Frage, wofür das einmal gut gewesen sein könnte, leichter nachgehen, als in Anwesenheit des „untreuen“ Partners. Für den „Untreuen“ können Einzelgespräche deshalb oft wichtig sein, weil er/sie dann offen über das Erleben der Außenbeziehung sprechen kann. Im Gegenzug ist es auch leichter möglich, die Schattenseiten des Geliebten in den Blick zu bekommen. Bei aller Wichtigkeit der Einzelgespräche darf aber nicht vergessen werden, dass die Auseinandersetzung mit der Paarbeziehung (also die Paargespräche) den zentralen Stellenwert behalten. Die Einzelgespräche sollten deshalb so konzipiert sein, dass sie immer wieder in Paargespräch zurückführen. - 23 - DIMENSIONEN DER BERATUNG NACH H. JELLOUSCHEK 1. Entscheidungsspielraum gewinnen Einen bestimmten Zeitraum festlegen, in dem sich die Partner zusagen, keinerlei definitive Entscheidung über die Form des Zusammenlebens zu fällen – also weder die Ehebeziehung aufzulösen, noch die Außenbeziehung in eine neue Ehebeziehung zu überführen. Um solche Prozesse anzuregen, benötigen wir meist ca. ein halbes Jahr. Mit diesem Vorschlag haben die Treuen oft Mühe, da von ihnen ein langer Atem und viel Toleranz verlangt werden. Meist gehen räumliche Veränderungen einher. Wichtig: Sich und dem anderen Zeit geben Keine Entscheidungen erzwingen/erpressen Raum schaffen (Raum bedeuten auch Schutz) 2. Das Muster verstehen wollen Hier geht es um das Verstehen des Problems. Dabei soll mit den Betroffenen herausgefunden werden, aus welcher gegenwärtigen Konstellation, aus welcher Art von Zusammenspiel in der Beziehung sich die Außenbeziehung mit einer gewissen inneren Logik ergeben hat. Dabei kommen die Disharmonien in den Dimensionen Autonomie und Bindung, Dominanz und Unterordnung oder Geben und Nehmen zu Sprache. Oftmals wird dadurch deutlich, welche Funktion der/die „Geliebte“ für die Paarbeziehung einnimmt. Dies kann sehr ernüchtern sein, denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, das die Intensität der Außenbeziehung jedenfalls zu einem Gutteil von der spezifischen Problematik der Ehebeziehung lebt. Wichtig: Die Auseinandersetzung mit dem Partner/der Partnerin suchen – jedoch begrenzte Zeit für diese Gespräche fixieren. 3. Die Paargeschichte und den Lebenszyklus miteinbeziehen Nicht selten wird die Außenbeziehung auch verstehbar als Endpunkt einer ganzen Reihe von Verletzungen, über die nie gesprochen wurden. Ist dies der Fall, wird es nötig sein, sich gegenseitig diese Verletzungen zu erzählen, um Verzeihung zu bitten und Verzeihung zu gewähren. Das Ausräumen des „Museums der Verletzungen“ kann einen doppelten Effekt haben: Entweder die Ehebeziehung - 24 - wird auf eine neue Basis gestellt, oder in diesem Prozess wird deutlich, dass es keine gemeinsame Zukunft mehr gibt. 4. Entscheidungen treffen In dieser Phase geht es um die grundsätzliche Entscheidung über die Zukunft. Entweder es kommt zu einer Trennung der Partner, oder die Partner entscheiden sich für einen neuen Anfang ihrer Beziehung, was in der Regel für den ehemals „Untreuen“ die Trennung von der/dem Geliebten bedeutet. Wichtig: Eigene Lebens-Bilanz ziehen Gut auf sich schauen - für sich sorgen Eigenständigkeit erhalten Praktische Hinweise für die Zeit der Entscheidungsfindung: Kinder nicht involvieren (gilt auch gegenüber den eigenen Eltern) Keine Erpressungsversuche aber auch keine Unterwerfungsrituale Auf Respekt und Würde achten Trotzhaltung bzw. Regression vermeiden Haltgebende Strukturen suchen (Arbeit, Freunde, Hobbys, …) Selbstabwertende Gedanken/Gespräche unterbrechen Nicht nachspionieren und kontrollieren - 25 - BERATUNGSASPEKTE BEI AUSSENBEZIEHUNGEN Situation mit dem Klienten/der Klientin aushalten Zulassen von Schmerz in geschützter Atmosphäre Blick aus der Distanz auf die Situation (Idealisierung/Abwertung) Vergangenes/Erlebtes sollte nicht abgewertet werden thematisieren des bestehenden Lebenskonzeptes Aggressionen gegen die dritte Person zielen ins Leere Opferrolle bietet wenig Spielraum eventuell bestehende Abhängigkeiten sichtbar machen Arbeiten am Selbstwert des Klienten/der Klientin Motivation zu autonomer Veränderung (Projekt) Klärung, was im Augenblick gut tut Selbstschädigende Aspekte bzw. Suizidgefährdung abklären ev. medizinische/medikamentöse Unterstützung - 26 - VERSÖHNEN WIR UNS?! Menschen, die sich lieben, fügen sich unausweichlich auch Verletzungen zu. Will ein Paar den gemeinsamen Weg weitergehen, müssen sich die Partner erlittenes Unrecht verzeihen. Dies ist kein einfacher Weg, aber der einzige, in der die Beziehung eine Zukunft hat. Konflikte, Enttäuschungen und Verletzungen – auch wenn sie längere Zeit zurück liegen – wirken oft lange nach. Der Grund dafür liegt vielfach darin, dass sie in einer besonders sensiblen Situation geschehen sind. Man hätte gerade damals den anderen, seinen Beistand, seine Verlässlichkeit dringend gebraucht. Darum war die Enttäuschung über sein/ihr Tun oder die Unterlassung so groß. Beispiele für Kränkungen/Verletzungen: „Ich wollte das Kind unbedingt, aber ihr war der Beruf damals wichtiger, und sie hat abtreiben lassen.“ „Als wir unser Kind bekommen hatten, hat er mich völlig im Stich gelassen, obwohl es mir damals hundsmiserabel ging.“ „In der ersten Zeit, als wir noch bei seiner Mutter wohnten, hat er mich vor ihrer Kritik nie in Schutz genommen und immer ihre Partei ergriffen.“ „Als ich beruflich gerade völlig überfordert war, hat sie eine Beziehung mit meinem besten Freund angefangen.