P A D E R B O R N
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P A D E R B O R N
PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Auszug aus dem Gutachten „ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG NRW - Paderborn“ 2004 Projektbeteiligte: Land Nordrhein-Westfalen/ Landschaftsverband Westfalen-Lippe Stadt Paderborn Fachhochschule Köln/ Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege Kontakt: n.schoendeling@ar.fh-koeln.de Internet: http://www.f05.fh-koeln.de/denkmalpflege Bearbeiter/ Autoren: Dipl.-Ing. (TU) Ekkehard Kandler, Dipl.-Ing. (FH) Karla Krieger, Marianne Moser M.A. Archäologie Inhalt Schwarz: Hier aufgeführte Textauszüge aus dem Gutachten Grün: Hier nicht aufgeführte Textbestandteile aus dem Gesamtgutachten Blau: Text über die „Wasserkunst“. „Paderborner Wasserversorung im 16. Jh.“ - Seite 66-68 Mehr lesen? Sie erhalten eine Zusammenfassung des Gutachtens in der Veröffentlichung „Angemerkt“ Nr. 8, erhältlich bei der Stadt Paderborn/ Untere Denkmalbehörde gegen eine Schutzgebühr. Abbildungen Die Abbildungen sind aus urheberrechtlichen Gründen ausgeblendet. Vorwort 1.5 1.5.1 1.5.1.1 1.5.1.2 1.5.1.3 1.5.2 1.5.2.1 1.5.2.2 1.5.2.3 1.5.2.4 1.5.2.5 1.5.2.6 1.5.3 1.5.3.1 1.5.3.2 1.5.3.2.1 1.5.3.2.2 1.5.3.2.3 Siedlungsgeschichte und Einzelobjekte (ab Seite 4) Siedlungsgeschichte Geographische Rahmenbedingungen Kurzer Überblick zur Siedlungsgeschichte Chronologische Übersicht zur Siedlungsgeschichte in Stichpunkten anhand ausgewählter Daten Siedlungsgenese Städteatlas Aktuelle Dokumentation des Museums in der Kaiserpfalz Zusammenfassende Einführung zum Dom- und Pfalzbereich sowie zum Abdinghofgelände Zwei sogenannte ´Befestigungslinien´ nach Ortmann Felsplateau/ Rathausplatz 14 Neue Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel von Kellerbegehung und Sichtung des archäologischen Altbestandes, beispielhaft dargestellt anhand einer Forschungsfrage Ausgewählte Einzelobjekte Stadtbefestigungen und urbs Sakrale Bauten Dom Bartholomäus-Kapelle Ikenberg-Kapelle FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 1 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.4 1.5.3.2.5 1.5.3.2.6 1.5.3.2.7 1.5.3.2.8 1.5.3.2.9 1.5.3.2.10 1.5.3.2.11 1.5.3.2.12 1.5.3.2.13 1.5.3.2.14 1.5.3.2.15 1.5.3.3 1.5.3.4 1.5.3.5 1.5.3.5.1 1.5.3.5.2 1.5.3.5.3 1.5.3.5.4 1.5.3.6 1.5.3.6.1 1.5.3.6.2 1.5.3.6.3 1.5.3.6.4 1.5.3.6.5 Kapelle unter dem Küsterhaus Abdinghofkirche und Abdinghof-Kloster Alexiuskapelle Gaukirche St. Ulrich und Zisterzienserinnenkirche an der Gaukirche Busdorfkirche Franziskaner-Minoriten Jesuiten / Theodorianum Franziskaner-Kloster Kapuziner-Kloster (Liborianum) Kapuzinessen-Kloster / Landeshospital Augustinerinnenkloster St. Michael Marktkirche St. Pankratius Hospitäler / Armenhäuser Gebäude innerhalb der Domburg; Kurien / Adelshöfe Städtisch- bürgerliche Bauten Rathaus am Rathausplatz Das Ükernrathaus Bürgerhäuser; Adam- und Eva-Haus Wasserversorgung, die Paderborner „Wasserkunst“ Historische Keller als Quellen der Stadtgeschichte Der ehemalige „Bischofspalast“ in der Immunität Markt 10/ Ecke Grube Markt 2 und 4t Schildern 8 Schildern 11 und 13 1 AUFARBEITUNG DER HISTORISCHEN QUELLEN 1.1 Literaturauswahl 1.2 1.2.1 1.2.2 Bildmaterial, Stadtansichten Stadtansichten Fotosammlungen 1.3 Karten- und Planmaterial 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 1.4.4 1.4.4.1 Darstellung der Archivbestände, ein Überblick Urkundenbücher und ausgewählte historische Schriften Staatsarchiv Münster Stadtarchiv Paderborn Erzbischöflich Akademische Bibliothek Paderborn (EAB) Bibliothek und Archiv des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Paderborn Studienfonds-Archiv in der EAB Westfälisches Archivamt zu Münster Museum für Stadtgeschichte Paderborn Staatsarchiv Detmold Archiv des Erzbischöflichen Generalvikariates Paderborn Archiv des Metropolitenkapitels Paderborn Archivstelle zur Betreuung der Pfarrarchive 1.4.4.2 1.4.5 1.4.6 1.4.7 1.4.8 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 2 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.4.9 1.4.10 Kreisarchiv Paderborn Historisches Archiv der Stadt Köln 2 DARSTELLUNG DER ARCHÄOLOGISCHEN QUELLEN (siehe Band 2) 3 BAUHISTORISCHE KARTIERUNGEN 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 Auswertung der Bauakten Kartierungen Baualtersplan Siedlungsgenese Stadtquartiere und Einzelobjekte Kartierung der Baudenkmäler 4 KARTIERUNGEN DER BODENEINGRIFFE 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 Auswertung der Bauakten Begehung des Stadtgebietes Kartierung der Ergebnisse der Kellerbegehung Kartierung der Bodeneingriffe – Lage/ Eingriffstiefe Dokumentation der Keller –Baumaterialien/ Deckenkonstruktion In der archäologischen Substanz unangetastete Flächen 5 ANLAGEN FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 3 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW VORWORT Auf Initiative des Ministeriums für Städtebau, Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen sowie des Rheinischen und des Westfälischen Amtes für Bodendenkmalpflege begannen im Jahr 1991 die Arbeiten zur "ARCHÄOLOGISCHEN BESTANDSERHEBUNG". In dieses Projekt einbezogen waren bisher die Mitgliedsgemeinden der Programme "Historische Stadtkerne" und "Historische Ortskerne". Mit Paderborn und Schloß Neuhaus erfolgte die Archäologische Bestandserhebung erstmals für eine Stadt, die nicht Mitglied in dieser Arbeitsgemeinschaft ist. Dies unterstreicht bereits die Sonderstellung der Archäologie in Paderborn. Die Erforschung und Inventarisation des Denkmalbestandes gehört zu den zentralen Aufgaben der Denkmalpflege. Während die Inventarisation der Baudenkmale weitgehend abgeschlossen ist, gestaltet sich die Erfassung und Erforschung der Bodendenkmale, d.h. jener Spuren früherer Besiedlungen, die als Fragmente im Boden verborgen sind, weitaus schwieriger. Derzeit wird vermutet, dass nur ca. 5% der durch Baumaßnahmen betroffenen archäologischen Überreste wissenschaftlich erforscht und dokumentiert werden. Eine annähernd lückenlose Erfassung, wie sie für die Baudenkmale angestrebt wird, ist für die Bodendenkmale letztlich nicht denkbar. Dies würde eine vollständige Ergrabung aller Flächen erforderlich machen. Die Entdeckung archäologischer Substanz und damit auch die Möglichkeit der Bodendenkmalpflege zur Erfassung und Erforschung bleibt daher vielfach dem Zufall überlassen. Zum Schutz des kulturellen Erbes ist es daher das Ziel der Bodendenkmalpflege, jene Flächen zu ermitteln, in denen mit dem Vorhandensein archäologischer Substanz gerechnet werden muss, um so bei anstehenden Eingriffen in den Boden die rechtzeitige Befundsicherung und Befunddokumentation zu ermöglichen. Gemäß dem landeseinheitlichen Untersuchungsprogramm besteht die Gesamtuntersuchung aus vier aufeinander aufbauenden Arbeitsschritten. Arbeitsschritt I umfasst die Sichtung, Auswertung und Zusammenfassung der historischen Quellen aus Archiven, Sammlungen und Museen. In Arbeitsschritt II werden die für das Untersuchungsgebiet relevanten archäologischen Untersuchungen und Fundstellen erfasst und bewertet. Der Arbeitsschritt III beinhaltet im wesentlichen die Auswertung der Bauakten bezüglich dokumentierter Bodeneingriffe und die Rekonstruktion der Stadtgestalt und Stadtentwicklung durch die Auswertung historischer Karten. Arbeitsschritt IV umfasst die Kellerbegehung und die abschließende Kartierung der Ergebnisse aus allen Arbeitsschritten. Die vorliegenden Arbeitsschritte I-IV wurden im Auftrag der Stadt Paderborn für Paderborn und Schloß Neuhaus im Zeitraum zwischen September 2000 bis Oktober 2003 als Forschungsprojekt an der Fakultät für Architektur, Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege an der Fachhochschule Köln durchgeführt. Bei der vorliegenden Studie für Paderborn handelt es sich um ein verwaltungsinternes Arbeitsmittel und nicht um eine Veröffentlichung. Bei weiterer Verwendung der hier wiedergegebenen Abbildungen sind die Veröffentlichungsrechte bei den jeweiligen Quellenarchiven anzufordern. Die Übergabe der Studie verbindet sich mit der Hoffnung, die Grundlagen für ein Arbeitsmittel erstellt zu haben, welches bei Fragestellungen insbesondere zu Belangen der Bodendenkmalpflege zu raschen und sicheren Entscheidungen beiträgt. Köln im März 2004 (Redaktionsschluss) Prof. Dr.-Ing. N.Schöndeling/ Prof. Dr.-Ing. J.Eberhardt (FH Köln) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 4 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5. Siedlungsgeschichte und Einzelobjekte Die folgende Zusammenstellung gibt einen Kurzüberblick und ersetzt nicht das Studium der einschlägigen Literatur. Querverweise auf entsprechende Quellen sind im Text angegeben. 1.5.1 1.5.1.1 Siedlungsgeschichte Geographische Rahmenbedingungen Naturräumliche Gegebenheiten Paderborn liegt am östlichen Rand der westfälischen Bucht, welche sich nach Nordwesten zu den Küstenlandschaften der Nordsee öffnet. Nördlich und östlich von Paderborn erstrecken sich die Höhenzüge des Teutoburger Waldes (300 ü.NN) und des Weserberglandes (Eggegebirge) (400 ü.NN), im Süden die Ausläufer der Gebirgszüge des Sauerlandes (bis 500 ü.NN). Paderborn liegt auf einer Höhe von ca. 120 m ü.NN. Paderborn liegt im Schnittpunkt dreier Landschaftsformen. Nach Nordwesten erstreckt sich die flache „Westfälische Bucht“. Im Norden liegt die sandreiche Landschaft der „Senne“. Nach Süden und Südosten steigt die Landschaft zu den wasserarmen Flächen der „Paderborner Hochfläche“ an, die im Wesentlichen aus wasserdurchlässigen Kalkgesteinen der Oberkreide besteht.3 Hydro-Geografische Verhältnisse Sowohl die Senne als auch die Paderborner Hochfläche sind durch ungünstige Wasserverhältnisse gekennzeichnet. Die Grundwasserstände sind i.A. niedrig, das Wasser versickert auf den durchlässigen Bodenschichten (Karst). Eine Besiedelung fand deshalb bereits in vorgeschichtlicher Zeit im Wesentlichen nur entlang eines in Ost-West-Richtung (auf der Linie Soest, Erwitte, Geseke, Salzkotten, Paderborn, Lippspringe) verlaufenden Quellhorizontes statt, wo die unterirdisch verlaufenden, wasserführenden Schichten des karstigen Hochlandes gegen den wasserundurchlässigen Emschermergel treffen und in diesem Bereich unter Druck wieder an die Oberfläche geleitet werden. Diese Quellen liefern nahezu ganzjährig zuverlässig gleiche Wassermengen mit Temperaturen bis zu 19°C. Das teilweise enthaltene, wertvolle Salz wurde schon früh genutzt (Soest, Bad Sassendorf, Salzkotten). Paderborn liegt unmittelbar über der aus über 200 Einzelquellen gespeisten Paderquelle. Die Paderquelle besteht heute aus fünf Quellarmen und liefert 3.000 – 9.000 Liter Wasser pro Sekunde.4 Bei dem 4 km entfernt liegenden Ort Schloss Neuhaus vereinigt sich die Pader mit den Flüssen Alme und Lippe. Ungeklärt ist die Frage inwieweit Neuhaus den Endpunkt und Umschlagplatz einer zumindest zeitweilig betriebenen frühen Lippeschifffahrt markiert. Bodenschätze/ Gesteinsvorkommen An Bodenschätzen ist der Paderborner Raum relativ arm. Feuerstein findet sich selten. Kupfer wurde in Marsberg (Eresburg), Blei und Zink im s.g. „Briloner Galmeibezirk“ abgebaut. Eisenerze wurden vor allem im ostsauerländischen Raum abgebaut. Das Zentrum der Verhüttung lag im Siegerland. Es existierten bescheidene Vorkommen an Gold. Die frühere Gewinnung von Baumaterial in Steinbrüchen ist im heutigen unmittelbaren Stadtgebiet von Paderborn in erheblichem Umfang nachweisbar. 3 4 Stadtgeschichte, 1999, S. 3 Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, 1975, S. 22 ff FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 5 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Ost-West Süden Süd-Ost Norden Eisenbahn Schiffsverkehr Die noch nicht gänzlich abgeschlossene Erforschung der einzelnen Steinbrüche ist wesentliche Grundlage für die künftige Formulierung einer noch ausstehenden schlüssigen Siedlungsgenese Paderborns. Verkehrsverhältnisse Über die frühen und frühesten Verkehrsverhältnisse im Raum Paderborn liegen nur relativ wenige Erkenntnisse vor. Da verschiedene Funde eine Besiedelung des Paderborner Raumes mindestens seit dem 11. Jahrtausend vor Christus5 und früher belegen, kann man bereits für diese Zeit vereinzelte Wanderbewegungen entlang bestimmter Wegetrassen annehmen, die sich vor allem an den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft orientiert haben. Bedeutung und Verlauf der Verkehrswege waren im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Nicht zufällig liegt Paderborn am Schnittpunkt des ost-westlich verlaufenden alten „Hellweges“ mit der von Süden kommenden „Frankfurter Straße“6. Der „Hellweg“ verbindet die historisch bedeutende Verkehrsschiene des Rheins mit der Weser. Er verläuft über die Weser hinaus weiter nach Osten. Friedliche und kriegerische Kontakte zum linksrheinischen Römischen Reich erfolgten über diese Straße sowie über den Wasserlauf der Lippe. Karl der Große nutzte u.a. auch den Hellweg als Aufmarschweg gegen die Sachsen. Die „Frankfurter Straße“ verläuft von Paderborn aus nach Süden durch einen natürlichen Durchlass zwischen Egge und Rothaargebirge über die ehemals strategisch wichtige Eresburg (Marsberg) über Korbach nach Frankfurt. Dieser Weg diente Karl dem Großen im 8. Jahrhundert als wichtiger Aufmarschweg von Süden her. Von Süden aus (Fulda, Würzburg) wurde auch die Mission im Paderborner Raum organisiert. Im Mittelalter wurden über diese Straße nicht unerhebliche Weintransporte abgewickelt. In der Neuzeit ging die Bedeutung der Frankfurter Straße zurück. Wichtige Verkehrsströme flossen jetzt über Paderborn bzw. Altenbeken über Warburg in den Kasseler Raum. Noch heute weist der Verlauf der Autobahn A44 auf diese Verkehrsbahn. Nach Nordosten war Paderborn über die „Holländische Straße“ über Wiedenbrück/ Münster mit den Hafenstädten der Nordsee verbunden. Die Beziehungen in den ostholländischen Raum waren im 17. und 18. Jahrundert besonders intensiv. Anschluss an das überregionale Netz der Eisenbahn erhielt Paderborn 1850. Paderborn hat keinen unmittlebaren Anschluss an Wasserstraßen. Es bleibt zu überprüfen, ob zu bestimmten Zeiten ein Schiffsverkehr die Lippe aufwärts hinauf bis nach Schloss Neuhaus organisiert werden konnte. Im 19. Jahrhundert war der Ausbau der Lippe zur Wasserstraße ein erklärtes Ziel der Wirstschaftförderung.7 Auf die Verkehrsstrukturen innerhalb der historischen Altstadt Paderborns wird im Kapitel „Siedlungsgenese“ näher eingegangen. 5 Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd.20, Römisch-Germanischen-Zentralmuseum, Mainz (Hrsg.) 6 Müller-Wille, S. 64 7 Stadtgeschichte, 1999, Bd., S.18 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 6 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.1.2 Kurzdarstellung der Siedlungsgeschichte Altsteinzeit 9.000 v.Chr. 4. Jt. v. Chr. 3. Jt. v. Chr. 2300 – 800 v.Chr. 600 – 0 v. Chr. 0 - 375 n.Ch. 3.-5. Jh.n.Chr. 8 Frühe Siedlungsstrukturen Aus der Zeit der frühen Jäger- und Sammlergesellschaften existieren naturgemäß keine Hinweise auf feste Siedlungsstrukturen. Interessant ist allerdings der Fund einer ca. 11.000 Jahre alten Pfeil- oder Messerspitze in der Michaelsstraße. Mitglieder der ersten aus dem Vorderen Orient eingewanderten Kultur der Bandkermiker düften im näheren Umland von Paderborn nicht gesiedelt haben, denn sie bevorzugten lößreiche Bördelandschaften. Für die Michelsberger-Kultur typische Steinkistengräber wurden in Schloß Neuhaus gefunden, aber keine Siedlungsplätze. Da Steinkistengräber jedoch sehr häufig in der Nähe von ganzjährig wasserführenden Bach- oder Flussläufen aufgefunden wurden, liegt die Annahme nahe, dass sich auch die Wohnplätze nicht weit von den Grabanlagen befunden haben. Im 3. Jahrtausend vor Christus trafen im Gebiet der heutigen Stadt Paderborn zwei verschiedene Kulturkreise aufeinander. In Neuhaus waren es die Erbauer der Steinkistengräber; auf dem Gebiet des Balhorner Feldes wurde ein Gefäß der aus dem Emsgebiet stammenden Trichterbecher-Kultur gefunden. Konkrete Siedlungsspuren fanden sich auch von diesen Gruppen nicht. Zum Ende 3. Jahrtausends werden die einheimischen Kulturen durch die Streitaxt-Kultur, die auch die minderwertigen Böden der Senne und der Paderborner Hochfläche nutzten, und wenig später dann durch die kupferverarbeitende Glockenbecher-Kultur überlagert. Zu Ende des 3. Jahrtausends verschmelzen alle ansässigen Kulturen langsam zu einer Einheit. Ein archäologischer Fund aus der Stadtheide nördlich von Paderborn weist auf diese Zeit. Aus der Übergangszeit von der Steinzeit zur Bronzezeit liegen kaum Siedlungsspuren vor. In der Bronzezeit kam es zeitweise zu einem allgemeinen Rückgang der Bevölkerung, da sich wie man vermutet die Lebensbedingungen verschlechterten, so z.B. die Weidegründe auf den Paderborner Hochflächen unergiebig wurden. In der vorrömischen Eisenzeit kommt es langsam wieder zu einer Neubesiedelung des Paderborner Raumes. Im Bereich der Paderquellen kann nun erstmals ergiebigeres Fundmaterial aus Abfall- bzw. Kellergruben geborgen werden, welches auf eine feste Besiedelung rund um die Paderquellen bis in die römische Zeit hinweist; so auch in der Giersstraße, in der Königstraße, in der Kleppergasse und im Bereich der Abdinghofkirche. Funde aus der Römischen Kaiserzeit nördlich des Domes verweisen auf eine Besiedlung des Paderborner Stadtgebietes durch Mitglieder germanischer Stämme (Rheinwesergermanischer Kulturkreis).8 Nach den Wanderbewegungen in der Zeit um Christus Geburt kommt es zu einer Konsolidierung der Bevölkerungsstruktur. Vom 3. Jahrhundert an tritt der antirömische Bund der germanischen Franken mehr und mehr auf die politische Bühne. Römische Einflüsse machen sich auch rechtsrheinisch bemerkbar. Paderborn dürfte zu dieser Zeit eine nicht unbedeutende Siedlung gewesen sein. Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd.20 Römisch-Germ.-Zentralmuseum, Mainz (Hrsg.), S.86 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 7 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Siedlungsreste von Grubenhäusern und Pfostenreste von ebenerdigen Bauten wurden zwischen Pader und Königstraße ergraben. „In der Stadt Paderborn haben die größeren Grabungsunternehmungen bei der Abdinghofkirche ..., im Brenkenhof (Konrad-Martin-Haus), auf dem kleinen Domplatz und auf der Nordseite des Domes Grubenbauten und Teile ebenerdiger Bauten größerer Gehöftanlagen über den Paderquellen ergeben, die hier vom 2. bzw. 3. bis ins späte 4. Jahrhundert bestanden haben.“9 Mit Beginn der Völkerwanderungszeit ist die Siedlungstätigkeit an den Paderquellen vorerst beendet. Archäologisch zeugt eine 20 – 40 cm dicke Schicht verschwemmten Lössbodens eine unbesiedelte Zeitspanne an. Im 7. Jh. sind aus dem Osten eingewanderte Stämme der West-Sachsen auch im Paderborner Raum nachweisbar. Sie etablieren sich und beginnen den Bereich des heutigen Paderborner Stadtgebietes neu zu besiedeln. 4. Jh. 7. Jh. Siedlungsentwicklung in fränkisch-/ karolingischer Zeit Kurz nach der Erhebung Karls des Großen zum fränkischen König, begann dieser mit der systematischen Unterwerfung der sächsischen Bevölkerungsgruppen, um diese endgültig dem Fränkischen Reich einzugliedern. Ein Beschluss, der auch für die Geschichte der Stadt Paderborn weitreichende Veränderungen mit sich brachte. Eine der ersten militärischen Maßnahmen Karls des Großen war die Eroberung der strategisch bedeutsamen Eresburg (heute Marsberg) südlich von Paderborn. Der Anmarsch erfolgte von Süden her über die „Frankfurter Straße“. 774 wurde die Burg von den Sachsen zunächst zurückerobert. Doch bereits 775 startete Karl der Große einen neuen Feldzug, der ihm den Anmarschweg von Westen her über den „Hellweg“ öffnete. Auch das sächsische Dorf über und westlich der Paderquellen wurde von Karl dem Großen eingenommen. Die Archäologen fanden durch Feuer zerstörte sächsische Gehöftspuren im Bereich der Burg-/ Pfalzanlage. In geschützter Lage oberhalb der Paderquellen wurde vermutlich alsbald die in schriftlichen Quellen genannte „Karlsburg“ errichtet. 