Die Hessen und ihre Geschichte

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Die Hessen und ihre Geschichte
Die Hessen und ihre Geschichte
Die Hessen und ihre Geschichte
Wege-Weiser durch die hessische Landesund Regionalgeschichte
Herausgegeben von Bernd Heidenreich
und Eckhart G. Franz
Hessische Landeszentrale für politische Bildung
Wiesbaden 1999
Impressum
Herausgeber:
Dr. Bernd Heidenreich
Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden 1999
Abb. Titel:
Reitersiegel Heinrichs I., des ersten hessischen Landgrafen (gest. 1308)
Hess. Staatsarchiv Marburg
Satz und Druck:
Georg Aug. Walter's Druckerei GmbH, 65343 Eltville im Rheingau
ISBN 3-927127-32-9
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Eckhart G. Franz:
Landesgeschichte und regionale Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Bernd Heidenreich:
Politische Bildung und geschichtliche Orientierung . . . . . . . . . . . . . 19
Klaus Eiler:
Öffentliche Archive in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
Hans-Peter Lachmann:
Geschichtsvereine in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
Wolf-Arno Kropat:
Die Historischen Kommissionen in Hessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
Ursula Braasch-Schwersmann:
Das Hessische Landesamt für geschichtliche Landeskunde . . . . . . . 53
Bettina Wischhöfer:
Kirchliche Archive und Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Ulrich Eisenbach:
Archive der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
Michael Neumann:
Denkmalpflege als Geschichtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Kai R. Mathieu:
Staatliche Schlösser und Gärten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
5
Dieter Wolf:
Regional-, Stadt- und Heimatmuseen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
Hartmut Heinemann:
Jüdische Friedhöfe und Denkmäler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
Lupold von Lehsten:
Familienkundliche Forschung in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
Friedrich Battenberg:
Landeskundliche Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
Fritz Wolff:
Geschichtsausstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
Egon Schallmayer:
Geschichte erleben auf der Saalburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Hans Sarkowicz:
Landesgeschichte in Hörfunk und Fernsehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Thomas Lange:
Landesgeschichte in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Wichtige Anschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
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Vorwort
Landes- oder Regionalgeschichte in Hessen war schon seit der Gründung der ersten Geschichtsvereine zu Beginn des 19. Jahrhunderts
mehr als ein wissenschaftliches Forschungsanliegen für Professoren
und Archivare. Die unter möglichst breiter Beteiligung angesetzten
Forschungen, die zunächst von den sichtbaren „Denkmalen“ ausgingen, sollten allen, die am von der Geschichte geprägten Leben teilnehmen, zugänglich sein und das Vergangene „im Gedächtnis der
Mitwelt“ verankern.
Eine zunehmende Auflösung bestehender Bindungen durch Grenzverschiebungen, Gebietsreformen und Migration hat gerade in den
letzten Jahren bei Bürgerinnen und Bürgern zu einem immer stärkeren Bedürfnis nach historischer Selbstvergewisserung geführt. Immer
mehr Menschen fragen daher nach der Geschichte der Region, in der
sie leben und arbeiten, um daraus Orientierung für die Gegenwart
und sicheren Boden für die Gestaltung der Zukunft zu gewinnen. Das
hat ein wachsendes Interesse an der Landes- und Regionalgeschichte
in Hessen nach sich gezogen, mit der die Informationen über die verschiedenen Träger und Ansprechpartner der Landesgeschichte jedoch
nicht immer Schritt gehalten haben. Mit der Publikation „Wo, wie und
wozu befasst man sich in Hessen mit Landes- und Regionalgeschichte?“ wollen wir diese Lücke schließen.
Das kleine Handbuch stellt die einzelnen Institutionen und wichtigsten Aktionsfelder der Landesgeschichte in Hessen vor. Es will auf
die Vielfalt der geleisteten Arbeit aufmerksam machen und zugleich
zu einer noch besseren Vernetzung der Regionalgeschichte und hessischen Landeskunde beitragen. Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung will durch die Vermittlung von hessischer Landeskunde und Landesgeschichte die Identität unseres Bundeslandes und
die historisch-politische Orientierung seiner Bürgerinnen und Bürger
fördern.
Dr. Bernd Heidenreich
Ständiger Vertreter des Direktors
der Hessischen Landeszentrale für
politische Bildung
Prof. Dr. Eckhart G. Franz
Hessische Historische
Kommission Darmstadt
7
Wilhelm Dilichs Zukunftsvision des „lieben Vatterlandes Hessen“ aus
dem Jahre 1605
8
Landesgeschichte und regionale Identität
Prof. Dr. Eckhart G. Franz, Hessische Historische Kommission Darmstadt
Zur geschichtlichen Überlieferung unseres Landes gehören die Bodenfunde der Vorzeit, das mit modernen Grabungsmethoden aufgefundene Steinbild des „Keltenfürsten“ vom Glauberg und der römische Limes mit seinen Kastellen ebenso wie die frühen Kirchen- und
Klosterbauten der Karolingerzeit. Die schreibkundigen Mönche
haben zwar neben Urkunden und Besitzlisten auch erste chronikalische Aufzeichnungen hinterlassen, doch die bei den Kanzleien des
Mittelalters angelegten Registraturen oder Archive waren vorrangig
Verwaltungsstütze und juristische Rüstkammer. Der Marburger
Schlosskaplan Wigand Gerstenberg aus Frankenberg hat sie nicht herangezogen, als er für seinen landgräflichen Herrn gegen Ende des 15.
Jahrhunderts seine mit reizvollen Federzeichnungen illustrierte „Landeschronik von Thüringen und Hessen“ schrieb, die den eigentlichen
Anfang hessischer Landesgeschichtsschreibung bildet.
Die aus der „terra Hassia“, dem Erbe der Heiligen Elisabeth erwachsene Landgrafschaft hatte damals mit den kurz zuvor aus der
Hinterlassenschaft der Grafen von Katzenelnbogen erworbenen
Stützpunkten um St. Goar und Darmstadt bereits die Außengrenzen
des heutigen Landes markiert. Dass die vier Söhne Landgraf Philipps
des Großmütigen das eigentliche „Hessen“ 1567 erneut aufteilten,
machte das Land dann noch stärker als zuvor zu einem bunten
Flickenteppich aus geistlichen und weltlichen, fürstlichen und gräflichen, reichsstädtischen und reichsritterlichen Klein- und Kleinstherrschaften. Als der zum „historiographus et geographus“ des Kasseler
Landgrafen Moritz bestallte Wilhelm Scheffer gen. Dilich auf der
Übersichtskarte seiner ab 1605 in mehreren Druckauflagen verbreiteten „Hessische Chronica“ ein „liebes Vatterland Hessen“ präsentierte,
das alles Land zwischen Werra, Oden- und Westerwald umfasste, gab
es lautstarke Proteste der auf ihre Selbständigkeit bedachten Wetterauer Grafen; der von ihnen beauftragte Kurpfälzer Marquard Freher fragte in seinem „Historischen Bericht von der Wetterau, Rinckau,
9
Westerwald ... und anderen an das Fürstenthumb Hessen angräntzenden Landen“, wo Dilich wohl seine neuartige „geographiam“ gelernt
habe.
Politisch-dynastische Interessen verfolgten auch die in den Folgejahrzehnten entstandenen Darstellungen, die 1647 in Darmstadt in
Auftrag gegebene „Gründliche und wahrhaftigen Beschreibung der
Fürstentümer Hessen und Hersfeld“ des Rats Johann Justus Winckelmann, die erst zu Ende des Jahrhunderts in Bremen gedruckt werden
konnte, wie die für die Grafen von Nassau, von Hanau und von Solms,
für die Ysenburger, die Erbacher und Waldecker erstellten Genealogien
und Chroniken: die schon 1617 verfasste Nassauische Chronik des
Johannes Textor, die „Gründliche Deduction des gräflichen Hauses
Ysenburg“ des Mag. Johann Fuchs (1647) u.a.m. Die umfängliche
„Franckfurter Chronick“ des Achill August von Lersner erschien 1706.
Ein neuer Ansatz ergab sich, als die enzyklopädische Gelehrsamkeit des 18. Jahrhunderts das archivische Schriftgut als Quellenreservoir zu nutzen begann. In Darmstadt wie in den nassauischen Residenzen Usingen und Idstein wurden die Archive nach „wissenschaftlichen“ Kriterien neu geordnet. Juristen, Historiker und Archivare publizierten aus Archiv-Recherchen erwachsene Traktate und Quellensammlungen zu landesgeschichtlichen Themen. Manches davon, die
„Analecta Hassiaca“ des Joh. Philipp Kuchenbecker (1728/42) und
Joh. Friedrich Conrad Retters „Hessische Nachrichten“ (1738/41), die
„Origines iuris publici Hassiaci“ des Marburger Juristen Johann
Georg Estor (1752), die Schriften seiner Kollegen Johann Adam und
Carl Philipp Kopp, vor allem aber der fünfbändige „Codex diplomaticus“ des Valentin Ferdinand von Gudenus für die Kurmainzer Überlieferung (1743/68) werden wie manche der mit Urkundentexten angereicherten juristischen „Deductionen“ der Zeit bis heute genutzt.
Als Geburtsstunde der Landesdenkmalpflege in Hessen gilt die
1777 verfügte Gründung der „Société des Antiquités“ in Kassel durch
Landgraf Friedrich II., eine der zeittypischen „gelehrten Gesellschaften“, die sich neben den für das neue „Museum Fridericianum“ wichtigen Relikten der ägyptischen, griechischen und römischen Antike
ausdrücklich auch um die „mittelalterlichen Altertümer“ kümmern
sollte. Drei Jahre später erging die Schutzverordnung für „Monumente und sonstige Altertümer“ der Landgrafschaft, mit der Johann
Wilhelm Casparson ein Gesamtinventar oder „raisonnierendes Verzeichnis der antiquarischen Örter in Hessen vom Mittelalter“ an er10
stellen wollte. „Inventar“ war auch die „Grundlage zu einer Hessischen Gelehrten- und Schriftsteller-Geschichte“ des Kasseler Bibliothekars Friedrich Wilhelm Strieder, ein breit angelegtes biographisches Lexikon, dessen erster Band 1781 im Druck erschien. Zwei Jahre
später folgte der erste Band der mit umfänglichen Urkunden-Anhängen versehenen „Hessischen Landesgeschichte“ seines Darmstädter
Kollegen Helfrich Bernhard Wenck. Die positive Resonanz auf die
relativ zahlreichen orts- und regionalhistorischen Beiträge im 1779
begründeten „Hanauischen Magazin“ bezeugt das Interesse des gebildeten Publikums.
In der Tradition der Kasseler „Société“ steht zunächst auch die 1812
von Hofkammerrat Christian Friedrich Habel in Wiesbaden beantragte Gründung einer „Altertums-Gesellschaft für das Herzogtum
Nassau und die angrenzenden Länder“, die neben dem römischen
Limes auch die „Denkmale der alten Teutschen am Rhein, Main und
Lahn“ erforschen und sichern sollte. In der Begründung, man wolle
sowohl „nassauisch“ wie „patriotisch“ sein, wolle neben der Altertumskunde, Geschichte und Geographie des 1806 neu begründeten
Rheinbund-Herzogtums Nassau auch den „vaterländischen Sinn“ für
den „deutschen Nationalruhm“ stärken, klingt der romantisch-nationale Ansatz der Freiheitskriege an. Er prägte die 1819, nach dem Scheitern der erhofften Nationaleinung auf dem Wiener Kongress, in
Frankfurt vollzogene Gründung der „Gesellschaft für ältere deutsche
Geschichtskunde“ des im Nassauischen beheimateten Freiherrn vom
Stein. Die im Sommer 1820 genehmigte endgültige Satzung der „Gesellschaft für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“ beschränkte das Wirken des Vereins auf das Gebiet des Herzogtums, wobei Vorrang offenbar die gefährdeten Denkmale der Römerzeit und des Mittelalters haben sollten, um deren Sicherung sich
der Verein in der Folge hochverdient gemacht hat.
Noch deutlicher wird die Ausrichtung der staatlich geförderten
Geschichtsvereine auf die historisch zu begründende Identität der in
den Umwälzungen der napoleonischen Zeit neu zusammengefügten
Einzelstaaten bei der Gründung des „Historischen Vereins für das
Großherzogtum Hessen“ in den Jahren 1832/34. Auch hier dachte der
Initiator, der mit dem Ehrentitel eines „Hofhistoriographen“ ausgezeichnete Christian Steiner, vorrangig an die Sicherung und Erschließung der „römischen und deutschen Altertümer“ nebst „Urkunden, bildlichen Darstellungen, plastischen Gegenständen“. Ver11
suche der hessischen Liberalen um Staatsrat Karl Jaup, Verleger
Leske und die Advokaten Heinrich Karl Hofmann, Philipp Bopp und
Karl Buchner, den Verein für ihre politischen Ideen nutzbar zu machen (es war die Zeit des „Hambacher Fests“, des „Wachensturms“,
des „Hessischen Landboten“) wurden mit dem „Ausschluss der Tagesgeschichte und aller Erörterungen über politische Gegenstände
der neuesten Zeit“ in der im September 1834 von Staatsminister du
Thil genehmigten Satzung abgewehrt. Zurückgewiesen wurde auch
die vom Kasseler Archivar Georg Landau aufgegriffene Anregung
des Darmstädter Gymnasialdirektors Carl Ludwig Dilthey, den Verein „auf beide Hessen ausgedehnt zu sehen“: Man wolle den vom
Großherzog „für sein Land“ genehmigten Verein nur für „unseren
Staat“, für „unser Hessen“, obwohl die endgültige Satzung aus der
eingeengten „Forschung im Gebiete der Geschichte des Großherzogtums Hessen“ dann doch die „Beförderung des Forschens im Gebiete
der hessischen Altertumskunde und Landesgeschichte“ gemacht hat.
So wurde denn Ende 1834 in Kassel ein eigener „Verein für hessische
Geschichte und Landeskunde“ gestiftet, der die zu betreibende „vaterländische Geschichte“ in einem etwas gewundenen Satzungsartikel vorrangig auf Kurhessen bezog. Die 1846 versuchte Installierung
der in Kassel herausgebenen „Periodischen Blätter“ als gemeinsames
Informationsorgan beider Vereine, dem sich zeitweilig auch die Vereine in Frankfurt, Mainz und Wiesbaden anschlossen, war nur von relativ kurzer Dauer.
Die in ihrer Struktur eindeutig „offiziösen“, in den ersten Jahren
durchgängig von höheren Staatsbeamten geleiteten Geschichtsvereine
konzentrierten sich trotz Diltheys Warnung, „dass ein ausschließlich
gelehrtes Forschen … in unserm der theoretischen Gelehrsamkeit abgeneigten Zeitalter wenig Teilnahme finden“ wird, anfangs vorrangig
auf die Koordinierung der landeskundlichen Forschungsarbeit im
Kreis der vorwiegend aus den geschichtsinteressierten „Honoratioren“, Beamten und Professoren, Pfarrern und Lehrern rekrutierten
Mitglieder. Der in den Jahresbänden der Vereinszeitschriften, der
„Nassauischen Annalen“, des Darmstädter „Archivs“ und der Kasseler „Zeitschrift“, publizierte Ertrag dieser Arbeit ist eindrucksvoll.
Von den Vereinen unterstützte oder angeregte Publikationen wie
Georg Landaus „hessische Ritterburgen“, Landaus und G.W.J. Wagners Inventare der „wüsten Ortschaften“, Scribas „Biographischliterärisches Lexicon“ für das Großherzogtum Hessen oder die Ur12
kundenbände des Darmstädter Archivars Ludwig Baur leisteten
wichtige Grundlagenforschung.
Die in Nassau im Zuge der 48er Revolution geforderte Umorientierung der Geschichtsvereine von der Forschung zur aktiven Förderung des Geschichtsinteresses durch öffentliche Vorträge und Exkursionen, wie sie heute zum Standardprogramm gehören, vollzog sich
in Wiesbaden seit Anfang der 1850er, in Darmstadt wohl erst zu Beginn der 60er Jahre. Auch die Namen der jetzt gewählten Vorsitzenden, in Darmstadt Karl Jaup, der Ministerpräsident der Jahre
1848/50, in Wiesbaden die nationalliberalen Sprecher Karl Braun
und Heinrich Hergenhahn, sind Anzeichen der Neuorientierung.
Dem neuen Ziel aktiver Mitarbeit entsprachen die Gründung eines
selbständigen „Oberhessischen Geschichtsvereins“ in Gießen (1878);
auch die Vereine in Bad Homburg und Worms sind damals entstanden.
Mit der für Kurhessen, Nassau und Frankfurt bereits 1866, für das
Großherzogtum dann endgültig 1871 vollzogenen Einbindung in das
neubegründete preußisch-deutsche Reich rückte der im Vormärz forcierte Einzelstaats-Patriotismus in den Hintergrund. An seine Stelle
trat eine vom zunehmenden nationalen Zentralismus des wilhelminischen Reiches, von der gleichzeitigen Anonymisierung der modernen
Industriegesellschaft bestärkte Rückbesinnung auf die engere Heimat-Identität, die zum Teil auf ältere historische Einheiten zurückgriff. Dazu gehörte eine ganze Welle neuer, kleinregionaler Geschichtsvereinsgründungen, in der Provinz Hessen-Nassau in selbständigen Vereinen für Fulda und Wetzlar und in weiterhin mit Kassel
und Wiesbaden verbundenen „Zweigvereinen“, im Großherzogtum
mit den Vereinen in Friedberg, Alsfeld, Alzey und Büdingen. Auch
populäre Darstellungen hessischer Geschichte, „für Jung und Alt“,
„für Schule und Haus“, hatten Konjunktur. Die Ausweitung vom
„klassischen“ Denkmalschutz zum „Heimatschutz“, der Zuspruch
der naturbegeisterten Wandervereine wie die Jugendbewegung des
„Wandervogel“, das neuerwachte Interesse an Volkskunst und regionaler Handwerkstradition gehören in den gleichen Zusammenhang.
1899, gleichzeitig mit der Gründung der „Künstlerkolonie“ in Darmstadt, erschien in Marburg die erste Lieferung von Ferdinand Justis
„Hessischem Trachtenbuch“. In den „Mitteilungen des Vereins für
Nassauische Altertumskunde“ plädierte Pfarrer Heinrich Schlosser
1908 für eine Stärkung der „Lokalgeschichtsforschung“, um der Zer13
störung der „bodenständigen Eigenart“ durch die drohende „Gleichmacherei“ der „Zentralisation“ entgegenzuwirken.
Das „Trachtenbuch“ war eine der ersten Publikationen der im Juli
1897 begründeten „Historischen Kommission für Hessen und Waldeck“, eine Ausgründung des Kasseler Geschichtsvereins, die wie die
wenige Monate zuvor vom Nassauischen Altertumsverein konstituierte Parallel- „Kommission für Nassau“, nun wieder als „Gelehrtengesellschaft“, die bis dato von den Vereinen betreuten wissenschaftliche Forschungs- und Publikationsarbeit im Bereich der Landesgeschichte übernehmen sollten. Wichtig war hier das auch personell
enge Zusammenwirken mit den unter preußischer Ägide neu organisierten und für die allgemeine Benutzung geöffneten Staatsarchiven
in Marburg und Wiesbaden, an der (für Wiesbaden) der Altertumsverein maßgeblichen Anteil hatte. Gegen den von der Marburger
Kommission mit der Einbeziehung der Gießener Historiker unternommenen Versuch, zumindest die „althessischen“ Gebiete zusammenzufassen, bestand man in Darmstadt auf der Schaffung einer eigenen „Historischen Kommission für das Großherzogtum Hessen“,
die 1908 ins Leben trat. Schon seit 1906 gab es auch in Frankfurt eine
„Historische Kommission“.
Im Gegensatz dazu waren die in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts neu begonnenen volks- und heimatkundlichen Zeitschriften,
die 1901 in Gießen anlaufenden „Hessischen Blätter für Volkskunde“,
die 1906 unter dem Protektorat des Darmstädter Jugendstil-Großherzogs Ernst Ludwig begründete „Hessen-Kunst/Jahrbuch für Kunst
und Denkmalpflege in Hessen und im Rhein-Main-Gebiet“ oder auch
die ab 1912 in Darmstadt redigierte „Hessische Chronik/Monatsschrift für Familien- und Ortsgeschichte in Hessen-Darmstadt und
Hessen-Nassau“ bewusst „gesamthessisch“ angelegt, wie man auch
die Feiern zum 400. Geburtstag Landgraf Philipps des Großmütigen
1904 zwischen Kassel, Darmstadt und Gießen koordiniert hatte. In
einer 1906 erschienenen „Hessischen Landes- und Volkskunde“ findet
sich (in Analogie zur alldeutschen Bewegung) der Begriff „Allhessenland“; zwei Jahre später publizierte Georg Greim eine gemeinsame
„Landeskunde des Großherzogtums Hessen, der Provinz HessenNassau und des Fürstentums Waldeck“.
Der hier bereits anklingende Neugliederungsansatz, den auch
Großherzog Ernst Ludwig in einer internen Aufzeichnung als Denkmodell notierte, wurde in den wenige Wochen nach der November14
Revolution 1918 von Kassel und Gießen aus propagierten „Großhessen“-Plänen aufgegriffen, in deren Diskussion auch Historiker und
Archivare einbezogen waren. Der Darmstädter Archivdirektor Reinhard Dieterich, Vorsitzender der neu formierten „Historischen Kommission für den Volksstaat Hessen“, vertrat ein alternatives „Rheinfranken“-Konzept, das in den 20er Jahren von den „Rhein-Mainischen“ Planungsansätzen in Frankfurt übernommen wurde. In
Darmstadt war man jedoch schon mit der 1922 unter Federführung
Dieterichs neu begründeten Populär-Zeitschrift „Volk und Scholle.
Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt“ zur gemeinsamen Tradition „des einen rheinfränkisch-hessischen Volksstamms“
zurückgekehrt.
Während die Volksstaats-Kommission in ihren Publikationen bewusst auf die liberalen Traditionen des 19. Jahrhunderts zurückgriff,
brachte die Verknüpfung der Geschichtsvereine mit der Heimatschutz-Bewegung, der verstärkte Zuspruch, den sie mit den von der
Niederlage, der „Schmach“ der französischen Rheinlandbesetzung,
neu belebten National-Ressentiments erfuhren (in Darmstadt zählte
man im Inflationsjahr 1923 bis dahin nie erreichte 1.500 Mitglieder),
zugleich eine ungute Distanzierung von der neuen Republik. Als der
„Historische Verein für Hessen“ im April 1933 im Darmstädter Saalbau sein 100-jähriges Bestehen feierte, betonte der nunmehrige NSStaatspräsident Ferdinand Werner „die Bedeutung der Geschichte als
Kraftspenderin zur Hingabe für das Vaterland“, und Dieterich antwortete mit einem Bekenntnis zu einer „Geschichte nicht um ihrer
selbst, sondern um des Volkes und des Staates willen“. Mit einem Vortrag über „Probleme der Judenforschung“ im Vereinsprogramm des
Kristallnacht-Jahres 1938 war dies offenbar mehr als eine Festtags-Parole. Dass es auch in den Publikationen der Kommissionen, etwa in
den 1939/40 neu begonnenen „Lebensbilder“-Bänden, Konzessionen
an die „völkische“ Ideologie des NS-Staats gab, kann kaum überraschen.
Die nach Kriegsausbruch zum Erliegen gekommene landeskundliche Arbeit wurde in den späten 1940er Jahren, trotz der zwischenzeitlich erfolgten Gründung „Großhessens“, des künftigen Bundeslandes
Hessen, in den alten Strukturen wieder aufgenommen. Zu den ab 1949
vom Land Hessen geforderten Kommissions-Unternehmungen, „die
für ganz Hessen besondere Bedeutung“ haben, gehörte das zwei Jahre
später begründete „Hessische Jahrbuch für Landesgeschichte“, des15
sen Redaktion 1963 vom nunmehrigen Marburger „Landesamt für geschichtliche Landeskunde“ übernommen wurde. Über Forschungsprojekte und Veröffentlichungen der Kommissionen wie über das
Wirken der ebenfalls neu belebten Geschichtsvereine in den Nachkriegsjahrzehnten wird in gesonderten Beiträgen berichtet.
Während etwa im südlichen Nachbarland schon 1954, wenige Jahre
nach der endgültigen Konstituierung, von Staats wegen eine „Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg“ geschaffen wurde, ist der 1971/72 ausgiebig erörterte Zusammenschluss
der überkommenen Territorialkommissionen in Hessen damals nicht
zustande gekommen. Dass auch in den Einzelkommissionen eine
ganze Reihe „gesamthessischer“ Projekte verwirklicht werden konnten, ist der guten Zusammenarbeit in der „Arbeitsgemeinschaft der
historischen Kommissionen“ zu danken. Die 1965/68 von der Wiesbadener Kommission publizierte Bibliographie Karl E. Demandts
(„Schrifttum zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde von
Hessen“) wurde von der Marburger Kommission fortgeführt, bis sie
1977 vom Verlag K.G. Saur in München übernommen wurde. Der 1986
in Marburg vorgelegte Band „Das Werden Hessens“ war Ausgangspunkt für die Planung eines mehrbändigen „Handbuchs der hessischen Geschichte“. In Darmstadt ist 1987 der „Hessische Flurnamenatlas“ erschienen, eine Kooperation mit dem Marburger Landesamt,
das kurz zuvor das Großprojekt des „Geschichtlichen Atlas von Hessen“ abgeschlossen hatte.
Förderung und Affirmation der seit 1945 gewachsenen neuen Landesidentität, eines gesamthessischen „Staatsbewusstseines“, war und
ist Ziel der 1961 von Ministerpräsident Georg August Zinn ins Leben
gerufenen „Hessentage“, die seitdem alljährlich in wechselnden Städten des Landes stattfinden. Zur „Leistungsschau“ der Wirtschaft und
den folkloristischen Umzügen mit Trachten- und Volksmusikgruppen
aus allen Landesteilen traten seit 1972 die jährlichen „HessentagsAusstellungen“ der drei hessischen Staatsarchive, die mit Dokumentationen zum Thema „Revolution und demokratischer Widerstand in
der hessischen Geschichte“ begannen. Dass diese Ausstellungen
anschließend durch zahlreiche hessische Städte „wanderten“, gab der
Landesgeschichte eine neue Aktualität und Breitenwirkung. „Erforschung und Vermittlung“ des landeskundlichen Quellenguts gehört
seit dem „Hessischen Archivgesetz“ vom 18. Okt. 1989 zum Auftrag
der Staatsarchive „als Häuser der Geschichte“. Sie arbeiten hier zu16
sammen mit dem Hessischen Rundfunk, der 1991 Mitherausgeber der
von Archivaren und Landeshistorikern verfassten „Chronik Hessens“
des Harenberg-Verlages war, aber auch mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung. „Einheit aus der Vielfalt“ ist Thema
von Schriften- und Vortragsreihen der HLZ, in denen der Beitrag der
einzelnen historischen Landesteile „für das heutige Hessen“ herausgearbeitet wird.
Die Entstehung des heutigen Landes Hessen und seiner Verfassung
ist eines der Themen des vom Hessischen Landtag 1979 im Zusammenwirken mit Historischen Kommissionen und Staatsarchiven gestarteten Forschungsvorhabens „Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ (ursprünglich „Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen“). Die Ergebnisse der von
der Landesregierung in Auftrag gegebenen Forschungen über „Quellen zu Widerstand und Verfolgung unter der NS-Diktatur“ und zur
„Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen nach 1945“
erscheinen in den Veröffentlichungen der Historischen Kommission
für Nassau.
Fragen zur neueren Geschichte, zu Voraussetzungen und Auswirkungen der NS-Zeit im regionalen Bereich, zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung und zum Neuanfang nach 1945 prägen auch das
neu belebte Interesse an der Landesgeschichte im Schulunterricht,
dem die vom Hessischen Kultusministerium 1986 verfügte Bestellung
von „Archivpädagogen“ Rechnung trug. Sie stellen sich zunehmend
auch in der orts- und heimatgeschichtlichen Forschung, die sie lange
Zeit ausgeklammert hatte. Zum Teil erwuchs dies aus der Aktivität sogenannter „Geschichtswerkstätten“ im Gefolge der 68er Bewegung,
ist aber zugleich Teil einer neuen Renaissance des Interesses am geschichtlichen Umfeld vor Ort, das man wohl (so wie einst die „Heimat“-Bewegung um 1900) in Bezug zur neuen Verunsicherung setzen
mag, zu der die erheblichen Bevölkerungsverschiebungen durch
Flüchtlinge und Zuwanderer, die Auflösung der alten Gemeindebindungen im Zuge der Gebietsreform ebenso beigetragen haben wie die
aktuelle Internationalisierung und „Globalisierung“. Eine Vielzahl
neuer Geschichts- und Heimatvereine entstand gerade auch in kleineren Orten mit hohem Anteil nicht „einheimischer“ Bevölkerung wie
den Satellitenstädten des Großraums Frankfurt. Neu begründete oder
neu ausgebaute Heimat- und Regionalmuseen bildeten Anziehungsund Kristallisationspunkte. Das neue Bemühen um Identität ver17
knüpft die Verwurzelung im örtlichen Umfeld, in der Region, mit der
Einbindung in den größeren europäischen Zusammenhang. Landesund Ortsgeschichte können auch hierzu ihren Beitrag leisten.
Literaturhinweise
Karl E. DEMANDT: Fragen der Landesgeschichtsschreibung (mit besonderer
Berücksichtigung Hessens). In: Hess. Jahrbuch für Landesgesch. 12, 1962,
S. 3-14.
Eckhart G. FRANZ: Der Weg nach Großhessen. Staatsbildung und Landesbewusstsein im Hessischen 1803-1946. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 132, 1996 , S. 71-90.
DERS., Identität in der Region. Zum 100jährigen Jubiläum des Friedberger
Geschichtsvereins. In: Wetterauer Geschichtsblätter 47/48, 2000 (in Vorbereitung).
Walter HEINEMEYER: Die Historische Kommission für Hessen 1897-1997.
Geschichtlicher Überblick, wissenschaftliche Unternehmungen. In: Hundert Jahre Hist. Kommission für Hessen, 1997, S. 1215ff.
Ulrich REULING, Althessen – Neuhessen – Großhessen. Der Hessen-Begriff
im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert. In: Fünfzig Jahre Land Hessen (Schriften der Hess. Akademie der
Forschung und Planung im ländlichen Raum 13, 1995, S. 13-41.
Reimer STOBBE: Stand, Probleme und Aufgaben der Landesgeschichtsforschung in Hessen unter besonderer Berücksichtigung der spätmittelalterlichen Territorial- und Stadtgeschichte. In: W. BUCHHOLZ (Hg.):
Landesgeschichte in Deutschland, 199 , S. 365-381.
Landesgeschichte in Hessen. Dokumentation zum Achten Hessischen Kulturforum der Karl-Hermann-Flach-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Theodor-Heuss-Akademie am 13. Juni 1992 in Marburg. Gummersbach/Wiesbaden 1992.
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Politische Bildung und geschichtliche
Orientierung
Dr. Bernd Heidenreich,
Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Wiesbaden
Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung (HLZ)
– unser Profil
Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung ist seit über vier
Jahrzehnten ein fester Bestandteil der politischen Kultur unseres Bundeslandes. Als Einrichtung des Landes Hessen ist sie unmittelbar dem
Hessischen Ministerpräsidenten zugeordnet. Die Landeszentrale
führt als einzige hessische Einrichtung politische Bildungsarbeit im
öffentlichen Auftrag durch. Ein Landtagsgremium aus neun Abgeordneten gewährleistet ihre unparteiische Arbeit.
Die Hessische Landeszentrale wurde 1954 mit der Aufgabe geschaffen, die Entwicklung des freiheitlich-demokratischen Bewusstseins
durch politische Bildungsarbeit zu fördern. Diese Aufgabe ist vor dem
Hintergrund einer wachsenden Politikverdrossenheit mit sinkender
Wahlbeteiligung, den Herausforderungen des politischen Extremismus, der europäischen Integration und den Umbrüchen in Osteuropa,
der noch unvollendeten inneren Einheit Deutschlands und dem anstehenden Umbau unserer sozialen Systeme aktueller denn je.
Die zahlreichen Arbeitsfelder der Hessischen Landeszentrale können mit den Stichworten Landeskunde, Geschichte, Kultur, Europa,
Demokratieentwicklung, Bildungswesen, Ökologie, Jugend, Parlamente, Bundeswehr, Frauen, Jugendarbeit, Migration, Gedenkstättenarbeit und Extremismus allerdings nur unvollständig beschrieben
werden. Im Kern geht es darum, durch Bildungsarbeit auf verschiedenen Politikfeldern einen Beitrag zur Stabilisierung und Festigung
unserer Demokratie in Hessen zu leisten und sich dabei gleichermaßen an den aktuellen politischen Problemlagen wie an den Lerninteressen der relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu orientieren.
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Die Landeszentrale für politische Bildung verfolgt dazu eine Vielzahl
methodischer Ansätze und macht ein umfangreiches und differenziertes Leistungsangebot: Sie bietet ein breites Spektrum von Publikationen
zu zentralen Themen der Politik. Sie führt Seminare, Fachtagungen und
Vortragsreihen zu aktuellen politischen und historischen Fragen durch.
Sie unterstützt pädagogische Maßnahmen anderer hessischer Bildungsträger. Sie fördert Fahrten zu den Gedenkstätten für die Opfer des
Nationalsozialismus und klärt über politischen Extremismus von rechts
und links auf. Sie verleiht aus ihrer Bibliothek Publikationsmaterial,
berät zu allen Themenbereichen politischer Bildungsarbeit und führt
schließlich gemeinsam mit dem Hessischen Landtag einen Schülerwettbewerb Osteuropa durch, der hessische Schülerinnen und Schüler
ermutigen soll, sich mit Geschichte, Wirtschaft und Kultur der osteuropäischen Völker intensiver zu beschäftigen.
Landeskunde und Landesgeschichte
– Beiträge zur Identität des Bundeslandes Hessen
In den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zur Landeskunde stellt die Hessische Landeszentrale für politische Bildung Ursprung, Geschichte
und Aufbau des Landes Hessen sowie die Institutionen der hessischen
Demokratie. Ziel ist es, bei Bürgerinnen und Bürgern ein vertiefendes
Verständnis für die politische Kultur und die historisch kulturellen
Wurzeln unseres Bundeslandes zu wecken, um wachsenden Identitätsverlusten und politischer Desorientierung entgegenzuwirken.
Landeskunde vermittelt im Rahmen der politischen Bildung
grundlegende Informationen über unser Bundesland (Staatssymbolik, Geographie, Bevölkerungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsstruktur etc.). Sie bringt die politische Kultur des Bundeslandes zur Anschauung und stellt dabei vor allem die Verfassung als normativen
Rahmen, als institutionelles und wertmäßiges Fundament des politischen Lebens in den Mittelpunkt. Sie will ferner die Kenntnisse über
die demokratischen Institutionen (z.B. Landtag, Landesregierung,
Landesverwaltung, Gerichte) vermehren. Denn das Wissen über die
Wurzeln und den Aufbau der Institutionen, auf denen unser Staat beruht, und die Kenntnis der Funktionsweisen von Legislative, Exekutive und Judikative stärken staatspolitisches Bewusstsein und geben
Einblick in die Mechanismen einer föderalen Demokratie.
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Landeskunde muss jedoch vor allem die historischen Ursprünge
des Bundeslandes darstellen und ist deshalb ein wichtiger Bestandteil
der Regionalgeschichte. Gerade in diesem Bereich der historischen
Landeskunde hat die Hessische Landeszentrale für politische Bildung
besondere Schwerpunkte gesetzt:
An erster Stelle steht dabei der Versuch, Landesidentität durch die
Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Entwicklung des Bundeslandes zu fördern. Das ist gerade im Falle Hessens nicht einfach –
speist sich doch gesamthessisches Geschichtsbewusstsein aus der Historie der einzelnen Territorien, aus denen sich unser heutiges Bundesland konstituiert. Denn Hessen ist ohne direkten Vorgängerstaat und
kann – anders als Bayern – nicht an ein geschlossenes Territorium anknüpfen. Was noch im 19. Jahrhundert in das Kurfürstentum Hessen
(Kassel), das Großherzogtum Hessen (Darmstadt), die Landgrafschaft
Hessen-Homburg, das Herzogtum Nassau, die Freie Reichsstadt
Frankfurt am Main, das Fürstentum Waldeck, preußische und bayerische Gebietsteile zerfiel, wuchs erst nach 1945 zu einem Staatsgebilde
zusammen, in dem die Bedingungen seiner Entstehung – etwa in den
Brüchen zwischen Nord- und Südhessen – bis heute fortwirken. Wie
sich aus dieser Vielfalt das Bundesland Hessen zu einer Einheit entwickelte und seinen Weg in die Bundesrepublik Deutschland fand, ist
aus Sicht der politischen Bildung eines der Hauptthemen der historischen Landeskunde. Hinzu kommen die Territorialgeschichte der einzelnen Vorgängerstaaten und die politische Kultur der verschiedenen
Regionen des heutigen Hessen, in denen lokales Geschichtsbewusstsein und Heimatgefühl gepflegt werden.
Ein zweiter Schwerpunkt liegt auf den demokratischen, liberalen
und sozialen Traditionen, die sich im Gebiet des heutigen Hessen entwickelt haben. Das gilt etwa für die Rechts- und Verfassungsentwicklung in Hessen, die unser Bundesland als Vorreiter des deutschen
Konstitutionalismus ausweist und das staatliche Leben in Deutschland ebenso wie die Entwicklung eines demokratischen Rechtsstaates
maßgeblich beeinflusst hat. Das gilt ebenso für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Hessen. Das gilt
schließlich für die Pflege des Freiheitsgedankens als Teil unserer politischen Kultur und die Erinnerung an die verpassten Chancen unserer
nationalen Vergangenheit, für die die Revolution von 1848/49 beispielhaft genannt sei.
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Ein dritter Themenschwerpunkt historischer Landeskunde wird zunehmend die Kultur-, Geistes- und Ideengeschichte unserer Region,
die stärker noch als die äußeren Ereignisse die Mentalitäten und Denkweisen der Menschen geprägt haben. Die Landeszentrale für politische
Bildung hat dabei vor allem mit einem biographischen Ansatz positive
Erfahrungen gemacht. Anhand exemplarisch ausgewählter hessischer
Lebensläufe und Persönlichkeiten will sie in Seminaren, Vortragsreihen und Publikationen neue Perspektiven der Landeskunde eröffnen.
Politische Bildung orientiert sich dabei am Auftrag des Artikels 56 der
Hessischen Verfassung, bei der Darstellung der Geschichte „die großen
Wohltäter der Menschheit, die Entwicklung von Staat, Wirtschaft,
Zivilisation und Kultur“ in den Vordergrund zu stellen.
Geschichtliche Orientierung als Aufgabe politischer Bildung
Der Bildungsauftrag der Hessischen Landeszentrale weist jedoch über
die engere Landesgeschichte hinaus. Denn politisches Urteilen setzt
das Fundament eines umfassenden historischen Grundwissens voraus.
Daher gehört die Vermittlung historischer Kenntnisse und geschichtlicher Orientierung zu den Kernaufgaben der politischen Bildung.
Nach dem Ende des Ost-Westkonfliktes und der Herstellung der
Deutschen Einheit muss Deutschland seine neue Rolle als gleichberechtigtes Glied der Völkerfamilie finden und eine stärkere internationale Verantwortung übernehmen. Das Bedürfnis nach einer historischen Standortbestimmung ist in diesem Prozess vor allem in der Außenpolitik größer denn je. Die Landeszentrale versucht im Rahmen
ihrer Bildungsmaßnahmen dieser Nachfrage mit Tagungen und Publikationen zur Geschichte der internationalen Beziehungen und der
Völker Europas bzw. Osteuropas Rechnung zu tragen.
Die Epochen und Schlüsselthemen der mittleren, neueren und neuesten Geschichte der Deutschen bleiben jedoch im Zentrum ihrer Arbeit. Wie wichtig eine intensive politische Bildungsarbeit gerade auf
diesem Feld ist, ergibt sich schon daraus, dass politische Kontroversen
immer stärker als Geschichtsdebatten geführt, historische Kontroversen immer heftiger politisiert werden. Ob es um die Formen nationalen Gedenkens, Erinnerns und Trauerns, die Einrichtung von Mahnund Gedenkstätten für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, die
Interpretation von Jahrestagungen und Jubiläen, die Bewertung histo22
rischer Persönlichkeiten und gesellschaftlicher Gruppen oder auch
nur um das Urteil über einzelne Ausstellungen, Filme oder Buchpublikationen geht – die Konfrontation mit der Geschichte hat zu einer
Dauerkontroverse im vereinten Deutschland geführt, in deren Mittelpunkt die Selbstfindung sowie das moralische und politische Selbstverständis der Deutschen stehen. Diese Kontroverse bedarf einer um
Objektivität bemühten Moderation, einer fachwissenschaftlichen Begleitung durch ausgewiesene Historiker und einer sorgfältigen Dokumentation, zu denen die Hessische Landeszentrale für politische Bildung im Rahmen ihrer Aktivitäten beiträgt.
Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte
– wichtige Voraussetzung für die Entwicklung freiheitlich-demokratischen Bewusstseins
Die Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte und die Aufklärung
über Diktatur und totalitäre Herrschaft sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung freiheitlich-demokratischen Bewusstseins
und zählen zu den zentralen Aufgaben politischer Bildung. Sie waren
daher schon vor mehr als 40 Jahren ein entscheidendes Motiv für die
Gründung der Hessischen Landeszentrale, als es nach dem Untergang
der Weimarer Republik und der Überwindung des Nationalsozialismus galt, dem Gedanken der freiheitlichen Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen. Die Hessische Landeszentrale für politische Bildung ist daher traditionell auf dem Feld der Zeitgeschichte stark engagiert.
Seit 1993 ist die Arbeit des Landes Hessen für die „Gedenkstätten
für die Opfer des Nationalsozialismus“ bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung zentralisiert und wird von hier aus koordiniert. Die Landeszentrale konnte dabei an die Erfahrungen anknüpfen, die sie bereits in den 80er Jahren bei der Förderung hessischer Gedenkstätten und Gedenkstättenfahrten gemacht hatte. Das
Engagement der Hessischen Landeszentrale umfasst derzeit die Förderung hessischer Gedenkstätten (u.a. Breitenau und Hadamar), die
Durchführung gemeinsamer Bildungsmaßnahmen mit diesen Einrichtungen sowie die Förderung und Unterstützung von Gedenkstättenbesuchen und entsprechenden Projekten hessischer Schul-, Jugend- und Erwachsenengruppen. Über die Gedenkstättenarbeit hin23
aus stehen die Aufklärung über den Nationalsozialismus und seine
Verbrechen im Mittelpunkt zahlreicher wissenschaftlicher Fachtagungen, Seminare, öffentlicher Vorträge und Zeitzeugengespräche der
HLZ. Dabei geht es sowohl um die Vermittlung von Grundlagenwissen und neuesten Forschungsergebnissen zum Nationalsozialismus
und zur NS-Diktatur als auch um eine stärkere Beachtung der Lokalund Regionalforschung zu diesem Themenkomplex unter Aspekten
der Landesgeschichte.
