Materialmappe zu „Maria Stuart“ - Landesbühne Niedersachsen Nord

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Materialmappe zu „Maria Stuart“ - Landesbühne Niedersachsen Nord
SPIELZEIT 2008/2009
MATERIALMAPPE ZU DER BIBERPELZ VON GERHART HAUPTMANN
REDAKTION: DRAMATURGIE
INHALT
DER INHALT IN KÜRZE ............................................................................................................................................ 2
PROVOKANTE RECHNUNG: WISSENSCHAFTLER HALTEN HARTZ-IV-SATZ FÜR VIEL ZU HOCH... 3
GEDANKEN ZUM BIBERPELZ von Michael Blumenthal.................................................................................. 3
ROLLENSPIEL ZUM BIBERPELZ............................................................................................................................ 6
MATERIAL FÜR DAS ROLLENSPIEL ..................................................................................................................... 6
BIOGRAPHIE GERHART HAUPTMANN ............................................................................................................... 8
Mit Heike Clauss (Frau Wolff), Claudia Friebel (Leontine), Verena Karg (Frau Motes), Wibke
Quast (Adelheid);
Axel Julius Fündeling (Dr. Fleischer), Peter Lindhorst (Wulkow), Georg Lippert (Glasenapp),
Stefan Ostertag (Krüger), Mathias Reiter (von Wehrhahn), Johannes Simons (Julius Wolff),
Sebastian Stielke (Motes) und Holger Teßmann-Leyk (Mitteldorf)
Regie: Michael Blumenthal, Bühne & Kostüme: Diana Pähler, Dramaturgie: Peter Hilton Fliegel
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 2
DER INHALT IN KÜRZE
Mutter Wolffen ist eine verarmte Wäscherin, verheiratet mit dem dumpfbackigen und latent
aggressiven Schiffszimmermann Julius. Sie kommt in der Eröffnungsszene mit einem gewilderten
Rehbock nach Hause und trifft auf ihre Tochter Leontine, die aus ihrer Stellung bei dem reichen
Rentier Krüger abgehauen ist: Sie habe in den späten Abendstunden einen Stapel Holz in den Stall
schaffen sollen. Mutter Wolffen, die stets Rechtschaffenheit herauskehrt, will ihre ungehorsame
Tochter zurückschicken. Als sie jedoch erfährt, dass es sich um „schöne trockene Knüppel“ handelt,
erlaubt sie Leontine, für eine Nacht dazubleiben. Mutter Wolffen hat da so eine Idee, was man mit
dem Holz, das noch auf der Straße liegt, tun könnte ….
Während Mutter Wolffen dem Spreeschiffer Wulkow den Rehbock verkauft, erzählt ihre jüngste
Tochter Adelheid, dass Frau Krüger ihrem Mann kürzlich einen wertvollen Biberpelz geschenkt habe.
Wulkow erklärt dass er für solch einen Pelz ohne weiteres sechzig Taler (=180 Mark) zahlen würde.
Mit dieser Summe aber könnte Mutter Wolffen ihre Schulden begleichen. Sie verkündet, noch diese
Nacht auf den Markt nach Spandau zu fahren, um Gänse zu kaufen und am nächsten Morgen ist der
Biberpelz gestohlen. Zufall?
Holz und Biberpelz sind futsch. Krüger erstattet Anzeige. Der Amtsvorsteher von Wehrhahn fühlt sich
dadurch aber belästigt. Als Beamter des wilhelminischen Staates ist er vor allem daran interessiert,
„reichs- und königsfeindliche Elemente“ aufzuspüren. So trachtet er danach, den Privatgelehrten Dr.
Fleischer verhaften zu lassen, weil dieser etwa zwanzig verschiedene Zeitungen abonniert hat und
regelmäßig freigeistige Literaten empfängt. Da der Amtsvorsteher Wehrhahn Krügers Anzeige
schleppend behandelt, spricht Krüger erneut vor. Diesmal ist auch Mutter Wolffen anwesend. Es
kommt zur einer grotesken Verhandlung, die ins Leere läuft: Mutter Wolffen kann jeglichen Verdacht
von sich abwenden. Die Diebstähle werden nicht aufgeklärt.
Mutter Wolffen ist der wichtigste Charakter im Stück. Sie versteht es, die Menschen zu lenken und von
ihnen zu bekommen, was sie will. Sie kämpft gegen ihre ärmlichen Verhältnisse an, was untypisch für
naturalistische Dramen ist, in denen der Held üblicherweise wie gelähmt den Gesetzen seines
sozialen Umfeldes gehorcht. Kennzeichnend für die naturalistische Gestaltung sind die Genauigkeit
der Milieubeschreibung und die Verwendung der Alltagssprache mit allen Färbungen von Dialekt,
Jargon und Umgangssprachlichem.
Die Uraufführung des BIBERPELZ fand am 21. September 1893 im Deutschen Theater Berlin statt.
Der offene Schluss überraschte das Publikum so sehr, dass es in Erwartung eines auflösenden Endes
einfach sitzen blieb.