777 hielt Karl der Große in „Padarbrunnon“ die erste Reichsversammlung auf sächsischem Boden ab. Paderborn wurde zur fränkischen „Hauptstadt“ in Sachsen erhoben und erlangte dadurch eine zentrale Stellung in der Region. Es liegt nahe, dass schon bald zahlreiche Baumaßnahmen erfolgten, um dieser Funktion gerecht zu werden. Baumeister und Bauhandwerker wurden vermutlich aus den fränkischen Landesteilen mitgebracht. In der schriftlichen Überlieferung gibt es keine Hinweise darauf wie die Paderborner Burg ausgesehen hat. Antwort auf diese Frage kann ausschließlich die archäologische Forschung geben. Man vermutet, dass die erste Burganlage aus einer grabenumwehrten HolzErde-Konstruktion bestand. Nach ihrer Zerstörung im Jahr 778 wurde sie beim Wiederaufbau möglicherweise bereits durch eine wehrhaftere Steinkonstruktion ersetzt. Gut zwanzig Jahre nach der Eroberung hatten sich die Verhältinisse soweit konsolidiert, dass Paderborn eine zweite wichtige überörtliche Funktion zugewiesen bekam. Der Missionsort wurde Bischofssitz mit Dom und Kloster. Durch diese Aufwertung dürfte es zu einem erheblichen wirtschaftlichen und baulichen Aufschwung gekommen sein. Die Zahl der Kleriker, Händler, 772 776 778 799 9 ebenda, S. 89 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 8 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 9.Jh./ 10. Jh. Enenhus Balhorn Aspethera Markt Großbrand 1009 Handwerker, Bediensteten und Durchreisenden wuchs beständig. Die neue Funktion des Ortes und das wachsende Repräsentationsbedürfnis schlug sich in städtebaulichen Erweiterungen und ersten baulichen „Großprojekten“ nieder. Dom, Domkloster und Pfalz wurden auf dem Burgareal neu errichtet. Paderborn wird in zeitgenössischen Quellen als „festes Kastell“ bezeichnet. Verschiedene punktuelle Ausgrabungen ergaben Hinweise auf eine Handwerker-Siedlung östlich der Pader auf dem trockenen Geländerücken zwischen der Straße Am Damm und der Königstraße. Westlich des Düstern stieß man auf ein fränkisches Steinhaus des 8./9. Jahrhunderts. Am Kamp wurde ein Grubenhaus des 10. Jahrhunderts ergraben. Zum „oppidum“ Paderborn gehörte auch der Bereich um die Paderquellen, deren wirtschaftliche Bedeutung (Schutzfunktion, Trinkwasserreservoir, Nutzung der Wasserkraft z.B. für Mühlen) bereits früh erkannt wurde. Der Aufbau einer funktionierenden Versorgungs- und Infrastruktur war eines der vornehmlichen Ziele Karls des Großen.10 So befanden sich im weiteren und näheren Umfeld der Burg verschiedene Höfe, Vorwerke und ländliche Siedlungen, die der Versorgung des Ortes mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen dienten. Zwei Kilometer westlich der Burg lag der fränkische Haupthof „Enenhus“ Östlich des „Enenhus“ lag am Kreuzungspunkt des Hellwegs mit der Frankfurter Straße unmittelbar an einer Furt der Alme der mindestens seit dem 1. Jahrhundert n.Chr. kontinuierlich besiedelte Ort Balhorn, der aus mehr als 80 Wirtschaftsbetrieben bestand und für den die archäologischen Ausgrabungsergebnisse einen hohen Lebensstandard konstatieren. Um 1300 wurde der Siedlungsplatz Balhorn aufgegeben. Möglicherweise erfolgte eine Umsiedlung in die jetzt durch eine Mauer gesicherte Stadt Paderborn. Unmittelbar nord-östlich der Paderborner Burg befand sich ein eigenständiges Dorf mit dem Namen „Aspethera“. Es wurde erst im 12. Jahrhundert Teil der Stadt Paderborn. 1036 wurde das Busdofstift auf dem Gebiet dieser „villa Aspethera“ gegründet11. Ein Markt hat in Paderborn vermutlich spätestens seit dem Ende des 10. Jahrhunderts bestanden.12 Die Lage ist nicht eindeutig. Im Jahre 1000 n.Chr. kommt es zu einem Großbrand bei dem zahlreiche Gebäude u.a. auch der unter Bischof Rethar (983-1009) neu begonnene Dom zerstört wird. Das 11. Jahrhundert/ Baumaßnahmen Bischof Meinwerks (1009 – 1036) Im Jahr 1009 wird mit der Person Meinwerks ein neuer Bischof für Paderborn gewählt, der sich durch ein beträchtliches Privatvermögen, durch ehrgeizige Ambitionen hinsichtlich seines Amtes sowie durch einen verstärkten Wunsch zur Repräsentation auszeichnet. Bischof Meinwerk entstammte einer angesehenen sächsischen Adelsfamilie und stand in engem Kontakt zum damaligen Königshaus, was durch zahlreiche Aufenthalte der Könige in Paderborn belegt ist. In Meinwerks Amtszeit fallen nachweislich zahlreiche Neubauten und nicht unerhebliche städtebauliche Neu- und Umgestaltungen. 10 Stadtgeschichte, Bd. 1, S. 19ff Stadtgeschichte, Bd. 1, S. 6 ff 12 Stadtgeschichte, Bd. 1, S. 75 f 11 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 9 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Burg/ Dom Barth.-Kapelle Abdinghof Alexiuskapelle Busdorfstift Busdorfkurien „ecclesia forensis“ Der „Graben“ Markt Domfreiheit Meinwerk erneuert laut einer Urkunde ´Mauern´ . Der Dom wird neu errichtet. Er baute zudem einen zweigeschossigen Bischofspalast sowie die nahegelegene, bis heute erhaltene, Bartholomäus-Kapelle. Das Benediktiner-Kloster „Abdinghof“ mit der Kirche St. Peter und Paul wurde 1015 „extra Patherbrunensem civitatem in oriente parti“ gegründet und geht auf eine aus Privatvermögen bezahlte Stiftung Bischof Meinwerks zurück. Die Bediensteten des Klosters erhielten Wohnstätten im Westen des Klosters auf beiden Seiten der Pader zugewiesen13. Zum Kloster gehörte u.a. ein 1102 erstmals erwähntes Hospital sowie ein Garten. Die Kapelle St.Alexius am Eingang zur „urbs“ war mit einem besonderen Asylrecht ausgestattet. Ebenfalls unter Meinwerk wurde östlich des Burgbereiches auf dem Gebiet der Vorsiedlung „Aspethera“ das Paderborner Busdorfstift mit der Kirche St. Petrus und Andreas gegründet. Zunächst als Rundbau begonnen, wurde die Kirche auf achteckigem Grundriss fertiggestellt. Sie erhielt ihre endgültige Weihe jedoch erst im Jahr 1068 unter Bischof Imad, dem Neffen und Nachfolger Meinwerks. Die mindestens 23 Kurien des Busdorfstiftes wurden vor allem zwischen der Giersstraße und dem Stift errichtet. Von ihnen sind kaum aufgehende Baureste erhalten, sodass in diesem Zusammenhang das Areal um Kolpinghaus/ Laurentiusgasse bis hin zur Giersstraße archäologisch besonders interessant ist. In der „Vita Meinwerci“ wird 1009 eine „ecclesia forensis“ erwähnt. Sie wird im Allgemeinen mit der 1784 abgerissenen Kirche „St. Pankratius“ auf dem Marienplatz in Verbindung gebracht14. Eine exakte Ortsbestimmung der „ecclesia forensis“ ist aber nicht eindeutig vorzunehmen. Da diese Kirche nicht ausdrücklich als Neubau Bischof Meinwerks bezeichnet wird, ist sie vermutlich bereits vor 1009 erbaut worden. Bischof Meinwerk wird die Anlage und/ oder Erweiterung des „Großen Grabens“ zugeschrieben, der südlich der Gaukirche den gesamten Burg- und Pfalzbezirk umfasste. Eine stichhaltige Beweisführung steht freilich noch aus. Sein bereits in Teilen vermuteter Verlauf konnte u.a. durch die Ergebnisse der „Archäologischen Bestandserhebung“ in weiteren Bereichen konkretisiert werden. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob Bischof Meinwerk einen bestehenden Graben erweiterte oder den Graben gänzlich neu angelegt hat. Der Graben diente sicherlich als bequem zu erreichender Steinbruch für die umfangreichen Bauprojekte. Zudem stellte er eine wirksame Verteidigungsanlage dar, solange Paderborn nicht mit einer Stadtmauer umgeben war. Nach Errichtung der Stadtmauer wurde der Graben nach und nach verfüllt. Später erinnertn nur die Straßennamen „Grube/ Krumme Grube“ daran.Bei Grabungen wurden u.a. Überreste eines massiven Gebäudes aus dem 12. Jh. freigelegt15. 2005/ 2006 wurde nahezu der gesamte Steinbbruch in einer groß angelegten archäologischen Untersuchung freigelegt. Ein Markt für Paderborn wird erstmals 1028 urkundlich erwähnt. Eine Lokalisierung der Örtlichkeit ist kaum möglich. Im Bereich der Domfreiheit entstehen erste Domherrenhöfe für Mitglieder des Domklosters. Die bisherigen Bewohner, Ministeriale und Händler, müssen zunehmend in die vorgelagerten Bereiche der Burg ausweichen. Ministerialenanwesen bleiben nur im Bereich des Schildern und des südlichen 13 Balzer, Städteatlas 1981 Stadtgeschichte1999, B.1, S.75 15 Ausgrabung Kötterhagen 13, Marianne Moser 14 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 10 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW und westlichen Domplatzes erhalten. Als neuer Siedlungsbereich der Ministerialen wurde das als „in campo“ bezeichnete Areal südlich der Burg gewählt und systematisch besiedelt. Dom Burgareal Kamp Rickerswyk Stadtmauer 12. Jahrhundert Das 12. Jahrhundert bringt wiederum wesentliche Veränderungen im Stadtbild mit sich. Der Dom wird 1133 bei einem Brand stark zerstört. Auf dem Burgberg werden während des 12. Jahrhunderts den steigenden Ansprüchen der Domherren entsprechend weitere Kurien errichtet. Auch die steigende Zahl der bischöflichen Ministerialen musste entsprechend untergebracht werden. Sie erhielten ebenfalls Hofstellen im Burgbereich zugewiesen. Detaillierte Informationen zur Topographie und Besitzgeschichte der Domimmunität/ des Burgareals gibt die Arbeit von Ursula Hoppe.16 Der Bereich der heutigen Straße „Kamp“, der sich südlich des „großen Grabens“ ringförmig um das Burgareal legt, wurde nach Balzer vornehmlich im 11. und 12. Jahrhundert unter bischöflicher Leitung erschlossen. 17 Hier wurden auf beiden Seiten der Straße Ministerialenfamilien angesiedelt. Im Bereich des Jühenplatzes befand sich zudem der bischöfliche Stadelhof, ein Unterhof von „Enenhus“. An der Ostseite des Kampes, vor dem Kasseler Tor, lag der „Spiringshof“ – ebenfalls in kirchlichem Besitz. Vermutlich mindestens aus dem 12. Jahrhundert stammt ein imposanter mittelalterlicher (Wohn-) Turm, der sich auf dem rückwärtigen Teil des Grundstückes Kamp 31 befand. Ein höheres Alter kann ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden. Er wird in der Literatur als Wohnung des bischöflichen Marschalls oder gar des Stadtgrafen angesprochen. Sicher ist, dass es sich um eines der bedeutendsten nach dem Krieg noch in wesentlichen Teilen erhaltenen mittelalterlichen Gebäude Paderborns gehandelt hat. Er wurde kurz nach dem II. Weltkrieg abgerissen. Eine der bedeutensten Baumaßnahmen des 12. Jahrhunderts war sicherlich die Errichtung einer umfangreichen Stadtmauer. 1183 war spätestens eine Mauer vorhanden, denn ab 1183 bis 1231 wurden vier Tore erwähnt. Wenngleich die Errichtung der Stadtmauer u.a. aus zeitgenössischen Urkunden und durch die Aufgabe von Befestigungsstrukturen im Burgareal indirekt für die Zeit um 1150 erschlosssen werden kann18, ist die genaue Entstehungszeit und der exakte Verlauf nicht mit letzter Sicherheit zu belegen. Einen östlichen Mauerzug vermutet Balzer bereits für die Zeit zwischen 1080 und 1107.19 Vermutlich können nur archäologische Spuren in Zusammenhang mit schriftlichen Quellen weitere Erkenntnisse liefern. 13. Jahrhundert Das 13. Jahrhundert ist durch einige politsche Umwälzungen gekennzeichnet. Die Stadt Paderborn hatte sich inzwischen zum regionalen Mittelpunkt von Handel und Gewerbe entwickelt und erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Paderborner Kaufleute sind erfolgreich im Verbund der 16 Hoppe, Ursula: Die Paderborner Domfreiheit. München 1975 Stadtgeschichte1999, B.1, S.153 18 Balzer, Manfred: Siedlungsgeschichte und topographische Entwicklung Paderborns im Früh- und Hochmittelalter. In: Städteforschung A 27 – Stadtkernforschung, Hrsg. Helmut Jäger. Köln, Wien 1987 19 Stadtgeschichte1999, B.1, S.156/ 157 17 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 11 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Hanse20 tätig und betreiben überregionalen Handel mit dem Ostseeraum. Paderborn profitiert von seiner Lage an der Handelsroute Köln – Lübeck. Allerdings wird die Rolle Paderborns als Handelszentrum ab der Mitte des 13. Jahrhunderts nach der Verlegung der Haupthandelsroute auf die Achse Lübeck Bremen - Münster - Dortmund – Köln zusehends auf eine lediglich regionale Bedeutung beschränkt. Als Ergebnis des Investiturstreites21 zwischen dem römischen Papsttum und weltlicher Herrschaft und nach der Ablösung des sächsischen durch das staufische Königshaus, kam es zu einem weitgehenden Rückzug des Königtums aus Norddeutschland. Die ehemals häufigen und prestigeträchtigen Herrscherbesuche22 wurden seltener. Den Paderborner Bischöfen war es durch eine systematische Territorialpolitik gelungen, das Hochstift Paderborn zu erweitern und auszubauen. In der Stadt Paderborn allerdings verloren sie zusehends die Macht an die Bürgerschaft. Die Stadt Paderborn geriet zeitweilig unter mehr oder weniger großen Einfluss der Kölner Erzbischöfe, mit dem sie sich gegen die Paderborner Bischöfe verbündeten. Gegen Ende des 13. Jahrhundersts wurde diese Verbindung jedoch durch das neuerliche Erstarken der bischöflichen Gewalt schwächer. Der Einfluss der kölner Beziehungen auf die inneren Strukturen der Stadt Paderborn insbesondere auf das Baugeschehen sind noch wenig erforscht. Nach Errichtung der Stadtmauern bevölkerte sich die Stadt zunehmend. Gleichzeitig sind in der ländlichen Umgebung Paderborns Wüstungsprozesse zu beobachten. Die Paderborner Bürger trugen wesentlich zum Reichtum des Stadtherrns - des Paderborner Bischofs - bei. Zur Abwicklung der Geschäfte beanspruchten die Kaufleute und Bürger repräsentative Siedlungsflächen. Bevorzugt wurden Grundstücke in der Näche des Marktes. Im Laufe der Zeit emanzipierte sich jedoch die Stadtgemeinde und etablierte zunehmend Instrumente der Selbstverwaltung. Die Bürger traten immer mehr in Konkurrenz zum Bischof auf und es gelang ihnen durch reichlich vorhandenes Kapital die Macht der Bischöfe drastisch einzuschränken. 1222 musste Bischof Bernhard III. die Stadt Paderborn verlassen, 1275 erfolgte die Verlegung der Residenz nach Schloß Neuhaus. Viele der bischöflichen Ministerialen verließen in der Folge ebenfalls die Stadt. Die frei werdenden Hausstellen wurden von Bürgern übernommen, dienten als Stadthöfe auswärtiger Konvente oder wurden parzelliert und neu bebaut. Markt, Münze, Zoll, Steuerhoheit und Gerichtsbarkeit gerieten zunehmend in den Besitz des Bürgertums. Das Domkapitel konnte lediglich das Mühlenmonopol an den Paderquellen aufrecht erhalten und somit den Einfluss auf die von der Wasserkraft abhängigen Handwerke. Stadt Westernstraße Die planmäßige Bebauung und Besiedelung der Westernstraße/ Königstraße durch Händler und Kaufleute fällt vermutlich vor allem in diese Zeit. Zur Straße hin erhielten die schmalen und langen Gebäude repräsentative Fassaden. Im rückwärtigen Bereich errichtet man die im 12 Jahrhundert aufgekommenen s.g. „Steinwerke“, unterkellerte, steinerne „Türme“, die Menschen und Waren feuerund einbruchssicher aufnehmen konnten. 20 Zum Thema Handel siehe: Sprenger, R.: Paderborner Handel zur Zeit der Hanse“. Paderborn 1995 Streit zwischen dem Reformpabstum und dem engl., franz. und dt. Königstum in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts um die geistl. bzw. weltliche Vormacht. 22 Im Jahr 1002 fanden in Paderborn die Krönungsfeierlichkeiten von Kunigunde, der Gemahlin Heinrichs II. statt. 21 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 12 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Stadtsiegel Pfarreinteilung Für 1222 ist das erste Stadtsiegel bezeugt. Auf dem erhaltenen Stadtsiegel von 1231 ist die Kirche St. Pankratius mit ihrem Wehrhaftigkeit ausstrahlenden Turm dargestellt. Auf dem Turm von St. Pankratius war ein Wächter tätig. Aus dem Jahr 1231 ist eine wichtige Urkunde erhalten, die über die Struktur der Stadt zu dieser Zeit Auskunft gibt23. Auf Grund steigender Bevölkerungszahlen sowie des Anspruchs der Bürgerschaft auf eine eigene Pfarre war eine Neugliederung der Pfarrverhältnisse erforderlich geworden. Die Pfarrrechte der Gaukirche St. Ulrich wurden 1224 auf Initiative des päpstlichen Legaten und endgültig dann 1231 auf Anweisung des Paderborner Bischofs Bernhard IV. dreigeteilt. Pfarrgrenzen in der Stadt Paderborn nach 1231 Abbildung vergleiche in: Brandt/ Hengst; Geschichte der Gaukirche, S. 16 23 WUB IV Nr. 200 v. 31.Januar 1231 u.a. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 13 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Domfreiheit Dom Klosterbauten Rathaus Markt Busdorf Dies war auch im Interesse des Kölner Erzbischofes, der durch diese Aufwertung der Bürgerkirche St. Pankratius die Bürgergemeinde noch näher auf seine Seite zog. 1275, nach verschiedenen Auseinandersetzungen der Stadt mit dem Paderborner Bischof, kam es zu einem Schutzvertrag mit dem Kölner Erzbischof. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung, dass für Kirchen, die sich im Einflussbereich des Kölner Erzbischofes befanden, häufig das Pankratius-Patrozinium gewählt wurde24. Der gesamte Bereich der Domfreiheit dürfte im 13. Jahrundert eine große Baustelle gewesen sein. Zunehmend wurden neue Kurien errichtet. Der bischöfliche Besitz im Osten der Domfreiheit ging nach und nach in die Hand des Domkapitels über. 1336 wurde dann auch das bereits in Verfall begriffene Gebäude der bischöflichen Residenz an das Domkapitel abgetreten. Geistliche Gemeinschaften nutzten zeitweise oder über längere Zeit Grundstücke und Gebäude. Bürgerlicher Besitz im Bereich der Domfreiheit ist jedoch erst ab dem 14. Jahrhundert bezeugt. Der Dom wurde zwischen 1215 bis 1280 unter großem finanziellen Aufwand in eine gotische Hallenkirche umgebaut. Das benötigte Steinmaterial wurde teils aus Steinbrüchen des Eggegebirges herbeigeschafft, teils aber auch aus Steinbrüchen innerhalb des Stadtgebietes gewonnen. Klosterbauten, Hospitäler, Spitäler und Bauten der Armenfürsorge werden im 13. Jahrhundert in größerer Zahl errichtet und sind Zeichen für den zunehmend städtischen Charakter von Paderborn. Auf Initiative des Bischofs erfolgte 1229 die Ansiedlung von Zisterzienserinnen an der Gaukirche, 1232 von Minoriten am Kamp (bis zur Reformation auf dem Gelände des späteren Theodorianum/ später bei der Jesuitenkirche). Durch bürgerliche Initiative entstand 1211 vor dem Westerntor das Johannis-Hospital und das Laurentius-Spital an der Giersstraße. 1298 wird erstmals das westlich vor der Stadt gelegene Siechenhaus (mit Georgskapelle) urkundlich erwähnt. Um 1230 bildete sich in Paderborn ein städtischer „Rat“. Ein Ort zur Abhaltung der Ratsversammlungen und Durchführung von Kontroll- und Verwaltungsvorgängen wurde bald erforderlich. Ein solches „rathus sive pretorium“ ist 1279 erstmals urkundlich bezeugt. Wo es gelegen hat, ist nicht geklärt. Spätestens 1473 (inschriftlich datierter Stein) dürfte das Rathaus jedoch an der Stelle gestanden haben, an der es sich heute befindet. Möglicherweise handelt es sich bei diesem Datum aber auch bereits um eine Umbaumaßnahme eines noch älteren Rathauses an gleicher Stelle. Der Markt befand sich im Bereich des Rathauses. Im Bereich der Busdorfkirche wurden im 13. Jahrhundert ebenfalls umfangreiche Baumaßnahmen durchgeführt, da ein größerer Stadtbrand das Viertel zwischen 1263 und 1289 zerstört hatte. Im Bereich Busdorf- Immunität befanden sich bis zu 23 Kurienbauten, die teilweise noch archäologisch nachzuweisen sein dürften. 24 Warstein-Belecke um 1100 Probsteikirche, 1270 Erhebung zur Pfarrkirche, 1296 planmäßige Gründung der Stadt Belecke im Rahmen Kölner Territorialpolitik, 1750 bauliche Änderungen an der Kirche wegen Baufälligkeit, wohl verbunden mit dem Wunsch nach zeitgemäßer Neugestaltung (Kneppe, C. u.a.: Bericht über die archäologischen Untersuchungen in ... Warstein-Belecke, St. Pankratius ... . Münster 1992). Neerdar Patronat arnsbergischkölnisches Lehen, Weitere Kirchen mit Pankratius-Patrozinium: Anröchte, Buldern (Bischof Münster), Emsdetten, Gescher, Reiste, Rinkerode, Südkirchen) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 14 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Stadtprivileg Burgericht Aspethera- Bauerschaften 14. Jahrhundert Im 14. Jahrhundert zeichnet sich eine Wende der mittelalterlichen Blütezeit der Stadt Paderborn ab. Verschiedene Ursachen führten zu gesellschaftlichen Umwälzungen. Eine größere Hungersnot zu Beginn des Jahrhunderts dezimierte die Bevölkerung vor allem in den Städten. Die zunehmend verdichtete Bebauung führte zu verlustreichen Stadtbränden. Die hygienischen Verhältnisse führten zur Verunreinigung des Trinkwassers und damit zu Krankheitsepidemien. 1350 wurde auch die Stadt Paderborn erstmals von der Pest heimgesucht. Die zahlreichen Opfer wurden in Massengräbern u.a. auf dem Domfriedhof beigesetzt. Zahlreiche Siedlungen des Umlandes fielen wüst. Die Bewohner, wenn nicht an der Pest gestorben, zogen in die Städte, um die leeren Wohnplätze in Besitz zu nehmen. Für Ratsmitglieder der betuchten Oberschicht wurden städtische Ämter zunehmend unattraktiv. Sie verzichteten sogar auf ihre Bürgerrechte und wanderten in das Umland ab, um den Ratspflichten zu entgehen. Seuchen, Zuwanderung und Abwanderung führten zwischen 1350 und 1450 zu einer Umschichtung in der Paderborner Bevölkerung. Der Stadtrat entwickelt sich zunehmend zur obersten Gerichtsinstanz der Bürger. Politisch versuchte die Stadt Paderborn im 14. Jahrhundert ihre gegen den Bischof errungenen Vorrechte langfristig zu sichern sowie Bündnisse mit anderen Städten im Hochstift Paderborn einzugehen. Der Bischof beendete in dieser Zeit seine Auseinandersetzungen mit dem Domkapitel, um seine Stellung gegen die Stadt zu stärken. In der Folge der Veränderungen in der Organisation des Rates wurde die gemynheitt, die Gesamtheit der Bürgerschaft, stärker mit einbezogen. Möglicherweise im Zusammenhang mit diesen Bemühungen wurde die Stadt in vier Unterbezirke eingeteilt, aus denen jeweils 10 Mitglieder den Ausschuss der „Vierzig von der Gemeinde“ bildetetn. 