Informationen über die kommunistischen Diktaturen Osteuropas
und die Aufarbeitung des SED-Unrechtstaates sind fester Bestandteil
der pädagogischen und publizistischen Arbeit der Hessischen Landeszentrale. Dazu zählen u. a. die historische Analyse der DDR und
der kommunistischen Regime, der Weg zur Wiedervereinigung
Deutschlands sowie der Dialog mit der Bürgerrechtsbewegung und
den Opfern der SED-Diktatur. Darüber hinaus hat die Landeszentrale
die Zuständigkeit für die Grenzmuseen Point Alpha und Schifflersgrund übernommen, die an die ehemalige innerdeutsche Grenze und
an die deutsche Teilung erinnern. Mit diesen Aktivitäten leistet die
Hessische Landeszentrale einen wichtigen Beitrag zur Vollendung der
inneren Einheit Deutschlands und pflegt die hessisch-thüringischen
Beziehungen in Geschichte und Gegenwart.
Mit ihren Angeboten zur Zeitgeschichte will die Hessische Landeszentrale für politische Bildung vor allem bei Jugendlichen Geschichtsbewusstsein stärken und zu einer intensiveren Auseinandersetzung
mit Diktaturen und Unrechtssystemen anregen. Sie beugt damit
Rechts- und Linksextremismus vor und trägt zur Festigung demokratischer Einstellungen im Sinne ihres Satzungsauftrages maßgeblich
bei.
Literaturhinweise
Bernd HEIDENREICH; Konrad SCHACHT (Hrsg.). Hessen. Eine politische
Landeskunde. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 1993
Bernd HEIDENREICH; Konrad SCHACHT (Hrsg.). Hessen. Gesellschaft und
Politik. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 1995
Bernd HEIDENREICH; Konrad SCHACHT (Hrsg.). Hessen. Wahlen und Politik. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 1995
Bernd HEIDENREICH; Klaus BÖHME (Hrsg.). Hessen. Verfassung und Politik. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 1997
24
Bernd HEIDENREICH; Klaus BÖHME (Hrsg.). Hessen. Geschichte und Politik. Stuttgart; Berlin; Köln: Kohlhammer Verlag, 2000
Bernd HEIDENREICH (Hrsg.). Kleine Schriften zur Hessischen Landeskunde
Nr. 1-7. Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung,
1993 ff.
Bernd HEIDENREICH (Hrsg.). Hessen einst und jetzt. Informationen zur
Hessischen Landeskunde (Faltblätter) Nr. 1-5. Eigenpublikation der HLZ
Hessische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). Hessen: Einheit aus
der Vielfalt
1. Roman FISCHER. Frankfurts Beitrag für das heutige Hessen. Wiesbaden, 1990
2. Michael HOLLMANN; Michael WETTENGEL. Nassaus Beitrag für das
heutige Hessen. Wiesbaden, 1992
3. Thomas LANGE. Hessen-Darmstadts Beitrag für das heutige Hessen.
Wiesbaden, 1993
4. Gerhard MENK. Waldecks Beitrag für das heutige Hessen. Wiesbaden,
1995
5. Karl Hermann WEGNER. Kurhessens Beitrag für das heutige Hessen,
Wiesbaden, 2000
Klaus BÖHME; Walter MÜHLHAUSEN (Hrsg.). Hessische Streiflichter.
Frankfurt/Main: Eichborn Verlag, 1995
Klaus BÖHME; Bernd HEIDENREICH (Hrsg.). „Einigkeit und Recht und
Freiheit.“ Die Revolution von 1848/49 im Bundesland Hessen. Opladen,
Wiesbaden: WestdeutscherVerlag, 1999
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Öffentliche Archive in Hessen
Dr. Klaus Eiler, Hessisches Hauptstaatsarchiv, Wiesbaden
Die Erforschung der Geschichte eines Ortes, einer Region oder eines
Landes wird immer mit der Suche nach den schriftlichen Quellen beginnen. Die in hessischen Archiven aufbewahrten Dokumente reichen
bis ins 8. Jahrhundert zurück. Sie zeugen vom Beginn der Schriftlichkeit und der christlichen Kultur, als Hessen in seiner heutigen Form
noch nicht existierte. So berühmte Reichsabteien wie Fulda und
Lorsch, aber auch andere Klöster und Stifte waren nicht nur Zentren
der Spiritualität, der Seelsorge, der Kunst und Kultur, sie bewirtschafteten auch das Land und machten große Gebiete des heutigen Landes
Hessen urbar. Dazu baute man eine Verwaltung auf, die sich der
Schriftlichkeit bediente. Man ließ sich Besitzrechte verbriefen, stellte
selbst Urkunden aus und führte über Einnahmen und Ausgaben
Buch. Auch die Verwaltungen der Städte und Territorien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit folgten diesem Beispiel. Viele Dokumente, die aus dem Verwaltungshandeln entstanden, mussten zum
Zwecke der Rechtssicherung langfristig aufbewahrt werden. Daher
deponierte man sie in verschlossenen Behältnissen und an gesicherten
Orten, den Archiven. Damit fungierten die Archive als Langzeitgedächtnis der Verwaltung. Kein Unbefugter erhielt Zutritt, damit keine
Rechtstitel des Landesherrn verletzt oder vernichtet wurden und
keine Staatsgeheimnisse ans Licht der Öffentlichkeit gelangten.
Wurden im Zuge der Reformation Klöster aufgelöst oder verschwanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts infolge der Säkularisierung und Mediatisierung ganze Terriorialstaaten von der Landkarte,
so gingen mit dem Besitz zumeist auch die Archive auf die Rechtsnachfolger über. Im Bereich des heutigen Landes Hessen blieben nach
dem Wiener Kongress von 1815 nur noch wenige Staaten übrig: das
Kurfürstentum und das Großherzogtum Hessen, das Landgraftum
Hessen(-Homburg), das Herzogtum Nassau und das Fürstentum
Waldeck sowie die Freie Stadt Frankfurt. Nach dem Krieg von 1866
und der Annexion von Kurhessen, Nassau und Frankfurt durch
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Preußen wurden die noch bestehenden Territorialarchive zentralisiert.
In der Universitätsstadt Marburg bezog das preußische Provinzialarchiv im alten Landgrafenschloss seine neue Bleibe. Dort vereinigte
man die Bestände der alten Landgrafschaft Hessen-Kassel, des Kurfürstentums Hessen, des alten Fuldaer und des Hanauer, später auch
des Waldecker Archivs. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erhielt das Staatsarchiv Marburg einen Neubau am Friedrichsplatz. In Wiesbaden, der vormaligen Hauptstadt des Herzogtums
Nassau und nunmehrigen preußischen Bezirkshauptstadt, errichtete
man 1880/81 ein Archivgebäude, das die Bestände der nassauischen
Grafschaften und Fürstentümer aus den Archiven in Dillenburg, Idstein und Weilburg, des Herzogtums Nassau und des Behördenarchivs des Landgraftums Hessen-Homburg aufnahm. Im Darmstädter
Schloss behielt das Großherzogliche Hof- und Staatsarchiv seinen Sitz
und übernahm die Bestände der provisorischen Außenstelle im rheinhessischen Mainz. Im Zweiten Weltkrieg erlitten alle drei Staatsarchive durch Bombenangriffe und infolge der Auslagerungen zum Teil
erhebliche Verluste an ihren Beständen; am schwersten war das Darmstädter Archiv getroffen, dessen Räume im Residenzschloss fast völlig
zerstört wurden. Nach der Gründung des Landes Hessen wurden die
ehemals preußischen Staatsarchive in Marburg und Wiesbaden und
das Staatsarchiv des vormaligen Volksstaates Hessen als hessische
Staatsarchive dem Kultusministerium unterstellt. Seit 1984 gehören
die hessischen Staatsarchive zum Geschäftsbereich des damals neu
gebildeten Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.
Schon 1985 wurde für das Hauptstaatsarchiv ein neuer Zweckbau am
Mosbacher Berg in Wiesbaden errichtet. 1993 konnte das Staatsarchiv
Darmstadt aus dem wiederaufgebauten Schloss in das im ehemaligen
Hoftheater (Mollerbau) neu errichtete Haus der Geschichte einziehen.
Auch der Bund ist in Hessen mit einer Außenstelle des Bundesarchivs in Frankfurt vertreten. Sie beherbergt den sogenannten unteilbaren Bestand des alten Reichskammergerichts mit Urkunden- und
Protokollbüchern und Prozessakten aus dem 16. bis frühen 19. Jahrhundert. Weitere etwa 650 Meter Akten betreffen die Geschichte der
Deutschen Nationalversammlung und des ersten deutschen Parlaments von 1848 in der Frankfurter Paulskirche. Hinzu kommen wertvolle Nachlässe, das Familienarchiv von Gagern und das Archiv der
Deutschen Burschenschaft.
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Die regionale Zuständigkeit der hessischen Staatsarchive ist noch
an der historisch gewachsenen Sprengeleinteilung ausgerichtet. Das
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden hat eine Doppelfunktion: Es ist zuständig für die Ministerien und oberen Landesbehörden des Landes Hessen. Aus diesem Grunde erhielt es 1963 die Bezeichnung „Hessisches
Hauptstaatsarchiv“. Darüber hinaus betreut es als Regionalarchiv die
Behörden und Gerichte in der Landeshauptstadt Wiesbaden und in
der Stadt Frankfurt, im Lahn-Dill-Kreis, im Kreis Limburg-Weilburg,
im Kreis Wetzlar, im Hochtaunuskreis, im Main-Taunus-Kreis, im
Main-Kinzig-Kreis und im Rheingau-Taunus-Kreis. Das Staatsarchiv
Darmstadt ist zuständig für die Dienststellen des Landes in den Städten Darmstadt und Offenbach, in den Kreisen Bergstraße, DarmstadtDieburg, Groß-Gerau, Gießen und Offenbach, im Odenwaldkreis, im
Vogelsbergkreis und im Wetteraukreis, das Staatsarchiv Marburg entsprechend für die Landesbehörden in der Stadt Kassel und in den
Kreisen Fulda, Hersfeld-Rotenburg, Kassel, Marburg-Biedenkopf,
Waldeck-Frankenberg, im Schwalm-Eder-Kreis und im Werra-Meißner-Kreis.
Mit ihren historisch gewachsenen Altbeständen der im Bereich des
heutigen Landes Hessen gelegenen alten Fürstentümer, Grafschaften,
reichsritterschaftlichen Gebiete, Klöster, Stifte und Städte und mit der
Schriftgutüberlieferung der modernen Verwaltung dokumentieren
die Staatsarchive die ganze Palette der Verwaltungstradition Hessens
seit 1000 Jahren. Diesen Schatz geschichtlicher Überlieferung zu bewahren und zugänglich zu machen, gehört von jeher zu den wichtigsten archivischen Aufgaben. Aber erst die Demokratisierung der Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine stärkere Öffnung der
Archive für ein breites Publikum erreicht. Im Unterschied zum Bund
und zu den anderen Bundesländern hat in Hessen der Gesetzgeber die
Konsequenzen gezogen und den Staatsarchiven im Hessischen Archivgesetz vom 18. Oktober 1989 neben den traditionellen Fachaufgaben auch die Funktion von „Häusern der Geschichte“ zugewiesen.
Zu den traditionellen Aufgaben zählen die Übernahme von Schriftgut, Plänen, Karten, Bildern und anderen Unterlagen der Behörden
und Gerichte des Landes sowie die Sicherung, Aufbewahrung und Erschließung von Archivgut. Dies verlangt von den fachlich ausgebildeten Archivarinnen und Archivaren umfassende Kenntnisse der Zeitgeschichte und der Funktionen und des Aufbaus der staatlichen Verwaltung, aber auch der Restaurierung und der Konservierungstechni28
ken für Papier, Pergament und andere Informationsträger. In der
Regel wird das alljährlich bei den Behörden und Gerichten des Landes
auszusondernde Schriftgut auf seine „Archivwürdigkeit“ geprüft und
nur in Auswahl als „Archivgut“ übernommen. Manche der Rechtssicherung dienenden Aktengruppen sind jedoch dauernd aufzubewahren. Mit der Übernahme des Schriftguts in die Magazine ist es aber
nicht getan. Das Archivgut muss gegen Entwendung und Zerstörung
geschützt werden. Schadhafte Papiere, Karten, Pläne und Fotos müssen aufwendig restauriert, konserviert und ggf. auf andere Trägermedien kopiert werden, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Dem Archivar kommt daher eine hohe Verantwortung bei der Bildung und
Erhaltung der geschichtlichen Überlieferung zu.
Für die landesgeschichtliche Forschung von größter Bedeutung ist
jedoch, dass das Archivgut möglichst rasch erschlossen wird. Dazu
müssen Findmittel erstellt werden, die den Forschern bei ihrer Suche
nach Informationen helfen. Am geläufigsten sind die schon aus der älteren Archivgeschichte bekannten Findbücher oder „Repertorien“. In
ihnen werden die einzelnen Archivalien nach ihrem Sachbetreff „klassifiziert“, nach Inhalt und Laufzeit beschrieben und mit einer laufenden Nummer versehen, die das Wiederauffinden ermöglicht. Neuere
Bestände werden auch in Karteien oder maschinell lesbar in Datenbanken erfasst. Das Dokumentationssystem HADIS ermöglicht es, die
dort abgelegten Daten aller drei hessischen Staatsarchive in einer zentralen Datenbank abzurufen.
Mit der Funktion der Staatsarchive als „Häuser der Geschichte“ ist
die Öffentlichkeitsarbeit angesprochen. Von den Archivaren gingen
schon seit der frühen Neuzeit entscheidende Impulse für die Landesgeschichte aus. War die Geschichtsschreibung anfangs noch eng mit
der jeweils herrschenden Dynastie verbunden, so vollzog sich seit
dem späten 19. Jahrhundert ein deutlicher Wandel, als die Landesgeschichte als eigenständige wissenschaftliche Disziplin an den Universitäten Einzug hielt. Die als Fachhistoriker ausgebildeten Archivare an
den Staatsarchiven setzten sich, oft gemeinsam mit Universitätsprofessoren, dafür ein, die Landesgeschichte in den hessischen Territorien
wissenschaftlich zu erforschen, und wirkten maßgeblich bei der
Gründung der Historischen Kommissionen mit. Noch heute sind
zahlreiche Bedienstete der hessischen Archive aktive Mitglieder der
Historischen Kommission für Hessen in Marburg, der Hessischen Historischen Kommission in Darmstadt, der Historischen Kommission
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für Nassau in Wiesbaden, der Frankfurter Historischen Kommission
und der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen. Wichtige Publikationen wurden und werden von Archivaren der Staatsarchive herausgegeben oder betreut. Außerdem wirken Archivarinnen
und Archivare bei den historischen Vereinen durch Vorträge, Exkursionen, Lesekurse und andere Aktivitäten ehrenamtlich mit.
In der Nachkriegszeit haben die Staatsarchive mit Unterstützung
der hessischen Landesregierung oder des Hessischen Landtags Dokumentationsprojekte durchgeführt, deren Ergebnisse der Forschung
zur Verfügung stehen. Dazu gehört namentlich die Datenbank „Widerstand und Verfolgung in Hessen“, die ca. 45.000 Datensätze über
während der NS-Herrschaft aus rassischen, religiösen oder politischen Gründen verfolgten Personen aus dem Bereich des heutigen
Landes Hessen enthält. Andere Projekte wie die „Quellen und Dokumente zur Geschichte der Vertriebenen und Flüchtlinge in Hessen“,
„Quellen zu Widerstand und Verfolgung in Hessen in der NS-Zeit“
oder verschiedene Publikationen zur „Vorgeschichte und Geschichte
des Parlamentarismus in Hessen“ entstanden in enger Zusammenarbeit mit den Historischen Kommissionen.
Doch die Außenwirkung der Staatsarchive ist damit noch keineswegs erschöpft. Seit den 70er Jahren präsentieren sie sich durch Ausstellungen auf den jährlichen „Hessentagen“ der Öffentlichkeit. Diese
Ausstellungen werden im Anschluss an die Hessentage als Wanderausstellungen in verschiedenen Orten des Landes gezeigt. Sie sprechen weite Bevölkerungskreise und vor allem die Schulen an. Zuweilen haben die Themen dieser Ausstellungen, zu denen auch Kataloge
erscheinen, wissenschaftliches Neuland betreten und weitere Forschungen angeregt. Darüber hinaus veranstalten die Staatsarchive seit
vielen Jahren in ihren Häusern, oftmals zu Gedenkveranstaltungen,
historische Ausstellungen und Vortragsreihen. Alle Ausstellungen
werden jetzt zusammen mit den Archivpädagogen entwickelt und
durch Unterrichtsmaterialien für die Schulen aufbereitet. Die Archivpädagogen, die für einige Wochenstunden von ihrem Schulunterricht
für die Tätigkeit im Archiv freigestellt sind, erarbeiten aber auch gemeinsam mit Schülern und Lehrern Projekte zu landesgeschichtlichen
Themen, vornehmlich zur Zeitgeschichte.
Mit dem Betrieb von Datenbanken und der Nutzung der Textverarbeitung haben die neuen Medien nach ersten Versuchen in den 1970er
Jahren schon seit 1986 endgültig bei den Staatsarchiven Einzug gehal30
ten. Mittlerweile haben sie damit begonnen, sich im Internet mit ihren
Beständeübersichten zu präsentieren. Künftig werden auch Verzeichnisse zu einzelnen, besonders häufig benutzten und bedeutenden Beständen dort zugänglich sein.
Der Kreis der Archivbenutzer ist breit gefächert. In erster Linie sind
es die Universitätsdozenten, Fachhochschullehrer und Studenten, die
wissenschaftliche Untersuchungen und Forschungsprojekte durchführen und Habilitationen, Dissertationen, Magister- und Staatsexamensarbeiten verfassen. Die Mehrzahl der Arbeiten entsteht an den
gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen, aber auch Kunsthistoriker, Juristen, Theologen, Ingenieure, Architekten und Naturwissenschaftler nutzen das Archivgut für eigene Studien oder für Seminare
und Übungen. An Bedeutung gewinnt die enge Zusammenarbeit mit
Lehrern und Schülern allgemeinbildender Schulen. Ein weiterer Teil
der Archivbenutzer ist dem Kreis der privaten Forscher zuzurechnen,
die die Geschichte ihrer Familien, ihrer denkmalgeschützten Häuser
oder ihrer Heimatgemeinden erforschen. Andere wiederum wollen
persönliche Rechte an Grundbesitz oder aus Beschäftigungszeiten im
öffentlichen Dienst nachweisen. Letztlich konsultieren auch die
Behörden, Gerichte, Notare und Rechtsanwälte die Archive, wenn es
anhand von Akten, Karten oder Plänen ältere Rechtsverhältnisse zu
klären gilt.
Mit der Sicherung und Präsentation der staatlichen Überlieferung
allein werden die Staatsarchive sich jedoch in Zukunft immer weniger
begnügen dürfen, da pluralistisch herbeigeführte Entscheidungen
sich zusehends aus den Verwaltungen in andere gesellschaftliche Bereiche verlagern. Daher gewinnen Überlieferungen nichtstaatlicher
öffentlicher und privater Funktionsträger immer mehr an Bedeutung.
Die Staatsarchive, die schon immer zur Ergänzung ihrer Bestände
Nachlässe und Deposita von Privatleuten, Parteien, Körperschaften,
Vereinen, Verbänden und sonstigen Institutionen übernommen
haben, werden dem nicht staatlichen zeitgeschichtlichen Dokumentationsgut künftig stärkere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Sie ergänzen damit auch Überlieferungen, die bei anderen Archivträgern
entstehen. Zu den nicht staatlichen, aber nur zum Teil öffentlichen Archiven zählen in Hessen die Kommunalarchive, die Archive der Kirchen, der Wirtschaft, der Medien, der Universitäten, der Forschungsund Kulturinstitute, der Stiftungen, der Körperschaften und Verbände
sowie die Familienarchive des Adels und der ehemaligen Standesher31
ren, soweit sie nicht (vielfach mit Depositalverträgen) an die Staatsarchive abgegeben wurden.
Zu den öffentlichen Archiven gehören die Archive der Kommunen
und Kommunalverbände. Stärker akzentuiert als in den Staatsarchiven ist in vielen Kommunalarchiven die Verwahrung von Quellen zur
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in geschlossener und dichter Überlieferung. Sie bilden vor allem hier eine wichtige Ergänzung des staatlichen Archivguts. Die Archive ehemaliger Reichsstädte wie z. B.
Frankfurt am Main und Wetzlar sind mit ihren bis weit ins Mittelalter
zurückreichenden Akten- und Urkundenbeständen für die Forschung
von besonderem Interesse. Das Stadtarchiv Frankfurt, das jetzt eine
Abteilung des „Instituts für Stadtgeschichte“ bildet, erreicht mit ca.
23.000 Urkunden, 20.000 laufenden Metern Akten des Historischen
Archivs, Amtsbüchern, Fotosammlungen, Nachlässen und sonstigem
Archivgut auch quantitativ fast die Bedeutung eines Staatsarchivs.
Doch trägt eine Großstadt mit einer großen Vergangenheit nicht allein die Verantwortung für ihr historisches Archiv. Eine differenziert
ausgebildete moderne Verwaltung und massenhaft anfallendes
Schriftgut verlangen eine der staatlichen Archivverwaltung vergleichbare Betreuung durch fachkundige Archivarinnen und Archivare.
Dies wird um so dringlicher, je mehr Aufgaben der Staat an die Kommunen und Kommunalverbände delegiert. Die hessischen Großstädte
Darmstadt, Frankfurt, Kassel, Offenbach und Wiesbaden lassen ihre
Archive von Facharchivaren verwalten. Dagegen sind nur die wenigsten Archive der mittleren und kleineren Städte und Gemeinden in
Hessen wie z.B. Bad Homburg, Bensheim, Gießen, Hanau, Lampertheim, Marburg, Oestrich-Winkel, Pfungstadt und Wetzlar fachlich
qualifiziertem Personal anvertraut. In einer ganzen Reihe von kleineren Städten und Gemeinden fehlt eine sachgerechte Betreuung der Archive ganz. In anderen Fällen, vor allem in einer Reihe nordhessischer
Städte, wurden die älteren Bestände an das zuständige Staatsarchiv
abgegeben. Im günstigeren Fall werden die Archive, oftmals zusammen mit dem Stadtmuseum und der Stadtbibliothek, ehren- oder nebenamtlich verwaltet. Dies führt nicht selten dazu, dass zwar die vielfach von der ehemaligen Archivberatungsstelle beim Hessischen
Landkreistag inventarisierten historischen Archivbestände sorgfältig
gehütet werden, die moderne Schriftgutverwaltung jedoch weitgehend vernachlässigt wird. Vor allem dort, wo sie hauptamtlich betreut
werden, sind jedoch gerade die Kommuanlarchive in der Öffentlich32
keit durch zahlreiche Aktivitäten wie Ausstellungen und Publikationen präsent und gestalten das kulturelle Leben aktiv mit. Kreise und
sonstige Kommunalverbände unterhalten in Hessen nur in Einzelfällen fachlich betreute Archive. Derzeit werden nur im Kreis Gießen, im
Hochtaunuskreis (Oberursel), im Main-Kinzig-Kreis (Gelnhausen)
und im Odenwaldkreis (Erbach) Kreisarchive geführt. Davon wird
nur eines von einer Diplomarchivarin betreut. Beim Landeswohlfahrtsverband Hessen leitet eine Archivarin des höheren Dienstes das
Archiv, das mit ca. 600 Metern Akten und Amtsbüchern eine der wichtigsten Überlieferungen zur Krankenpflege und Psychiatrie in Hessen
verwahrt.
In Hessen gibt es seit der Aufhebung der ehemaligen Archivberatungsstelle keine vom Land geförderte und institutionalisierte kommunale Archivpflege wie in Nordrhein-Westfalen oder in Thüringen.
Das Hessische Archivgesetz räumt jedoch den Staatsarchiven die
Möglichkeit ein, die Archivträger fachlich zu beraten. Da die ungünstige Haushaltslage die kommunalen Körperschaften und Verbände
auch in Zukunft zu personellen Einschränkungen zwingen wird, wäre
es an der Zeit, auch hierzulande über kostengünstige Modelle wie die
in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern bereits praktizierten Archivverbunds-Lösungen nachzudenken.
Lange Zeit hat man in Hessen auch die Sicherung der Schriftgutüberlieferung von Verbänden der Wirtschaft, von Handelskammern,
Industrieunternehmen, Betrieben und Banken vernachlässigt. Für
wirtschaftsgeschichtliche Forschungen war man zunächst vorrangig
auf das Schriftgut staatlicher Provenienz angewiesen. Erst das dank
gemeinsamer Anstrengungen des Landes Hessen und der Industrieund Handelskammern 1992 begründete „Hessische Wirtschaftsarchiv
e.V.“, das seinen Sitz im Haus der Geschichte in Darmstadt erhielt, hat
hier Wandel geschaffen. Über die erfolgreiche Arbeit des Wirtschaftsarchivs wie über die vor allem im Bereich der chemischen und der metallverarbeitenden Industrie, aber auch bei Banken und Versicherungen bestehenden Firmenarchive wird in einem gesonderten Beitrag
berichtet.
Eine andere Form der Archivierung pflegen die Archive des Hessischen Landtags, des Hessischen Rundfunks und der Medien. Deren Archive sollen zunächst weniger der wissenschaftlichen Forschung als der
möglichst raschen Bereitstellung von Informationen dienen. Das Landtagsarchiv erschließt in erster Linie Drucksachen und Pressematerial
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nach bestimmten Schlagworten mit Hilfe der modernen Informationstechnologie, übernimmt aber auch Unterlagen aus der Parlamentsverwaltung und aus den Ausschüssen sowie Parlamentariernachlässe.
Eine Überschneidung mit der Überlieferung der Staatsarchive ergibt
sich bei Schriftgut der Fraktionen, Nachlässen von Parteipolitikern und
von Materialien aufgelöster oder verbotener Parteien (z.B. der NSDAP).
Größere hessische Presseorgane wie z.B. die „Frankfurter Allgemeine
Zeitung“, die „Frankfurter Neue Presse“ und die „Frankfurter Rundschau“, das „Darmstädter Echo“, die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ in Kassel sowie der „Wiesbadener Kurier“ und das „Wiesbadener Tagblatt“ besitzen Redaktionsarchive mit den älteren Ausgaben.
Historische Zeitungen aus Hessen sind in aller Regel in den Landesbibliotheken, aber auch in Staats- und Kommunalarchiven zu finden.
Auch im Bereich der Kultur und Wissenschaft verfügt Hessen über
eine Reihe namhafter Archive. An erster Stelle sind die Hochschularchive zu nennen, die Schriftgut aus der Verwaltung, darunter zahlreiche personenbezogene Unterlagen sowie Akten und Urkunden betr.
Besitzrechte und Wirtschaftsführung enthalten. Für die Forschung bedeutend sind auch dort verwahrte Gelehrtennachlässe und Sammlungen. Das Archiv der Philipps-Universität Marburg ist das älteste hessische Universitätsarchiv. Seine Bestände reichen bis in die vorreformatorische Zeit zurück. Fachlich wird es vom Staatsarchiv Marburg
betreut. Auch das Archiv der Justus-Liebig-Universität Gießen besitzt
zahlreiche Urkunden und Akten vom 14. Jh. bis in die neueste Zeit. Es
ist zur Zeit das einzige Hochschularchiv in Hessen, das hauptamtlich
von einer Facharchivarin geleitet wird. Auch die jüngeren Hochschulen wie die Technische Universität Darmstadt, deren Archiv räumlich
im Haus der Geschichte untergebracht ist, und die Johann Wolfgang
Goethe-Universität Frankfurt besitzen bis in ihre Gründungszeiten
zurückreichende Unterlagen.
Die Vielfalt der öffentlichen Archive in Hessen ist beachtlich. Landesgeschichtliche Forschung ist ohne die öffentlichen Archive kaum
möglich. Je mehr diese sich einem breiten Publikum öffnen, ihre Bestände erschließen und sich durch Ausstellungs- und Publikationstätigkeit in der Öffentlichkeit präsentieren, um so mehr haben sie
den Anspruch, als Zentren landes- und ortsgeschichtlicher Forschung
und des kulturellen Lebens zu gelten. Die öffentlichen Archive
gehören zum kulturellen Erbe, das zu bewahren allen Bürgern dieses
Landes eine Verpflichtung sein muss.
34
Literaturhinweise
Archive in Hessen. Kurzführer, bearb. von E. G. FRANZ. (= Darmstädter Archivschriften 11). Darmstadt 1996.
Übersicht über die Bestände des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden.
Wiesbaden 1970. – Repertorien des Hess. Hauptstaatsarchivs Wiesbaden.
1978ff.
Die Bestände des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt, hg. von Friedrich BATTENBERG unter Mitarbeit von Hans Dieter EBERT und Katharina
SCHAAL. (= Darmstädter Archivschriften 12). Darmstadt 1997. - Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt. 1971ff.
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Konrad BUND: 1436-1986. 550 Jahre Stadtarchiv Frankfurt am Main. Eine
Kurzübersicht über seine Bestände. Frankfurt a. M. 1986.
Christian RENGER / Dieter SPECK: Die Archive der Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen. Ein Kurzführer. Weimar 1995.
Überlieferung gestalten. Die Archivschule Marburg zum 40. Jahrestag ihrer
Gründung, hg. von Angelika MENNE-HARITZ. (= Veröff. der Archivschule Marburg 15). Marburg 1989.
Eckhart G. FRANZ: Einführung in die Archivkunde. 5. Aufl. Darmstadt 1999.
Weitere Informationen im Internet: http:/www.hessen.de/archive.
35
Geschichtsvereine in Hessen
Dr. Hans-Peter Lachmann, Historische Kommission für Hessen, Marburg
Im Kräftefeld der geschichtlichen Landeskunde Hessens, das sich
heute als ein Dreischritt – Geschichtsvereine / Historische Kommissionen / Forschungsinstitute – präsentiert, stehen die Geschichtsvereine am Anfang; sie waren Ausgangspunkt und Grundlage für die Erforschung wie für die Vermittlung von Landes-, Regional- und Lokalgeschichte. In fruchtbarem Austausch mit den von Fachwissenschaftlern geleiteten Historischen Kommissionen und landesgeschichtlichen Instituten hat das Anfang des 19. Jahrhunderts entstandene und
schrittweise verdichtete Netz nach wie vor eine wichtige und unverzichtbare Rolle. Im Bundesland Hessen stehen dem Landesamt für geschichtliche Landeskunde und den insgesamt fünf historischen Kommissionen etwa 150 Geschichts- und Heimatvereine gegenüber. Ihre
genaue Zahl ist noch nicht erfasst worden. Eine dem Verzeichnis
„Landesgeschichtliche Vereinigungen in Baden-Württemberg“ (1987)
entsprechende Zusammenstellung gibt es nicht.
Der 1960 gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der historischen Vereine in Hessen“ gehören nur rund 25 Vereine an. Das gedruckte Mitgliederverzeichnis des „Gesamtvereins der deutschen Geschichtsund Altertumsvereine“ führt in der 3. Ausgabe von 1994 21 hessische
Vereine mit zusammen 13.400 Mitgliedern auf; doch zählt allein der
„Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V.“ in Kassel 18
Zweigvereine; von den sieben Zweigvereinen des „Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung e.V.“ Wiesbaden
wirken vier im heutigen Land Rheinland-Pfalz. In der „Hessischen Bibliographie 1997“ sind Zeitschriften und Publikationen von insgesamt
135 hessischen Geschichtsvereinen erfasst, wobei die Bandbreite von
den zu Beginn des 19. Jahrhunderts als wissenschaftliche Gesellschaften gegründeten Großvereinen bis zum Geschichts- und Heimatverein eines im Zuge der Gebietsreform eingemeindeten Dorfes reicht.
Gemeinsame Aufgabe aller Vereine ist nach den Vorgaben der Satzungen, die sich auch in den Publikationen spiegeln, die Erforschung und
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Vermittlung der heimatlichen Geschichte. Dazu kommt vielfach die
Erhaltung von Geschichts- und Kunstdenkmälern, oft verbunden mit
dem Aufbau und der Unterhaltung eines Museums.
Die festgestellten 135 Vereine lassen sich nach ihren Arbeitsgebieten, nach der regionalen Verteilung im Lande, aber auch nach ihrer
Gründungszeit untergliedern. Dabei ergibt sich, dass die ältesten, in
den Vormärz-Jahrzehnten vor 1848 gegründeten Vereine zugleich die
umfassendsten Arbeitsgebiete besetzen. Der „Verein für Nassauische
Altertumskunde und Geschichtsforschung“ (1812/21) hat sich in den
1821 genehmigten Statuten vor allem die Pflege der römischen und
deutschen Altertümer, zugleich aber die Erforschung der Geschichte
des 1806/1814 neu gebildeten Herzogtums Nassau vorgenommen,
letzteres allerdings unter Ausschluss der Geschichte der „neueren
Zeit“. Der „Historische Verein für Hessen“ in Darmstadt (1833) sollte
die Geschichte des Großherzogtums Hessen in den auf dem Wiener
Kongress neu formierten Grenzen erforschen, der „Frankfurter Verein
für Geschichte und Landeskunde“ (1837) das Gebiet der Freien Stadt
Frankfurt, während der 1834 gegründete „Verein für hessische Geschichte und Landeskunde“ in Kassel seine Arbeit ohne zeitliche Beschränkung auf die „gesamten jetzigen und ehemaligen kurhessischen Lande“ erstrecken wollte. Zu den frühen Gründungen wären
schließlich noch der „Hanauer Geschichtsverein“ (1844) und der
„Waldeckische Geschichtsverein“ (1862) zu zählen, der seinen Sitz in
der einstigen Landeshauptstadt Arolsen hat.
Die zwischen den Reichsgründungsjahren und 1914, in einer zweiten und dritten Gründungswelle entstandenen Vereine orientierten
sich (im Bereich der nunmehr preußischen Provinz Hessen-Nassau
waren die selbständigen Mittelstaaten entfallen) wie schon der Hanauer Verein an kleineren historischen Einheiten, dem Gebiet eines älteren Kleinterritoriums, einer Provinz oder Stadt. Das gilt für den
„Oberhessischen Geschichtsverein Gießen e.V.“ (1878) und für den
„Verein für Geschichte und Landeskunde e.V. Bad Homburg“ (1875)
wie für die um die Jahrhundertwende entstandenen Geschichtsvereine in Friedberg und Fulda (beide 1896), für den „Alsfelder Geschichts- und Museumsverein“ (1897), den „Wetzlarer Geschichtsverein“ (1904), der schon einen kurzlebigen Vorläufer zwischen 1834 und
1852 hatte, und den „Büdinger Geschichtsverein“ von 1906.
Eine letzte Neugründungs-Welle von zumeist örtlichen Geschichtsund Heimatvereinen ist in Hessen wie in anderen Ländern der Bun37
desrepublik seit Ende der 1960er Jahre zu beobachten. Hier geht es zumeist um die Konzentration auf das unmittelbare örtliche Umfeld, die
Gemeinde oder gar den Stadt- oder Ortsteil, die in der Gebietsreform
der 70er Jahre eingegliederte, vordem selbständige Gemeinde, deren
Tradition gewahrt werden soll. Zu diesen jüngeren Gründungen
zählen u.a. der „Verein für Geschichte und Heimatkunde Kronberg“
(1972), der „Rodheimer Geschichts- und Heimatverein e.V.“ in Rosbach-Rodheim, parallel zum „Heimatgeschichtsverein 1984 Rosbach
v.d.H.“, oder der „Verein für Wettersche Geschichte e.V.“ in Wetter bei
Marburg, wo in den Stadtteilen ebenfalls weitere lokale Geschichtsund Heimatvereine tätig sind.
Die regionale Verteilung der Geschichtsvereine wirkt insofern ungleichmäßig, als sich die Verdichtung des Netzes im ehemaligen Kurhessen wie im Nassauischen weitgehend durch Bildung von Zweigvereinen im Verbund der alten „gesamtstaatlichen“ Vereine, des Kasseler „Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde“ und des
„Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“
vollzogen hat. Ausnahmen gab es in Gebieten ohne engeren Bezug zur
älteren Geschichte Kurhessens und Nassaus, im Fuldischen (Fulda
und Hünfeld 1910), in Wetzlar und im vordem kurmainzischen
(Frankfurt-)Höchst (1894). Anders war die Entwicklung im Großherzogtum Hessen, wo das im „Landboten“-Jahr 1834 aus Sorge vor einer
politischen Tarnorganisation festgelegte Verbot örtlicher Sektionen
erst 1879/80 entfiel. Auch die räumliche Entfernung zur Landes- und
Vereinshauptstadt Darmstadt hat wohl dazu beigetragen haben, dass
sich nach dem Gießener Vorbild gerade in Oberhessen (Alsfeld,
Büdingen, Butzbach, Friedberg, Lauterbach) eine ganze Reihe eigenständiger Vereine bildete. Auch die Neugründungen der letzten Jahrzehnte konzentrieren sich vor allem auf Südhessen mit dem Großraum Rhein-Main.
Als loser Zusammenschluss der hessischen Geschichtsvereine auf
Landesebene wurde auf Initiative des Kasseler „Vereins für hessische
Geschichte und Landeskunde“ 1960 in Fritzlar von dem damaligen
Vorsitzenden Prof. Walter Heinemeyer gemeinsam mit Kultusminister Prof. Ernst Schütte die bereits angesprochene „Arbeitsgemeinschaft der historischen Vereine in Hessen“ begründet, die mit den
„Tagen der hessischen Landesgeschichte“ ein gemeinsames Forum
bieten sollte. Zur angestrebten Koordinierung der Arbeiten gehört
auch die Verteilung der von der Landesregierung zur Verfügung ge38
stellten Mittel zur Förderung der von den Vereinen herausgegebenen
Zeitschriften und Publikationen.
Eine Vorstufe der heutigen „Arbeitsgemeinschaft“ waren (damals
noch über die bestehenden Landesgrenzen hinweg) die „Periodischen
Blätter“ der hessischen Geschichtsvereine, die auf Anregung des Kasseler Vereins von 1845 bis 1861 gemeinsam mit den Vereinen in Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden und Mainz herausgegeben wurden. Für
das stärker dezentralisierte Vereinswesen Südhessens wurde 1906
unter Federführung der Darmstädter ein „Verband der Geschichtsund Altertumsvereine im Großherzogtum (später Volksstaat) Hessen“
begründet, der als Träger der Zeitschrift „Volk und Scholle. Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt“ 1923/24 zum „Verband der hessischen Geschichts- und Altertumsvereine“ erweitert
wurde; die Zeitschrift wurde 1934 vom „Reichsbund Volkstum und
Heimat“ übernommen.
Neben der 1960 neu begründeten landesweiten „Arbeitsgemeinschaft“ haben sich in den letzten Jahren regionale Gruppierungen formiert, als erste wohl die 1968 vom damaligen Landrat des Kreises
Bergstraße Dr. Ekkehard Lommel ins Leben gerufene „Arbeitgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße“, deren
„Geschichtsblätter Kreis Bergstraße“ sich einen festen Platz im Kreis
der hessischen Zeitschriften erworben haben. Ähnliche Zusammenschlüsse auf Kreisebene bilden der vom Kulturamt des Landkreises
Marburg-Biedenkopf unterstützte „Arbeitskreis Heimatpflege und
Lokalgeschichtsforschung“ und die „Arbeitsgemeinschaft für Geschichte und Kultur bei der Sparkasse Wetterau“ im Wetteraukreis.
Von den in den Satzungen der Geschichtsvereine formulierten Zielen: Erforschung der Geschichte des jeweiligen Arbeitsgebietes und
Vermittlung ihrer Kenntnis, steht heute, wie die Programme der Vereine eindeutig belegen, die Vermittlung durch Vorträge, Studienfahrten und Ausstellungen an erster Stelle. Dabei finden die Vorträge zumeist im Winterhalbjahr statt, während Exkursionen und Besichtigungen in den dafür günstigeren Monaten der wärmeren Jahreszeit
durchgeführt werden. Neben den Vortragsabenden (zumeist einmal
im Monat) bieten die Vereine auch besondere Seminare oder „Fortbildungsveranstaltungen“ an, die meist einen Tag oder auch ein Wochenende dauern, gelegentlich aber auch über mehrere Wochen verteilt werden. Zu nennen sind hier die ortsgeschichtlichen Tagungen
des Nassauer Vereins und die Fortbildungsveranstaltungen des „Ver39
eins für hessische Geschichte und Landeskunde“. Dazu kommen Einführungen in heimatgeschichtliche Forschung und Veröffentlichungstechnik oder praktische Übungen zum Lesen alter Schriften, wie sie
z.B. in Wiesbaden und Marburg in Zusammenarbeit mit den Staatsarchiven angeboten werden. Mit diesen Veranstaltungen, die wie die
Vorträge nicht auf die Mitglieder beschränkt sind, bieten die Vereine
historisch Interessierten, die nur zu einem geringen Teil fachlich vorgebildet sind, Hilfestellung für eigenes historisches Arbeiten, um sie
mit entsprechender Organisation zu abgesicherten Ergebnissen zu
führen.
In der Herausgabe der Vereinszeitschriften und anderen Veröffentlichungen liegt ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der Geschichtsvereine, wie dies an anderer Stelle dieses Bandes ausführlicher dargestellt wird. In den Zeitschriften der altrenommierten Geschichtsvereine, dem „Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde“,
den „Nassauischen Annalen“, den „Mitteilungen des Oberhessischen
Geschichtsvereins“ oder der „Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde“, werden vor allem neue wissenschaftliche Forschungsergebnisse und methodisch interessante Ansätze zur
Landes-, Regional- und Ortsgeschichte vorgestellt. Wichtig sind auch
die umfassenden Literaturberichte und Besprechungsteile, in denen
Mitglieder, die nicht in den großen Zentren mit ihren wissenschaftlichen Bibliotheken leben, über Neuerscheinungen zur Landes- und
Ortsgeschichte, aber auch für Hessen wichtige Bücher zur allgemeinen Geschichte und über Hilfsmittel für den Landes- und Ortsgeschichtsforscher unterrichtet werden. Das gilt in gewissem Umfang
auch für die kleineren Zeitschriften, die vor allem auch den eigenen
Mitgliedern Gelegenheit zur Publikation ihrer Arbeitsergebnisse bieten.
Neben den Zeitschriften geben die Vereine vielfach besondere
Schriftenreihen heraus, in denen größere Arbeiten zu regionalhistorischen Einzelthemen publiziert werden, wie die „Hessischen Forschungen zur geschichtlichen Landes- und Volkskunde“ des Kasseler
Geschichtsvereins, die die früheren „Supplemente“ zur Zeitschrift abgelöst haben, oder die „Darmstädter Archivschriften“ des Historischen Vereins für Hessen, um nur zwei Beispiele zu erwähnen. Gelegentlich werden auch Zeitschriftenbände genutzt, um Doktorarbeiten
oder sonstige Untersuchungen größeren Umfangs zu publizieren. Der
Information der Mitglieder über das Vereinsleben und organisatori40
sche Fragen, soweit diese nicht in der Vereinszeitschrift enthalten
sind, dienen zum Teil gesonderte „Mitteilungsblätter“ wie die „Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde e.V.
Kassel“, die hier vor allem auch die 18 Zweigvereine enger verbinden
sollen.
