Isländische Uferschnepfen

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Isländische Uferschnepfen
63. Jahrgang · Juni 2016 · D: € 4,95 · A: € 5,00 · CH: CHF 8,20
6 2016
Neue Vogelart:
LigurienBartgrasmücke
Im Aufwind:
Bienenfresser
Von Island ans Wattenmeer:
Isländische
Uferschnepfen
Liebe Leserinnen und Leser,
Ab Ende Juni werden die Tage
schon wieder kürzer, aber zugegeben, bis Weihnachten ist es noch
lange hin. Dennoch wollte ich Ihnen
schon jetzt einen Vorschlag für
ein Weihnachtsgeschenk machen:
Schenken Sie sich selbst oder –
besser noch – lassen
Sie sich ein Fernglas
schenken. Keine Frage,
qualitativ hochwertige Ferngläser sind
nicht günstig, aber
Im Sommer zieht es viele
die Investition lohnt
Menschen auf die – noch
sich. Außerdem halwenigen verbliebenen –
ten Ferngläser in
Kiesbänke entlang unserer
der Regel viele, viele
alpinen Wildflüsse. Ehemals
Ligurien-Bartgrasmücke. Jahre. Und setzen Sie
ein häufiger Lebensraum
Foto: D. Occhiato.
dieses Fernglas ein, so
sind davon nur noch sehr
oft wie möglich, nicht nur bei einer
wenige Prozent der früheren Ausdehnung vorhanden. Diese aber sind gezielten Vogelwanderung oder
wichtiger Lebensraum für Arten wie einer Urlaubsreise, zum Beispiel
nach Italien, um die neuen Arten der
Flussuferläufer und FlussregenpfeiBartgrasmücken nicht nur an ihrem
fer. Im vorliegenden Heft stellt uns
Gesang, sondern vielleicht sogar am
Michael Schödl, der Gebietsbetreuer
Aussehen unterscheiden zu lernen.
Obere Isar und Karwendel, „seine“
Wie kompliziert die Ausweisung der
Kiesbänke mit ihrer Vogelwelt geLigurien-Bartgrasmücke ist, lesen
nauer vor.
auf meinen Aufruf im Mai-Heft
2016, uns Beispiele für Webcams an
Vogelnestern und -horsten zu nennen, sind in der Redaktion von DER
FALKE eine große Anzahl von Meldungen eingegangen. In unserem
Beitrag über die neuesten Webcams
an See- und Schreiadlerhorsten haben wir eine Auswahl aufgelistet. Schauen Sie
einfach einmal rein.
Sie in diesem Heft. Ein Fernglas
gehört aber auch ans Küchenfenster,
wenn doch einmal ein paar Kraniche
über den Himmel ziehen oder in
der Birke vor dem Haus ein Trupp
Schwanzmeisen landet. Die Qualität
guter Ferngläser ist umwerfend, da
kann man Details sehen, die sich
kaum in einem Bestimmungsbuch
widergeben lassen. Jede Feder, jede
Farbnuance – und plötzlich wird aus
der Amsel im Garten ein Individuum
mit Merkmalen, die eine Wiedererkennung möglich machen. Nicht
nur das, was am Horizont vorbeifliegt, lässt sich besser bestimmen,
Ferngläser sind auch dazu da, in
allernächster Nähe genauer hinzusehen, bis hin zu Schmetterlingen und
Amphibien unmittelbar vor Ihren
Füßen. Eine echte Bereicherung!