1327 gelangte die Paderborner Stadtgemeinde endlich in den Besitz eines umfangreichen Privilegiums („Privilegium Bernhardi“), das ihnen alle erworbenen Rechte dauerhaft garantierte, teils bis in das 17. Jahrhundert hinein. Im Zuge dieses Privileges wurde z.B. der städtische Rat zur entscheidenden gerichtlichen Instanz hochgestuft, was seine Stellung weiter stärkte. Am Markt befand sich das seit dem 12. Jahrhundert belegte „Burgericht“, welches 1225 der Familie von Erwitte-Geseke erblich vom Bischof zu Lehen übertragen worden war. Die Familie hatte stets bürgerliche Richter eingesetzt. Das Gericht gelangte schließlich ganz in städtische Hand. Im Ortsteil Aspethera befand sich ein zweites Burgericht. Belehnt war damit seit Mitte des 13. Jahrunderts die Familie Bulemast-Stapel, die in Aspethera über umfangreichen Grundbesitz verfügte. Das Gericht wurde abgehalten auf dem Gerichtsplatz, dem„Thy“ nahe dem „Bolekenhof“. Einzelne Spuren in verschiedenen Quellen lassen auf weitere „Burgerichte“ in den einzelnen Bauerschaften schließen, die jedoch nicht zu lokalisieren sind. Seit dem 14. Jahrhundert sind für die Stadt Paderborn vier Bauerschaften belegt, die lt. Balzer vermutlich bis in das 13. Jahrhundert zurückreichen. Topografisch orientieren sich die Bauerschaften an je einer größeren Strasse sowie auf ein Stadttor. Im einzelnen sind dies die östlich gelegene Maspernbauerschaft, die südlich gelegenene Kämperbauerschaft und die westlich gelegene FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 15 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Westernbauerschaft sowie die, wie Balzer vermutet,25 etwas später entstandene Königsträßerbauerschaft. Im 15. Jahrhundert kam die Giersbauerschaft hinzu bzw. wurde von der Maspernbauerschaft abgeteilt. Interessanterweise sind die Bauerschaften räumlich nahezu deckungsgleich mit den 1231 neu eingeteilten vier Paderborner Pfarrbezirken, wobei die Western und die Königsträßerbauerschaft zur Pankratius Gemeinde gehören, die Kämperbauerschaft zu St. Ulrich und die Maspernbauerschaft zum Niedern Chor des Domes und die Giersbauerschaft zum Busdorfstift. Immunität Dom Synagoge Stadtbrände 25 26 Die Verlegung der bischöflichen Residenz nach Schloß Neuhaus brachte vor allem für die Domimmunität einige Veränderungen mit sich. Zu Anfang des 14. Jahrhunderst lagen vermutlich alle Kurien im östlichen Teil der Immunität. Nachdem die Wiederaufbaupläne des südwestlich des Doms gelegenen zuletzt als bischöflicher Palast genutzen Gebäudes nicht realisiert werden konnten, wurde das breits im Verfall befindliche Gebäude sowie ein Ministerialenhof westlich der Gaukirche 1336 an das Domkapitel verkauft. Vom s.g. „Bischofspalast“ sind noch Kellerreste im Diözesan-Museum und auch im Keller des Hauses Am Abdinghof 1 (Fürstenberg-Kurie) erhalten. Auch das Gelände zwischen Michaelstraße und Bartholomäuskapelle, auf dem zunächst ein neuer Bischofspalast errichtet werden sollte, wurde freigegeben und mit mindestens drei Kurien und Benfiziatenhäusern bebaut. Nur der s.g. „Krevethof“ Markt 11/ 13 blieb bis in das 17. Jahrhundert im Besitz des Bischofs. 1371 erwarb der Bischof als zeitweilige Residenz die Kurie „Sternberger Hof“. In der Südwestecke der Immunität, am Eingang zum Schildern, sind seit dem 14. Jahrhundert bürgerliche Häuser nachweisbar. Über die Entwicklung der Immunität s.a. die Veröffentlichung von Ursula Hoppe.26 Der Dom wurde 1341 durch einen Stadtbrand stark zerstört. Im Zuge der umfassenden Instandsetzung unter Bischof Balduin (1341-1361) wurden auch die gotischen Fenster in der Ostwand des Chores und in der Südwand des östlichen Querhauses eingebaut. Eine jüdische Bevölkerung ist erstmals im 14. Jahrhundert in Paderborn nachgewiesen. Nach den großen Pestepedemien werden sie nicht erwähnt. Mitte des 16. Jahrhunderts sind sie wieder nachweisbar. Zwar lebten die Juden im ganzen Stadtgebiet verteilt, hauptsächlich aber im Bereich Königstraße/ Kisau, wo sich auch eine Synagoge befand. 15./ 16. Jahrhundert Politisch war das Kräfteverhältnis zwischen der Stadt Paderborn und dem Bischof im 15. Jahrhundert relativ ausgeglichen. Von einigen Auseinandersetzungen abgesehen, konnte die Stellung der Stadt gegenüber dem Bischof um 1475 noch einmal gestärkt werden. Im Untergrund schwelten allerdings zahlreiche Konflikte, getragen von dem gegenseitigen Bemühen, machtpolitisch die Oberhand zu gewinnen. Im 16. Jahrhundert wurde die Bürgergemeinschaft zusehends destabilisiert. Verschiedene Stadtbrände hatten die Stadt materiell geschädigt. So vernichtete ein Brand, der sich im Jahr 1506 von der Marktkirche bis zur Stadtmauer an der Busdorfkirche ausbreitete, rund 300 Häuser, was mindestens einem Viertel des gesamten Baubestandes entsprach. Stadtgeschichte 1999, Bd. 1, S. 305 ff. Hoppe, Ursula: Die Paderborner Domfreiheit. München 1975 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 16 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Wasserkunst Landwehr Reformation Bürgerbauten „Zitadelle“ 1523 wurde Paderborn wohl auf dem Hintergurnd des „Großen Brandes“ von 1506 mit einer modernen Wasserversorgung ausgestattet. Man errichtete eine der ersten „Wasserkünste“ in Westfalen. Zu Anfang des 15. Jahrunderts entstand die Paderborner Landwehr, um sich vor Gegnern zu schützen, die das gesamte Hochstift bedrohten. Auch die Verteidigunskraft der Stadt musste gestärkt werden, in dem z.B. das Neuhäuser Tor eine vorporten (Doppeltoranlage) erhielt. 1520 wurde Paderborn erneut von der Pest heimgesucht. Lebensmittelknappheit war nahezu die Norm geworden. Besonders die unteren Bevölkerungsschichten scheinen sich in zunehmender Notlage befunden zu haben. Dagegen stand ein relativ wohlhabender Lebenstil des höheren Klerus. Diese Umstände dürften die Verbreitung der reformatorischen Ideen begünstigt haben. Um 1525 kam es zu Aktionen aus der Bevölkerung gegen die Paderborner Mönche. Der Konvent der Minoriten schloss sich um 1528 den reformatorischen Ideen an, die sich in der Folge in der Stadt weiter ausbreiteten und die Bürgerschaft spalteten. So wurden 1532 die Anführer der lutherischen Bewegung durch den Rat verraten, die reformatorische Bewegung war vorerst gestoppt. Der Bischof konnte wesentliche Änderungen in der Stadtverfassung durchsetzen und seinen Einfluss deutlich stärken. Die einstmals relativ selbstständigen Bürger wurden zu landesherrlichen Untertanen.27 Im Pestjahr 1566 kam es erneut zu einem Konflikt zwischen der überwiegend protestantischen Bevölkerung und der katholischen Obrigkeit. Die sich in der Folge fortsetzende Spaltung und Schwächung der in großen Teilen reformierten Bürgerschaft erlaubte es Bischof Dietrich von Fürstenberg schließlich 1604 durch die Niederschlagung der „Rebellion“ des protestantischen Bürgermeisters Wichard die Machtfrage für sich zu entscheiden und die Privilegien der Bürgermeinde nahezu vollständig zu beseitigen. Dieser gravierende Machtwechsel, den Balzer als „stadtgeschichtliche Zäsur“ beschreibt28, brachte auch für die Bautätigkeit und somit für das Stadtbild von Paderborn einige Veränderungen mit sich. Repräsentative Bereiche der Stadt wie Domimmunität, Kamp, Markt und Westernstraße wurden im Stil der Renaissance und unter fürstbischlöflichem Einfluss umgestaltet. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts erlebte Paderborn vor allem durch den sich entwickelnden Getreidehandel wieder einen bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwung. In dessen Folge kam es auch erneut zu einigen Neubauten von repräsentativen Bürgerhäusern. Bis 1945 waren noch 35 Gebäude aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Der Plan, unter Einbeziehung der Stadtmauern eine Zitadelle zu errichten, kam nicht zur Ausführung.29 17./ 18. Jahrhundert Paderborn wandelte sich von einer mittelalterlichen Bürgerstadt zur neuzeitlichen Territorialhauptstadt und übernimmt Hauptstadtfunktion für das Territorium des Paderborner Hochstiftes. Trotz des Dreißigjährigen Krieges bleibt die Bevölkerungszahl Paderborns relativ konstant und wuchs nach dem Kriege beständig. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrunderts sinkt die 27 Stadtgeschichte, 1999, Bd.1, S. 411 -429 Stadtgeschichte, 1999, Bd.1, S. 469 f. 29 Richter, Bd. II, S. 148 f. 28 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 17 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Bevölkerungszahl allerdings wieder, worin sich ein Verlust an kultureller Zentralität und ein wirtschaftlicher Rückgang widerspiegeln.30 Die materiellen Zerstörungen an den Paderborner Gebäuden im Verlaufe des 30-jährigen Krieges hielten sich in Grenzen, wenn auch umfangreiche Plünderungen am Inventar der Kirchen und Wohnhäuser stattgefunden hatten. Markt Zu Beginn des 17. Jahrhunderts unternehmen Stadt und Bischof mit Erfolg besondere Anstrengungen, um das Marktgeschehen in Paderborn zu fördern. Von den Einnahmen profitierten besonders Bischof, Ritterschaft und Domkapitel. Paderborn erhält zentrale Bedeutung für den Woll- , Schaf- und Getreidehandel. Religiöse Orden Durch die Ansiedelung verschiedener geistlicher Orden wird die Gegenreformation aktiv gefördert. Seit 1585 sind Jesuiten in Paderborn (Am Kamp, ehem. Minoritenkloster), Kapuziner (Am Stadelhof), Kapuzinessen (Am Kisau vor dem Neuhäuser Tor), Augustinerinnen (Michaelsstraße) und Franziskaner (Westernstarße) angesiedelt. Die Barockkirchen dieser Orden gehen auf bischöflliche Stiftungen zurück. Universität 1614 wurde durch die Mitglieder des Jesuitenordens die Paderborner Universität gegründet, die vor allem von Studenten aus Paderborn und dem Hochstift besucht wurde. Bereits seit 1585 hatten die Jesuiten die Leitung des Gymnasiums Theodorianum übernommen. So gelangte die Stadt in den Ruf eines geistigen Zentrums in der Region. Buchdruckerei 1597 arbeitete in Paderborn die erste Buchdruckerei. Rathaus 1620 war das auf Betreiben Bischof Dietrichs im Stil der Renaissance neu errichtete bzw. erweiterte Rathaus fertiggestellt.31 An der Nordseite des heutigen Rathauses befindet sich ein Wappenstein mit der römischen Jahreszahl „1473“. Dieser Stein deutet auf Neu- oder Umbaumaßnahmen zu dieser Zeit. Seit 1473 stand also mit Sicherheit ein Rathaus an der Stelle des heutigen. Stadtmauer Die Stadtbefestigung wurde durch Schanzen vor den Stadttoren zeitgemäß verstärkt. Straßenpflaster 1729 werden die wichtigsten Straßen Paderborns gepflastert. Stadthöfe Verschiedene Adels- und Klösterhöfe werden im 17./ 18. Jh. in repräsentativer Form neu errichtet (Haxthausenhof, Westphalenhof, Dalheimer Hof). Bürgerbauten Die bürgerlichen Bauten, häufig als Dielenhäuser mit großem Eingangstor errichtet, wurden in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg und zunehmend im 18. Jahrhundert mit geschlossener Fassade als Flur- und Etagenhäuser erbaut. Weserrenaissance Die Straßenansichten erhielten, vor allem im Bereich des Rathauses, im 17./ 18. Jahrhundert ein neues Erscheinungsbild im Stil der für die Region typischen Weserrenaissance und später des Barock. Das bedeutenste Beispiel ist das Rathaus und einige Bürgerhäuser wie das Haus Heising. Aber auch Fachwerkfassaden, die das Stadtbild prägten, wie z.B. das „Adam-und-EvaHaus“ in der Hathumarstraße, wurden in entsprechender Weise stilgerecht ausgeführt. Hinter bzw. unter vielen Häusern befinden sich allerdings noch häufig die Steinwerke bzw. die Keller des Mittelalters. Barocke Bauten 30 31 Im 18. Jahrhundert wurde das Paderborner Stadtbild durch Errichtung oder Umbau zahlreicher Bauten zum Teil „barockisiert“. So wurde das Kloster an der Gaukirche durch einen barocken Neubau erweitert. Der Gaukirche St. Ulrich Balzer, Städteatlas 1984 Nähere Angaben zum Rathaus s. Kapitel 1.5.3 „Einzelobjekte“. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 18 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Stadtbrand wurde die barocke Westfassade vorgesetzt. Fast alle Gebäude am Markt erhielten barocke Fassaden. Auch die neue Jesuitenkirche am Kamp wurde 1692 im barocken Stil fertiggestellt. In die gleiche Zeit fällt der Neubau der St. Michaelskirche. Weitere Beispiele lassen sich aufzählen. 1616 zerstörte ein Brand das Kapuzinerkloster am Stadelhof und zahlreiche Gebäude zwischen Heiers- und Giersstraße. In der Folge wurde das Wasserleitungsnetz weiter ausgebaut und um 1625, nach einem weiteren kleinen Brand, erstmals eine Feuerordnung erlassen. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 19 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 19. Jahrhundert Zweihundert Jahre nach den entscheidenden Ereignissen des Jahres 1604 geriet das Fürstbistum Paderborn im Jahr 1802 unter preußische Oberherrschaft und wurde Teil der preußischen Provinz Westfalen. Die alten Immunitäten und geistlichen Sonderrechte wurden beseitigt, die Kirchen und Klöster säkularisiert. Als Kreisstadt erhielt Paderborn eine Garnison und das Oberlandesgericht. Auch einige Verwaltungsbauten wie die große Post an der Westernstraße veränderten das Stadtbild. GroßeAuswirkungen auf das Leben der Bürger und auf die bauliche Entwicklung der Stadt erfolgten aber zunächst nicht. Die Stadt verharrte noch weitgehend in ihrer mittelalterlichen Ausdehnung innerhalb der Stadtmauern. Um 1820 waren die Tore der Stadtmauer noch erforderlich, um Steuern zu erheben. Bis 1848 blieben die Stadttore nachts verschlossen. Industrialisierung Gravierende Veränderungen im Stadtbild und in der Bausubstanz ergaben sich erst im Zuge der Industrialisierung. Eisenbahn In diesem Zusammenhang ist vor allem die Anbindung Paderborns an das überregionale Eisenbahnnetz im Jahre 1850 von großer Bedeutung. Im Zuge eines deutlichen Bevölkerungsanstieges sowie der damit verbundenen Ansiedelung von zahlreichen Wohn- und Gewerbebetrieben vor der Stadt wurde die Grenze der mittelalterlichen Stadtmauern gesprengt. Stadtmauer Die Schanzen vor der Stadtmauer wurden ab 1809 nach und nach abgetragen. Die Wälle wurden eingeebnet und wie in vielen anderen mittelalterlichen Städten auch zu „Promenaden“ umfunktioniert. Die Stadttore wurden zunächst aus verkehrstechnischen Gründen verbreitert, später abgebrochen (Neuhäuser Tor 1872). Straßenpflaster Seit Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgte die systematische Pflasterung der Paderborner Straßen. Baumaßnahmen Der Bevölkerungszuwachs bedingte eine dichtere Bebauung. Zu Ende des 19./ A. 20. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Mehrfamilienhäuser im Stil der „Gründerzeit“ an verschiedenen Stellen in der Stadt. Die städtische Oberschicht errichtete ihre Villen jetzt vornehmlich vor der Stadt. Ükernbrand 1875 vernichtete ein Brand rund 100 Wohngebäude im Ükernviertel. 900 Personen wurden obdachlos. Der Stadtteil wurde anschließend wiederaufgebaut. Karten von 1857 und 1877 zeigen, dass der Wiederaufbau auf einer umfangreichen Neuplanung mit teilweiser Umstrukturierung der Parzellen und Neuanlegung von Straßen beruht.32 Der Wiederaufbau gilt als erste planmäßig durchgeführte Maßnahme zur Stadtentwicklung. Als gesetzliche Grundlage diente das Enteignungsgesetz von 1875 und das Fluchtliniengesetz von 1875. Der Brand wird als entscheidender Ausgangspunkt für die nun folgende planmäßige Stadterneuerungsmaßnahmen in Paderborn betrachtet. (vergleiche Abbildung Stadtgeschichte Bd.III Seite 103) In Folge neuer wirtschaftlicher Entwicklungen im Rahmen der Industrialisierungwelle des 19. Jahrhunderts sowie durch die Anbindung an das überregionale Eisenbahnverkehrsnetz, benötigte man auch in Paderborn zunehmend Flächen für diese überregionalen Strukturen der Eisenbahn und des Militärs. Dies geschah unmittelbar vor den Stadtmauern Paderborns, denn der mittelalterliche Stadtkern erlaubte keine Expansion oder gar Neuansiedlung Säkularisation 32 Zum Ükernbrand s. Stadtgeschichte, Bd. III, S.101 f. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 20 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW größerer Betriebe. Nur die Mühlen an der Pader nutzen teilweise bis heute die Wasserkraft der zahlreichen Quellen. Alte Luftbilder zeigen sehr anschaulich die Expansion der Stadt über den mittelalterlichen Kern hinaus. Die Stadtmauer wurde wie in andern Städten in weiten Teilen niedergelegt. Auch die Bevölkerungszahl stieg in der Folge der wirtschaftlichen Entwicklung stark an. 1840 bestand die Paderborner Bevölkerung aus rund 8.000 Personnen, davon lebten nur rund 150 außerhalb der Stadtmauern. 1861, zehn Jahre nach dem Bau der Eisenbahn lebten bereits 11.000 Personen innerhalb der Stadtmauern. Diese Menschen konnten im historischen Stadtkern jedoch im Prinzip nicht mehr untergebracht werden. Als erste größere Wohnquartiere außerhalb des mittelalterlichen Stadtkerns wurden um 1882 unweit des Bahnhofes (1853) das „Gartenquartier am Riemeke“ (-bach) und die Siedlung „beim Lazarett“ an der Neuhäuser Straße angelegt. Weitere Siedlungen folgten und wuchsen langsam zu einer Einheit zusammen. Modernisierung Für die Altstadt bedeutet das 19. Jahrhundert eine Zeit der technischen Modernisierung. Die Straßen wurden ab 1820 systematisch gepflastert, die Beleuchtung durch Gaslaternen erfolgte ab 1855, die Elektrifizierung ab 1900. Durch Gas und Strom konnten Kleinbetriebe modernisiert werden. Die neuen Möglichkeiten relativ billig Glas herzustellen, beeinflusste das Erscheinungsbild der Fassaden, der Einbau von „Schaufenstern“ kam ab 1852 in Mode. Der Warenverkauf wurde von der Straße in die Häuser verlegt; Ladengeschäfte entstanden. Um 1900 hatten sich großflächige Scheiben durchgesetzt. Der neue Bautyp des Kaufhauses war entstanden. Neubauten Nach 1850 entstanden vereinzelt größere Neubauten in der Stadt wie die Wollhalle am Rosentor, das Postgebäude an der Westernstraße, ein neues Schulgebäude am Michaelskloster oder das Generalmutterhaus der Vinzentinerinnen am Busdorf. Diese Gebäude beeinflussten das historische Stadtbild jedoch nur relativ gering. 20. Jahrhundert Entgegen dem allgemeine Trend im Deutschen Reich profitierte Paderborn nur in geringem Maße vom wirtschaftlichen Aufschwung der Zeit. Handwerk, Kleinhandel und Kleinindustrie bildeten bis weit nach dem Ersten Weltkrieg die wirtschaftliche Grundlage der Stadt. Zudem bestanden Arbeitsmöglichkeiten in den diversen Verwaltungen von Kirche, Justiz und Militär. Auf dem Markt wurden die landwirtschafltichen Produkte des Umlandes abgesetzt. Die technische Modernisierung schritt fort durch Errichtung des Elektriziätswerkes im Jahr 1909. Aufgrund der stark steigenden Bevölkerungszahlen, wurden in den 20er Jahren zahlreiche neue Wohnungen errichtet, der historische Stadtkern war davon jedoch kaum betroffen. Nachhaltigen Einfluss auf die Stadtplanung nahm vor allem nach dem 2. Weltkrieg die Erwartung eines sich stark entwickelnden Autoverkehrs. Dazu schrieb 1949 Dr. Gustav Speer vom städtischen Bauamt: „Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung wurden die Flächen der Altstadt, die früher ausnahmslos große Hausgärten hinter den Bürgerhäusern aufwies, immer stärker überbaut. Die einzelnen Grundstücke wurden im Erbgang in immer kleinere Parzellen aufgeteilt und zugleich verschachtelt, so daß schon allein durch die Grunstücksverschachtelung ein vernünftiges Bauen in weiten Strecken der Altstadt unmöglich war. Entscheidend war, wie bei vielen anderen FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 21 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW deutschen Altstadtkernen, die Erkenntnis, daß das Straßennetz der Altstadt den verkehrsmäßigen Anforderungen nicht mehr entsprach. ... Der Fluchtlinienplan der Altstadt Paderborn geht von der Erkenntnis aus, daß die Verbreiterung der Hauptdurchgangsstraßen auf die verkehrsmäßigen Notwendigkeiten sowie die Schaffung eines einfachen und möglichst sparsam ausgebauten Verkehrsnetzes die Voraussetzung für ein Wiedererstehen der Altstadt war.“33 Der Schildern wurde von dem Vorhaben der Straßenverbreiterung ausgenommen. Für das Umlegungsverfahren musste eine neue Katasterkarte angefertigt werden, da die bis 1945 verwendete auf die Uraufnahme von 1830 zurückging und in der Genauigkeit völlig unzureichend war. Bei dem Umlegungsverfahren wurden auch weite Bereiche um die Paderquellen von einer künftigen Bebauung ausgeschlossen. 