Otto Neumann-Hofer beschrieb die Reaktion des Premierenpublikums wie folgt: „Das läßt sich das
Publikum nicht gefallen. Es ist da wie das hungrige Tier, das seine Beute sucht. Reißt man sie ihm vor
dem Munde weg, so wird es wild. Und so wurde auch das Publikum wild und zischte die schönste
deutsche Posse, die ihm doch geboten wurde, aus.“ (Berliner Tageblatt, 22. September 1893)
Die zeitgenössische Kritik warf Hauptmann eine mangelhafte Komposition vor und dass er mit dem
offenen Schluss den Konsequenzen seines Stückes ausgewichen sei. Neuere Kritiken meinen aber,
dass gerade durch den offenen Schluss, die Engstirnigkeit jener, die als Stützen der Gesellschaft
erscheinen, betont wird, da ja der Amtsvorsteher selbst zu borniert war, um mit offenen Augen an die
Diebstähle heranzugehen, und diese deshalb nicht aufgeklärt werden. Die Kritiker beklagten die
fehlende „poetische Gerechtigkeit“. Dabei dachten sie primär an Mutter Wolff, die unbekehrt und
unbestraft aus dem Stück geht, weniger indessen an den Amtsvorsteher von Wehrhahn, der seine
Dienstpflichten gröblich verletzt und der unbescholtene Bürger verfolgt.
Zur auf der Bühne erfolgreichsten Komödie Hauptmanns entwickelte sich das Stück seit der
Inszenierung durch das Deutsche Volkstheater in Wien 1897. Begeistert äußerten sich anlässlich
dieser Aufführung unter anderem die Dichter Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler.
Stimmen zur Uraufführung, bzw österreichischen Erstaufführung
„Kleinmalerei ohne alle Handlung von Belang, welche in solcher Ausdehnung nur langweilt. [...] Daß
das öde Machwerk mehrere Aufführungen erleben dürfte, steht kaum zu erwarten.“ (Urteil der Berliner
Zensurbehörde, 4. März 1893)
Arthur Schnitzler: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich vom Biberpelz entzückt gewesen bin.
Es ist was Schönes, einen Großen so frech und lustig zu sehen.“ (5. April 1897 in einem Brief an Otto
Brahm)
Hugo von Hofmannsthal: „Gestern hab ich den Biberpelz gesehen [in Wien], ohne ihn je gelesen zu
haben: das ist doch durch und durch gut, in einem anständigen Sinn geistreich.“ (10. April 1897 in
einem Brief an Otto Brahm)
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PROVOKANTE RECHNUNG: WISSENSCHAFTLER HALTEN HARTZ-IV-SATZ FÜR
VIEL ZU HOCH
Zwei Wissenschaftler sorgen für Empörung: Ihrer Rechnung nach könnte ein Bedürftiger mit
132 Euro im Monat auskommen - wenn er nicht raucht und telefoniert. Für ein Kind seien 79
Euro genug. Der Paritätische Wohlfahrtsverband schäumt: Das sei der "Bedarf eines Hundes in
einem Tierheim".
Frankfurt am Main - 8,3 Millionen Deutsche haben Ende 2006 existenzsichernde Hilfen wie
Arbeitslosengeld II oder Hartz IV erhalten - das sind 10,1 Prozent der Bevölkerung. Das teilte das
Statistische Bundesamt an diesem Donnerstag mit.
Dabei bekommen Hartz-IV-Empfänger sogar noch zu viel Geld - diese provokante Rechnung machen
zwei Wirtschaftswissenschaftler der TU Chemnitz in der "Zeitschrift für Wirtschaftspolitik" auf. Sie
befassen sich darin mit der Höhe der Hartz-IV-Regelsatzes - und kommen zu dem Schluss, dass
Empfänger dieser Hilfe deutlich mehr Geld bekommen würden als das durchschnittliche
Existenzminimum rechtfertigt.
Maximal angemessen wären 278 Euro für den Lebensunterhalt ohne Miete und Energiekosten, so die
Wissenschaftler. Die Berechnung bezieht sich auf das Jahr 2006. Damals belief sich der Regelsatz für
Hartz IV im Westen auf 345 und im Osten der Republik auf 331 Euro. Inzwischen liegt er bei 351
Euro, 73 Euro mehr als der in der Studie errechnete Regelsatz.
Die Studie kommt sogar zu dem Ergebnis, dass bei enger Auslegung, was das Existenzminimum
umfassen soll, ein Bedürftiger mit 132 Euro im Monat auskommen müsste. Tabu wären in diesem Fall
Alkohol und Tabak. Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur würden lediglich ein Euro, für
Kommunikation zwei Euro veranschlagt.
Der 278-Euro-Satz sei demnach schon die "weite Interpretation" der Mindestsicherung. Bei ihm
würden für Freizeit und Kommunikation 14 und 46 Euro als Bedarf angenommen, auf Alkohol und
Zigaretten müsste nicht komplett verzichtet werden.
Die Reaktionen auf die Rechnung fielen heftig aus: Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte die
Studie völlig indiskutabel. Hartz-IV-Experte Rudolf Martens sagte, das Ganze erinnere an die
Armenfürsorge um 1900. Ein Kind würde nach diesen Berechnungen gerade 79 Euro bekommen.
"Das ist in etwa der monatliche Bedarf eines Hundes in einem Tierheim."
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nannte die Studie einseitig, pseudowissenschaftlich und
zynisch. Eine Kürzung würde die bereits jetzt zunehmende Einkommensungleichheit massiv
verschärfen, hieß es in einer Erklärung des Bundesvorstands.