“ Ereignisse die einmal stattgefunden haben, können nicht mehr ungeschehen gemacht werden – sosehr man sich dies auch wünschen mag. Gleichzeitig wirken diese Erfahrungen in die Gegenwartsbeziehung herein und belasten diese. Bei vielen Paaren sind solche Verletzungen der Anfang vom Ende. Denn wenn das eine oder andere in der Gegenwart noch hinzukommt, dann ist das häufig der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Auch wenn es nicht zur Trennung kommt, bleibt das Geschehene ein „unerledigtes Geschäft“, das im Leben des Partners Entfremdung verursacht. Nur durch Verzeihen hört es auf, störend in die Gegenwart des Paares hineinzuwirken. Doch Verzeihen und Wiedergutmachen ist ein schwieriges Unterfangen; dafür haben viele Partnerschaften keine Kultur entwickelt. - 27 - Ein Beispiel: Karl hat während seines aktiven Berufslebens ein paar Mal Außenbeziehungen gehabt. Kerstin ist damit recht großzügig umgegangen, aber eine Eskapade hat sie tief verletzt: Das war, als sie sich nach dem zweiten Kind entschlossen hatte, ganz zu Hause zu bleiben, um die Kinder zu versorgen und ihm, der gerade eine neue, sehr herausfordernde Stelle angetreten hatte, den Rücken freizuhalten. Da hat er die Beziehung zu seiner „ersten großen Liebe“ wieder aufgenommen und mit ihr ein halbes Jahr lang im Geheimen ein intimes Verhältnis gepflegt – bis Kerstin zufällig dahinterkam und ihn zur Rede stellte. Dieses Verhältnis hat sie so tief getroffen, dass sie sich trennen wollte. Um das zu verhindern, brach Karl die Beziehung ab und wandte sich wieder seiner Frau zu. Damit erreichte er, dass sie die Trennungsdrohung zurücknahm, aber die Affäre nimmt sie ihm auch heute noch übel. Wenn sie miteinander streiten, erinnert sie ihn bei jeder Gelegenheit an seine Untreue von damals und versucht, ihn damit ins Unrecht zu versetzen. Das führt aber nur dazu, dass er ihr ebenfalls Vorwürfe macht oder die Auseinandersetzung abbricht. Versöhnung: Anforderungen an das „Opfer“. Was braucht das Opfer, um in einer solchen Situation ein Verzeihen zu ermöglichen? 1. Kerstin, als die Verletzte, muss sich zunächst darüber klar werden, ob sie Karl überhaupt verzeihen möchte. Verzeihen ist ein autonomer Akt und allein ihre Entscheidung. Durch nichts (weder durch perfektes Wohlverhalten noch durch Werke der Wiedergutmachung) kann dieser Schritt in ihr bewirkt werden. Kerstin muss verzeihen wollen, ansonsten wird die Verletzung weiterwirken. 2. Das bedeutet jedoch nicht, die Verletztheitsgefühle, die noch virulent sind, zu verleugnen. Im Gegenteil: Der erste konkrete Schritt im Versöhnungsprozess besteht darin, dass der Verletzte sich seine Gefühle eingesteht und sie dem anderen in aller Klarheit mitteilt. Der Versöhnungsprozess kann nur gelingen, wenn die wahren Gefühle der Verletzung auf den Tisch kommen. 3. Die Gefühle klar zu benennen ist das eine. Damit es in Richtung Versöhnung weiter gehen kann, ist allerdings erforderlich, dass der Verletzte bereit ist, auf Rache am - 28 - anderen zu verzichten. Durch Rache geschieht keine Versöhnung. Wer verzeihen will, muss auf Rache verzichten, sonst ist die Gefahr groß, dass sich der Teufelskreis weiterdreht. 4. Um Rachegefühle loslassen zu können, hilft es sehr, wenn der verletzte Partner über das Gesagte hinaus bereit ist, die Perspektive des „Täters“ einzunehmen, um das verletzende Geschehen mit dessen Augen zu betrachten. Dazu müsste Kerstin sich fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass Karl das getan hat? Nicht um sein Tun zu entschuldigen, sondern um es besser zu verstehen. Dieser Schritt ist in der Regel für den Verletzten besonders schwierig. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Nicht zu übersehen ist jedoch, dass in der Opferposition auch Macht liegt. Nicht verziehene Verletzungen können über Jahre hin „in der Munitionskiste aufbewahrt werden“. Der andere ist der „Unmoralische“ und diese „Waffe“ kann jederzeit wieder gezogen werden, wenn Bedarf danach besteht. Wenn Kerstin sich jedoch in die „Opferposition“ begibt und die Rachegefühle aufgibt, lässt sich diese Waffe los. Dies macht sie für den Augenblick ohnmächtig, ist aber die Voraussetzung für den Schritt des eigentlichen Verzeihens. 5. Verzeihen muss in konkreter Form geschehen. In der Regel wird es nötig sein, dies auch auszusprechen: „Ich lasse die Verletzung los. Ich verzeihe Dir und nehme Dir das nicht mehr übel… Ich rechne es Dir nicht mehr vor“. Mit dem Aussprechen erhält die Verzeihung Gestalt – wird verbindlich. Der Akt des Verzeihens bedeutet nicht ohne Weiteres: Jetzt lieben wir uns wieder. Das Verzeihen schafft wohl eine neue Offenheit für den anderen, aber es bedeutet zunächst in erster Linie: Ich trage Dir nichts mehr nach. Es heißt aber noch nicht unbedingt, dass wieder Vertrauen möglich ist. Die Beziehung kann an dieser Stelle auch zu Ende sein. Viele Paare verzeihen sich deshalb nicht, da sie damit Gefahr laufen, die Beziehung aufzugeben. Auch eine negative Beziehung – eine Hassbeziehung – ist eine Form von Beziehung, die über lange Zeit binden kann. Versöhnung: Anforderungen an den „Täter“ 1. Den größten Fehler, den „Täter“ machen können, passiert meist gleich am Anfang der Auseinandersetzung. Er besteht beispielsweise darin, dass Karl auf Kerstins - 29 - Aussage „Du hast mich verletzt“, mit Ausflüchten oder Gegenvorwürfen reagiert. „Ich habe mich nur deshalb auf sie eingelassen, weil … Du warst damals so abweisend zu mir …“. Mit dem, was Karl dabei mitteilt, kann er durchaus richtig liegen. So wie er es aber vorbringt – entschuldigend, verteidigend und rechtfertigend – veranlasst er die Verletzte, nur noch mehr auf seine Verletzung zu bestehen und neue Argumente hochzufahren. Damit ist der Versuch, eine Versöhnung zustande zu bringen, in einen neuen Kreislauf von Vorwurf und Gegenvorwurf umgeschlagen. Besser wäre es, wenn Karl einfach sagen würde: „Ja, ich habe Dich damit verletzt. Ich wollte es vielleicht nicht … Ich konnte nicht anders … Ich habe es falsch eingeschätzt, was es für Dich bedeutet … Ich weiß, dass ich Dir sehr weh getan habe“. Damit gibt Karl zu, dass er schuldig geworden ist. 2. Das Eingeständnis und die Übernahme der Verantwortung für das Geschehene ohne Ausflüchte macht es in der Regel dem Verletzten sehr viel leichter, den Schritt des Verzeihens zu tun. Noch mehr hilft die ausdrückliche Bitte um Verzeihung. Die ausdrückliche Bitte um Verzeihung fällt jedoch in vielen Fällen sehr schwer. Sie bedeutet, den Selbstschutz aufzugeben und sich dem anderen in gewisser Weise auszuliefern. Viele Verletzte sehnen sich jedoch danach, einen solchen Satz vom Partner/von der Partnerin zu hören. 