33 Kiepke 1949; Paderborn, Werden . Untergang . Wiedererstehen FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 22 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.1.2 Siedlungsgeschichte - Chronologische Übersicht in Stichpunkten anhand einiger ausgewählter Daten 772 Beginn Sachsenkriege Eroberung der Eresburg, südlich von Paderborn an der Diemel, die von Karl dem Großen zur Winterpfalz ausgebaut wird. Rückeroberung der Eresburg durch die Sachsen Instandsetzung der Eresburg durch Karl den Großen Aufenthalt Karls d. Gr. In Paderborn, Begründung der Karlsburg und der karolingischen Pfalz Erste fränkische Reichsversammlung in Paderborn, Teilnehmer wohnen in Zelten Weihe der Kirche St. Salvator (Bau Ia, 22,00 x 9,00 m) ecclesia magna (Lobbedey, Ausgrabungen, S.15, + DERS. Dom, S.14). Kirche zweimal wiederaufgebaut. Endgültige Aufgabe nicht gesichert, vermutlich beim Bau eines neuen Kloster an die neue Kirche (IIa) von 795 ff. Paderborn ist Krongutsbezirk. Große Teile des Krongutes wechselten im 9.Jh. in Kirchenbesitz über erste Zerstörung der fränkischen Anlagen in Paderborn Möglicherweise bereits jetzt Ersatz der ersten Holz-Erde-Befestigung durch eine 1,30 - 1,50 breite Steinmauer (Winkelmann), von einem Graben umschlossen (StG, Bd.1, S.15) zieht Karl d.Gr. sich nach der Schlacht von Detmold in die Paderborner Burg zurück (Einhardsannalen nach StG, Bd.1, S.28) zieht Karl d. Gr. von der Eresburg nach Paderborn, nachdem Nachschub aus fränkischen Kernlanden eingetroffen war zweite große Zerstörung der Burganlage durch Sachsenaufstand, Wiederaufbau nach alten Strukturen, ab jetzt Nutzung der Pfalzkirche (Ib) als Klosterkirche, dazu Erweiterung der Kirche nach Westen um ein ein offenes Atrium als Begräbnisplatz möglicherweise für die jetzt angesiedelten Kleriker/ Mönche, zu unterscheiden vom großen süd- und südwestlich der Kirche gelegenen „Pfarr“Friedhof paralel zur Nordwand der Kirche Mauer, als Rest eines Kreuzganges gedeutet. Wie in anderen westf. Bischofssitzen zunächst Monasterium dann Bistumsgründung. (StG, Bd.1, S.31) Kirchenneubau (IIa) ecclesia mirae magnitudinis (Lorscher Annalen 799) südlich der Salvatorkirche (Ia/ Ib) in den Friedhof hinein. 822 Patrozinien Maria und Kilian bezeugt, der Papst weiht einen Altar St.Stephanus. Konstruktion als dreischiffige Basilika, Mittelschiffwände vermutlich von Säulen getragen, Chorschluss vermutlich halbrunde Haupt- und zwei Nebenapsiden, Innenmaße 21,00 x 42,70 m (wie Lorsch, Baseler Münster, St. Denis in Paris); Ostteile der Kirche aus Sandsteinquaderwerk; innen und außen verputzt, innen farbig bemalt; nur einzelne Fundamentreste erhalten (Bd.1, S.33/34) Papst Leo III. in Paderborn Letzter Aufenthalt Karls in Paderborn. Vorbereitungen zur Gründung des Bistums. Das Monasterium Paderburnense wird durch Karl d. Gr. mit Gütern ausgestattet. (nach dem Bericht Erconrad von der Übertragung der LiboriusReliquien; Bd. 1, S.32) 774 775 776 777 778 783 785 um 794 nach 794 799 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 23 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 799 o.früher 8. Jh. 806-815 814 815 815-862 822 834 836 845 958 1000 um 1000 Anfang 1000 1009-1036 1036 1058 1051-1079 1103 1165 Um 1180 Um 1200 1222 1229 1231 Kapelle St. Maria von Gerold, einem Verwandten Karls d. Gr. errichtet, in der Nähe der späteren Bartholomäus-Kapelle (nach Vita Meinwerci, 12. Jh./ StG, Bd.1 S.34), genaue Lage aber unbekannt. Eine Klerikergemeinschaft besteht in Paderborn 1. Bischof Hathumar Unterstützt die Gründung des Klosters „Hethis“ als Corbier Probstei (Vorgänger von Corvey/ Höxter, 822 Verlegung nach Höxter, 836 Reliqiuen St.Vitus aus St. Denis). Tritt als „Königskloster“ teilweise in Konkurenz zur Bischofskirche. Tod Karls d. Großen Einzige Reichsversammlung Ludwig des Frommen in Paderborn 2. Bischof Badurad (Königsnaher, vornehmer Sachse aus Würzburger Klerus), fördert kirchliches Leben und Domschule. Die Kanoniker leben gemeinsam im abgeschlossenen Domkloster claustra, das nur durch einen Eingang zu betreten war. Evt. wurde unter Badurad das Domkloster mit wahrscheinlich gleichzeitig errichteter Kapelle gebaut. Zum Klosterbereich gehörte eine Domschule. Der Dom erhält zur Aufnahme einer größeren Pilgerschar ein großes Westquerhaus (IIb) incl. Westapsis (Paralele Fulda) mit Ringkrypta (Vorbild St. Peter in Rom) als Bestattungsplatz für die Liborius Reliqiuen Immunität für die Paderborner Kirche durch Ludwig d. Frommen Kirchlicher Besitz darf von Beauftragten des Königs nicht mehr z.B. für Gerichte genutzt werden oder zur Bewirtung herangezogen werden. Alle Forderungen waren der Kirche abzuliefern. Ein Vögtewesen zur Verwaltung dieser Güter entsteht. Die Vögte sind zunächst vom Bischof und Domklerus gewählt worden. Reichsversammlung Ludwig des Deutschen in P. Symbolische Inbesitznahme des östl. Reichsteils; Badurad baut die Pfalz aus. Translozierung der Liborius-Reliquien auf Befehl des Kaisers Reischsversammlung Ludwigs des Deutschen in Paderborn Otto der Große in Paderborn Später auch Aufenthalt von Konrad I. und Otto III. möglich, aber nicht sicher Großer Brand Dortmunder Stadtrecht „Marktkirche“ in Vita Meinwerci erwähnt Bischof Meinwerk Neubauten: Pfalz, Neuer Dom, Bischofspalast, Abdinghofkloster, Busdorfstift, Bartholomäus-Kapelle (Hallenkirche) 1. Erwähnung von Schloß Neuhaus (Siftungsurkunde Busdorfstift) Bischhöfl. Tafelgut mit 13 Vorwerken erwähnt (Busdorfurkunde), aus Königsbesitz? Patherburna 13. Villikation des bischhöflichen Tafelgutes Brand Bischof Imad; Wiederaufbau nach dem Brand Stadtgraf erstmals erwähnt Stadtbrand im Westen der Stadt; Zerstörung Marktkirche und Abdinghofkloster Errichtung der Gaukirche als Stadtkirche Größte Ausdehnung (bis 19. Jh.) Auseinandersetzung Bischof - Bürger Gründung Gaukirch-Kloster (Zisterz.-innen); Inkorporation d. Gaukirchpfarrei Ältestes Stadtsiegel „Großes Siegel“ FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 24 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1238 1240-1260 1275 1279 1286 1295 1327 1329 1336 1342 1350 Um 1370 1414 1439 1447 1473 1506 1542 1580 1585-1618 1585 1592 1597 1604 1612 1613-15 1613-1620 1614 1618-48 1661-83 1663-64 1682-92 1691-98 1729 1756-63 1769 1784 1797 1802 1803 1803/04 1808-1813 1810 Ratsherren erstmals erwähnt Bau gotische Langhaushalle Dom Schloß Neuhaus Bischofsresidenz (Bischof Simon I.) Erste Erwähnung Rathaus Pad. Bürger setzen das Schloss in Neuhaus in Brand Paderborn als Mitglied der Hanse bezeugt „Hanserecht“ für Kaufmannschaft, Freie Ratswahl durch B. Bernhard V. zugestanden Erste Erwähnung Kalandsbruderschaft Bischofspalast engültig aufgegeben Schenkung der „Groppenhalle“ = Verkaufshalle an das Heilig-Geist-Hospital durch Kaufmannsfamilie Vanderbeke (s.Sprenger, Hanse: Urkunde: STA Paderborn, U38 von 1342 Pestepedemie Schloss Neuhaus endgültig Residenz der Paderborner Bischöfe Erste Erwähnung „Elenden-Bruderschaft“ Pestwelle, über 2000 Opfer Für kurze Zeit führende Stellung in der Hanse als „hovestadt“ Rathausbau (Keller im heutigen Rathaus erhalten) Großbrand, mehr als 300 Häuser zerstört „Wasserkunst“ für die höher gelegenen Stadtteile projektiert Fürstbischof Hermann von Wied tritt zum Protestantismus über, Absetzung Jesuiten vom Domkapitel nach Paderborn berufen Bischof Dietrich von Fürstenberg Jesuiten übernehmen die Domschule (400 Schüler) Jesuitenkollegs im ehemaligen Minoritenkloster Am Kamp, später Neubau Erste Buchdruckerei in Paderborn durch M. Pontanus Gegenrefornation erfolgreich, Verlust der städtischen Freiheiten u. Rechte Errichtung des Gymnasium Theodorianum Errichtung Kapuzinerkloster, Kirche 1681-83 Neubau Rathaus „Weserrenaissance“ Jesuitenuniversität durch Bischof Dietrich gegründet (älteste Univ. Westfalens) Schäden und Bevölkerungsrückgang im 30-jährigen Krieg Bischof Ferdinand von Fürstenberg; Förderung des Kirchenbaues Verfasser der „Monumenta Paderbornensia“ Neubau Franziskaner-Kloster in der Westernstraße, Kirche 1668-71 Neubau Jesuitenkirche („Marktkirche“) Kloster + Kirche St. Michael (Chorfrauen des Hl. Augustinus, in Pad. seit 1658) Pflasterung der wichtigsten Straßen (Anordnung von Bischof v. Wittelsbach) 7-jähriger Krieg - Wirtschaftliche Rezession Erste Hausnummerierung für Feuerversicherung Abbruch der baufälligen Marktkirche auf dem Marienplatz Gründung Landeshospital (Kisau) für Mittellose aus dem Hochstift Fürstbistum Paderborn als Entschädigung an Preußen Bildung einer evangelischen Gemeinde in Paderborn Aufhebung Abdinghofkloster F.W. Sertürner (Geburtshaus „Sertürner-Haus“) enteckt das Morphium in Paderborn (Hofapotheke Cramer) P. zu Königreich Westphalen, Sitz einer Unterpräfektur Aufhebung Gaukirchkloster und Busdorfstift FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 25 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1816 1818/1844 1835 1847 1848 1850 1854 1856 1875 1882 1892 1892 1903 1909 1929 1933 1938 1940 1945 1945-55 1955 1974-82 1972-75 1975 1978 1981 2000 Paderborn wird wieder Kreis- und Garnisonsstadt (auch 1802-1806/07) Teilaufhebung der Universität, heute Theologische Fakultät Selbstverwaltung durch revidierte Städteordnung v. 1831 Gründung Provinzial-Blindenanstalt (Initiative v. Pauline v. Mallinckrodt) Kreissparkasse Paderborn Eisenbahnanschluss (Hamm-Paderborn) und nach Warburg 1853 Paderborner Gasanstalt Jüdisches Waisenhaus für Rheinland und Westfalen Großbrand am Ükern, 98 Wohnhäuser und 20 Scheunen zerstört Einweihung der Neuen Synagoge am Busdorf Eröffnung Kaiser-Karl-Hallenbad Fernsprechnetz (22 Teilnehmer) Städtische Sparkasse Gründung E-Werk Erhebung zum Erzbistum als Zentrum der mitteldeutschen Kirchenprovinz Gründung Westfälisches Landestheater Synagogenbrand Erster Luftangriff Zerstörung 85% Wiederaufbau Im Rahmen des „Ostwestfalenplanes“ Industrie- und Gewerbeansiedlung in P. „Stadtsanierung“ Diözesanmuseum Paderborn (G.Böhm) Kommunale Neugliederung: Paderborn wird Großstadt, Kreis Paderborn Pfalzneubau (G. Böhm) fertiggestellt Neubau Stadthalle „Paderhalle“ im historischen Stadtkern Neubau Liborigalerie am Kamp Neubau Sparkasse im Schildern unter Einbeziehung der historischen Fassade FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 26 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.2 Siedlungsgenese Vorstellungen über Aussehen und Struktur historischer baulicher Anlagen und städtebaulich-räumlicher Zusammenhängen reflektieren wir in unserem Bewusstsein aus den uns zugänglichen zeitgenössischen Quellen. Die zwangsläufig vorhandenen Lücken, sei es aus der Unmöglichkeit heraus sämtliche Überlieferungen zu überschauen, oder sei es aufgrund der mit Sicherheit tatsächlich vorhandenen Unvollständigkeit der auf uns überkommenen Quellen, werden durch vergleichende Interpretation zu analogen Vorgängen oder Anlagen geschlossen, es werden also Thesen auf der Grundlage abrufbaren Wissens sowie heutiger Vorstellungen erstellt. Die Ergebnisse der Interpretationsbemühungen sind in nicht unerheblichem Maße abhängig von der jeweiligen Fachrichtung des Interpreten. „So ist es Historikern kaum möglich, die Darlegungen der Kunsthistoriker, Bauhistoriker und Archäologen in ihrer Aussagefähigkeit und Zuverlässigkeit zu beurteilen, und die Bau- und Kunsthistoriker haben es schwer, die historischen Quellen und Darstellungen in ihrem Gehalt zu würdigen.” (Günther Binding 1996; Vorwort) In Paderborn ist besonders eine Kontinuität augenfällig die darin besteht, dass sich die zeitgenössischen Vorstellungen von der Siedlungsentwicklung ständig geändert haben. Aufgrund der noch kaum überschaubaren immensen Informationsfülle sowie zahlreicher ungeklärter Fragen, insbesondere zur Struktur und frühmittelalterlichen Funktion des Abdinghofgeländes (vor Bischof Meinwerk) wäre es vermessen zu glauben, dass dieser Wandel der Interpretation zu einem jähen Ende gekommen sei. Vielmehr ist man noch weit davon entfernt, eine schlüssige Gesamtdarstellung zur Siedlungsgenese entwerfen zu können, soweit das überhaupt möglich sein wird. Die vorliegende Arbeit mit Schwerpunkt Archäologie und Bauhistorie ist selbst nicht als Forschungsprojekt zu sehen, sondern hat die komprimierte Darstellung vorhandener Informationen zum Ziel. Es wird in diesem Kapitel daher lediglich ein Überblick über aktuelle Diskussionsschwerpunkte bis zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses gegeben. Dieser Überblick wird durch einzelne Beobachtungen ergänzt, die uns während der Bearbeitung wichtig erschienen und bisher weniger Beachtung fanden. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 27 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.2.1 Städteatlas Ein Beispiel für die schnellen Veränderungen im Erkenntnisstand zur Siedlungsgenese ist die Karte im Städteatlas. Diese ist heute zu diesem Thema praktisch unbrauchbar. Die hier innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer angegebenen „Entwicklungsringe“ sind entweder eindeutig widerlegt, oder mindestens unbeweisbar und fragwürdig. Der Mauerverlauf südlich der KampStraße, der aufgrund von „Beobachtungen“ ORTMANN´s in die Karte übernommen wurde, konnte bereits 1994 bei der Kamp-Grabung als völlig haltlos enttarnt werden (MOSER, GrabungsKAMPagne S.25 f). Frühere WesternTore im Verlauf der Westernstraße sind durch keinerlei Befunde gestützt und völlig spekulativ. Immunitätsmauer Der heutige erkennbare Verlauf der südlichen Immunitätsmauer des Abdinghofes ist stadtgeschichtlich sehr jung und steht auf einem verschütteten Steinbruch. Die ursprüngliche Grenze reichte nach urkundlicher Überlieferung bis an den Hellweg, dessen genauer Verlauf aber unserer Meinung nach noch nicht schlüssig geklärt werden konnte. Abdinghof Domburg Schildern 1.5.2.2 Der im Städteatlas eingetragene Domburgverlauf ist wohl in dieser Form spätestens ab dem 15. Jahrhundert zutreffend, für die karolingische Zeit aber mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht. Weiterführende Erkenntnisse sind durch die noch laufende wissenschaftliche Arbeit von M.MOSER zu erwarten. Das nördlich gelegene Osttor der Domburg ist durch angebliche Befunde seinerzeit wahrscheinlich gemacht worden, jedoch haben auch diese Beobachtungen sich bei genauerer Betrachtung als irrig erwiesen. Auch kann der südwestliche Zugang über den Schildern kaum als ursprünglich angesehen werden. Neben städtebaulichen Erwägungen, die einen Zugang an der höchsten Stelle der Burg bereits ausschließen sollten, stehen dem erhebliche Mauerstrukturen mitten in der Straße entgegen. Bei Kanalarbeiten um 1930 dokumentierte ORTMANN (u.a. S.64) im rechten Winkel zum Haus Schildern 8 eine ca. 3 Meter breite querliegende Mauer. Ein weiterer Befund ist 1967 während Kabelverlegearbeiten festgehalten worden. Vor den Häusern Schildern 10/12 bzw 17/19 befand sich in ca. 1,40 m Tiefe mitten in der Straße in WORichtung eine etwa 1m breite und 5-6 m lange Mauer. Beide Zeichner inkorporierten nun unabhängig voneinander ihren Befund jeweils in einen Torentwurf, jedoch lassen sich beide Befunde mit einem Torgebäude schwerlich zur Deckung bringen. Immerhin wurde bei der Beobachtung 1967 vor den Häusern 10/12 in 1,40 m Tiefe Kieselpflaster festgestellt. Aktuelle Dokumentation des Museums in der Kaiserpfalz Die aktuellen Erkenntnisse zur Stadtgeschichtsforschung werden laufend unter der Leitung von M.WEMHOFF zusammengetragen. Die Interpretation zur Siedlungsgenese zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses ist aus den folgenden Karten ersichtlich: FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 28 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.2.3 Zusammenfassende Einführung zum Dom- und Pfalzbereich sowie zum Abdinghofgelände Der Forschungsstand zum Pfalz-/ Dombereich einerseits, sowie zu den Abdinghof-Bauten andererseits, ist ausgesprochen unterschiedlich. Während im Pfalzbereich durch die Ausgrabung WINKELMANNS in den Jahren 1964-1971 und 1974-1977, deren umfangreiche Dokumentation seit 1994 neu aufgearbeitet worden ist, sowie im Dombereich mit der Ausgrabung durch LOBBEDEY 1978/80 ein „Quantensprung“ der Forschung vollzogen werden konnte, steht dieser für die Darstellung der Baugeschichte der Abdinghof-Bauten noch aus. Zusammenfassende Einführung zum Dom- und Pfalzbereich ab 777 bis 1036: Pfalzgelände Funktion und Versorgung einer Pfalz Kristallisationspunkt für die Burg Karls des Großen war im 8. Jahrhundert unzweifelhaft das engere Umfeld des heute wieder bekannten Pfalzgeländes. „Aus zahlreichen, dicht nebeneinanderstehenden Pfostenlöchern, die für die früheren Schichten dokumentiert sind, lässt sich eine ausgedehnte Holzbebauung auf dem Gelände vor Baubeginn der karolingischen Burg erschließen. Nach der Zerstörung dieser hölzernen Bebauung wurde der rechteckige Saal, die aula regia, und die erste königliche Kapelle, die Salvatorkirche, errichtet.“34 Zunächst wird in der Literatur allgemein festgestellt, dass die Ersterwähnung der Paderborner Pfalz im Jahre 777 im Zusammenhang mit der ersten fränkischen Reichsversammlung auf ehemals sächsischem Gebiet bereits eine funktionsfähige Anlage voraussetzt.35 Die Versorgung und Instandhaltung einer Pfalz wurde durch einen aus dem hohen Adel stammenden Verwalter (iudex / actor dominicus) organisiert. „Ihm unterstanden wohl auch die Verwalter, die maiores oder meier, der einzelnen Wirtschaftshöfe, d.h. der Tafelgüter der Pfalz. Zugleich war die Pfalz auch administrativer Mittelpunkt des umliegenden Forstes ... .”36 Der iudex / actor dominicus verwaltete den Fiskalbezirk, ein von Karl dem Großen geschaffenen größeren Wirtschaftsbezirk. Die von einem meier verwaltete Unterabteilung, ein fiscus, bestand wiederum aus mehreren villae.37 Karl der Große hat kurz vor 800 für die mit der Verwaltung der karolingischen Tafelgüter betrauten Amtleute (iudices, villici, maiores) eine Verordnung erlassen, um die Versorgung zu sichern und Missstände zu beseitigen. „ ´Was wir oder die Königin oder unsere Beamten (ministeriales), der Senneschall und Schenk (sinescalcus et butticularius), auf unseren oder der Königin Auftrag den Amtsleuten (iudices) befohlen haben, müssen diese genau erfüllen, ... ´Jeder iudex hat sein servitium voll ... zu leisten´ und in guter Qualität ... einzubringen; er hat für die Instandhaltung der königlichen Höfe zu sorgen und gegen deren wirtschaftliche Schädigung oder Verfall rechtzeitig einzugreifen 34 Sveva Gai: Die Pfalz Karls des Großen in Paderborn; In: Stiegemann/ Wehmhoff (Hrsg.) Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Ausstellungskatalog) Bd.3 S.183 35 vergl.u.a. Stadtgeschichte Bd. I 36 Binding 1996, S.39 37 vergl. Haberkern/ Wallach; Hilfswörterbuch für Historiker FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 29 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW und darauf zu achten, daß immer die notwendigen Vorräte vorhanden sind und die Weinberge gut bearbeitet werden.”38 „In der Regel sind in einem Fiskalbezirk, der sich wohl an Gaue oder Marken anlehnte, aber mit deren Grenzen nicht identisch war, einem Haupthof (curtis, villa capitanea) mehrere Nebenhöfe (mansioniles) und abhängiges, in Huben eingeteiltes Zinsland zugeordnet. ... Dem Haupthof war zumeist eine königliche Eigenkirche beigegeben, die später häufig zur Pfarrkirche wurde.”39 „Grundelement und in karolingischer Zeit Ausgangspunkt einer Pfalz war der Wirtschaftshof ... .“40 Anders gesagt sind karolingische Pfalzen „ ... nichts anderes als mit einem palatium ausgestattete Wirtschaftshöfe gewesen.“41 Grundsätzlich sollte in Paderborn davon ausgegangen werden, dass dieser Haupthof wenigstens anfangs innerhalb der Burg lag, so dass auch hier die Einzelelemente einer Pfalz: Saalbau, Wohnbereich, Pfalzkapelle, Wirtschaftshof und Befestigung nachgewiesen sind. In Paderborn haben wir zudem die Besonderheit, dass die erste königliche Eigenkirche, die Salvatorkirche, nicht nur Pfalzkapelle, sondern auch 42 Salvatorkirche „bedingt durch die Lage im gerade eroberten heidnischen Stammesgebiet“ Bau Ia/Ib gleichzeitig Missions- und Pfarrkirche war, wovon der südlich der Kirche (unter dem heutigen Dom) aufgedeckte Friedhof eines größeren Sprengels mit Bestattungen auch von Frauen und Kindern zeugt.43 Aufgrund des Gesamtbefundes der Grabungen von WINKELMANN im Pfalzbereich und der Domgrabungen durch LOBBEDEY ist „eine Deutung von Bau Ia/ Ib als der Salvatorkirche in Karls Paderborner Pfalz der Jahre 777 bis vielleicht 799 nicht zu bezweifeln. Demgegenüber hat die lange vor den Pfalzgrabungen entstandene These, die Kirche von 777 habe an der Stelle der Abdinghofkirche westlich des Domes gelegen, ihre Überzeugungskraft verloren. Eine karolingerzeitliche Entstehung von Abdinghof Bau A [, also des ersten Kirchengebäudes auf dem Areal der Abdinghofkirche (s.u.),] ist zu unwahrscheinlich.“44 Die zuvor veröffentlichten Rekonstruktionen von Bau I im Pfalzgelände wurden nach der Domgrabung durch LOBBEDEY korrigiert. „Der von Friedrich ESTERHUES ergrabene und als südlicher Nebenchor gedeutete Apsidenraum gehörte zu einer besonderen Kapelle. Die mittlere und die nördliche Apsis der bisherigen Rekonstruktion haben offenbar nie bestanden, ebenso wenig wie die von Esterhues rekonstruierte Südwand der Kirche. ... Die durch die Grabungen Winkelmanns gesicherte Westwand und Nordwand einer Kirche fügen sich dagegen mit den Befunden der Domgrabung anscheinend gut zusammen.