Insgesamt zahlte der Staat Transferleistungen in Höhe von 45,6 Milliarden Euro. Der mit Abstand
größte Teil - 40,5 Milliarden Euro - dieser Ausgaben entfiel auf Hartz IV, also Arbeitslosengeld II oder
Sozialgeld. Allein 5,3 Millionen Bürger bekamen demnach Arbeitslosengeld II. Knapp zwei Millionen
Nicht-Erwerbsfähige - vor allem Kinder - waren auf Sozialgeld angewiesen.
ssu/AP/ddp/Reuters
Quelle: SPIEGEL ONLINE vom 04. September 2008, 19:36 Uhr:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,576376,00.html
GEDANKEN ZUM BIBERPELZ von Regisseur Michael Blumenthal
Im ausgehenden 19. Jahrhundert gründete ein gewisser Otto Brahm mit anderen Theaterliebhabern
den Theaterverein „Freie Bühne“, der nur Mitgliedern offenstand und deshalb nicht der Theaterzensur
unterlag. In der Berliner Zeitung „Neue Freie Presse“ erschien am 10.5.1904 ein Artikel von jenem
Otto Brahm über eine Aufführung von Ibsens STÜTZEN DER GESELLSCHAFT.
„Da geschah es eines Tages, daß wir in das winzige „Stadttheater“ in der Lindenstraße gerieten, zu
den „Stützen der Gesellschaft“: und sogleich empfingen wir die erste Ahnung einer neuen poetischen
Welt, wir fühlten uns, ein erstesmal, vor Menschen unserer Tage gestellt, an die wir glauben konnten,
und aus einer allumfassenden sozialen Kritik der Gegenwart sahen wir die Ideale der Freiheit und der
Wahrheit, als der Stützen der Gesellschaft, siegreich emporsteigen. Von Stund an gehörten wir dieser
neuen Wirklichkeitskunst, und unser ästhetisches Leben hatte seinen Inhalt erhalten.
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 4
Um die ungeheure Wirkung zu verstehen, die auf uns junge Leute Ibsens Werk ausübte, muß man
den Tiefststand der dramatischen Produktion in Deutschland ermessen, der die Siebziger Jahre des
neunzehnten Jahrhunderts kennzeichnete. Es war die Zeit nach dem deutsch-französischen Kriege,
die Zeit des Milliardensegens und des Gründungstaumels, wo in der werdenden Weltstadt ein
bequemes und seichtes Genießen des Errungenen auch auf der Bühne seinen Ausdruck suchte. Man
amüsierte sich in der Operette (...) man lachte über Späße im Wallnertheater, wenn Moser von ‚Krieg
und Frieden‘ erzählte; (...) und man fand auch im Königlichen Schauspielhause ein gemäßigtes
Behagen an den heimischen Nachahmern der Franzosen, die eine deutsche Salonwelt uns
vorzugaukeln wünschten, welche niemals existiert hatte.“
Was auf Otto Brahm und seine Freunde so ungeheure Wirkung entfachte, war die in den 70er Jahren
des 19. Jahrhunderts entstehende Kunstströmung des Naturalismus, die ihren Ausdruck in der
Bildenden Kunst und in der Literatur fand. Naturalismus meint „die naturgetreue Darstellung des
Sichtbaren“. Die Zufälligkeit des Alltäglichen wird ohne jegliche Stilisierung gegen idealisierende und
heroisierende Richtungen der gründerzeitlichen Kunst eingesetzt.
Vergleichbar mit den dänischen Dogma-Filmern um Lars von Trier, die auf jegliche
Illusionsmaschinerie verzichten, bezieht der Naturalismus seine Themen aus dem sozialen Alltag.
Ereignisse aus dem bürgerlichen, kleinbürgerlichen und proletarischen Milieu werden Gegenstand des
künstlerischen Schaffens. Lebensumstände der sozial Schwachen, und damit auch soziales Elend,
Armut, Alkoholismus, Prostitution rücken in den Brennpunkt von Malern und Dichtern.
Ende des 19. Jahrhunderts und damit mitten in der Hochphase des Naturalismus begann auch
Gerhart Hauptmann mit seinem dramatischen Schaffen. Am 20.Oktober 1889 erlebte sein Drama
VOR SONNENAUFGANG durch jene oben schon erwähnte „Freie Bühne“ seine Uraufführung. DIE
WEBER erschienen im Jahr 1891, 1893 DER BIBERPELZ, ROSE BERND im Jahr 1903.
Dem Grundgedanken des Naturalismus entsprechend hat sich Gerhard Hauptmann bei seiner Arbeit
am BIBERPELZ bei der Findung und Ausgestaltung der Figuren und der Geschichte sehr konkret und
wirklichkeitsnah bei seiner persönlichen Umgebung und bei den politischen Verhältnissen gegen Ende
der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts bedient.
Der BIBERPELZ spielt zur Zeit des sog. Septennatskampfes, der politischen Auseinandersetzung um
die Verlängerung des Militäretats und die Erhöhung der Heeresstärke und zur Zeit der sog.
Sozialistengesetze (1878 - 1890), die im Jahr 1887 noch einmal verschärft wurden: Alle Vereine, die
durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der
bestehenden Staats - und Gesellschaftsordnung bezweckten (oder denen man dies unterstellte siehe BIBERPELZ) wurden verboten, ebenso deren Versammlungen und Publikationen. Dies ist der
politisch - gesellschaftliche Background für den BIBERPELZ.