Die Bibliotheken der Vereine haben durch Schriftentausch vielfach
eine beachtliche Größe angenommen und bieten damit nicht nur ihren
Mitgliedern günstige Arbeitsmöglichkeiten. Sie werden allerdings nur
zu einem Teil von den Vereinen selbst verwaltet, so z.B. beim „Waldeckischen Geschichtsverein“ oder in Bad Homburg. In Alsfeld oder
Büdingen sind die Buch- und Zeitschriftenbestände in den vom Verein
betreuten Museem aufgestellt. Die Bibliothek des Frankfurter Vereins
befindet sich im Institut für Stadtgeschichte, die des „Hanauer Geschichtsvereins“ in der Stadtbibliothek im Schloss Philippsruhe. Die
vor allem aus dem Zeitschriftentausch erwachsenen Büchereien der
Vereine in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden wurden schon im
19. Jahrhundert (unter Eigentumsvorbehalt) in die jeweiligen Landesbibliotheken eingegliedert. Die älteren Bestände in Darmstadt und
Kassel sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden und damit in
ihrem einstigen Umfang nur noch durch ältere Kataloge und Tauschpartnerlisten rekonstruierbar. Lediglich die Bibliothek des Nassauischen Vereins in der Landesbibliothek Wiesbaden hat ohne Verluste
überdauert. Die Bedeutung des von den Vereinen für die öffentlichen
Bibliotheken eingeworbenen Schrifttums mögen die Zahlen für den
Kasseler „Verein für hessische Geschichte und Landeskunde“ zeigen:
Ende 1998 zählte der Verein 181 Tauschpartner, von denen neben nicht
gezählten Monographien 222 Periodika eingingen. Diese Erwerbungen, die in der hessischen Abteilung der Gesamthochschul-Bibliothek
Kassel jedermann zur Verfügung stehen, haben angesichts der stark
gekürzten Ankaufsetats der Bibliotheken zusätzliches Gewicht gewonnen. Die Vereine leisten damit einen gewichtigen Beitrag zur historisch-kulturellen Arbeit in unserem Land, dessen Bedeutung die von
öffentlichen Stellen gezahlten Druckkostenzuschüsse weit übersteigt.
Noch stärker als bei den für Außenstehende oft kaum als solche
wahrgenommenen Bibliotheksbeständen ist die Außenwirkung bei
den Museen und sonstigen Sammlungen der Geschichtsvereine. Mit
der Sammlung von „Altertümern“ haben die Vereine seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert aktiven Denkmalschutz betrieben, haben
kirchliche Kunstwerke, bürgerliche und bäuerliche Arbeitsgeräte,
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Hausgeräte und Trachten sowie Urkunden, Handschriften und sonstige schriftliche Quellen vor der Zerstörung bewahrt. Mit den von Vereinen begründeten Museen, die im Germanischen Nationalmuseum
in Nürnberg ihren zentralen Ort finden sollten, stellten sie den fürstlichen Wunderkammern früherer Jahrhunderte das „Historische Museum“ als Lehr- und Studienort des gebildeten Bürgertums gegenüber. In allen so entstandenen Sammlungen nehmen die durch die archäologischen Unternehmungen der Vereine, bei Ausgrabungen von
römischen Kastellen oder germanischen Grabhügeln, geborgenen
Fundstücke besonders großen Raum ein. Die Vereine zu Darmstadt,
Kassel und Wiesbaden haben ihre Sammlungen unter Eigentumsvorbehalt den Landesmuseen übergeben; die Sammlungen des Marburger Zweigvereins des „Vereins für hessische Geschichte“ sind seit 1927
als Dauerleihgabe im Universitätsmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Marburg ausgestellt, während der „Oberhessische Geschichtsverein“ in Gießen seine musealen Sammlungen der Stadt
Gießen übertragen hat. Die genannten Vereine bauen die deponierten
Sammlungen z.T. auch heute noch weiter aus und leisten wesentliche
Beiträge für Restaurierung und Konservierung. Bei anderen Geschichtsvereinen, insbesondere auch bei den erst in den letzten Jahren
gegründeten kleineren Vereinen, ist das Museum zum Teil geradezu
Mittelpunkt der Vereinsarbeit, besonders deutlich etwa bei den Vereinen in Bensheim, Lindenfels, Viernheim oder Waldmichelbach im
Kreis Bergstraße. Die Regionalmuseen in Alsfeld und Büdingen, das
Hohhaus-Museum in Lauterbach oder das Museum für Höchster Geschichte im Höchster Schloss gehören zu den bedeutenden Museen
unseres Landes; die Geschichtsvereine leisten auch hier für Ausbau
und Unterhaltung, vor allem durch die ehrenamtliche Arbeit der Mitglieder, auch durch finanzielle Beiträge, wichtige Unterstützung.
Die archivalischen Sammlungen der Geschichtsvereine sind heute
zum überwiegenden Teil in den zuständigen Staats- oder Kommunalarchiven deponiert, wo sie die Bestände ergänzen und der allgemeinen Benutzung zugänglich sind; die Sammlungen des „Vereins für
Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“ liegen im
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, die des Marburger Zweigvereins im
Staatsarchiv Marburg, die des Alsfelder Vereins im örtlichen Stadtarchiv.
Organisation und Wirken der Geschichtsvereine in Hessen sind an
den Programmen und Berichten verhältnismäßig gut abzulesen. Aus42
sagen über die personelle und soziale Zusammensetzung der Geschichtsvereine sind wesentlich schwieriger zu gewinnen, zumal die
Mitgliederverzeichnisse heute zumeist auf Angaben zu Beruf und
Alter der Mitglieder verzichten. Hier könnten nur detaillierte Untersuchungen aus den Karteien der Vereine weiterführen. Nach allgemeinen Beobachtungen liegt das Eintrittsalter der Geschichtsvereinsmitglieder etwa bei 50 Jahren; jüngere Mitglieder sind heute – auch in
den Universitätsstädten – eher die Ausnahme. Bei den 21 im Verzeichnis des Gesamtvereins aufgeführten Vereinen aus Hessen, die
mit zwei Ausnahmen sämtlich vor 1914 gegründet wurden, werden
die Vorstände noch weitgehend von Historikern, Archivaren und Lehrern gebildet. Insgesamt sind die Geschichtsvereine aber heutzutage
keineswegs mehr eine Domäne von Akademikern. Nach einer – sicher
nicht repräsentativen – Auszählung der Mitglieder des Marburger
Zweigvereins stand hier das Verhältnis von Mitgliedern mit und ohne
Hochschulstudium bei etwa 1 : 1; unter den Akademikern dominierten Lehrer, Archivare und Pfarrer, während Universitätsangehörige
nur verhältnismäßig schwach beteiligt waren. Bei den „Nichtstudierten“ waren die Angestellten am stärksten vertreten; es gab nur wenige
Selbständige, Handwerker und Kaufleute, nur einen einzigen noch
tätigen Landwirt. Bei kleineren Heimat- und Geschichtsvereinen dürften die interessierten, aber fachlich nicht vorgebildeten Geschichtsfreunde überwiegen, ohne dass hier bisher genaue Zahlen vorliegen.
Mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit und möglichst attraktiven Themen
bleiben die Vereine auch weiterhin um die Ausweitung ihrer Resonanz, die Verbreiterung der Mitgliederbasis bemüht.
Literaturhinweise
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unserer Zeit. Ulm 1992, S. 13-26.
Geschichtsvereine, Entwicklungslinien und Perspektiven lokaler und regionaler Geschichtsarbeit (= Bensberger Protokolle, hg. Thomas-Morus-Akademie Bensberg), Bensberg 1990.
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Wolf-Heino STRUCK: Gründung und Entwicklung des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung. In: Nassauische Annalen
84, 1973, S. 98-144. – DERS.: 175 Jahre Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung. Ebd. 98, 1987, S. 1-33.
Karl ESSELBORN, Hundert Jahre Historischer Verein für Hessen. Darmstadt
1934. – Eckhart G. FRANZ: Geschichtsverein und Geschichtsbewußtsein.
Zur 150-Jahrfeier des Historischen Vereins für Hessen 1833/1983. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, NF 41, 1983, S. III-XII.
Wilhelm HOPF, Hundert Jahre hessischer Geschichtsverein. In: Zeitschrift des
Vereins für Hess. Geschichte 59/60, 1934, S. V-LXIII. – Hans-Enno KORN:
Hunderfünfzig Jahre Verein für hessische Geschichte und Landeskunde.
In: Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 8,
Juni 1984, S. 3-5. – Karl E. DEMANDT: Der Marburger Verein für hessische
Geschichte und Landeskunde. Gedenkrede zur 140. Wiederkehr des
Gründungstages. In: Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde 1984, S. 16-28.
Günter MÖSSINGER: Die Geschichts- und Heimatvereine im Kreis Bergstraße. In: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße 30, 1997, S. 9-18.
Günter HOLLENBERG, Heimatgeschichte erforschen und veröffentlichen
Anleitungen und Hinweise (= Schriften des Hess. Staatsarchivs Marburg
11). Marburg 1995.
Gesamtverein der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. Mitgliederverzeichnis. 3. Ausgabe 1994. Bearb. von Hugo STEHKÄMPER. Köln-Ulm
1994.
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Die Historischen Kommissionen in Hessen
Dr. Wolf-Arno Kropat, Historische Kommission für Nassau, Wiesbaden
Die Entwicklung der wissenschaftlichen Landesgeschichtsforschung
in Deutschland ist seit dem 19. Jahrhundert untrennbar mit der Geschichte der Historischen Kommissionen verbunden. Vor 1800 war
Landesgeschichte vor allem Darstellung der regierenden Fürstenhäuser des Alten Reiches und ihrer Ruhmestaten. Erst im 19. Jahrhundert
trat mit der Romantik die Besinnung auf die nationale Geschichte in
den Vordergrund. Reichsfreiherr Karl vom Stein, der aus Nassau
stammte, gründete mit der „Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde“ die „Monumenta Germaniae Historica“ (heute in
München), die seit 1826 über 500 Bände mit historischen Quellen, Urkunden, Rechtsbüchern, Chroniken und Akten von nationaler Bedeutung publiziert haben. Die Veröffentlichung regionaler Geschichtsquellen übernahmen zunächst die in den 1820er und 30er Jahren auch
in Nassau, den hessischen Staaten und der Reichsstadt Frankfurt begründeten Altertums- und Geschichtsvereine.
Wenn die Verantwortung für die wissenschaftliche Erforschung der
Regionalgeschichte gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf die unter Zustimmung und Mitwirkung der inzwischen stärker in der bürgerlichen Breitenarbeit engagierten Historischen Vereine auf neu begründete „Historische Kommissionen“ übertragen wurde, so hatte das
auch und vor allem mit der zwischenzeitlich erfolgten Öffnung der
Staatsarchive zu tun, die eine systematische Publikation der in den Archiven verwahrten Quellen erst möglich machte. Die Geschichtsvereine blieben Herausgeber der landesgeschichtlichen Zeitschriften, die
in Aufsätzen und kleineren Beiträgen auch neue Forschungsergebnisse publizieren. Aufgabe der Kommissionen in der arbeitsteiligen wissenschaftlichen Gesellschaft war und ist es, die historische
Grundlagenforschung zu fördern und wichtige Quellen, aber auch
wissenschaftliche Darstellungen zu bedeutenden landesgeschichtlichen Themen zu veröffentlichen. Mit der Erschließung des reichen
Quellenguts der Staats- und Stadtarchive liefern sie zugleich die wis45
senschaftliche Grundlage für die Arbeit der Geschichtsvereine im
Lande.
Die Historischen Kommissionen in Hessen können auf eine mehr
als 100-jährige Geschichte zurückblicken. Im März 1897 gründeten
Professoren, Archivare und Bibliothekare in Wiesbaden die „Historische Kommission für Nassau“. Bereits im Sommer folgte in Marburg
die Gründung der „Historischen Kommission für Kurhessen und Waldeck“, die seit 1972 „Historische Kommission für Hessen“ heißt. Beide
Kommissionen entstanden als freie Vereinigungen von Forschern, die
sich durch Zuwahl ergänzen. Im Gegensatz dazu war und ist die 1906
berufene „Frankfurter Historische Kommission“ eine Magistrats-Deputation. Auch die „Historische Kommission für das Großherzogtum
Hessen“ (ab 1919 „für den Volksstaat Hessen“) wurde zunächst als
Staats-Kommission von der Darmstädter Landesregierung bestellt;
erst mit der Umwandlung zur „Hessischen Historischen Kommission
Darmstadt“ 1949 hat sie sich der Vereinsform der Schwesterkommissionen angeglichen. Die Historischen Kommissionen repräsentieren
die geschichtliche Identität der drei großen Regionen, aus denen das
heutige Land Hessen gebildet wurde.
Die Historischen Kommissionen waren sich von vornherein bewusst, vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen, wenn sie mit
eng begrenzten personellen und finanziellen Mitteln daran gingen,
die Geschichte einer Region unter den verschiedenen Aspekten ihrer
Entwicklung zu bearbeiten: Von der Verfassungs- und Rechtsgeschichte bis zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, von der Siedlungsgeschichte bis zur Demographie, von der Vor- und Frühgeschichte bis
zur zeitgeschichtlichen Forschung. Andererseits ließen sich gerade in
den Historischen Kommissionen die notwendigen interdisziplinären
Kontakte zwischen Wissenschaftlern verschiedener Forschungsrichtungen vermitteln. Günstig war, dass die Regionalgeschichte auch in
der wissenschaftlichen Forschung an Universitäten und Akademien
zunehmend Beachtung fand. Die Landesgeschichte galt als Prüfstein
für von der allgemeinen historischen Forschung entwickelte Thesen.
Hier ließ sich überprüfen, ob manche aus allgemeinen Quellen entwickelte Aussage auch „vor Ort“ Bestand hatte.
Vorrang in der Arbeit der Historischen Kommissionen hatte
zunächst die Veröffentlichung der Urkundenbestände des Mittelalters
aus Bistums- und Klosterarchiven. Die „Urkundenbücher“ mit der
wertvollen Überlieferung von der Karolinger- bis zur Stauferzeit
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waren über die Regional- und Ortsgeschichtsforschung hinaus auch
für die nationale Geschichtsschreibung wichtig. Im hessischen Bereich
galt das für die Publikation der älteren Urkunden der Reichsklöster
Fulda und Hersfeld wie für den sogen. „Lorscher Codex“, aber auch
für das „Mainzer Urkundenbuch“ und die für das spätere Mittelalter
anschließenden „Regesten der Erzbischöfe von Mainz“, die wegen der
Zugehörigkeit Rheinhessens zum Großherzogtum in den Zuständigkeitsbereich der Darmstädter Kommission fielen. Vor allem der regionalen Geschichtsforschung dienen die hessischen „Landgrafenregesten“ und die „Regesten der Grafen von Katzenelnbogen“ wie die Regestenbände für „Klöster und Stifte an der Lahn“ und für eine Reihe
nord- und mittelhessischer „Klosterarchive“. Die rechtlichen und sozialen Verhältnisse des Bürgertums in den mittelalterlichen Städten
spiegelten sich in den Urkunden- und Bürgerbüchern von Frankfurt,
Friedberg und Wetzlar wie in den von der Marburger Kommission angeregten „Quellen zur Rechtsgeschichte“ hessischer Städte, denen
auch das in Wiesbaden publizierte „Limburger Stadtbuch von 1548“
zuzuordnen wäre.
Auch wichtige Quellengruppen späterer Jahrhunderte wurden
durch die Historischen Kommissionen der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Neben dem von Walter Heinemeyer abgeschlossenen, vierbändigen Inventar zum sogen. „Politischen Archiv des Landgrafen
Philipp des Großmütigen“ wären hier die „Urkundlichen Quellen zur
hessischen Reformationsgeschichte“ zu nennen. Für das 19. Jahrhundert gab die Darmstädter Kommission die Erinnerungen und Tagebücher der Ministerpräsidenten du Thil und von Dalwigk sowie den
Briefwechsel Heinrichs von Gagern heraus; in der Marburger Kommissions-Reihe erschienen u.a. die Briefe der Brüder Grimm an ihren
Schwager Savigny und weitere Teile der Savigny-Korrespondenz,
aber auch die „Zeitungsberichte“ der preußischen Regierungspräsidenten in Kassel und Wiesbaden für die Jahre 1867-1918.
Unterstützung auch für den Orts- und Heimathistoriker boten
Handbücher und Nachschlagewerke wie die „Historischen Ortslexika“ (von H. Reimer für Kurhessen und W. Müller für Starkenburg),
eine Aufgabe, die heute vom Landesamt für geschichtliche Landeskunde weitergeführt wird. Zu nennen sind hier weiter das „Hessische
Klosterbuch“ und das „Hessische Ortswappenbuch“, das „Hessische
Trachtenbuch“ und das inzwischen ebenfalls vom Landesamt übernommene „Hessische Münzwerk“. Ein unentbehrliches Hilfsmittel
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für alle Forscher ist die bibliographische Zusammenstellung des
„Schrifttums zur Geschichte und geschichtlichen Landeskunde von
Hessen“ in den von Karl E. Demandt bearbeiteten Bänden von
1965/68, die zum Ausgangspunkt für die ab 1977 jahrweise publizierte „Hessische Bibliographie“ wurden.
Viel benutzt werden auch die biographischen Nachschlagewerke
über die hessische Beamtenschaft, die Lehrer- und Pfarrerbücher wie
die Professoren-Kataloge der Marburger Universität. Für das 19. Jahrhundert sind zunächst bei der Darmstädter Kommission, dann auch
in Marburg und Wiesbaden mehrbändige „Lebensbilder“-Reihen herausgekommen, die zum Teil noch fortgeführt werden. Biographische
Einzelstudien erschienen (zumeist in der Reihe „Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte“) über Politiker des Vormärz wie
Hans Christoph von Gagern, den Oberpräsidenten Friedrich von
Solms-Laubach und Prinz Emil von Hessen, aber auch über Ministerpräsident Christian Stock und den NS-Reichsstatthalter Jakob Sprenger. Weite Verbreitung fand die „Nassauische Biographie“ von Otto
Renkhoff, die in der 1992 erschienenen Zweitauflage Kurzlebensläufe
von rund 5.000 Persönlichkeiten der Region enthält. Die beiden Bände
der etwas anders konzipierten „Frankfurter Biographie“ (Hrsg. Wolfgang Klötzer) folgten 1994/96. Eine ergänzende „Hessische Biographie“ ist in Vorbereitung.
Damit sind in einem exemplarischen Ausschnitt lediglich Schwerpunkte aus den Veröffentlichungsprogrammen der hessischen Historischen Kommissionen markiert. Im breiten Spektrum der publizierten Bücher finden sich Darstellungen und Dokumentationen zur politischen Entwicklung Hessens, zur Geschichte der Wahlen und der
politischen Parteien, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte vom Textilgewerbe des 16. Jahrhunderts bis zum Eisenbahnbau, zur Stadtentwicklung und zur Baugeschichte von Schlössern und Burgen, zur Geschichte von Kirchen und Klöstern, zum Schul- und Bildungswesen,
von „Rom und den Chatten“ bis zum „Nationalsozialismus in der
Dreieich“. Dabei hat sich der Schwerpunkt von den Quelleneditionen
zunehmend auf die historischen Darstellungen verlagert; viele davon
sind landeskundliche Doktorarbeiten, die von den Kommissionen (oft
nach entsprechender Überarbeitung) zur Publikation übernommen
werden. Insgesamt haben die Historischen Kommissionen in ihren
Reihen mehrere hundert Bände mit Quelleneditionen und wissenschaftlichen Monographien veröffentlicht. Der größere Teil fällt in die
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Jahre nach 1949 – vor allem dank der tatkräftigen Förderung durch
jährliche Zuwendungen des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst.
Die reiche Fülle landeskundlicher Literatur, die im Verlauf des zu
Ende gehenden Jahrhunderts von den Kommissionen für Forscher
und interessierte Leser verfügbar gemacht wurde, darf freilich nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Historischen Kommissionen in
Hessen zu einer planmäßigen landesgeschichtlichen Forschung heute
kaum in der Lage sind. Im Gegensatz zu den Landes-Kommissionen
in Baden-Württemberg und Niedersachsen haben die hessischen
Kommissionen keine hauptamtlichen Mitarbeiter. Sie werden von
Professoren und Archivaren ehrenamtlich betreut und sind letztendlich auf das persönliche Engagement von Wissenschaftlern und Doktoranden angewiesen. Da die zur Verfügung gestellten Landesmittel
ausdrücklich nur zur Finanzierung der bloßen Druckkosten bestimmt
sind, gibt es keine Möglichkeit, für die Bearbeitung aktueller Themen
Forschungsaufträge oder Werkverträge an geeignete Wissenschaftler
zu vergeben. Zusätzlich fällt ins Gewicht, dass es an den Universitäten des Landes keine Lehrstühle für hessische Landesgeschichte gibt,
an denen (wie in anderen Ländern) eine kontinuierliche Bearbeitung
landes- und zeitgeschichtlicher Themen, auch durch Vergabe von
Doktor- und Examensarbeiten, erfolgen könnte. Demgegenüber finanziert der Freistaat Bayern fünf landeskundliche Professuren, und
in Nordrhein-Westfalen gibt es zwei Spezialprofessuren nur für die
Geschichte des Landes nach 1945!
Die gezielte Durchführung größerer Forschungsvorhaben ist in
Hessen in den vergangenen Jahrzehnten daher nur in Ausnahmefällen möglich gewesen. Hier wäre vorab das „Handbuch der Hessischen Geschichte“ zu nennen, das von der Historischen Kommission
für Hessen mit Sondermitteln der Hessischen Staatskanzlei in Angriff
genommen wurde. Die erste Lieferung des auf fünf Bände geplanten
Werks ist im vorigen Jahr erschienen. Zwei weitere sollen in Kürze folgen.
Eine besondere Aufgabe hat sich die „Kommission für die politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ beim Hessischen Landtag gestellt. Seit zwei Jahrzehnten fördert sie historische
Darstellungen und Dokumentationen, die sich mit der Entstehung
von Parlamentarismus und Demokratie in Hessen befassen. Zunächst
stand die Entwicklung der hessischen Territorien vom Ständestaat
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zum Verfassungsstaat in den hessischen Territorien im Vordergrund.
Auf die (noch nicht abgeschlossene) Veröffentlichung der Landtagsabschiede der hessischen Landgrafschaften vor 1806 folgte eine stattliche Reihe von Publikationen mit ausgewählten Reden und Dokumenten aus den Landtagen des 19. Jahrhunderts in Nassau, HessenDarmstadt und Kurhessen, in denen die Ablösung des Ständestaats
durch vom Volk gewählte Parlamente und die Durchsetzung des politischen Liberalismus deutlich wird. Der von E. G. Franz und Manfred Köhler bearbeitete Auswahlband „Parlament im Kampf um die
Demokratie“ gilt dem Landtag des Volksstaats Hessen in den Jahren
1919-1933. Weiterer Programmpunkt war die Erforschung der Biographien aller hessischen Abgeordneten seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, deren Ergebnisse in dem von Jochen Lengemann herausgegebenen Handbuch „MdL Hessen 1808-1996“ zusammengefasst sind.
Mit der Ausweitung des Themas auf die „Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ wurde der Schwerpunkt der
von einem Beirat aus Historikern, Archivaren und Politikwissenschaftlern begleiteten Arbeit auf die politische Entwicklung nach 1945
verlagert. Erste Ergebnisse sind die grundlegende Dokumentation
von Helmut Berding zur „Entstehung der Hessischen Verfassung von
1946“ und ein Band über die „Sitzungsprotokolle des Beratenden Landesausschusses“ im Jahr 1946, die in den Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau erschienen sind. Quellenbände
über wichtige Landtagsdebatten der Jahre 1946-1970 und über die Kabinettsprotokolle der Hessischen Landesregierung ab 1945 sind in
Vorbereitung.
Ein weiteres bedeutendes Projekt, das im Auftrag des Hessischen
Sozialministeriums von 1985 bis 1991 durchgeführt wurde, galt der
Aufnahme und Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge
nach 1945. Dazu wurde beim Sozialministerium eine eigene wissenschaftliche Kommission gebildet. Im Zusammenwirken mit dem Hessischen Hauptstaatsarchiv konnten insgesamt sechs Bände herausgegeben werden, die sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen befassen. Obwohl die Aufnahme von rund einer Million Neubürgern eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des Landes nach 1945 darstellt, musste die
Arbeit der Kommission nach dem Regierungswechsel im Jahr 1991
eingestellt werden, da an der Fortführung des Forschungsprojektes
kein politisches Interesse mehr bestand.
50
Längerfristig angelegt ist die Arbeit der im Jahr 1963 vom damaligen Hessischen Kultusminister Ernst Schütte begründeten „Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen“. Ihr historisch wie politisch bedeutsamer Auftrag ist die Erforschung der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Hessens und die Darstellung von Antisemitismus und Judenverfolgung vom Mittelalter bis zur Gegenwart. In der
bundesweit beachteten Schriftenreihe der Kommission konnten bereits in den 70er Jahren, früher als in manchen anderen deutschen Ländern, zwei Dokumentenbände zur Verfolgung der Juden unter der
NS-Diktatur vorgelegt werden: „Juden vor Gericht 1933-1945“ und
„NS-Verbrechen vor Gericht 1945-1955“. Sie wurden Vorbild für weitere Publikationen zur verhängnisvollen Rolle der deutschen Justiz
unter der NS-Diktatur. Zum 50. Gedenktag des Novemberpogroms
1938 erschien 1988 die Dokumentation „Kristallnacht in Hessen“ des
Berichterstatters über den Verlauf der Terroraktionen in hessischen
Städten und Gemeinden, der 1997 ein zweiter Band „Reichskristallnacht“ über Ursachen und Hintergründe des Novemberpogroms
folgte. Die 1992 erschienene „Bibliographie zur Geschichte der Juden
in Hessen“, die über 2.500 Veröffentlichungen zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung nachweist, ist zum unentbehrlichen Hilfsmittel für
die wissenschaftliche Forschung, aber auch für Geschichtsvereine und
Bürgerinitiativen geworden, die sich mit der Geschichte der örtlichen
jüdischen Gemeinden befassen. Die Broschüre „Jüdische Geschichte
in Hessen erforschen“ von 1994 bietet ergänzende Informationen über
Archive und Forschungsstätten in Hessen und in der Bundesrepublik,
die mit ihren Judaica-Beständen für hessische Forscher von Interesse
sind. Dem Engagement der Kommission in der Inventarisierung bedeutender jüdischer Friedhöfe gilt ein besonderer Beitrag dieses
Hefts.
Wenn man die Ergebnisse des zwangsläufig kursorischen Überblicks zusammenfasst, so bleiben vor allem im Bereich der Zeitgeschichte große Defizite. Obwohl die kontinuierliche, kritisch-wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte des eigenen Landes auch für
die politische Bildung unerlässlich ist, blieb etwa die „Ära Zinn“, in
der die Grundlagen des modernen Hessen gelegt wurden, bis heute
nahezu unbearbeitet. Das gilt auch für die Jahre der sozialliberalen
Koalition in Hessen 1970-1982, von den nachfolgenden Wahlperioden
ganz zu schweigen. Zu untersuchen wären sowohl die Entwicklung
der politischen Parteien und das Verhältnis von Regierung und Op51
position wie die Probleme der Schul-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch hierfür wäre die Schaffung eines der hessischen Landesgeschichte nach 1945 gewidmeten Lehrstuhls unabdingbar, der
mit den Historischen Kommissionen zusammenarbeitet. Die Kommissionen selbst können die notwendige gezielte Aufarbeitung der
jüngsten Geschichte des Landes in ihrer bisherigen, weitgehend ehrenamtlichen Konstruktion nur leisten, wenn ihnen in verstärktem
Umfang auch Personal- und Sachmittel zur Verfügung gestellt werden. Hier liegt, auch im Interesse der politischen Bildung, eine vorrangige Aufgabe für das neue Jahrhundert.
Literaturhinweise
Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997. Festgabe, dargebracht von Autorinnen und Autoren der Historischen Kommission. 2
Bände, Marburg 1997. Darin insbes. Walter HEINEMEYER: Die Historische Kommission für Hessen 1897-1997. Geschichtlicher Überblick, wissenschaftliche Unternehmungen, S. 1215-1235.
Wolf-Heino STRUCK: Neunzig Jahre Historische Kommission für Nassau. In:
Nassauische Annalen 98, 1987, S. 251-272.
Julius Reinhart DIETERICH: Eine historische Kommission für das Großherzogtum Hessen. In: Quartalsblätter des Hist. Vereins NF 3, 1905, S. 591ff. –
Gustav PAUL: Die Historische Kommission für den Volksstaat Hessen. In:
Volk und Scholle 8, 1930, S. 18-20
Jährliche Arbeitsberichte der Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden seit 1952 in den Jahresbänden des Hessischen Jahrbuchs für Landesgeschichte, Bd. 2ff. – Gedruckte Schriftenverzeichnisse
können bei den Geschäftsstellen der Kommissionen angefordert werden
(Anschriften im Anhang).
52
Das Hessische Landesamt für geschichtliche
Landeskunde
Dr. Ursula Braasch-Schwersmann,
Hess. Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg
Entwicklung:
Anfänge und Herausbildung des Hessischen Landesamtes stehen im
Zusammenhang mit den Forschungen zum „Geschichtlichen Atlas
von Hessen und Nassau“, den der Marburger Mediävist Edmund E.
Stengel im Auftrag der „Historischen Kommission von Hessen und
Waldeck“ seit 1921 vorbereitete. Die wissenschaftlichen und kartographischen Vorarbeiten wurden innerhalb der von ihm geleiteten Abteilung für mittelalterliche Geschichte des Historischen Seminars der
Philipps-Universität geleistet. Seit 1926 „Institut für geschichtliche
Landeskunde in Hessen und Nassau“, wurde die Arbeitsstelle weiterhin von Prof. Stengel ehrenamtlich geleitet; sie erhielt zwar Sachbeihilfen von kommunalen Gebietskörperschaften, hatte aber keine fest
etatisierten Personalstellen. Erst Theodor Mayer, der 1938 die Nachfolge Stengels antrat, regte die Umwandlung des bis dahin quasi halbamtlichen Instituts in eine staatliche Behörde an. Es kam seinen
Vorstellungen entgegen, dass der Bezirksverband Kassel schon länger
eine Konzentration der Landesforschung in Marburg anstrebte.
1937/38 hatten das Amt für Vor- und Frühgeschichte und ein „Landesamt für Volkskunde“ ihre Arbeit aufgenommen. Die Umwandlung
des landeskundlichen Instituts in ein „Landesamt für geschichtliche
Landes- und Volksforschung“ verzögerte sich durch den Kriegsausbruch bis 1941. Der Stellenplan des neueingerichteten Landesamts
umfasste zwei Kustoden, einen Zeichner und eine Verwaltungskraft.
Die räumliche Bindung an das Universitätsinstitut für mittelalterliche
Geschichte im Marburger „Kugelhaus“ blieb ebenso bestehen wie die
ehrenamtliche Leitung durch das Ordinariat für mittelalterliche Geschichte, das 1942 erneut von dem nach Marburg zurückgekehrten
53
E. E. Stengel übernommen wurde. Die Bezeichnung lautete fortan
wieder „Landesamt für geschichtliche Landeskunde von Hessen und
Nassau“.
Als nachgeordnete Behörde des Kommunalverbandes für den Regierungsbezirk Kassel konnte das Amt seine Arbeit auch nach dem
Krieg fortsetzen. Mit der Auflösung der Kommunalverbände 1953
wurde das Landesamt dem Hessischen Minister für Erziehung und
Volksbildung unterstellt. Heute gehört es zum Geschäftsbereich des
Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. 1966 bezog das Landesamt
gemeinsam mit den geisteswissenschaftlichen Instituten der PhilippsUniversität den Neubau in der Wilhelm-Röpke-Straße 6. Mit der Übernahme der Leitung durch Walter Schlesinger als Nachfolger Heinrich
Büttners auf dem Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte 1964 erhielt
die Einrichtung ihren heutigen Namen „Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde“. Die schon seit der Gründung 1960 von
Schlesinger ehrenamtlich geleitete „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“ wurde dem Landesamt 1962 als
Abteilung angegliedert. Der Aufbau der mit der Forschungsstelle verbundenen Spezialbibliothek (derzeit rund 50.000 bibliographische Einheiten und 7.500 Karten) wurde von der Bundesregierung bis einschließlich 1993 mit erheblichen Drittmitteln gefördert.
Langzeitprojekte, laufende Arbeiten, Publikationen:
Die Arbeiten am „Geschichtlichen Atlas von Hessen“ standen von Anfang an im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit des Landesamtes. Da
es an zusammenfassenden historisch-topographischen Grundlagenwerken für ein solches Unternehmen in Hessen fehlte, wurden
zunächst in Form relativ kleinräumiger Studien die älteren Siedlungsund Verfassungsverhältnisse des hessischen Raumes und seiner Territorien systematisch erforscht und kartographisch dokumentiert. Diese
Einzelstudien, die in einer eigenen Publikationsreihe, den „Schriften
des hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde“ erschienen sind (von 39 Bänden enthalten 20 zugehörige Atlasmappen),
erfassen inzwischen nahezu den gesamten hessischen Raum und sind
längst zu einer unentbehrlichen Grundlage für die landesgeschichtliche Forschung geworden. Parallel zu diesem Langzeitprojekt hatte
das hessische Landesamt seit den fünfziger Jahren einen geschichtli54
chen Handatlas vorbereitet, der für Unterrichtszwecke an Universitäten und Schulen sowie für Geschichtsfreunde allgemein gedacht war
und den Gesamtbereich des 1945 geschaffenen Bundeslandes Hessen
erfassen sollte. Der maßgeblich von Friedrich Uhlhorn konzipierte
„Geschichtliche Atlas von Hessen“, der seit 1960 in zahlreichen Teillieferungen erschien (insgesamt 53 Blätter mit 79 Karten), konnte 1984 mit
dem zugehörigen Text- und Erläuterungsband zum Abschluss gebracht werden. Damit verfügte Hessen als eines der ersten Bundesländer über ein modernes historisches Kartenwerk, welches das breite
Spektrum landesgeschichtlicher Forschung von der älteren Siedlungsgeschichte bis zur neueren Wirtschafts- und Sozialgeschichte des heutigen Landes zur Anschauung bringt; die Kooperation von Historikern, Geographen, Archäologen, Germanisten und Volkskundlern liefert im Textband eine unter vielfältigen Gesichtspunkten verfasste
Kommentierung.
In Fortführung der vom Landesamt seit seiner Gründung schwerpunktmäßig betriebenen historisch-kartographischen Forschungen
wurden nach Abschluss des „Geschichtlichen Atlas“ die Vorarbeiten
für einen „Hessischen Städteatlas“ begonnen, der als neues Langzeitprojekt betrieben wird und 130 Städte im heutigen Bundesland erfassen
soll. Dieser Atlas folgt den seit 1968 auf europäischer Ebene getroffenen und seit Mitte der siebziger Jahre vom „Institut für Vergleichende
Städtegeschichte“ in Münster im Westfälischen und Deutschen Städteatlas vorbildlich umgesetzten Übereinkünften. Allerdings wurde das
von Münster vorgegebene, vier Blätter pro Stadt umfassende Modell
erweitert. Im Hessischen Städteatlas wird jede Stadtmappe neben
einem umfangreichen Begleitheft sieben Karten auf sechs Blättern enthalten: eine mehrfarbige Urkatasterkarte (Maßstab 1:2.500) des 19. Jahrhunderts; ein zweigeteiltes Blatt (1:25.000) mit einer topographischen
Übersichtskarte aus dem 19. Jahrhundert, der eine aktuelle topographische Karte im gleichen Ausschnitt gegenübergestellt wird; eine
mehrfarbige Karte (1:2.500) zur Siedlungsentwicklung von den Anfängen bis zum Stand der Urkatasterkarte; eine mehrfarbige Karte
(1:5.000) zur Siedlungsentwicklung von der Mitte des 19. Jahrhunderts
bis heute; eine moderne Stadtkarte (1:5.000) sowie eine mehrfarbige
Übersichtskarte (1:750.000) des Bundeslandes Hessen, in welcher die
Städte der jeweiligen Lieferung hervorgehoben sind. Die erste Lieferung für die Städte Arolsen, Butzbach, Dieburg, Hersfeld, Homberg,
Limburg, Michelstadt und Wetter wird im Jahr 2000 erscheinen.
55
Neben umfangreichen historischen und topographischen Kartensammlungen verfügt das Hessische Landesamt über ein großes Flurnamenarchiv, das Ergebnis einer seit den dreißiger Jahren im Rahmen einer
auf die damalige preußische Provinz Hessen-Nassau begrenzten Sammelaktion zur Erfassung der mündlich überlieferten Flurnamen, die in
den sechziger Jahren zum Abschluss kam. Gemeinsam mit den entsprechenden Sammlungen des „Hessischen Flurnamenarchivs Gießen“
(im Fachbereich Germanistik der Justus-Liebig-Universität) für das Gebiet des ehemaligen Volksstaats Hessen bildete die Marburger Sammlung die Grundlage für den von dem Gießener Germanisten Hans
Ramge 1987 herausgegebenen „Hessischen Flurnamenatlas“. Die damals erfolgreich begonnene Kooperation mit dem Gießener Flurnamenarchiv wie mit dem „Forschungsinstitut für deutsche Sprache/
Deutscher Sprachatlas“ in Marburg, das die Erfahrungen seiner Abteilung für Linguistische Informatik einbrachte, wird fortgeführt.
Ähnlich wie in anderen Bundesländern wurde in den siebziger Jahren das Projekt eines „Historischen Ortslexikons des Landes Hessen“ in
das Arbeitsprogramm des Landesamtes aufgenommen. Dieses Ortslexikon soll auf der Grundlage eines einheitlichen Bearbeitungsschemas
in knapper Form über die wesentlichen Strukturelemente und -daten
der örtlichen Siedlungs-, Verfassungs-, Kirchen- und Wirtschaftsgeschichte informieren. Erfasst werden alle bestehenden und ausgegangenen örtlichen Siedlungen mit selbständigem Namen, auch Ortsteile,
Einzelhöfe, Burgen, Mühlen und Industrieansiedlungen. Die beigefügte Karte (1:50.000) enthält neben den Kreis- und Gemarkungsgrenzen sowie allen bestehenden Siedlungen auch die Ortswüstungen,
nicht zuletzt als wichtige Hinweise für die Archäologie und Siedlungsforschung. Erschienen sind bislang fünf Bände für die Altkreise
Witzenhausen, Fritzlar-Homberg, Marburg, Biedenkopf und Ziegenhain; in Vorbereitung befindet sich der Band für den Altkreis Gießen.
Das „Historische Ortslexikon“ dient als lexikalisches Nachschlagewerk dem Allgemein- und Landeshistoriker, dem Siedlungsgeographen und Namenforscher sowie dem Kenner und Liebhaber der Heimatgeschichte. Nicht zuletzt vermag es aber auch Zwecken der öffentlichen Verwaltung und in zunehmendem Maße den Belangen der
Denkmalpflege zu dienen.
56
Numismatik und Münzfundpflege:
Mit der Schaffung einer zusätzlichen, mit einem Numismatiker besetzten Kustodenstelle im Jahre 1964 wurde die laufende Betreuung
der aus Mittelalter und Neuzeit anfallenden Münzfunde im Lande zu
einem besonderen Tätigkeitsbereich. Alle Informationen über hessische Münzfunde werden (wie in anderen Bundesländern) in einer
Landesfundkartei organisiert, die mit dem „Zentralen Fundkatalog
Mittelalter/Neuzeit“ der Numismatischen Kommission der Länder in
der Bundesrepublik Deutschland in Hannover verbunden ist. Im Zusammenwirken mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen/Abt.
für Archäologische und Paläontologische Denkmalpflege, werden
neue Funde erfasst und gesichert und in Form von Quellenpublikationen vorgelegt. Über die laufende Berichterstattung in den „Fundberichten aus Hessen“ hinaus werden bedeutende Fundkomplexe in
Monographien und Aufsätzen behandelt, um sie als besondere gegenständliche Quelle der Landesgeschichte wie der Wirtschafts- und
Sozialgeschichte dienstbar zu machen.
Sonstige Dienstleistungen:
Im Zusammenwirken mit der „Arbeitsgemeinschaft der Historischen
Kommissionen in Hessen“ ist das Landesamt Mitherausgeber des seit
1951 erscheinenden „Hessischen Jahrbuchs für Landesgeschichte“, das zu
einem wesentlichen Teil auch redaktionell vom Landesamt betreut
wird. Im Jahrbuch erscheinen wissenschaftliche Beiträge zur hessischen und vergleichenden Landesgeschichte, Buchbesprechungen
und die jährlichen Tätigkeitsberichte der fünf Historischen Kommissionen und des Landesamtes. Das im Jahr 2000 zum fünfzigsten Mal
erscheinende Jahrbuch gehört zu den führenden landesgeschichtlichen Zeitschriften in Deutschland. Die 1973 begonnenen Reihe der
„Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte“
(bisher 17 Bände) ergänzt die „Schriften des hessischen Landesamtes“
und bietet größeren Arbeiten von der Vor- und Frühgeschichte bis zur
Gegenwart aus allen Bereichen der Landeskunde Platz. Insbesondere
die wissenschaftlichen Abhandlungen zur Stadtgeschichte der Neuzeit, etwa über Marburg, Hersfeld und Homberg/Ohm, dienen zugleich den Vorbereitungen für den „Hessischen Städteatlas“.
57
Das Personal des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde umfasst gegenwärtig neun feste Mitarbeiter: fünf Wissenschaftler, eine Bibliothekarin, einen Kartographen und zwei Angestellte für Verwaltung, Schreibdienst und Verlag. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter nehmen neben ihren fortlaufenden Langzeitprojekten und redaktionellen Daueraufgaben eine Reihe von weiteren
Funktionen wahr. Dazu zählen die Betreuung der umfangreichen Bibliothek, universitäre Lehraufträge, Unterrichtsverpflichtungen an
der Archivschule Marburg, Vorträge bei Geschichtsvereinen und auf
wissenschaftlichen Fachtagungen, Mitarbeit an eigenen und von
außen an das Landesamt herangetragenen Publikations- und Ausstellungsprojekten. Darüber hinaus sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter in verschiedenen Fachorganisationen auf hessischer, deutscher
und internationaler Ebene engagiert. Das Landesamt richtete wiederholt auch eigene wissenschaftliche Tagungen zu besonderen landesgeschichtlichen Themen aus. Das Spektrum reicht hier von einem
Symposium im Zusammenhang mit der Ausstellung über die Hl. Elisabeth im Jahre 1981 und einer Tagung über „Aspekte thüringischhessischer Geschichte“ unmittelbar nach Öffnung der innerdeutschen
Grenze sowie ein Kolloquium über „Interdisziplinäre Kulturlandschaftsforschung im ländlichen und städtischen Raum“ als Jahrestagung des Arbeitskreises landeskundlicher Institute und Forschungsstellen in der Deutschen Akademie für Landeskunde bis zu der historiographiegeschichtlich angelegten und begleitenden Veranstaltung
zum fünfzigjährigen Bestehen des „Hessischen Jahrbuchs für Landesgeschichte“ im September 1999.
