Roms Kirchen - Evangelische Akademie Meissen
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Roms Kirchen - Evangelische Akademie Meissen
Roms Kirchen Günter Donath [Dombaumeister Dom zu Meißen] „Nicht einmal der Heilige Geist weiß, wie viele Kirchen es in Rom gibt1.“ Die für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema grundlegende deutschsprachige Beschreibung römischer Kirchen von Walther Buchowiecki2 handelt etwa 1000 Kirchen in vier sehr dicken Dünndruckbänden ab und vermerkt dort gleich am Anfang, dass auch dieses Werk nicht vollständig ist; nicht erfasst sind nämlich die nicht-katholischen und vor allem die in jüngster Zeit neu gebauten Kirchen. Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst nahezu unmöglich zu sein, den Teilnehmern einer Studienfahrt in einem dreitägigen Romaufenthalt einen systematischen und sinnvollen Überblick über die bau- und kunsthistorische Vielfalt römischer Kirchen vermitteln zu können. Durch die thematische Vorgabe, sich in Rom vor allem auf die Spurensuche Meißner Kirchenmänner des Mittelalters zu begeben, schien aber eine gedankliche Linie vorgezeichnet und bei der Beschränkung auf die mit ihren Namen verbundenen Kirchen eine sinnvolle Ausgangslage gefunden3. Bischof Benno von Meißen (+1106), der gerade den Schlüssel des Meißner Doms einem Fisch entnimmt, begegneten wir im altrömischen Gewinkel der Gassen westlich der Piazza Navona auf einem von Carlo Saraceni 1618 geschaffenen Altarbild in der Kirche S.Maria dell`Anima, der deutschen und österreichischen Nationalkirche. Sie verdankt ihren Ursprung einer frommen Stiftung für deutsche Pilger im 14.Jh. Die Kirche wurde im Stil einer gotischen Hallenkirche errichtet; ihr Bautyp ist einmalig in Rom und ist mit ihrem Raumeindruck zum Sinnbild des „Teutonischen“ für die Römer geworden. Mit dem Bau der Kirche S.Maria sopra Minerva, einer im 13.Jh. durch Dominikaner errichteten dreischiffigen Pfeilerbasilika, wurde uns jedoch eine ganz andere –eine „römische“- Gotik vorgeführt. Auch wenn das an deutscher oder französischer Gotik geschulte Auge die für diese Zeit typischen Spitzbögen vermisst, so stellt sie doch die einzige rein gotische Kirche Roms dar. In ihre schmucklose Fassade wurde die Grabplatte des aus Rothschönberg bei Meißen stammenden Nikolaus von Schönberg (+1537) eingelassen. 1508 wurde er vom Ordensgeneral der Dominikaner zum Generalprokurator des Ordens bei der Kurie ernannt. 1535 wurde der als „autor pacis“ in die Geschichte eingegangene Geistliche zum Kardinal erhoben. Seine neue Aufgabe war die Vorbereitung des großen Reformkonzils von Trient. Er hat es nicht mehr erlebt. Um die durch das benachbarte Vittoriale ganz in ihrer Wirkung beraubte Kirche S.Maria in Aracoeli auf dem nördlichen Horn des Kapitolshügels betreten zu können, muß man erst eine 1348 aus Spenden der Bevölkerung als Dank für die Errettung von der Pest errichtete Treppe mit 124 Stufen erklimmen. Sie erinnert an eine Himmelsleiter; und tatsächlich befand sich hier einmal der Ort, an 1 Rosendorfer, Herbert: Kirchenführer Rom, Leipzig 2000 Buchowiecki, Walther: Handbuch der Kirchen Roms, 1970 3 Trotzdem soll nicht verhehlt werden, dass in der Vorbereitung der Studienfahrt weit mehr als die doppelte Zahl von Kirchen besucht werden musste, um diese sich kunsthistorisch so sinnvoll ergänzenden Monumente „herausfiltern“ zu können. Aber es war wie verrückt: auch unter Einbeziehung der bei dieser Fahrt nicht berücksichtigten Kirchen würden sich sofort neue Themen ergeben: z.B. „Kuppeln“ oder „Die Engel Roms“. Es bleibt also die Qual der Wahl (und der Beschränkung). 