Gerhard Hauptmann schreibt zu seinem Stück: „Alle Gestalten des Biberpelz habe ich in Erkner,
einem Vorort von Berlin kennengelernt: Amtsvorsteher und Standesbeamter in Erkner war ein Herr
von A., (in Wirklichkeit Oscar von Busse), dem ich die Geburten meiner Söhne anzumelden hatte: ein
politischer Heißsporn, der überall staatsgefährliche Elemente roch. Ich wurde bei pflichtmäßigen
Begegnungen von ihm mit deutlicher Absicht kalt abgetan. Ich entdeckte im Walde ein Nest von alten
Kleidern. Sie mußten von Strolchen stammen, die sich hier umgezogen hatten. Törichterweise und in
der Vermutung, dies könnte die Spur eines damals gesuchten Einbrechers sein, machte ich dem
Herrn Amtsvorsteher persönlich Anzeige. Wie er das aufnahm, die Geringschätzung, die er meinem
Bericht entgegenbrachte, die hochmütige Ablehnung, die er mir zuteil werden ließ, fand in einer
Komödie, „Der Biberpelz“, die ich später schrieb, ihren Niederschlag.“
Auch bei der Charakterisierung und dem „Ausschreiben“ anderer Figuren wie dem Rentier Krüger,
Herrn und Frau Motes und Mutter Wolffen orientiert sich Hauptmann an lebensechten Vorbildern. So
war Hauptmanns Hauswirt Nikolas Lassen das Vorbild des schwerhörigen Rentiers Krüger und der
hinkende Forstmann Hermann Haché wird im BIBERPELZ zum „gelernten Forstmann“ Motes.
Hauptmann beschreibt Haché als „einen verkrachten hinkenden Forstmann, den man wohl einen
Forstnarren nennen kann (...) Er kleidete sich wie ein Förster, was er wie durch ein Wunder
bewerkstelligte, da er nicht eine Faser des grünen Rockes bezahlt hatte. In einem Gang nach dem
nahen Wald mit seiner baumlangen Lebensgefährtin oder ohne sie, wobei der gestiefelte und
gespornte Mann ein Waldhorn umhängte, bestand seine tägliche Tätigkeit. Und so hörte man immer
wieder die Mißtöne zwischen den Bäumen hervordringen, die er unermüdlich dem Waldhorn
entpreßte. der üble, nicht unamüsante Mensch und seine aus Riga stammende, ihm bedingungslos
hörige Frau hatten sich bald in unser Vertrauen schmarotzt und wurden (...) von unserer Köchin
durchgefüttert. Durch diesen Burschen (...) wurde ein ähnlicher Ehrenmann bei uns eingeführt. Er war
wirklich, was der Forstnarr nur von sich behauptete, Schriftsteller.“
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 5
Als Hauptmann es ablehnte, diesem „Ehrenmanne“ zum wiederholten Male Geld zu leihen, versuchte
dieser ihn zu denunzieren: „Ein mir gutgesinntes altes Weib erzählte mir, er habe ihr angelegen, mich
wegen irgend etwas bei der Behörde zu denunzieren.“ Interessanterweise hieß es in den
Korrekturfahnen zur „Lebenswende“ noch, daß er Hauptmann „wegen Majestätsbeleidigung unter
Anklage zu bringen versuchte.“
Das Urbild oder, wie es in den Dokumenten zur Entstehung bei Reclam so schön heißt, „das Erkner
Modell“ der Mutter Wolffen war Hauptmanns Wasch- und Zugehfrau Maria Heinze. Sie stammte aus
Niederschlesien und war mit dem Schiffsbauer Reinhold Heinze verheiratet: „Der Mann war von
stattlichem Körperbau und ruhiger, etwas schwerfälliger Wesensart, während seine um zwei Jahre
ältere Frau, klein von Gestalt, über ein lebhaftes Temperament und ausgeprägtes
Durchsetzungsvermögen verfügte.“ An anderer Stelle notiert Hauptmann: „Frau Heinze, offen
bekennend, daß sie herrschen muß über den Mann.“
Beim Sichten der Sekundärliteratur zu Hauptmanns BIBERPELZ sind mir noch die Gedanken zweier
kluger Männer zu einzelnen Figuren untergekommen, die ich ganz interessant fand und zumindest der
eine dieser Gedanken hat auch die Diskussion mit der Ausstatterin über die Kostüme mit beeinflusst.
Da schreibt zunächst ein Fritz Martini über Mutter Wolffen: „...in der Waschfrau und Familienmutter
kehrt der Typus der gewitzten, um Finten und Listen nie verlegenen, gewandt in Maulwerk und
Verstellung alle abtrumpfenden Diener - und Schelmenfigur der alten Komödie wieder.“
Und ein Oskar Seidlin schreibt in seinem Aufsatz „Urmythos irgendwo in Berlin“, „daß im Biberpelz
das Weibliche, Mutter Wolffen und ihre Töchter, schlichtweg gesund sind, während die Männer sich
wie eine Galerie von Angeschlagenen ausnehmen: Dr. Fleischer zuckerkrank, Motes einäugig,
Mitteldorf Alkoholiker, Krüger schwerhörig, Julian Wolff „mit blöden Augen und trägen Bewegungen“.
Und der physisch intakte Wehrhahn ist im übertragenen Sinn mit Blindheit geschlagen. Seine
Prinzipien von Recht und Ordnung, die das patriarchale wilhelminische System widerspiegeln, halten
Mutter Wolffen nicht stand. Seidlin schließt mit der Feststellung, daß „Mutter Wolffen wahrhaft Inbegriff
und Abbild der Mutter ist, die zum Kampf angetreten ist (...) gegen alles, was den Bereich des Mannes
konstituiert: Staatliche Ordnung, geregelt garantierten Besitz, konsolidierte Machtstellung.
