Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht

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Die Haftung des Vorstands der AG nach der Business Judgement
Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG
Dr. Matthias Hallweger
E-Mail: Hallweger@klsal.de
Als Gegengewicht zur Erleichterung der Aktionärsklage in §§ 147, 148 AktG hat der Gesetzgeber
mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und
Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG)
die sogenannte Business Judgement Rule aus dem
angloamerikanischen Recht im deutschen AktG
kodifiziert.
Hintergrund war die bisherige Rechtslage des §
93 Abs. 1 AktG, wonach die Vorstandsmitglieder
bei ihrer Geschäftsführung die „Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“
anzuwenden haben (wie bisher § 93 Abs. 1 Satz
1 AktG).
Eine schuldhafte Verletzung dieser sehr allgemein gehaltenen Pflicht führt grundsätzlich
zu einer Schadensersatzpflicht des jeweiligen
Vorstandsmitglieds nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG.
Hierbei ist eine für die Gesellschaft angenehme
Beweislastregelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG
getroffen. Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung
als solcher ist im Streitfall nach allgemeinen
Grundsätzen die Gesellschaft als Klägerin beweispflichtig. Das pflichtwidrige Verhalten eines
Vorstandsmitglieds wird in der Folge vermutet. Zur
Abwendung seiner Ersatzpflicht muss das jeweilige
Vorstandsmitglied dann im Streitfall selbst nachweisen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und
gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat.
Der größte Streitpunkt lag im Rahmen des § 93
Abs. 1 AktG stets in der Frage, inwiefern die jeweilige Entscheidung des Vorstands im Rahmen seiner
Sorgfaltspflicht vom unternehmerischen Risiko
gedeckt war oder der Vorstand offensichtlich hiergegen verstoßen hat.
In seiner hierzu grundlegenden Entscheidung
„ARAG/Garmenbeck“ vom 21.04.1997 (Aktenzeichen: II ZR 175/95) hat der BGH statuiert, dass
dem Vorstand im Rahmen seiner unternehmerischen
Entscheidungen ein weiter unternehmerischer
Ermessensspielraum zuzubilligen ist. Lediglich
Entscheidungen, die nicht das Wohl der Gesellschaft
berücksichtigen und außerhalb seines unternehmerischen Ermessensspielraums liegen und auf einer
nicht ausreichenden Informationsgrundlage des
Vorstands getroffen sind, stellen grundsätzlich
eine solche Sorgfaltspflichtverletzung nach der
Rechtsprechung zum bisherigen § 93 Abs. 1 Satz
1 AktG dar. Mit dem UMAG wurde im September
2005 nun der neue § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eingeführt. Dieser lautet:
„Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das
Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen
Entscheidung vernünftiger Weise annehmen durfte,
auf der Grundlage angemessener Information zum
Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wurde die aus
dem amerikanischen Recht bekannte Rechtsfigur
des „Safe Harbour“ und damit des sicheren
Hafens in das Deutsche Recht inkorporiert.
Beabsichtigt ist hierbei, im Vorhinein festzulegen,
unter welchen Voraussetzungen in keinem Fall eine
Pflichtverletzung gegeben und damit der „sichere
Hafen“ erreicht ist. Der Gesetzgeber hat an sich
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selbst die hohe Hürde gestellt, hierbei für Klarheit
und Berechenbarkeit der Verhaltensanforderungen
an den Vorstand zu sorgen.
Mit Übernahme der unbestimmten Rechtsbegriffe
im § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und der Einführung der
Business Jugdement Rule in das Deutsche Recht
jedoch ist dieses Vorhaben als missglückt anzusehen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des „sicheren
Hafens“ sind nach wie vor unbestimmt und im
Einzelfall einer unternehmerischen Entscheidung
nicht stets klar zu definieren:
-Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung
-Vorstandshandeln auf der Grundlage angemessener Informationen
-Vorstandshandeln ohne Sonderinteressen und
frei von sachfremden Einflüssen
-Vorstandshandeln zum Wohle der AG und in
gutem Glauben
Letztlich stellten diese Kriterien schon bisher
die einzelnen Tatbestandsmerkmale einer Sorgfaltspflichtverletzung bzw. der Einhaltung einer
entsprechenden Sorgfaltspflicht dar. Eine große
Handlungssicherheit konnte den Vorständen der
deutschen Aktiengesellschaft mit der Inkorporation
der Business Judgement Rule in § 93 Abs. 1
Satz 2 AktG nicht an die Hand gegeben werden.
Vielmehr wird mit der Business Judgement Rule
in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG lediglich der „IdealVorstand“ ähnlich dem „Ideal-Autofahrer“ des
Straßenverkehrsgesetzes beschrieben.
Allerdings ist die Business Judgement Rule – wie
bisher auch – ein geeigneter Leitfaden, um entsprechende Organisationsstrukturen innerhalb des
Vorstands einer AG zu bilden. Insbesondere bei
unternehmerischen Entscheidungen von erheblichem Ausmaß sollte zwingend der Vorstand einer
AG für sich eine Dokumentation schaffen, wonach
die vorgenannten vier Kriterien stets und ausdrücklich durch ihn berücksichtigt sind. Hierbei bietet es
sich an, im Rahmen des nach § 91 Abs. 2 AktG verpflichtend einzuführenden Risikokontrollsystems
ein Abfragemuster zu entwerfen, wonach bei jeder
wesentlichen unternehmerischen Entscheidung die
vorgenannten vier Kriterien der Business Judgement
Rule als interne Prüfungskriterien eingehalten und
positiv bewertet werden konnten.
So sehr es im jeweiligen einzelnen Schadensfall aufgrund der Beweislastverteilung für den einzelnen
Vorstand schwierig werden wird, sich des Vorwurfs
einer Pflichtverletzung zu erwehren, so sehr kann
ihm eine entsprechende Dokumentation unter
Berücksichtigung der vorgenannten vier Kriterien
der Business Judgement Rule von erheblicher Hilfe
sein. Darüber hinaus gehört es mit Einführung des
Risk-Control-Managements des § 91 Abs. 2 AktG
ohnehin zwingend zu den Anforderungen eines
professionell agierenden Vorstands, auch seine
Entscheidungen in der Entscheidungsfindungsphase zu dokumentieren. Hierbei bietet es sich an,
die vorgenannten vier Kriterien intern nachvollziehbar einer Dokumentation zuzuführen.
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