2 dem die Auguren die Vogelflüge und ihre Zeichen beobachteten, der Tempel der Juno Moneta (der staatlichen Münzprägestätte) und der Tempel der phönizischen Göttin Tanit. Dort hatte Kaiser Augustus auf Grund einer sybillinischen Prophezeiung einen „Himmelsaltar“ errichten lassen. Als die paganen Kulte entgültig der Vergangenheit angehörten, spätestens in der 1.H.des 8.Jh. ergriff das Christentum Besitz vom Kapitol. Mit der erneuerten Konstituierung des römischen Senats 1143 wurde der erste Kirchenbau Tagungsort des Großen und Kleinen Rates, damit die Tradition des Kapitols als Symbol der Herrschaft über Rom fortsetzend. Unter Verwendung unterschiedlichster Säulen, die antike Spolien darstellen, entstand im 13. Jh. eine ganz antik wirkende Säulenbasilika von 12 Jochen Länge, an deren Seitenschiffe sich eine Reihe von Nebenkapellen anschließt. Der Boden ist bedeckt von stark abgelaufenen Grabplatten aus Travertin. In einer davon befinden sich Reste eines Reliefs mit dem Siegeslamm, dem Wappen der Bistümer Meißen und Brixen; weshalb wir glauben, das Grab des Meißner Dompropstes und Bischofs von Brixen Melchior von Meckau (+1509) gefunden zu haben. In die frühchristliche Zeit zurück führte uns ein etwas schwer aufzufindender und auch äußerlich ganz unscheinbarer Bau, der der Legende nach auf dem Grundstück des Senators Pudens errichtet sein soll, der dem hl.Petrus in Rom Unterkunft gewährt hatte. Den Schmuck und großen Wert der Kirche S.Prassede bilden die gut erhaltenen Mosaiken aus dem 9.Jh.: das Apsismosaik mit dem segnenden Christus inmitten von Heiligen (unter ihnen der Stifter, der damals noch lebende Papst Paschalis mit viereckigem Nimbus) und die ganz mit Mosaiken geschmückte und deshalb auch „Paradiso“ genannte kleine Zeno-Kapelle, die der Papst für seine Mutter als Grabkapelle errichten ließ. Buchowiecki bezeichnet diese Kapelle „als Gesamtkunstwerk das wichtigste Denkmal des 9.Jh. in Rom“. Die der Hl. Praxedis gewidmete Kirche war Titularkirche des Prager Erzbischofs und Kardinals Johannes von Jentzenstein, dem als Bischof Johannes II. 1375 bis 1379 in Meißen vor allem der Weiterbau der Westtürme unseres Doms zu verdanken ist. Seine (erneuerte) Grabplatte steht an einem Wandpfeiler im linken Seitenschiff. Mit der uralten, 432 geweihten Kirche S.Sabina auf dem Aventin begegnete uns nun ein Bau mit seiner ganzen Kraft und Wirkmächtigkeit, die seiner unverstellten ursprünglichen Raumwirkung entspringt. Mit der Proportion, der engen Arkadenschrittweite und der ihr folgenden Durchfensterung des Obergadens haben wir den Typus der antiken Königshalle, der Basilika, vor uns. Mit Alabaster gefüllte Transennen, die steinernen Fenstergitter, und den kostbaren Zedernholztüren finden wir erstaunlich gut erhaltene Baudetails. So muß man sich die ersten Kirchenbauten vorstellen! Ich bin überzeugt, dass dieser Bau uns innerlich mehr anrührten, als die überbordenden barocken Raumformulierungen, denen wir in S.Pietro in Vaticano, dem Petersdom, der Basilika S.Paolo fuori le Mura über dem Grab des Apostels Paulus oder in der Lateransbasilika S.Giovanni in Laterano, dem Dom bzw. der Bischofskirche Roms, gegenüberstanden. Letztere war ihres Baptisteriums wegen als Ziel ausgewählt worden. Bereits im 4.Jh. wurden in unmittelbarer Nähe der bischöflichen Basiliken Taufkirchen als Zentralbauten über quadratischem, runden oder oktogonalen Grundrissen errichtet, in die Stufen zu einem abgesenkten Wasserbassin hinabführen. Das