Bei einem historischen Stoff wie dem BIBERPELZ stellt sich ja immer die Frage nach der Umsetzung:
Aktuell? Tagesaktuell? Historisch? Klar war für uns, daß wir keine „nostalgische“ Umsetzung mit einer
naturalistischen Bühnenausstattung wollen. Bei mir als Zuschauer erweckt eine solche Ausstattung oft
das Gefühl der „guten alten Zeit“, auch wenn die Zeit alles andere als gut war. Auf jeden Fall wollten
wir das in diesem Fall nicht.
Und eigentlich eignet sich der 1. Handlungsstrang in Mutter Wolffens Hütte vorzüglich dazu, ihn ins
Hier-und-Jetzt zu ziehen: Mutter Wolffen als Oberhaupt einer „Hartz IV Familie“, ein „Muttertier“, das
mit viel Witz und noch mehr Tücke ihre Familie in die Mittelschicht hieven will. Den Reichen wird das
Kaminholz gestohlen, im Stadtwald wird das Essen gejagt … Dem 1. und 3. Akt hätte eine solche
„Auffrischung“ gut getan und eine aktuelle Brisanz geschaffen.
Leider funktioniert das Ganze nicht mit dem 2. und 4. Akt. Wir leben in einer Demokratie. Und unsere
politischen Verhältnisse haben sich seit der Zeit des Septennatskampfes grundlegend geändert. Die
Geschichte von Wehrhahn, Motes und den anderen Protagonisten dieser beiden Akte, wird, in die
heutige Zeit transportiert, nicht mehr funktionieren. Und somit wird auch keine Raumkonzeption
funktionieren, die das gesamte Geschehen in die heutige Zeit versetzt.
Wir haben uns also, sozusagen im Ausschlussverfahren auf eine Abstrahierung der Raumsituation
und eine Kostümausstattung verständigt, die eher auf eine Charakterisierung der Figuren setzt. Eine
Charakterisierung der Figuren in einer zeitlich nicht näher fixierten Vergangenheit.
Ich habe weiter oben geschrieben, daß ich in dem 1. und 3. Akt einen pointierten Kommentar zur
aktuellen Diskussion um Hartz IV sehe. Ich denke, wir sollten das bei der Arbeit im Hinterkopf
behalten, ohne dass wir diesen Gedanken in der Ausstattung auf die Bühne stellen. Vielleicht gelingt
es uns ja, dass der Zuschauer diesen gedanklichen Transfer macht und die heutige Brisanz dessen,
was Hauptmann geschrieben hat, sieht!
Michael Blumenthal, September 2008
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ROLLENSPIEL ZUM BIBERPELZ
Zum Stück DER BIBERPELZ empfehlen sich als Rollenspiele improvisierte Lügenspiele, die anhand
ausgewählter Texte als inhaltliche Grundlage, zentrale Themen des Stückes behandeln.
Hauptmann zeigt in seinem BIBERPELZ, dass Glaubwürdigkeit ein Resultat geschickter Rhetorik ist.
Antrieb der Mutter Wollf für ihr Verhalten ist ihre Armut und zentral ist die Erkenntnis, dass Männer
von einer Frau leicht an der Nase herumzuführen sind, wenn man sie mit ihrer eigenen
Glaubwürdigkeit unter Druck setzt.
Rollenspiel:
Streitgespräch anhand der ausgewählten Szene aus dem 4. Akt.
Vorbereitung
- Lektüre der Szene mit verteilten Rollen
- Besprechung der Situation: Polizeiwache, Supermarkt, „Streit um 3“, etc.
- Inhaltliche Rekapitulation der Szene mit eigenem Text
15 Minuten
Rollenspiel
15 Minuten
Auswertung
15 Minuten
Bei dem Rollenspiel ist die anschließende gemeinsame Auswertung der letzte, aber entscheidende
Schritt, um einen pädagogischen Nutzen daraus zu ziehen. Will sagen: es sollte etwa ein Drittel der
insgesamt geplanten Zeit dafür reserviert sein.
MATERIAL FÜR DAS ROLLENSPIEL
Auszug aus DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann
KRÜGER tritt hastig und erregt ein. Ach Chott! Ach Chott! Chuten Tag,Herr Vorsteher.
WEHRHAHN, hochmütig inquirierend zu Krüger. Was wünschen Sie denn?
KRÜGER, mit Ärger geladen, platzt heraus. Pestohlen bin ich, Herr Amtsvorsteher.
WEHRHAHN. Bestohlen? Hm!
KRÜGER, schon gereizt. Jawohl, bestohlen. Mann hat mir zwei Meter Holz entwendet.
WEHRHAHN. Ich bitte, legitimieren Sie sich.
KRÜGER. Leg...legitimieren? Ist ihnen mein Name noch nicht bekannt?
WEHRHAHN. Bedaure. Ich wüsste mich kaum zu erinnern. Ist Ihnen der – Herr bekannt, Glasenapp?
GLASENAPP. Ja! Zu dienen. Es ist der Herr Rentier Krüger von hier.- WEHRHAHN. Gut. – Holz ist Ihnen also gestohlen?
KRÜGER. Ja. Holz. Zwei Meter kieferne Knüppel.
WEHRHAHN. Haben Sie das Holz im Schuppen gehabt?
KRÜGER, wieder heftig werdend. Das ist eine Sache für sich. Das ist eine kanz besondere Klage.
WEHRHAHN, ironisch und flüchtig zu den anderen hinüberlachend, leichthin. Schon wieder eine? Das
Holz war also nicht im Schuppen?
