Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik und Therapie
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Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik und Therapie
Kasuistik Thoracic-Outlet-Syndrom: Diagnostik und Therapie PETER KUJATH, L. STANNECK, UNIVERSITÄTSKLINIKUM SCHLESWIG-HOLSTEIN, KLINIK FÜR CHIRURGIE Der angloamerikanische Terminus “thoracic outlet syndrome” (TOS) ist als Oberbegriff für alle Kompressionsphänomene im Bereich der ersten Rippe anzusehen [8]. Auf Grund der Vielgestaltigkeit werden die klinischen Erscheinungen zumeist als Syndrome be zeichnet. Unter dem Begriff thoracic-outletSyndrom/TOS werden unter anderem subsummiert: 1. Skalenus- oder Halsrippensyndrom: Einengung der Skalenuslücke durch eine Halsrippe oder eine Exostose der ersten Rippe. Weitere Ursachen sind eine abnorme Position bzw. Verdickung des M. scalenus anterior oder medius, die eine Kompression bedingt. 2. Kostoklavikuläres Syndrom mit Kompression der Gefäß-/Nervenstrukturen im Bereich der kostoklavikulären Enge: Disponierende Faktoren sind Schwäche der Schultergürtelmuskulatur, Exostosen und Rippenkallus. Es lässt sich ein neurologischer, arterieller und venöser Typ des TOS differenzieren. Da der Blutstrom in der Subklaviavene zum Herzen gerichtet ist, haben einzelne Autoren sinnigerweise den Begriff eines „Thoracic inlet syndrome“ (TIS) kreiert [3]. 3. Hyperabduktionssyndrom: Durch die Sehne des M. pectoralis minor kommt es bei Elevation und Abduktion des Arms zur Kompression des Gefäß-Nervenstrangs. 50 VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 Das TOS ist charakterisiert durch die Kompression von Plexus brachialis, A. und V. subclavia durch knöcherne, muskuläre und fibröse Strukturen an der oberen Thoraxapertur bis zum lateralen Rand der ersten Rippe. Dabei können in unterschiedlicher Ausprägung neurologische, arterielle oder venöse Symptome im Vordergrund stehen oder kombiniert auftreten. Der neurologische Manifestationstyp steht dabei mit 95 % im Vordergrund. Im Vergleich dazu treten arterielle und venöse Gefäßschäden im Rahmen eines Thoracic-Outlet-Syndroms deutlich seltener auf (1–5 %). Bevorzugt erkranken Erwachsene des jüngeren und mittleren Lebensalters (20.–50. Lebensjahr) [8]. Frauen sind häufiger betroffen (Verhältnis 3:1). Das klinische Bild der neurovaskulären Kompressionssyndrome ist außerordentlich vielgestaltig, je nachdem, ob neurologische, venöse oder arterielle Symptome dominieren. Behandlungen unter falscher Diagnosestellung sind nicht selten. Der Zeitraum zwischen Beginn der Symptomatik und der korrekten Diagnosestellung bei Syndromen der kostoklavikulären Enge beträgt durchschnittlich 4,3 Jahre [1]. Pathophysiologisch handelt es sich beim Thoracic-Outlet-Syndrom häufig um einen anlagebedingten verkürzten Abstand zwischen Schlüsselbein und erster Halsrippe. Dadurch kommt es zu einer Kompression des Gefäß-Nervenbündels. Beschwerden manifestieren sich meist zum Zeitpunkt der physiologischen Senkung des Schultergürtels im 3. Lebensjahrzehnt [4]. Kasuistik Ätiologisch kann eine Vielzahl von Ursachen zu einem Thoracic-Outlet-Syndrom führen. Unter anderem sind dies komplette und inkomplette Halsrippen mit Ausbildung von Pseudarthrosen oder ligamentären Strukturen, aberrierende Muskelzüge, traumatische Ereignisse, posttraumatische Narbenbildungen mit nachfolgender Stenosierung, Mediastinaltumoren, Lymphknotenmetastasen oder retrosternale Strumen. Als weitere Ursachen sind fehlverheilte Schlüsselbeinbrüche, überschießender Brückenkallus oder Luxationen und Instabilitäten des sternoklavikulären Gelenks beschrieben worden [7]. Ambulant war mittels Duplexsonografie die Thrombosierung der proximalen linken Vena subclavia nachgewiesen worden. Nach Einleitung einer Therapie mit niedermolekularen Heparinen (NMH) und Kompressionsverbänden war die Patientin zunächst beschwerdefrei. Eingangsuntersuchung: Die körperliche Untersuchung zeigte eine deutliche Schwellung des linken Arms und der linken vorderen Schulterpartie. Die oberflächlichen Armvenen, die Venen der linken Brust und die Venen der oberen Thoraxapertur stellten sich erweitert dar (Abb. 1). Im Folgenden berichten wir über eine 44-jährige Patientin, die mit einer Thrombosierung der linken Vena subclavia und schmerzhafter Umfangsvermehrung des linken Arms in der Klinik vorstellig wurde. Anamnese: Die Patientin berichtete über eine seit vier Wochen bestehende schmerzhafte Schwellung des linken Arms. Die