Taufbecken ist dabei meist von einem inneren Säulenkranz umgeben. Alle drei genannten Basiliken haben einen fünfschiffigen Querschnitt und gehen auf Gründungsbauten im 4.Jh. zurück. Wie aber eine nicht durch Dekorationen verstellte barocke Baustruktur wirken kann wurde beim Besuch der S.Ivo alla Sapienza vom Borromini deutlich. Bei dieser Kirche gerate ich ins Schwärmen: es ist für mich die schönste, reinste Kirche Roms, ein Meisterwerk aus einem Guß und steingewordene Idee der Geometrie. Ähnlich kontemplativ konnte der Raum in der Rundkirche S.Stefano Rotondo, eine der seltsamsten Kirchen Roms, empfunden werden. Ihre Baugeschichte, die eher eine Geschichte ihrer Zerstörungen und Wiederaufbauten scheint, ist sehr kompliziert und geht in das 5.Jh. zurück. Als Rundkirche besaß sie jedoch eine besondere Bedeutung: einmal erinnerte ihre Bauform an die Grabeskirche in Jerusalem, andererseits an kaiserliche Zentralbauten in Byzanz. In der ursprünglichen Grundrißgestalt durchdrangen sich zwei konzentrische Kreise und ein griechisches Kreuz. Es ist das antike Bild der triumphierenden christlichen Kirche über einem Mithrasheiligtum4. Der Mithraskult war, wie das Christentum, eine aus dem Orient stammende Erlösungsreligion, die sich in den ersten Jahrhunderten im ganzen Reich verbreitet hatte. Vermutlich stand es zeitweilig auf des Messers Schneide, ob die Welt christlich oder mithräisch werden würde. Die ebenfalls über einem Mithrasheiligtum errichtete Kirche S.Clemente verdeutlicht exemplarisch die Entwicklung eines römischen Kirchenbaus von der mittleren Kaiserzeit bis zur Frühzeit des Christentums. Der Gebäudekomplex umfasst die tief unter dem heutigen römischen Straßenniveau steckenden Reste der antiken Bauten des Mithräums, welches wiederum über einem Gebäude des 1.Jh. errichtet wurde, eine frühchristliche Unterkirche des 3.Jh. und eine um 1100 errichtete Oberkirche. An deren rechten Obergadenwand befindet sich ein einfaches Bild: es zeigt den heutigen Papst Benedikt XVI. Nicht zuletzt durch dieses Detail wird für uns die gewaltige Zeitspanne spürbar, in denen sich christlicher Glaube mit seiner Heilsbotschaft bewegt. Diese Zeiträume waren für die ersten Christen unvorstellbar. Sie konnten es nicht erwarten, ihren Heiland und Erlöser bald wieder zu sehen. Ihren einfachen Grabstätten, den Loculi in der Catacomba Domitilla gaben sie voller Gewissheit den Namen „Depositum“, Lager. Sie unterscheiden sich deutlich von denen in der Nekropole nahe des Neronischen Circus mit den mächtigen Fassaden und Sarkophagen. Mitten unter ihnen standen wir dank der Genehmigung der Ufficio Scavi vor der erst Mitte des 20.Jh. gefundenen Ädicula mit der fragmentarischen griechischen Inschrift PETR und den Skeletteilen eines etwa 60jährigen, untersetzten Mannes. Ob das wirklich das Petrusgrab ist, bleibt allerdings eine Frage des Glaubens. Es muß aber einen Grund gehabt haben, wenn die frühen Christen die erste Peterskirche bereits um 311, also mit der Anerkennung der christlichen Religion, an dieser Stelle über einer Nekropole, deren Baugrund alles andere als leicht zu beherrschen war, errichteten. Der heutige Petersdom und die Capella Sistina blieben jedoch trotz der Fülle unübertrefflicher Kunstwerke für mich aber stumm. Die Aura, sich an einem „heiligen Ort“ zu befinden, vermittelten sie nicht. Wahrscheinlich hilft da nur, noch einmal nach Rom zu fahren. 4 Kultstätte des pers. Weltheilands und Erlösers Mithras, der am 25.Dezember von einer Jungfrau geboren und mit dem Sonnengott gleichgesetzt wurde