KRÜGER. Das war im Karten. Das heißt: vor dem Karten.
WEHRHAHN. Mit anderen Worten: es lag auf der Straße?
KRÜGER. Es lag vor dem Karten auf meinem Grundstück.
WEHRHAHN. Das jeder ohne weiteres dazukonnte?
KRÜGER. Und das ist eben die Schuld des Tienstmädchens. Sie sollte das Holz am Abend
hereinräumen. Sie hat sich keweigert und ist mir schließlich davon gelaufen.
WEHRHAHN. Wer wohnt außer ihnen sonst noch in ihrem Hause?
KRÜGER. Herr Dr. Fleischer.
WEHRHAHN, gleichsam nachsinnend. Dr. Fleischer? Sie beide sind sehr intim miteinander?
KRÜGER. Mit wem ich intim bin, ist meine Sache. Das kehört auch kar nicht hierher, wie mich dünkt.
WEHRHAHN. Wie soll man da etwas ermittleln? Sie müssen mir doch einen Fingerzeig geben.
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 7
KRÜGER. Ich muß? Lieber Chott ja! Ich muß? Mir werden zwei Meter Holz kestohlen, Ich komme den
Tiebstahl einfach anzeigen...
WEHRHAHN. Sie müssen doch eine Vermutung haben. Das Holz muss doch jemand gestohlen
haben.
KRÜGER. Wa-? Ja – ich nicht! Ich chanz kewiß nicht.
WEHRHAHN, einlenkend, scheinbar gelangweilt.Ä! – Na, Glasenapp, protokollieren Sie also. – Was
ist denn nun mit dem Mädchen, Herr Krüger? Das Mädchen ist Ihnen fortgelaufen?
KRÜGER: Ja, chanz kewiß – zu den Eltern zurück!
WEHRHAHN. Sind die Eltern am Ort?
GLASENAPP. Es ist die Tochter der Waschfrau Wolffen.
WEHRHAHN. Der Wolffen, die heute bei uns wäscht, Glasenapp?
GLASENAPP. Zu befehlen, Herr Vorsteher.
WEHRHAHN, kopfschüttelnd. Äußerst merkwürdig! – Diese fleißige, ehrenhafte Person. Und ist das
Mädchen zurückgekommen?
KRÜGER. Bis heute noch nicht zurückgekommen.
WEHRHAHN. Dann wollen wir doch mal die Wolffen rufen. Ruft hinaus Die Wolffen soll gleich mal zu
mir kommen. Halblaut zu Glasenapp. Ich bin doch neugierig, was da herauskommt. Da muß irgend
etwas nicht ganz stimmen. Ich halte nämlich sehr viel von der Wolffen. Das Weibsbild arbeitet wie vier
Männer. Meine Frau sagt, wenn die Wolffen nicht kommt, so braucht sie statt ihrer zwei Frauen zum
Waschen. – Sie hat auch gar nicht üble Ansichten.
Die Wolffen tritt ein. Sie trocknet sich noch die vom Waschen nassen Hände.
FRAU WOLFF, unbefangen, heiter. Hier bin ich! Was hat´s nu? Was gibbt´s mit der Wolffen?
WEHRHAHN. Frau Wolff, ist Ihnen der Herr bekannt?
FRAU WOLFF. Der hier? Das is Herr Krieger. Den wer ich woll kenn. Guten Morgen, Herr Krieger.
WEHRHAHN. Ihre Tochter ist bei Herrn Krüger im Dienst?
FRAU WOLFF. Wer? Meine Tochter? Jawoll!. Zu Krüger. Das heeßt: se is Ihn ja fortgeloofen.
KRÜGER, wütend. Ja, allerdings!
WEHRHAHN, unterbrechend. Sie hat sollen Holz in den Schuppen räumen und hat sich geweigert.
FRAU WOLFF. Wärsch doch! Geweigert! Das Mädel is immer willig gewesen. Wenn die mir
hätt’eemal’n Handgriff verweigert...
KRÜGER. Sie hat sich keweigert, das Holz reinzutragen.
FRAU WOLFF. Ja, Holz reinschleppen, de Nacht um halb elwe, wer das so an Kinde verlangt WEHRHAHN. Das Wesentliche ist nun,. Frau Wolffen: -das Holz ist draußen liegengeblieben, und
diese Nacht ist es gestohlen worden. Nun will...
KRÜGER, hält sich nicht mehr. Sie werden mir tas Holz Heller bei Pfennig ersetzen, Frau Wolff.
FRAU WOLFF. I, ja doch! Hab`ich Ihn vielleicht Ihr Holz gestohlen?
WEHRHAHN. Na, lassen sie sich mal den Mann erst beruhigen.
FRAU WOLFF. I, wenn mir Herr Krieger erst aso kommt, mit Holz bezahlen und solchen Sachen. Da
hat a bei mir kee Glicke nich. Ich bin zu a Leiten gewiß immer freindlich. Aber wenn`s amal muß sein,
warum denn nich? Da red`ich halt ooch amal frisch von der Leber. Da kann mir keener im Dorfe was
nachsagen. Uff`m Koppe rumtrampeln lass`ich mir nich!
WEHRHAHN.Ereifern Sie sich nur nicht, Frau Wolff. Dass Sie fleißig sind und ehrenhaft, das wird
ihnen wohl kein Mensch bestreiten. Was haben Sie also dagegen zu sagen?
KRÜGER. Die Frau kann kar nichts dagegen sagen!