3. Zusätzlich kann es hilfreich sein, wenn der „Täter“ bereit ist, auch seinerseits einen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Wenn in diesem Beispiel, also Karl – statt sich herauszureden und Gegenargumente zu bringen – genau hinhört und versucht, durch einfühlsame Fragen die Lebenssituation von Kerstin nachvollziehen und zu verstehen, was sie genau verletzt hat, geht er indirekt auf seine Frau zu. Vielleicht hört er dann zum ersten Mal, das womöglich die Tatsache des Fremdgehens sogar weniger verletzend war als der Umstand, dass er das so lange geheim gehalten und sie ständig belogen hat, wenn er sich mit der Geliebten zu treffen beabsichtigte. Dieses genaue Verstehen kann sowohl die Bitte um Verzeihung als auch den Akt des Verzeihens selbst sehr erleichtern. Entnommen aus: Jellouschek, Hans: Wenn Paare älter werden. Die Liebe neu entdecken, Herder Verlag 2008 - 30 - TRENNUNG ALS LETZTER VERSUCH DIE BEZIEHUNG ZU RETTEN Die räumliche Trennung von Paaren in Krisenzeiten wird vielfach als letzter Ausweg aus einer ausweglosen Situation gesehen. Dabei ist zu betonen, dass Trennen (Verlassen des Wohnraumes) nicht automatisch mit Trennen (Abbruch der Beziehung) gleichgesetzt werden kann. Das Schaffen von räumlicherer Distanz kann unterstützend in der Entscheidungsfindung wirken. Wenn Paare sich unschlüssig sind, ob Sie sich trennen möchten oder weiterhin zusammenleben wollen, kann dieser Schritt zur Klärung beitragen. Erfahrungsgemäß spitzt eine räumliche Trennung die Entscheidung zu, ob sich die Beziehung weiterentwickelt oder ob sie in Richtung Distanzierung/Scheidung geht. Während dieser Zeit sollte das Paar – wenn möglich – gemeinsame Hilfe in Form von Beratung in Anspruch nehmen. Es ist empfehlenswert, dass sich das Paar vor der Trennung zusammensetzt und miteinander einen (schriftlichen) Vertrag abschließt, in dem die Dauer festgelegt wird. Empfehlung: nicht unter 2 bzw. 3 Monate und nicht über ein Jahr Weiters sollte in einem solchen Schreiben festgehalten werden: Wer zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus? Wohin zieht diese Person? Wer bezahlt die laufenden Kosten der Wohnung? Wie werden die Aufwendungen der Zusatzwohnung abgegolten? Eine Trennung in der gemeinsamen Wohnung ist nicht empfehlenswert; auf diese Form wird dann zurückgegriffen, wenn keine preiswerte Notunterkunft gefunden werden kann oder es an Freunden (mit entsprechendem Wohnungsangebot) fehlt. Ferner sollten die Regeln für den Zeitraum der Trennung bestimmen werden. So kann z.B. festgelegt werden, dass das Paar miteinander keinen Kontakt hat - mit Ausnahme der Beratung - oder dass Sie einander ein- bis zweimal pro Woche treffen. Im letztgenannten Fall muss auch geregelt werden, ob und unter welchen Bedingungen Geschlechtsverkehr zulässig ist. - 31 - Außerdem sind Vereinbarungen für Kontakte mit den Kindern (und Familienaktivitäten) zu treffen. Daneben müssen die wirtschaftlichen Belange während der Zeit der Trennung geklärt werden. Wer kommt für Versicherungen, gemeinsames Auto, Rückzahlungen für die Wohnung auf? Wie viel Geld steht jedem Teil für den privaten Konsum zur Verfügung? Dürfen größere Anschaffungen getätigt werden? Fallen Reparaturen an, wie ist damit umzugehen? Zudem ist festzulegen, ob der Mann bzw. die Frau während dieses Zeitraums mit Dritten flirten und sexuelle Beziehungen eingehen darf. Soll darüber in der Beratung gesprochen werden? Wie wird mit Kontrolle (Nachspionieren) umgegangen? Schließlich soll vereinbart werden, dass während der strukturierten Trennung kein endgültiger Beschluss über eine mögliche Scheidung gefällt wird; ausgenommen davon ist die Tatsache, wenn sich gravierende Veränderungen (Verlassen des Landes mit einem anderen Partner) ergeben. Die Trennung kann ein letzter Versuch zur Rettung der Paarbeziehung sein. Vielfach sind die Beratungsgespräche in dieser Zeit entkrampfter, da sie nicht durch vorausgegangene Konflikte und Spannungen belastet sind. Zudem haben die Partner mehr Energie für die Treffen übrig und können so auch die Erfahrung positiver Interaktionen machen, ohne während der Woche negative zu erleben. Während der Trennung erkennen die Paare vielfach die nun fehlenden Vorteile der Ehe; sie gewinnen einen Eindruck vom Leben ohne den Partner und können Ihre Situation von einer größeren Distanz aus und damit objektiver beurteilen. Treffen sie einander (außerhalb des Beratungssettings) ein- oder zweimal pro Woche (an einem neutralen Ort), können sie für sich selbst herausfinden, was sie füreinander empfinden. Wenn sie feststellen, dass sie einander immer noch mögen/lieben, können Sie nach Ablauf der vereinbarten Trennungszeit wieder zusammenziehen. Es empfiehlt sich aber trotzdem, die Paarberatung fortzusetzen. Zu schnell fällt man/frau in alle Muster zurück. Entscheidet sich das Paar nach der strukturierten Trennung für eine endgültige, ist es aufgrund der bereits gewonnenen räumlichen und emotionalen Distanz zumeist leichter, Regelungen für die Scheidungsphase zu treffen. Oft können viele - 32 - Vereinbarungen hinsichtlich aus der Trennung fortgeschrieben werden. Die schon erreichte Distanz macht es auch leichter, die Interessen eventuell vorhandener Kinder voll zu berücksichtigen. DER TRENNUNGSPROZESS Bei Initiatoren der Trennung Distanzierung: Zunehmend werden die negativen Seiten des Partners wahrgenommen und die Hoffnung auf Veränderung schwindet, die innerliche Distanzierung nimmt zu. Gefühle von Angst vor der Trennung und Schuldgefühle erschweren den Trennungsentschluss. Erleichterung: Die Auflösung der Beziehung wird als Erleichterung empfunden. Zweifel: Der Verlust wird wahrgenommen, positive Erinnerungen treten auf und damit der Zweifel an der Entscheidung. Innere Versöhnung: Es kommt zur inneren Loslösung und die positiven Gefühle können zugelassen werden, da die frühere Beziehung ihre Bedeutung für die eigene Identität verliert. Bei Verlassenen Ungläubigkeit: Nach dem Verlassenwerden zweifeln die Verlassenen an der Endgültigkeit des Entschlusses. Erste Ängste treten auf, durchsetzt von Phasen der Hoffnung. Verzweiflung: In der Auseinandersetzung mit der Endgültigkeit der Trennung treten heftige Gefühle auf. Idealisierungen des verlorenen Partners werden verstärkt. Aggression: Neben Trennungsschmerz taucht Wut auf den Partner auf. Er wird nicht mehr idealisiert. Die Betroffenen fangen an, positive Seiten ihrer neuen Situation zu sehen. Neuorientierung: Die Betroffenen beginnen ihr Leben neu zu gestalten und eine von der Partnerschaft unabhängige Identität aufzubauen. - 33 - Bei Kindern Kinder/Jugendliche können bei der elterlichen Trennung/Scheidung mindestens fünf Übergänge erleben: Die Zeit vor der Trennung, die Desorganisation während der Trennung /Scheidung, das Experimentieren mit Bewältigungsstrategien, die