“45 Nach der Überlieferung ist die Kirche Ia bei einem sächsischen Aufstand 778 zerstört worden. „Beim Wiederaufbau nach der Zerstörung von 778 blieb der Grundplan der 777 fertiggestellten Anlage nach allem, was heute ergraben ist, erhalten. Der Saalbau der Pfalz wurde mit dem alten Grundriß und leicht erhöhtem Fußboden neu erstellt.“46 Die „ ... Erneuerungsarbeiten an der Salvator-Kirche sind nur ansatzweise zu bestimmen. Sie musste zumindest neu verputzt und farbig gefasst werden. ... Parallel zur Nordwand der Kirche wurde 38 Binding 1996 S.40f Binding 1996 S.42 40 Binding 1996 S.60 41 Zitat nach Gauert, siehe Binding 1996, S.64 42 Balzer in: Stadtgeschichte 1999, Bd. I S.17 43 vgl. u.a. Stadtgeschichte 1999, Bd. I S.32 44 Lobbedey 1986 Bd.1 S.142 45 Lobbedey 1986 Bd.1 S.141 46 Stadtgeschichte 1999, Bd. I S.31 39 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 30 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW – in ihrem Westteil – eine Mauer ergraben und der zweiten Bauphase [Ib] zugewiesen. Sie wird als Rest eines Kreuzganges gedeutet, ...“47 was jedoch als nicht endgültig bewiesen angesehen werden kann. Bauten der karolingischen Pfalzanlage (Zeichnungen Landschaftsverband) Neben der Nutzung als Pfalz- und Pfarrkirche kam also vermutlich noch die Nutzung als Klosterkirche hinzu. „Nach allem, was bekannt ist, nahm das Kloster bei der Salvator-Kirche die Missionare des Bistums Würzburg auf, dem nach Auskunft der Translatio S. Liborii vom Ende des 9. Jahrhunderts die Paderborner Kirche unterstellt war, bevor sie Sitz eines eigenen Bischofs wurde.“48 „An der Westseite der [Salvator] Kirche lassen mächtige Fundamentmauern einen Westbau von gestrecktem Grundriß erkennen, der an die Kirche anschloß. Der Befund scheint zusammen mit dem Kirchenbau schon zu einem ersten Baukonzept zu gehören.“ 49 Nordwestlich der Salvatorkirche lag die Aula (aula regia) der Pfalz. 47 Stadtgeschichte 1999, Bd. I S.31f Stadtgeschichte 1999, Bd. I S.32 49 Sveva Gai: Die Pfalz Karls des Großen in Paderborn; In: Stiegemann/ Wehmhoff (Hrsg.) Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Ausstellungskatalog) Bd.3 S.187 48 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 31 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW „Das in seiner unteren Steinlage und somit in seinem Umriß heute noch erhaltene 31 x 10 m große Aulagebäude stellt in seiner Bausubstanz den Kernbau der letzten Phase dar.“ 50 Es war vermutlich ein zweigeschossiger Bau mit einem „kellerartigen Bereich des Untergeschosses“ (GAI). Der sogenannte Ostflügel war vermutlich eine Rampe ins Obergeschoss. „Aula und Kirche stehen sich in der neu errichteten Pfalz als isolierte Gebäude gegenüber, die keine bauliche Verbindung zueinander haben. Eine dichte Bebauung aus Holzkonstruktionen erstreckte sich sehr wahrscheinlich auf der restlichen unbebauten Fläche um die Steingebäude, ... .“ 51 Bau IIa/Basilika „Im Gegensatz zu dem zuletzt gültigen Forschungsstand hat sich gezeigt, dass zwischen der Pfalzkirche Bau Ia/Ib und dem Vorgängerbau des Domes Bau IIa keine Kontinuität des Platzes besteht, sondern beide nebeneinander liegen. ... [Es] rückt mehr die Neugründung einer Kirche neben der bisherigen in den Vordergrund.“52 Bei dieser dreischiffigen Basilika handelt „ ... es sich um den ersten kirchlichen Großbau im Dombereich“53, der südlich der Pfalzbauten und der alten Salvator-Kirche auf dem Hang erhöht und somit in beherrschender Lage errichtet wurde. Der Baubeginn wird von der Forschung nach 794 angenommen, also unmittelbar nach dem sächsischen Aufstand auf dem Sintfeld südlich von Paderborn54, bei dem offensichtlich auch die Kirche Ib nochmals zerstört wurde. Diese sowie die Aula der Pfalz wurden dann nach W. WINKELMANN zum dritten Mal wiedererrichtet55, also offensichtlich weitgehend zeitgleich mit dem Neubau der Basilika IIa. Die Gleichsetzung von Bau IIa mit der ecclesia mirae magnitudinis (Lorscher Annalen), also der ´Kirche von staunenswerter Größe´, wird als gesichert angesehen. Die Weihe erfolgte im Jahre 799.56 „Zudem rechnet die Forschung damit, dass auf den Paderborner Versammlungen des Jahres 799 das Bistum konstituiert wurde, dessen Kathedralkirche ja die ecclesia mirae magnitudinis wurde.“57 Papst Leo III Nach bisheriger Kenntnis bestand das bauliche Umfeld beim Treffen von Karl dem Großen und Papst Leo III. demnach aus der beschriebenen alten Aula, der neuen Basilika IIa und eventuell aus der noch parallel dazu bestehenden Kirche Ib. Nach Auskunft der Forschungsgruppe, die die Pfalzgrabung aktuell auswertet (MECKE / GAI), ist davon auszugehen, dass mit Fertigstellung der neuen Basilika die Kirche I nicht mehr existiert. Wichtig zu erwähnen ist noch die Tatsache, dass der Kirchengroßbau IIa, die ecclesia mirae magnitudinis, direkt auf dem ehemaligen großen Friedhof des gleichzeitig als Pfarrkirche dienenden Baues Ia/Ib errichtet wurde. Während der Errichtung von IIa erfolgte nach archäologischem Befund eine aufwendige nachträgliche Umbettung von Gräbern dieses ehemaligen Friedhofes.58 Hathumar Die eigentliche Bistumserrichtung erfolgte erst im Jahre 806. Der erste Bischof 806-815 Hathumar, „in der Würzburger Domschule erzogen und zum Kleriker Aula der karol. Pfalz 50 Sveva Gai: ebenda Bd.3 S.185 Sveva Gai: ebenda Bd.3 S.187 52 Lobbedey 1986 Bd.1, S.142 53 ebenda S.144 54 vergl. Balzer in Lobbedey 1986 Bd.1 S.93 55 Winkelmann, Ausgrabungen S.210 und 122 56 vergl. Balzer in Lobbedey 1986 Bd.1 S.93 57 Lobbedey 1986 Bd.1 S.144f 58 vergl. Lobbedey 1986 Bd.I S.143 51 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 32 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW ausgebildet“59, regierte jedoch lediglich nur weitere 9 Jahre. Bauliche Maßnahmen unter Bischof Hathumar sind nicht überliefert. Sein Nachfolger im Badurad Jahre 815 wurde Bischof Badurad. Unter Badurad erfolgten wichtige 815-862 Veränderungen. Er ließ schnell Pfarrkirchen im ganzen Bistum errichten, „die Hauptkirche aber mit außerordentlichem Schmuck und großem Werk ... Domkloster vollenden“.60 Weiterhin werden ihm die Errichtung des archäologisch teilweise nachgewiesenen Domklosters zugerechnet. „In die Zeit um 800 lassen sich noch einige weitere südlich der [späteren] Ikenberg- Kapelle liegenden Mauern datieren, deren Ausrichtung sich nicht an der Aula, sondern an der Kirche orientieren.“ 61 In sehr guter Qualität bemalte Wandputzreste führen zu der Interpretation, dass hier der Klausurbereich des 799 schriftlich tradierten Klosters lag. „Die [Bau-]Maßnahmen Badurads sind dann genauer mit der Einführung und Durchsetzung der Reformbeschlüsse der Aachener Synode von 816 mit ihrer Kanonikerregel ... gleichzusetzen.“62 Nach dieser Regel mussten sich die Kanoniker in einem nur durch ein Tor zugänglichen abgeschlossenen Bereich zu einem gemeinsamen Leben mit Schlaf- und Speisesaal verpflichten. Eine bauliche Trennung zwischen dem östlichen und westlichen, also dem öffentlichen Pfalzbereich und dem klösterlichen Klausurbereich, wird daher angenommen. Mit den folgenden zu beschreibenden Baumaßnahmen nimmt diese Trennung auch Gestalt an. Bau IIb/ West Die in den Schriftquellen überlieferte Bautätigkeit am Dom (s.o.) ordnet querhaus LOBBEDEY beweisbar der Errichtung des großen Westquerhauses (34,6 x 9,8 Meter) mit Westapsis und Ringkrypta unter dem Westchor zu.63 Diese Baumaßnahmen werden im Zusammenhang mit der Überführung der Reliquien des hl. Liborius von Le Mans nach Paderborn im Jahre 836 gesehen. Um die Reliquienverehrung als Kult zu entwickeln und dem eigentlichen Ziel, nämlich die tiefgreifende Missionierung der Sachsen, gerecht zu werden, wurde diese repräsentative bauliche Hülle nach dem Vorbild von Fulda geschaffen. Dabei diente das Querhaus als Eingangshalle und Aufenthaltsort der Pilger, die durch den mit dem Querhaus in annähernd gleicher Höhe liegenden halbkreisförmigen Stollen an dem Heiligengrab vorbeiziehen konnten (LOBBEDEY). Aula Auch die Aula erhält unter Badurad einen neuen Westanbau sowie eine ins Obergeschoss führende südwestliche Außentreppe. Im Zusammenhang mit diesem Westanbau ist eine südlich parallel zur alten Außenwand laufende Mauer zu sehen. „Die Mauer kann als Fundamentierung eines erhöhten, wohl mit einem Pultdach ausgestatteten Ganges auf der Höhe des Obergeschosses verstanden werden, der vom Ostflügel aus die Verbindung zum Westanbau außerhalb der Aula gewährleistete.“ 64Der erweiterte Ostflügel der Aula bildete die bauliche Verbindung zwischen dem neuen Westquerhaus des Domes und der Aula, also die Verbindung des sakralen mit dem profanen Bau. Der in OstWest-Richtung zu erkennende Gang zwischen Westquerhaus des Domes und Ostflügel der Pfalz ist wohl nie als solcher genutzt worden, da hierfür lediglich eine „Raumhöhe“ von 1,40 m errechnet wurde (GAI). Die Bauperiode IIc Bau IIc betrifft den Umbau des Westchores mit gleichzeitiger räumlicher Erweiterung Biso (887-909) der Krypta. Diese Baumaßnahmen werden Bischof Biso zugeschrieben. 59 Balzer in: Stadtgeschichte Bd. I S.47 Translatio sancti Liborii, 9.Jh.; Cohausz 1966 S.51; zitiert nach Balzer in Lobbedey 1986 Bd.1 S.114, Schriftüberlieferung T 13 61 Sveva Gai: In: Stiegemann/ Wehmhoff (Hrsg.) Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Ausstellungskatalog) Bd.3 S.189 62 Balzer in: Stadtgeschichte Bd. I S.48 63 Lobbedey 1986 Bd.1 S.148 64 Sveva Gai: In: Stiegemann/ Wemhoff (Hrsg.) Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Ausstellungskatalog) Bd.3 S.190 60 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 33 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Darüber gibt es zwar keine direkten schriftlichen Nachrichten oder Befunde, die dies bestätigen, aber die überlieferte Öffnung des Grabes von Bischof Badurad im Jahre 889 wird als Indiz für Baumaßnahmen an der Westkrypta angesehen, was jedoch die nicht bewiesene Lage des Grabes in bzw. an der Westkrypta voraussetzt.65 Eine Besonderheit der neuen Krypta ist ein direkter westlicher achsialer Zugang von außen. „Die Apsis wurde mit einem rechteckigen Mauerblock ummantelt.“66 Bau IId Auch die zeitliche Zuordnung der Baumaßnahmen am Dom unter Bischof Bf. Rethar Rethar (983-1009) kann nicht auf der Basis konkret datierbarer Einzelbefunde erfolgen. „Entscheidend für die Datierung ist die durch den Befund verläßlich gesicherte unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge von Bauperiode IId, Brand und Neubau III.“67 Der Neubau III muss klar mit dem Meinwerk –Dom nach 1009 (s.u.) gleichgesetzt werden, bei dem Brand kann es sich nur um die Katastrophe aus dem Jahre 1000 handeln. Eine Vor- oder Späterdatierung muss ausgeschlossen werden.68 Bischof Rethar nun lässt den karolingischen Ostchor abbrechen und durch einen Neubau mit Hallenkrypta ersetzen. Dieser Neubau kann vor dem Abriss der Westkrypta angenommen werden, da ein Aufbewahrungsort für die Reliquien notwendig war.69 Nach dem Abbruch des Westchores mit Krypta aus Bauperiode IIc wurde „etwa in seiner Mittelachse ... ein Ostwestfundament angelegt. Nach dessen teilweisem Ausbruch mauerte man in gleicher Flucht eine Reihe von Rechteckfundamenten. Der Weiterbau unterblieb. ... In unmittelbarem Anschluß an die nicht genauer deutbaren (Bau IIx) Baumaßnahmen dieser Periode IIx wurde ein Westbau errichtet, westlich des Westbau Dom weiterbestehenden ausladenden Westquerhauses. Eine dreischiffige Eingangshalle mit Westportal war von vorgeschobenen Westtürmen flankiert. ... Auch im Aufgehenden von Langhaus und Querhaus müssen Baumaßnahmen stattgefunden haben.“70 Aula Ab Ende des 9. Jahrhunderts sind auch umfangreiche Veränderungen an der Aula nachweisbar. Im Zusammenhang mit dem neuen Westbau des Domes wird der sogenannte Westflügel der Aula nach Süden verlängert und bildet jetzt die Verbindung zwischen Pfalz und Dom. Hier entsteht auch eine Ost-West gerichtete neue Eingangssituation, die in einen zwischen Pfalz und neuem DomWestbau entstandenen Binnenhof führt. Der alte Ostflügel, also die ehemalige Verbindung zwischen Aula und Dom, war bereits abgerissen. „Das Platzniveau wurde um 40-50 cm erhöht, und erst jetzt wurde das stufenartige Podest, der sog. Thron der früheren Forschung, angebaut.“71 Die Abgrenzung zwischen Pfalz- und Klausurbereich ist nicht genau fassbar. „Die Mauerstrukturen nordöstlich der Aula, die für die vorausgegangenen Phasen als Klausurgebäude interpretiert wurden, erfahren einen deutlichen Umbau.“ 72 Die Baumaßnahmen am Westbau des Domes waren noch nicht abgeschlossen, insbesondere fehlte noch ein Fußboden, als ein Brand, der der große Stadtbrand Änderung der Westkrypta 65 vergl. Lobbedey 1986 Bd.1 S.157 Fußnote 199 und Balzer ebenda T31a S.119 und S.99 Fußnote 68a Lobbedey 1986 Bd.1 S.319 67 Lobbedey 1986 Bd.1 S.159 68 Argumentation siehe Lobbedey 1986 Bd.1 S.159f 69 vergl. Stadtgeschichte 1999 Bd.1 S.70; Balzer 70 Lobbedey 1986 Bd.1 S.319 71 Sveva Gai: In: Stiegemann/ Wemhoff (Hrsg.) Kunst und Kultur der Karolingerzeit (Ausstellungskatalog) Bd.3 S.193 72 Sveva Gai: ebenda 66 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 34 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Stadtbrand im Jahre 1000 (Bau IIe) aus dem Jahre 1000 sein muss, die Kirche und auch die Pfalz zerstörte.73 Ein wichtiger Widerspruch von archäologischem Befund und Schriftüberlieferung besteht nun darin, „dass der weitaus bedeutendere Anteil von Rethars Bautätigkeit ... [zwingend] bereits vor das Jahr 1000 zu setzen ist. Lediglich die wenigen isolierten Befunde der Bauperiode IIe lassen sich zeitlich mit der Nachricht verbinden, dass Rethar den Dom nach dem Brand wieder aufgebaut habe. ... Der Putzbefund in der Krypta IId beweist, daß der Dom auch vor 1009 nicht vollendet und wahrscheinlich nicht einmal ganz in Gebrauch genommen wurde.“74 Die vita meinwerci berichtet bei dem Amtsantritt von Bischof Meinwerk im Jahre 1009 von einem nachlässig aufgeführten Neubau, der nur bis zur Fensterhöhe gediehen sei (s.u.).75 Demgegenüber ist es nicht einfach zu erklären, wie im Jahre 1002 am 10. August die Krönung Kunigundes, der Frau Heinrichs II, und die gleichzeitige Weihe der Königstochter Sophia zur Äbtissin von Gandersheim in einem zwei Jahre zuvor völlig zerstörtem Dom stattgefunden haben können. „Da andere hierfür in Frage kommende Sakralbauten in der Stadt noch nicht vorhanden waren, blieb nur eine provisorische Teilwiederherstellung des Domes.“76 LOBBEDEY vermutet, dass der bei dem Brand im Jahre 1000 noch unfertig gewesene Westbau möglicherweise weniger zerstört war und mit relativ geringem Aufwand als Interimskirche ausgebaut werden konnte. Dass die Wahl des Ortes politisch bedingt erfolgte, nämlich die Inbesitznahme der Pfalz Karls des Großen durch Heinrich II symbolisierte, hat Hermann BANNASCH bereits 1972 dargelegt.77 In der politisch bedingten Ortswahl sieht die Geschichtsschreibung die Begründung für die Akzeptanz von Provisorien bei den Krönungsfeierlichkeiten, denn als Alternative stand ja immerhin das eine Tagesreise entfernte Corvey zur Verfügung. 73 Bei der Pfalzgrabung durch Winkelmann wurden eindeutige Brandspuren aufgedeckt, die aufgrund von Gefäßresten und Münzen Ottos III. in das Jahr 1000 datiert werden konnten; vergl. u.a. Stadtgeschichte 1999 Bd.I S.71 74 Lobbedey 1986 Bd.1 S.160 75 siehe Balzer in Lobbedey 1986 Bd.1 S.124, Quellentext T50 nach Trenkhoff 1921 76 Lobbedey 1986 Bd.1 S.160 77 Bannasch 1972; Das Bistum Paderborn unter den Bischöfen Rethar und Meinwerk (983-1036), S.134ff FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 35 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Westbau und Ostkrypta Bischof Rethar (Zeichnung Landschaftsverband) Meinwerk 1009-1036 Otton. Pfalz Dom Bau III 78 79 80 Die Nachfolge des am 23. Januar 1002 verstorbenen Otto III. war nicht unumstritten, jedoch war Bischof Rethar offensichtlich Parteigänger Heinrichs. Eine Besonderheit der Kirchenpolitik Heinrich II. bestand darin, die freie Bischofswahl der Bistümer nicht zu bestätigen. Bischof Rethar erhielt die Bestätigung der Privilegienurkunde Ottos III. durch Heinrich II. unter Ausnahme eben dieser freien Bischofswahl beim Quedlinburger Hoftag am 2. April 1003.78 Als am 6. März 1009 Bischof Rethar starb, hielt sich Heinrich II. mit seinem Hof gerade in Goslar auf. Hier wurde bereits eine Woche später Meinwerk zum neuen Bischof von Paderborn geweiht, was u.a. als sicheres Indiz dafür gilt, dass die Ernennung Meinwerks vorbesprochen worden war. Meinwerk war mit dem Königshaus versippt und verfügte über umfangreiche Besitzungen, die die ökonomische Basis für seine erheblichen baulichen Aktivitäten in Paderborn bildeten. Die offensichtliche menschliche Nähe zwischen Heinrich II. und Meinwerk, die auch dem Bistum Paderborn zugute kam, resultierte wohl bereits aus der gemeinsamen Schulzeit an der Domschule in Hildesheim.79 Bischof Meinwerk gestaltete das gesamte Pfalz- und Domgelände neu. Er ließ die alte Aula abreißen und die Fläche zu einem Platz planieren. Nach Norden verschoben, direkt hinter der Burgbefestigung, entstand die neue heute so genannte ottonisch- salische Pfalz, deren Grundmauern wesentlicher Bestandteil des heutigen Museumskomplexes sind. Sie bestand aus einem zweigeschossigen Saal von 44,48 m x 16,17 m. „In der Achse des Saales lag nach Osten ein Zwischentrakt, an den östlich eine doppelgeschossige Palastkapelle anschloß,“80 und die heute ´Ikenbergkapelle´ genannt wird. Von dem Zwischentrakt erstreckte sich nach Süden ein zweigeschossiger Wohntrakt. Den südlichen Abschluss bildete die heute noch vorhandene Bartholomäuskapelle, die im baulichen Verband mit der Pfalz steht. „Die Hauptkirche hat er mit sehr großem Aufwand und einzigartiger Freigebigkeit gebaut; er errichtete sie schnell und freudig von Grund auf, nachdem er am dritten Tage seiner Ankunft den mittelmäßigen Bau abgerissen vergl. Balzer, In: Stadtgeschichte 1999 Bd.1 S.73 vergl. Balzer, In: Stadtgeschichte 1999 Bd.1 S.77ff Balzer, In: Stadtgeschichte 1999 Bd.1 S.89 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 36 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW hatte, den sein Vorgänger begonnen und nachlässig bis zur Fensterhöhe aufgeführt hatte. ...“.81 Nach dem Grabungsbefund wurde der im Kern noch bestehende karolingische Vorgängerbau einschließlich des Westquerhauses IIb und des von Rethar begonnenen Westwerkes IId tatsächlich abgebrochen. „Entgegen dem Wortlaut der Meinwerk-Vita, die von einem Neubau von Grund auf spricht, benutzt Bau III nicht nur die Fundamente vom Langhaus des Vorgängers weiter, sondern behält auch die Umfassungsmauern der Ostkrypta bei.“82 Die Baufluchten des Langhauses werden damit unverändert übernommen. Der Neubau Meinwerks unterschied sich im Grundriss wesentlich von dem Vorgänger darin, dass anstelle des abgerissenen Westquerhauses nunmehr im Osten ein Querhaus errichtet wurde. Die Verlängerung des Querhauses nach Süden bildete eine zweigeschossige Kapelle. Die in den Neubau integrierte Krypta seines Vorgängers Rethar wurde im Westen verkürzt und erhielt im Osten einen rechteckigen äußeren Abschluss. Die Gesamtlänge des Meinwerk- Domes blieb hinter dem Dombaukomplex aus der Zeit Rethars zurück, der ja im Kern aus der karolingischen Basilika, dem Westquerhaus Badurads und der vor dem Brand im Jahre 1000 begonnenen großen westlichen Eingangshalle mit flankierenden Türmen sowie dem neuen Ostchor bestand. Meinwerk übernahm von Rethar das Konzept des westlichen Haupteinganges, der jetzt durch Stufen noch überhöht wurde: „drei Stufen vor dem Portal ermöglichen ein Hinaufschreiten. Dies ist mehr als der Niveauunterschied erfordert. Im Inneren erfolgt daher ein zweistufiger Abstieg.“83 Dies ist nach LOBBEDEY zusammen mit dem durchgängigen Mittelstreifen des Musterfußbodens im Dom ein deutlicher Hinweis auf eine Prozessionsstraße. Der Westeingang ist Teil eines ´klassischen´ ottonischen Westwerkes. „Den Kern bildet stets ein quadratischer, mit einer Holzdecke überspannter Mittelraum, der als Eingangsraum diente. Darüber erhebt sich ein Obergeschoß, das von hochliegenden Fenstern Licht erhält. Ein Glockengeschoß überhöht das Mittelquadrum turmartig. Sowohl im Unter- wie im Obergeschoß wird der Mittelraum von Seitenräumen flankiert.“84 In den äußeren Ecken zwischen Mittelquadrum und flankierenden Seitenräumen waren runde Treppentürme integriert. Südwestlich des Domes Bischofspalast befand sich nach bestehender Auffassung der Bischofspalast Meinwerks. Das langrechteckige Gebäude erstreckte sich vom heutigen Diözesanmuseum bis zum sogenannten „Fürtsenhof“ (Am Abdinghof 1). Er bildete den südlichen Abschluss des westlich vor dem Dom geschaffenen Platzes. Bei der Kellerbegehung im Rahmen der ´Archäologischen Bestandserhebung´ konnten neue Erkenntnisse über die Struktur des Bischofspalastes85 und den westlichen Abschluss in Verbindung mit der Burg86 gewonnen werden. 