Beste Grüße,
Ihr
Dr. Norbert Schäffer
Inhalt
ORNITHOLOGIE AKTUELL
Neue Forschungsergebnisse
Michael Schödl:
2 Leben auf Messers Schneide: Kiesbrüter
34
FOTOGALERIE
BEOBACHTUNGSTIPP
Sandbaden
Christopher König, Christoph Moning, Christian Wagner,
Felix Weiß:
LESERBEOBACHTUNGEN
Die Elbaue Jerichow in Sachsen-Anhalt:
Sebastian Biele:
Perle einer geschichtsträchtigen Auenlandschaft
5
Grund Nahrungsmangel: Bekassine auf Wanderung
WALDVÖGEL
Anita Schäffer:
Etagenbewohner und Langstreckenzieher:
Waldlaubsänger
BIOLOGIE
Hans-Heiner Bergmann:
Neue Vogelart im Süden Europas:
Ligurien-Bartgrasmücke
Impressum
Thomas Krumenacker:
Adlerleben live: Einblicke in das Leben
von See- und Schreiadler
Dominic V. Cimiotti:
Von Island ans Wattenmeer: Isländische Uferschnepfen
Anita und Dr. Hans-Valentin Bastian:
Lichtblick in unserer bedrohten Vogelwelt:
Bienenfresser nach wie vor im Aufwind
24
39
AKTION
Johannes Wahl, Karsten Berlin, Christopher König,
9 Andreas Leistikow:
Das Birdrace 2016 im Rückspiegel:
Frühsommerliches Rennen der Rekorde
40
VOGELSCHUTZ
12 Thomas Krumenacker:
16 Vogelschützer schlagen Alarm:
Windkraft gefährdet wichtigsten Zugtrichter des
europäisch-afrikanischen Vogelzugs
42
17 50 Jahre Wanderfalkenschutz in Baden-Württemberg 48
18
LEUTE & EREIGNISSE
Termine, TV-Tipps
43
BILD DES MONATS
28 Rätselfoto und Auflösung
46
Der Falke 63, 6/2016
1
Biologie
Von Island ans Wattenmeer:
Isländische Uferschnepfen
Island hat neben brodelnden Quellen und seinen weltberühmten Vogelfelsen noch eine
weitere Besonderheit zu bieten, die „Isländische Uferschnepfe“. Deren Bestände haben im
Gegensatz zu der überwiegend in Kontinentaleuropa brütenden Form der Uferschnepfe in
den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. In Deutschland werden Isländische Uferschnepfen seit der Jahrtausendwende in stark ansteigender Zahl gemeldet. Sie sind im
Vergleich zu den heimischen Uferschnepfen etwas kleiner und kräftiger gefärbt, aber ihre
Bestimmung ist selbst für Watvogelexperten nicht immer einfach.
D
ie Uferschnepfe kommt weltweit in drei Unterarten vor.
Das Brutareal der Nominatform Limosa limosa limosa erstreckt
sich in einem schmalen Band von
Spanien bis Zentralasien und reicht
im Norden bis ins südliche Skandinavien. Die Unterart melanuroides
brütet in mehreren getrennten Arealen in der Mongolei, in Nordchina
und in Sibirien. Die dritte Unterart
Limosa limosa islandica kommt, wie
ihr Name vermuten lässt, vor allem
auf Island vor. Es besteht zudem seit
1950 auch ein kleineres Brutvorkommen mit maximal 125 Paaren auf
den Lofoten im Nordwesten Norwegens. Wenige Paare brüten auf den
Shetland- und Färöer-Inseln. Nach
der Brutzeit ziehen die isländischen
Brutvögel zunächst vor allem in
Flussmündungen Ost- und Nordwestenglands. Später wandert ein Teil der
Vögel weiter nach Südwesten, wo sie
an der irischen, französischen, portugiesischen oder marokkanischen
Küste überwintern. Inzwischen verbringen Isländische Uferschnepfen
auch in größerer Zahl den Winter in
den Niederlanden.
Im Gegensatz zur Nominatform
haben die Bestände der Isländischen
Uferschnepfe, vermutlich aufgrund
für sie günstiger klimatischer Veränderungen in den Brutgebieten,
in den letzten Jahrzehnten stark
zugenommen. Dabei haben offenbar auch Änderungen in der Landnutzung (Zunahme von Heuwiesen
und Grabensystemen) eine Rolle
gespielt.
Trotz der Zunahme der isländischen
Unterart weist die Uferschnepfe in
Europa insgesamt einen stark negativen Bestandstrend auf. Sie steht
inzwischen sogar auf der globalen
Vorwarnliste bedrohter Vogelarten.
Der Hauptgrund dafür liegt in der
Bestandsabnahme der Nominatform
in ihrem Kernverbreitungsgebiet
in den Niederlanden und in Norddeutschland.
Der 18
knapp 1500DermFalke
hohe
63, Hekla
6/2016 zählt zu den drei aktivsten Vulkanen auf Island. Er thront über den wichtigsten UferschnepfenBrutgebieten im Südwesten der Insel.
Foto: D. Cimiotti. 12.6.2008.