Die Bibliotheksbestände des Landesamtes und der Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands sind katalogmäßig erfasst. In den Räumlichkeiten der Bibliothek des Fachgebiets aufgestellt, sind sie über diese für Forschung und Lehre benutzbar. Thematische Schwerpunkte beider Sammlungen bilden die
Landes- und Ortsgeschichte. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen landes- und regionalgeschichtlichen Zeitschriften und Publikationsreihen, die zu einem großen Teil im Austausch mit den herausgebenden Institutionen erworben werden. Durch die Einbindung in
die universitäre Institutsbibliothek sind beide Bibliotheken für Benutzer öffentlich zugänglich und über die elektronischen Kataloge des
Hessischen Bibliotheksverbundes (HEBIS) erschlossen.
58
Literaturhinweise
Ulrich REULING: Von der „Atlaswerkstatt“ zur Landesbehörde. Das Hessische Landesamt für geschichtliche Landeskunde in Marburg in seiner institutionellen und forschungsgeschichtlichen Entwicklung. In: Hundert
Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997, hg. von W. HEINEMEYER, Marburg 1997, Bd. 2, S. 1169-1203.
Friedrich UHLHORN: Der geschichtliche Atlas von Hessen. Planung und Gestaltung. In: Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 23 (1973), S. 62-80. – Fred
SCHWIND (Hg.): Geschichtlicher Atlas von Hessen. Text- und Erläuterungsband, 1984. – Ursula BRAASCH- SCHWERSMANN / Holger Th.
GRÄF: The Historic Town Atlas of Hesse (Hessischer Städteatlas). In:
Urban History Newsletter 24, 1998, S. 7f. – U. REULING, Der hessische
Raum als „Geschichtslandschaft“: Die Entwicklung der historischen
Raumvorstellungen im Spiegel der hessischen Atlasunternehmen. In:
Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 34, 1984, S. 163-192.
U. REULING, Auf der Suche nach der angemessenen Konzeption und Form:
Die Arbeit an regionalen Historischen Ortslexika in Deutschland seit dem
ausgehenden 19. Jh. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127, 1991,
S. 47-64. – Herbert WOLF, Hessische Flurnamensammlung. Ein Tagungsbericht. In: Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 14, 1964, S. 345-354.
Niklot KLÜSSENDORF, Die Münzfundpflege im Lande Hessen. Eine Einführung in Aufgaben und Arbeitsweise, 2. ergänzte Aufl. 1993. – Münzfundberichte des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, bearb. von Wolfgang HESS (bis 1980) bzw. N. KLÜSSENDORF:
Nr. 1 (1954-1975) = Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 25, 1975, S. 148222; Nr. 2-8 in: Fundberichte aus Hessen 15ff, 1975ff; zuletzt: Nr. 8 (1991
bis 1996), Fundberichte aus Hessen 36, 1996. Die Berichte sind über das
Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden, auch als selbständige
Schriften beziehbar.
Michael GOCKEL: Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“ und
der „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 64, 1993, S. 223-232.
59
Kirchliche Archive und Kirchengeschichte
Dr. Bettina Wischhöfer, Landeskirchliches Archiv der Evangelischen Kirche
von Kurhessen-Waldeck, Kassel
Die kirchlichen Archive in Deutschland haben sich gerade in den letzten Jahrzehnten zu wichtigen Stätten der Forschung entwickelt. Dies
gilt sowohl für die katholischen Diözesanarchive als auch für die Landeskirchlichen Archive im evangelischen Bereich. Sie nehmen an der
kirchengeschichtlichen Forschung teil. Nicht wenige geben eigene
wissenschaftliche Reihen heraus oder treten mit Ausstellungen und
Ausstellungskatalogen an eine breitere Öffentlichkeit.
Fünf Kirchenarchive verwahren, sichern und erschließen hessische
Geschichte. Dies sind das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau in Darmstadt und das Landeskirchliche Archiv
Kassel der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie auf
katholischer Seite das Bistumsarchiv Fulda, das Diözesanarchiv Limburg und das Dom- und Diözesanarchiv Mainz.
An der hessischen Landesgeschichtsforschung maßgeblich beteiligt
sind auch die Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung und die
Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte. Die kirchengeschichtlichen Vereine stellen sich die Aufgabe, die Kenntnisse der lokalen und regionalen geschichtlichen Vorgänge zu vertiefen, um mitzuhelfen, die eigene kirchliche Tradition deutlicher zu erkennen.
Gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts bildeten sich kirchengeschichtliche Vereinigungen zur Pflege der heimischen Kirchengeschichte. Sie gehören zu den freiwilligen Initiativen, die sich damals
um die kirchliche Neubelebung bemühten.
Die 1949 gegründete Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung
(HKV) gibt als wissenschaftliche Publikation neben dem „Jahrbuch
der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung“ eine Reihe
„Quellen und Studien zur hessischen Kirchengeschichte“ heraus und
organisiert in ihren Jahreshauptversammlungen Tagungen zur hessischen Kirchengeschichte. Die in Bischofsheim bei Mainz ins Leben gerufene HKV setzt die Tradition der 1901 in Friedberg gegründeten Ver60
einigung für hessische Kirchengeschichte fort. Ihr Sitz ist Darmstadt. Bis
1949 beschränkte sich die zunächst für das Großherzogtum Hessen
begründete Vereinigung auf den Bereich der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau. Bei der ersten Hauptversammlung der
Vereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde beschlossen, die Arbeit auch auf den Bereich der Evangelischen Kirche von KurhessenWaldeck auszudehnen. Seitdem ist die HKV eine der wenigen Institutionen, die das Gebiet beider hessischer Kirchen umfasst.
Die Kommission für Neuere Geschichte der Evangelischen Kirche von
Kurhessen-Waldeck wurde 1998 ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es,
die Erforschung der neueren Geschichte der Evangelischen Kirche
von Kurhessen-Waldeck zu fördern. Dies geschieht durch die Veröffentlichung von Quelleneditionen und wissenschaftlichen Darstellungen sowie durch Vortragsveranstaltungen.
Die 1948 gegründete Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte
ist ein Gemeinschaftswerk der Kirchenhistoriker und Freunde der
Kirchengeschichte in den Bistümern Fulda, Limburg, Mainz, Speyer
und Trier zur wissenschaftlichen Pflege der regionalen Kirchengeschichte. Sie veröffentlicht neben der seit 1954 erscheinenden Schriftenreihe „Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte“ seit 1950 jährlich eine eigene Zeitschrift, das „Archiv für
mittelrheinische Kirchengeschichte“. Sie behandelt die Geschichte der
fünf Bistümer sowie die kirchliche Denkmalpflege. Vorläufer waren
die 1883 begründeten „Geschichtsblätter für mittelrheinische Bisthümer“, an denen damals die Bistümer Mainz, Trier und Limburg beteiligt waren. Die Gründung lag später als bei den territorialgeschichtlichen Zeitschriften, die von den historischen Vereinen bereits im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurden.
Die Geschichtsblätter hatten keine lange Lebensdauer und mussten
ihr Erscheinen bereits 1885 wieder einstellen.
Kirchengesetze regeln den Umgang der Kirchenarchive mit ihrem
Archivgut. Entsprechend der Struktur der katholischen Kirche geschieht dies auf katholischer Seite zentral, während auf evangelischer
Seite jede Landeskirche ihre Angelegenheiten eigenständig regelt.
Beide Seiten verfügen mit der Bundeskonferenz bzw. dem Verband
kirchlicher Archive über Einrichtungen, die bundesweit agieren.
Für die Archive der katholischen Kirche gelten die Bestimmungen
der Deutschen Bischofskonferenz. Ihre Empfehlungen zum Archivwesen erlangen, nachdem sie von den einzelnen Bischöfen für ihre
61
Diözesen promulgiert worden sind, Rechtskraft für diese Diözesen, so
etwa die „Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive
der Katholischen Kirche“ von 1988. Die Bundeskonferenz der kirchlichen
Archive in Deutschland beschäftigt sich kontinuierlich mit Fragen des
Archivwesens. Der Vorsitzende der Bundeskonferenz vertritt die
kirchlichen Archive in der Kommission für Wissenschaft und Kultur, die
für das Archivwesen der katholischen Kirche auf überdiözesaner
Ebene zuständig ist. Die 1983 begründete Bundeskonferenz erfüllt als
übergeordneter Zusammenschluss aller Bistumsarchive beratende
und koordinierende Aufgaben.
Die landeskirchlichen Archive der evangelischen Kirche sind an die
jeweiligen Archivgesetze ihrer Landeskirchen gebunden. So gilt für
kirchliche Archive im Bereich der Landeskirche Hessen und Nassau
das Kirchenarchivgesetz der EKHN von 1984, während für kirchliche
Archive in Kurhessen-Waldeck das Archivgesetz der EKKW aus dem
Jahr 1997 verbindlich ist. Der Verband kirchlicher Archive in der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche, 1936
als Arbeitsgemeinschaft landeskirchlicher Archivare gegründet und
1961 im Rahmen der EKD institutionalisiert, erfüllt Aufgaben, die von
einzelnen kirchlichen Archiven nicht geleistet werden können, so
etwa die Diskussion von Grundsatzfragen in Archivrecht, -technik
und EDV.
Bistumsarchiv Fulda: Die Archivbestände umfassen 650 Urkunden
und 1.000 Meter Akten und Amtsbücher. Die frühere Reichsabtei
Fulda war 1752 zum Fürstbistum erhoben worden. Mit der Säkularisierung von 1802/03 wurde das fürstbischöfliche Territorium Teil des
Fürstentums Oranien-Nassau, wurde 1806 französisch, kam 1810 zum
rheinbündischen Großherzogtum Frankfurt und 1815 schließlich zum
wiederhergestellten Kurfürstentum Hessen. Fulda selbst blieb Bischofssitz (für ganz Kurhessen). Durch das Konkordat von 1929 wurden eine Reihe nach Frankfurt eingemeindeter Orte dem Bistum Limburg, die Exklave Grafschaft Schaumburg der Diözese Hildesheim zugeteilt. Die Bestände der weltlichen Verwaltung des Fürstbistums und
zu großen Teilen auch der kirchlichen Verwaltung für Reichsabtei,
Fürstbistum und napoleonische Zeit kamen im Laufe des 19. Jahrhunderts ins Staatsarchiv Marburg.
Diözesanarchiv Limburg: Die Archivbestände umfassen knapp 100
Urkunden, 400 Meter Akten und 340 Meter Amtsbücher. Mit der Inbesitznahme der rechtsrheinischen Gebiete durch das revolutionäre
62
Frankreich 1794 hatte der Erzbischof von Trier das dortige Generalvikariat nach Limburg verlegt. 1827 wurde das Bistum Limburg im Rahmen der Oberrheinischen Kirchenprovinz neu aus Teilen der früheren
Erzbistümer Trier und Mainz sowie aus einem kleineren Teil des Erzbistums Köln und aus diözesanfreien Pfarreien gebildet. Es umfasste
aus dem rechtsrheinischen Teil des ehemaligen Erzbistums Trier und
dem rechtsrheinischen Teil von Mainz alle Pfarreien des Herzogtums
Nassau und der Freien Stadt Frankfurt. 1884 kamen der Kreis Biedenkopf und das Amt Homburg von Mainz, 1929 und 1933 weitere Stadtteile von Frankfurt und der Kreis Wetzlar hinzu. Im Gefolge der Säkularisation wurden die Bestände des Archidiakonats Dietkirchen
und des St. Georgstiftes in Limburg von der Herzoglichen Regierung
übernommen und befinden sich heute im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.
Dom- und Diözesanarchiv Mainz: Die Archivbestände umfassen 900
Urkunden und 1.000 Meter Amtsbücher und Akten. Die „hessische“
Geschichte des Erzbistums Mainz ist zu umfangreich, als dass sie an
dieser Stelle auch nur annähernd befriedigend skizziert werden kann.
Es soll der Hinweis reichen, dass die Machtstellung der Mainzer Erzbischöfe im hessischen Raum, vor allem im Mittelalter und in der
frühen Neuzeit, bedeutend war. Zeugnisse dieser Entwicklung finden
sich u.a. in den Beständen „Hessisches Bistum Mainz“. Als Folge der
Wirren der Französischen Revolution befindet sich der Hauptanteil
des alten Mainzer Archivs heute im Staatsarchiv Würzburg und im
Österreichischen Staatsarchiv in Wien. Nach dem Pertinenzprinzip
gelangten die übrigen Teile in die Staatsarchive Darmstadt, Wiesbaden, Marburg, Karlsruhe und Magdeburg.
Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: Die Archivbestände umfassen gut 500 Urkunden, etwa 2.200 Meter Akten
und Amtsbücher und eine Fotosammlung. Das Archivgut des Zentralarchivs umfasst im wesentlichen Schriftgut zentraler und mittlerer
Instanzen der 1947 begründeten „Evangelischen Kirche in Hessen und
Nassau“ sowie Bestände ihrer Vorgängerkirchen. Daneben werden
begleitende Sammlungen angelegt und Nachlässe kirchlicher Persönlichkeiten (Nachlass Martin Niemöller) sowie im Bedarfsfall auch
Pfarrarchive als Deposita übernommen. Das Archivgut kirchlicher
Oberbehörden der nassauischen Territorien bis etwa 1866 wird im
Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden verwahrt. Entsprechendes
gilt für kirchliches Archivgut der ehemals hessen-darmstädtischen
63
Gebietsteile, das, soweit erhalten, bis etwa 1850 im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt liegt. Schriftgut über kirchliche Angelegenheiten
der Reichs- bzw. späteren Freien Stadt Frankfurt am Main bis in die
erste Hälfte des 19. Jahrhunderts befindet sich, soweit nicht im Zweiten Weltkrieg vernichtet, im heutigen Institut für Stadtgeschichte
Frankfurt am Main.
Landeskirchliches Archiv Kassel: Die Archivbestände umfassen 650
Meter Akten und Amtsbücher. Neben Schriftgut der Konsistorien Kassel, Marburg, Hanau (seit 1873 Gesamtkonsistorium Kassel) und des
Konsistoriums Waldeck werden die Bestände der Evangelischen Kirche in Hessen-Kassel (1924-1934) und der Evangelischen Kirche von
Kurhessen-Waldeck (seit 1934) verwahrt. Ein Teil der Konsistorialbestände lagert im Staatsarchiv Marburg. Als Deposita werden Pfarr- und
Dekanatsarchive wie auch das Archiv des Hessischen Diakonissenhauses in Kassel aufbewahrt. Nachlässe kirchlicher Persönlichkeiten und
Sammlungen (Sammlung Kirchenkampf) komplettieren die Bestände.
In allen kirchlichen Archiven finden sich Kirchenbücher, die Aufschluss geben über die zentralen christlichen Lebenspunkte wie Geburt/Taufe, Kommunion/Konfirmation, Heirat, Tod. Für Familienforscher sind diese Quellen von besonderer Anziehungskraft. Um dieses vielbenutzte Archivgut für die Nachwelt zu erhalten, findet seit
Jahren auf katholischer wie auf evangelischer Seite die Kirchenbuchverfilmung statt. Nach Abschluss der Verfilmung werden die Originale in aller Regel nicht mehr verwendet, sondern als Microfiches zur
Benutzung vorgelegt.
Literaturhinweise
Handbuch des kirchlichen Archivwesens I, Die zentralen Archive in der evangelischen Kirche , hg. von Hans OTTE (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche
3). Neustadt an der Aisch 1997.
Bettina WISCHHÖFER: Landeskirchliches Archiv Kassel. Kassel 1997.
Hans AMMERICH: Die Bistumsgeschichtsvereine und die Bistumsarchive. In:
Der Archivar 51, 1998, Sp. 71-80.
Führer durch die Bistumsarchive der katholischen Kirche in Deutschland, hg.
von der Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland. 2. erw.
Auflage, Siegburg 1991.
64
Karl DIENST: Aus der Geschichte der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung. Vorabdruck zu: Jahrbuch der Hess. Kirchengeschichtl. Vereinigung 50, 1999, S. 1-64 – Satzung der Hessischen Kirchengeschichtlichen
Vereinigung (Fassung 1999).
Martina KNICHEL, Die Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte.
Geschichte ihres 50jährigen Bestehens (= Quellen und Abhandlungen zur
mittelrheinischen Kirchengeschichte 85). Mainz 1998.
Internet: www.archive.hessen.de; www.ekkw.de/archiv.
65
Archive der Wirtschaft
Dr. Ulrich Eisenbach, Hessisches Wirtschaftsarchiv e.V., Darmstadt
Während staatliche, kirchliche und kommunale Archive zum Teil auf
eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken können, sind Archive
der privaten Wirtschaft, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen,
zumeist Gründungen des 20. Jahrhunderts, ja überwiegend sogar der
letzten Jahrzehnte. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Eine Ursache
war sicherlich die Interessenlage der Geschichtswissenschaft, die sich
bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert vornehmlich mit den sogenannten Haupt- und Staatsaktionen, also der politischen und militärischen Geschichte beschäftigte. Wirtschaftsgeschichte oder gar Unternehmensgeschichte blieben exotische Randgebiete, die von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. Erst unter dem Eindruck
der Umwälzungen durch die industrielle Revolution, die im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts große Teile Deutschlands erfasste und
auch den politischen Bereich zunehmend beeinflusste, wandte sich
das Interesse allmählich der Wirtschaftsgeschichte zu. Auf die Erfahrungen in staatlichen und kommunalen Archiven, deren Unterlagen
oft nur unbefriedigende Antworten auf wirtschaftsgeschichtliche Fragen lieferten, reagierten im Besonderen die Vertreter der jüngeren Historischen Schule der Nationalökonomie, allen voran Gustav Schmoller, und Wirtschaftshistoriker wie Karl Lamprecht. Ihnen gebührt das
Verdienst, Wirtschaftsgeschichte als universitären Forschungs- und
Lehrgegenstand etabliert zu haben.
Weitere Impulse für die Einrichtung spezieller Unternehmensarchive gingen von den Großunternehmen aus, die gegen Ende des 19.
Jahrhunderts, zuerst im Bereich der Montan- und Schwerindustrie in
Deutschland entstanden. Bei ihnen führte die Ausweitung der Geschäftstätigkeit zu einem derartigen Anwachsen der Registraturen,
dass sich daraus automatisch ein Bedürfnis nach der Zusammenführung der historischen Quellenzeugnisse in eigenen Archiven entwickelte. Im Vordergrund stand dabei nicht so sehr der Wunsch, das
eigene Handeln der Nachwelt zu überliefern, sondern der Gedanke
66
der Rechtssicherung und Rechtswahrung, den bereits Jakob Fugger
mit seiner Definition der Archive als „Rüstkammern für Beweismittel“ prägnant formuliert hatte.
Den äußeren Anstoß für die Gründung von Firmenarchiven gaben
meist Firmenjubiläen. So entstand in der Vorbereitungsphase zum
1912 anstehenden 100-jährigen Jubiläum der Firma Krupp 1905 in
Essen das wohl erste, heute noch existierende Unternehmensarchiv in
Deutschland. Zwei Jahre jünger sind die Unternehmensarchive von
Siemens in Berlin (heute München) und der Farbenfabriken von Bayer
in Leverkusen. Bereits 1906 hatte in Köln das Rheinisch-Westfälische
Wirtschaftsarchiv – eine Gründung der Handelskammern der preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen – als erstes regionales,
überbetriebliches Wirtschaftsarchiv seine Arbeit aufgenommen. Ebenfalls 1906 richtete die Handelskammer Leipzig das „Archiv für Wirtschaftsgeschichte Leipzigs“ ein, das allerdings ebenso wenig wie das
im gleichen Jahr in Saarbrücken aus der Taufe gehobene Südwestdeutsche Wirtschaftsarchiv von dauerhaftem Bestand sein sollte.
Hessen, das bekanntermaßen bei der Industrialisierung keine Vorreiterrolle spielte, hinkte auch bei der Entwicklung der Unternehmensarchive hinterher. Einzig und allein das Chemieunternehmen
Merck in Darmstadt darf sich zu dem kleinen Kreis derjenigen Unternehmen zählen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein eigenes Archiv ins Leben gerufen haben. Das Merck-Archiv existierte seit etwa
1905, zunächst jedoch nicht als typisches Unternehmensarchiv, sondern eher als genealogisch orientiertes Familienarchiv. Erst Ende der
1970er Jahre erfolgte eine Schwerpunktverlagerung hin zur Unternehmensgeschichte.
Alle übrigen heute in Hessen bestehenden Unternehmensarchive
können bestenfalls auf eine 30 bis 40-jährige Geschichte zurückblicken.
Die meisten sind erst in den vergangenen zehn Jahren gegründet worden. In jüngster Zeit ist bei einigen Unternehmen ein vorsichtiger
Trend zur Neubewertung des historischen Erbes zu erkennen, das insbesondere in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Gleichwohl muss konstatiert werden, dass es
gemessen an der Zahl der traditionsreichen Unternehmen in Hessen
viel zu wenig Unternehmensarchive gibt – sofern man darunter nicht
lediglich eine Ansammlung von Altakten, sondern eine Einrichtung
mit gewissen Mindestanforderungen wie Betreuung durch einen
hauptamtlichen Archivar und regelmäßige Bewertung des ausgeson67
derten Registraturguts versteht. Vor allem außerhalb Frankfurts und
des Rhein-Main-Gebietes ist das Netz der Unternehmensarchive nach
wie vor sehr weitmaschig.
Die in Frankfurt ansässigen Großbanken verfügen inzwischen fast
alle über eigene, fachlich geführte Archive. An erster Stelle zu nennen
ist hier das Historische Institut der Deutsche Bank AG, das mit ca.
5.000 lfm Akten und Geschäftsbüchern den umfangreichsten Bestand
verwaltet. Darin findet sich nicht nur die Überlieferung des eigenen
Unternehmens, sondern auch die der Disconto-Gesellschaft, Berlin,
des A. Schaafhausen’schen Bankvereins, Köln, sowie anderer Bankinstitute, die in der Deutsche Bank AG aufgegangen sind. Weniger umfangreich, aber zeitlich weiter zurückreichend ist das Archiv der Commerzbank AG, das u.a. auch die Überlieferung der Mitteldeutschen
Creditbank enthält. Die 1948 gegründete Kreditanstalt für Wiederaufbau hat erst vor einigen Jahren ein Archiv eingerichtet, und die Archive der Dresdner Bank AG und der Deutschen Genossenschaftsbank sind noch im Aufbau begriffen. Im Zusammenhang mit den
Frankfurter Banken muss auch das Historische Archiv der Deutschen
Bundesbank erwähnt werden, dem neben einer ca. 170.000 Bände
zählenden Bibliothek und einer Pressedokumentation mit ca. 6 Mio.
Zeitungsausschnitten seit 1999 auch ein Geldmuseum angeschlossen
ist. Weniger günstig sieht es bei den hessischen Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen aus. Als einzige in dieser Gruppe
besitzt die Sparkasse Wetterau in Friedberg ein eigenes Archiv.
Die chemische Industrie ist mit drei bedeutenden Unternehmensarchiven vertreten. Außer dem bereits oben erwähnten Archiv der
Merck KGaA in Darmstadt sind dies die Archive der Hoechst AG und
der Degussa-Hüls AG, die beide in Frankfurt a.M. angesiedelt sind.
Vor allem das Archiv der Hoechst AG, 1955 gegründet und inzwischen unter der Firma HistoCom GmbH eine selbständige Gesellschaft, zählt aufgrund des Umfangs seiner Bestände (ca. 9.000 lfm
Akten und Geschäftsbücher) und der Bedeutung des Unternehmens
zu den wichtigsten Unternehmensarchiven in Deutschland. Während
in der Zentrale am Stammsitz in Frankfurt-Höchst die Aktenbestände
des Konzerns und der Chemischen Fabrik Griesheim verwahrt werden, sind die historischen Unterlagen der angegliederten Unternehmen wie Kalle & Co., Chemische Werke Albert, Behringwerke AG und
Naphtol-Chemie Offenbach am jeweiligen Standort verblieben und
werden von Höchst aus dezentral betreut.
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Abgesehen von Frankfurt am Main verdienen vor allem Darmstadt
und Wiesbaden als Standorte von Unternehmensarchiven Erwähnung. In Darmstadt unterhält neben der Merck KGaA auch die Wella
AG ein eigenes Archiv, dem eine umfangreiche Sammlung von Gegenständen aus der Geschichte der Haarpflege angegliedert ist. Überhaupt gehört es zum Charakteristikum von Unternehmensarchiven,
dass sie neben ihren Aktenbeständen oft mehr oder weniger umfangreiche Objektsammlungen oder gar regelrechte Firmenmuseen betreuen. In Wiesbaden verfügen die traditionsreichen Unternehmen
Dyckerhoff AG und Henkell & Söhnlein Sektkellereien KG über eigene Archive. Dazu kommen außerhalb des Rhein-Main-Gebiets die
Archive der Buderus AG in Wetzlar und (seit 1998) der B. Braun Melsungen AG in Melsungen. Firmenübergreifend und nicht auf Hessen
beschränkt sammelt das Archiv des Börsenvereins des Deutschen
Buchhandels e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main Dokumente zur Geschichte des Buchhandels und des Verlagswesens. U.a. wird dort auch
das Firmenarchiv des Verlags Karl Robert Langewiesche in Königstein/Ts. verwahrt.
Neben diesen fachlich geführten und von hauptamtlichen Mitarbeitern betreuten Unternehmensarchiven gibt es eine Reihe von Unternehmen, die ihre historischen Unterlagen nebenamtlich (meist von
Mitarbeitern der Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) oder
von ehrenamtlichen Kräften (häufig ausgeschiedene, geschichtlich interessierte Mitarbeiter) verwalten lassen. Zwar fehlt es in diesen Fällen häufig an geeigneten Kräften und der nötigen Kontinuität, da es
oft schwer fällt, geeignete Nachfolger zu finden, doch werden damit
wertvolle Archivbestände wenigstens für den Augenblick vor der Vernichtung bewahrt. Ehren- oder nebenamtlich geführte Unternehmensarchive gibt es u.a. bei der Binding Brauerei AG in Frankfurt, der
Hensoldt AG Optische Werke in Wetzlar, der Leica GmbH, ebenfalls
Wetzlar, der Mineralbrunnen Gebrüder Appel KG, der Röhm GmbH
Chemische Fabrik in Darmstadt und der Veritas AG in Gelnhausen.
Die Einrichtung und Unterhaltung eines Archivs – sei es in nebenoder hauptamtlicher Form – ist bei realistischer Einschätzung nur den
größeren Unternehmen möglich. Die wenigsten kleinen oder mittelständischen Unternehmen sehen sich in der Lage, die personellen, finanziellen oder räumlichen Voraussetzungen für ein eigenes Archiv
zu schaffen. Für sie bietet sich die Abgabe ihrer historischen Unterlagen an das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt an.
69
Das Hessische Wirtschaftsarchiv ist 1992 von den hessischen Industrie- und Handelskammern als gemeinnütziger Verein gegründet
worden. Es hat seinen Sitz im Haus der Geschichte in Darmstadt, wo
ihm vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst Arbeitsräume und ein Magazin zur Verfügung gestellt werden. Die Aufgabe des Hessischen Wirtschaftsarchivs besteht darin, archivwürdige
Dokumente aus dem Hessischen Wirtschaftsleben, vor allem aus
Kammern, Unternehmen und Verbänden, dauerhaft zu sichern, zu erschließen und der Forschung zugänglich zu machen. Darüber hinaus
soll es durch Publikationen und Ausstellungen dazu beitragen, das Interesse an regionaler Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte zu
wecken und entsprechende Forschungen anzustoßen. Bei der Durchführung dieser Aufgabe erhält es Unterstützung von einem wissenschaftlichen Beirat, dem die drei Direktoren der hessischen Staatsarchive und die Inhaber wirtschafts- und technikgeschichtlicher Lehrstühle an hessischen Universitäten angehören. Der wissenschaftliche
Beirat gibt die Reihe „Schriften zur hessischen Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte“ heraus, von der bis 1999 vier Bände erschienen sind.
Knapp die Hälfte des ca. 3.500 lfm umfassenden Aktenbestandes im
Hessischen Wirtschaftsarchiv entfällt auf die Überlieferung der Industrie- und Handelskammern. Bei den dort angefallenen Geschäftsunterlagen handelt es sich um öffentliches Schriftgut, das unter Berücksichtigung der im Hessischen Archivgesetz vorgesehenen Schutzfristen zu Forschungszwecken eingesehen werden darf. Anders verhält
es sich bei den 60 Firmenarchiven, die bis 1999 ins Hessische Wirtschaftsarchiv gelangt sind. Sofern es sich nicht um Übernahmen aus
Konkursen handelt, sind die Eigentums- und Verfügungsrechte bei
den Unternehmen verblieben, die im Einzelfall die Einsichtnahme in
ihre Unterlagen verwehren können. Es sei jedoch darauf hingewiesen,
dass von diesem Recht kaum Gebrauch gemacht wird.
Zu den wichtigsten Unternehmensbeständen im Hessischen Wirtschaftsarchiv zählt das Archiv der Metallgesellschaft. Mit seinen Teilbeständen „Metallgesellschaft, Konzern“, „Vereinigte Deutsche Metallwerke“, dem Nachlass von Richard Merton und den Unterlagen
des Instituts für Gemeinwohl hat es einen Umfang von ca. 400 lfm.
Ähnlich umfangreich ist die Überlieferung der Deutsche Börse AG mit
Tausenden von Börsenzulassungsakten, die bis in die 1860er Jahre
zurückreichen und neben wichtigen Informationen über die an der
70
Frankfurter Börse zugelassenen Aktiengesellschaften oft auch Muster
von Wertpapieren enthalten. Gut dokumentiert ist die Geschichte der
Gießerei- und Ofenindustrie an Lahn und Dill mit den Archiven der
Frank Aktiengesellschaft in Niederscheld bei Dillenburg, der Neuhoffnungshütte Haas + Sohn in Sinn und der WESO Aurorahütte bei
Gladenbach, des Braunkohlenbergbaus in der Wetterau und bei Borken sowie der Kaliindustrie in Heringen, Neuhof b. Fulda und Philippsthal. Der Maschinenbau ist mit den Firmenarchiven der Schiele
GmbH in Frankfurt-Bockenheim bzw. Eschborn, der Deutsche Vereinigte Schuhmaschinen GmbH in Frankfurt a.M., der Rheinhütte Ludwig Beck in Wiesbaden-Biebrich und der Maschinenfabrik Theodor
Ohl in Limburg, die Straßenbaumaschinen herstellen, vertreten. Zu
den ältesten Aktenbeständen im Hessischen Wirtschaftsarchiv zählen
die Unterlagen der Isabellenhütte Heusler KG in Dillenburg – eine
Kupferhütte, die bis ca. 1860 auch Kupfer- und Manganerzbergbau betrieb – und der L. Schellenberg’schen Hofbuchdruckerei in Wiesbaden, deren Druckerzeugnisse seit dem frühen 19. Jahrhundert nahezu
vollständig erhalten sind.
Neben dem Schriftgut aus Industrie- und Handelskammern, Verbänden und Unternehmen verfügt das Hessische Wirtschaftsarchiv
über eine wirtschaftsgeschichtliche Fachbibliothek mit einer umfangreichen Sammlung von Firmenfestschriften. Darüber hinaus gibt eine
schnell wachsende Fotosammlung, die mehr als 7.000 verzeichnete
und mehrere Tausend unverzeichnete Fotos (Stand November 1999)
enthält. Hingewiesen sei auch auf die Sammlung von Inflations- und
Notgeldscheinen, die Sammlung von Reklamemarken hessischer Unternehmen und die Ansichtskartensammlung mit Motiven aus der
hessischen Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte.
Die Übersicht über hessische Wirtschafts- und Unternehmensarchive wäre ohne Hinweis auf einige Kommunalarchive und Museumsvereine, die sich um die Sicherung und Aufbereitung von Unternehmensschriftgut große Verdienste erworben haben, unvollständig. Vor allem gilt dies für das Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt
am Main, das seit vielen Jahren eine eigene Abteilung „Wirtschaftsarchiv“ eingerichtet hat. Ähnlich wie das Hessische Wirtschaftsarchiv,
allerdings beschränkt auf das Gebiet der Stadt Frankfurt, bietet es den
Unternehmen seine Hilfe bei der Verwahrung und Erschließung der
Archivalien an. Zu den vom Institut für Stadtgeschichte betreuten Unternehmensarchiven zählen die Archive des Bankhauses Bethmann,
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der Feinseifen- und Parfümeriefabrik J. G. Mouson und der Hartmann
& Braun AG sowie die Altakten der Handelskammer Frankfurt am
Main (bis 1920), die Anfang der 50er Jahre als Depositum des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden nach Frankfurt a. M. gekommen
sind. Das Stadtarchiv in Rüsselsheim verfügt über eine umfangreiche
Dokumentation zur Geschichte der Adam Opel AG, mit der die Entwicklung der Stadt eng verknüpft ist; das Stadtarchiv in Offenbach
a.M. verwahrt die Überlieferung des Frankfurter Bankhauses Metzler.
Unterlagen zum nordhessischen Braunkohlenbergbau finden sich im
Bergbaumuseum in Borken, Altakten der Dachschiefergewerkschaft
Langhecke im Bergbau- und Stadtmuseum Weilburg, Materialen über
die längst untergegangene Automobilfabrik Röhr im Heimatmuseum
der Stadt Ober-Ramstadt und Dokumente aus der Geschichte der Kaliindustrie im Werra-Kalibergbau-Museum in Heringen/Werra. Nur
in Einzelfällen befinden sich ausgesprochene Firmen- oder Betriebsarchive auch im Gewahrsam der Staatsarchive. Das gilt etwa für das
wertvolle Archiv des Kasseler Privatbankhauses Pfeiffer im Staatsarchiv Marburg oder für die mit dem Archiv der Grafen Solms-Rödelheim nach Darmstadt gelangte Überlieferung des Braunkohlenbergwerks Ossenheim.
Die vorstehende Übersicht kann naturgemäß nicht vollständig sein.
Manches Unternehmen, das sich redlich um die Pflege seines Archivs
bemüht, wird seinen Namen in diesem Beitrag vergeblich suchen. Um
eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, sollte man sich mit entsprechenden Informationen an das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt bzw. an die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (c/o
Detlef Krause, Commerzbank AG, ZKV-Historische Dokumentation,
60261 Frankfurt a. M.) wenden, die in Hessen als Mittler zwischen der
Forschung und den Archiven der Wirtschaft fungieren. Auch ist
davon auszugehen, dass noch in zahlreichen, hier nicht erwähnten
hessischen Komunalarchiven und Museums- bzw. Heimatvereinen
Unternehmensbestände existieren, die der Forschung und einer interessierten Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Hier mit einer möglichst
vollständigen Übersicht Abhilfe zu schaffen, wäre sicherlich eine lohnende und verdienstvolle Aufgabe.
72
Literaturhinweise:
Evelyn KROKER / Renate KÖHNE-LINDENLAUB / Wilfried REININGHAUS (Hg.): Handbuch für Wirtschaftsarchivare. Theorie und Praxis.
München 1998.
Harald WINKEL: Wirtschaftsarchive und die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare in ihrer Bedeutung für die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. In: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirtschaft 18, 1985, S. 43-45.
Renate SCHWÄRZEL: Deutsche Wirtschaftsarchive. Eine statistische Betrachtung. In: Archiv und Wirtschaft. Zeitschrift für das Archivwesen der Wirtschaft 28, 1995, S. 101-105.
73
Denkmalpflege als Geschichtspflege
Dr. Ing. Michael Neumann,
Landesamt für Denkmalpflege/Außenstelle Marburg
Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg:
Die erhaltenden Bemühungen um das bemerkenswerte Bauwerk als
Gegenstand der Erinnerung waren seit jeher von dem Wunsch getragen, Geschichtszeugnisse sichtbar zu machen. Seit den ersten Ansätzen staatlicher Denkmalpflege – diese reichen in Hessen bis ins späte
18. Jahrhundert zurück – verstand sich die konservierende Behandlung von Bauten und Ruinen als Pflege jener geschichtlichen Zeugnisse, denen man – vor allen Dingen nach den napoleonischen Kriegen – einen besonderen Stellenwert für die „vaterländische Geschichte“ einräumte. Für diese sogenannten „klassischen“ Denkmale
wurde durch Kunstgelehrte, Architekten und Historiker der wissenschaftliche Boden aufbereitet.
Sowohl die Erforschung des Mittelalters, als auch das Studium seiner Bauzeugnisse stellten nach den Befreiungskriegen eine entscheidende Orientierungshilfe auf der Suche nach nationaler Identität dar
und prägten einen Denkmalbegriff, der über den edlen und schönen
Schauwert hinausgehen konnte und sich zunehmend dem geschichtlichen Zeugnischarakter von Bauten und Gegenständen eines bestimmten Herrschaftsbereichs widmete. Die neu entstehenden Geschichts- und Altertumsvereine wirkten hier mit der noch schwach
entwickelten Denkmalpflege zusammen. Quellenveröffentlichungen
und die Herausgabe von Inventarbänden über Bau-, Boden- und
Kunstdenkmäler waren erste Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit.
Erste Schutzverordnungen für Baudenkmale wurden nach 1800 in
fast allen mitteleuropäischen Groß- und Kleinstaaten erlassen. Das
galt vornehmlich für jene Landesherren, die mit der Konservierung
der dynastischen „Monumente“ ihrer eigenen Familie zugleich eine
neue regionale Identität schaffen wollten. Die wohl älteste derartige
Verordnung im deutschsprachigen Raum erließ am 22. Dez. 1780
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Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel „… zum Erhalt der im
Lande befindlichen Monumente und Altertümer“. Eine Vorreiterrolle
hatte auch die von Oberbaurat Georg Moller angeregte Verordung des
Darmstädter Großherzogs Ludewig I. zur „Erhaltung der vorhandenen Denkmäler der Baukunst“ vom 22. Jan. 1818. Mitunter wurden erinnerungswürdige Zeugnisse zur Erbauung für Volk und Nation politisch gezielt und mit großem Aufwand instandgesetzt oder zu Ende
gebaut. Das „merkwürdige Denkmal“, zu dessen Schutz beispielsweise König Ludwig II. von Bayern 1868 einen „Generalkonservator“
einsetzte, entwickelte sich nach der Gründung des Reichs zum „Zeugnis deutscher Geschichte“ und wurde über das Interesse einzelner
Kunstgelehrter, Bildungsbürger, Landesherren und Bauschaffender
hinausgehend zum Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit. 1892
wurde Ludwig Bickell zum ersten preußischen Bezirkskonservator in
Kassel berufen.
Die Qualitätsmaßstäbe für Bau- und Kunstdenkmale wurden zwar
immer von politischen Ereignissen, von Modeströmungen und zeitbedingten Schönheitsidealen mitbestimmt, sind aber besonders seit
der Jahrhundertwende von forschenden Architekten und Kunstwissenschaftlern geprägt worden, die über Quellenforschung, Bestandsaufnahme, Objekt- und Stilvergleich zu einer möglichst objektiven
Bewertung zu gelangen suchten. Dennoch sollte der Denkmalschutz,
der als „staatstragendes Element“ galt, im neuen Reich vornehmlich
der Ehre des Kaiserhauses dienen, was trotz der anfänglich vom Idealismus getragenen Anfängen zu Störungen in der positiven, wissenschaftlich orientierten Entwicklung führte.
Ruinöse Zeugnisse der Architektur wurden oft auf pseudowissenschaftlicher Grundlage so „rekonstruiert“ wie man sich mittelalterlich
Architektur vorstellte bzw. meinte, diese interpretieren zu können.
Dazu wurden viele Thesen und Antithesen formuliert, die zum Teil
harte Auseinandersetzungen unter Gelehrten und Fachleuten, aber
auch in der breiteren Öffentlichkeit auslösten. Der Streit um die Rekonstruktion des Ottheinrich-Baus im Heidelberger Schloss im Jahre
1900 kann als Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen und zugleich
als Geburtsstunde moderner Denkmalpflege bezeichnet werden. Die
Diskussion war geprägt vom aufgeklärten Geschichtssverständnis
des Kunstgelehrten Georg Dehio, der im Windschatten großer englischen Vorreiter wie John Ruskin und William Morris auch der deutschen Denkmalpflege ein allgemeingültiges Selbstverständnis und
75
eine Argumentationsstruktur für kommende Fragen dieser Art schaffen wollte und dazu ein Plädoyer für das „Konservieren“ und gegen
die Vollendungssucht des 19. Jahrhunderts führte. Seine Forderung
„Nicht restaurieren – wohl aber konservieren“ ist seitdem zu den am
häufigsten zitierten Leitsätzen der Denkmalpflege geworden.
In der Zwischenzeit hatte eine zunehmende Spezialisierung der
Landesgeschichte wie auch der Denkmalpflege zu einer stärkeren Institutionalisierung geführt, was notgedrungen eine Lockerung der
traditionellen Bindungen der beiden Disziplinen bewirkte, die
zunächst eine untrennbare Einheit gebildet hatten. Ihr vordem gemeinsamer Einsatz wurde zum Teil von der um 1900 einsetzenden
Heimatschutzbewegung übernommen, die sich mehr den gegenwartsbezogenen Zielen des Bauens und der Denkmalpflege innerhalb
der jeweiligen Stadt- und Kulturlandschaft widmete und sowohl der
Spekulationsarchitektur, als auch dem Eklektizismus der Gründerjahre eine pointierte Absage zugunsten einer sachlicheren regionalspezifischen Moderne erteilte. Das abermals richtungweisende „Gesetz den Denkmalschutz betr.“ des Großherzogtums Hessen vom 16.
Juli 1902 berief die „traditionalistischen“ Architekturprofessoren
Georg Wickop, Friedrich Pützer und Heinrich Walbe zu ProvinzialDenkmalpflegern; Walbe hatte sich vor allem um die Erforschung des
hessisch-fränkischen Fachwerks verdient gemacht. 1904 wurde auf
Reichsebene der „Bund Heimatschutz“ gegründet, der sich verstärkt
der Volkskunst und somit auch der Erforschung des bäuerlichen und
bürgerlichen Bauens zuwandte. In Hessen wurde nach den bereits
1901 in Gießen begründeten „Hessischen Blättern für Volkskunde“
1906 unter dem Protektorat des Darmstädter Großherzogs die Zeitschrift „Hessen-Kunst / Jahrbuch für Kunst und Denkmalpflege in
Hessen und im Rhein-Main-Gebiet“ ins Leben gerufen.
Der erste Weltkrieg schwächte die positive Entwicklung der Denkmalpflege. Die Verbindung zu den Heimatschutzverbänden brachte
zwar in den Notzeiten der Nachkriegsjahre mit Inflation und Wirtschaftskrise eine sowohl ideell wie auch materiell breitenwirksamere
Akzeptanz, brachte aber dann in den 30er Jahren eine gefährliche
Nähe zur Blut- und Bodenideologie des Nationalsozialismus. Mit dem
staatsideologischen Ziel, die führende Rolle des Deutschtums in der
Kunst nachzuweisen, war auch die staatliche Denkmalpflege gefordert. Ihre führenden Köpfe, die dem Nationalsozialismus vorwiegend
distanziert gegenüberstanden, konnten sich gleichwohl der großzügig
76
bereitgestellten Gelder bedienen, die für die Erhaltung von sogenannten „völkischen“ oder vom „germanischen Wesen“ geprägten Bauzeugnissen zur Verfügung gestellt wurden. Die Nutzung der damit
gebotenen Möglichkeiten, vom Untergang bedrohte Monumente wie
Rathäuser, Stadtkirchen, Burgen und Dome oder stattliche Bürgerhäuser instandzusetzen oder groß angelegte Fachwerk-Freilegungsaktionen durchzuführen und die Bürger- und Bauernhausforschung
wie auch die allgemeine Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler voranzutreiben, ist der staatlichen Denkmalpflege im Nachhinein als „Vorteilsnahme“ gegenüber dem Unrechtsstaat angelastet
worden. Das brachte die Denkmalpflege nach dem verlorenen Krieg
in eine denkbar ungünstige Ausgangslage.