FRAU WOLFF. Na nu, ihr Leute, nu schlägt´s aber dreiz´n. Is denn das Mädel nich meine Tochter?
Da soll ich nischt derzu sagen, hä? Ich halte vor niemand nich hinterm Berge, und wenn´s der Herr
Vorschteher selber is. Viel weniger vor Ihn, das kenn Se mer glooben.
WEHRHAHN. Ich begreife ja Ihre Erregung, Frau Wolffen.
FRAU WOLFF. Zu Ihn komm´ich nie mehr, das kenn Se mer glooben.
KRÜGER. Das prauchen Sie kar nicht. Es kibt andere Frauen, die waschen könn.
FRAU WOLFF. Und`s Gemiese aus Ihrem Garten, das kann Ihn ooch ane andre verkoofen. Ich lasse
meine Tochter nicht schinden.
KRÜGER. Wer hat Ihre Tochter geschunden, frag´ich?
FRAU WOLFF, zu Wehrhahn. A halbes Gerippe is Ihn das Mädel.
KRÜGER. Dann soll sie nicht kanze Nächte durchtanzen.
FRAU WOLFF. Na, dauert die Sache hier noch lange?
WEHRHAHN. Weshalb denn, Frau Wolffen?
FRAU WOLFF. I, wegen der Wäsche. Wenn ich mer hier meine Zeit versteh´, da kann ich ooch heite
nich fertig wern.
WEHRHAHN. Das kommt hier nicht in Betracht, Frau Wolffen. Es dauert ja nur noch eine Minute. –
Da sagen Sie uns mal gleich, Frau Wolffen, Sie sind ja im Dorfe herum bekannt. Wem trauen Sie so
einen Diebstahl zu? Wer könnte das Holz wohl gestohlen haben?
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 8
FRAU WOLFF. Da kann ich Ihn gar nischt sagen, Herr Vorsteher.
WEHRHAHN. Und haben Sie gar nichts Verdächt´ges bemerkt?
FRAU WOLFF. Ich war de Nacht gar nich zu Hause. Ich musste nach Treptow, Gänse einkoofen.
WEHRHAHN. Eine Holzfuhre ist Ihnen da nicht begebnet?
FRAU WOLFF. Nee, wißt´ich nich.
WEHRHAHN. Wo haben Sie also das Holz jekauft?
KRÜGER. Natürlich bei der Forstverwaltung.
WEHRHAHN. Das ist doch nicht so natürlich. Es gibt doch zum Beispiel auch Holzjeschäfte.
KRÜGER, ungeduldig. Ich habe nicht länger Zeit, Herr Vorseher.
WEHRHAHN. Sie haben nicht Zeit? Nehnme ich Ihre Zeit in Anspruch oder Sie die meine?
KRÜGER. Das ist Ihr Amt, dafür sind Sie hier.
WEHRHAHN. Bin ich vielleicht ihr Schuhputzer, was?
KRÜGER. Habe ich vielleicht silberne Löffel gestohlen? Ich verbitte mir diesen Unteroffizierston!
WEHRHAHN. Da hört doch aber...Schreien Sie nicht so!
KRÜGER. Sie schreien, Herr! Sie schreien jeden an, der hierherkommt.
WEHRHAHN. Ich schreie niemand an, schweigen sie still!
KRÜGER. Sie spielen sich hier als wer weiß was auf. Sie schikanieren den ganzen Ort.
WEHRHAHN. Das kommt noch ganz anders, warten Sie nur. Ich werde Ihnen noch viel unbequemer.
KRÜGER. Das macht mir nicht den keringsten Eindruck. Ein Kernegroß sind Sie, weiter nichts. Sie
wollen sich aufspielen, weiter nichts. Als ob Sie der König selber wären...
WEHRHAHN. Hier bin ich auch König!
Krüger lacht aus vollem Halse. Ha, ha, ha, ha! In meinen Augen sind Sie kar nichts. Sie sind`nkanz
simpler Amtsvorsteher.
WEHRHAHN. Herr, wenn Sie nicht augenblicklich schweigen...
KRÜGER. Dann lassen sie mich wohl arretieren? Das möchte ich Ihnen denn doch nicht raten. Das
könnte Ihnen kefährlich werden.
WEHRHAHN. Gefährlich? Sie? Zu Motes. Haben sie gehört? Zu Krüger. Und wenn sie wühlen und
intrigieren mit Ihrem ganzen lieblichen Anhang. Sie werden mich von der Stelle nicht fortbringen.
KRÜGER. Du lieber Chott! Ich gegen sie wühlen? Dazu ist mir ihre Person viel zu gleichkiltig. Ich bitte
mich zu Protokoll zu vernehmen.
WEHRHAHN wühlt in seinen Sachen. Erstatten sie bitte schriftlich Anzeige, ich habe im Augenblick
keine Zeit.
KRÜGER sieht ihn verblüfft an, wendet sich energisch und geht ohne Gruß hinaus.
WEHRHAHN, nach einer Verlegenheitspause. Da kommen die Leute mit solchen Lappalien! – Äh! Zu
Frau Wolff. Machen Sie, daß Sie zum Waschen kommen.
BIOGRAPHIE GERHART HAUPTMANN
Gerhart Hauptmann, geboren am 15. November 1862 in Obersalzbrunn in Niederschlesien, gilt als der
bedeutendste deutsche Vertreter des Naturalismus. Hauptmanns Leben umspannt die bewegteste
Zeit der jüngeren deutschen Geschichte. Er geht ab 1874 in Breslau zur Realschule, leidet dort unter
der preußischen Härte des Schulalltags und empfindet die Besserbehandlung adliger Mitschüler als
große Ungerechtigkeit. Gleichzeitig entdeckt er in der Stadt das Theater.