» Im Fokus internationaler
Forschung
Der oben beschriebene Zugweg macht
die Isländische Uferschnepfe zu einem
idealen Objekt der Wat- und Zugvogelforschung. Denn insbesondere in
England, den Niederlanden und Portugal richten sich die Spektive Hunderter Vogelbeobachter und Ornithologen auf die eleganten Vögel. Dabei
werden viele Uferschnepfen entdeckt,
die zuvor auf Island, in England oder
auch auf der Iberischen Halbinsel mit
individuellen
Farbringkombinationen markiert worden waren. Einzelne
Uferschnepfen werden so oft Dutzende
Male in ihrem Leben an verschiedenen
Stationen ihres Zugweges registriert.
Beispielsweise wurde ein Vogel, der
2011 auch in Deutschland gesichtet
wurde, unter anderem fast fünfzig
Mal in Portugal sowie jeweils mehrfach in Frankreich, den Niederlanden,
England und Schottland festgestellt.
Dabei ist ein einmaliger Datenschatz
entstanden, mit dessen Hilfe sich zahlreiche ökologische und naturschutzrelevante Fragen klären lassen.
Beispielsweise konnte der isländische Altvogelbestand um die Jahrtausendwende mit Fang-WiederfangModellen auf rund 37 500 Individuen
geschätzt werden. In die Berechnungen flossen Erfassungen der im
Frühjahr eintreffenden Uferschnepfentrupps ein, bei denen gezielt auf
zuvor in England farbberingte Vögel
geachtet wurde. Damit konnte hochgerechnet werden, wie viele Uferschnepfen bei den Erfassungen übersehen wurden und wie hoch folglich
der Gesamtbestand war.
» Von der Rarität zum
regelmäßigen Gast
Männchen der Isländischen Uferschnepfe am Brutplatz.
Die Bestandszunahme der Isländischen Uferschnepfe in den letzten Jahrzehnten macht sich auch in
Deutschland bemerkbar. Mit ihrem
Auftreten beschäftige sich erstmals
ein Artikel von Thorsten Krüger aus
dem Jahr 2010. Demnach gelangen
die ersten Nachweise der Isländischen
Uferschnepfe in Deutschland im Mai
1972 in den Rieselfeldern Münster
sowie im Mai 1981 auf der Helgoländer Düne. Die nächstfolgenden Beobachtungen im Jahr 1997 markierten
bereits den Beginn einer rasanten
Zunahme der Nachweise. Im Jahr
2010 wurden erstmals mehr als einhundert Individuen in einem Trupp
gezählt.
Diese Entwicklung setzte sich in
den letzten Jahren fort. So wurden
im Jahr 2014 nach den Daten auf
ornitho.de knapp 1800 Isländische
Uferschnepfen in Deutschland gemeldet (Summe der Dekadenmaxima
aller Gebiete). Maximal wurden 460
Individuen in einem Trupp bei Leer
(Ostfriesland) im April 2014 durch
Helmut Kruckenberg beobachtet.
Isländische Uferschnepfen rasten bei
uns vor allem in Brack- und Süßwasserlebensräumen im Bereich der
Nordseeküste. Es gelangen aber auch
Nachweise tief im Binnenland, die
meisten in den Rieselfeldern Münster. Isländische Uferschnepfen treten
im Frühjahr vor allem in den Monaten März bis April bei uns auf. Der
Durchzugsgipfel Anfang bis Ende
April fällt in eine Zeit, in der die
meisten einheimischen Uferschnep-
Anzahl Individuen
1400
2012
2013
2014
Foto: D. Cimiotti. Kaldardarnes, 13.6.008.
fen bereits brüten. Nach der Brutzeit
werden Isländische Uferschnepfen ab
Juli, während viele heimische Uferschnepfen dann bereits in ihre Winterquartiere abgezogen sind.
Doch woher stammen die Isländischen Uferschnepfen, die in
Deutschland rasten? Eine ursprüngliche Vermutung ging davon aus, dass
es sich bei den Isländischen Uferschnepfen in Deutschland um Angehörige der norwegischen Population
handeln könnte, da diese auf ihrem
Zugweg nach Westeuropa entlang der
Küstenlinie nach Deutschland gelangen könnten. Im neuen deutschen
2015
1200
1000
800
600
400
Maximum je Ort
1-7
8 - 20
21 - 50
Nov
Sep
Jul
Mai
Mrz
Jan
200
Phänologie der Isländischen Uferschnepfe (L. l. islandica) in Deutschland in den Jahren
2012 bis 2015 nach den Daten auf ornitho.de. Dargestellt ist die Summe der gebietsbezogenen Dekadenmaxima, der Monatsbeginn ist jeweils markiert. Nahe beieinander liegende
Orte (bis circa 3 km) wurden zu einem Gebiet zusammen gefasst, um Mehrfachzählungen
derselben Trupps zu vermeiden. Für einen Teil der Meldungen steht die Anerkennung
durch die zuständige avifaunistische Landeskommission noch aus.