Reorganisation der Familie in einem Ein-Eltern-Haushalt und später u.U. der Wiedereintritt in eine Zwei-Eltern-Familie mit dem neuen Lebenspartner des Elternteils. GEWALT IN PAARBEZIEHUNGEN Grundsätzlich entscheiden über das Auftreten von Gewalt in Paarbeziehungen oft die Verteilung von Macht, Einfluss und Kontrolle zwischen den Partnern, sowie die Form der Kommunikation und ihre sozialen Kontakte. Empirische Studien (vgl. www.gleichstellung-schweiz.ch) haben gezeigt, dass die Rollenverteilung innerhalb einer Partnerschaft einen grossen Einfluss auf das Vorkommen von Gewalt hat. Deutlich wurde ein Zusammenhang zwischen Dominanz und Gewaltausübung. Somit widerspiegelt Gewalt immer ein Kräfteungleichgewicht der involvierten Personen. Von häuslicher Gewalt wird gesprochen, wenn „Personen innerhalb einer bestehenden oder aufgelösten familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische, psychische oder sexuelle Gewalt ausüben oder androhen“ (Fachstelle gegen Gewalt, 2007). Die Hauptmerkmale häuslicher Gewalt sind: Zwischen gewaltausübender Person und Opfer besteht eine emotionale Bindung. Auch mit einer Trennung/Scheidung ist diese Bindung oft noch nicht gelöst. Die Gewalt wird meist in der eigenen Wohnung ausgeübt, die eigentlich als Ort von Sicherheit und Geborgenheit verstanden wird. Häusliche Gewalt verletzt die körperliche und/oder psychische Integrität durch Ausübung der Androhung von physischer, sexueller oder schwere psychische Gewalt. Die gewaltausübende Person nützt ein Machtgefälle in der Beziehung aus. - 34 - Dabei werden zwei Arten von Gewalt unterschieden: nämlich Gewalt als spontanes Konfliktverhalten oder Gewalt als systematisches Gewalt- und Kontrollverhalten. Weiter unterscheidet die Fachstelle für Häusliche Gewalt (2007, S.2) zwischen verschiedenen Gewaltformen, die einzeln oder zusammen auftreten können: Physische Gewalt: umfasst Schlagen mit und ohne Werkzeuge, Stossen, Schütteln, Beissen, Würgen, Fesseln, Gegenstände nachwerfen, tätliche Angriffe bis hin zu Tötungsdelikten. Sexuelle Gewalt: umfasst das Zwingen zu sexuellen Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen. Psychische Gewalt: umfasst sowohl schwere Drohung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Auflauern nach einer Trennung (Stalking), als auch Formen, die für sich allein keine unmittelbare Bedrohung darstellen, die aber in ihrer Summe als Gewaltausübung bezeichnet werden müssen. Dazu gehören diskriminierende Gewalt wie Missachtung, Beleidigung, Demütigung, Erzeugung von Schuldgefühlen, Einschüchterung oder Beschimpfung. Soziale Gewalt: umfasst Einschränkungen im sozialen Leben einer Person wie Bevormundung, Verbot oder strenge Kontrolle von Familien- und Aussenkontakten, Einsperren. Ökonomische Gewalt: umfasst Arbeitsverbote oder Zwang zur Arbeit, Beschlagnahmung des Lohnes wie auch die alleinige Verfügungsmacht über finanzielle Ressourcen durch einen der PartnerInnen. Soziale und ökonomische Gewalt sind Ausformungen psychischer Gewalt und stellen Verhaltensweisen dar, die in ihrer Gesamtheit darauf abzielen, das Opfer zu kontrollieren und seinen freien Willen zu unterdrücken. Von häuslicher Gewalt betroffen sind zum grössten Teil Frauen und Kinder. Gemäss einer Untersuchung (vgl. www.gleichstellung-schweiz.ch) erfährt jede fünfte Frau in der Schweiz mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner. Ein weiteres wichtiges Thema, das leider häufig zu wenig Beachtung erfährt, ist der Zusammenhang zwischen Gewalt und Migration. - 35 - MEDIATION – EINE BEGRIFFSDEFINITIONEN MEDIATION (Vermittlung) ist ein systematischer, zeitlich begrenzter, stufig strukturierter, zukunftsorientierter Prozess mit dem Ziel, Kommunikation und Kooperation zwischen den Konfliktparteien zu fördern, vorhandene Ressourcen zu fördern, die Ausbildung von Alternativen und Optionen zu maximieren und eine Vereinbarung zwischen den Parteien auf der Grundlage ihrer subjektiven Interessenslage zu erreichen, die von beiden Seiten als fair akzeptiert werden kann. Mit Hilfe eines unparteiischen und neutralen Vermittlers erarbeiten die Parteien selbst eigenverantwortete und einvernehmliche Regelungen ihrer aktuellen Konflikte unter Beachtung ihrer subjektiven Bedürfnisse und Interessen. Sie schaffen damit die Grundlage, zukünftige Streitfragen ebenfalls selbständig und einvernehmlich zu regeln. FAMILIENMEDIATION bezieht sich auf die Regelung von (familiären) Konflikten in ehelichen, nichtehelichen und nachehelichen Beziehungen und Beziehungen nach Ende nichtehelicher Partnerschaften, in denen interessensbezogene Regelungen angestrebt werden. Im Fall von Trennung und Scheidung von Eltern zielt Vermittlung auf die Entwicklung eines einvernehmlichen Konzeptes gemeinsamer elterlicher Verantwortung von Vater und Mutter nach Trennung oder Scheidung. Dazu zählen neben der für sie und ihre Kinder anstehenden Veränderungen ihrer Lebensbedingungen, die Neuordnung der gemeinsamen elterlichen Verantwortung, die Klärung der finanziellen Sicherung der Einzelhaushalte, die Vermögensauseinandersetzung, die Hausratsaufteilung, die Klärung der Wohnsituation und der Alterssicherung. - 36 - RAHMENBEDINGUNGEN UND GRUNDREGELN DER MEDIATION Volle Informiertheit Offenlegung Vertraulichkeit Der Mediator ist kein Zeuge Keine Vertretung oder Begutachtung Ihr gutes Recht sollten Sie kennen Mediation hat Vorrang Meine Aufgabe als Mediator Zeit und Geld Ort der Mediation Hilfreiche Kommunikationsregeln - 37 - VORAUSSETZUNGEN UND AUFGABEN SEITENS DES MEDIATORS/DER MEDIATORIN Neutralität – Allparteilichkeit Baut Brücken, wo bisher das Gespräch gescheitert ist Bietet Raum für Individualität und das Formulieren von Interessen Mediator/in hat keine Entscheidungsgewalt Stellt sachliches Wissen zur Verfügung, wenn es um konkrete, kreative Lösungen geht Mediator/in ist zuständig für den Prozess Strukturierung des Verfahrens Macht auf Aspekte aufmerksam, die vielleicht vergessen würden Moderationsfunktion Verpflichtung zur Verschwiegenheit Ethische Instanz - 38 - DIE PROBLEMATISCHE SEITE DER MEDIATION Mediation setzt von allen Seiten die Bereitschaft voraus, gemeinsam an einer akzeptablen Lösung zu arbeiten. Diese Voraussetzung ist leider oft nicht gegeben. Mediation wird als Allheilmittel in der Konfliktaustragung gesehen/als Modeerscheinung