Beschwerden seien über Nacht aufgetreten und haben im Verlauf zugenommen. Seit ein paar Tagen bestehe ein unangenehmes Spannungsgefühl sowie ein intermittierend auftretendes Kältegefühl der linken Hand. Abbildung 1: Darstellung eines ausgeprägten venösen Umgehungskreislaufs der vorderen Schulterpartie. Beachtlich ist der Füllungszustand der oberflächlichen Venen. VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 51 Kasuistik Abbildung 2: Phlebografie mit Elevation des linken Arms. Thrombose der Vena subclavia direkt im Bereich der kostoklavikulären Enge. Es findet sich ein kräftiger Umgehungskreislauf über die V. cephalica zu den Halsvenen. Die Vena anonyma ist schwach kontrastiert (Kontrastmittelverdünnung). 52 VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 Kasuistik Der Umfang des linken Oberarms war im Vergleich zur Gegenseite um 3 cm vergrößert, der Unterarmumfang hatte um 2 cm im Vergleich zur Gegenseite zugenommen. Es bestand ein lokaler Druckschmerz mit Weichteilschwellung über der ersten Rippe. Pulsstatus und Verschlussdruckmessung der Arme waren unauffällig. Neurologische Auffälligkeiten waren nicht zu beobachten. Die Patientin wurde zur weiteren Diagnostik und Therapie stationär aufgenommen. Die nachfolgend durchgeführte Phlebografie des linken Arms wies eine Thrombosierung der linken Vena subclavia nach. Die kräftige Kontrastmittelfüllung der begleitenden Venen zeigte eindrücklich die Ausbildung des venösen Umgehungskreislaufs (Abb. 2). Die Aufnahmen in Armelevation ergaben eine Kontrastmittelaussparung im Bereich der linken Klavikula. Eine Thrombose der Venae jugularis, Vena axillaris und der Armvenen konnte ausgeschlossen werden. Therapeutisches Vorgehen in diesem Fall: Nach der Besprechung der Befunde und Planung des weiteren Vorgehens mit der Patientin erfolgte die Resektion der ersten Rippe über einen transaxillären Zugang in Allgemeinnarkose. Den intraoperativen Befund zeigt Abbildung 3. Nach Präparation des Gefäß-Nervenbündels erfolgte die vollständige Freilegung der ersten Rippe. Diese wurde unter Schonung der umgebenden Strukturen vollständig reseziert. Anschließend wurde über eine kleine Venotomie ein Fogaty-Manöver durchgeführt und ein älterer Thrombus aus der Vene entfernt. Abbildung 3: Intraoperativer Situs nach Entfernung der ersten Rippe über eine quere axilläre Inzision. Der Oberarm ist rechts, der Thorax links. Vollständige Befreiung der V. subclavia, die in die V. axillaris ohne Einengung übergeht. Der linke Haken schützt die Arterie, der obere Haken den Nervenplexus. Zur Komplettierung der präoperativen Diagnostik wurde eine Computertomografie des Thorax durchgeführt. Hier zeigte sich eine prästenotische Dilatation der linken Vena subclavia vor der Unterquerung des linken Schlüsselbeins. Als auslösende Ursache konnte die räumliche Nähe der ersten Halsrippe zum linken Schlüsselbein identifiziert werden. VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 53 Kasuistik Der postoperative Verlauf war komplikationslos. Die postoperative Doppleruntersuchung ergab einen guten “flow” in der V. subclavia. Auffallend war der rasche Rückgang der Schwellung im Schulterbereich. Am sechsten postoperativen Tag wurde die Patientin in gutem Allgemeinzustand entlassen (Abb. 4). Diskussion: Das Thoracic-Outlet-Syndrom zählt zum Komplex der neurovaskulären Kompressionssyndrome der oberen Thoraxapertur. Es beruht auf einer mechanischen Einengung der V. subclavia oder der V. axillaris. Je nach Krankheitsursache kann die Kompression lageabhängig oder lageunabhängig erfolgen. So tritt die Armvenenstauung durch die veränderliche räumliche Nähe des Schlüsselbeins zur ersten Rippe je nach Armund Schultergürtelstellung lageabhängig auf. Bei einer Thrombose der V. subclavia ist die Armvenenstauung dagegen in der Regel lageunabhängig und mit einer entsprechenden spannungsschmerzhaften Weichteilschwellung des Arms vergesellschaftet. Zur Diagnosestellung kann klinisch die Ausbildung venöser Kollateralkreisläufe der Thoraxwand hilfreich sein. 54 VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 Zu den Untersuchungsmethoden gehören neben einer ausführlichen Anamnese verschiedene Tests wie der Arm-Elevationstest, um die Verdachtsdiagnose zu erhärten. Bildgebende Verfahren wie die Duplexsonografie, die Angiografie zum Nachweis der Kompression des Gefäß-Nervenbündels in Normal- und Provokationsstellung [5], Röntgenaufnahmen der oberen Thoraxapertur (Halsrippe) und Computertomografie dienen