51 - 150
151 - 400
>400
Verbreitung der Isländischen Uferschnepfe in Deutschland
2012–2015 nach Meldungen auf ornitho.de.
Quelle: DDA.
Der Falke 63, 6/2016
19
Biologie
Typisch gefärbtes Männchen der Unterart islandica im isländischen Brutgebiet. Charakteristisch sind die intensiv rotbraune
Färbung der Brust, die ausgedehnte Bänderung am Bauch und
der recht kurze Schnabel.
Foto: P. Hering. 6.7.2014.
Ringfundatlas werden hingegen acht
isländische Beringungsorte von später in Deutschland, insbesondere in
Niedersachsen, beobachteten Uferschnepfen dargestellt. Dies beweist
zumindest eine Beteiligung der kopfstarken isländischen Population an
dem Auftreten in Deutschland.
Eine Besonderheit stellen die „Spätherbst-Uferschnepfen“ dar, die seit
einigen Jahren von Oktober bis zum
Teil Anfang Januar in Nordfriesland
im Bereich des Hauke-Haien-Kooges
und Fahretofter Kooges gesehen werden. In den letzten Jahren wurden
hier jeweils maximal um die 100
Der Falke 63, 6/2016
Foto: P. Hering. 29.6.2014.
Vögel, als Höchstzahl 110 Individuen
beobachtet. Außerhalb von Nordfriesland werden ab Oktober kaum
noch Uferschnepfen in Deutschland
gesichtet. Soweit erkennbar, handelte es sich bei den nordfriesischen
Schnepfen zumindest teilweise um
Angehörige der Unterart islandica.
Bemerkenswerterweise wurden zu
dieser Zeit nie beringte Uferschnepfen
gesehen, obwohl mehrere Prozent der
isländischen Population farbberingt
sind. Dies könnte ein Hinweis auf
norwegische islandica sein. Letztlich
können aber auch Vögel der Unterart
limosa nicht gänzlich ausgeschlossen
Männliche Uferschnepfe der Unterart limosa im Brutgebiet auf
Föhr. Männchen der Nominatform ähneln in ihrer Färbung
weiblichen islandica, zeigen jedoch das limosa-typische Muster
der Mantelfedern.
Foto: P. Hering. 18.4.2013.
20
Weibchen der Unterart islandica auf Island. Diese haben im
Vergleich zu den Männchen einen längeren Schnabel und sind
an Rücken und Brust meist weniger bunt gefärbt.
werden. Ringablesungen oder Beringungen vor Ort werden hoffentlich
dazu beitragen, dieses Rätsel eines
Tages zu lösen.
» Unterscheidung der
Uferschnepfen-Unterarten
Die verbesserte Kenntnis zur Unterscheidung
der
UferschnepfenUnterarten hat vermutlich mit zum
„Boom“ Isländischer Uferschnepfen in Deutschland beigetragen. Die
Uferschnepfe zählt mit ihren langen
Beinen, dem langen Schnabel und
dem charakteristischen Färbungs-
Weibchen der Unterart limosa auf Föhr. Diese sind aufgrund
ihrer meist gräulichen Oberseite und des sehr langen Schnabels
leicht von Isländischen Uferschnepfen zu unterscheiden.
Foto: P. Hering. 17.4.2014.
muster im Flug zu den am einfachsten zu erkennenden Watvogelarten
in Europa. Die Unterscheidung ihrer
zwei europäischen Unterarten im
Freiland ist dagegen je nach Kleid
und Geschlecht der Vögel kompliziert bis nicht möglich. So lassen sich
Uferschnepfen im Schlichtkleid nicht
einer Unterart zuordnen.
Am einfachsten zu erkennen sind
männliche islandica im Prachtkleid
sowie juvenile islandica anhand ihrer
Gefiederfärbung. Typische islandicaMännchen weisen eine intensiv rostrote Färbung von Kopf, Hals und Brust
auf, die an Pfuhlschnepfen erinnert.