81 zitiert nach Balzer, in: Lobbedey 1986 Bd.1 S.124, Quellentext T50 nach Trenkhoff 1921 Lobbedey 1986 Bd.1 S.167 83 Lobbedey 1986 Bd.1 S.168 84 Lobbedey, zitiert nach Stadtgeschichte 1999 Bd.1 S.85f 85 vgl. Kapitel Ausgewählte historische Keller 86 vgl. „Archäologische Bestandserhebung“: Befunde zur Burg in der Zusammenschau 82 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 37 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Dom und Pfalz Bischof Meinwerks (Zeichnung Landschaftsverband) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 38 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.2.6 Felsplateau / Rathausplatz 14 [Autorin: MARIANNE MOSER] Die Ausgrabung auf dem Gelände der Commerzbank 1997 und 1998 erbrachte eine Fülle von interessanten und historisch gut auswertbaren Befunden. An dieser Stelle soll allerdings einmal nur betrachtet werden, was als unterstes zutage trat, unter all den Erdschichten und Mauern. Im südwestlichen Teil lag ein vermutlich lokaler (seine Ausdehnung wurde nur in zwei Himmelsrichtungen verfolgt) Steinbruch, in den bereits im 12. Jahrhundert ein Gebäude eingesunken war. Obwohl seine Sohle nicht ergraben werden konnte, weiß man also, dass er vor dem 12. Jahrhundert angelegt wurde. Dem Versuch an der Nordkante entlang nach unten zu graben verdanken wir einen einmaligen Blick auf die Geologie. Man kann anhand des senkrechten Schnittes durch den Fels die Besonderheiten des in Paderborn anstehenden Kalksteines studieren. Hierbei sei betont, dass es sich an dieser Stelle um eine der vielen möglichen Varianten von geologischem Schichtaufbau handelt. An anderen Ausgrabungsstellen in der Stadt zeigte sich ein anderes Gesteinsbild. Im Hinterhof der Commerzbank wechselte die Konsistenz des Felsens alle 20 bis 50 cm! Die zu erwartende Auflage von maisgelbem Lehm war bereits entfernt worden. Sie diente im Mittelalter schließlich als wichtiges Bauelement bei „Trockenmauern“. Darunter folgte ein dünnes Band festen Gesteins, aus dem man gut Mauersteine brechen kann. Das Band wirkt allerdings schon etwas angewittert. Hierunter lagen 0,5 m Kalkstein, der so fein in sich zersplittert war und soviel Lehmanteile enthielt, dass man ihn mit dem Fingernagel abtragen konnte: für Bauzwecke völlig ungeeignet. Erst wenn man sich durch diese unbrauchbare Schicht hindurchgearbeitet hatte, erreichte man eine Bank optimalen Ausgangsstoffes: fester, in Blöcken und glatten Kanten brechender Stein. Noch spannender als die Westseite mit ihrem Steinbruch war aber die Ostseite des Areals: hier lag nur Fels. Die gesamte Verwitterungsschicht war bereits abgetragen. Der Grabungsmannschaft gelang es als letztes Niveau eine beinahe ebene Fläche zu putzen, - sie reicht von 118, 63 m über NN im Norden bis 119, 29 m über NN 10 m weiter südlich. Sie wirkt wie ein gigantischer Steinfußboden (Abb.8) und es ist in der Tat nur Fels. Auf dem steinernen Untergrund im nordöstlichen Teil der Ausgrabungsfläche, also Richtung Kloster Abdinghof, fand sich ein Skelett. Es handelt sich um einen ost/west und beigabenlos bestatteten Mann. Er war nach naturwissenschaftlicher Analyse etwa 50 Jahre alt, hat keine schwere körperliche Arbeit verrichtet und lebte Ende des 9. oder zu Beginn des 10. Jahrhunderts87. Der Verlust des rechten Beins passierte post mortem und hängt mit der späteren regen Bautätigkeit auf dem Gelände zusammen. Der Schädel lag zerdrückt unter einer Mauer. Vielleicht war der Tote Teil einer größeren Bestattungsstelle und seine „Grabnachbarn“ wurden bei der intensiven Nutzung des Grundstücks bis in die Neuzeit weggeräumt.88 Er ruhte jedenfalls in einer minimal, nämlich an der tiefsten Stelle 5 cm, in den Fels eingetieften Kuhle. So kann er aber nicht bestattet gewesen sein. Es musste ihn Erde bedeckt haben. Bei Auffindung lag aber keine Graberde mehr über ihm sondern unmittelbar darauf eine dichte Abfolge von Schichten, die mit der 87 88 Dies führte schon zu der Spekulation, es könnte ein Mönch eines Vorgängerklosters von Meinwerks Abdinghofgründung sein. Dagegen spricht, dass die Ausgräberin Biologin ist und sicher auch einzelne menschliche Knochen erkannt hätte. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 39 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Nutzung der Gebäude zusammenhängt. Daraus lässt sich nun folgendes schließen. Irgendwann bevor der Mann starb, hatte jemand nach Steinen gegraben und an einer geologischen Schichtgrenze, an der sich die Steine leicht lösen, aufgehört. Es blieb ein Plateau zurück, auf dem sich im Laufe der Zeit Humus bildete, in den dann im 10. Jahrhundert ein Grab angelegt werden konnte. Der Abbau der Steine muss daher deutlich vor dem 10. Jahrhundert erfolgt sein. Andererseits macht gerade diese oben liegende Schicht einen gut verwendbaren Eindruck und man fragt sich, warum die Steinbrucharbeiter nicht noch bis auf die unbrauchbare Strate hinunter ausgebeutet haben. Hat also jemand aus anderem Grund hier in karolingischer Zeit oder früher eine künstliche Ebene geschaffen ? 1.5.2.5 Neue Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel von Kellerbegehung und Sichtung des archäologischen Altbestandes, beispielhaft dargestellt anhand einer Forschungsfrage [Autorin: MARIANNE MOSER] Die Ausgrabung am Kötterhagen 1995/96 erbrachte u. a. die Erkenntnis, dass das heute so organisch von der Paderborner Hochfläche zu den Paderquellen hin abfallende Gelände im Mittelalter völlig anders gestaltet gewesen sein muss. Auf dem Ausgrabungsareal ergab sich eine Vertiefung im Gestein von ungewöhnlich großen Ausmaßen (bis zu 60 m breit und 14 m tief). Zum Teil bebaut, zum Teil mit Lehm und Materialresten des anstehenden Kalksteines aufgefüllt, wurde sie als fortifikatorisch genutzter Steinbruch gedeutet.89 Das legt ihre Position unmittelbar südlich des vermuteten Verlaufs der Domburgmauer nahe90 (vgl. im folgenden Abb. 3). Ein solcher Graben ist nur sinnvoll, wenn er sich über weite Strecken vor der Befestigung entlang zieht. Dies durch weitere moderne Ausgrabungen beweisen zu können, käme einem glücklichen Zufall gleich; selten stimmen Bauabsichten und Forschungsvorhaben überein. Umso erfreulicher war die Tatsache, dass bei der akribischen Aufnahme jeder in Paderborn niedergelegten Baubeobachtung eine Reihe von weiteren Indizien zu dem am Kötterhagen aufkeimenden Verdacht auftauchten. Inzwischen sind mittels Datenbank in diesem Bereich nicht weniger als 30 Fundstellen zugänglich, mit Hilfe derer man Hinweise auf die kleinräumige Topographie südlich der Domburg gewinnen konnte. Zunächst waren da Unterlagen zu drei nie publizierten Untersuchungen an der Krumme Grube aufgetaucht. HANS BECK hatte 1960 im Gaukirchweg eine mächtige Mauer mit Geländeabfall nach Süden aufgedeckt und in zwei weiteren Sondagen westlich davon wiedergefunden. 91 KESSELMEIER beobachtete in den Wiederaufbaujahren unermüdlich jede Baustelle an der Straße Grube, der Nord-Süd-Verbindung zwischen Domplatz und Kamp. Elf Aufzeichnungen zu Felshöhen bzw. „grundlosen“ Schuttanfüllungen hat er hinterlassen: 89 MARIANNE MOSER, Ein Leben in der Tiefe oder verkehrte Welt in Paderborn?, in: Zwischen den Zeiten. Archäologische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters in Mitteleuropa. Festschrift Barbara Scholkmann, hg. von JOCHEM PFROMMER und RAINER SCHREG (Studia honoraria 15), Rahden 2001, 47. 90 URSULA HOPPE, Die Paderborner Domfreiheit. Untersuchungen zu Topographie, Besitzgeschichte und Funktionen, München 1975, 26. 91 Fundstellennummern 414–416. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 40 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW An der Straßenwestseite: Fundstellennummern 247, 280 Fundstellennummer 279 Fundstellennummer 282 Fundstellennummer 277 Fundstellennummern 144, 244 Fundstellennummer 281 An der Straßenostseite: Fundstellennummer 140 Fundstellennummer 243 Fundstellennummer 278 Grube 2: Fels in 0,5 m Tiefe Grube 4: 2,4 m breite Mauer Grube 6: keinen Fels in Ausschachtung zum Vorderhaus angetroffen. Grube 10: auch in 8 m Tiefe keinen Fels erreicht Grube 12: nur im nördlichen Drittel des Grundstücks Verfüllung, südlich Fels ! Grube 14: Fels in 1,5 m Tiefe. Grube 3: Felsausbruch mit Schutteinfüllung Grube 9: auch in 2,5 m Tiefe keinen Fels angetroffen, Gründung auf Betonplatte Grube 13/15: Fels in 2,5 m Tiefe (Keller mit Kloake, dort Fels in 5 m Tiefe). Eine Zusammenschau der Aufzeichnungen ORTMANNS und KESSELMEIERS sowie moderner Baubeobachtungen und Ausgrabungen erbrachte weitere Hinweise auf den Steinbruch entlang des Kötterhagen. Fundstellennummer 338 Kötterhagen Südseite: Fundstellennummern 079, 342 Kötterhagen Nordseite: Fundstellennummer 340 Fundstellennummern 341, 202 Fundstellennummer 339 Fundstellennummer 202 Fundstellennummer 202 Kötterhagen: vom Brauhaus (=Kötterhagen 17) bis zum Rathausplatz Felsen unter dem Pflaster Kötterhagen 8: Fels in 2 m Tiefe Kötterhagen 9: 4 m Kulturschichten mit Brandschichten, kein Fels Kötterhagen 11: Betonpfahlrost bis 16?m Tiefe Kötterhagen 12: 7 m tief gespundet Kötterhagen 13: Fels in 9,5 m Tiefe Kötterhagen 21: kein Fels erreicht. Die immense Hohlform, bei einer Ausgrabung entdeckt und vor das 11. Jahrhundert datiert, gab während und nach der Untersuchung Anlass, über ihre Zweckbestimmung und ihren „Auftraggeber“ zu spekulieren. Die Bestandserhebung hat eine solche Fülle von zusätzlichen Belegen, zumindest zur vermuteten Erstreckung gebracht, dass man die These, MEINWERK oder KARL DER GROßE hätten hier Steine für ihre Großbauwerke brechen lassen und gleichzeitig die Hauptangriffsseite der Domburg fortifikatorisch verstärkt, jetzt wesentlich und im wahrsten Sinne des Wortes untermauern kann. Dies mag nur ein Beispiel sein für den Erkenntnisgewinn, der sich auf archäologischer Seite aus der Bestandserhebung erzielen lässt. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 41 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3 Ausgewählte Einzelobjekte 1.5.3.1 Stadtbefestigungen und urbs Mittelalterliche Stadtbefestigung Die Baugeschichte der mittelalterlichen Stadtmauer Paderborns mit seinen Toren, Türmen, Wällen und Gräben ist ein sehr komplexes Forschungsthema, das von Historikern, Archäologen und Bauhistorikern nur gemeinsam erfolgreich ausgefüllt werden kann. Eine Bearbeitung erfolgte bisher vorrangig aus Sicht der Historiker mit einigen Ergänzungen durch die Archäologie. Eine bauhistorische Auswertung des heutigen Bestandes steht offensichtlich noch aus. Eine der bedeutensten und umfangreichsten Baumaßnahmen war für jede mittelalterliche Stadt die Errichtung einer Stadtmauer. Wann wurde diese Mauer in Paderborn errichtet? Auch die ältere Forschung hat die Errichtung der gesamten Befestigungsanlage schon in das 12. Jahrhundert datiert. Karl Schoppe plädierte für etwa 1180 im Zusammenhang mit den Kämpfen gegen Heinrich den Löwen. Die aktuellen Überlegungen der Historiker werden noch konkreter. „Im Jahr 1183 lokalisierte ein bischöflicher Schreiber den Stadtteil Aspedera rechts des Weges, der die beiden Tore miteinander verband, die nach Esbechtinghusen bzw. Sulithe führten.“92 Gemeint waren das später so bezeichnete Kasseler Tor im Süden und das Heiers- bzw. Detmolder Tor im Norden. Spätestens jetzt lag demzufolge der östliche Stadtteil mit dem ehemaligen Dorf Aspedera und dem Busdorfstift innerhalb der Stadtmauer. Bis 1080 wurde das Busdorfstift in den Schriftquellen als eindeutig außerhalb der Stadt liegend beschrieben. „Hier trat erst nach 1080 eine Veränderung ein, denn um 1140 lag das Stift augenscheinlich in Paderborn, in Patherburnon site. Dieser bemerkenswerte Wechsel in der Wortwahl könnte besagen, daß das Busdorfstift zwischen 1080 und 1140 in die Verteidigungsanlage der Stadt einbezogen wurde; denkbar wäre auch eine entsprechende Vordatierung des endgültigen Mauerrings.“93 Aufgrund der hier dargelegten Quellensituation erfolgte die aktuelle Datierung des gesamten mittelalterlichen Mauerringes, wie er bis ins 19. Jahrhundert bestanden hat und auch heute noch nachvollziehbar ist, auf ´vor 1183´. Während die Datierung für den östlichen Mauerverlauf sehr plausibel erscheint, ist die pauschale Übertragung der Datierung auf den westlichen Teil kritisch zu werten, auch wenn aus Sicht der Historiker eine gewisse Wahrscheinlichkeit vermittelt wird.94 Wenngleich die Errichtung der Stadtmauer u.a. aus zeitgenössischen Urkunden und durch die Aufgabe von Befestigungsstrukturen im Burgareal zur Mitte des 12. Jahrhunderts indirekt für die Zeit um 1150 erschlosssen werden kann95, ist die genaue Entstehungszeit der Mauer und der exakte Verlauf jedoch nicht mit letzter Sicherheit zu belegen. Einen östlichen Mauerzug vermutet Balzer sogar noch früher, nämlich in der Zeit zwischen 92 Becher, Matthias: in Stadtgeschichte Bd I S.155 ebenda S.156 94 ebenda S.157 93 95 Balzer, Manfred: Siedlungsgeschichte und topographische Entwicklung Paderborns im Früh- und Hochmittelalter. In: Städteforschung A 27 – Stadtkernforschung, Hrsg. Helmut Jäger. Köln, Wien 1987 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 42 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Ein Vergleich zu Warburg 1080 und 1107. Vermutlich können hier nur weitere archäologische Spuren in Zusammenhang mit den schriftlichen Quellen weitere Erkenntnisse liefern. Auch wenn aktuelle Deutungen der Historiker eine Datierung für den gesamten Mauerverlauf auf ´um 1100´ bevorzugen, sollte letztendlich aus bauhistorischer Sicht die Möglichkeit nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass der westliche Bereich erst um 1200 in den Mauerring einbezogen worden ist. Zielgerichtete archäologische Untersuchungen zur Klärung der Frage eines früheren engeren Mauerringes im Bereich der Jühengasse haben keine entsprechenden Funde erbracht. Die noch im ´Städteatlas´ eingezeichneten inneren Mauerringe sind rein hypothetisch und in den meisten Fällen auch sicher widerlegt, so z.B. im Bereich südlich der Straße Kamp (vergl. M. Moser, Kamp-Grabung 1994). An dieser Stelle sei zum Vergleich ein kurzer Hinweis auf die Stadtmauern von Warburg erlaubt. Es wird hier zwischen der Stadtmauer der sogenannten Neustadt Warburg (Oberstadt) und der Altstadt (Unterstadt) unterschieden. Beide Anlagen unterscheiden sich auch in baulichen Details (Türme). Für die Datierung der Neustadt-Stadtmauer existiert eine Urkunde von 1260, in der Bischof Simon I. den Neustadtbürgern die Errichtung einer Stadtmauer, auch zur Altstadtseite hin, erlaubte. Das Nichtvorhandensein einer gleichlautenden Urkunde für die Altstadt führte in der regionalen Geschichtsschreibung zu der Annahme, dass hier noch keine Stadtmauer errichtet werden durfte. Wir hatten im Rahmen der ´Archäologischen Bestandserhebung´ 1998/99 darauf hingewiesen, dass die Altstadt aber 1262 eine Stadtmauer gehabt haben muss, diese demzufolge mindestens gleichalt mit der Neustadtmauer gesetzt werden sollte, vermutlich aber älter ist. Wichtig ist dies im Zusammenhang mit Paderborn, da die runden Stadtmauertürme der Warburger Altstadt eine deutliche Ähnlichkeit zu den runden Stadtmauertürmen Paderborns aufweisen, demzufolge eine zeitnahe Entstehung wahrscheinlich ist. Diese Rundtürme sind in Paderborn in dem ältesten Mauerabschnitt zwischen Heierstor und Kasslertor offensichtlich nicht vorhanden gewesen. Bei der weiteren Diskussion zur Datierung der Stadtmauer in Paderborn, insbesondere den westlichen Teil betreffend, sollten diese bau- und kunsthistorischen vergleichenden Betrachtungen nicht unberücksichtigt bleiben. Gesichert ist jedenfalls, dass spätestens 1183 eine Stadtmauer in Paderborn vorhanden war, denn zwischen 1183 und 1231 wurden vier Tore erwähnt: 1183 ein Spiringstor im Süden (später Kasseler Tor) und ein Tor (Heierstor später Detmolder Tor) im Norden, zwischen denen eine direkte Wegeverbindung bestand (vgl. Text oben). 1222 wurde ein „Westerntor“ erstmals erwähnt, 1231 ein „Tor nach Neuenheerse“ (Gierstor) und nach 1300 das „Neuhäuser“ Tor. Die bauliche Anlage der Stadtmauer war selbstverständlich mit fortschreitender Entwicklung der Waffentechnik ständigen Veränderungen unterworfen. Während ursprünglich einfache Stadttore und Türme im Abstand der Reichweite der Bogenwaffen ausreichten, wurden die Tore im ausgehenden Mittelalter mit äußeren Doppeltoranlagen bzw. Barbakanen verstärkt und diese wiederum später zu Schanzen bzw. Bastionen ausgebaut. Um die Stadtmauer selbst wurde zum Schutz vor direktem Beschuss vor dem Graben ein großer Erdwall angelegt, der wohl beidseitig mit Mauern eingefasst war. Der Mauerring selber mit seinen 5 Toren blieb ansonsten bis ins 19. Jahrhundert in seinem Verlauf unverändert. Zugänglich war die Stadt auch bis dahin ausschließlich durch die 5 genannten Tore. „Obwohl die Mauern und Tore ihre FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 43 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW militärische Funktion verloren hatten und stellenweise baufällig waren, mußte die gesamte Anlage weiterhin in Funktion gehalten werden. Der Grund dafür war, daß in Paderborn im Jahr 1820 wie in elf anderen großen Städten der Provinz Westfalen anstelle einer Einkommensteuer die Mahl- und Schlachtsteuer eingeführt worden war. Sie war eine Verbrauchssteuer und wurde an den Toren erhoben.“96 Die Stadtmauer war demzufolge als wirkungsvolle Steuergrenze zu erhalten und die Stadttore blieben bis 1848 nachts gewöhnlich geschlossen. Noch im Jahre 1806 waren neue Torwachgebäude mit Zollstuben am Giers- und Westerntor errichtet worden. (Das Zollhäuschen am Gierstor wurde erst beim großen Bombenangriff am 27.März 1945 vernichtet.) Abgerissen werden konnten hingegen diejenigen Teile der Befestigungsanlage, die für die Steuererhebung nicht benötigt wurden, also die vorgelagerten Schanzen und Wälle. Der sogenannte Liboriberg zwischen dem Kasseler Tor und dem Westertor wurde bereits im 18. Jahrhundert zu einer Promenade umgestaltet. Der Gymnasiallehrer und bekannte Zeichner Franz Joseph Brand hat 1846 einen kleinen Stadtführer veröffentlicht. Er beschreibt die geschilderte Situation wie folgt: „Von einer dreifachen Mauer, welche früher die Stadt umgab, ist nur die innere bis auf unsere Zeit nothdürftig erhalten worden, die beiden anderen waren schon längst verfallen, so daß nur hier und da Spuren davon übrig waren.” (Brand 1846, S.53) „Der Gedanke, die zwischen den beiden äußeren Mauern aufgeworfenen Wälle zu ebnen und Spaziergänge darauf anzulegen, wurde ... [um 1770] an dem Walle zwischen dem Casselerund Westernthore, dem Liboriberge, ausgeführt, und dieser, mit mehreren Reihen Linden, Kastanien, Pappeln und Tannen bepflanzt, war bis zu der eben angeführten Abtragung der Festungswerke der einzige schattige Ort für Spaziergänger in der Nähe der Stadtmauern.” (Brand 1846, S.54) 1818 folgte die sogenannte Kuhschanze, die vom Westerntor bis zum Riemeketor reichte und einer Stadterweiterung besonders im Wege stand. Seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden dann auch die übrigen Wälle zu Promenaden umgestaltet. Sie ermöglichen bis heute die Erlebbarkeit des mittelalterlichen Stadtmauerringes. Die mittelalterlichen Stadttore erwiesen sich mit der Zunahme des Verkehrs als immer größeres Hindernis. 1821 wurde das Kasseler Tor und 1823 das Neuhäuser Tor verbreitert. Das Westertor wurde wieder nach Abtragung der imposanten Bastion 1828/29 in seinen mittelalterlichen Verlauf in der Achse der Westernstraße zurückvesetzt. Die mittelalterliche Situation mit einer äußeren Doppeltor-Verstärkung ist auf dem Grundriss „Eigentlicher Grundtriß der Statt Paderborn, und wie solche von Ihr EXELL: Herrn VeldtMarschaln CAROL GUSTAFF WRANGEL ein genohmen worden, Anno 1646” (Wetf Picta Nr. 597) zu sehen. Die vorgelagerten Tore werden in einem Bericht von Klöckner über die Kampfhandlungen 1604 sehr eindrucksvoll beschrieben.97 „Das Westernthor ... wurde von dem Bischofe Ferdinand von Fürstenberg von der Stelle, auf welcher es jetzt steht, etwas nördlich verlegt. Der Unterbau des von ihm angelegten Thorweges ist in der Mauer noch zu sehen. Dafür legte er [1662] ein sehr starkes Bollwerk an die Stelle des Thors. Vor 20 Jahren ist aber 96 97 Maron, Wolfgang: in Stadtgeschichte Bd III S.35 siehe Decker , Rainer: Der Kampf um Paderborn ... 1600-1604, S.33 (Schriftenreihe der Stadt Paderborn, Heft 6) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 44 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW die Schanze abgetragen und der frühere Thorweg wiederhergestellt worden.” (Brand 1846, S.52) Die Steuerbehörde ließ zwar teilweise die Erweiterung bestehender Tore zu, nicht aber die Anlage neuer Tore. „Erst die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer im April 1848 machte den Weg zur Öffnung der Stadtmauer frei. Als erstes wurde noch im gleichen Jahr das im Zuge des Eisenbahnbaus erneut projektierte Rosentor fertig. Es erhielt schon kein verschließbares Tor mehr, wenn auch überwiegend aus Kostengründen. ... Die Maueröffnung geschah in den folgenden Jahrzehnten nur schrittweise, so 1856 für einen Fußgängerdurchgang zwischen Western- und Neuhäuser Tor am Ende der Protzgasse ..., 1864 an der Liboristraße und hinter der Busdorfkirche, 1876 schließlich an der Hathumarstraße.