wahrgenommen und eingesetzt wo sie nicht passt, als Alibihandlung missbraucht oder dazu verwendet, Informationen zu beschaffen. Mediation kann vom Konfliktpartner jederzeit abgebrochen werden. Dann entstehen leere Kilometer, Kosten (für Gutachten), zusätzlich Frustration und Verbitterung. Im Mediationsverfahren werden Informationen vom Klienten preisgegeben, die sich bei einem Abbruch der Mediation in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren nachteilig auswirken können (Achillessehne der Mediation). Im Mediationsverfahren muss ich mich mit jemand auseinandersetzen, den ich am liebsten nicht mehr sehen möchte, muss mich rechtfertigen und mir unangenehme Dinge anhören. Bei der Mediation muss ich das Endergebnis selbst verantworten, auch wenn es mir nicht passt. - 39 - GRENZEN/KONTRAINDIKATIONEN DER MEDIATION Mangel an Vertrauen in das Gegenüber, den Prozess, in sich selbst Gefährdung einer Konfliktpartei oder anderer Personen (z.B. Kinder) durch physische oder psychische Gewalt Kulturelle/religiöse Unterschiede, die auf Abhängigkeiten bzw. Unterwerfung beruhen Abhängigkeitserkrankungen die Selbstbestimmung verunmöglichen und das Einhalten von Verbindlichkeiten erschweren Fehlende Ausgleichsmöglichkeit bzw. fehlender Verhandlungsspielraum Mangelnde Fähigkeit den eigenen Standpunkt ausreichend zu vertreten (durch emotionale Betroffenheit, rhetorische Defizite, Konfliktscheue/Harmoniestreben, psychische Beeinträchtigung) Wichtige Informationen werden nicht offen gelegt bzw. es wird gedroht, diese an geeigneter Stelle (Finanzamt) anzuzeigen Fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit sich selbst mit dem eigenen Konfliktfeld zu konfrontieren Dritte (Haftpflichtversicherung etc.) sind nicht bereit am Verfahren teilzunehmen oder das Ergebnis zu akzeptieren - 40 - WIE LÄUFT MEDIATION AB? Familienmediation wird als strukturierter, mehrstufiger Prozess durchgeführt, von einer einführenden Orientierung zur Struktur- und Vertrauensbildung über die Konfliktkommunikation zwischen den Parteien hin zur Erarbeitung und zum Vollzug gemeinschaftlicher Konfliktregelungen. Stufen in Mediation 1. Einführung in Mediation und Schaffung von Vertrauen /Vereinbarung zur Mediation 2 .Darstellen von Tatsachen, Fakten, Hintergründen/Erarbeiten von Streitfragen/Positionen/Interessen 3. Erarbeitung von Prioritäten, Optionen und Alternativen 4. Verhandlung und Entscheidung 5. Festhalten der erzielten Vereinbarungen 6. Rechtliche Überprüfung, Verfahrensbeendigung 7. Vollzug der Vereinbarung, Überprüfung und Veränderung im zeitlichen Kontext Stufe 1: Einführung in Mediation Schaffung von Vertrauen/Vereinbarung zur Mediation Diese Stufe dient der Vertrauensbildung zur Mediatorin/zum Mediator; der Darstellung des Vermittlungsprozesses gegenüber den Par-teien, seiner Notwendigkeit, Voraussetzungen und Grenzen; der Einführung in Mediation mit ihren Notwendigkeiten, Voraus-setzungen und Grenzen; der Schaffung von zufriedenstellenden Kommunikations- und Kooperationsstrukturen; der Definition der Rolle der Vermittlerin/des Vermittlers und der Streitpartner; der Einführung von Grundregeln; der Klärung des Mediationsauftrages; der Vereinbarung zu Mediation. Am Ende der ersten Stufe sollen die Beteiligten ein klares Verständnis von Ziel, Zweck, Grundsätzen und Prinzipien, aber auch der Grenzen von Vermittlung haben und demzufolge in der Lage sein zu entscheiden, ob sie Mediation durchführen wollen. Eine Entscheidung zur Mediation muss von allen Beteiligten getragen werden. Entschließen sie sich dagegen, so heißt das nicht, dass den Parteien nur noch der gerichtliche Weg bleibt. Weitere Möglichkeiten sind: Mediation auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, wenn die gegenwärtigen Gründe einer Ablehnung nicht mehr gegeben sind; Hinzuziehen eines weiteren Vermittlers oder Anfrage bei einem Experten (Rechtsanwaltes/Berater), um verschiedene (rechtliche, psychologische) Punkte abzuklären; - 41 - Vereinbarung einer temporären Regelung, bevor der Entschluss für weitere Verhandlungen getroffen werden kann. Stufe 2: Darstellung von Tatsachen, Fakten, Hintergründen, Erarbeiten der Streitfragen/Positionen/Interessen Diese Stufe dient der gleichmäßigen Informationsvermittlung und Klarstellung der wesentlichen Streitfragen; der Erarbeitung aller relevanten Verhandlungspunkte, Fakten, Hintergründe, Streitfragen; der Ermittlung von Positionen und Interessen. Auf eine Ermittlung der Ursachen der Konflikte wird verzichtet. Diese Stufe der Mediation ist beendet, wenn die Eltern alle maßgeblichen Tatsachen, Fakten, Hintergründe, Streitfragen, Positionen und Interessen offen gelegt und zusammengestellt haben. Stufe 3: Erarbeiten von Prioritäten, Optionen und Alternativen Diese Stufe dient der Erarbeitung von Prioritäten der Interessen, der Darstellung realistischer Optionen, der Entwicklung von Alternativen. Diese Stufe berührt die entscheidende Frage, wie die Parteien das, was sie zu tun wünschen, in der effektivsten Art erreichen können. Die formulierten Streitpunkte sollen in Verhandlungen aufgelöst, die wechselseitigen Interessen dargestellt werden. Diese Stufe des Vermittlungsprozesses fordert sowohl die höchste Aktivität und Kreativität als auch das höchste Einfühlungsvermögen. Gegenseitige und vergangenheitsorientierte Schuldzuweisungen sollen vermieden werden. Sie blockieren die Verhandlungen. Dabei können zukunftsorientierte Fragen hilfreich sein, die sich auf Erfahrungen, die Dauer des Konfliktes sowie die Intensität der Gefühle beider Seiten beziehen. Die Stufe ist beendet, sobald alle denkbaren Optionen und Alternativen erarbeitet und Prioritäten festgehalten worden sind. - 42 - Stufe 4: Verhandlung und Entscheidung Zu diesem Zeitpunkt suchen sich die Beteiligten eine oder mehrere Optionen gemeinsam aus, über die sie zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen wünschen. Häufig werden sie in dieser Stufe des Vermittlungs-prozesses die vermittelnde Person um ihre Meinung angehen, um sich daran auszurichten. Da Vermittler jedoch keine Entscheidung für die Beteiligten zu treffen haben, können sie deren Entscheidungsfindung nur durch zusätzliche Informationen erleichtern. Dabei ist darauf zu achten, dass nicht Vorurteile oder Einseitigkeiten entstehen. Der Mediator/die Mediatorin