Brust und Bauch sind intensiv dunkel
gebändert, oftmals bis zu den Unterschwanzdecken. Die Oberseite weist
einen hohen Anteil von Prachtkleidfedern auf (bis zu 100 %), die häufig ein
typisches „Schachbrettmuster“ bilden.
Dieses entsteht durch die Detailfärbung der Mantel- und Schulterfedern
mit breiten, senkrecht zum Federschaft stehenden roten und schwarzen „Zacken“. Im Jungendkleid zeigen
islandica eine charakteristische Färbung der Schirmfedern mit meist mehreren roten Zacken sowie eine kontrastreiche Färbung von Hals und Kopf
(rötlicher Hals, helles Gesicht, dunkler
Zügel und heller Überaugenstreif).
Generell sind Isländische Uferschnepfen etwas kleiner als Vögel der
Nominatform. Bei islandica ragen im
Flug meist nur die Zehen über den
Schwanz hinaus, während bei den
langbeinigeren limosa auch ein Teil
des Laufs übersteht. Männliche islandica haben auffallend kurze Schnäbel
in Verbindung mit einer rundlichen
Kopfform mit steiler Stirn. Die Schnabellänge unterscheidet sich jedoch
nicht zwischen islandica-Weibchen
und limosa-Männchen.
Einen Hinweis auf die UnterartenZugehörigkeit liefert auch der Mauserzustand. Da Uferschnepfen im
Norden Europas später brüten, mausert islandica in allen Altersstufen
später als limosa. Das bedeutet, dass
islandica im Spätsommer länger das
Prachtkleid bzw. im Herbst länger das
Jugendkleid oder deren Reste tragen
als Vögel der Nominatform. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass nicht alle
nordischen Uferschnepfen zur Form
islandica gehören. So fielen dem
Autor im Juli 2015 in Nordfriesland
zwei noch besonders „bunte“ Altvö-
Uferschnepfen unterm Vulkan:
Blasse oder kräftig gefärbte Männchen bevorzugt?
Von Mai bis Juni 2008 führte ein Team der Universität Groningen aus den
Niederlanden Untersuchungen zur Partnerwahl und Brutbiologie bei Uferschnepfen auf Island durch, vor allem im Bereich eines ehemaligen Militärflugplatzes der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg bei Kaldadarnes
im Südwesten der Insel. Dieser Ort gehört zusammen mit den umliegenden
küstennahen Marschen zu den traditionellsten Brutplätzen der Uferschnepfe auf Island. Auf den ersten Blick ähneln die dortigen Brutgebiete den
aus Norddeutschland bekannten Wiesenvogelgebieten: flache, offene Landschaft, teilweise mit landwirtschaftlicher Grünlandnutzung und Vorkommen
von Austernfischern, Rotschenkeln und Bekassinen. Die Gemeinsamkeiten
hören jedoch schnell auf, wenn man auf brütende Sterntaucher, Regenbrachvögel und Odinshühnchen trifft, ganz zu schweigen vom erhabenen
Anblick der isländischen Berge und des Hekla-Vulkans im Inselinneren.
Im Mittelpunkt der damaligen Studien stand die Frage, ob weibliche
Uferschnepfen kräftig oder weniger stark gefärbte Männchen bevorzugen.
Vorausgegangene Untersuchungen von Julia Schröder in den Niederlanden hatten gezeigt, dass dort ein großes Eivolumen mit einer eher blassen
Färbung der ausgewählten Männchen zusammenhing. Auf Island stellte
sich nun das Gegenteil heraus: Weibchen mit kräftig gefärbten Männchen
legten größere Eier. Die Ursache könnte möglicherweise darin liegen, dass
die Männchen der wachsenden isländischen Population einer größeren Konkurrenz um die besten Brutreviere ausgesetzt sind. Ein prächtiges Federkleid
stellt nach der Theorie der sexuellen Selektion ein Signal für eine hohe
Fitness des Männchens gegenüber den Weibchen dar. Solche Männchen besetzten oft die besten Reviere für die Jungenaufzucht. Weibchen, die sich
mit solchen Männchen verpaaren, sind möglicherweise eher bereit, viel in
die Reproduktion zu investieren und große Eier mit optimalen Startbedingungen für die Küken zu legen.