In den folgenden Jahren beginnt er eine Ausbildung als Landwirt, versucht sein Examen nachzuholen,
studiert Bildhauerei in Breslau, Philosophie und Literaturgeschichte in Jena, erneut Bildhauerei in
Rom, Zeichnen in Dresden und Geschichte in Berlin. Finanziert wird dieser Irrweg von seiner reichen
Verlobten Marie Thienemann, die er bei der Hochzeit seines Bruders mit deren Schwester Adele 1882
kennengelernt hatte.
In Berlin kommt Hauptmann mit dem naturalistischen Literaturverein „Durch“ in Kontakt. Es entstehen
die Dramen VOR SONNENAUFGANG und DIE WEBER, die ihm zum Durchbruch verhelfen, obwohl
letzteres zunächst von der preußischen Zensur mit der Begründung verboten wird, es sei ein Aufruf
zum Klassenkampf. Erst Hauptmanns Beteuerung, das Stück sei als dichterischer Appell an das
Mitleid der Besitzenden zu verstehen, überzeugt die Zensoren. Während sozialdemokratische Kreise
das Stück, das am 2. Oktober 1893 aufgeführt wird, begeistert aufnehmen, kündigt Kaiser Wilhelm II.
seine Loge im Deutschen Theater.
Sein nächstes großes Stück, DER BIBERPELZ, wird sein erster großer Reinfall: „Kleinmalerei ohne
alle Handlung von Belang, welche in solcher Ausdehnung nur langweilt. [...] Daß das öde Machwerk
mehrere Aufführungen erleben dürfte, steht kaum zu erwarten.“ (Urteil der Berliner Zensurbehörde, 4.
März 1893). Erst die zweite Aufführung 1897 in Wien ist der Anfang der Erfolgsgeschichte des
Landesbühne Niedersachsen Nord, Spielzeit 0809 Materialmappe zu DER BIBERPELZ von Gerhart Hauptmann Seite 9
BIBERPELZ. Arthur Schnitzler schreibt darüber: „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich vom
Biberpelz entzückt gewesen bin. Es ist was Schönes, einen Großen so frech und lustig zu sehen.“ (5.
April 1897 in einem Brief an Otto Brahm). Trotzdem wendet sich Hauptmann danach vom
Naturalismus ab und mythisch-religiösen Stoffen zu. Es entstehen u.a. die Stücke HANNELES
HIMMELFAHRT, UND PIPPA TANZT, FUHRMANN HENSCHEL und die Erzählung DER ARME
HEINRICH. 1912 erhält Hauptmann den Literaturnobelpreis.
Kaiser Wilhelms schätzt den „sozialdemokratischen“ Dichter nicht und sorgt dafür, dass in Breslau
Hauptmanns Festspiel zum 100. Jubiläum der Befreiungskriege wegen pazifistischer Tendenzen
abgesetzt wird. Umso erstaunlicher ist Hauptmanns Wandlung vom Gegner des preußischen
Militarismus zum glühenden Patrioten bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Kriegsverherrlichende
Verse wie: „Meinen Leib, den geb ich hin / Kugeln und Granaten / Erst wenn ich zerschoßen bin /
Kann der Krieg geraten“ lesen sich heute wie unfreiwillige Satire.
Nach dem Krieg vollzieht Hauptmann eine weitere Kehrwende und unterzeichnet eine Erklärung
deutscher Intellektueller, die sich mit der Republik solidarisieren. Trotz großer Popularität, vor allem im
Ausland, muss sich Hauptmann zunehmend dem Schreiben von Drehbüchern und
Fortsetzungsromanen zuwenden, um sich seinen aufwendigen Lebensstil leisten zu können.
Die Machtergreifung der Nazis 1933 und alles Folgende nimmt Hauptmann kommentarlos hin und
zieht sich in sein Haus in Agnetendorf (heute: Jelenia Góra) zurück. Nach Kriegsende versucht
Hauptmann vergeblich in seinem Haus, das jetzt in Polen liegt, zu bleiben, erfährt allerdings vier
Wochen vor seinem Tod, dass die neue polnische Regierung auf der ausnahmslosen Ausweisung
aller Deutschen besteht. Am 6. Juni 1946 stirbt der alte Dichter, und da die polnische Verwaltung
seinen Wunsch, in heimatlicher Erde begraben zu werden, ablehnt, wird sein Leichnam nach langen
bürokratischen und logistischen Wirren am Morgen des 28. Juli, 52 Tage nach seinem Tod, in Kloster
auf Hiddensee, wo Hauptmann seit 1930 ein Haus besitzt, vor Sonnenaufgang beerdigt.
Auszeichnungen
1896 Grillparzer-Preis für HANNELES HIMMELFAHRT
1899 Grillparzer-Preis für FUHRMANN HENSCHEL
1905 Grillparzer-Preis für DER ARME HEINRICH
1909 Ehrendoktor der Universitäten Oxford und Leipzig
1911 Königlich Bayerischer Maximiliansorden
1912 Literaturnobelpreis
1921 Ehrendoktor der deutschen Universität Prag
1922 Adlerschild des Deutschen Reiches
1924 Orden Pour le Mérite (Friedensklasse)
1932 Ehrendoktor der Universität Columbia (New York)
1932 Goethepreis der Stadt Frankfurt