“ 98 1849 begann dann die Phase der Torabbrüche, zunächst das Heierstor, 1872 das Neuhäuser Tor und 1875 folgte das Westerntor. Die Mauer selbst war seit Beginn der französischen Besetzung 1806 nicht mehr repariert worden. Baufällig gewordene Teilabschnitte bildeten eine erhebliche Gefahr für die Bürger. 1881 schenkte Seine Kaiserliche Majestät Kaiser Wilhelm I. die im staatlichen Eigentum befindliche Stadtmauer und den davor liegenden Graben mit Wall der Stadt und entband sich damit von der Unterhaltsverpflichtung und Unfallverantwortung. Diese ging nunmehr an die Stadt Paderborn über. „Die Stadtverwaltung verfügte daher in Wahrung ihrer Verpflichtung und Verantwortung die Abtragung der Mauer in den nicht mehr zu rettenden Bereichen ...“99 Die Abbrucharbeiten wurden von den Bürgern schrittweise durchgeführt. Die Bruchsteine waren begehrte Bausteine für Bauwillige und kosteten nur die Arbeitskraft des Herausbrechers. Somit entstand ein nachvollziehbares Bestreben, weite Teile der Stadtmauer als baufällig zu betrachten. Insbesondere im Bereich zwischen Westerntor und Neuhäuser Tor war ab 1883 ein wilder Abbruch zu verzeichnen.100 Hier wurde die Wehrmauer bis 1887 fast volständig beseitigt. Als Reaktion auf den unkontrollierten Radikalabbau erfolgte 1889 ein Verbot des weiteren Steinausbrechens aus der Stadtmauer. Es war eine Schutzmaßnahme im Sinne eines Baudenkmals. 98 Maron, Wolfgang: in Stadtgeschichte Bd III S.40 Tenge, Franz-Gregor: Paderborn, beschützen und bewahren, 1996; S. 162 100 vgl. Tenge, Franz-Gregor: Paderborn, beschützen und bewahren, 1996 99 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 45 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW die urbs Die Domburg (´urbs´) bezeichnet den befestigten Siedlungskern seit karolingischer Zeit bis ins Hochmittelalter (8.-12. Jh.). Spätestens mit der Errichtung der mittelalterlichen Stadtmauer (s.o.) verliert dieser Befestigungsring seine fortifikatorische Funktion. Zur Darstellung der Entwicklung dieser Befestigung von den Anfängen bis ins 12. Jahrhundert bedarf es noch der Auswertung umfangreicher Materialien. M.MOSER gab hierzu bei einem im Rahmen der vorliegenden „Archäologischen Bestandserhebung“ durchgeführten wissenschaftlichen Fachgespräch am 5. Juni 2002 einen Kolloquiumsbeitrag, der saparat vorliegt. ( „Neue Beobachtugen zur Struktur und Entwicklung der Domburgbefestigung. Eine kritische Betrachtung bisheriger Interpretationen aufgrund der Zusammenschau zahlreicher Hinweise“, Kopie im Stadtarchiv) An dieser Stelle sei lediglich darauf hingewiesen, dass der dokumentierte hochmittelalterliche Verlauf (Stadtgeschichte Bd. I ,S.161) nicht zwangsläufig mit dem Verlauf in karolingischer Zeit übereinstimmen muss. Als Ergebnis der Kellerbegehung kann nicht ausgeschlossen werden, dass die westliche Kellerabschlusswand des Gebäudekomplexes Am Abdinghof 1 möglicherweise einen älteren Verlauf markiert (s.u., rote Markierung) Ausschnitt aus: Paderborn im Hochmittelalter (Stadtgeschichte Bd. I ,S.161) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 46 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2 Sakrale Bauten und Anlagen Neben den einzelnen Quellenangaben im Text wurde in diesem Kapitel insbesondere folgende Literatur als Quelle verwendet: Brandt/ Hengst (Hrsg.): Die Gaukirche St. Ulrich in Paderbron 1183 - 1983 Zur Geschichte von Kirche, Kloster und Pfarrgemeinde bei der Feier des 800jährigen Jubiläums; Paderborn 1983 LV Westfalen-Lippe (Hg.): Klosterregion - Klosterführer für die Kreise Höxter und Paderborn; Höxter 2000 1.5.3.2.1 13. Jh Dom Ein Überblick über die Entwicklung der frühmittelalterlichen / mittelalterlichen Kirchen im Bereich des heutigen Domes wurde im Kapitel 1.5.2.3 gegeben. Das herausragende Bauprojekt in Paderborn im 13. Jahrhundert war der komplette Umbau der romanischen Basilika in eine gotische Hallenkirche. Die Bauphasen sind sehr übersichtlich zeichnerisch in der Stadtgeschichte Bd. 1 Abb S. 208 / 209 dargestellt (s.u.). FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 47 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.2 Bartholomäus-Kapelle Im Zentrum der Paderborner Innenstadt in unmittelbarer Nachbarschaft nördlich des Domes liegt die älteste bekannte Hallenkirche nördlich der Alpen. Die dem hl. Apostel Bartholomäus geweihte Kapelle wurde um 1017 erbaut. Es ist ein außerordentlicher Glücksfall, dass dieses architektonische Kleinod sämtliche Gefährdungen fast unbeschadet überstanden hat, darunter auch den Zweiten Weltkrieg, bei dem der Paderborner Dom schwer beschädigt wurde. Die Bartholomäuskapelle wird als Pfalzkapelle und Bestandteil des Neubaus der alten ottonischen Königspfalz gesehen. Der Paderborner Bischof Meinwerk ließ sie im byzantinischen Stil von griechischen Bauleuten "per operarios graecos" errichten, die die einzigartigen Hängekuppel- Gewölbe und die sie tragenden Säulen schufen. Die ungewöhnlich schlanken Säulen haben keine Beziehung zur deutschen Baukunst dieser Zeit und werden daher eindeutig dem byzantinischen Bereich zugeordnet. Die Kapitelle gelten als bedeutende Zeugnisse ottonischer Baukunst. Die Kapelle selbst steht in ihrer Zeit einzig da und es sind keine direkten Nachfolger bekannt geworden. Sie ist das einzige hier noch erhaltene bauliche Element des 11. Jahrhunderts und gilt auch deshalb als bedeutendstes kunstgeschichtliches Bauwerk Paderborns. Die Nutzung der Kapelle im ausgehenden Mittelalter ist nicht eindeutig zu klären. Um 1600 jedenfalls verfügen die Jesuiten über das Bauwerk. Seit 1963 ist die Kapelle im ursprünglichen Zustand wieder hergestellt. Entsprechend vorhandener Befunde wurden die Fenster an originaler Position rekonstruiert, ein entscheidender Faktor für die Erlebbarkeit der ursprünglichen Raumwirkung. Im Rahmen des Ausbaus der Pfalzanlage zum Museum wurde der romanische Anbau im Eingangsbereich entfernt. Hier befindet sich seit 1978 eine kunstvoll gestaltete Bronzetür von H.G. Bücker. 1.5.3.2.3 Ikenberg-Kapelle Die sogenannte Ikenberg-Kapelle ist ebenfalls Bestandteil der ottonischen Pfalzanlage Bischof Meinwerks, die in den Jahren zwische 1964 und 1978 während der von WINKELMANN geleiteten umfangreichen Grabungen erschlossen werden konnte. Die Kapelle selbst war jedoch schon vor Grabungsbeginn bekannt und diente als Keller für ein an dieser Stelle stehendes Wohnhaus. Der gesamte Bereich war bis zu den Zerstörungen 1945 mit Wohnhäusern bebaut. Der ehemals hier bebaute ´Hügel´ war der sogenannte Ikenberg, woraus sich die Bezeichnung der Kapelle ableitet. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 48 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.4 Kapelle unter dem Küsterhaus/ Kapelle des Gerold Die Bezeichnung dieser Kapelle enstand ebenfalls aus einer örtlichen Zuordnung, nämlich dem Auffindungsort unter dem Küsterhaus nördlich des Domes, zwischen Pfalz und Kreuzgang gelegen. Auf diesem Areal befand sich im Hochmittelalter das Domkloster (vgl. Abb. karol. und ottonische Pfalz). Der Grabungsbefund zeigt zwei übereinanderliegende Bauphasen, wobei in der oberen jüngeren Kapelle der typische Musterfußboden aus der Zeit Bischof Meinwerks freigelegt worden ist. Daraus schließt man, dass diese Bauphase einer Neubaumaßnahme des gesamten Klosters nach dem Brand im Jahre 1000 zuzuordnen ist, obwohl die Schriftüberlieferung diesbezüglich keine Aussagen gibt. Die ältere Bauphase wird dem 9. Jahrhundert zugeschrieben und gilt als Kapelle des Gerold, Schwager Karls des Großen. 101 1.5.3.2.5 Abdinghofkirche und Abdinghof-Kloster Die komplizierte baugeschichtliche Entwicklung der Abdinghofkirche und des Klosters wurde bereits im Kapitel 1.5.2. dargestellt. An dieser Stelle erfolgt eine kurze tabellarische Auflistung der wichtigsten Daten: 1015/16 1022 1023 1031 1076-1088 1163/65 1680 / 1770 1803, um 1866 1867-1870 Gründung durch Bischof Meinwerk, Besetzung mit Mönchen aus Cluny Einsturz des Chores Weihe der Krypta Weihe der 3. Kirche Erneuerung und Ausbau der Kirche Brand und Neubau der Kirche unter Beibehaltung der Krypta von 1023 und Teilen des Langhauses von 1076-1088 Umbau der Klostergebäude (Kern 12. Jh.) Mit der Säkularisation kam das Ende der Benediktinerabtei. Die Gebäude wurden zweckentfremdet genutzt bis zur Übertragung an die evangelische Kirchgemeinde 1866. Es folgte im Zuge umfangreicher Instandsetzungsmaßnahmen ein durchgreifender Umbau der Kirche: Entfernung der Gewölbe im Mittelschiff, Wiederherstellung der Obergadenfenster, Neuaufmauerung der Türme. Von diesen erheblichen ´Rückbau- bzw. Aufbaumaßnahmen´ sind einige Zeichnungen im Staatsarchiv Detmold erhalten, die den Zustand vor und nach den Baumaßnahmen darstellen: Die Pläne zeigen die Kirche vor und nach den erheblichen Umbauten im 19. Jh. 101 vgl. Beitrag Mecke in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung. Fünfter Band 2001, S.66 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 49 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Von den ehemaligen Klostergebäuden sind heute noch die Abtskapelle im Obergeschoss eines Anbaues neben dem Südwestturm und Reste des romanischen Kreuzganges erhalten. Diese Teile wurden in einen neuzeitlichen Bau inkorporiert. Bis 1945 befand sich hier das Wehrbezirkskommando. Bei dem Luftangriff am 27. März 1945 wurde auch dieses Gebäude zerstört. Erhalten blieben sämtliche Außenmauern bis zur Traufe, die Brandgiebel sowie sämtliche Gewölbe mit einer Ausnahme im EG. 1946 begann die Planung für einen ”... Neubau hinter einer zu erhaltenden, weil unter Denkmalschutz stehenden Fassade.” (Bauakte: Am Abdinghof 5) Erhalten blieben letztendlich (heute weitgehend unbeachtete) Teile der Kellergewölbe des Südflügels und des Westflügels. 1.5.3.2.6 Alexiuskapelle 1017/18 wurde eine Kapelle gleichen Namens als Stiftung Meinwerks gweiht und mit Asylrecht ausgestattet. Ob der Standort der heutigen Kapelle identisch mit dieser ist, kann wohl kaum geklärt werden. 1670 - 1673 wurde ein Neubau als achteckiger Zentralbau errichtet. 1728/29 erfolgte eine Erweiterung nach Westen (Eingangsseite), wobei die 3 westlichen Seiten des Achteckes abgetragen wurden. Es entstand die heutige überlieferte Form. Eine Besonderheit ist der große ummauerte Vorhof. Die Kapelle diente noch im 18. Jahrhundert als Zufluchtstätte, 1673 ist das Asylrecht ausdrücklich bestätigt (inhaltlich nach: Dehio S.460). 1945 wurde auch diese Kapelle zerstört. Während von der Ummauerung des Vorhofes nichts übrigblieb, waren die Außenmauern der Kapelle überwiegend erhalten. 1952 waren sämtliche Außenwände baufällig und die Gesimssteine drohten herunterzufallen. Es zeigten sich breite Risse und Abweichungen von der Lotrechten z.B. an der Nordwestecke von 19 cm. 1955 erfolgte die Planung und Ausführung zum Wiederaufbau. ”Da sich Setzungen des Fundamentmauerwerkes zeigten, war eine eingehende Untersuchung der gesamten Kapellenfundamente unerlässlich. Vorgenommene Abteufungen an den Aussenwänden zeigten, dass die Fundamente des früheren Oktogenes genügend sicher stehen, während der später westlich daran gesetzte Parallelbau z.T. auf Gräbern und aufgefüllten Boden fundiert wurde.” (Bauakte: Am Abdinghof 4) Beim Wiederaufbau wurde an der nördlichen Abhangseite ein Strebepfeiler gegen weitere Senkung des Fundamentes unter Gelände Oberfläche bis auf den gewachsenen Boden angeordnet. (ebenda). PAUL MICHELS hat 1954 Zeichnungen gefertigt, die die geschilderte Situation eindrucksvoll dokumentieren (s.u.) Abb.: Zeichnung von Paul Michels 1954, Stadtarchiv FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 50 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.7 1112 1170/ 80 1183 1222 1231 1220/ 1230 Gaukirche St. Ulrich und Zisterzienserinnenkloster an der Gaukirche Gaukirche St. Ulrich Die Entstehungszeit der Pfarrkirche St. Ulrich wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Während Pfarrer Koch (1943/1948) St.Ulrich als erste Pfarrei im Raum Paderborn und einzige Pfarre für Stadt und Gau bezeichnet, hält A. Cohausz (1955) sie für die jüngste der vier P. Pfarrkirchen sowie für eine Kirche minderen Rechts. Eine ausführliche Darstellung der Geschichte haben H.J. Brand und K. Hengst 1983 zum 800-jährigen Jubiläum (erste urkundliche Erwähnung) veröffentlicht. Auffällig ist, dass die Kirche nicht geostet ist. werden Ulrichs-Reliquien erstmals erwähnt Der Neubau der heutigen Kirche wird als schlichte, kreuzförmige Gewölbebasilika im gebundenen System mit achteckigem Turm errichtet, mit einer im Westen gelegenen, nach Süden verschobenen, tonnengewölbten Vorhalle (Schulz, 1982, S. 414). Eine kleinere Vorgängerkirche an dieser Stelle wird vermutet, ist aber bisher nicht nachgewiesen. St. Ulrich war auch Mutterkirche für umliegende Ortschaften, z.B. vor 1222 für St. Meinolf in Dörenhagen. Erste urkundliche Erwähnung. Bei einem Streit zwischen Busdorfstift und St. Ulrich beanspruchte auf Initiative des Bischofes/ Domprobstes St. Ulrich die Pfarrrechte im gesamten innerstädtischen Bereich. Nach dem Tod des amtierenden Pfarrers von St. Ulrich erhielt die Busdorfkirche jedoch seine ursprünglichen Pfarrrechte wieder zurück. Die Kirche wird erstmals „Gaukirche“ ecclesia rurensis genannt. In diesem Jahr entstehen unter Bischof Bernhard IV. aufgrund einer Neueinteilung der Pfarrbezirke zwei Abpfarrungen von St. Ulrich. Die westlich gelegene Marktkirche St. Pankratius erhielt ein Gebiet von der Pader zwischen der Mühle des Bischofs und der alten Steinbrücke sowei Teile beim bischöflichen Stadelhof. Die Grenze verlief von der späteren Jesuitenmauer im Norden am Jühenplatz hinter den Häusern Langenohlgasse und Jühengasse vorbei bis an den Marienplatz; von dort zum Paderberg an der Wasserkunst entlang über die Mühlenstraße zur alten Steinbrücke beim Leprosenhaus bis zum Paderausfluss im Norden des Stadtgebietes. Bei der Ulrichspfarre verblieben die Gebiete in der Nähe des Domes wie Michaelsstraße, Auf den Dielen, Thisaut und Domprobsteigasse sowie die Einzelgehöfte und Ortschaften im Westen. (Brandt/ Hengst, S. 14-15) Zur Gemeinde zum „Niederen Chor“ im Dom kommen der Stadtteil „Northelvinke und nordöstlich davon das Gebiet von Aspethere (nördlich der Giersstraße). Es wird nicht eindeutig klar, ob diese Pfarre jetzt neu eingerichtet oder bei Verfassung der Urkunde schon vorhanden war. Bei St. Ulrich verblieb das restliche Stadtgebiet zwischen der Dompfarrei und der Marktkirche sowie das Sendgericht. Die Regelung von 1183 bezüglich der Pfarrrechte der Busdorfkirche wurde hierdurch hinfällig. Aus dieser Zeit sind Ausmalungen („Krönung Mariens“) erhalten. Sie stehen möglicherweise im Zusammenhang mit der Ansiedelung von Zisterzienserinnen auf dem Gelände der Gaukirche (s.u.). Der Konvent erhält die Kirche mit allem Vermögen übereignet. Es folgen bauliche Änderungen in Folge der Doppelfunktion als Pfarr- und Klosterkirche. Im südlichen Querschiffarm FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 51 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1426 1654 1695 1698 Um 1700 1787 E. 18. Jh. Bis 1804 1810 1883 1945 1958 1959-61 wurde ein Empore eingezogen, die durch eine Tür in mittlerer Höhe der Querschiffwand direkt mit dem Klostergebäuden verbunden war. Es werden Reparaturen am Turm durchgeführt. Die Kirche besitzt 8 Altäre, 1 Kanzel, 1 Beichtstuhl und 4 Glocken. Das Nordportal wird im Zuge von Reparaturarbeiten barock umgestaltet. Die Kirche erhält einen barocken Hochaltar im Rahmen einer Stiftung, gestaltet von Heinrich Gröne und Phillip Georg Brüll. Der Stifter verschaffte sich dadurch das Recht zu einer Grablege in der Gaukirche. Reparatur des Kirchendaches, Erneuerung des Turmhelmes Das Turmdach wird mit einer barocken Haube versehen Vor dem Paradiesportal werden „zwei kleine Häuser“ genannt (Brandt/ Hengst, S. 41) Bis 1804 wird noch in der Kirche bestattet. In einem Protokoll wird 1810 ein „gewölbtes Zimmer über dem Eingang zur Kirche vom Markte her“ erwähnt (Brandt/ Hengst, S. 50) Durch Dombaumeister Güldenpfennig erfolgen ab 1883 umfangreiche Umgestaltungen: Die barocke Turmhaube wird durch einen gotisierenden Spitzhelm ersetzt, das barocke Nordportal durch ein romanisierendes Portal, Klostereinbauten werden entfernt und das nördliche Seitenschiff erhöht. Ende des 2. Weltkrieges erleidet die Kirche erhebliche Kriegsschäden (Einsturz des Vorhallengewölbes, Zerstörung des Turmhelmes, Zerstörung der Klostergebäude). Der Westflügel des Klosters wird modern wiederaufgebaut. Ein Portal am Haus am Domplatzes wird wiederverwendet (Schulz, 1982, S. 414) Eine neue Heizung wird 1958 eingebaut. Die alte Heizung befand sich im noch erhaltenen Gewölbekeller an der Nordseite der Kirche. erfolgt die Renovierung der Bruchsteinaußenfront. Abb.: Grundriss der Gaukirche Bauaufnahme von 1918 Aus: „Die Gaukirche St. Ulrich in Paderborn“, Paderborn 1983, S. 23 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 52 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Zisterzienserinnenkloster 1211 oder 1228 (an der Gaukirche St. Ulrich) 1228/ 1231 1231 1238 1250 1305 1343 1500 1743-1752 1752 1812 1825 1826 1855 1945 Durch Bischof Bernhard IV. (1228-1247) erfolgt die Berufung von Zisterzienserinnen aus Münster (St. Ägidii-Kloster) nach Paderborn. Als vorläufige Unterbringung wird das St. Johannes-Baptist-Hospital am Westerntor vorgesehen. Die Umsiedelung auf das Gelände der Pfarrkirche St. Ulrich in die auf dem Kirchengelände (neu erbauten ?) Klostergebäude erfolgt 1231. Der Pfarrer der Kirche wurde Probst des Klosters. Der Konvent unterstand der Oberaufsicht des Bischofs. Bischof und Domkapitel schenken dem Kloster ein „steinern Haus“ hinter dem Chor. Hierbei handelt es sich vermutlich um die ehemlige Kurie des Domherren und ersten Probstes des Klosters Konrad. Bestätigung des Besitzes und der Privilegien durch Pabst Innozenz IV. Schenkung des gesamten Vermögens von Probst Bernhard an das Kloster Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind 1343 durch eine Urkunde belegt. Umwandlung des Klosters in ein Benediktiner-Kloster nach der Bursfelder Reform durch Bischof Hermann I. (1498-1508). Neubau der Klostergebäude entlang der Grube und Krummen Grube und der Vorhalle vor dem romanischen Westportal im barocken Stil teils auf älteren Strukturen sowie ein kleines Tor an der Hofseite des Klosters durch Franz Christoh Nagel, Hofbaumeister des Kölner Kurfürsten und Paderborner Bischofs Clemens August von Bayern. Das Portal in der Grube wird barock umgestaltet Nach der Säkularisierung wird die Stadt Paderborn neuer Eigentümer. Die Schwestern wohnen noch übergangsweise im Westflügel an der Grube. Der Südflügel ist jetzt städtisches Armenhaus. Räumungsbefehl für die restlichen Schwestern. Einrichtung des Städtischen Armenhauses in den Klostergebäuden. Die Klostergebäude zur Grube hin werden an das neu gegründete königliche Land- und Stadtgericht vermietet. Katholisches Lehrerinnen-Seminar im Westflügel des ehem. Klosters Es entstehen erhebliche Kriegsschäden an Kirche und Klostergebäuden (Einsturz des Vorhallengewölbes, Zerstörung der Klostergebäude, Westflügel modern wiederaufgebaut; ein Portal am Hause des Domplatzes wiederverwendet (Schulz, 1982, S. 414) Das noch erhaltene bzw. wiederaufgebaute Klostergebäude ist vollständig unterkellert (barocke Gewölbekeller). FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 53 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.8 Busdorfkirche und Stift St. Peter & Andreas, Haus des Stiftsdechanten 1036 Busdorfkirche, Stift und Pfarrei wurden kurz vor seinem Tod von Bischof Meinwerk (1009 – 1036) errichtet bzw. eingerichtet. 1036 erfolgte die Erstweihe. Der heutige Kirchenbau stammt aus dem 14. Jahrhundert. Die Grundrissgestaltung der ersten Busdorf-Kirche erfolgte in Anlehung an die Grabeskirche von Jerusalem zunächst als Rotunde. Nach einer Planänderung wurde auf dem Fundament der Rotunde ein oktogonaler Zentralbau errichtet, an den sich vier Längsarme anschlossen (Ausgrabungen K. Honselmann 1935/36). Der westliche dieser Längsarme, flankiert von zwei Rundtürmen mit einer dazwischenliegenden Glockenstube, bildet den heutigen Chor der Kirche. An den südlichen Arm des Oktogons schlossen sich die Klostergebäude bwz. der Kreuzgang an. 1231 Streit mit der Gaukirche St. Ulrich um die Pfarrrechte in der neu ummauerten Stadt Paderborn. (s. Kapitel 1.5.3.2.6.1 Gaukirche) 1300 Bei einem Stadtbrand irgendwann zwischen den Jahren 1263 und 1289 erlitten Stiftsgebäude und Kirche größeren Schaden. Die Kirche wurde zum Ende des 13. Jahrhunderts, vermutlich von Handwerkern der auslaufenden Dombaustelle, wieder aufgebaut. Beim Wiederaufbau hielt man sich im wesentlichen an den ursprünglichen Grundriss. Die Pfeilerbasilika wurde jedoch in eine dreijochige gotische Hallenkirche umgewandelt. Der Westturm erhielt zwei weitere Stockwerke. 