Doch warum ist es in den Niederlanden anders? Dieser Umstand wurde
darauf zurückgeführt, dass die Nahrungsverfügbarkeit für Uferschnepfen in
der niederländischen Agrarlandschaft durch die Stickstoffanreicherung im
Boden gestiegen ist. In der Folge könnten für die Weibchen blassere Männchen attraktiver sein, die kleinere Reviere beanspruchen und eher mit anderen Männchen kooperieren, beispielweise beim gemeinsamen Vertreiben
von Feinden. Interessanterweise sind die niederländischen Männchen in den
vergangenen 150 Jahren tatsächlich blasser geworden bzw. der Färbungsunterschied zwischen den Geschlechtern hat abgenommen.
Nicht alle Männchen der Unterart islandica sind auffallend bunt gefärbt. Der abgebildete Vogel zeigte gräuliche Armdecken und Schirmfedern, jedoch das für islandica
charakteristische Muster der Schulterfedern und einen typischen kurzen Schnabel.
Foto: D. Cimiotti. 17.6.2008.
Der Falke 63, 6/2016
21
Biologie
Küstennahe Marschen zählen zu den optimalen Brutgebieten der Isländischen UferschnepFoto: D. Cimiotti. 11.6.2008.
fe. Im Vordergrund ist eine Sterntaucherfamilie zu erkennen.
gel auf, die beringt waren. Es stellte
sich heraus, dass diese aus Finnland
stammten, wo rund hundert Paare der
Nominatform brüten – so weit nördlich wie auch Isländische Uferschnepfen auf Island.
Bei der Bestimmung von Uferschnepfen sollte die hohe individuelle
Variation in Färbung, Mauser und
Größe beachtet werden. Es sind nicht
alle islandica so extrem gefärbt, wie
dies publizierte Bilder suggerieren.
Gleichzeitig können limosa, besonders
unter bestimmten Lichtverhältnissen, intensiv rotbraun wirken. Daher
können oft nur einzelne Individuen
aus größeren Trupps als mutmaß-
liche islandica angesprochen werden,
während andere unbestimmt bleiben
müssen. Beobachtungen Isländischer
Uferschnepfen in Deutschland sollten
gründlich und möglichst fotografisch
dokumentiert werden. Besonders
wertvoll sind Ablesungen beringter
Uferschnepfen.
Literatur zum Thema:
Baierlein F et al. 2014: Atlas des
Vogelzugs. Ringfunde deutscher
Brut- und Rastvögel. Aula-Verlag,
Wiebelsheim.
BirdLife International 2015: Speciesfactsheet: Limosa limosa. Download
von www.birdlife.org am 8.11.2015.
Gill J A et al. 2007: Contrasting trends
in two Black-tailed Godwit populations: a review of causes and recommendations. Wader Study Group Bull.
114: 43–50.
Gunnarsson T G et al. 2005: Estimating population size in black-tailed
godwits Limosa limosa islandica
by colour-marking. Bird Study. 52:
153–158.
Hellquist A 2006: Die Bestimmung
von Uferschnepfen Limosa limosa
der Unterart islandica. Limicola 20:
121-157.
Krüger T 2010: Das Vorkommen der
Isländischen Uferschnepfe Limosa
limosa islandica in Deutschland.
Limicola 24: 89-116.
Schröder J et al. 2010: Associations
in male plumage ornamentation
and reproductive parameters in the
Icelandic Black-tailed Godwit Limosa
limosa islandica. Wader Study Group
Bull. 117: 85–90.
Dominic V. Cimiotti
Dominic Cimiotti ist Biologe
und war an brutbiologischen
Untersuchungen an Uferschnepfen auf Island und
in Deutschland beteiligt. Er
beobachtet regelmäßig Isländische Uferschnepfen im Wattenmeer und
liest Farbringe von Watvögeln ab.
Mein Dank gilt J. Schröder und M.
Roodbergen für die Gelegenheit, an
den Feldarbeiten in Island teilzunehmen. T. Gunnarsson und J. Gill
stellten Informationen zu farbberingten Uferschnepfen zur Verfügung.
J. Wahl (DDA) und den Melderinnen
und Meldern sei für die Daten auf
ornitho.de gedankt.
Uferschnepfe der Unterart islandica im Jugendkleid (links) zusammen mit einer Pfuhlschnepfe. Charakteristisch für junge islandica sind
die kontrastreiche Färbung der Schirmfedern, Armdecken und des Kopfes.
Foto: Ó. Runólfsson. 2.9.2011.
22
Der Falke 63, 6/2016
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Perspektiven im nationalen und internationalen Vogelschutz
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