der Diagnosesicherung und Planung des operativen Vorgehens. Angesichts der vielgestaltigen Symptomatik müssen viele Differenzialdiagnosen aus verschiedenen Fachbereichen bedacht und in die Untersuchung mit einbezogen werden. Bei neurologischen Symptomen müssen sämtliche Störungen zwischen spinaler zervikaler Nervenwurzel und peripherem Nerv als mögliche Differenzialdiagnosen bedacht werden (Radikulopathie C8/Th1, Plexopathie, Sulcus-ulnarisSyndrom, Karpaltunnelsyndrom). Außerdem kommen auch neurologische Systemerkrankungen, beispielsweise Multiple Sklerose, in Betracht. Kasuistik Die Möglichkeit der Koinzidenz eines TOS/TIS mit einem Karpaltunnelsyndrom, in der Literatur auch als so genanntes „double crush syndrome“ bezeichnet [2], sollte den Untersucher bei jedem nachgewiesenen Karpaltunnelsyndrom an ein TOS/TIS denken lassen. Eine venöse Symptomatik, in der Hauptsache einseitige Schwellung des Arms, erfordert den Ausschluss einer Thrombose aus anderer Ursache und den Ausschluss eines Ödems auf dem Boden einer Lymphabflussstörung. Liegt eine arterielle Symptomatik vor, können Durchblutungsstörungen anderer Genese die Ursache sein; bei akuten Embolien müssen kardiale Emboliequellen ausgeschlossen werden. Abbildung 4: Postoperative Aufnahme der Operationswunde vor der Entlassung. Gutes kosmetisches Ergebnis. VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 55 Kasuistik Allgemeines therapeutisches Vorgehen: Bei leichter bis mittelschwerer Symptomatik ist ein konservativer Therapieversuch gerechtfertigt; durch krankengymnastische Übungsbehandlungen sollen die Beschwerden gebessert werden. Die konservative Therapie verhindert im Einzelfall aber nicht die Entstehung vaskulärer Komplikationen. Bei schwerer Symptomatik und Auftreten von Komplikationen (vor allem vaskulärer Komplikationen) besteht die Indikation zur Operation. Diese ist auch ohne vorhergehende Komplikationen erforderlich, wenn knöcherne Anomalien der oberen Thoraxapertur vorhanden sind, da diese das Auftreten von vaskulären Komplikationen begünstigen. 56 VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 Bei dem Eingriff erfolgt eine Erweiterung der oberen Thoraxapertur durch Resektion der ersten Rippe und eventuell bestehender Halsrippen, meist über einen transaxillären Zugang, unter sorgfältiger Schonung des Gefäß-Nervenstranges und der benachbarten Pleura. Außerdem müssen sämtliche muskulären und narbigen Zügelungen von Gefäßen und Nervenplexus entfernt werden. Die persistierende Einengung der Gefäße und des nervalen Plexus kann zu irreversiblen Schädigungen der Strukturen führen und sollte bei einer rechtzeitigen Indikationsstellung mit bedacht werden. Irreversible Schäden an der A. subclavia machen unter Umständen einen Gefäßersatz erforderlich. Bei kompletter Dekompression aller Engstellen sind 90 % der Operationen erfolgreich. Die neurologische Symptomatik ist auf Grund der meist chronischen strukturellen Nervenschädigung schlechter reversibel [1]. Als Komplikation des Eingriffs sind in seltenen Fällen permanente Schädigungen des Plexus brachialis beschrieben worden. Die Langzeitergebnisse sind gut. [6] Kasuistik Literatur [1] Bruch HP, Trentz O: Berchtoldt: Chirurgie. 5.Auflage. Urban & Fischer Verlag München, Jena (2006) [2] Childs SG: Double crush syndrome. Orthop Nurs 22 (2) (2003) 117–21 [3] Falk RL, Smith DF: Thrombosis of Upper Extremity Thoracic Inlet Veins: Diagnosis with Duplex Doppler Sonography. AJR 149 (1987) Anschrift des Verfassers: Professor Dr. med. Peter Kujath Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Klinik für Chirurgie Campus Lübeck Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck 677–82 [4] Leitlinien zu Diagnostik und Therapie in der Gefäßchirurgie. Hrsg. vom Vorstand der Dt. Ges. f. Gefäßchirurgie; Deutscher Ärzteverlag, Köln (1998) [5] Longley DG, Yedlicka JW, Molina EJ et al: Thoracic outlet Syndrome: Evaluation of the Subclavian Vessels by Color Duplex Sonography. AJR 158 (1992) 623–30 [6] Maxwell-Armstrong CA, Noorpuri BSW, Haque SA et al: Long-term results of surgical decompression of thoracic outlet compression syndrome. JR Coll Surg Edinb 2 (2001) 35–38 [7] Stötzer J: Thoracic-Inlet Syndrom nach ESIN eines Klavikulastückbruchs. Unfallchirurg 107 (2004) 507–10 [8] Vollmar J: Rekonstruktive Chirurgie der Arterien: 161 Tabellen von Jörg Vollmar. 4.überarbeitete und erweiterte Auflage, Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York (1996) VASCULAR CARE 2/2007 VOL. 13 57