Probleme der Nachkriegszeit
Der Ausspruch des im europäischen Denkmalschutzjahr 1975 amtierenden Bundespräsidenten, es seien nach 1945 mehr Kulturdenkmäler
verlorengegangen als im Krieg selbst, umschreibt die negativen Auswirkungen der Nachkriegszeit auf den Städtebau, den Denkmalschutz und die Vernachlässigung des Umweltgedankens. Zwar gab es
zwischen 1945 und 1975 auch im Bereich der Denkmalpflege beachtliche Einzelleistungen, die jedoch mehr dem Zufall, günstigen lokalpolitischen Gegebenheiten oder dem Einsatz überzeugender Einzelpersönlichkeiten aus Kulturleben und Denkmalpflege zu danken waren.
Immer wieder war das Schicksal herausragender Zeugnisse deutscher
Bau- und Kunstgeschichte dem Urteil der politischen Entscheidungsträger unterworfen, wenn Kriegsbeschädigungen zur Diskussion um
den Erhalt des betreffenden Objektes führten. Das, was in den Notjahren zwischen 1945 und dem sogenannten Wirtschaftswunder positiv für den Erhalt von unverzichtbaren Denkmalen geleistet wurde, ist
größtenteils einem Kreis engagierter Kommunalpolitiker, Architekten, Pfarrer bzw. Kirchenvertreter und interessierten Mitgliedern der
Bürgerschaft zu danken, zumal fehlende Denkmalschutzgesetze durch
Bestimmungen in den Landesbauordnungen ersetzt wurden. Den
Landesdenkmalämtern wurde keine Mitbestimmung eingeräumt.
Mit zunehmendem Wohlstand und gesteigerten Ansprüchen an
den Wohnkomfort wurde die Akzeptanz denkmalpflegerischer Ziele
weiter geschwächt. Im „Kielwasser“ der Stadtflucht folgte der soziale
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und bauliche Niedergang der Altstädte. Da der Denkmalpflege jegliche finanzielle Basis fehlte und ein rechtliches Eingreifen nur möglich
war, wenn der Staat alle Unterhaltungskosten für private Kulturdenkmäler übernahm oder bereit war, die Minderung des Marktwertes
oder der Nutzungserweiterung zu vergüten, war eine erfolgversprechende Denkmalpflege kaum möglich. Die Rationalisierung der
Bauindustrie, die Entmündigung des traditionellen Handwerks, die
Entwicklung zur „Schnellverbrauchs- bzw. Wegwerfgesellschaft“, die
Vision vom „pflegeleichten“ Haus ohne Bauunterhaltung und auch
die überzogenen Ansprüche eines stetig expandierenden Konsumverhaltens, aber auch verkehrsplanerische Neuordnungen, die sich in
Dorf und Stadt oft wie kriegsbedingte Zerstörungen auswirkten: All
dies war charakteristisch für die geschichtsfernen 60er und 70er Jahre.
Es bedurfte schockartiger Aktionen, um den ständig steigenden
Verlust historischer Zeugnisse ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Der Protestbewegung einer frustrierten jungen Generation, die sich
unter anderem durch Hausbesetzungen Gehör verschaffte, folgte seit
Beginn der 70er Jahre eine Politisierung des Denkmal- und Umweltgedankens. Im Windschatten der Studentenbewegung bildeten sich
neue Bürgerinitiativen, in denen auch der einzelne Bürger die Möglichkeit sah, gegen staatliche Obrigkeit und kommunale Planungsprozesse aufzubegehren. Das Gewahrwerden der Unwirtlichkeit unserer
Städte durch Bevölkerungsentleerung und der Kommerzialisierung
der letzten historischen Rückzugsgebiete, die Überformung der Reste
noch ungestörter städtebaulicher Normalität, die Auswertung soziologischer Studien über die Lebensverhältnisse in den verdichteten Trabantenstädten: All dies führte letztendlich zu jener hochexplosiven
Stimmung, die sich im europäischen Denkmalschutzjahr 1975 positiv
entladen konnte und auch jene Politiker, die der „Vergangenheit keine
Zukunft“ zubiIligen wollten, zum Umdenken, zu neuem politischem
Handeln, im Sinne des Denkmalschutzgedankens brachte.
Denkmalpflege heute
Der Umdenkungsprozess ebnete den Weg zu einem neuen Denkmalschutzdenken und brachte der modernen Denkmalpflege auch in Hessen eine heute noch gültige Akzeptanz als Träger öffentlicher Belange.
Die Auseinandersetzung des Denkmalpflegers mit dem Alltag machte
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damals einen neuen Anfang, u.a. in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem bislang diskriminierten Zeitabschnitt deutscher Baugeschichte: der Zeit zwischen l850 und 1914. Die Entdeckung des Historismus als Zeugnis einer von Industrialisierung und Kaiserreich geprägten Lebensform wurde von Kunstwissenschaftlern und Kulturhistorikern in einer Flut von Dissertationen, Publikationen, Aufsätzen
und Vorträgen aufbereitet, gewürdigt und zur Anerkennung gebracht.
Die Qualität der Gründerzeitviertel, die in den Randzonen der Städte
vielfach von den Bomben des Zweiten Weltkrieges verschont geblieben waren, haben die Diskussion um den Ensembleschutz, die Identifikation mit den Quartieren, mit dem Wohnort oder heimatlichen
Standort in Gang gebracht. Im Verlauf der zweiten Hälfte der 70er
Jahre erreichte die Gesamtanlage – das Ensemble – in den westlichen
Bundesländern endlich seine denkmalrechtliche Anerkennung.
Seit dieser Zeit ist durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und die Einwirkungsmöglichkeit auf politische Entscheidungsträger der Gedanke des Denkmalschutzes in die Landesregierungen und den Bundestag getragen worden. Das hat zur Verabschiedung neuer Gesetze
geführt, die die Belange des Denkmalschutzes fördern und durch finanzielle Erleichterungen – besonders aber durch steuerliche Vergünstigungen – einen Anreiz für die Besitzer von Denkmalen bieten. Das
hessische „Gesetz zum Schutze der Kulturdenkmäler (Denkmalschutzgesetz)“ erging am 23. Sept. 1974. Hohe finanzielle Förderungen für die Instandsetzung und Modernisierung von Baudenkmalen
konnten auf der Basis des bereits 1971 in Kraft getretenen Städtebauförderungsgesetzes jenen Kommunen angeboten werden, die ihre
Altstädte reaktivieren und zu qualitativ hochwertigen Lebensräumen
umgestalten wollten. Zu den Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die oft
den Abbruch ganzer Altstadtquartiere zur Folge gehabt hätten, boten
die Städtebauförderungsmittel ein willkommenes Gegengewicht.
Seit dem europäischen Denkmalschutzjahr, das eine Ära des neuen
Geschichtsbewusstseins einleiten sollte, wurden tiefgreifende denkmalschutzrechtliche Veränderungen in Bewegung gesetzt. Sowohl die
Denkmalschutzämter der Bundesländer, als auch das „Nationalkomitee für Denkmalschutz“ sowie Kommunen und Denkmal- und Heimatverbände haben in Festschriften, Broschüren oder in fortlaufenden Schriftenreihen in leidenschaftlicher und klarer wissenschaftlicher Sprache darzulegen versucht, um was es, in der Durchsetzung
der neuen Denkmalschutzgesetze geht, warum Denkmalpflege ein
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wesentlicher Bestandteil unseres Geschichtsverständnisses sein muss
und warum sie ein selbstverständliches Element jeder Kulturpolitik
sein sollte.
Neue Kriterien der Denkmalwürdigkeit
Schon beim Durchlesen der heute gültigen Vorschriften wird ersichtlich, dass sich die Gesetzeslandschaft seit 1975 (für die hinzukommenden Bundesländer seit 1990) radikal verändert hat und dass sie
sich um einiges von den alten Rechtsgrundlagen unterscheidet, soweit
solche überhaupt vorhanden waren. Woraus sich der Denkmalwert
der Einzelobjekte begründet, wird in allen Denkmalschutzgesetzen
klar definiert. Die Begriffsbestimmungen für „Kulturdenkmale“ sind
zwar unterschiedlich formuliert, inhaltlich aber weitgehend gleich.
Zu den sogenannten klassischen Denkmalen, die als künstlerisch, geschichtlich oder wissenschaftlich wertvoll eingestuft wurden, haben
sich zwischenzeitlich jene Denkmäler gesellt, die künftig aus technikgeschichtlichen und städtebaulichen Gründen erhalten werden sollen,
wenn sie als wichtige oder unverzichtbare Zeugnisse menschlicher
Geschichte und Entwicklung gelten. Das Gesetz unterscheidet zwischen Denkmalen mit Einzelwert und solchen, deren Bedeutung in
einem direkten architektonischen oder städtebaulich-historischen Bezug zum bebauten oder gestalteten Umgebungsfeld stehen. Hierbei
handelt es sich um die sogenannte Gesamtanlage, die, auch weitläufig, als Ensemble bezeichnet wird.
Natürlich geht es im denkmalpflegerischen Alltag nicht allein um die
Sicherung inhaltsschwerer Geschichtsdenkmale, die z.B. an eine prominente Person oder an große und denkwürdige landesgeschichtliche
Ereignisse erinnern sollen, sondern auch um die Erhaltung und Sichtbarmachung von geschichtlichen „Denkmalen“, die über die kunsthistorischen Bewertungskriterien hinaus Auskunft über historische Begebenheiten und Entwicklungen geben können. Das gilt für orts- bzw.
territorialgeschichtliche, für sozial-, verkehrs- und wirtschaftsgeschichtliche oder auch kirchen- und rechtsgeschichtliche Zeugnisse.
Wichtige Informationsträger sind für die vorchristliche Zeit auch
die Bodendenkmale der Vor- und Frühgeschichte, die mit ihren frühen
Spuren menschlichen Lebens unter der Erdoberfläche verborgen sind.
Archäologisch erschlossen und ausgewertet, bieten sie ebenso wich80
tige historische Erkenntnisse wie die paläontologisch erschlossenen
erdgeschichtlichen Funde mit ihren Abdrücken und Versteinerungen
von pflanzlichen und tierischen Lebensformen. Ihre Fundstellen bzw.
ausgegrabenen Anlagen genießen wie die Zeugnisse der Baugeschichte aus wissenschaftlichen Gründen Denkmalschutz.
Die wissenschaftliche Erforschung von noch nicht erschlossenen
Zeugnissen menschlicher Geschichte ist für die Denkmalbewertung
unverzichtbar. Sie kann nicht nur dazu beitragen, historische Entwicklungen, die bisher überformt oder verschüttet waren, zu klären;
sie kann auch alte Lebens- und Wohnformen vor Ort, über das Objekt
nacherlebbar machen. Da die Qualität des Baudenkmals sehr oft ausschließlich über das äußere Erscheinungsbild gewertet wurde, sind
viele bedeutsame Informationen, z.B. über bürgerliche Wohnkultur,
Siedlungen und Nutzbauten vergangener Zeiten, unbeachtet geblieben und damit verloren gegangen. Der hierdurch entstandene Quellenverlust ist vor allem durch die Zerstörungen des letzten Weltkriegs
bewusst geworden. Bei „denkmalverdächtigen“ Gebäuden wird
heute demzufolge das Innenleben hinsichtlich Grundrissdisposition,
Ausstattung und die meist unter mehreren Anstrichen verborgenen
Innenraumfassungen untersucht, zumal die Ergebnisse für die Erforschung der Wohnkultur unserer Vorfahren oft genauso aufschlussreich sind wie die kunsthistorische Würdigung von Hausfassaden.
Wesentliche Informationen können hierbei oft ausschließlich über
die vor Ort forschenden Geschichts- oder Heimatvereine eingeholt
werden, die sich nun zunehmend auch der Aufarbeitung der jüngeren
Geschichte widmen. Geht es doch nicht allein um die „Zeugnisse
ruhmreicher Vergangenheit“ sondern auch um die Sichtbarmachung
tragischer und katastrophaler Verstrickungen unserer Geschichte, aus
der sich letztendlich unser demokratisches Geschichtsverständnis
entwickelt hat. Ein solches Geschichtsverständnis muss auch Grundlage der Denkmalbewertung sein, weil nur eine weitgehend wissenschaftlich objektivierbare Einordnung den Wert eines Kulturdenkmals
über subjektive Urteile und Zeiterscheinungen „hinweg retten“ kann.
Das Aufspüren und Auswerten von Dokumenten hat in vielen Fällen bauhistorische Zusammenhänge geklärt und geholfen, die Historie eines Bauwerks hinsichtlich seines ehemaligen Grundrisses oder
seiner ursprünglichen Funktion und Nutzung zu erschließen. Oft
genug haben erst gezielte Quellenstudien in den Beständen der Staatsarchive den wahren Wert eines Bauwerkes erkennen lassen, dessen
81
Bedeutung vorher dem Dunstkreis der Vermutungen überlassen war.
Angesichts des hohen Stellenwertes, den das moderne Denkmalschutzgesetz den historischen Faktoren als Bewertungsmaßstab für
Kulturdenkmäler und Gesamtanlagen (Ensembles) einräumt, muss
die Denkmalpflege zunehmend auch auf historisch-topographische
und siedlungsgeschichtliche Nachschlagewerke zurückgreifen, die
ihr über den geschulten „historischen Blick“ hinaus jene geschichtlichen Quellen vermitteln, die sie für ihre Argumentation, d.h. die offizielle, hieb- und stichfeste Denkmalbegründung, nicht nur im Rahmen gerichtlicher Auseinandersetzungen benötigt. Gehört doch die
wissenschaftliche Erfassung, Erforschung und Dokumentation zur
Voraussetzung aller denkmalpflegerischen Tätigkeit.
Organisation des Landesamtes für Denkmalpflege
Denkmalschutz und Denkmalpflege werden durch verschiedene
Behörden mit unterschiedlichen Aufgaben geregelt. Oberste Denkmalschutzbehörde in Hessen ist der Minister für Wissenschaft und
Kunst. Die Unteren Denkmalschutzbehörden bei den Kreisen und den
kreisfreien Städten (oder auch Gemeinden mit eigener Bauaufsicht)
sind vor allem für denkmalrechtliche Genehmigungen zuständig. Auf
beiden Ebenen bestehen als beratende Gremien Denkmalbeiräte, die
sich aus ausgewählten Fachleuten aus Bauverwaltung, Politik, Forschung und Lehre sowie Denkmaleigentümern zusammensetzen.
Das Hessische Landesamt für Denkmalpflege ist als Denkmalfachbehörde für alle fachlichen Belange zuständig, die Kulturdenkmäler
berühren. Neben dem Hauptsitz im Schloss Biebrich in Wiesbaden
gibt es zwei Außenstellen, eine in Marburg und eine weitere (nur für
die archäoligische Denkmalpflege) in Darmstadt. In der Abteilung
Bau- und Kunstdenkmalpflege beschäftigen sich die einzelnen Bezirkskonservatoren vor allem mit Problemen der praktischen Baudenkmalpflege. Sie unterstützen und beraten die Unteren Denkmalschutzbehörden bei denkmalrechtlichen Genehmigungen und sind
Ansprechpartner für Denkmaleigentümer, Architekten, Planer und
Handwerker. Die Restaurierungswerkstatt des Amtes verfügt über die
notwendigen Fachkenntnisse, um Maßnahmen an Kulturdenkmalen
umfassend zu betreuen. Aus dem Mittelalter stammende bewegliche
Kulturgüter werden in der Amtswerkstatt vorbildhaft restauriert.
82
Zum Aufgabenbereich der Abteilung archäologische und paläontologische Denkmalpflege (ebenfalls mit eigener Restaurierungswerkstatt) gehören nicht nur die Bodendenkmäler als Zeugnisse menschlichen Schaffens, sondern auch die Fossilien als erdgeschichtliche
Denkmäler. Während die paläontologische Denkmalpflege allein von
Wiesbaden aus betreut wird, wird die archäologische Denkmalpflege
z.T. von den bereits genannten Außenstellen in Marburg und Darmstadt wahrgenommen.
In der Abteilung Inventarisation werden die Denkmal-Topographien erstellt. In den in Buchform veröffentlichen Verzeichnissen ist
der Denkmälerbestand für annähernd die Hälfte des Landes Hessen
vollständig erfasst. Für das ganze Land liegen sogenannte Arbeitslisten vor. Ein ständig wachsendes Foto- und Planarchiv sowie die wertvollen Bibliotheken in der Hauptstelle in Wiesbaden und in der Marburger Außenstelle bilden die Grundlage der Arbeit; sie stehen auch
dem interessierten Publikum zur Verfügung. Teil der Öffentlichkeitsarbeit ist die Zeitschrift „Denkmalpflege und Kulturgeschichte“, die
regelmäßig über aktuelle Ergebnisse und Probleme berichtet. Die archäologische und paläontologische Denkmalpflege gibt zudem in
loser Folge kleine Informationsschriften zu Einzeldenkmälern heraus.
Literaturhinweise
Gottfried KIESOW: Einführung in Denkmalpflege. Darmstadt 1982.
Norbert HUSE (Hg.): Denkmalpflege. Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten.
München 1984.
Horst THOMAS (Hg.): Denkmalpflege für Architekten. Köln 1998.
Bewertungsfragen der Denkmalpflege im städtischen Raum. Hg. Institut für
Bau- und Kunstgeschichte der TU Hannover, Hannover 1976.
Städtebauliche Denkmalpflege. Hg. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger
in der Bundesrepublik Deutschland. Bad Homburg/Leipzig 1995.
25 Jahre Denkmalpflege in Hessen. Hg. Landesamt für Denkmalpflege /Hess.
Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Wiesbaden 1999.
Denkmalpflege und Kulturgeschichte (bis 1997: Denkmalpflege in Hessen).
Zeitschrift des Landesamts für Denkmalpflege Hessen. Wiesbaden 1988ff
(zwei Hefte jährlich).
Schriftenreihe des Deutschen National-Komitees für Denkmalschutz, Bd. 1-52.
83
Staatliche Schlösser und Gärten
Dr. Kai R. Mathieu, Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in
Hessen, Bad Homburg
Im Freistaat Preußen wurde nach der Vermögensauseinandersetzung
mit dem Haus Hohenzollern 1927 eine „Verwaltung der Staatlichen
Schlösser und Gärten“ gebildet. Ihr wurden jene Kulturdenkmäler
fürstlicher Provenienz unterstellt, die dem damals geprägten Begriff
„Museumsschlösser“ entsprachen: Kulturzeugnisse, historisch gewachsene Ensembles, Gesamtkunstwerke aus Schlössern und Gärten
mit ihrem Inventar. Zu den Liegenschaften der bis 1945 bestehenden
Preußischen Schlösserverwaltung gehörten außer dem im Zweiten
Weltkrieg zerstörten Residenzpalais in Kassel Schloss und Schlosspark Wilhelmshöhe sowie das Orangerieschloss mit der Karlsaue,
Schloss Wilhelmsthal bei Calden, das Schloss in Wiesbaden (heute Sitz
des Hessischen Landtags) sowie die Schlösser Homburg v.d.Höhe
und Weilburg. Sie bildeten den Kernbestand der am 1. April 1946 geschaffenen „Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten“ des
künftigen Bundeslandes Hessen, die hinfort auch für bedeutende
Denkmäler im Gebiet des vormaligen Großherzogtums bzw. Volksstaats Hessen wie die ehemaligen Klöster Lorsch und Seligenstadt, die
Burg Münzenberg, den Prinz-Georg-Garten in Darmstadt oder den
Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach zuständig war.
Auf dem Fundament einer über 70 Jahre zurückreichenden Erfahrung betreut die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in
Hessen heute rund 40 bedeutende landeseigene Kulturdenkmäler,
überwiegend Burgen, Schlösser und Gärten in allen Teilen des Landes.
Sie versteht sich als Kultur- und Vermögensverwaltung, zugleich aber
auch als Bildungseinrichtung mit kultureller, historischer, ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Zielsetzung. Verfassungsmäßiger
Auftrag ist die Erhaltung, Erforschung, Ergänzung und Präsentation
des künstlerischen und geschichtlichen Erbes des Landes Hessen in
staatlicher Hand. Die der Verwaltung anvertrauten Zeugnisse hessischer, deutscher und europäischer Geschichte sind:
84
• Landmarken und Träger heimatlicher Identität sowie historischer
Authentizität;
• Schatzregale von Kultur und Natur seit Jahrhunderten;
• Stätten für Bildung, Erholung und Besinnung;
• Lernorte für Künste und Handwerk;
• Orte umfassender Umweltvorsorge und hoher Arbeitsplatzidentität.
Der Beitrag der Schlösserverwaltung zur Sicherung unserer Umwelt kann sich nur auf die Objekte erstrecken, die sie selbst betreut. Da
es sich hierbei oft um Dokumente von Rang handelt, muss auch der
Beitrag auf lange Sicht von Rang sein. Viele Kulturdenkmäler wurden
in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, in den meisten Fällen nach Teilzerstörung und Fremd- bzw. Falschnutzung, den
Bürgern als Besichtigungsobjekte, als Museen und als Erholungsbereiche wieder zugänglich gemacht, um dem Bildungsauftrag gerecht
zu werden und das kulturelle Erbe von zwei Jahrtausenden Bau- und
Kunstgeschichte in Hessen im Bewusstsein zu erhalten.
Ausgehend von dem Ziel einer optimalen Bestandssicherung und
Präsentation der ihr anvertrauten Kulturdenkmäler – dazu gehören
neben den Bauten auch die historischen Gärten und Parkanlagen –
verfolgt die Schlösserverwaltung seit Mitte der 1980er Jahre ein umfangreiches Grundlagen-Forschungs- und Ausbauprogramm, das sich
im Landeshaushalt in einer Fülle von laufenden und im Entstehen begriffenen Projekten niederschlägt. Sicherung von Originalsubstanz
und Rückgewinnung verlorener Bestände bei hohem denkmalpflegerischem Anspruch, Neuordnung und Ausbau der Sammlungen mit
dem Ziel, historisches Bewusstsein zu wecken und dem Bürger den
Zugang zu den Geschichtszeugnissen zu ermöglichen, Pflege von
Flora und Fauna im Sinne einer hohen Umwelt- und Lebensqualität
ziehen sich als Leitlinien (mit unterschiedlicher Gewichtung) durch
alle Maßnahmen der Schlösserverwaltung.
Im Pflichtenheft der Schlösserverwaltung gesellen sich zu den kultur- und naturfachlichen Aufgaben das wirtschaftsorientierte Handeln, die Dienstleistung für den Kunden und Besucher sowie als soziale Verpflichtung die Einbindung von Schwerbehinderten in die Arbeitswelt und die Ausbildung von Jugendlichen als Daseinsvorsorge
und Zukunftssicherung. Die Hülle des Pflichtenhefts und das Rückgrat des Leitbildes sind zum einen Artikel 14 (2) des Grundgesetzes:
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der
Allgemeinheit dienen“; zum anderen Artikel 62 der Verfassung des
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Landes Hessen: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und Kultur sowie der Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des
Staates und der Gemeinden“.
Die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Hessen
vermittelt in Theorie und Praxis die historische und aktuelle Bedeutung des Erbes und bringt dies in die landes- und kommunalpolitischen Entscheidungen und Entwicklungen ein. Für die Erfüllung der
Fachaufgaben stehen in der Hauptverwaltung und in den Außenstellen der Verwaltung in ganz Hessen kompetente Abteilungen, Fachund Sachgebiete für die Bereiche Verwaltung, Museen, Gärten, Restaurierung, Bauangelegenheiten und Denkmalpflege sowie provinzialrömische Altertümer zur Verfügung. Denkmal- und Landespflege
genießen hierbei und bei den vielfältigen anderen wirtschaftlich ausgerichteten Betätigungen oberste Priorität. Durch wirtschaftliches Engagement im denkmal- und naturverträglichen Rahmen werden Einnahmen zur Aufgabenerfüllung erzielt. Dies erfolgt markt- und zielorientiert im Sinne eines modernen und kundenorientierten Dienstleisters.
Unsere denkmalgerechte Vermögensverwaltung im Verfassungsauftrag stützt sich auf vier Säulen als Betriebsvermögen: 1. Grundbesitz des Landes Hessen, insgesamt rund 5,77 Mio. Quadratmeter mit
einem Gesamtwert von ca. 288,5 Mio. DM. – 2. Immobilienbesitz des
Landes Hessen, insgesamt 275 Bauwerke mit einem Friedensneubauwert von 39,6 Mio. und einem Gesamtwert von 860 Mio. DM. – 3. Mobiles Vermögen des Landes Hessen, a) insgesamt ca. 30.000 Kunstgegenstände mit einem Gesamtwert von ca. 200 Mio. DM, b) Betriebseinrichtungen und -ausstattungen mit einem Gesamtwert von ca. 20
Mio. DM, c) Pflanzenbestand auf 577 Hektar mit einem kaum näher zu
beziffernden Geldwert. Der Gesamtwert des messbaren, zu erhaltenden und zu verwaltenden Vermögens beträgt damit annähernd 1,37
Milliarden DM.
Vierte Säule ist das für die Verwaltung tätige Fachpersonal des Landes Hessen, insgesamt 267 Personen als Stammpersonal mit einer tariflichen Gesamtleistung von 454.000 Arbeitsstunden pro Jahr. Jede
fest angestellte Fachkraft ist somit rechnerisch „Vermögensverwalterin“ für einen Betrag von rund 5,125 Mio. DM (ohne Ziffer 3c) und
einen Grundbesitz von 21.610 Quadratmetern.
Neben den materiellen Werten, die kompetent und fachkundig verwaltet werden, stehen gleichrangig die insbesondere in den Garten86
und Wasseranlagen wichtigen ökologischen und landespflegerischen,
also umweltrelevanten Komponenten, wie zum Beispiel: Landschaftsund Naturschutzgebiete, Quellenanlagen und Wasserschutzgebiete,
Fauna- und Florareichtum, Frischluftquellen. Beides, Verwaltung und
Landespflege, garantieren die nicht zu unterschätzenden Bildungsund Erholungswerte, die jedem Besucher kostenlos oder gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Zum vielfältigen Aufgabenkatalog gehören außerdem: museumspädagogische Dienstleistungen für
Schulen und andere Zielgruppen; unterschiedliche Publikationen und
Drucksachen, die jetzt unter dem Titel „Edition der Verwaltung der
Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen“ herausgegebenen Broschüren (amtliche Führer), Kataloge und Monographien; Herstellung und
Verkauf sonstiger Waren in Museumsshops und Gärtnereien; zehn
verpachtete Gastronomiebetriebe (mit einem Gesamtumsatz von jährlich 5 Mio. DM) und schließlich Veranstaltungen, die in eigener Verantwortung oder von Dritten durchgeführt werden, wie die Hersfelder Festspiele, die Weilburger Schlosskonzerte und vieles andere
mehr.
Literaturhinweise
Froschkönig und Dornröschen. Die Pflege der Staatlichen Schlösser und Gärten in Hessen im Jahre 1997. (= Monographien Band 6). Bad Homburg
1998.
B. CLAUSMAYER-EWERS, Bernd MODROW: Historische Gärten in Hessen.
(= Monographien Band 2). Bad Homburg 1998.
Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen: Informationsbroschüren, derzeit 20 Hefte.
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Regional-, Stadt- und Heimatmuseen in Hessen
Dr. Dieter Wolf, Museum und Stadtarchiv Butzbach
Kultur und Geschichtsbewusstsein eines Landes und seiner Bevölkerung sind auch an der Zahl, an den Beständen und an den wissenschaftlich erarbeiteten Forschungsergebnissen seiner Museen erkennbar. Bekanntlich gab es 1816, als Goethe seine Schrift über Kunst und
Altertum in den Rhein- und Main-Gegenden publizierte, im Hessischen noch kein einziges der Allgemeinheit zugängliches Museum in
staatlicher oder kommunaler Trägerschaft. Die ersten öffentlichen
Museen entstanden auch hier zu Lande erst nach der Französischen
Revolution zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters. Unter den heute zugänglichen Museen in Hessen finden sich eine Reihe international bekannter Institute, bedeutende Schlossmuseen, bekannte Landesmuseen, etliche wichtige Regionalmuseen sowie zahlreiche Heimatmuseen und kleinere Sammlungen (Heimatstuben), die sich über das gesamte Bundesland verteilen und einen erstaunlichen kulturellen und
historischen Reichtum dokumentieren. In etwa 250 Städten und Gemeinden gibt es derzeit an die 400 Museen, Sammlungen und Gedenkstätten, die dem Hessischen Museumsverband angeschlossen
sind.
Der Rang der „großen“ Museen beruht oftmals noch auf Beständen,
die in der Barockzeit und danach von den Landesfürsten oder auch
privaten Sammlern zusammengetragen wurden. Die größeren Regional- und Heimatmuseen sind zumeist im 19. Jahrhundert oder zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet worden. Seit Beginn der 80er
Jahre des jetzt zu Ende gehenden Jahrhunderts sind dann allein etwa
fünfzig neue Museen oder museumsähnliche Einrichtungen dazugekommen. Sie alle leisten, vielfach auch mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, einen ganz wesentlichen Beitrag als Kulturträger und Kulturvermittler.
Der Museumsboom der 80er Jahre ist inzwischen verebbt. Die wirtschaftliche Misere zwingt Bund, Länder und Gemeinden zum Sparen.
Allzu leicht erliegt man dabei der Versuchung, den Rotstift im Bereich
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der sogenannten „freiwilligen Leistungen“ anzusetzen. Bei der Kultur
wird auf den verschiedensten Ebenen gestrichen. Dabei wird übersehen, dass die Kulturpflege und ihre Träger sich zu einem wichtigen
und notwendigen, eigentlich nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil des öffentlichen Lebens und unseres Alltags entwickelt haben. Gerade die auf die Region und einzelne Orte bezogenen Museen, die
Heimatmuseen, bieten die Möglichkeit, regionale Identität zu vermitteln (früher hat man das vielleicht mit „Heimatgefühl“ umschrieben
oder zumindest etwas sehr Ähnliches damit gemeint!). Heimatmuseen sind in der Regel kulturelle Mittelpunkte für ihren Standort und
die Umgebung. Sie können und sollen historisch bedingte Traditionen
nachfolgenden Generationen übermitteln und zugleich Ausgangspunkt für kritische Fragen an Geschichte und Gegenwart sein. Die
weiterführende Sammlung, ausgewählte wie ausgewogene Präsentation und Forschung vor Ort – meist von hauptamtlich tätigen, in
Hochschulen ausgebildeten Mitarbeitern, aber auch von qualifizierten
ehrenamtlichen Museumsfachleuten getragen – ermöglichen es, auch
in der Region zu vertiefter Bewusstseinsbildung zu führen, sowohl
beim Einzelnen als auch in der Gesellschaft. Das hängt jeweils vom
Ideenreichtum, von der Fachkompetenz der Planer und dem Können
der ausführenden Handwerker beim Aufbau der Dauerausstellung
oder von dem Geschick in der Inszenierung von Wechselausstellungen und anderen Sonderveranstaltungen ab.
Aus der Fülle des hessischen Museumsangebots können nur einige
Beispiele ausgewählt werden. Auf die umfänglichen Sammlungen
und das breite Themenangebot der Landesmuseen, der Museen in den
Großstädten Frankfurt, Darmstadt und Kassel und die Schätze der
kirchlich getragenen Dom- und Diözesanmuseen kann dabei nur am
Rande verwiesen werden. Es bleibt festzustellen, dass die meisten
Museen des Landes zumindest in Teilbereichen auch Themen der geschichtlichen Landeskunde aufgreifen. Das vom Hessischen Museumsverband herausgegebene, weit verbreitete Handbuch „Museen
in Hessen“, zuletzt in vierter Auflage 1996 erschienen, vermittelt einen
guten Überblick über alle öffentlich zugänglichen Museen und Sammlungen.
Die älteren Museen des Landes – die Landesmuseen in Kassel,
Darmstadt und Wiesbaden oder das Marburger Universitätsmuseum
– haben neben den stärker im Blickfeld stehenden Kunstsammlungen
auch weiterhin zentrale Bedeutung für die Geschichte, die vor- und
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frühgeschichtliche wie die kulturgeschichtliche Überlieferung und Erforschung der historischen Landesteile (wenn man hier vom gegenwärtigen Präsentationsproblem in Wiesbaden absieht). Dazu gehört
auch die ursprünglich als zentrales Museum der Reichslimeskommission gedachte Saalburg bei Bad Homburg. Sie alle verfügen dafür über
einen angemessenen fachwissenschaftlichen Mitarbeiterstab. Beim
Auf- und Ausbau regionaler Sammlungen im 19. Jahrhundert spielten
die Geschichts- und Altertumsvereine eine wichtige Rolle; in einer
Reihe von Fällen sind sie bis heute Förderer oder auch Träger der Museen. Neben den in die Landesmuseen eingegliederten Sammlungen
der Vereine in Wiesbaden, Kassel und Darmstadt, den Sammlungen
des Frankfurter Altertumsvereins, die 1878 ins neu eröffnete Historische Museum übernommen wurden, und den ins Marburger Universitätsmuseum übernommenen Sammlungen des örtlichen Vereins für
Geschichte und Landeskunde wären hier vor allem der Oberhessische
Geschichtsverein mit dem Oberhessischen Museum Gießen und die
Sammlungen der um die Jahrhundertwende neu begründeten Vereine
zu nennen, die den Grundstock für regional ausgerichtete Museen wie
das Wetterau-Museum in Friedberg, das Lauterbacher Hohhaus-Museum, die Museen in Alsfeld und Butzbach, später auch in Wolfhagen,
Büdingen und andernorts bildeten bzw. bilden.
Das ursprünglich vorherrschende Interesse an den „Altertümern“
hat dazu geführt, dass auch die meisten Regional- und Stadtmuseen
beachtliche Sammlungen zur heimischen Vor- und Frühgeschichte besitzen. Sie können sicher nicht mit den Landesmuseen, dem Marburger Universitätsmuseum oder dem Museum für Vor- und Frühgeschichte/Archäologisches Museum Frankfurt konkurrieren, doch vermitteln auch das Oberhessische Museum mit den Gail’schen Sammlungen in Gießen, die Museen in Fritzlar, Hofgeismar und Wolfhagen
oder auch das Vortaunusmuseum Oberursel (mit seiner sehenswerten
Dokumentation über das keltische Oppidum im Heidetränktal) wertvolle Anschauung für die Frühzeit der Landesentwicklung. Für die
Römerzeit finden sich neben den zentralen Sammlungen im SaalburgMuseum und im Museum für Vor- und Frühgeschichte Frankfurt
ebenfalls reizvolle, wenn auch unterschiedlich umfangreiche Schaubestände im Wetterau-Museum Friedberg, im Kreis- und Stadtmuseum Dieburg, in den Stadtmuseen Rüsselsheim, Groß-Gerau und
Hofheim/Ts., im Museum Schloss Steinheim und in Butzbach, aber
auch in kleineren Heimatmuseen wie Echzell oder Großkrotzenburg.
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Aus dem Bereich der Volkskunde gibt es – neben den hochinteressanten Ausstellungen im Universitätsmuseum Marburg oder in der
Dependance des Darmstädter Landesmuseums im Museumszentrum
Lorsch – insbesondere für die vielfältige Trachten-Tradition Hessens
reiche, oftmals alte Sammlungsbestände mit wertvollen Objektgruppen in Alsfeld und Ziegenhain (für die Schwalm), in Butzbach (Hüttenberg und Wetterau), im Schloss Biedenkopf (Hinterland), in Lauterbach und Schlitz (für Riedsel- und Schlitzerland). Besonders hinzuweisen ist auf die reichhaltige „Sammlung zur Volkskunde in Hessen“
im Museum Otzberg. Zu den volkskundlichen Einrichtungen, die sich
speziellen Themenbereichen widmen , zählt das 1992 eröffnete „Museum für Sepulkralkultur“ in Kassel.
Zur hessischen „Museumslandschaft“ gehört ein (mit Ausnahme
der Verdichtung im Bereich der Großstädte) einigermaßen gleichmäßig über das Land verteiltes Netz älterer und neuerer Museen, die
mit ihren Dauerausstellungen in ansprechender Form Einblicke in die
Geschichte der jeweiligen Region bzw. als Stadtmuseen in die typischen Strukturen des engeren Raumes vermitteln wollen. Mehr als die
Hälfte dieser Museen mit regionalem Anspruch sind seit dem Ende
der 60er Jahre modernisiert worden; die Reihe der „modernen“ Regionalmuseen begann mit den Neueinrichtungen in Büdingen und
Alsfeld. Die folgende Auflistung nennt noch einmal kurz, geographisch von Norden nach Süden fortschreitend, die wichtigen Museumsorte (mit Jahreszahlen zu Sammlungsbeginn, Gründung bzw.
Eröffnung): Hofgeismar (Stadtmuseum, 1938); Kaufungen (Regionalmuseum „Alte Schule“, 1986); Kassel (Stadtmuseum, gegr. 1979 als historisches Museum für den Stadtkreis); Wolfhagen (Regionalmuseum,
1980-1986 neu gestaltet); Arolsen (Museum der Stadt im Schreiberschen Haus, Kaulbach-Haus und C.D. Rauch-Haus, 1987ff); Korbach
(Städtisches Museum, um 1900); Bad Wildungen (Heimatmuseum,
1907, und Kurmuseum, 1984/85); Fritzlar (Regionalmuseum, 1951);
Borken (Nordhessisches Braunkohle-Bergmuseum, 1992); Rotenburg/Fulda (Kreisheimatmuseum, 1931); Fulda (Vonderau-Museum,
1875/87); Schlitz (Heimatmuseum, 1926); Lauterbach (Hohhaus-Museum, 1910); Alsfeld (Regionalmuseum, 1897); Schwalmstadt-Ziegenhain (Museum der Schwalm, 1911, zunächst Kreismuseum, seit 1951
Schwälmer Heimatbund); Frankenberg (Kreisheimatmuseum, 1952);
Biedenkopf (Hinterlandmuseum im Schloss, gegr. 1908 vom Geschichtsverein, jetzt Eigengesellschaft des Landkreises); Gießen
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(Oberhessisches Museum und Gail’sche Sammlungen, 1879); Wetzlar
(Städtische Sammlungen mit mehreren Museen); Weilburg (Bergbauund Stadtmuseum) ; Butzbach (Museum der Stadt, 1898, seit 1994 im
Solms-Braunfelser Hof); Friedberg (Wetterau-Museum, 1913, neu ausgebaut); Ulrichstein (Museum im Vorwerk, 1995); Schotten (Vogelsberger Heimatmuseum, 1937); Büdingen (Heuson-Museum im Rathaus, 1968/71, Büdinger Geschichtsverein); Schlüchtern (Bergwinkelmuseum, um 1910); Bad Orb (Museum, seit 1989 an neuem Standort);
Gelnhausen (Museum der Barbarossastadt); Hanau (Historisches Museum Schloss Philippsruhe); Oberursel (Vortaunusmuseum, 1976);
Bad Homburg (Museum im „Gotischen Haus“, urspr. Hutmuseum);
Hofheim am Taunus (Stadtmuseum, 1993); Rüsselsheim (Museum der
Stadt, 1974/76); Groß-Gerau (Stadtmuseum, 1927, Neueröffnung
1993); Dreieich (Dreieich-Museum, 1910, seit 1956 in der „Burg Hayn“);
Offenbach (Stadtmuseum, 1917); Seligenstadt (Landschaftmuseum,
Sammlung seit 1936); Dieburg (Kreis- und Stadtmuseum im Schloss
Fechenbach); Michelstadt (Odenwaldmuseum, vor 1910, in der Kellerei neugestaltet); Heppenheim (Museum für Stadtgeschichte und
Volkskunde, kürzlich neu eingerichtet); Lorsch (Museumszentrum).
Das neue „Museumszentrum Lorsch“ beherbergt in unmittelbarer
Nähe zur berühmten karolingischen Klostertorhalle gleich drei Museen (die klostergeschichtliche, baugeschichtliche Abteilung der Staatlichen Verwaltung der Schlösser und Gärten, das Tabakmuseum und
die Stadtgeschichte aus dem Lorscher Stadtmuseum, sowie die große
Volkskundliche Sammlung des Landesmuseums Darmstadt mit dem
Ausstellungsschwerpunkt südhessische Alltagskultur). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die 1986 im Wetterau-Museum
Friedberg neu eröffnete, spektakuläre Präsentation „Von der Sichel
zur Dreschmaschine / Die Mechanisierung und Modernisierung der
ländlichen Arbeitswelt in der Wetterau von 1800-1950“. Überregionale
Beachtung fand und findet das 1976 eröffnete Museum der Stadt Rüsselsheim, das inzwischen mit mehreren großen Abteilungen museal
vorbildlich aufbereitete Einblicke in die Vor- und Frühgeschichte, die
vorindustrielle Zeit und die Epoche der Industrialisierung gewährt.
Dabei geht es in allen Abteilungen um die ortsspezifischen Aspekte
mit den Schwerpunkten Arbeitstechniken und Arbeitsverhältnisse,
wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung, Wohnverhältnisse, Kunstwerke der verschiedenen Epochen. Neu war, dass die
Hauptabteilung „Rüsselsheim vom Beginn der Industrialisierung bis
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1945“ das Phänomen Industrie nicht auf die Abhandlung der Technikgeschichte begrenzte, sondern als komplexen technischen, wirtschaftlichen, sozio-kulturellen und politischen Wandlungsprozess
verstand und darstellte. Die Verleihung des Museumspreises des Europarates in Straßburg 1980 und die daraus folgende Vorstellung der
Rüsselsheimer Konzeption im „Unesco-Kurier“ brachten internationales Ansehen. Spektakulär ist aufgrund seiner z.T. sehr modernen
und deshalb in der Bevölkerung zunächst gewöhnungsbedürftigen
Architekturformen auch das an sich ältere Regionalmuseum Korbach
an der spätgotischen Kilianskirche mit seinem sehr breiten und interessanten Ausstellungsangebot (von den als Sensation um die ganze
Welt gehenden fossilen Funden der „Korbacher Spalte“ und der gestalterisch interessanten Darbietung der stadtgeschichtlichen und
volkskundlichen Abteilungen bis zur Darstellung des Goldabbaues
im Waldecker Land).
Zwischen den kleineren Regionalmuseen, Heimatmuseen, teilweise auch den kontinuierlich betreuten und geöffneten Heimatstuben, gibt es natürlich gleitende Übergänge. Wichtige Beiträge zur Landesgeschichte leisten auch die verschiedensten Museen mit Sonderthemen. Zu der für verschiedene Gegenden Hessen prägenden Zuwanderung französischer Glaubensflüchtlinge wären hier neben dem
von einem Verein getragenen Deutschen Hugenotten-Museum in Bad
Karlshafen auch das kleinere Hugenottenmuseum von Friedrichsdorf
am Taunus oder das 1987 zusammengestellte Heimatmuseum Walldorf zu nennen. Im Stadtmuseum Hofgeismar werden unter kompetenter Leitung besondere Forschungsmöglichkeiten auch zur Hugenottengeschichte angeboten.