muss hier weiter geduldig arbeiten, er/sie darf auf die Parteien keinen Druck in Richtung Entscheidungsfindung ausüben. Er/sie muss auch dafür sorgen, dass kein solcher Druck unter den Parteien entsteht. Die Stufe ist beendet, sobald die Parteien eine einvernehmliche Entscheidung getroffen haben, zu der sie beide gleichermaßen stehen können oder sobald feststeht, ob eine Weiterführung der Mediation z.Zt nicht (mehr) angezeigt ist. Vor Beendigung der Stufe ist sicherzustellen, dass beide Beteiligten in der Lage sind, eigenverantwortlich die von ihnen gewünschte Entscheidung zu treffen. Sollte eine der Parteien hierzu (noch) nicht in der Lage sein, ist die Sitzung zu unterbrechen, auszusetzen, und die Parteien sind zu ermutigen, in der Zwischenzeit durch Informationen ihre Entscheidungsfindung zu verbessern. Stufe 5: Festhalten der erzielten Vereinbarungen Diese Stufe dient der endgültigen Absicherung der zuvor getroffenen Entscheidung, grundsätzlich durch schriftliche Fixierung, welche die Beteiligten befähigt, ihre Entscheidung auch außerhalb der Vermittlungsräume exakt überprüfen zu lassen. Die Unterschrift der Parteien unter ihre gemeinsam getroffene Vereinbarung hat für sie eine hohe (symbolische) Bedeutung, was bei der Arbeit der Vermittlung zu berücksichtigen ist. Stufe 6: Rechtliche Überprüfung, Verfahrensbeendigung Eine rechtliche Überprüfung der getroffenen Vereinbarungen erscheint grundsätzlich in allen Fällen angebracht, um Unsicherheiten auszuräumen oder aber auch die Ausräumung nachträglich erkannter Unstimmigkeiten zu ermöglichen. Diese rechtliche Überprüfung hat durch den jeweiligen Rechtsanwalt der betroffenen Partei und danach – soweit notwendig – von dem entscheidenden Gericht oder dem beurkundenden Notar zu erfolgen. - 43 - Stufe 7: Vollzug der Vereinbarung, Überprüfung und Veränderung In dieser letzten Stufe des Vermittlungsprozesses versuchen die Beteiligten, ihre Vereinbarung zu vollziehen. Hier zeigt sich, ob diese praxisgerecht ist. Die vermittelnde Person muss hier zur Verfügung stehen, um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, ihre in der Praxis gewonnenen Erfahrungen mit ihrer Vereinbarung in Einklang zu bringen oder ihre Vereinbarung zu verändern. Die Parteien sollen wissen, dass jede Vereinbarung immer nur im konkreten zeitlichen und lebensorientierten Kontext funktionieren kann. In diesem - noch nicht völlig abgeschlossenen - Prozessstadium wird die präventive Leistung von Vermittlung wichtig, wenn die Parteien in die Lage versetzt worden sind, Unstimmigkeiten oder Veränderungen durch eigen-verantwortliche Kooperation und Kommunikation ohne Vermittlung zu erledigen. Grundsätzlich ist die Vollzugsphase die Zeit, in der die Beteiligten ihre Vereinbarung “erleben”. Sobald eine gewisse Gewöhnung an die Vereinbarung gefunden worden ist, kann die Vermittlung endgültig als beendet verstanden werden. PRINZIPIEN VON VERMITTLUNG Mediation orientiert sich an den Prinzipien der Freiwilligkeit, Neutralität und Allparteilichkeit, der Eigenverantwortlichkeit, Offenheit, Informiertheit und Gewaltfreiheit. Mediation ist einvernehmlich: die Trennungswilligen treffen ihre Entscheidungen partnerschaftlich; ist wechselseitig: beide müssen einer Vereinbarung zustimmen; macht stark: beide behalten die Entscheidungen über ihr Leben selbst in der Hand. Mediation fördert die Gleichwertigkeit und vermeidet Gedanken des Gewinnens oder Verlierens. Da der Prozess wechselseitig ist, kann niemand auf Kosten des anderen verlieren. Die Partner tragen alle wesentlichen Entscheidungen selbst mit. Sie bestimmen das Ergebnis selbst. - 44 - STRUKTURELEMENTE Bei der Vermittlung unterschiedlicher Interessen, Ausgangslagen und persönlicher Orientierungen von Streitparteien werden verschiedene Strukturelemente und Techniken der Gesprächsführung genutzt. Um hemmende Konfliktmuster, wie Vermeidung, Abwehr, Aggressionen, Kontrolle und Anpassung zu reduzieren und fördernde Prinzipien, wie Autonomie, Verantwortung und Gegenseitigkeit zu stärken, soll der/die Mediator/in insbesondere folgende Techniken einsetzen: KOMMUNIKATI ONSTECHNIKEN Direktives Vorgehen: spiegeln/aktiv zuhören: wertschätzen/loben: z.B. von der Paarebene auf die Eltern-KindEbene hinführen wahrnehmen und wiedergeben, was die Beteiligten gesagt haben z.B. positive Entwicklung, bisherige Verantwortung für die Kinder betonen Gemeinsamkeiten finden: z.B. gemeinsames Interesse am Wohlergehen des Kindes deutlich machen umformulieren: (ent-)wertende, negative Äußerungen annehmbar und positiv formulieren zusammenfassen/ wiederholen: Gemeinsamkeiten aufnehmen, Gesprächsstand deutlich machen; ordnen, strukturieren Informationen geben: z.B. auf Erfahrungen mit (anderen) Kindern verweisen positiv beurteilen: z.B. positiven Kern aus negativen Botschaften herausschälen normalisieren: z.B. Krisensymptome ernstnehmen, als zur temporären Situation gehörend, benennen. konkretisieren: z.B. vage und unklare Aussagen konkret machen fragend führen: durch strukturgebende, weiterführende, konflikt- und lösungsorientierte Fragen eine vorwärtsgerichtete Konfliktbearbeitung fördern z. B. Körpersignale beachten, aufgreifen bzw. ansprechen nonverbal kommunizieren: Schlüsselbotschaften beachten: sie geben Informationen, was die Beteiligten bewegt. - 45 - Um die Kooperation und Kommunikation der Streitparteien zu fördern, und im Vermittlungsprozess positiv zu beeinflussen, müssen die Mediator/innen über verschiedene Fertigkeiten verfügen und verschiedene Techniken anwenden: nicht Gefühle ins Zentrum der Gespräche rücken, sondern am Mediationsauftrag festhalten (Umkehrung von Therapie); keine Diagnose über die Problemursachen erstellen; Verständnis tieferliegender Konflikte – Formulierung von Streitpunkten, Positionen und Interessen; achten auf Machtbalance, auf Selbstvertretung und auf Fairness; Rollenunterscheidung, Ansprechen der Rolle; wiederkehrende und hemmende Kooperations- und Kommunikations-muster aufdecken und deren Auswirkungen auf den Gesprächs- und Verhandlungsverlauf verdeutlichen; Druck auf Parteien vermeiden (Zeit geben, Negativität umwandeln bzw. umdeuten, Humor), jeder Partei helfen, ihre eigene Wirklichkeit zu erkennen (vereinfachen, zusammenfassen, Gefühle zulassen, positive Feststellungen, orientieren an Gegenwart und Zukunft); jeder Partei helfen, die Ansichten der anderen Seite zu verstehen (Verständnisfragen zur anderen Position, Rollen- und Perspektiven-tausch), Wechselbarkeit des Problems benennen, sich überschneidende Interessen und Ziele (Gemeinsamkeiten) betonen; Zusammenfassen und Neuformulieren der Konfliktpunkte; Mut und Kreativität in den Regelungsansätzen fördern; Projektive Techniken: Projektionen in die Zukunft. Entnommen aus: Proksch, Roland: Leitfaden zur Mediationsausbildung. Unveröffentlichtes Manuskript. Schloss Hofen 2003. - 46 - LITERATURVERZEICHNIS Aguilera D.C.: Krisenintervention. Grundlagen - Methoden - Anwendung. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 1998. Antes Michael: Der unlösbare Gordische Beziehungskonten. In: Trennung und Scheidung. Praktische und psychologische Hilfestellungen für Seelsorge und Beratung. Möde, Erwin (Hrsg.), Regensburg 2004. Bartens, Werner: Was Paare zusammenhält. Warum man sich riechen können muss und Sex überschätzt wird. Knaur-Verlag, München 2013. Bodenmann Guy, Beziehungskrisen erkennen, verstehen und bewältigen. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 2005/2. Bodenmann Guy: Nur nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen. In: Psychologie heute. Juni 2014. Carter, B./Peters, J.: Macht und Liebe. Wie das Geld unsere Beziehungen beeinflusst. Iskopress, New York 2010/3. Clement, Ulrich: Wenn Liebe fremdgeht. Vom richtigen Umgang mit Affären. Ulstein Verlag, 2011/2: Dross Margret, Krisenintervention. Göttingen, Bern, Toronto, Seattle 2001. GEO Zeitschrift, Erscheinung Juli/2010. Grau, I./Bierhoff, H.W.( Hrsg.): Sozialpsychologie der Partnerschaft. Springer-Verlag, Heidelberg 2003. Hötker-Ponath, Gisela: Trennung ohne Rosenkrieg. Ein psychologischer Wegweiser. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2012. Jellouschek Hans: Die Kunst als Paar zu leben. Stuttgart 1992. - 47 - Jellouschek Hans: Wie Partnerschaft gelingt – Spielregeln der Liebe. Beziehungskrisen sind Entwicklungschancen. Freiburg, Basel, Wien 1998. Jellouschek, Hans: Wenn Paare älter werden. Die Liebe neu entdecken. Freiburg, Basel, Wien 2008. Jelllouschek, Hans: Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance. MünchenZürich 2010/11. Karst Verena: Lebenskrisen werden Lebenschancen. Wendepunkte des Lebens aktiv gestalten. Freiburg im Breisgau 2002/2. Kim Berg I., Miller S.D., Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein lösungsorientierter Ansatz. Heidelberg 1993. Proksch, Roland: Leitfaden zur Mediationsausbildung. Unveröffentlichtes Manuskript. Schloss Hofen 2003. Schindler, L./Hahlweg, L./Revendorf, D.: Partnerschaftsprobleme: Möglichketien zur Bewältigung. Ein Handbuch für Paare. Springer-Verlag, Heidelberg 2007. Sonneck G.: Krisenintervention und Suizidverhütung. Ein Leitfaden für den Umgang mit Menschen in Krisen. Wien 2005/5. Welter-Enderlin Rosmarie: Deine Liebe ist nicht meine Liebe. Partnerprobleme und Lösungsmodelle aus systemischer Sicht. Freiburg, Basel, Wien 1996. - 48 - BEILAGEN ZUR LEHRVERANSTALTUNG REFLEXION ÜBER DIE ENTWICKLUNG DER PAARBEZIEHUNG 1. Wie haben wir uns kennengelernt? 2. Was ist mir an Ihm/an Ihr zuerst aufgefallen? 3. Was hat mir an Ihm/an Ihr besonders gefallen? 4. Was hat mich davon überzeugt, daß wir beide miteinander leben können? 5. Über welche Fragen unseres gemeinsamen Lebens haben wir uns vorher ausgetauscht? Familiengröße Umgang mit Geld Hausbau Umgang mit Herkunftsfamilien Fragen der Kindererziehung Gemeinsame Freizeitgestaltung ............... 6. Wie/wann besprechen wir heute unsere gemeinsamen Angelegenheiten? 7. Wie kommen wir zu gemeinsamen Lösungen? 8. Was tun wir, wenn wir uns nicht einigen können (bzw. wenn die Fragen im Moment nicht lösbar sind)? 9. Was gefällt mir nach wie vor besonders gut an meinem Partner/an meiner Partnerin? - 49 - REFLEXIONSFRAGEN ZUR EIGENEN HERKUNFTSFAMILIE MODELLE UND MUSTER, DIE NOCH HEUTE DAS BEZIEHUNGSLEBEN PRÄGEN. 1. Wie wichtig ist mir der Kontakt zu meiner Herkunftsfamilie? Zu wem? 2. Wer hat in meiner Herkunftsfamilie die wichtigen Entscheidungen getroffen? 3. Wie wurde auf Schwierigkeiten eingegangen, wie wurden Konflikte aus-getragen? 4. Welche markanten Ausdrücke, Sprüche und Redewendungen meiner Eltern, Großeltern und Geschwister sind mir heute noch geläufig? 5. Welche Auffassung über Beziehung und Ehe herrschten in meiner Herkunftsfamilie vor? 6. Wie wurden Feste (Geburtstage, Weihnachten, Herkunftsfamilie gestaltet? Silvester, …) in meiner 7. Wie erlebte ich Zärtlichkeit und Sexualität in meiner Herkunftsfamilie? Wie wurde darüber gesprochen? 8. Welche Themen (z.B. Politik, Glaube, ...) wurden in meiner Herkunftsfamilie besprochen, welche ganz ausgeklammert? 9. Wie wichtig sind/waren Arbeit, Leistung und Stellung im Beruf in meiner Herkunftsfamilie? 10. Welchen Stellenwert hatte Geld in meiner Herkunftsfamilie? 11. Was gefällt mir in meiner Herkunftsfamilie so gut, dass ich es in meiner Beziehung auch so haben möchte? - 50 - ABLÖSUNG VON DER HERKUNFTSFAMILIE Schritte auf dem Weg zu einer gelungenen Ablösung vom Elternhaus 1. Die eigene Lebensgeschichte bewusst sehen und annehmen können. 2. Ungeklärtes aus der Vergangenheit aufarbeiten 3. Verhaltensweisen, Einstellungen und Traditionen, die mich stören, ändern oder lernen, damit umzugehen. 4. Einander die Herkunftsgeschichten erzählen und spüren, was im anderen lebt. 5. Als Paar eigene Werte finden (Was ist uns gemeinsam wichtig?) 6. Eigene Festgestaltung entwickeln (Wie feiern wie Weihnachten, Geburtstage, Ostern, …) 7. Als Paar eigenständig Entscheidungen treffen. Eine Ablösung ist dann gelungen, wenn wir die Eltern auf gleicher Ebene um Rat fragen und trotzdem ohne Schuldgefühle oder Trotzreaktion eigene Lösungen finden können. - 51 - RITUALE ZUR WIEDERGUTMACHUNG UND ZUR TRENNUNG In Dreiecksbeziehungen fügt der „Untreue“ dem „Treuen“ eine tiefe Verletzung zu. Er wird somit an ihm schuldig – auch wenn er aus seiner existentiellen Not heraus die Treue gebrochen hat („Um meiner psychischen und physischen Gesundheit willen mußte ich aus dieser Beziehung heraus, und gleichzeitig war mir schmerzlich bewußt, dass ich damit etwas Unrechtes tue“). Auch wenn der „Treue“ anerkennen kann, dass die „Untreue“ des anderen eine durchaus positive Entwicklung in Gang gesetzt hat, sind dennoch Verletzungen übrig geblieben, die verborgen weiterwirken können. Sehr häufig ist es eine Distanz des Misstrauens, und damit ein Gefälle vom „Unschuldigen“ zum „Schuldigen“ hin, ein geheimes Ungleichgewicht zwischen beiden. Von manchen „Treuen“ wird dieses Gefälle sogar sorgsam gehütet. Es vermittelt ein Gefühl der Überlegenheit. Und wenn er sich wieder einmal etwas – womöglich viel Geringeres – zu Schulden kommen läßt, wird seine Untreue aus der Vergangenheit hervorgeholt und ihm frisch wie am ersten Tag präsentiert. Ein ausdrücklich vollzogenes Wiedergutmachungs-Ritual kann hier Abhilfe schaffen: „(Name), ich habe gehört, womit ich Dich verletzt habe. Ich anerkenne, dass ich Dich damit verletzt habe, auch da, wo ich es nicht absichtlich wollte. Es tut mir leid, dass ich Dich damit verletzt habe. Bitte verzeih mir!