Der nur selten angesprochene Themenbereich Vormärz wird seit
kurzem mit interessanten Schlaglichtern in der Dokumentationsstätte
„Georg-Büchner-Haus“ in Georg Büchners Geburtsort RiedstadtGoddelau dargestellt und aktualisiert. Büchners 1837 im Darmstädter
Untersuchungsgefängnis zu Tode gekommenen Weggefährten Dr.
Friedrich Ludwig Weidig gilt eine kleine Abteilung im Museum der
Stadt Butzbach, deren Stadtarchiv unter dem gleichen Dach auch das
„Weidig-Forschungsarchiv“ mit einer Fachbibliothek und der 1988 erworbenen Sammlung A.W. Heil mit politischer Druckgraphik des
Vormärz und der Revolution 1848/49 betreut. Vormärz/48er Revolution werden auch in der stadtgeschichtlichen Abteilung des Hanauer
Museums im Schloss Philippsruhe eingehend dargestellt.
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Die NS-Zeit wird vor allem in den Gedenkstätten am Standort des
frühen Konzentrationslagers für Kurhessen im ehem. Kloster Breitenau in Guxhagen (1992) und in der Gedenkstätte für die Opfer der
Euthanasie-Verbrechen im Psychiatrischen Krankenhaus Hadamar
(seit 1983/1989) dokumentiert. An die Judenverfolgung und das verlorene jüdische Kulturerbe erinnern das Jüdische Museum Frankfurt
(1988 eröffnet) und seine 1992 geschaffene Filiale „Museum Judengasse“ mit den baulichen Überresten des mittelalterlichen Ghettos.
Die Geschichte der Heimatvertriebenen wird in mehreren Museen
thematisiert; besonders hervorzuheben ist hier das „Heimatmuseum
und Dokumentationszentrum zur deutschen Nachkriegsgeschichte“
in Wanfried; das Thema Zonengrenze präsentiert das nach dem Mauerfall gegründete „Grenzmuseum Schifflersgrund“ in Bad SoodenAllendorf.
Nicht nur in Frankfurt und Kassel, auch in einigen anderen Städten,
in Fulda, Gießen, Wetzlar gibt es mehrere Museen von historisch-landeskundlichem Interesse. In Wetzlar müssen hier, neben den Städtischen Sammlungen mit Stadt- und Industriemuseum und Lottehaus,
das 1987 eröffnete Reichskammergerichtsmuseum und das Landwirtschaftliche Museum genannt werden. Auch in der reichen Palette von
Museen in kleineren Städten gibt es eine ganze Reihe neu konzeptionierter Einrichtungen, die Beachtung verdienen. Zu nennen wären
hier das 1984 eröffnete Heimatmuseum im „Alten Brauhaus“ in Amöneburg, dem 1994 das ähnlich gestaltete Museum im benachbarten
Homberg/Ohm folgte, das Ackerbürgermuseum Grebenstein (gegr.
1964 vom Hess. Heimatbund, seit 1980 städtisch), das 1934 gegründete Heimatmuseum Lich (1982-84 neu eingerichtet), das Niddaer
Heimatmuseum (1983) oder das Stadtmuseum Idstein im Killingerhaus, einem restaurierten Fachwerkjuwel am Marktplatz. Architektonisch interessant ist auch das kleine Museum der Stadt Eschborn (1989
eröffnet), das sich als Neubau einem älteren Fachwerkbau anschließt,
eine Kombination von alt und neu, die sich auch andernorts bewährt
hat (u.a. in Borken, Butzbach und Hofheim). Besondere Themenschwerpunkte setzen das Dorfmuseum „Alter Forsthof“ Ober-Rosphe
mit der dörflichen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, das „Rosenmuseum“ Bad Nauheim-Steinfurth (1990) mit Rosenzucht und ländlicher
Arbeitswelt des 19./20. Jahrhunderts oder das Heimatmuseum Mörfelden, in dem vorrangig der Alltag der Dorfbevölkerung von ca.
1870-1945 dargestellt wird.
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Obwohl es eine ganze Reihe von Museen gibt, die sich mit der Entwicklung von Gewerbe und Industrie beschäftigen, ist ein zentrales
(oder auch regionales) hessisches Industriemuseum bisher nicht zustande gekommen. Mit den Bergbau befassen sich vor allem Bergbauund Stadtmuseum Weilburg, das Regionalmuseum „Alte Schule“ in
Kaufungen und das 1992 eröffnete Nordhessische Braunkohle-Bergbaumuseum Borken sowie die Besucherbergwerke Schiefergrube
Christina in Willingen im Uppland, Grube Gustav in Meißner-Abterode und Grube Fortuna in Solms-Oberbiel (mit dem dortigen Feldund Grubenbahnmuseum Fortuna). Stärker in den orts- und regionalgeschichtlichen Kontext eingepasst ist die breit angelegte, weit über
den eigentlichen Museumskomplex hinausgehende Konzeption des
Werra-Kalibergbau-Museums Heringen (1994). Das Museum Großauheim (der Stadt Hanau), das als Teil der Präsentation des dörflichen
Lebens in einer großen Maschinenhalle zahlreiche Dampfmaschinen
ausstellt, ist durch die alljährliche Großveranstaltung der „Großauheimer Dampftage“ bekannt geworden. Stärker spezialisiert sind das
Glasmuseum Immenhausen, das Glas- und Keramikmuseum Großalmerode oder das kleinere Glasmuseum Hadamar. Zu den überregional bedeutenden Instituten zählt das Deutsche Ledermuseum in Offenbach.
Schon diese kursorische Übersicht der bestehenden Museen und
ihrer unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkte macht deutlich, dass sie
einen wichtigen Beitrag zur Vermittlung und Veranschaulichung der
geschichtlichen Vergangenheit leisten. Wichtig ist dabei die Zusammenarbeit mit den kommunalen Archiven und mit den Geschichtsvereinen. Das gilt vor allem da, wo der Museumsleiter selbst kein
fachlich ausgebildeter Landeshistoriker ist; eine Vielzahl von Museen
wird ohnedies ehrenamtlich betreut. Ehrenamtliche Mitarbeit ist in
allen Museen gefragt. Ob und wieweit in den Museen selbständige
Forschung und landes-, regional- oder ortsgeschichtliche Beratung geleistet werden kann, hängt natürlich von der Fachkompetenz der Mitarbeiter/Innen ab. Vorrang hat für die Museen in jedem Fall die Vermittlung. Seit Beginn der 1970er Jahre haben der Hessische Museumsverband und die staatliche Museumsberatung auf eine Stärkung der bildungspolitischen Rolle der Museen hingewirkt. Dazu
gehört insbesondere auch die bessere Nutzung für den Schulunterricht. Das Hessische Institut für Lehrerfortbildung (HILF, jetzt HELP)
mit seinen verschiedenen Sektionen hat die Zusammenarbeit aktiv
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unterstützt, u.a. mit zahlreichen museumspädagogischen Arbeitskreisen zu Themen der Regional- und Ortsgeschichte. Obwohl die Bedeutung der museumspädagogischen Arbeit längst allgemein anerkannt
ist, gibt es in Hessen bisher allerdings erst 17 hauptamtlich tätige Museumspädagogen.
Weiterer Förderung bedarf auch die dokumentierende Aufarbeitung der dörflichen Geschichte, obwohl hier mit dem Ausbau zahlreicher kleinerer Heimatmuseen oder Heimatstuben bereits erhebliche
Fortschritte erzielt wurden. Dabei können die von der „klassischen“
landeskundlichen Forschung, aber auch der Alltagsgeschichte, der
Kulturgeschichte und der Volkskunde erzielten Ergebnisse vor Ort
überprüft, verifiziert und verknüpft werden, um sie dem interessierten Publikum anschaulich vorzustellen und vielleicht auch zu aktiver
Mitarbeit anzuregen. Jeder Museumsleiter kann von entsprechenden
Ergebnissen berichten.
Aufs Ganze gesehen sind im hessischen Museumswesen, vor allem
in den Regional- und Heimatmuseen, in den letzten Jahrzehnten
enorme Fortschritte in der Verbesserung und Modernisierung der Präsentation und Vermittlung der vielfältig ergänzten und weiter ausgebauten Sammlungen erzielt worden. Dazu hat auch der Einsatz der
neuen Medien mit audiovisuellen Elementen, z.T. auch schon interaktiven Computerprogrammen, in musealen Ausstellungen beigetragen. Allerdings wird es für die kleineren, finanziell wie personell
meist nur unzureichend ausgestatteten Museen schwierig sein, hier
allen Erwartungen und Ansprüchen eines durch Film und Fernsehen
zunehmend verwöhnten Publikums zu entsprechen. Dennoch werden die zahlreichen hessischen Regional- und Heimatmuseen, größere wie kleinere, in ihrer Gesamtheit auch in Zukunft einen wichtigen
Beitrag zur sichernden Bewahrung und Vermittlung der landes- und
regionalgeschichtlichen Überlieferung leisten, der von der öffentlichen Hand auf keinen Fall vernachlässigt werden sollte.
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Literaturhinweise
Museen in Hessen. Ein Handbuch der öffentlich zugänglichen Museen und
Sammlungen im Lande Hessen. Hrsg. vom Hessischen Museumsverband.
4. Aufl. Kassel 1994.
Alfred HÖCK, Dieter KRAMER: Verzeichnis der volkskundlichen und kulturgeschichtlichen Bestände der hessischen Museen. Marburg 1970.
Michael FEHR, Stefan GROHÉ (Hrsg.): Geschichte – Bild – Museum. Zur Darstellung von Geschichte im Museum. Köln 1989.
Frank M. ANDRASCHKO, Alexander LINK, Hans-Jakob SCHMITZ: Geschichte erleben im Museum. Frankfurt a. M. 1992. – Michael IMHOF, Joachim SCHULZ (Hrsg.): Lernort Museum. Museumspädagogische Werkstattberichte. Hess. Institut für Lehrerfortbildung, Fuldatal 1995.
Mitteilungen. Ein Journal des Hessischen Museumsverbandes. Bd. 1ff, Kassel
1986ff. – Museumsverbandstexte. Schriftenreihe des Hessischen Museumsverbandes. Nr. 1ff, Kassel 1989ff.
97
Jüdische Friedhöfe und Denkmäler
Dr. Hartmut Heinemann, Hessisches Hauptstaatsarchiv und Kommission
für Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden
In Reaktion auf die Verbrechen an den Juden in der NS-Zeit besteht
heute ein überaus erfreuliches öffentliches Interesse an der Erforschung jüdischer Geschichte. Dies war nicht immer so, galt es doch
nach 1945 zunächst als zweckmäßig, das Thema in der landesgeschichtlichen Forschung auszuklammern. Die Überlieferung zur jüdischen Geschichte ist zwiespältig. Auf der einen Seite gibt es eine reiche, im Vergleich zur allgemeinen Geschichte sogar besonders reichhaltige Quellenlage. Dies gilt vor allem für das 19. Jahrhundert, aber
auch für die Zeit des Dritten Reiches. Aussagen von Zeitzeugen und
biographische Erlebnisberichte ergänzen die schriftliche Überlieferung und erlauben eine intensive Beschäftigung auch mit der jüngeren Vergangenheit.
Schwieriger sieht es mit der Überlieferung von Bauwerken, Kultusgeräten und sonstigen sichtbaren Denkmälern jüdischer Kultur in unserem Lande aus. Die Zerstörungen der Pogrome vom November
1938 dienten ja gerade dem Ziel, die sichtbaren Zeugnisse jüdischen
Lebens möglichst umfassend zu tilgen. Dabei gingen nicht nur die
meisten Synagogen in Flammen auf und wurden anschließend abgerissen, auch die Kultusgegenstände wurden überwiegend vernichtet.
Somit gestaltet sich heute die „Spurensuche“ nach sichtbaren Zeugnissen jüdischer Geschichte einigermaßen schwierig. Die wenigen erhaltenen Synagogen und Frauenbäder (Mikwen) sind zudem baulich
meist nicht so typisch, dass sie für den interessierten Bürger sofort als
jüdisches Kulturgut zu erkennen und zu deuten wären. Daher gilt den
jüdischen Friedhöfen als oft einzigen erhaltenen Belegen des früheren
Judentums das besondere Interesse der Öffentlichkeit.
Im Bundesland Hessen gibt es heute noch 344 jüdische Friedhöfe,
die amtlich erfasst sind und die gepflegt werden. Sie ließen sich um einige weitere Begräbnisplätze ergänzen, auf denen keine Grabsteine
mehr stehen. Hessen verfügt damit neben Rheinland-Pfalz über das
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dichteste Netz jüdischer Friedhöfe in Deutschland. Dies ist Folge und
Ausdruck des in Hessen sehr verbreiteten Landjudentums. Jüdische
Friedhöfe dürfen nicht wie die christlichen nach einer bestimmten Belegzeit abgeräumt werden. Sie sind für die Ewigkeit bestimmt. Entsprechend findet man zum Teil sehr alte Friedhöfe. Ein Dutzend der
Friedhöfe in Hessen geht mit seinen erhaltenen Grabsteinen in die Zeit
vor 1700 zurück. Es handelt sich durchweg um alte Sammelfriedhöfe
einer Region oder einer historischen Verwaltungseinheit. Größter
Landfriedhof in Hessen ist jener in Alsbach an der Bergstraße mit
mehr als 2.000 Grabsteinen. An die Frankfurter Friedhöfe, unter denen
der am Börneplatz mit dem ältesten hessischen Grabstein von 1272 die
NS-Zeit leider nur fragmentarisch überstanden hat, reicht er damit jedoch nicht heran. Die Masse der hessischen Judenfriedhöfe stammt allerdings aus dem 19. Jahrhundert. In dieser Zeit der Judenemanzipation wurde es nun auch amtlicherseits gerne gesehen, wenn jede jüdische Gemeinde ihren eigenen Friedhof anlegte.
Auch die jüdischen Friedhöfe haben die Verfolgungen der NS-Zeit
nicht unbeschadet überstanden. Gerade in den Tagen des Pogroms
vom November 1938 waren fast alle jüdischen Friedhöfe in Hessen –
im übrigen entgegen einer heute weit verbreiteten Meinung – das Ziel
systematischer Zerstörungen. In den folgenden Jahren versuchten die
Zivilgemeinden mit unterschiedlichem Erfolg, in den Besitz des Friedhofs zu gelangen, um ihn dann über kurz oder lang abräumen zu
können. Viele jüdische Friedhöfe enthalten daher heute nur noch
einen Restbestand an Grabsteinen. Einige historisch wertvolle Friedhöfe (Friedberg, Fulda) sind in der NS-Zeit vollständig beseitigt worden. In der Nachkriegszeit war es nach der formellen „Wiederherstellung“ der Friedhöfe im Jahr 1945 gerade der Hessischen Landesregierung ein besonderes Anliegen, Unterhalt und Pflege der jüdischen
Friedhöfe auf Dauer zu sichern. Seit den 1950er Jahren erhalten die
zum Unterhalt verpflichteten Zivilgemeinden einen jährlichen Zuschuss. Bei den Regierungspräsidien stehen für größere Arbeiten –
etwa die Wiederaufrichtung umgestürzter Grabsteine – Sondermittel
bereit.
Die 1963 gegründete „Kommission für die Geschichte der Juden in
Hessen“, von der bereits an anderer Stelle berichtet wurde, machte es
sich schon früh zur Aufgabe, eine Dokumentation der jüdischen
Friedhöfe in Hessen anzulegen. Seit 1980 wird an diesem Projekt gearbeitet. Die anfangs von der Stiftung Volkswagenwerk getragene, seit
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1985 vom Land Hessen maßgeblich finanzierte Dokumentation hat
bisher mehr als 50 Friedhöfe mit zusammen rund 13.000 Grabsteinen
erfasst. Dabei werden alle vorhandenen Grabsteine fotografiert, die
Inschriften abgeschrieben und übersetzt. Mit diesen Arbeiten, die Spezialkenntnisse in hebräischer Epigraphik erfordern, ist eine eigene
Frachkraft betraut. Ziel ist es, alle alten Friedhöfe in Hessen mit noch
erhaltenen Steinen aus der Zeit vor 1800 – hiervon gibt es rund 60 –
entsprechend zu dokumentieren. Die Ergebnisse können bei der
Kommission im Hessischen Hauptstaatsarchiv eingesehen werden.
Publikationen sind in Vorbereitung. Mit diesem flächendeckenden
Projekt steht Hessen in Deutschland einzig da und leistet damit einen
hervorragenden Beitrag zur Erforschung der hessischen Landesgeschichte.
Neben den Friedhöfen verdienen unter den sichtbaren Denkmälern
selbstverständlich die erhaltenen Synagogen besondere Beachtung.
Nur wenige Synagogen haben die Pogrome von 1938 in ihrem Baubestand überlebt, zumeist aus Brandschutzrücksichten, weil ein Feuer
Nachbargebäude gefährdet hätte. Es gab aber eine größere Anzahl
von Synagogen, die schon vorher legal in private Hände gelangt
waren und somit den gezielten Zerstörungen entgingen. Bedauerlicherweise wurden jedoch auch nach den Zerstörungen der NS-Zeit
noch in den 1950er und 1960er Jahren gedankenlos Synagogenbauten
niedergelegt oder baulich völlig umgestaltet.
Seit vielen Jahren bemühen sich die Kommunen und lokale Vereine
um den Unterhalt und die Nutzung dieser erhaltenen Synagogen. Die
Probleme liegen nicht allein bei den Kosten. Sie ergeben sich oft mehr
noch aus dem Umstand, dass sich die angesprochenen Bauten heute
in Privatbesitz befinden. Gleichwohl sind zahlreiche Geschichts- und
Fördervereine im Umfeld dieser Synagogen um ihren Erhalt bemüht.
Entsprechende Vereine bestehen beispielsweise in Bensheim-Auerbach, im Kreis Groß-Gerau, in Roth bei Marburg, in Zwingenberg und
in anderen Orten. Ziel ist es, geeignete Nutzungen in Form von kulturellen Veranstaltungen, Ausstellungen und dergleichen zu finden. Zu
den Aufgaben der Vereine gehört oft auch die Betreuung von ehemaligen jüdischen Mitbürgern, die ihre alte Heimat besuchen. In vielen
Fällen haben diese Vereine auch generell die intensivere Erforschung
jüdischer Geschichte auf lokaler Ebene übernommen mit einem deutlichen Schwergewicht bei der jüngsten Geschichte. In diesen Zusammenhang gehören auch lokale Vereine wie der „Förderkreis Aktives
100
Museum Deutsch-Jüdischer Geschichte in Wiesbaden“, der trotz seines etwas irreführenden Namens kein Museum betreut, sich aber tatkräftig für die deutsch-jüdische Verständigung einsetzt. Mit ihren
breit gefächerten Aktivitäten erfüllen diese Vereine auch Aufgaben,
denen sich die schon bald nach dem Kriege gegründeten „Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ verschrieben hatten.
Man wird in diesem Rahmen auch an die Museen und deren historischen wie pädagogischen Aufgaben erinnern müssen. Wichtig ist
hier vor allem das von der Stadt Frankfurt getragene Jüdische Museum Frankfurt am Main. Das 1988 eröffnete, personell und finanziell
relativ gut ausgestattete Museum hat sich in den wenigen Jahren seines Bestehens ein hohes Ansehen erworben. Das Museum beschränkt
sich in seinem Aufgabenfeld nicht auf die reiche jüdische Geschichte
der Stadt, sondern greift mit seinen Ausstellungsthemen weit darüber
hinaus. Ein Glanzpunkt war die 1994 gezeigte Rothschild-Ausstellung. Mit ihren Katalogen und Beiheften sorgen diese Ausstellungen
zudem für einen bleibenden wissenschaftlichen Ertrag.
Was hier in Frankfurt auf hohem wissenschaftlichen Niveau angestrebt wird, versuchen auch kleinere Museen und Gedenkstätten in
anderen hessischen Städten und auf dem Land mit ihren beschränkten
Möglichkeiten in die Tat umzusetzen. In der Regel sind einzelne Abteilungen dem Thema Judentum gewidmet. Zu nennen sind namentlich das Stadtmuseum Hofgeismar und das Stadtmuseum Kassel.
Auch werden in einigen der angesprochenen historischen Synagogen
kleine Museen und Dokumentationszentren unterhalten, so beispielsweise das „Rabbiner Lichtigfeld-Museum“ in der Synagoge in Michelstadt. Die Gedenkstätten in Breitenau und Hadamar erinnern an
die Verbrechen der NS-Zeit und widmen auch den jüdischen Opfern
einen breiten Raum. Im Freilichtmuseum Hessenpark in Neu-Anspach ist die Synagoge von Nentershausen wieder aufgebaut; sie versinnbildlicht so das Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften in der Vergangenheit im ländlichen Bereich. Der
pädagogische Wert dieser Ausstellungen zur Geschichte des untergegangenen Judentums in Hessen ist unbestritten.
Viele der Aktivitäten gerade im lokalen Bereich beruhen trotz staatlicher Unterstützung letztlich auf der Initiative Einzelner. Um so beachtenswerter sind die Leistungen, die vor allem in den letzten zwanzig Jahren auf dem Gebiet der jüdischen Landesgeschichte in Hessen
101
vollbracht worden sind. Was man sich wünscht, wäre eine stärkere
Koordinierung mit einem entsprechenden Erfahrungsaustausch.
Literaturhinweise:
Paul ARNSBERG: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang, Untergang,
Neubeginn. 3 Bde. Frankfurt/Darmstadt 1971/73.
Hartmut HEINEMANN: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen. In: Denkmalpflege in Hessen 1997/2, S. 32-41.
Thea ALTARAS: Synagogen in Hessen. Was geschah nach 1945? Königstein
i.T. 1988; Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen / Was
geschah seit 1945? 2. Teil. Ebd. 1994.
Jüdisches Museum Frankfurt am Main. Prestel-Museumsführer. München/
New York 1997.
102
Familienkundliche Forschung in Hessen
Lupold von Lehsten,
Institut für personengeschichtliche Forschung, Bensheim
Die genealogische Forschung in Hessen hat eine lange Tradition, auch
wenn sich die frühen Genealogen vor allem mit Fürstenhäusern und
Adel befassten. Eine erste Blütezeit erlebte die Familienforschung für
„jedermann“ in den 1920er Jahren, als binnen weniger Jahre in Frankfurt, Darmstadt, Kassel, Fulda und Wiesbaden neue „familiengeschichtliche Vereinigungen“ gegründet wurden. 1920 erschien auch
der erste „Hessen“-Band im „Deutschen Geschlechterbuch“. Die Jubiläen der Vereine boten in den vergangenen Jahren immer wieder Gelegenheit zum bilanzierenden Rückblick. Eine erneute Standortbestimmung zur anstehenden Jahrtausendwende erscheint sinnvoll und
notwendig, da sich mit Computer und Internet auch Forschungsmöglichkeiten und Forschungspraxis der Familienforschung durchgreifend verändert haben.
In früheren Jahrzehnten waren die Familienforscher eine Gruppe
von Liebhabern, die sich zumeist untereinander kannten. Den ersten
Anstoß gab die Erforschung der eigenen Vorfahren zwecks Erstellung
einer Ahnentafel, was dann in den Archiven, bei Kirchenbuchstudien
und im Verein fast zwangsläufig Kontakte zu Gleichgesinnten
brachte. Vorbilder und Wegweiser waren bis heute renommierte Genealogen wie die Theologen Wilhelm Diehl, Karl Eduard Grimmell
oder Hermann Knodt, Konrektor Rudolf Dietz, Otfried Praetorius und
der Darmstädter Regierungsrat Rudolf Schäfer, die als Nachkommen
der großen Gelehrten- und Beamtensippen des Landes in Hessen und
darüber hinaus forschten und die Ergebnisse ihrer Forschungen für
andere nutzbar machten. Heute gibt es neben der relativ kleinen
Gruppe der Vereins-Aktiven eine rasch wachsende Zahl von HobbyForschern, die durch ein PC-Programm dazu angeregt wurden, ihren
Vorfahren nachzuspüren, Formular-Blätter auszufüllen oder in Datenbanken zu recherchieren, um Ahnen- oder Stammtafeln zu erstellen.
Sie beschränken sich vielfach auf Kirchenbücher oder Kopien davon
und die im Internet gebotenen „Links“.
103
Ein früher Kontakt mit den „Fachleuten“ der genealogischen Vereine, die fachkundige Beratung geben können, wäre gleichwohl wünschenswert, nicht zuletzt um Doppelarbeit zu vermeiden, die u.U.
auch die Quellen unnötig belastet, und um die eigenen Ergebnisse im
Austausch für andere nutzbar zu machen. Ein entsprechender Einstieg kann durchaus stilgerecht über das Internet erfolgen, das Vereine
und Forschungsmöglichkeiten in Deutschland (mit z.T. umfangreichen Forschungshilfen und Hinweisen) unter
http://www.genealogy.net.gene
anbietet. Die hessischen Seiten folgen unter
http://www.genealogy.net/reg/HES/.
Hier findet man zunächst die drei maßgeblichen Regionalvereine:
• die „Hessische familiengeschichtliche Vereinigung e.V.“ in Darmstadt (mit selbständigen Gruppen in Gießen für Oberhessen, im Biedenköpfer Hinterland, im Odenwald und im südhessischen Ried);
• die „Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck“ in
Kassel;
• die „Familienkundliche Gesellschaft für Frankfurt und Nassau“ in
Frankfurt.
Wie im Siegerland („Familienkundliche Arbeitsgemeinschaft (FAG)
im Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein“) gibt es auch in
Fulda, im Hanauischen, in Gelnhausen und um den Vogelsberg örtliche Gruppen. Zusammengebunden sind die Vereine in der „Arbeitsgemeinschaft der familienkundlichen Gesellschaften in Hessen“.
Die Arbeitsgemeinschaft firmiert als Herausgeber der in Bensheim
redigierten Zeitschrift „Hessische Familienkunde“, die jetzt (mit jährlich 4 Heften) im 24. Band erscheint. Beigefügt werden die Lieferungen
der „Hessischen Ahnenlisten“ (jetzt im 4. Band), die „Familienkundlichen Nachrichten“ und Mitteilungen der Einzelvereine. Die Vereine in
Darmstadt und Kassel publizieren eigene Schriftenreihen (zumeist
Ortsfamilienbücher). Dazu gibt es allein in Hessen rund ein Dutzend
Zeitschriften von Familienverbänden, die zumeist in der „Zentralstelle
für Personen- und Familiengeschichte“ in Frankfurt-Höchst dokumentiert werden. Über Hessen hinaus wirkt das „Institut für personengeschichtliche Forschung“ in Bensheim (gegründet 1967 von Friedrich
Wilhelm Euler als „Institut zur Erforschung historischer Führungsschichten“ in Verbindung mit den von der Ranke-Gesellschaft organisierten „Büdinger Gesprächen“ zum Thema „Führungsschichten“); es
bildet heute eine wichtige Schnittstelle zwischen familienkundlicher
104
Laienforschung und wissenschaftlicher Genealogie bzw. Personengeschichte. Schwerpunktthema ist zur Zeit die Beamtenschaft der Territorien des Alten Reiches unter besonderer Berücksichtigung Hessens.
Für den einzelnen Familienforscher ist Hauptansatzpunkt seiner
Arbeit noch immer die Auswertung der Kirchenbücher, vielfach eng
begrenzt auf einzelne Orte der engeren Umgebung, die Herkunftsorte
der Vorfahren. Er arbeitet vorrangig für sich, für seine Ahnen- und
Stammtafel, doch können sich die Recherchen durchaus auch zu umfassenderen Verwandtschaftslisten oder ganzen Ortsfamilienbüchern
ausweiten, die dann freilich oft nur im Internet oder in Privatdrucken
für einen begrenzten Interessentenkreis publik werden.
Probleme ergeben sich zum Teil schon durch die verstärkte Benutzung der zum Teil ohnedies in ihrem physischen Bestand gefährdeten
Kirchenbücher. Verschärft wird die Lage durch die noch größere Zahl
der genealogischen Anfragen aus Nordamerika, die sich auf der Suche
nach im 18. oder 19. Jahrhundert ausgewanderten Vorfahren an Archive und Kirchengemeinden, Stadtverwaltungen oder sonstige Ansprechpartner wenden. In den hessischen Staatsarchiven sucht man
anhand umfassender, heute großenteils computerisierter Auswandererdateien zumindest den Anknüpfungspunkt, den konkreten Herkunftsort zu bestimmen. Für die weitere, zumeist honorierte Nachforschung vor Ort werden zum Teil die Vereine (die Geschäftsstelle der
Darmstädter „Vereinigung“ befindet sich im „Haus der Geschichte“
des Staatsarchivs), zum Teil private Forschungshelfer eingeschaltet.
Ergebnis entsprechender Recherchen ist u.a. die 5-bändige Dokumentation über „Auswanderungen aus dem Odenwaldkreis“, die 1988/97
von Ella Gieg in Lützelbach als Privatdruck publiziert wurde.
Mit den zahlreichen Anfragen in- und ausländischer Ahnenforscher sind vor allem die Pfarreien und ihre Archivverwalter überfordert. Hohe Benutzungs- und Bearbeitungsgebühren sollen abschrecken. Bemühungen um einheitliche, möglichst „benutzerfreundliche“ Regelungen blieben zumeist ohne greifbare Ergebnisse, was positive Beispiele guter Zusammenarbeit nicht ausschließt. Entlastung
schafft zum Teil die seit den 1970er Jahren im Auftrag der „Genealogical Society of Utah“ durchgeführte Kirchenbuchverfilmung, mit der
zumindest Teile der amerikanischen Fragesteller an die Zentralstelle
der GSU in Salt Lake City verwiesen werden können. Entlastung bringen auch die in wachsender Zahl publizierten Ortsfamilien- oder
Ortssippenbücher, in denen die Kirchenbucheinträge eines Orts nach
105
Familien geordnet und vernetzt werden. Allein von der „Hessischen
familiengeschichtlichen Vereinigung“ wurden hier in den letzten Jahren über 25 Bände gedruckt. Der Geschichtsverein in Arolsen hat 1997
mit dem Band Nieder-Werbe bereits Band 56 der „Waldeckischen
Ortssippenbücher“ vorgelegt.
Die in den offiziellen Reihen publizierten Bände erfassen aber nur
einen kleinen Teil des tatsächlich aufgearbeiteten Materials. Zahlreiche genealogische Arbeiten erscheinen im Selbstprint-Verfahren, ohne
Registrierung, in kleinsten Auflagen, meist ohne richtigen Titel und
oft ohne eindeutigen Verfasser. Umfängliches Material (ganze Kirchenbuchkopien, Karteien oder auswertende Zusammenstellungen
unterschiedlichen Umfangs) findet sich überdies ungedruckt in den
Arbeitsnachlässen, die den Vereinen von ihren Mitgliedern überlassen
wurden und werden. Die Vereine bemühen sich, auch von neu erstellten Stammtafeln, Auszugssammlungen und Ausarbeitungen der Einzelforscher Belegkopien zu bekommen. Vor allem in Hinblick auf die
in jüngster Zeit neu erstellten elektronischen Dateien bedürfen dabei
eine Reihe von Fragen dringend der Klärung:
• Wie lässt sich die Vielfalt konventionell oder elektronisch gespeicherter Forschungsergebnisse kompatibel strukturieren und erfassen, um sie einem möglichst großen Kreis von Interessenten zugänglich zu machen?
• Wie werden die rechtlichen Fragen des Zugangs zu privat erhobenen Daten geregelt, der u.U. auch eine Benutzungsgebühr als anteilige Aufwandsvergütung einschließen müsste?
• Wie kann eine längerfristige Verwahrung und Zugänglichkeit der
elektronisch erstellten Dateien auch bei Wechsel der Computersysteme sichergestellt werden?
Gerade die letzte Frage beschäftigt natürlich auch die Archive, die
zunehmend damit konfrontiert sind, dass bisher in konventioneller
Papierform dokumentierte Unterlagen wie Meldedateien oder Kataster nur noch in elektronischer Form vorliegen.
Ein Problem für die Genealogen ist darüber hinaus die bedingte
Kompatibilität der mit den verschiedenen marktgängigen Computerprogrammen erfassten und gespeicherten Daten. Auch die Mitgliedsvereine der hessischen „Arbeitsgemeinschaft“ benutzen bisher unterschiedliche Programme. Kassel und Darmstadt sind um eine Abstimmung bemüht, von der Wiesbaden wegen seiner Anbindung an das
mit der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung vernetzte Haupt106
staatsarchiv bisher ausgeklammert war. In Kassel wurde unter Leitung von Holger Zierdt ein Gesamtindex für die „Hessische Familienkunde“ erstellt, der ins Internet eingebracht wird. Die Ausweitung auf
eine umfassende Indizierung aller hessischen genealogischen Zeitschriften und Publikationen ist im Gange. Für genealogische Daten
fand das in Darmstadt entwickelte Genealogie-Programm „Ahn-Data“
nur regional Verwendung. Favorisiert wird jetzt das Programmpaket
„GES 2000“. Auch der in verschiedenen Genealogieprogrammen vorgesehene Austausch mit GEDCOM, einem Angebot der „Genealogical
Society“, hat sich als unzulänglich erwiesen. Es wird notwendig sein,
zunächst einmal feste Standards festzulegen, welche Teile und in welcher Form die vorhandenen Materialien erfasst, gespeichert und erschlossen werden sollen.
Die familienkundliche Forschung in Hessen bietet innerhalb
Deutschlands eine außerordentlich breite Palette von Traditionen,
Vereinen, Organisationen und Forschungseinrichtungen. Eine wirksamere Vernetzung und systematischer Austausch der Forschungsvorhaben und der erzielten Ergebnisse könnte auch für andere deutsche Regionen exemplarischen Charakter haben. Zum Erreichen dieses Ziels bedürfen die in erster Linie geforderten Vereine jedoch der
nachhaltigen Förderung und Unterstützung von allen Beteiligten.
Literaturhinweise
Heinz F. FRIEDERICHS. Die Entwicklung der Genealogie in Hessen und Nassau. In: Hess. Familienkunde 3/11-12, 1956, Sp. 577-590.
50 Jahre Hessische familiengeschichtliche Vereinigung e.V. Darmstadt
1921/1971. Festschrift, mit Beiträgen zur hessen-darmstädtischen Genealogie. Darmstadt 1971. - Gert GRAMLICH: 75 Jahre Hessische familiengeschichtliche Vereinigung. In: Hess. Familienkunde 23/1, 1996, Sp.1f.
Jakob HENSELING, 50 Jahre Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen
und Waldeck. In: Hess. Familienkunde 12/2-3, 1974, Sp. 125-146. – Gustav
EICHBAUM: 70 Jahre …. In: Hess. Familienkunde 22/3, 1994, Sp. 121f.
Lupold VON LEHSTEN: Das Institut für personengeschichtliche Forschung.
In: Jahrbuch für historische Forschung, Berichtsjahr 1993. München 1994,
S. 24-28.
Holger ZIERDT: Möglichkeiten und Grenzen der Genealogie im Internet –
unter besonderer Berücksichtigung hessischer Informationen. In: Hess.
Familienkunde 24/5, 1999, Sp. 277-294.
107
Landeskundliche Zeitschriften
Prof. Dr. J. Friedrich Battenberg, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
Die Forschung zur geschichtlichen Landeskunde Hessens ist seit mehr
als anderthalb Jahrhunderten eng mit periodisch erscheinenden Publikationsorganen verbunden, die (mehr oder weniger umfassend) für
die Aufarbeitung der Geschichte und Kultur einer Region oder auch
des ganzen Landes zur Verfügung stehen. Bei der Entscheidung über
die Aufnahme der in den Schriftleitungen eingehenden Beiträge spielt
es heute zumeist keine Rolle, welche historische Epoche angesprochen
wird, ob der thematische Schwerpunkt auf allgemeiner politischer,
auf sozialer oder wirtschaftlicher Geschichte liegt, ob Rechts-, Verwaltungs- oder Kirchengeschichte angesprochen sind, ob mit Methoden
der Mikrohistorie, der „oral history“ oder der historischen Sozialforschung gearbeitet wird, ob ein eher allgemeines Thema oder ein Einzelfall aus den Akten behandelt werden. Veröffentlichen kann jeder
Interessent und jede Interessentin unabhängig von Vorqualifikationen
und Titeln und auch unabhängig davon, ob er oder sie Mitglied in der
hinter der Zeitschrift stehenden Vereinigung ist; der Beitrag muss nur
qualitätsvoll sein, ins Spektrum der Zeitschrift passen und den redaktionellen Richtlinien entsprechen. Landeskundliche Zeitschriften sind
inhaltlich und in der Zusammensetzung der Autorenschaft grundsätzlich offen und umfassend konzipiert, sofern der aufzunehmende
Beitrag für die Geschichte der behandelten Region relevant ist.
Diese „Allzuständigkeit“, die sich auch in der von vielen Autoren
und Autorinnen bevorzugten interdisziplinären Arbeitsweise niederschlägt, erscheint heute so selbstverständlich, dass man darüber kaum
ein Wort verlieren müsste. Bezeichnend ist, dass das 1951 erstmals
publizierte „Hessische Jahrbuch für Landesgeschichte“, das damals
unter der Schriftleitung von Prof. Friedrich Uhlhorn (Marburg) von
der Arbeitsgemeinschaft der Historischen Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden herausgegeben wurde (die
offizielle Verbindung mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde besteht seit 1963), ohne jedes einführende „Edito108
rial“ auskam: Man ging offenbar davon aus, dass die Publikation eines
derartigen Jahrbuchs mit der üblichen Dreiteilung in Aufsätze, kleine
Beiträge (Miszellen) und Buchbesprechungen keiner nähere Begründung bedürfe, dass der Inhalt mit dem Begriff „hessische Landesgeschichte“ hinlänglich definiert sei. Dabei blieb denn auch unerwähnt,
dass es seit mehr als hundert Jahren in allen vier historischen Großlandschaften Hessens – den vordem selbständigen Landesteilen Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Herzogtum Nassau und Freie Stadt
Frankfurt – historische Jahrbücher gab, die das Gebiet des neuen Bundeslandes Hessen samt den angrenzenden, ehemals hessischen bzw.
nassauischen Gebieten fast lückenlos abdeckten; dazu kamen zahlreiche weitere landeskundliche Zeitschriften, die für engere historische
Regionen, Städte und Gemeinden zusätzliche Publikationsmöglichkeiten boten.
Dass das „Hessische Jahrbuch“ dennoch seine Existenzberechtigung hat und letztlich nicht als Konkurrenz zu den älteren Jahrbüchern zu verstehen ist, ergibt sich aus der vorausgesetzten, wenn
auch nicht ausdrücklich erklärten Zielvorstellung: Nach der 1945 erfolgten Gründung des neuen Landes (Groß-)Hessen schien es an der
Zeit, mit einer auf dessen Grenzen bezogenen Zeitschrift das historische Bewusstsein für das gesamte Land zu stärken, die überkommene
Orientierung an den alten Regionen Althessens, Nassaus und der
Reichsstadt aufzugeben und die historisch-landeskundlichen Grundlagen zur Schaffung einer neuen, das gesamte Land umfassenden
Identität zu legen. Dies bedeutet nicht, dass diese Zeitschrift nur die
deutsche Nachkriegsgeschichte am Mittelrhein behandeln sollte.
Auch war keineswegs beabsichtigt, die gesamte ältere Geschichte auf
das heutige Bundesland hin zu interpretieren, in dem Sinne etwa, dass
von der Besatzungsmacht nur vereinigt worden sei, was eigentlich
schon immer zusammengehört hatte, auch wenn es ältere „Großhessen“-Pläne durchaus gegeben hatte.
Beim Blick auf den Inhalt des ersten „Jahrbuch“-Bandes mit Beiträgen von der Kultur der „urnenfelderzeitlichen Grabhügel“ im Fuldaer
Land bis zum Kirchenverfassungsrecht des 19. Jahrhunderts in Nassau bleibt eher der Eindruck einer konzeptionellen Offenheit oder gar
Unsicherheit. Die Vorgeschichte, Entstehung und weitere Entwicklung Hessens in seiner heutigen Gestalt wird auch in der Folge kaum
thematisiert. Selbst als Karl E. Demandt, Verfasser der wenige Jahre
zuvor erschienenen „Geschichte des Landes Hessen“, im 12. Band
109
1962 über „Fragen der hessischen Landesgeschichtsschreibung“ referierte, wurde die Gelegenheit zu einer konzeptionellen Reflexion nicht
genutzt. Erst 1970 (im 20. Jahresband) findet sich ein Aufsatz von Wolf
H. Struck „Zur ideenpolitischen Vorbereitung des Landes Hessen“.
Die für landeskundliche Zeitschriften selbstverständliche Offenheit, die auch als methodische Unentschiedenheit oder Scheu vor einseitiger Festlegung und inhaltlicher Eingrenzung interpretiert werden
könnte, ist ein Ergebnis der jüngeren Entwicklung, für die man die Resonanz auf die republikanische Demokratisierung nach dem Ersten
Weltkrieg und die nachfolgenden Jahre des Nationalsozialismus genauer ins Auge fassen müsste, prüfen müsste, wie sich die zwangsläufige „Gleichschaltung“ der jeweiligen Zeitschriftenträger auswirkte, wieweit man „Mitläufer“ wurde, in unpolitische Freiräume
zurückwich oder die Publikation in der Hoffnung auf bessere Zeiten
einschlafen ließ. Beim Darmstädter „Archiv für hessische Geschichte
und Altertumskunde“ wurden die 1943 durch Bombeneinwirkung
zerstörten Druckvorlagen für Band 23/1 mit einem Gedenkaufsatz
zum Vertrag von Verdun 843 unverdrossen wiederhergestellt, so dass
der Text (offenbar unverändert) im Juni 1945 erscheinen konnte. Erst
dann gab es eine, auch durch Papiermangel bedingte Unterbrechung,
bis 1950 das 2. Heft des Bandes folgte. Wie auch die anderen älteren
landeskundlichen Zeitschriften wurde das „Archiv“ durch das „Hessische Jahrbuch“ nicht verdrängt, allenfalls veranlasst, den eigenen
Wirkungsbereich näher zu definieren und zugleich die Betreuung des
engeren historischen Wirkungsbereichs zu intensivieren.
Im vorigen Jahrhundert hatten die Gründungsväter der noch heute
erscheinenden vier „großen“ landeskundlichen Zeitschriften in Hessen Pionieraufgaben zu bewältigen. Die Erweiterung des Spielraums
der bürgerlichen Öffentlichkeit im Zuge der Aufklärung hatte zwar
bereits im 18. Jahrhundert zur Gründung erster historisch orientierter
Zeitschriften geführt. Für die in den 1820er und 30er Jahren neu
begründeten landeskundlichen Jahrbücher gab es jedoch kein Vorbild
und auch keine logistischen oder organisatorischen Erfahrungen. Träger der neuen Publikationsorgane, die der neu definierten „älteren
deutschen Geschichtskunde“ eine breitere Basis schaffen sollten,
waren die neu begründeten Historischen Vereine. Vorrangiges Ziel
war die Sammlung und Vermittlung von Nachrichten über „Altertümer“ und andere Geschichtsquellen. Dabei blieb man der Zensur des
Staates unterworfen, der sichergehen wollte, dass nicht im Gewand
110
geschichtlicher Beispiele (wie der Berufung auf den Bauernkrieg von
1525) politische Propaganda gemacht wurde. Die Behandlung von
Themen der jüngeren Geschichte wurde im Großherzogtum Hessen
ausdrücklich verboten.