“ Nach einer angemessenen Pause erfolgt dann die ebenfalls vorformulierte Antwort des Partners: „(Name), ich höre, und sehe, dass Du meine Verletzungen anerkennst, und dass sie Dir leid tun. Ich nehme Deine Bitte an, ich verzeihe Dir, und ich bin bereit, meine Verletzungen loszulassen. Darum sichere ich Dir zu, dass ich sie in Zukunft in Auseinandersetzungen nicht mehr nennen werde. Befreit von dieser Last möchte ich mit Dir zusammen in einen neue Zukunft gehen.“ - 52 - Trennungs-Ritual Ein Trennungsritual ist meist erst dann möglich, wenn die emotionalen Wogen etwas abgeklungen sind und die äußeren Angelegenheiten (Finanzen, Sorge- und Umgangsrecht, …) geklärt sind und es zu einer Beruhigung in der äußeren LebensSituation gekommen ist. Daneben braucht es auch ein gewisses Einverständnis dessen, der sich ursprünglich nicht trennen wollte. Er muß bereit sein, die Entscheidung des andern nachzuvollziehen und sein eigenes Ja zur Trennung geben. „(Name), ich nehme von Dir, was Du mir gegeben hast. Ich werde es in Ehren halten. Es war eine ganze Menge und ich danke Dir dafür. Für das, was schief gegangen ist, übernehme ich meinen Teil der Verantwortung, und überlasse Dir an Deinem Teil Deine Verantwortung. Ich achte und würdige Dich als Vater/Mutter unserer gemeinsamen Kinder, und ich werde, soweit es an mir liegt, weiter mit Dir zu ihrem Wohl zusammenarbeiten. Als Partnerin/Partner nehme ich Abschied von Dir. Leb wohl! Geh Du Deinen Weg, so wie ich jetzt meinen Weg gehen werde.“ - 53 - WAS PAARE ZUSAMMENHÄLT ERKENNTNISSE AUS DER PAARFORSCHUNG 1. In der Vergangenheit beschäftigte sich die Paarforschung fast ausschließlich mit dem, was Paar belastet – ihren Schwächen, Risiken und Defiziten. Was man über die Zweisamkeit wusste, kam überwiegend von Psychotherapeuten, und dementsprechend wurde das Paar auch als Klient gesehen. Heute nimmt die Forschung nicht mehr sosehr diese „klinisch-pathologische“ Sichtweise ein, sondern schaut vermehrt auf die Bindungskräfte eines Paares, auf die Ressourcen und das Reparatursystem. Denn die Liebe – so die neue Sichtweise – hat ihr eigenes Immunsystem. 2. Stress ist der große Beziehungskiller. Hierzu gehört der finanzielle Stress ebenso wie der Stress am Arbeitsplatz wie auch die Pflege chronisch kranker Kinder oder pflegebedürftiger Eltern. 3. Dagegen ist Gerechtigkeit bei der häuslichen Aufgabenteilung ein klarer Resilienzfaktor. Wenn auch die Männer öfters putzen und kochen, sind die Paare insgesamt glücklicher miteinander. 4. Zur Sexualität in der Partnerschaft: Die „Koitusfrequenz“ hängt allein von der Beziehungsdauer ab. Egal ob 30, 45 oder 60 Jahre alt, alle tun es gleich oft, wenn sie in gleich alten Beziehungen leben. 5. Die sexuelle Umtriebigkeit lässt im Laufe der Partnerschaft zuverlässig nach. 6. Die Verliebtheitsphase ist nötig, um die Partnerschaft aufzubauen; aber danach muss Energie auch für andere Aufgaben da sein. Die Paarbeziehung schützt sich selbst, indem sie alltagskompatibel wird – und mit weniger Sex auskommt. 7. Sexuelle Zufriedenheit und Beziehungszufriedenheit hängen nur zu knapp 20 Prozent zusammen. Vier Fünftel der „Zufriedenheitsfaktoren“ liegen außerhalb des Schlafzimmers. 8. Der Mensch gilt als „sozial monogam“. Wo immer die exklusive Verbindung zur sozialen Norm aufstieg, wurde sie durch mehr oder weniger geheime Neben- - 54 - beziehungen unterwandert. Dies soll heißen: Wir nehmen es mit der Treue nicht so genau. 9. Fremdgehen beruht nicht selten auf Gegenseitigkeit – wenn einer der Partner untreu wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch sein Pendant fremdgeht, um ein Vielfaches höher als in der Durchschnittsbevölkerung. 10. Die Bereitschaft zu vergeben ist das zentrale Geheimnis von Resilienz in Paarbeziehungen. Dabei ist nicht ein leichtfertiges Vergeben und Vergessen gemeint, sondern die bewusste Entscheidung, etwas zu überwinden. „Vergeben tut man unter zwei Augen“ (Arnold Retzer). 11. Je mehr sich Menschen aufeinander einlassen, umso mehr entstehen Enttäuschungen, und oft werden daraus offene Rechnungen. „Schuldscheine der Liebe“ könnte man sie nennen. Glückliche Paare zerreißen die Schuldscheine der Liebe. Unglückliche horten sie, um sie später aufrechnen zu können. Eine glückliche Ehe ist die Verbindung von zwei Vergebenden. 12. Hohe Erwartungen an die Partnerschaft tun einem Paar zwar gut – aber überzogene Erwartungen sind Gift. AMEFI (Alles mit einem und für immer) ist das sichere Rezept, eine Beziehung an die Wand zu fahren. Wer von einer Zweierbeziehung alles erwartet, Vertrautheit, wilden Sex, romantische Gefühle, Freundschaft, kann nur enttäuscht werden. 13. Verliebtheit ist eine Art Praktikumsplatz. Ein von der ersten Attraktion zusammengewürfeltes Paar kann die Jahre nutzen, in denen es von der erotischen Anziehung zusammengehalten wird, um herauszubekommen, ob man sich auf Dauer auch wirklich etwas zu sagen hat. 14. Sobald Kinder ins Leben eines Paares treten, geht es mit der Beziehungszufriedenheit steil bergab – und nimmt nach dem Auszug der Kinder in der Regel wieder zu. Entnommen: GEO 07/2010 - 55 - PSYCHOLOGISCHE AUFGABEN IN PAARBEZIEHUNGEN Schlussstrich unter die Vergangenheit Balance zwischen ICH und WIR Elternrolle/Partnerrolle Ausgleich zwischen Geben und Nehmen Umgang mit Krisen Raum für Auseinandersetzung schaffen Beziehung auch sexuell attraktiv gestalten Humor und gemeinsame Interessen Trost und Ermutigung Balance zwischen Idealisierung und Realitätssinn - 56 -