Die erste landeskundliche Zeitschrift im Bereich des heutigen Bundeslandes Hessen waren die 1827 in Wiesbaden begründeten „Annalen des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“. Vereinssekretär Archivar Friedrich Gustav Habel aus Schierstein erläuterte im Vorwort des ersten Heftes, der Vorstand habe dem
vielfach geäußerten Wunsch entsprochen, „in einer Zeitschrift diejenigen Aufsätze niederzulegen, wodurch sich die Tätigkeit der Mitglieder für die Zwecke des Vereins beurkundet“. So könne „die Teilnahme
an vaterländischer Geschichtskunde allgemeiner verbreitet und […]
durch Aufsuchung und Benutzung noch verborgener historischer
Hülfsquellen der Grund zu einer Sammlung mehrseitig geprüfter Materialien gelegt werden, aus welchen der Geschichtsschreiber in der
Folge eine gründliche und umfassende Landesgeschichte mit Sicherheit darzustellen im Stande ist“. Die Statuten der „Gesellschaft für
Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung“ definierten
den Vereinszweck mit „Aufsuchung, Sammlung und Beschreibung
der römischen und deutschen Alterümer im Herzogtum Nassau“ und
sahen zugleich vor, dass „die Resultate der Arbeiten und Verhandlungen des Vereins […] zum Druck befördert“ werden sollten. Vorrangiges Ziel war also der Ausbau einer Materialsammlung als Grundlage
künftiger Darstellung der älteren Nassauischen Geschichte.
Der „Historische Verein für Hessen“ ging in seinem 1835 erstmals
erschienenen „Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde“
deutlich über solche Zielvorstellungen hinaus. Nach dem ursprünglichen Entwurf des nachmaligen Herausgebers Johann Wilhelm Christian Steiner von 1832 sollte die Zeitschrift „als wesentliches Mittel zur
Beförderung vaterländischer Geschichtskunde“ dienen, „welche die
Bearbeitungen der Mitglieder aufnimmt“, die damit zu selbständiger
wissenschaftlicher Mitarbeit aufgerufen waren. Die von Staatsminister du Thil genehmigten Statuten von 1834 definierten den Vereinszweck mit „Beförderung des Forschens im Gebiete der hessischen Altertumskunde und Landesgeschichte“ mit dem bereits erwähnten
„Ausschluss der Tagesgeschichte und aller Erörterungen über politische Gegenstände der neuesten Zeit“. Das war letztlich noch toleranter als die vom Gründungsvorsitzenden Staatsrat Eigenbrodt vorge111
schlagene Beschränkung auf die „ältere Geschichte“, die ein anderes
Votum „etwa bis zum Schluss des 17. Jahrhunderts“ eingrenzen
wollte. Im vorgegebenen Rahmen sollte die Zeitschrift neben eigentlichen Vereinsnachrichten „Beschreibungen alter Denkmäler sowie geschichtliche Monographien über einzelne Landesteile und einzelne,
sich auf Staat, Kirche, Gemeinden u.s.w. beziehende Institute“, außerdem „Abdrücke geschichtlicher Quellen“ und schließlich ergänzende
„Miscellen“ bringen, in denen „insbesondere kurze Anfragen und
Aufschlüsse über bisher zweifelhafte Punkte der ältern vaterländischen Geschichte ihre Stelle finden, sowie einzelne interessante Züge
aus derselben aufgenommen werden können“. Die zu bearbeitende
„Landesgeschichte“ war hier deutlich weiter gefasst als die in Wiesbaden anvisierte „Altertumskunde“.
Zukunftsweisend war an sich auch die 1832 vom Darmstädter
Gymnasialdirektor Dilthey mit Kostengründen motivierte Anregung,
„teilweise Verbindungen mit andern gelehrten Gesellschaften und
Vereinen einzuleiten oder eine Erweiterung des Vereins zu einem allgemein hessischen durch Ausbreitung in Kurhessen“ zu erwirken. In
Kassel stimmte man dem zu, entschloss sich aber, nachdem man aus
Darmstadt die Begrenzung auf „unser Hessen“ vorgezogen hatte, mit
dem eigenen „Verein für hessische Geschichte und Landeskunde“
ebenfalls eine Zeitschrift ins Leben zu rufen. Der Herausgeber der ab
1837 publizierten „Zeitschrift“, die nachmals mit „ZHG“ abgekürzt
wurde, erläuterte in seiner Einführung, dass es nicht nur um Forschung und Erweiterung des historischen Wissens gehe, sondern auch
und vor allem um die Verbreitung gründlicher historischer Kenntnisse: „Eine von dem Vereine zu begründende Zeitschrift, in zwanglosen Heften, dürfte wohl das geeignetste Mittel sein, den Geschmack
für vaterländische Geschichte zu wecken und zu beleben und zugleich die Mitglieder des Vereins selbst mit mehr Lust und Eifer zum
Arbeiten zu erfüllen.“ Hier wird also als weitere Funktion die Bildung
eines auf Quellenkenntnissen beruhenden Geschichtsbildes angegeben. Die Spannweite der als Grundlage einer breiteren historischen
Bildung anzusetzenden landeskundlichen Forschung umrissen die im
Eröffnungsheft der „Zeitschrift“ publizierten Statuten: „Als Grundlage einer umfassenden Geschichte des Landes und seiner Bewohner
und als Gegenstände, denen deshalb vorzügliche Aufmerksamkeit zu
widmen ist“, werden insbesondere bezeichnet: Die natürliche Beschaffenheit des Landes und seiner Erzeugnisse; der Ursprung und
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die Stammesverhältnisse der Bewohner, die Sprache nach ihren
Mundarten, Sagen, Lieder u.s.w.; die Geschichte des Volkes, der Fürsten, Geschlechter und Ortschaften; die alte Gau- und spätere Gerichtsverfassung; das Kirchenwesen; die Güterverhältnisse; die städtischen Freiheiten, das Zunftwesen und andere Genossenschaften, die
Gewerbe und bäuerlichen Verhältnisse und sonstige die Landwirtschaft betreffende Einrichtungen; die Rechtsaltertümer, Gebräuche,
Festlichkeiten; die Fortschritte und Leistungen der Wissenschaften
und Künste, und Beschreibung von Altertümern aller Art; „überhaupt
alles, was dazu dienen kann, ein möglichst richtiges und vollständiges
Bild von dem Zustande des Vaterlandes in den verschiedenen Zeiten
zu entwerfen“. Die Altertümer rangierten hier ganz am Schluss, nach
Disziplinen, die wir heute mit geschichtlicher Landes- und Volkskunde, Rechts- und Verwaltungsgeschichte, Kirchen- und Bildungs-,
Wirtschafts- und Sozialgeschichte bezeichnen würden. Wir könnten
das Publikationsprogramm einer landeskundlichen Zeitschrift heute
kaum besser definieren.
Die jüngste dieser älteren Gründungen, das 1839 erstmals publizierte „Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst“, verschob den
Akzent noch stärker auf Vermittlung historischen Wissens an die Öffentlichkeit: „Im allgemeinen geht die Absicht nicht darauf hin, dunkle
Punkte in Frankfurts Altertümern durch gelehrte Forschungen aufzuhellen, sondern das vorhandene Material jeder Art in einer Weise zu
verarbeiten, die es jedem, der an dem geschichtlichen Leben einer der
ältesten und bedeutendsten Städte unseres Vaterlandes teilnimmt, zugänglich macht“. Die Vergangenheit sollte „in das Gedächtnis der Mitwelt zurückzurufen“ werden. Die Zeitschrift als Kommunikationsmedium des „kulturellen Gedächtnisses“ also? Dieser Gedanke könnte in
unserer schnelllebigen und weitgehend computergesteuerten Zeit, in
der selbst historische Quellen zum „Wegwerfgut“ geworden sind,
neue Aktualität gewinnen. Es wird deutlich, dass die von den landeskundlichen Zeitschriften betriebene Historiographie nicht auf das
bloße Sammeln, Ordnen und Forschen beschränkt sein sollte; dass
auch die in Kassel angestrebte interdisziplinäre Ausweitung der Geschichte nicht genügte: Vorrangiges Ziel war es, die gesammelten Materialien und Ergebnisse in allgemeinverständlicher Form zu vermitteln, historisches Bewusstsein zu bilden und so an der Bildung des kulturellen Gedächtnisses der jeweiligen Region mitzuwirken.
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Die Gründungen der Vormärzjahre, die sämtlich bis in unsere Tage
Bestand hatten, bildeten einen ersten, aber entscheidenden Auftakt,
der die grundsätzliche Richtung für alle später gegründeten landesund heimatkundlichen Zeitschriften vorgab. Bei diesen ging es zumeist um die weitere Regionalisierung und Popularisierung der Geschichte für Interessenten „vor Ort“. Dazu kam die Abspaltung und
Differenzierung eigenständiger Bereiche. Benannt werden sollen wenigstens beispielhaft die ab 1879 publizierten „Jahresberichte des
Oberhessischen Vereins für Localgeschichte“, die ab 1889 in die „Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen“ eingingen. Die 1898 entstandene Zeitschrift „Hessenland. Zeitschrift für hessische Geschichte und Literatur“ blieb nicht lange bestehen, hatte aber
verschiedene Nachfolger. Um die Jahrhundertwende entstanden die
„Geschichtsblätter für Waldeck und Pyrmont“ (1901), die „Fuldaer
Geschichtsblätter“ (1902) sowie die „Friedberger Geschichtsblätter“,
die ab 1952 als „Wetterauer Geschichtsblätter“ fortgeführt wurden.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen die „Hessische Familienkunde“ (1948), in der die seit 1925 herausgegebenen „Mitteilungen
der Hessischen Familiengeschichtlichen Vereinigung“ aufgingen, und
das „Jahrbuch der Kirchengeschichtlichen Vereinigung in Hessen und
Nassau“ (1949) dazu. Regional enger begrenzt wurden die Zeitschriften „Der Odenwald“ (1953) und die „Geschichtsblätter für den Kreis
Bergstraße“ (1968). Hinzu kamen zahlreiche landeskundlich orientierte Fachzeitschriften aus angrenzenden Gebieten, die mit Teilen
ihres historischen Sprengels in den Bereich des heutigen Bundeslandes Hessen hineinreichen.
Versucht man eine abschließende Bewertung dieser Vielfalt landeskundlicher Periodica vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung, so sind zwei Tendenzen sichtbar: Auf der einen Seite stehen die
vier traditionsreichen „großen“ Zeitschriften des Landes aus den Anfangsjahren der Geschichtsvereine im vorigen Jahrhundert, denen die
Nachkriegsgründung des „Hessischen Jahrbuchs für Landesgeschichte“ zugesellt wurde. Sie alle wollen das Spektrum der Geschichtlichen Landeskunde für ihren jeweiligen Bereich möglichst
umfassend abdecken und unter Nutzung des verfügbaren wissenschaftlich-methodischen Instrumentariums präsentieren. Dabei werden neuerdings zunehmend auch zeitgeschichtliche Themen berücksichtigt. Beispielhaft sei hier auf den 55. Band des „Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde“ von 1997 hingewiesen, der
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neben Aufsätzen zur mittelalterlichen Stadttopographie und zur Geschichte der Hugenotten auch Beiträge zur Judenemanzipation im
Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft, zur politischen Orientierung
der Juden in der Weimarer Republik und zum Wiederaufbau Darmstadts nach dem Zweiten Weltkrieg enthält. Eine zweite Ebene bilden
die mit Sonderbereichen befassten Zeitschriften und auf kleinere Regionen ausgerichteten Blätter, die in ihrem begrenzten Themenkreis in
stärkerem Umfang auch Beiträge von Laienforschern aufnehmen und
damit zugleich eine fachlich weniger vorgebildete Leserschaft ansprechen, um das Bewusstsein für Regional- und Heimatgeschichte zu
stärken. Die traditionsreichen „großen“ Zeitschriften, die Organe der
Sonderdisziplinen (z.B. die „Hessischen Blätter für Volkskunde“) wie
kleinräumig ausgerichteten Blätter haben nebeneinander ihre Berechtigung und leisten in ihren Bereichen sinnvolle und notwendige Arbeit. Vielleicht sollte man sich wünschen, dass sich das „Hessische
Jahrbuch für Landesgeschichte“, das mit dem im Sommer 1999 in
Marburg durchgeführten Jubiläums-Symposium „50 Jahre Landeskunde in Hessen“ für den 50. Band im Jahre 2000 eine umfassende Bilanz der hessischen Landesgeschichtsforschung vorbereitet, auch
künftig stärker auf überregionale Fragestellungen orientiert, so dass
sich eine echte Dreistufigkeit im Aufbau der landeskundlichen Zeitschriftenlandschaft Hessens ergäbe.
Literaturhinweise
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. Hg. im Auftrag des Frankfurter
Vereins für Geschichte und Landeskunde. Neue Folge Bd. 1-65. Frankfurt
1860-1999.
Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde. Hg. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt in Verbindung mit dem Historischen Verein für Hessen.
Bd. 1-15, Neue Folge Bd. 1-57. Darmstadt 1837-1999.
Archiv für Mittelrheinische Kirchengeschichte. Hg. im Auftrag der Gesellschaft für Mittelrheinische Kirchengeschichte. Bd. 1-51. Trier/Speyer 19491999.
Fuldaer Geschichtsblätter. Zeitschrift des Fuldaer Geschichtsvereins. Bd. 1-76.
Fulda 1902-1999.
Geschichtsblätter Kreis Bergstraße. Hg. Arbeitsgemeinschaft der Geschichtsund Heimatvereine im Kreis Bergstraße. Bd. 1-32. Heppenheim 1968-1999.
115
Geschichtsblätter für Waldeck (bis 1938: für Waldeck und Pyrmont). Hg. Waldeckischer Geschichtsverein. Bd. 1-87. Arolsen 1901-1999.
Hessische Blätter für Volkskunde. Hg. Hessische Vereinigung für Volkskunde.
Bd. 1-64/65. Gießen 1902-1974; Forts.: Hessische Blätter für Volks- und
Kulturforschung. Neue Folge Bd.1-34. Marburg 1976-1998.
Hessische Familienkunde. In Arbeitsgemeinschaft hg. Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck, Familienkundliche Gesellschaft für
Nassau und Frankfurt, Hessische Familiengeschichtl. Vereinigung. Bd. 1-24.
Darmstadt 1948-1999.
Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Hg. Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde und von der Arbeitsgemeinschaft der Historischen Kommissionen in Darmstadt, Frankfurt, Marburg und Wiesbaden.
Bd. 1-49. Marburg 1951-1999.
Jahrbuch der Hessischen kirchengeschichtlichen Vereinigung. Bd. 1-50. Darmstadt 1949-1999.
Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins. Neue Folge Bd. 1-84.
Gießen 1879-1999.
Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde
und Geschichtsforschung. Bd. 1-110. Wiesbaden 1827-1999.
Wetterauer Geschichtsblätter. Beiträge zur Geschichte und Landeskunde.
Bd. 1-45. Friedberg 1952-1996 (1999).
Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde. Bd. 1-104.
Kassel 1837-1999.
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Geschichtsausstellungen
Dr. Fritz Wolff, Hessisches Staatsarchiv Marburg
Ausstellungen, mit denen die Erinnerung an Personen, Ereignisse
oder Zustände der Vergangenheit wachgehalten oder wiederbelebt
werden soll, bilden heute einen unverzichtbaren Bestandteil der historisch-politischen Bildungsarbeit. Sie dienen der kritischen Rückbesinnung, der Selbstvergewisserung oder der Neuinterpretation der eigenen Geschichte und bilden gleichzeitig eine nicht zu unterschätzende Ergänzung des kulturellen Freizeitangebots. Häufig knüpfen
sie an ein bestimmtes Datum an, an einen Gedenktag oder ein Gedenkjahr, dessen Aussage nicht nur in Wort und Schrift, sondern eben
auch durch eine Ausstellung verdeutlicht, im Wortsinne sichtbar gemacht werden soll. Im Folgenden werden die wichtigsten Sparten der
„Geschichtsausstellung“ in einer einigermaßen systematisierten Form
vorgestellt. Behandelt werden Ausstellungen auf Landesebene und
solche von regionaler oder lokaler Bedeutung, sodann Wechselausstellungen von Archiven, Bibliotheken und Museen und schließlich
die Wanderausstellungen der hessischen Staatsarchive. Um einen Eindruck von der Vielfalt der hessischen Ausstellungslandschaft zu vermitteln, werden bewusst zahlreiche Beispiele genannt. Ausgeklammert bleibt hier die sicher auch vorhandene Problematik des Ausstellungsbetriebes, angefangen bei der Themenwahl bis zu Fragen der
Ausstellungstechnik, der Gestaltung und Didaktik und schließlich
auch des Kosten-Nutzen-Verhältnisses.
Landesausstellungen: In einigen Ländern, so in Bayern, Baden-Württemberg und in den österreichischen Bundesländern, sind große, in
jährlichem Rhythmus wechselnde Landesausstellungen gleichsam institutionalisiert und wirken weit über die Landesgrenzen hinaus, auch
als Faktor der Tourismus-Industrie. Auch Hessen veranstaltet solche
Landesausstellungen die landesweite und darüber hinaus reichende
Beachtung beanspruchen (wenn auch nicht in jährlicher Wiederkehr).
Das gilt etwa für die Ausstellungen: „Herzogtum Nassau 1806-1866“
(Wiesbaden 1981), „200. Geburtstag der Brüder Grimm“ (Kassel 1986),
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„Georg Büchner. Revolutionär/Dichter/Wissenschaftler“ (Darmstadt
1987, Weimar 1988), „Ulrich von Hutten“ (Schlüchtern 1988, auch in
Nürnberg), „Hessen und Thüringen“ (Marburg 1992, dann auch in Eisenach), „50 Jahre Land Hessen“ (Frankfurt a. M. 1995) und „1848.
Aufbruch zur Freiheit“ (Frankfurt a.M. 1998, unter Beteiligung von
Bund und Stadt). Alle Einrichtungen des Landes, Archive, Bibliotheken und Museen, wirken daran mit; dazu kommen hochkarätige Leihgaben aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland, oft auch
aus Privatbesitz. Konzipiert und gestaltet werden diese Ausstellungen
in der Regel von einem Team von Landeshistorikern und Museumsfachleuten, das von Architekten, Graphikern und Restauratoren unterstützt wird. Die beträchtlichen Mittel in Millionenhöhe, die für die
mehrjährigen Vorarbeiten und für die Realisierung erforderlich sind,
werden z.T. von der Landesregierung zur Verfügung gestellt, z.T. von
Kulturstiftungen und Sponsoren übernommen. Zur Ausstellung
gehört ein Katalog, manchmal in mehreren Bänden, der die präsentierten Objekte beschreibt und meist auch einen umfangreichen Aufsatzteil mit der Zusammenfassung des wissenschaftlichen Ertrags
enthält.
Landesweite Bedeutung haben auch manche Ausstellungen, die in
der Trägerschaft einzelner Städte oder Institutionen durchgeführt
werden, wie die Jubiläumsausstellung „Ein Dokument deutscher
Kunst. Darmstadt 1901/1976“, die Kasseler Ausstellung „300 Jahre
Hugenotten in Hessen“ (1985), „750 Jahre Frankfurter Messe“ (1991)
und die Rothschild-Ausstellung in Frankfurt (1995) oder die Elisabeth-Ausstellung 1981 in Marburg, die von der Universität und dem
Landesamt für geschichtliche Landeskunde getragen wurde. In diesem Zusammenhang sind schließlich auch Ausstellungen aus anderen
Ländern zu nennen, die wegen ihres besonderen Bezugs zur hessischen Geschichte auch in Hessen gezeigt werden: die LomonossowAusstellung des Historischen Museums Moskau (im Staatsarchiv
Marburg 1990), die Herder-Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik
(Haus der Geschichte in Darmstadt 1995) oder die Landgraf-MoritzAusstellung des Weser-Renaissance-Museums Lemgo (in der Orangerie in Kassel 1997).
Regionale und lokale Ausstellungen: Verlässt man die Landesebene
und begibt sich in enger begrenzte regionale und lokale Bereiche, so
bietet sich ein buntes und kaum noch überschaubares Bild von Themen und Anlässen für Geschichtsausstellungen. Gefeiert und mit
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einer Ausstellung geschmückt werden Jubiläen von Städten und Institutionen (1200 Jahre Pfungstadt, 1200 Jahre Oberursel, 400 Jahre
Neustadt Hanau, 350 Jahre Gesundbrunnen Hofgeismar, 150 Jahre
Landkreis Erbach, 100 Jahre Maifestspiele Wiesbaden, 425 Jahre Landgericht Darmstadt, 100 Jahre Stadtvermessungsamt Gießen, 25 Jahre
Landesfinanzschule Rotenburg), verdienstvolle Persönlichkeiten (nur
das Beispiel Kassel: der Architekt Simon Louis du Ry, der Komponist
Louis Spohr, der jüdische Schriftsteller Franz Rosenzweig, der Lokomotivenkönig Henschel, die Brüder Murhard) oder Ereignisse der
Stadtgeschichte (700 Jahre Marienkirche in Marburg, 150 Jahre Ständehaus in Kassel, 150 Jahre Revolution 1848, fast in jeder hessischen
Stadt). Daneben gibt es Ausstellungen ohne unmittelbaren chronologischen Bezug zur Stadt- oder Institutionengeschichte (Zünfte in Frankenberg 1979, Marktgeschehen in Büdingen 1980, Berühmte Sozialisten in Marburg 1991, Arolsen als Residenz 1992 oder Historische Karten der Landesvermessung, eine Wanderausstellung des Landesvermessungsamtes 1980). Die Initiative zu solchen Veranstaltungen liegt
oft bei städtischen Einrichtungen, bei Vereinen, interessierten Gruppen und manchmal auch bei Einzelpersonen, die sich für die Sache engagieren. Das Ausstellungsmaterial kommt aus Heimatmuseen und
Stadtarchiven, aus privaten Sammlungen (ertragreich sind oft Fotosammlungen oder Kollektionen von Ansichtskarten); nicht selten
locken die Ausstellungsmacher, das Stadtmuseum oder der Geschichtsverein, durch einen Aufruf in der Lokalzeitung unerwartete
Stücke aus Privathaushalten, aus Dachböden und Kellern ans Tageslicht. In der Regel werden aber auch Leihgaben aus den Staatsarchiven
und Landesmuseen erbeten (die Urkunde mit der Ersterwähnung der
Stadt, alte Landkarten mit der Stadtlage, Bauzeichnungen einzelner
Gebäude oder Porträts).
Wechselausstellungen: Während Geschichtsausstellungen bei Kommunen oder Institutionen gewissermaßen zu den „freiwilligen Leistungen“ gehören, die hin und wieder, aber keineswegs regelmäßig erbracht werden, zählen sie für die großen staatlichen und städtischen
Archive, Bibliotheken und Museen in gewissem Umfang zu den
Pflichtaufgaben. Hier sollen die Dauerausstellungen der historischen
Museen (oder Museumsabteilungen) ebenso wie die ständigen Zimelienausstellungen der Archive unberücksichtigt bleiben. Es geht vielmehr um Wechselausstellungen, die bei den Museen ohnehin zum
normalen Geschäft gehören, aber auch bei den Bibliotheken und Ar119
chiven zunehmend in Gebrauch gekommen sind und inzwischen
einen festen Bestandteil des jährlichen Arbeitsprogramms bilden. Bei
den Museen, die Malerei und Graphik, Skulptur und Architektur, Bild
und Gegenstand in ihren Ausstellungen vermitteln, stehen „Geschichtsausstellungen“ im engeren Sinne naturgemäß nicht an erster
Stelle; doch auch bei Themen aus dem Gebiete der Kunst wird, wo es
sinnvoll und möglich ist, der historische Kontext hergestellt. Ob „Aufklärung und Klassizismus in Hessen“ (Kunstsammlungen Kassel
1979), der Architekt Louis Remy de la Fosse (Stadtmuseum Darmstadt
1980), „Architektur der Synagoge“ (Architekturmuseum Frankfurt
a.M.), „Herkules“ (Staatliche Museen Kassel 1997) – immer gehören
dazu auch Leihgaben aus den Staatsarchiven, persönliche Korrespondenzen und Urkunden, Pläne und Druckschriften, durch die die historische Dimension verdeutlicht und veranschaulicht wird.
Anders als bei den Museen, die ja schon von ihrer Funktion her
„Schau-Orte“ sind, über Schau-Räume verfügen und ihre Besucher
zum Betrachten einladen, liegen die Dinge bei den Archiven und Bibliotheken. Hier ist es nicht die große „Saalausstellung“, sondern eher
die Gelegenheitsausstellung im Foyer, in der Eingangshalle oder in
den Wandelgängen, die gerade auch denen etwas bieten soll, die nicht
eigens zu einer Ausstellungsbesichtigung ins Haus kommen, sondern
die dort in den Lesesälen arbeiten, die gewissermaßen die Laufkundschaft der Institute bilden. Selbstverständlich wird die Öffentlichkeit
auch auf diese Ausstellungen durch offizielle Eröffnung und Presseberichte aufmerksam gemacht, werden besondere Führungen für
Schulklassen, Vereine und interessierte Gruppen angeboten. Archive
und Bibliotheken greifen bei ihren Wechselausstellungen in erster
Linie auf eigene Bestände zurück (wenn sie nicht Ausstellungen übernehmen, die schon anderswo gezeigt worden sind). Von der Thematik
her sind es bei den Bibliotheken meist Beiträge zur Buchgeschichte,
zur Literatur- oder Wissenschaftsgeschichte oder zu einzelnen, mit
der Institution verbundenen Persönlichkeiten. Als Beispiele seien genannt für die Landesbibliothek Fulda: Fuldische Handschriften aus
Hessen (1994); für die Universitätsbibliothek Marburg: Marburger
Frühdrucke (1987), Alte Karten und Atlanten (1990), der Neukantianer Hermann Cohen (1992), Melanchthon und die Marburger Professoren (1999); für die Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt:
Bühnenbildmodelle aus dem Besitz der Bibliothek (1995). Auch diese
Ausstellungen werden oft durch Leihgaben aus den Archiven ange120
reichert, wie denn diese ihrerseits auch auf solche aus Bibliotheken
und Museen zurückgreifen.
Für die Staatsarchive bieten nicht nur, wie man zunächst meinen
könnte, die großen Ereignisse der Geschichte den Anlass zu einer Ausstellung, obwohl diese natürlich auch berücksichtigt werden: „Waldeck
im Strudel der großen Politik“ (Marburg 1961), „Hessen-Darmstadt
und die Französische Revolution“ (Darmstadt 1988/90), „150 Jahre
Nassauer Verfassung“ (Wiesbaden 1989), „350 Jahre Westfälischer Frieden“ (Marburg 1998). Ebenso häufig sind es Themen mit ausgesprochenem Lokalbezug: „Marburg 750 Jahre Stadt“ (Marburg 1972), „Ein
Rundgang durch Alt-Eberstadt“ (Darmstadt 1989), „Von der Kurstadt
zur Landeshauptstadt“ (Wiesbaden 1995/96); zur Bevölkerungs- und
Strukturgeschichte der Region: Auswanderung aus Kurhessen (Marburg 1982), Kurhessische Beamtenfamilien (Marburg 1985), Juden in
Wiesbaden (Wiesbaden 1988), Anfänge der Industrialisierung (Wiesbaden 1992), Auswanderung aus Nassau (Wiesbaden 1992/93); über
Leben und Werk einzelner Persönlichkeiten: der Philosoph Christian
Wolff, der Heraldiker Otto Hupp, der Kunsthistoriker Hermann Grimm
(Marburg 1978, 1980, 1985), der Politiker Wilhelm Leuschner, der Fotograf Joseph Magnus, der Plakatkünstler Klaus Dill (Darmstadt 1990
und 1995); und schließlich auch zur eigenen Arbeit und Geschichte:
Hessische Kreis- und Gemeindewappen (Marburg 1984), Typische Beispiele aus den Beständen (Wiesbaden 1985), „Vom Hoftheater zum
Haus der Geschichte“ (Darmstadt 1994), „Das Staatsarchiv als Collecting Point“ (Marburg 1996). Hinzu kommt die oft kurzfristig zu arrangierende Präsentation ausgewählter Archivalien beim Besuch des Archivs durch Persönlichkeiten von Rang: thailändische Prinzen 1961, der
Generaldirektor der Archive der Sowjet-Union 1969, die hessische Wissenschaftsministerin 1984, der schwedische Botschafter 1991.
Die archiveigenen Ausstellungen werden in der Regel vom eigenen
Personal und mit eigenen Mitteln erarbeitet. Oft werden die Archivpädagogen, Gymnasiallehrer, die seit 1986 an den hessischen Staatsarchiven eingesetzt sind, an der Themenwahl und an den Vorbereitungen beteiligt. Das Staatsarchiv Marburg führt daneben in Zusammenarbeit mit der Archivschule Marburg gelegentlich Lehrausstellungen
durch, die von den Teilnehmern der Lehrgänge gestaltet werden.
Wanderausstellungen der hessischen Staatsarchive: Einen besonderen
Platz in der hessischen Ausstellungslandschaft nehmen die Wanderausstellungen der Staatsarchive ein. Sie werden zunächst auf den Hes121
sentagen vorgestellt (zum ersten Male 1972 in Marburg) und anschließend an interessierte Städte und Gemeinden weitergegeben. Während
bei den archivinternen Ausstellungen meist Originaldokumente in Vitrinen gezeigt werden, wird bei den Wanderausstellungen, vor allem
auch aus konservatorischen Gründen, durchweg mit großformatigen
Reproduktionen auf Stellwänden gearbeitet. Die Exponate haben
damit zwar nicht die Aura des Originals, aber durch geschickte graphische Gestaltung mit Ausschnittsvergrößerungen, Collagen u.ä.
kann ihre Aussage durchaus verdeutlicht und eindringlicher vermittelt werden. In ihrer Thematik knüpfen die Ausstellungen an markante historische Daten an: Revolution 1848 (1973 und wieder 1998),
Revolution 1918/19 (1974), Bauernkrieg (1975), Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg (1976); sie lenken den Blick auf einzelne Bevölkerungsgruppen: „Hugenotten in Hessen“ (1978), „Juden in Hessen“
(1979), Auswanderer (1984), Flüchtlinge und Vertriebene (1994), Minderheiten und Unterschichten (1995), auf soziale Strukturen und
Wandlungen: Kranken- und Armenpflege (1980), Industrialisierung
(1984), Zünfte und Handwerk (1985), Universitäten und Hochschulen
(1986), und sie lassen auch kunst- und kulturgeschichtliche Themen
nicht aus: Gärten in Hessen (1990), Musik in Hessen (1993).
Im Laufe der Jahre hat sich ein fester Kundenkreis für diese Wanderausstellungen gebildet. Sie werden regelmäßig in Museen oder
Schulen gerade der mittleren und kleineren Städte Hessens gezeigt,
von Karlshafen bis Lampertheim, von Limburg bis Friedewald, wo sie
das jährliche Kulturprogramm des städtischen Kulturamts, des Stadtmuseums oder des Heimat- und Geschichtsvereins bereichern. Einige
von ihnen waren auch in den Wandelhallen von Kurorten, im Foyer
des Landtags, in Universitäten oder auch in der Abflughalle des
Frankfurter Flughafens zu sehen. Im Durchschnitt gehen sie bei einer
Laufzeit von zwei bis drei Jahren über 20 bis 30 Stationen mit einer
Ausstellungsdauer von etwa vier Wochen und dürften damit bis zu
30.000 Besucher erreichen. Sie machen keine Schlagzeilen wie eine
Staufer- oder Salierausstellung, aber sie entfalten eine nachhaltige und
nicht zu unterschätzende Breitenwirkung.
Mit diesem Überblick sind wohl die wichtigsten, aber keineswegs
alle Aktivitäten auf dem Gebiete der Geschichtsausstellungen genannt. Zu erinnern ist etwa auch an die von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen organisierten Wanderausstellungen, die
gelegentlich auch historische Themen aufgreifen, an Ausstellungszyk122
len einzelner Institutionen wie der Sparkasse Kassel, die unter dem
Reihentitel „Kassel trifft sich – Kassel erinnert sich“ jährlich ein interessiertes Publikum anzieht, an die Hessische Hausstiftung, die Dokumente und Kunstgegenstände aus eigenen Beständen ausstellt
(1999 aus dem Archiv: Goethe-Autographen, aus den Sammlungen:
Sèvres-Porzellan). Zu nennen wäre noch vieles von dem, was oben in
dem Abschnitt über lokale Ausstellungen nur angedeutet werden
konnte. Aber die Frage nach dem „Wo, wie und wozu betreibt man in
Hessen Landes- und Regionalgeschichte“ wird, soweit es sich um Geschichtsausstellungen handelt, nach dieser knappen Übersicht doch
etwas leichter zu beantworten sein.
Literaturhinweise
E. MAY: Expositionen. Geschichte und Kritik des Ausstellungswesens. München/Berlin 1986. – Eberhard STRAUB: Bildung und Bilder. Sinn und Unsinn historischer Ausstellungen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung
23/1981 (28.1.1981), S. 23.
Eckhart G. FRANZ: Archive im Dienste der Öffentlichkeit. Die Wanderausstellungen der hessischen Staatsarchive. In: Archives et bibliothèques de
Belgique 57, 1986, S. 173-184.
Gregor RICHTER /Wolf-Arno KROPAT /Joh. Volker WAGNER /Hugo STEHKÄMPER: Archive und Historische Museen/Häuser der Geschichte. Diskussionsbeiträge zu einem Thema des 58. Deutschen Archivtags München
1986. In: Der Archivar 40, 1987, Sp. 181-200. – Volker EICHLER: Zimelienschau oder historische Bildungarbeit? Zur Fortbildungsveranstaltung
über „Historische Ausstellungen als Aufgabe der Archive“. Ebd., Sp. 286289.
Karl DACHS: Ausstellungen in wissenschaftlichen Bibliotheken. In: Imprimatur NF 11, 1984, S. 82-100. – M. HÖHL (Hg.): Öffentlichkeitsarbeit und
Werbung in öffentlichen Bibliotheken. Berlin 1982.
Bodo von BORRIES: Präsentation und Rezeption von Geschichte im Museum.
In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48, 1997, S. 337-343.
Rainer A. MÜLLER (Hg.): Historische Ausstellungen 1960-1990. Eine Bibliographie der Kataloge. Bearb. von S. SCHUH. Paderborn 1992.
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Geschichte erleben auf der Saalburg
Dr. Egon Schallmayer, Saalburgmuseum, Bad Homburg
Die Saalburg, das zur letzten Jahrhundertwende wiederaufgebaute
Römerkastell auf dem Taunuskamm zwischen Bad Homburg v.d.H.
und dem Usinger Land an der vielbefahrenen Bundesstraße 456, die
dem Zug der alten römischen Passstraße hinter dem hier noch gut erhaltenen Grenzzug des Limes folgt, ist heute ein vielbesuchtes Ausflugs- und Wanderziel. Am Eingang werden die Besucher von einer
Bronze-Statue des römischen Kaisers Antoninus Pius mit imperialer
Geste begrüßt; die gemeißelte Inschrift am Sockel lautet: „Dem Kaiser
der Römer und Augustus, Publius Aelius Hadrianus Antoninus Pius,
gewidmet von Wilhelm II., dem Kaiser der Deutschen“, der (so die in
Bronzelettern gegossene Inschrift über dem Eingangstor der porta praetoria) „… in Erinnerung und zur Ehre seiner Eltern das Kastell des römischen Limes namens Saalburg wieder aufgebaut hat.“ Das von den
Hohenzollern erneuerte „Reich der Deutschen“ wird mit stolzem Anspruch in die Tradition des Imperium Romanorum gestellt.
Für Kaiser Wilhelm II. verband sich das mit echtem Interesse an der
Geschichte, an der weit zurückreichenden Limes-Forschung, die ihm
der engagierte Bad Homburger Architekt Louis Jacobi, seit 1892
Streckenkommissar der auf Anregung Theodor Mommsens begründeten „Reichs-Limeskommission“, nahegebracht hatte. Am 18. Oktober 1897 hatte der Kaiser in Wiesbaden den Entschluss zum Aufbau
der Saalburg verkündet, der im Folgejahr mit der porta praetoria begann. Am 11. Oktober 1900 folgte die mit großem Pomp, römischer via
triumphalis und kostümierten Römern und Germanen inszenierte
Grundsteinlegung. Die Zielvorgabe des Kaisers: „Möge die Römerveste, auf der Höhe des Taunus so getreu wie möglich in römischer
Bauweise wieder errichtet, als ein Denkmal vergangener Herrschermacht und folgenreicher Kultureinwirkung in den Beschauern das
Verständnis vom Wesen früherer Zeiten beleben, den historischen
Sinn wachhalten und zu weiterem Forschen anregen!“ ist noch heute
Richtschnur für die Arbeit auf der Saalburg.
124
Louis Jacobi hat mit dem Wiederaufbau der Saalburg, die dem Forschungsstand seiner Zeit entsprach, eine außerordentlich eindrucksvolle Leistung erbracht. Das von ihm verwirklichte Konzept war von
vornherein nicht auf das eigentliche Kastell, die im Mittelpunkt stehenden Stabsgebäude mit der großen Exerzierhalle, die Getreidespeicher, Waffenkammern und Mannschaftsunterkünfte beschränkt.
Unterhalb des Lagerdorfs, unweit des schon früher errichteten Gräberhauses, wurde ein Kultbereich mit Nymphenquelle und rekonstruiertem Mithrastempel geschaffen. Abseits im Wald stand die
Nachbildung der Mainzer Jupitersäule, und der bei den ausgegrabenen Resten des Kohortenbades angelegte „Pliniusgarten“ wollte den
Besuchern römische Gartenkultur demonstrieren. Die aus heutiger
Sicht unerhört moderne Idee eines „Archäologischen Parks Saalburg“
sollte Forschung (im auf den Grundmauern des praetorium errichteten Institut), Bildung (durch die musealen Ausstellungen) und entspannende Erholung miteinander verknüpfen. Zur Anlage, die vom
Kurort Bad Homburg mit eigener Straßenbahnlinie verbunden war,
gehörte das Saalburg-Restaurant, in der auch der Kaiser mit Gefolge
und die bei den Ausgrabungen beteiligten Archäologen abstiegen.
Dazu kamen spektakuläre Veranstaltungen wie das 1904 durchgeführte „Gordon-Bennett-Rennen“, ein im Rundkurs um das Kastell
geführtes Automobilrennen, zu dem Jacobi Zuschauertribünen in
„altrömischem“ Stil entwarf. Die Saalburg war damit weltweit in
aller Munde.
Die ursprünglichen Intentionen Jacobis sind heute nur noch zum
Teil erkennbar. Aktuelle Ausbaupläne wollen die Konzeptionen des
„Archäologischen Parks Saalburg“ neu beleben. Die Anlagen der Saalburg sollen eingebunden werden in eine mit dem nahegelegenen Freilichtmuseum des „Hessenparks“ verknüpfte Museumslandschaft der
Hochtaunusregion, die, wie dies schon Jacobi geplant hatte, Bildung
und Erholung miteinander verbindet. Die Ausstellungsräume wurden
schon zur 100-Jahrfeier des Baubeginns 1997 völlig neugestaltet. Zum
längerfristigen Bauprogramm gehört der Weiterbau des praetorium für
die dringend notwendige Erweiterung der Institutsbibliothek, den
Wissenschafts- und Verwaltungsbetrieb, aber auch Räumlichkeiten für
museumspädagogische Zwecke, gehört aber auch die Reaktivierung
des schon jetzt ins Führungs- und Veranstaltungsprogramm einbezogenen Umfelds. Das romantische Ambiente der Gesamtanlage wird
bereits seit einiger Zeit für festliche Veranstaltungen, auch Hochzeiten,
125
Geburtstage und andere private Feiern genutzt, für die ein „SaalburgVeranstaltungsservice“ Infrastruktur und Catering stellt.
Die heutige Saalburg bietet durchaus das Potential, einen modernen Museumsbetrieb mit öffentlichkeitswirksamer und zugleich
wirtschaftlicher Vermarktung zu verknüpfen. Das gilt es künftig noch
verstärkt auszuschöpfen. Ein Renner im gegenwärtigen Angebot, das
vor allem für Schulklassen in besonderer Weise geeignet ist, stellt
Brotbacken nach römischem Rezept an den auf antiken Fundamenten
wieder errichteten Backöfen dar. Kinder und Jugendliche sind bei
museumspädagogischen Aktivitäten sicher selten konzentrierter bei
der Sache wie an den Brotbacktagen auf der Saalburg. „Römertage“,
an denen Gruppen das Soldaten- und Zivilleben zur Römerzeit in originalgetreuer Ausrüstung vorführen, sind eine Publikumsattraktion
für Groß und Klein. Das Römer-Festwochenende anlässlich des
100-jährigen Jubiläums am 18. und 19. Oktober 1997 lockte innerhalb
von zwei Tagen 40.000 Menschen auf die Saalburg. Dazu trug sicher
auch die intensive Werbung über einen im Rhein-Main-Gebiet operierenden Radiosender bei. Mit der Demonstration von Aussehen,
Anlegen und Tragen römischer Kleidung wurde den Besuchern zugleich eine Menge an Informationen geboten. Zu den Kleidern gehören auch die nach antiken Vorbildern gelegten Frisuren. Manche
Besucherin hat sich beim Schaufrisieren bereitwillig als Modell zur
Verfügung gestellt. Auch die Vorführungen römischen Handwerks
wurden von den Besuchern mit Interesse verfolgt. Es gab einen Steinmetzbetrieb nach antiken Vorbildern, aber auch Beinschnitzer, Metallverarbeiter und andere Handwerksgruppen. Die Möglichkeit, die
im modernen Alltag verschwundenen alten Handwerkstechniken zu
beobachten, zählt ja auch im „Hessenpark“ zu den Hauptattraktionen. Natürlich wird auf der Saalburg auch stilecht für das leibliche
Wohl der Besucher gesorgt: Zu dem auf „römischem“ Brot angebotenen moretum, dem typisch römischen Kräuterkäse, trinkt man mulsum, den römischen Gewürzwein, und in der neu eingerichteten
taberna werden vielfältige Gerichte nach römischen Rezepten gekocht: „Essen wie die alten Römer“. Lebhafte Beachtung fand schließlich die im Sommer 1998 vorgestellte Multimedia-CD-ROM „Der
Limes – eine antike Grenze“, mit der man sich „virtuell“ in die Römerzeit zurück„klicken“ kann.
Bei alldem kommt aber die Wissenschaft keineswegs zu kurz. Die
Saalburg wirkt auch weiterhin als Forum für den wissenschaftlichen
126
Austausch. Neben dem „Saalburg-Jahrbuch“, einer vom Saalburgmuseum herausgegebenen Fachzeitschrift zur römischen Archäologie,
die 1910 erstmals erschien und 1999 den 50. Band präsentierte, dienen
dazu die seit 1995 regelmäßig veranstalteten „Saalburg-Kolloquien“,
an denen Fachkollegen aus dem In- und Ausland teilnehmen. Meist
stehen aktuelle Forschungsfragen im Vordergrund der Zusammenkunft; die Ergebnisse werden in den „Saalburgschriften“ publiziert.
Der Tausch der hauseigenen Publikationen mit über 400 in- und ausländischen Einrichtungen kommt dem weiteren Ausbau der umfangreichen Saalburg-Bibliothek zugute, die dem wissenschaftlichen
Nachwuchs ebenso offen steht wie dem an der römischen Archäologie
interessierten Heimatforscher. Das Saalburgmuseum führt auch eigene archäologische Ausgrabungen an römischen Objekten, insbesondere am Limes durch.
Die Saalburg als ein in wunderschönem Ambiente gelegenes Freilichtmuseum mit neu hergerichteten Innenräumen und umfangreichen Sammlungsbeständen zur römischen Archäologie bietet neben
dem Wissenschaftsbetrieb und dem musealen Bereich ein vielfältiges
museumspädagogisches Angebot, das von der einfachen Führung
über die Organisation und Durchführung von Kindergeburtstagen
und themenbezogenen Sonderveranstaltungen bis hin zu „Römertagen“, die die ganze Anlage nutzen, reicht. Daneben erlaubt ein spezieller Service die Organisation und das Arrangement von Firmenfeiern, geschäftlichen Präsentationen oder gesellschaftlichen Events.
Auch ein „Hot Jazz Festival“ brachte junges Publikum in die Saalburg
Die Römerzeit wird damit auf ganz verschiedenen Ebenen und aus
unterschiedlichen Anlässen erlebbar. Die Antike wird erforscht; die
Forschungsergebnisse werden kurzweilig und als freibleibendes
Lehrangebot an ein breites Publikum vermittelt. Von der Ideengeschichte und dem Wiederaufbau der Saalburg, den dazu angewandten Methoden und bauhistorischen Forschungen, über die Darstellung von Ergebnissen, die sich durch die Neubeschäftigung mit den
alten Grabungsdokumentationen und -unterlagen erzielen lassen,
spannt sich der Bogen hin bis zu aktuellen Bezügen, die sich aus der
Antike für uns heute ergeben. Themen, wie der antike Handel, die antike Geldwirtschaft, Nahrungsmittelversorgung und Infrastruktur
und vieles mehr werden unter dem Motto „100 Jahre Saalburg – Vom
Grenzposten Roms zum europäischen Museum“ behandelt. Die Verantwortlichen hoffen damit, eine interessante Mischung für ein viel127
fältig orientiertes Publikum gefunden zu haben und dadurch der Saalburg das öffentliche Interesse sichern zu können, das ihr gebührt.
Literaturhinweise
Egon SCHALLMAYER (Hg.): Hundert Jahre Saalburg. Vom römischen Grenzposten zum europäischen Museum. Mainz 1997.
Das Saalburgmuseum im Spiegel der Presse. Rückblick 1998.
128
Landesgeschichte in Hörfunk und Fernsehen
Hans Sarkowicz, Hessischer Rundfunk, Frankfurt am Main
Schon wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 1. Juni
1945, nahm „Radio Frankfurt“ als Sender der amerikanischen Militärregierung seinen Betrieb wieder auf. Da die Produktionsanlagen des
ehemaligen „Reichssenders“ in Frankfurt zerstört waren, hatte man
nach Bad Nauheim ausweichen müssen, wo das Hotel „Terrassenhof“
als provisorisches Funkhaus diente. Was zunächst mit Nachrichtenund Musiksendungen für alle begann, die im Empfangsbereich lebten
(also zum Beispiel auch für ehemalige Zwangsarbeiter), entwickelte
sich schnell zu einem regional geprägten Programm für „Großhessen“. Denn neben Informationen über das Weltgeschehen und die veränderte politische Situation in Deutschland interessierte die Hörer besonders das, was sich vor ihrer eigenen Haustür ereignete: Welche
Brücke wieder passierbar war oder wo es was auf Marken gab, konnte
mitunter lebenswichtig sein. Mit der „Rundschau aus dem Hessenland“ wurde im Juli 1946 ein tägliches Informationsangebot geschaffen, das (als älteste Sendung des hr) bis heute Bestand hat.
Der damalige Intendant Eberhard Beckmann begründete die Einführung damit, dass der einzelne, bei allen „brennenden Fragen des
deutschen Lebensinteresses“, doch „fest dem Heimatgebiet verbunden“ bleibe. Damit war auch schon eine der großen Aufgaben des späteren Hessischen Rundfunks benannt. Während die amerikanische
Militärregierung die Aufgabe des Rundfunks vor allem darin sah,
„ohne Kompromisse sich der Förderung der menschlichen Ideale von
Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den
Rechten der individuellen Persönlichkeit zu widmen“, versuchten die
Radiomacher auch, ein „Hessenbewusstsein“ zu erzeugen und zu fördern. Rückblickend schrieb hr-Intendant Klaus Berg 1995, „dass die
Entwicklung des Landes Großhessen zum Bundesland Hessen zu
einem wesentlichen Teil auch der Tatsache zu verdanken ist, dass der
Hessische Rundfunk als einziges landesweites Medium die notwendige Informationsdichte herbeiführen konnte, um die Bevölkerung in
129
dem weiten Land zwischen Werra und Neckar, zwischen Kinzig und
Rhein zu einer politischen und gesellschaftlichen Einheit werden zu
lassen“.
Dabei spielte die Erinnerung an gemeinsame geschichtliche Wurzeln von Anfang an eine Rolle, allerdings zunächst nur eine kleine.
Denn die Gründungsjahre der Bundesrepublik und damit auch des
Bundeslandes Hessen waren von aktuellen politischen Entwicklungen dominiert. Zum Teil heftig geführte öffentliche Diskussionen,
aber auch der Wunsch, vom schwierigen Alltag abgelenkt zu werden,
prägten das Programm, das zunächst noch eine Einheitswelle war:
vom „bunten Nachmittag“ bis zum Orchesterkonzert und von der
Nachrichtensendung bis zum anspruchsvollen „Abendstudio“-Feature oder Hörspiel. Feste Programmplätze für landesgeschichtliche
Sendungen gab es damals noch nicht. Es blieb bei einzelnen Beiträgen,
die oft an einen aktuellen Anlass oder einen Gedenktag gebunden
waren.
Zu einer ersten deutlichen Akzentverschiebung kam es 1961 mit
der Einführung des „Hessentags“ durch Ministerpräsident Georg August Zinn. Landesgeschichte im Sinn von Traditionspflege wurde zum
jährlich wiederkehrenden Ereignis und damit auch zum Thema von
Radio- und Fernsehprogrammen.
Eine deutliche Zäsur brachte das Jahr 1965. Zwanzig Jahre nach
Ausrufung von „Großhessen“ rückte zunächst die jüngere Vergangenheit in das Zentrum des Interesses. Aber was sich seit Kriegsende
ereignet hatte, war ohne den geschichtlichen Hintergrund nur unvollständig zu verstehen. Die Fernseh-Dokumentation des Hessischen
Rundfunks startete deshalb im Januar 1966 eine sechzehnteilige Reihe
über „Hessens Weg durch die Geschichte“, die auf große Resonanz
stieß und die Programmmacher ermutigte, auf diesem Weg fortzufahren.
Seither hat es eine ganze Reihe von herausragenden Dokumentationen gegeben. Sicherlich die aufwendigste und vom Material her
spektakulärste war die zehnteilige Serie „Hessens Weg nach 1945“, die
zwischen 1970 und 1995 entstanden ist. Daneben sind immer wieder
sehr populäre und unterhaltsame Formen entwickelt worden, die hessische Geschichte und Brauchtum, Mundarten und Küchengeheimnisse einem breiten Fernsehpublikum vermitteln: „Bilderbögen aus
Hessens Geschichte“, „Bilderbogen aus Hessen“, „Hessen-Rallye“,
„Landpartie“, „Geheimnisvolles Hessen“, „Hessen-Illustrierte“ oder
130
eine sechsteilige Reihe mit geographischen Streifzügen durch Hessen.
Zu einem besonderen Erfolg ist die filmische Verbindung von lokalem
Brauchtum und regionalen Kochrezepten geworden. Unter dem Titel
„Hessen à la carte“ haben sich Michaele Scherenberg und Karl-Heinz
Stier auf eine kulinarische Spurensuche begeben, die auch in Buchform eine weite Verbreitung findet und damit augenfällig macht, wie
stark das Interesse an Sendungen über das historische Hessen ist.
Auf eine außergewöhnliche Resonanz stieß 1981/82 auch eine Hörfunkreihe, die sich in zwanzig Folgen mit der Geschichte Hessens beschäftigte: von den eiszeitlichen Mammutjägern bis zum Wiederaufbau und Neuanfang nach 1945. Namhafte hessische Historiker und
Publizisten hatten Radioessays geschrieben, die wegen der großen
Hörernachfrage mehrfach wiederholt werden mussten und auch in
Buchform (beim Stuttgarter Theiss Verlag) zu einem regionalen Bestseller wurden.
Dieses unerwartet große Interesse war im Hörfunk eine Art Initialzündung für die weitere journalistische Aufarbeitung der hessischen Vergangenheit. Befördert wurde diese Entwicklung durch die
Einrichtung von Regionalstudios in Kassel, Frankfurt, Wetzlar, Fulda
und Bensheim, die 1986 mit hr4 ein eigenes Rahmenprogramm erhielten. Eine breite Berichterstattung über lokale historische Besonderheiten, Ausgrabungen, Ausstellungen und neueste Forschungsergebnisse gehört seitdem zum festen Bestandteil von aktuellen Hörfunksendungen.
Daneben wurde im Kulturprogramm und an herausgehobenen
Sendeplätzen eine kleine Tradition begründet, die bis heute verschiedene Aspekte der hessischen Geschichte ausführlich beleuchtet hat,
mit Reihen wie: „Historische Porträts hessischer Städte“ (hr4,
1987/88), „Die großen Frankfurter“ (hr4, 1993/94), „Die großen Hessen“ (hr2, 1995), „Hessen kriminell - Orte des Verbrechens“ (hr2, 1999)
oder „Reportagen aus der hessischen Geschichte“ (hr2, 1999) Außerdem hat hr1 mit den sonntäglichen „Nahaufnahmen aus Stadt und
Land“ einen eigenen Sendeplatz für längere Produktionen über hessische Themen geschaffen.
Besondere Ereignisse regen immer wieder besondere Aktivitäten
an. Dabei muss es sich nicht in jedem Fall um einen Gedenktag handeln, wie etwa das Gründungsjubiläum der Stadt Frankfurt oder die
Revolution von 1848. So beteiligte sich der Hessische Rundfunk zum
Beispiel mit Sendungen, Spendenaufrufen und einem Buch an der
131
Rettung des Geburtshauses von Georg Büchner in Goddelau. Unterdessen ist dort eine Gedenkstätte entstanden, die auch international
Beachtung findet.
Eines der zentralen Probleme des Denkmalschutzes stand 1997 im
Mittelpunkt einer großen Sommeraktion von hr1 in Zusammenarbeit
mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Während die Wiederherstellung von Burgen, Schlössern und ähnlich attraktiven Baudenkmälern
in hohem Maße akzeptiert ist, führen nicht minder bedeutende, aber
unspektakuläre Zeugnisse des Alltags aus den letzten Jahrhunderten
ein Schattendasein. Sie zu präsentieren und die Hörer zur aktiven Mitarbeit anzuregen, war das Ziel von „Mein Denkmal - Hessischer Kultur auf der Spur“. Die Reaktionen waren überwältigend und sind unterdessen auch in Buchform (bei Eichborn) dokumentiert. (Für die Aktion erhielt die Redaktion die „Silberne Halbkugel“ des Nationalkomitees für Denkmalschutz.)
1998 wurden die Hessen von hr2 in einer weiteren Sommeraktion
aufgefordert, ihr „Hessisch“ vorzustellen. In neun breit angelegten
Featuresendungen wurde außerdem die überaus vielfältige Dialektlandschaft von Hessen akustisch präsentiert. Für das Jahr 2000 ist eine
Hörfunkreihe vorgesehen, die der hessischen Industriegeschichte
nachgehen will.
Der reine Essay, gelesen von einem oder zwei Sprechern und ohne
Originaltonelemente, ist bei den Hörfunk-Sendereihen eher die Ausnahme geworden. Dem breiten Interesse an hessischer Landesgeschichte tragen die Programmmacher auch dadurch Rechnung, dass
sie die einzelnen Themen möglichst vielfältig und unterhaltsam, aber
dennoch mit dem notwendigen publizistischen Ernst aufbereiten. So
kann eine, nur auf den ersten Blick „trockene“ Thematik zu einem
stark nachgefragten Programmangebot werden, dessen Bedeutung in
Zukunft eher noch wachsen wird.
Literaturhinweise
Heiner BOEHNCKE/Michael CRONE/Hans SARKOWICZ: FunkBilder.
Fotos und Texte zur Geschichte des Rundfunks in Hessen. Frankfurt am
Main 1990.
Heiner BOEHNCKE/ Michael CRONE/ Rainer GÖTZE/Hans SARKOWICZ:
hr – 50 Jahre Rundfunk für Hessen. Frankfurt am Main 1995.
132
Landesgeschichte in der Schule
Dr. Thomas Lange,
Bert-Brecht-Schule und Hessisches Staatsarchiv Darmstadt
„Wehe dem Menschen, der nirgends wurzelt!“1 – Mit solch düsteren
Drohungen verfocht Eduard Spranger 1923 in einer programmatischen Rede den „Bildungswert der Heimatkunde“. Er traf mit seiner
Mischung aus rousseauistischer und Spenglerscher Zivilisations- und
Großstadtkritik offenbar so sehr das Bedürfnis der nach dem verlorenen Weltkrieg in ihrem Weltbild erschütterten Pädagogen, dass „Lehrer, Schulbuchautoren und Lehrplangestalter den Gedanken eines Integrationsfaches Heimatkunde begierig auf[griffen] und […] es zumindest an den Volksschulen zum beherrschenden Unterrichtsprinzip“ stilisierten.2 Im Volksstaat Hessen erschien 1925 ein Lese- und Arbeitsbuch „Am Heimatquell“, das die allgemein verbreiteten
Geschichtsbücher durch „das Besondere, das Einzig- und Eigenartige
unserer Hessenheimat“ ergänzen wollte. Ziele waren „Erziehung zur
Liebe zur Heimat, zur Treue zum Volk und zum Staat, zur Arbeit im
Dienste der ganzen Menschheit.“3 Das letztgenannte Lernziel klingt
geradezu übernational, vielleicht darin begründet, dass einer der Verfasser (Georg Weigand) zur Gewerkschaftsbewegung gehörte (was
sich auch darin spiegelt, dass er Themen wie die „Fabrikstadt“ Offenbach nicht meidet und verteufelt); doch endet das Buch gleichwohl
mit einer nationalen Apotheose: „Wir wollen zusammenstehen, endlich mit- und füreinander leben und streben. Das ist deutsch. […] Die
deutsche Heimat muss leben, und wenn wir auch alle sterben müssen.“4
Eine vergleichbare „Hessische Heimatgeschichte“ für das ehemalige Kurhessen gipfelt in ebensolchen nationalen Phrasen: „An
Deutschlands Aufstieg muss das ganze Volk ernst und gläubig arbeiten.“5 Bis in die fünfziger Jahre wurde der Begriff „Heimatkunde“
weiterhin unkritisch gebraucht. Bei den Lernzielen für den heimatkundlichen Unterricht schwangen die Sprangerschen Kategorien von
„totaler Einwurzelung“ und „tiefem Verbundenheitsgefühl mit dem
133
eigenen Volk“ mit und wohl auch das ziemlich dumpfe Gefühl: „Heimat ist erlebbare und erlebte Totalverbundenheit mit dem Boden.“6
Die Geschichtswissenschaft heute spricht sachlicher in anthropologischen und sozialgeschichtlichen Kategorien von „Regionalgeschichte“. Heimatgeschichte begreift sich als „aufgeklärt“, sieht in
„Heimat“ keinen Zustand, sondern den „Prozess eines Bewusstseins“.
In didaktischer Hinsicht verweist die Regionalgeschichte darauf, dass
ihre Quellen Unmittelbarkeit und lokalen Bezug haben, die den
Schülern selbständig entdeckendes Lernen ermöglichen. Heimatgeschichte heute beansprucht in den Worten von Paul Leidinger „das
Verflochtensein der Schüler in bestimmte sozio-kulturelle Zusammenhänge, ihre sprachliche, gedankliche, emotionale Einbindung in historisch begründete Traditionen, in kollektive Erfahrungen“ zu untersuchen und dadurch zu „kritischer Loyalität“ anzuregen.7 Kein Geschichtslehrer vertritt mehr die „volkstümelnde“, agrarromantische
Position Sprangers; inwieweit allerdings der hohe Anspruch des kritischen Ansatzes von Leidinger eingelöst werden kann, ist eine andere
Frage.
Wie sieht die Realität von Landes- oder Regionalgeschichte im Geschichtsunterricht in Hessen aus? Da ist zunächst einmal zu konstatieren, dass die seit 1995 gültigen Rahmenpläne für den Geschichtsunterricht Regionalgeschichte nicht als eigene Kategorie kennen, sondern sie gewissermaßen beiläufig unter den Begriffen „Handlungsorientierung“ (Sekundarstufe I) bzw. „forschendes Lernen“ (Sekundarstufe II) in den Unterricht hereinholen. Gemeint sind einmal
„Erkundungen, Befragung von Zeitzeugen, […] Spuren in lokal-, regionalgeschichtlichem Bereich suchen […] Besuch von Gedenkstätten
und Ausstellungen“ (Sek. I). Für die Oberstufe wird dergleichen unter
„außerschulischen Lernorten (Museen, Archive, Gedenkstätten)“ aufgeführt und dabei „auf die besondere Bedeutung des Besuchs von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus hingewiesen.“ Die
kargen Angaben bestätigen die Feststellung von K.E. Jeismann und B.
Schönemann, dass sich überhaupt nur in den Plänen weniger Bundesländer (1988: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bayern,
Baden-Württemberg)8 explizit regionalgeschichtliche Themenvorgaben finden, und diese dann z. T. unter die zumindest fragwürdige
Bemühung gestellt werden, so etwas wie ein politisches Landesbewusstsein zu schaffen.9 Ihrer Beobachtung: „Landes- und Regionalgeschichte wird in erster Linie als Konkretisierung und Veranschauli134
chung von Allgemeingeschichte begriffen“, ist ebenso zuzustimmen
wie der Bemerkung von Ernst Hinrichs, dass „die Regionalität unserer historischen Entwicklung als solche […] kaum in das Blickfeld des
Geschichtsunterrichts“ gerät.10 Die föderale Struktur der Bundesrepublik, also die Geschichte einzelner Bundesländer, lässt sich nur schwer
in den Geschichtsunterricht integrieren, der eher damit zu tun hat, die
divergierende Entwicklung von BRD und DDR in der Nachkriegszeit
zu verdeutlichen. Gegenüber dem (auch nach der Wiedervereinigung
andauernden) evidenten Unterschied zwischen Ost und West wirken
die Bundesländer allenfalls folkloristisch different. Von den Vorgängern der Bundesländer, also den Ländern des Deutschen Reichs, den
Staaten des Deutschen Bundes oder den Fürstentümern des Alten
Reichs wird in Schulbüchern regelmäßig Preußen, oft Österreich und
– selten, aber zunehmend – in entsprechenden Regionalausgaben Bayern oder Württemberg dargestellt, allerdings auch hier wieder als regionales Beispiel einer nationalen Entwicklung.11
Auch in den Plänen für den Sachunterricht der hessischen Grundschule (Primarstufe) herrscht ein distanzierendes Herangehen vor: Im
„3./4. Schuljahr sollen die Kinder verstärkt auch in die historische Dimension der Zeit eingeführt werden. Sie lernen, dass unser Wissen
über die Vergangenheit durch Zeugen der Vergangenheit (Gegenstände, alte Fotos, Berichte und Erzählungen, Denkmäler) vermittelt
ist.“ Zum Besuch von Museen, historischen Ausstellungen und Denkmälern wird aufgefordert, auch dazu, „die Vergangenheit anhand der
eigenen Familiengeschichte oder von Fallbeispielen“ darzustellen;
sogar historische Entwicklungen (Schule/Wohnort/Leben), auch
„Arbeiten früher und heute“ sollen einbezogen werden.
So ist es gewiss, dass Landesgeschichte als hessische im Unterricht
zwar kaum vorgesehen ist, – dennoch wird sie immer öfter einbezogen. Nachdem jene ortsfesten und heimatverbundenen Lehrer (vor
allem Volksschullehrer), die bis in die fünfziger Jahre ungebrochen
identifikatorische Dorf- oder Heimatchroniken verfasst hatten, von
der nachwachsenden politisch-kritischen Generation der nach-68er
Geschichtslehrer abgelöst worden waren, dominierte die strukturorientierte Politik- und Wirtschaftsgeschichte. Doch kann man seit den
achtziger Jahren ein Wiederaufleben regionalen Geschichtsbewusstseins beobachten. Diese gilt allerdings nicht einer auf Regierungsebene angesiedelten Landesgeschichte, sondern der Konzentration
auf das konkrete örtliche Detail im Zusammenhang mit der Ge135
schichte der nationalsozialistischen Diktatur. Angestoßen durch die
Ausstrahlung der Filmserie „Holocaust“ 1979 entwickelten sich Aktivitäten, die von außerhalb der Schule angeregt, in ihr aber in den achtziger Jahren entschieden gefördert wurden. An erster Stelle ist hier der
Schülerwettbewerb ‘Deutsche Geschichte’ um den Preis des Bundespräsidenten zu nennen. An zwei Wettbewerbsthemen zum „Alltag im Nationalsozialismus“ (1980/81: „Vom Ende der Weimarer Republik bis
zum Zweiten Weltkrieg“; 1982/83: „Die Kriegsjahre in Deutschland“)
beteiligten sich ca. 17.000 Schüler mit über 3.000 Beiträgen. (Mittlerweile sind es seit dem ersten Wettbewerb 1973 über 85.000 beteiligte
Schüler mit über 17.000 Arbeiten zu den verschiedenen Wettbewerbsthemen geworden.) Bei den Begriffen „Spurensuche“ und „Zeitzeugen“ denkt man in der Schule heute nahezu automatisch an die
NS-Geschichte. Das Faszinierende am lokalen Zugang ist ja, dass „bei
der lokalen Forschungsarbeit entdeckt [wurde], dass es ‘nicht irgendwo, sondern hier bei uns’ geschehen war, dass dieselben Menschen ‘Nazis und Nachbarn’ gewesen waren“.12 Aus diesen lokalhistorischen Forschungen hat sich ein Ansatz entwickelt, nach amerikanischem Vorbild („Facing History and ourselves“) einen personenzentrierten Zugang zur Geschichte auch didaktisch zu begründen und
zu erproben, in dem alle, nicht nur die politisch prominenten Menschen als Handelnde in Entscheidungssituationen begriffen werden.13
Wie sehr diese flächendeckende Erforschung der „normalen“ NSVerbrechen die Schutzschichten von Vergessen und Verdrängen
durchstößt, zeigen die lokalen Skandale, die die Spurensuche vor Ort
seit Beginn permanent begleiten.14 Die vielen „50-jährigen“ Gedenkveranstaltungen nach 1983 ließen das Thema nicht aus der öffentlichen Aufmerksamkeit entkommen. Auf Initiative des Hessischen Instituts für Bildungsplanung und Schulentwicklung entstanden eine
Reihe von lokalgeschichtlichen Untersuchungen, die von vornherein
als Unterrichtsmaterial konzipiert waren. Insbesondere das 50-jährige
Gedenken an die Pogromnacht 1988 hat maßgeblich dazu beigetragen, der Geschichte der Juden und ihrer Verfolgung an vielen Orten
nachzugehen. Sehr oft waren dabei SchülerInnen und LehrerInnen beteiligt, die auf diese Weise außerhalb des Klassenzimmers (und des
Curriculums) landesgeschichtliche Forschung praktizierten. Teilweise
sind daraus Arbeitsberichte entstanden, die selbst wieder als „Schulbücher“ dienen können. Gar nicht selten gaben solche Untersuchungen Anlass, örtliche Museen zur jüdischen Geschichte einzurichten,
136
die wiederum Anschauungsmaterial auch für Jugendliche bieten. Die
schon in die achtziger Jahre zurückreichenden Publikationen der von
der Gesamthochschule Kassel herausgegebenen Schriftenreihe „Nationalsozialismus in Nordhessen“ waren für die regionalgeschichtliche Aufarbeitung pionierhaft ebenso wie – beispielhaft genannt – die
Veröffentlichungen und Aktivitäten des Förderkreises „Aktives Museum Deutsch-Jüdischer Geschichte“ in Wiesbaden, dem man manche
lokalen Geschichtswerkstätten an die Seite stellen könnte. Die Geschichtswerkstatt am Friedrichsgymnasium in Kassel knüpft an der
Lebensumwelt der heutigen Schüler an, nämlich an der Geschichte
ihrer Schule.15 Insbesondere die Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Schulen hat in letzter Zeit zu einer Reihe von Initiativen geführt, die auch Gegenstand einer Tagung des Hessischen
Instituts für Lehrerfortbildung waren.16 Hier, an der Untersuchung
der eigenen Arbeits-, sprich: Lehr- und Lernumwelt, die früher besonders hoch mit korporativen, unkritischen Identifikationsgeboten
(z.T. über Jahrhunderte hinweg) besetzt war, zeigt sich besonders klar
der Paradigmenwechsel regionalgeschichtlicher Forschung im Zusammenhang mit Schule und Unterricht. Er betrifft übrigens nicht nur
die inhaltlichen Ziele, die ganz klar eine politisch-moralische Wertung
einschließen, sondern auch die Methoden, indem nämlich Schüler Geschichtslernen als Forschende erfahren, nicht aus Geschichtsbüchern
rezipieren, sondern aus Quellen aktiv (re)konstruieren.17
In diesem Bereich selbständigen Forschens zeigt sich übrigens eine
der stärksten Veränderungen des Geschichtsunterrichts in den letzten
Jahren: Die Lektüre von Schulbüchern im Klassenraum ist zwar nach
wie vor Rückgrat des Geschichtsunterrichts, doch gewinnen andere
Medien und Methoden wie auch außerschulische Lernorte an Bedeutung. In zahlreichen Veranstaltungen der regionalen Außenstellen des
Hessischen Instituts für Lehrerfortbildung werden Kolleginnen und
Kollegen an diese außerschulischen Lernorte herangeführt. Selbstverständlich sind Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten Ziele von
Unterrichtsexkursionen, ebenso wie auch „Zeitzeugen“ in den Unterricht als „menschliche Quellen“ integriert werden. Unterstützt wird
dies z.B. durch das Fritz Bauer-Institut in Frankfurt, die Hessische
Landeszentrale für politische Bildung oder manchmal auch die örtlichen Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Diese Art des Lernens erfordert andere Methoden als das schulisch
geübte Lesen schriftlicher Quellen. Das Geschichtslernen hat sich so
137
verändert, wie die Lebensumwelt der Jugendlichen: ins Individualistische, Konkrete, auf den Einzelfall bezogene. Vielleicht ist dies eine
Reaktion auf eine als zunehmend unübersichtlich, undurchschaubar,
globalisiert empfundene Welt. Sicher reflektiert dieses individualisierte Interesse auch die vielfältig in den Medien gespiegelte neue Bedeutung des Durchschnittlichen. Dies beinhaltet für die historischen
Stoffe aber zugleich auch eine zunehmende Ausrichtung auf den Alltag. Dem kommt seit über zehn Jahren (nicht nur in Hessen) ein Angebot vieler Staatsarchive und einiger Kommunal- und Stadtarchive
entgegen, die Schülern und Lehrern die Möglichkeit bieten, an originalen Akten zu arbeiten. Was im Rahmen von Schülerwettbewerben
mittlerweile Standard geworden ist, kann so (an den drei hessischen
Staatsarchiven und am Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt unterstützt durch Archivpädagogen) auch im normalen Unterricht eingeübt werden: mehrstündige bis mehrtägige Arbeit an Quellen zur
Geschichte des regionalen Absolutismus, der Auswirkungen der
Weltwirtschaftskrise, der Revolution 1848, Hexenprozesse, Geschichte der Juden u.s.w. u.s.f. Viele der in solchen Arbeiten mehrfach
benutzten Quellen sind auch in unterschiedlichen Formen von den
Archiven als Unterichtsmaterial bearbeitet und gedruckt herausgegeben worden.18
Eine weitere Form didaktischer Vermittlung von regionalgeschichtlichen Themen hat sich (ebenfalls: nicht nur in Hessen) bewährt: Die
archivische Wanderausstellung mit historischen Themen. So wurde
1998 an verschiedenen Orten in Hessen die (am Staatsarchiv Marburg
erarbeitete) Ausstellung „Revolution 1848. Hessen für Freiheit und
Einheit, Recht und Gerechtigkeit“ gezeigt; immer noch wird nachgefragt die 1994 am Staatsarchiv Darmstadt erarbeitete Ausstellung
„‘…möchten verbrennet werden’. Ausgrenzung und Gewalt gegen
Ketzer, Juden, Hexen … auch in der hessischen Geschichte.“ Das schulisch selten aufgearbeitete Thema der Vertriebenen-Ansiedlung und
-Integration nach 1945 wurde in einer Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden 1992 dargestellt („Vom Neubürger zum Mitbürger.
Die Aufnahme der Flüchtlinge und Vertriebenen in Hessen 19451955“). Zu all diesen Ausstellungen liegen auch Kataloge vor, die
einen ersten Zugang zu dem entsprechenden Quellenmaterial ermöglichen. Neuerdings hat das Hessische Wirtschaftsarchiv in Darmstadt
ebenfalls für den Besuch von Schülern geeignete Wanderausstellungen konzipiert, so 1998: „Bitteres, buntes Salz. Die Kaliindustrie an
138
Werra und Fulda“, in der gut hundert Jahre Technik-, Sozial- und (besonders nach 1945) auch politische Geschichte gespiegelt werden.
„Heimatgeschichte“ hat in der Schule in den letzten Jahrzehnten
ein unerwartetes Wiederaufleben feiern können, wobei der Begriff
„Heimat“ freilich keineswegs dazu beitragen soll, jenen „Wurzelboden“ neu zu düngen, auf dem in der Vergangenheit nie etwas „Fremdes“ wachsen durfte. Angesichts der vielfältigen ethnischen Herkunft
der hessischen Schülerschaft heute kann es auch nur wenig Sinn machen, den „in ihrer Identität unsicheren, zwischen zwei Kulturen stehenden Kindern als Lerngegenstände historische Ereignisse, Persönlichkeiten und Gegebenheiten einer Region“ anzubieten, „in die sie oft
zufällig oder zusammen mit ihren Eltern aus ökonomischen Gründen
verschlagen wurden.“ Ein Lernziel „Identität“ ließe sich so nicht erreichen, vielleicht aber dadurch, dass „in solchen gemischten Klassen
den deutschen Kindern die ‘fernen Heimaten’ ihrer ausländischen
Mitschüler mit den von ihnen verinnerlichten Normen und Wertvorstellungen“ nahezubringen versucht würde.19 Es ist zu hoffen, dass
aus solcher Gegenseitigkeit ein „Humus“ entsteht, der Humanität als
Heimat betrachtet.
Literaturhinweise
Will CREMER / Sabine STICHMANN in: Heimat. 2. Bd.: Lehrpläne, Literatur, Filme, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 1990, S. 13-292.
Peter KNOCH/Thomas LEEB (Hrsg.): Heimat oder Region? Grundzüge einer
Didaktik der Regionalgeschichte. Frankfurt am Main 1984.
Gottfried KÖSSLER / Guido STEFFENS / Christoph STILLEMUNKES (Hg.):
Spurensuche. Ein Reader zur Erforschung der Schulgeschichte während
der NS-Zeit. Frankfurt am Main (Fritz Bauer-Institut) 1998.
Thomas LANGE: Lehrstücke aus dem Schularchiv. Schulgeschichte, Archivpädagogik und die deutsche Vergangenheit. In: Festschrift für E. G. Franz,
Darmstadt 1996, S. 612-634.
DERS.: Zwischen Zimelien und Zensuren. Anmerkungen zu Gerhard Fritz
„Archivnutzung im Geschichtsunterricht“ (GWU 49, 1997). In: Geschichte
in Wissenschaft und Unterricht 51, 1999, S. 43-49.
Gerhard SCHNEIDER: Heimat und Region in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. In: Carl-Hans HAUPTMEYER (Hrsg.): Landesgeschichte heute. Göttingen 1987, S. 97-123.
139
Eduard SPRANGER: Der Bildungswert der Heimatkunde (1923). Stuttgart
1952 (= Reclam 7562).
Peter STEINBACH: Zur Diskussion um den Begriff der „Region“ – eine
Grundsatzfrage der modernen Landesgeschichte. In: Hess. Jahrbuch für
Landesgeschichte, 31, 1981, S. 185-210.
Gert ZANG: Die unaufhaltsame Annäherung an das Einzelne. Reflexionen
über den theoretischen und praktischen Nutzen der Regional- und Alltagsgeschichte. Konstanz 1985.
Anmerkungen
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E. SPRANGER: Bildungswert der Heimatkunde, S. 15, 50.
G. SCHNEIDER: Heimat und Region in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht, 1987.
Heinrich EIDMANN / Georg WEIGAND: Am Heimatquell. Geschichtsbilder, Aufgaben und eine Zeittafel. Frankfurt am Main: Moritz Diesterweg 1925, S. III, V.
Heimatquell (wie Anm. 3), S. 139
Heinrich BLUM: Hessische Heimatgeschichte. Kassel: Bärenreiter Verlag
1931, S. 125.
SPRANGER (wie Anm. 1), S. 14.
Vgl. Paul LEIDINGER: Landes- und Regionalgeschichte in Geschichtswissenschaft und Geschichtsunterricht. Begriff, Möglichkeiten und Grenzen.
In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik, 1984, H.1/2, S. 36-48; Joachim
KUROPKA: Eine Wiederentdeckung: Heimatgeschichte. In: ebd., S. 49-57.
– s.a.: Ernst HINRICHS: Regionalgeschichte, in: C.-H. HAUPTMEYER,
Landesgeschichte heute, Göttingen 1987, S. 16-34.
Dies wird bestätigt in der umfangreichen Lehrplananalyse von W. CREMER / S. STICHMANN in: Heimat 2: Lehrpläne, Literatur, Filme. 1990,
S. 13ff.
Karl-Ernst JEISMANN / Bernd SCHÖNEMANN: Geschichte amtlich.
Lehrpläne und Richtlinien der Bundesländer. Analyse, Vergleich, Kritik.
Frankfurt 1989 (= Studien zur Internationalen Schulbuchforschung Bd.
65), S. 66f.
Ernst HINRICHS: Zur Einführung. In: ders.: Regionalität. Der „kleine
Raum“ als Problem der internationalen Schulbuchforschung. Frankfurt
1990 (= Studien zur Internationalen Schulbuchforschung Bd. 64), S. 13.
Z. B. Kolleg Geschichte (Verlag C. C. Buchner) „Zwischen Beharrung und
Aufbruch“: Die deutschen Länder auf dem Weg in die Moderne: das Beispiel Bayern (Bamberg 1988, S. 29-44); auch ebd. „Von der attischen Demokratie bis zum aufgeklärten Absolutismus“, im Kapitel Spätmittelalter:
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Erwerbspolitik am Beispiel Württembergs“ (Bamberg 1990, S. 225-235). –
In den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen,
Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein werden von unterschiedlichen Regierungsstellen (Kultusministerien, Oberschulämter u.a.) Materialien zu
diesen Themen erarbeitet und zur Verfügung gestellt. Vgl. CREMER/
STICHMANN (wie Anm. 8).
Bodo VON BORRIES, Deutsche Geschichte. Spuren suchen vor Ort im
Schülerwettbewerb um den Preis des Bundespräsidenten. Frankfurt am
Main 1990, S. 56.
Das Fritz Bauer-Institut in Frankfurt am Main versucht empirisch diese
Methode auf deutsche Verhältnisse zu übertragen.
Z. B.: Drei Lehrer rühren in der braunen Suppe. Ein Buch über die NS-Zeit
an einem Kölner Gymnasium stört heute den Schulfrieden. Bericht in der
Frankfurter Rundschau vom 8.11.1986.
Z. B. Peter ADAMSKI (Hg.): Vom Pennäler zum Flakhelfer. Schule und Jugend im Nationalsozialismus. Eine Dokumentation der Geschichtswerkstatt am Friedrichsgymnasium, Kassel 1996.
G. KÖSSLER / G. STEFFENS / Ch. STILLEMUNKES (Hg.): Spurensuche.
Ein Reader … 1998.
Vgl. Th. LANGE: Lehrstücke aus dem Schularchiv. 1996, mit weiteren
Literaturhinweisen. Hier folgt nur eine Auswahl von Titeln: Franziska
CONRAD, Bernhard POST u.a., Erziehung im Nationalsozialismus. Gutenbergschule und Diltheyschule 1933-45. Wiesbaden 1992 – HILF Außenstelle Limburg: Das Schicksal der Hadamarer Juden. Schule und Öffentlichkeit erneuern gemeinsam das Gedächtnis an jüdische Mitbürger von
1933-1945. Ergebnisse regionaler Lehrerfortbildung, Limburg 1991 – Reinhard ERNST u. a., Die jüdischen Schülerinnen der Elisabethenschule 1878
bis 1938. Experiment. Zeitung der Elisabethenschule, Sonderheft. Marburg, November 1990. – Ulrike KLEIN, Beate KOSMALA u. a.: Jüdische
Schüler am Ludwig-Georgs-Gymnasium in den zwanziger und dreißiger
Jahren, Darmstadt 1992 – Renate HESS u. a., Juden-Deportationen aus
Darmstadt 1942/43. Die damalige Liebig-Schule als Sammellager. Darmstadt 1992. – Benjamin ORTMEYER, Schicksale jüdischer Schülerinnen
und Schüler in der NS-Zeit. Leerstellen deutscher Erziehungswissenschaft? Bundesrepublikanische Erziehungswissenschaften (1945/49-1995)
und die Erforschung der nazistischen Schule. Bonn 1998.
Vgl. die Literaturliste bei Th. LANGE in: Geschichte in Wissenschaft und
Unterricht 51, 1999, S. 43-49.
SCHNEIDER (wie Anm. 2), S. 116.
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Wichtige Anschriften
Arbeitsgemeinschaft der Geschichts- und Heimatvereine im Kreis
Bergstraße, Landratsamt, Gräffstr. 5, 64646 Heppenheim, Tel. (0 62 51)
1 54 10
Bistumsarchiv Fulda, Bischöfl. Generalvikariat, Paulustor 5, 36037
Fulda, Tel. (06 61) 87-0, Fax 87-5 78
Diözesanarchiv Limburg, Roßmarkt 4, 65549 Limburg a. d. Lahn, Tel.
(0 64 31) 2 95-3 34, Fax 2 95-4 76
Familienkundliche Gesellschaft für Nassau und Frankfurt, Mosbacher
Str. 55 (Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0
Frankfurter Historische Kommission, Karmelitergasse 5 (Inst. f. Stadtgeschichte), 60311 Frankfurt am Main, Tel. (0 69) 2 12-3 33 74, Fax 2 213 07 53
Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde e.V., Karmelitergasse 5 (Inst. für Stadtgeschichte), 60311 Frankfurt am Main, Tel./Fax
(0 69) 28 78 60
Friedberger Geschichtsverein e.V., Haagstr. 16, 61169 Friedberg,
Tel./Fax (0 60 31) 9 32 86,
Fuldaer Geschichtsverein e.V., Stadtschloss Raum C 256, Postfach
10 20, 36010 Fulda
Gesellschaft für Familienkunde in Kurhessen und Waldeck, Postfach
10 13 46, 34013 Kassel
Hanauer Geschichtsverein e.V., Schlossplatz 2, 63450 Hanau
Hessische Familiengeschichtliche Vereinigung; Karolinenplatz 3
(Haus der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-60
Hessische Historische Kommission Darmstadt, Karolinenplatz 3 (Haus
der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01
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Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung e.V., Karolinenpl. 3 (Haus
der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01
Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Rheinbahnstr. 2,
65185 Wiesbaden, Tel. (06 11) 9 91 97-0, Fax 9 91 97-44
Hessischer Museumsverband e.V., Kölnische Str. 42-46, 34117 Kassel,
Tel. (05 61) 7 88 95 97
Hessischer Rundfunk, Bertramstr. 8, 60222 Frankfurt am Main, Tel.
(0 69) 15 51, Fax 1 55-29 00
Hessisches Hauptstaatsarchiv, Mosbacher Str. 55, 65187 Wiesbaden,
Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45
Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, WilhelmRöpke-Str. 6 C, 35032 Marburg, Tel. (0 64 21) 28 45 82, Fax 28 47 99
Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Karolinenplatz 3 (Haus der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-00, Fax 16 59-01
Hessisches Staatsarchiv Marburg, Friedrichsplatz 15, 35037 Marburg,
Tel. (0 64 21) 92 50-0, Fax 16 11 25
Hessisches Wirtschaftsarchiv e.V., Karolinenplatz 3, (Haus der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 50-00, Fax 16 50-03
Historische Kommission für Hessen, Friedrichsplatz 15 (Staatsarchiv),
35037 Marburg, Tel. (0 64 21) 92 50-0, Fax 16 11 25
Historische Kommission für Nassau, Mosbacher Str. 55 (Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45
Historischer Verein für Hessen, Karolinenplatz 3 (Haus der Geschichte), 64289 Darmstadt, Tel. (0 61 51) 16 59-64, Fax 16 59-01
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Karmelitergasse 5,
60311 Frankfurt am Main, Tel. (0 69) 2 12-3 54 79, Fax 2 12-3 07 53
Institut für personengeschichtliche Forschung, Schwanheimer Str.
133, 64625 Bensheim, Tel. (0 62 51) 6 22 11, Fax 6 22 71
143
Jüdisches Museum, Untermainkai 14/15, 60311 Frankfurt am Main,
Tel (0 69) 2 12-3 50 00
Kommission für Geschichte der Juden in Hessen, Mosbacher Str. 55
(Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden, Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 65
Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Schloss Biebrich, 65203 Wiesbaden, Tel. (06 11) 69 06 13
Landeskirchliches Archiv der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, Lessingstr. 15, 34119 Kassel, Tel. (05 61) 78 87-60, Fax 78 87-6 11
Oberhessischer Geschichtsverein Gießen e.V., Stadtarchiv, Ostanlage
45, 35390 Gießen, Tel. (0 61 41) 3 06-27 15
Saalburgmuseum, Saalburg-Kastell, 61350 Bad Homburg v. d. H.,
Tel. (0 61 75) 93 74-0, Fax 93 74-11
Verein für Geschichte und Landeskunde e.V., Am Seeberg 7A, 61352
Bad Homburg v.d.H., Tel. (0 61 72) 48 81 25
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde e.V., Diagonale 10
(Gesamthochschul-Bibliothek Kassel), 34111 Kassel, Tel. (05 61) 8 0421 17/18
Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung
e.V., Mosbacher Str. 55 (Hess. Hauptstaatsarchiv), 65187 Wiesbaden,
Tel. (06 11) 8 81-0, Fax 8 81-1 45
Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, Schloss,
61348 Bad Homburg v.d.H., Tel. (0 61 72) 92 62-00, Fax 92 62-1 90
Waldeckischer Geschichtsverein e.V., Schlossstr. 24, 34454 Bad Arolsen, Tel. (0 56 91) 66 52
Zentralarchiv der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Ahastr. 5a, 64285
Darmstadt, Tel. (0 61 51) 4 05-4 93, Fax 4 05-4 94
Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte, Birkenweg 13,
61381 Friedrichsdorf/Ts.
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