1348 Reparaturarbeiten am Dach, möglicherweise in Folge des Stadtbrandes von 1340. 17. Jh. Ein Blitzeinschlag zerstört den Kirchturm. Im 17. Jh. erfolgten verschiedene bauliche Erneuerungen. 1664 1664 wurde das Kircheninnere barockisiert. 1667 erfolgte der Bau eines neuen Westportals mit Eingangshalle. Anfang 19.Jh In den Kriegen gegen Napoleon wird die Kirche zeitweise als Strohlager genutzt. 1810 Nach der Säkularisierung bleibt die Nutzung als Pfarrkirche weiterhin bestehen. Aus anderen aufgelösten Klöstern werden hierher Reliquien gebracht. Aus Böddeken kamen Meinolphus-Reliquien in das Busdorfstift, aus der Abdinghofkirche der Sarkophag Bischof Meinwerks sowie die Reliquien des Paderborner Bischof Poppo. 1816 Die Kirche dient in der Folgezeit auch als katholische Garnisonskirche für preußische Soldaten. 1817 – 1871 Gleichzeitig wurde die Kirche auch von der evangelischen Gemeinde genutzt, bis diese die Abdinghofkirche übereignet bekam. Seit 1871 Seit 1871 ist die Busdorfkirche wieder ausschließlich katholische Pfarrkirche. 1998 1998 erfolgt die Eingliederung in die neu gegründete Innenstadtpfarrei St. Liborius. Stiftsdechantenhaus/Pfarrhaus 1844 Seit 1844 erfolgt die Nutzung des Stiftsdechantenhauses als Pfarrhaus. Die Keller des nach dem Kriege obertägig wiederaufgebauten Pfarrhauses weisen z.T. recht alte Strukturen auf. Im ersten Keller (ca. M. 18.Jh.) sind ältere Wandstrukturen erkennbar, die möglicherweise dem ursprünglichen Oktogonalbau zuzuordnen sind. Der hintere Teil des Kellers ist deutlich älter und als zweigeschossiger Gewölbekeller von erheblicher Tiefe. Er ist teilweise in den anstehendem Fels gebaut worden. Eine ausführliche Bauuntersuchung wäre wünschenswert. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 54 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.9 Franziskaner-Minoriten 1232 Die (Franziskaner)- Minoriten kamen 1232 vermutlich aus Hildesheim und ließen sich am Kamp nieder. Hier sind die Klostergebäude 1238 und 1245 nachgewiesen (WUB IV). Die Kirche brannte mehrfach ab. Der Wiederaufbau nach 1505 erfolgte als spätgotischer, siebenjochiger Bau und ist in Abbildungen überliefert. Die lutherische Bewegung wurde ab den 1520-er Jahren in der Bischofsstadt besonders vom Minoritenkloster gefördert. Die Minoritenkirche wurde 1728 abgebrochen, nachdem das Kloster bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eingegangen war und die jetzt hier ansässigen Jesuiten einen eigenen Kirchenneubau errichtet hatten (s.u.). 1289 / 1506 16. Jh 1728 . 1.5.3.2.10 Jesuitenkirche/ Theodorianum 1580 Die Jesuiten gründeten 1580 in Paderborn ihre erste westfälische Niederlassung. Der streng geführte Orden war eine entscheidende Instanz der katholischen Reform. Zentrales Anliegen war die Errichtung guter Schulen. In Paderborn wurde von ihnen 1585 die Domschule übernommen. Die Jesuiten bildeten eine entscheidende Stütze bei der Rekatholisierung unter dem Bischof Dietrich von Fürstenberg. Zunächst nutzten sie die Bartholomäus-Kapelle nördlich des Domes. Bereits 1596 begannen sie mit dem Neubau eines Kollegs auf dem Gelände des ehemaligen Minoritenklosters (s.o.). Das Gelände hatte ihnen der Fürstbischof geschenkt. 1604 konnte die lange ungenutzte Kirche des ehemaligen Minoritenklosters neu geweiht werden. Es folgten weitere Neubauten mit Unterstützung des Bischofs. 1614 wurde von ihm die älteste westfälische Universität gestiftet, die ganz unter der Leitung der Jesuiten stand. Die Jesuitenkirche wurde von Anton Hülse SJ von 1682-1692 erbaut, ein Barockbau mit gotisierenden Elementen. Es handelt sich ebenfalls um eine Stiftung, jetzt des Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenbergs. 1773 wurde der Jesuiten-Orden aufgehoben. 1596 ff 1682, ab 1773 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 55 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.11 Franziskaner-Kloster 10 Jahre nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges kamen 1658 wieder Franziskaner nach Paderborn. Da bereits zahlreiche Klöster in der Stadt bestanden und zu dieser Zeit wohl kaum mehr als 500 Einwohner hier lebten, waren die Bürgerschaft, die Mehrzahl des Domkapitels sowie Benediktiner und Kapuziner gegen die Einrichtung eines weiteren ´Bettelordens´. Erst die Unterstützung des Osnabrücker und des Paderborner Fürstbischofs ermöglichte die Niederlassung an der Westernstraße. Zunächst stellte hier der Paderborner Bürger Georg Riwick sein Haus mit Hof und Garten zur Verfügung. 1661 wurde Ferdinand II. von Fürstenberg Fürstbischof. Er förderte die Franziskaner nachhaltig und sicherte deren Niederlassung, indem er beim Papst einen Schutzbrief erwirkte. Damit konnte 1663 der Klosterbau und 1668 der Bau der Kirche beginnen. Diese wurde 1671 fertig gestellt. Es handelt sich um einen barocken kreuzgewölbten Saalbau. Der eingezogene Chorbereich mit 5/8-Schluss wurde 1909 um ein Joch verlängert, d.h. er wurde komplett abgetragen und versetzt wieder aufgebaut. 1697 wurde die Sakristei angebaut, 1728 erfolgte die Errichtung des sogenannten Fürstenflügels. Diese Bezeichnung leitet sich aus dem hier eingerichteten Fürstengastzimmer ab. Von besonderer städtebaulicher Wiksamkeit an der Westernstraße ist die stattliche Barockfassade des italienischen Baumeisters Antonio Petrini mit vorgelagerter Treppenanlage. Bei dem Bombenangriff am 27.März 1945 wurde das Kloster komplett zerstört. Lediglich die Außenmauern der Kirche blieben weitestgehend erhalten. Von 1946-1949 erfolgte der Wiederaufbau, der teilweise erheblich bis in die Kellerstrukturen eingreift. Die anliegenden Klostergebäude sind ebenfalls Neuaufbauten der Nachkriegszeit. 1.5.3.2.12 Kapuziner-Kloster (Liborianum) Die Kapuziner wurden 1612 nach Paderborn berufen, um gemeinsam mit den Jesuiten die katholische Erneuerung voranzubringen. Der spätere Domprobst Arnold von Horst stiftete am Stadelhof ein Grundstück, auf dem eine erste Kirche und Klostergebäuder errichtet werden konnten. Diese wurden bereits beim Stadtbrand 1616 zerstört, aber umgehend und offensichtlich nicht sehr sorgfältig auf den gleichen Grundmauern wieder aufgebaut. Dies hatte jedoch zur Folge, dass die Gebäude bereits 1670 wieder baufällig waren. 1673 musste daher ein Komplettabriss erfolgen mit sich anschließendem Neuaufbau. Die Kirche wurde zwischen 1681 und 1683 durch den Baumeister und Kapuzinerbruder Ambrosius von Oelde völlig neu errichtet. Es handelt sich um eine vierjochige Saalkirche mit eingezogenem quadratischen Chorraum. Unter dem Chor befindet sich der Bestattungskeller, in dem die Kapuziner von 1687 bis 1809 bestattet wurden. In der Säkularisationszeit wurde das Kloster zunächst nicht aufgelöst, da es sich offensichtlich aufgrund seiner Armut auch nicht sehr lohnte. Zunächst verbot 1825 der preußische König lediglich, neue Novizen aufzunehmen. Erst 1834 erfolgte eine endgültige Aufhebung des Klosters. 1945 wurde die gesamte Inneneinrichtung zerstört. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 56 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Seit 1979 ist im Kloster die Bildungsstätte des Erzbistums, das Liborianum, untergebracht. Hierzu erfolgten einige Umbauten (Bettenhaus, Küche, Tagungsräume). Die Kirche ist Hauskirche des Liborianums. 1.5.3.2.13 Kapuzinessen-Kloster/ Landeshospital Das Kapuzinessenkloster ist ebenso wie das Kapuziner-Kloster von Arnold von Horst (s.o.) gegründet worden. Als 1628 die ersten drei Kapuzinessen aus Köln nach Paderborn kamen, gab es noch kein Klostergebäude. Dieses konnte im Sommer 1629 bezogen werden. Für den Gottesdienst diente eine Hauskapelle. Nachdem im Dreißigjährigen Krieg die Aufhebung des Klosters drohte, begann 1657 unter Fürstbischof Dietrich Adolf von der Reck der Neubau von Kirche und Kloster, das 1661 bezogen werden konnte. Von der Säkularisation 1802/03 blieb das Kloster verschont, durfte aber in der Folge keine Novizinnen mehr aufnehmen. Das hatte zur Folge, dass 1831, als das Landeshospital in das Kloster verlegt wurde, die verbliebenen Kapuzinessen für die Krankenpflege zu alt waren. Vom preußischen König wurde die Umwandlung des Klosters in ein Haus der Barmherzigen Schwestern genehmigt. Die letzten Kapuzinessen erhielten hier ein Bleiberecht. Seit dem Neubau 1857 am Busdorf war das ehemalige Kloster bis 1970 selbstständiges Krankenhaus. Ab 1970 ist es Teil des St. Vincenz-Krankenhauses. Der völlige Neuaufbau nach der Totalzerstörungen 1945 ist beim Betreten des Gebäudes augenfällig. Dass der Wiederaufbau auf den alten Grundmauern erfolgte, zeigen zum großen Teil erhaltene alte Kelleranlagen. 1.5.3.2.14 Kloster St. Michael Augustinnerinnen-Kloster Fürstbischof Dietrich Adolf von der Reck, der bereits den Neubau des Kapuzinessen-Klosters (s.o.) vorangebracht hat, gewann 1658 die AugustinerChorfrauen aus Münster für eine Gründung in Paderborn. Schwerpunkt der Tätigkeit der Schwestern war die Erteilung von Unterricht, eine Tradition, die auch heute noch sichtbar ist (Mädchengymnasium). 1691 bekamen die Schwestern das sogenannte „Hauss auff der Pader“ geschenkt. Bis 1698 erfolgte hier der Bau neuer Klostergebäude und einer Kirche durch den Kapuzinermönch Ambrosius von Oelde. Während des sogenannten ´Kulturkampfes´ wurde 1878 das Kloster offiziell von der preußischen Regierung aufgehoben. 9 Jahre später konnten die Schwestern jedoch zurückkehren. Die Kirche brannte 1945 völlig aus. Die Fassaden blieben jedoch erhalten, so dass ein Wiederaufbau in originalen Formen möglich war. Beim Betreten des kleinen Klosterhofes von der Michaelsstraße her, von dem aus man rechts in die Klosterkirche und links in die Klostergebäude gelangt, ist das ursprüngliche Raumkonzept des Ambrosius von Oelde auch heute noch erlebbar. Der Schulneubau der unmittelbaren Nachkriegszeit hat sehr gute Gestaltungsqualität und besitzt zweifellos Denkmalwert. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 57 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.2.15 Marktkirche St. Pankratius 1231 Abpfarrungen von St. Ulrich Der Paderborner Bischof bittet den Domprobst um Zustimmung zur Aufteilung der St. Ulrichspfarre in drei Pfarrbezirke. Die Urkunde (Pfarrarchiv Gaukirche Paderborn) erwähnt 1231 erstmals die Marktkirche St. Pankratius sowie eine Gemeinde zum „Niederen Chor“ im Dom. Die Marktkirche St. Pankratius erhielt ein Gebiet von der Pader zwischen der Mühle des Bischof und der alten Steinbrücke sowei teile beim bischöflichen Stadelhof. parrochia forensis ecclesiae in Patherbrunnensi civitate102 (Vita Meinwerci) Die Grenze verlief von der späteren Jesuitenmauer im Norden am Jühenplatz hinter den Häusern Langenohl- und Jühengasse vorbei bis an den Marienplatz, von dort zum Paderberg an der Wasserkunst entlang über die Mühlenstraße zur alten Steinbrücke beim Leprosenhaus bis zum Paderausfluss im Norden des Stadtgebietes. (Brandt/ Hengst, S. 14-15)103 Auf Initiative des damaligen Bürgermeisters erfolgte die Abtrennung des Hospitals vom Gaukirchkloster zugunsten der „Marktkirche“. Der Pfarrer der Marktkirche hielt nun als Rektor anstelle des Gaukirchprobstes die Gottesdienste in der Hospitalskapelle ab und übte die Seelsorge aus. Der Gaukirchprobst erhielt als Entschädigung eine jährliche Rente. Neuer Rektor sowie Hospital standen unter dem Schutz des Bischofs. Der Vorschlag des Bürgermeisters wurde vom Domprobst bestätigt. (M. Pavlicic, in: Brandt/ Hengst, Gaukirche) Die Marktkirche St. Pankratius erhielt wohl im 15. Jahrhundert im Anschluss an den romanischen Westturm ein neues querschiffloses gotisches Langhaus, 1467 wurde ein 5/ 8 Chor angefügt, der Kirchhof erhielt eine Mauer. Besonders nach 1566 / 70 wurde die Markt-Kirche zum Zentrum des Paderborner Luthertums. Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte der Abriss der Kirche mit der Begründung, sie sei baufällig. Bei der von G.ISENBERG 1976 durchgeführten Grabung auf dem Marienplatz konnten kaum Befunde festgestellt werden. Ein wichitges Ergebnis war die Dokumentation der erheblichen Mauerstärke des romanischen Turmes von 2,20 Metern.104 1326 15. Jh. 16. Jh. 1784 102 ecclesai forensis = Stadtkirche, die einer rein städtischen Gemeinde zugehört (Haberkern E./ Wallach J.F.: Hilfswörterbuch für Historiker. Tübingen und Basel 1995) 103 Urkunde: „... Einen Teil, dessen Grenzen vom Hause des Hildebrand Wapenrogt bis zum Hofew des Bischofs, der Stadtelhof genannt wird, und von da bis an die Mauer der Stadt verläuft, weiter vom Hause des genannten Hildebrand bis zum Hause des Hartmut von Alride und von diesem Haus bis zur Mühle des Bischofs und von dieser Mühle bis zu steinernen Brücke, haben sie der Pfarrei St. Pankratius (ecclesie sancti Pancratii), einen zweiten Teil aber, nämlich (die Stadteile) Northelvinke und Aspethere bis zum Haus der Christine vor der Burg, und von diesem Haus bis zum Tor, wo man nach Heresia geht, und alle Häuser und Dörfer außerhalb der Stadt in Richtung nach Osten und Norden haben sie mit unserer Zustimmung der Pfarrei St. Liborius im Niederen Chor zugewiesen, der Pfarrei St. Ulrich (ecclesie vero sancti Othelrici) jedoch haben sie alle Häuser (innerhalb der Stadt), welche zwischen den beiden ersten Teilen gelegen sind, und alle Dörfer und einzelne Häuser, welche außerhalb der Stadt in Richtung Westen gelegen sind, überlassen ...“ 104 Grabungsbericht G.Isenberg; Marienplatz 1976; C Nr. 1052 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 58 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Hospitäler/Armenhäuser 105 1.5.3.3 Abdinghof-Hospital Erste Erwähnung des Abdinghofhospitals, gilt als das älteste Hospital Paderborns. Um eine neues Hospital zu errichten, wurde der Hof des Ritters Ludolf von Heerse an der Pader gekauft und das alte Hospital dann wohl aufgegeben. Erste Erwähnung einer Verbindung zur Gaukirche. Das Gebäude am Paderhang wurde 1945 zerstört. Beim Abriss traten romanische Bauspuren zutage. 1102 1269 1211 1214 1229 1326 1604 Um 1783 13. Jh. (?) 1312 105 Johannes-Hospital mit Heilig-Geist-Kapelle Es wurde vor dem Westerntor (BALZER, 1981, Städteatlas) von einem Privatmann (Johannes Spilebrot) gegründete. Das Kapital dazu entstammte verschiedenen Äckern und Hausstätten innerhalb und außerhalb der Stadt. Bestätigung der Stiftung durch Papst Innozenz. Der Bischof stellte das dem Hospital und dem Konvent der Zisterzienserinnen im Gaukirchkloster vermachte Vermögen unter seinen besonderen Schutz. Der Name wandelt sich von Johannes- zu Heilig-Geist-Hospital. Auf Initiative des damaligen Bürgermeisters erfolgte die Abtrennung des Hospitals vom Gaukirchkloster zugunsten der „Marktkirche“. Der Pfarrer der Marktkirche hielt nun als Rektor anstelle des Gaukirchprobstes die Gottesdienste in der Hospitalskapelle ab und übte die Seelsorge aus. Der Gaukirchprobst erhielt als Entschädigung eine jährliche Rente. Neuer Rektor und Hospital standen unter dem Schutz des Bischofs, wurde vom Bürgermeister vorgeschlagen und vom Domprobst bestätigt. 1604 wurde das Hospital abgebrochen und durch einen Neubau innerhalb der Stadtmauern ersetzt. Das Benefizium wurde vorübergehend in der Marktkirche angesiedelt. Um 1783 wird das Benefizium wieder der Gaukirche zugeschlagen. Nikolaus-Hospital mit Laurentiuskapelle (Giers-, Ostern- oder LaurentiusHospital) Es handelt sich wohl ebenfalls um eine private Gründung bei dem Gierstor innerhalb der Stadtmauern. Möglicherweise deutet das Nikolaus-Patrozinium auf eine Gründung durch (Fernhandels-) kaufleute. Die Kapelle des Klosters lag nach BALZER (Städteatlas) an der Giersstraße in Richtung Innenstadt. Der Gaukirchprobst, die Äbtissin und der Konvent der Zisterzienserinnen erklären die Überlassung eines steinernen Hauses, das sie selbst bewohnten, an das Hospital, ausgenommen war der Hof und die Kapelle. Der Gaukirchprobst, der Rektor der Nikolaikapelle und zwei Ratsherren übten das Recht der Literatur, u.a.: *Brandt/ Hengst (Hrsg.): Die Gaukirche St. Ulrich in Paderborn 1183 - 1983 - Zur Geschichte von Kirche, Kloster und Pfarrgemeinde bei der Feier des 800jährigen Jubiläums, darin: Michael Pavlicic: Gaukirche, Hospitalwesen und Armenfürsorge. * Gemmeke, A.: Geschichte der Armenhäuser und des Armenwesens der Stadt Paderborn bis zum Jahr 1866. Bad Oeynhausen 1939. * Lappe, J.: Siechenhäuser im Paderborner Lande. In: Heimatborn, 12, 1932, Nr. 7 * Liese, W.: Westfalens alte und neue Hospitäler. In: Westfälische Zeitschrift, 77/ II, 1919 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 59 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Aufnahme der Kranken in das Hospital aus. Später geriet das Hospital stärker unter städtischen Einfluss. Der Seelsorger der Laurentiuskapelle wurde vom Probst der Gaukirche eingesetzt. Aufgrund eines Kompetenzstreites zwischen Gaukirche und dem Rat der Stadt. verfügt Bischof Balduin, dass das Patronatsrecht über die Kapelle und die Verfügungsgewalt über den s.g. Burhof an der Kapelle mit den dazugehörigen Äckern bei der Äbtissin verbleiben sollte. Das Belegungsrecht für das Hospital sollte aber beim Magistrat und bei dem Pfarrer Konrad Vonderbeck bleiben, der dem Hospital größere Zuwendungen gemacht hatte. Das Nikolai-Hospital wird nach Gründung des städtischen Gaukircharmenhauses aufglöst Abriss (s.a. Abb. 59 und 60 in Brandt/ Hengst, Gaukirche, S. 151). 1314 1347 1824/26 1884 1333 1394 u. 1400 1745 1868 Siechenhaus mit Georgskapelle Erste Erwähnung des vor dem Westerntor an der Straße nach Salzkotten gelegenen Siechenhauses im Jahre 1333. Die Seelsorge wird vom Gaukrichprobst ausgeübt. Die Leitung unterstand zwei städtischen Provisoren. Der Probst nimmt 1394 und 1400 Schenkungen für das Siechenhaus entgegen. Auch in späterer Zeit gingen dem Siechenhaus immer wieder Stiftungen zu, so dass es zu gewissem Wohlstand kam. Städtische Verwalter verliehen Gelder aus dem Kapital des Siechenhauses. Aufhebung des Hospitals Abriss der Siechenkapelle. (Abb. 61 Brandt/ Hengst, Gaukirche, S. 153) weitere Literatur: Bieling, A.: Das Paderborner Siechenhaus. In: Westfälische Zeitschrift 28, 1869, S. 365-371 Wieks-Armenhaus Durch Kaspar van der Wiek wurde das Armenhaus 1583 in der Schäfergasse im Bereich der Gaukirchpfarre zur Aufnahme von Witwen gegründet. Das Haus war frei von städtischen Lasten. Dieses Witwenhaus bestand bis zur Gründung des städtischen Armenhauses. 1583 1824/26 seit 1655 1826 Stadelhofer Armenhaus Das Stadelhofer Armenhaus erhält ist seit 1655 nachweisbar. Es erhält Geld aus der privaten Stiftung des Dombenefiziaten Gerhard Rueter. (PAVLICIC in: Brandt/ Hengst, Gaukirche, S. 158) Lage? Städtisches Armenhaus Nach Veräußerung der alten Hospitäler, wurde im ehemaligen Gaukirchkloster ein städtische Armenhaus eingerichtet. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 60 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.5 1.5.3.5.1 Städtisch- bürgerliche Bauten Rathaus am Rathausplatz106 Der Bau eines Rathauses setzt die Existenz eines stästischen Rates voraus, der auch Amtsgeschäfte ausführt. Für 1222 wird erstmals ein Siegel in einer nicht mehr vorhandenen Urkunde erwähnt. 1224 wird es Paderborner Bürgern gestattet, einen stellvertretenden Stadtrichter zu wählen. Spätestens zu dieser Zeit bestand also eine mit besonderen Rechten ausgestattete bürgerliche Stadtgemeinde in Paderborn. Von 1231 ist das erste Siegel mit der Umschrift: „CI(VES PAT) E (RB) ORNENSES“ (=Die Paderborner Bürger) erhalten. Aus dem Jahre 1245 stammt das erste erhaltene Siegel, das man zweifelsfrei als Stadtsiegel bezeichnen kann. Umschrift: SIGILLUM. PADERBORNENSIS: CIVITATIS (= Siegel der Stadt Paderborn) Es vergehen aber noch etwa 30 Jahre, bevor 1279 erstmals ein Rathausgebäude für Paderborn urkundlich genannt wird, das „rathus sive praetorium“ (Rathaus und/ oder Palast/ Herrenhaus/ Rathaus) (Westf. Urkundenbuch IV.1565). Eine Lokalisierung ist bis jetzt nicht möglich. Konkret fassbar werden Baudaten erst 200 Jahre später. Ein mit römischen Zahlen versehener Wappenstein, der an der Nordosteseite des heutigen Rathauses angebracht ist, datiert in das Jahr 1473. Dies deutet auf einen Neubau oder umfangreiche Umbauarbeiten. MICHELS erstellte eine Rekonstruktion des Baues von 1473 nach Bauzeichnungen von 1870-1878. Er bezeichnet die beiden östlich von Norden nach Süden verlaufenden Tonnengewölbe als Reste des Rathauses von 1473 (MICHELS, Baugeschichte). Zwei zwischen den Tonnengewölben befindliche Holzsäulen datiert bei den Umbauarbeiten 1870 ff der Architekt Volmer in den erwähnten Bauzeichnungen mit 1473 bzw. mit 1507. Die Jahreszahl 1507 kann für Baumaßnahmen aus der Zeit nach dem großen Stadtbrand vom 17. März 1506 gedeutet werden. Das Dach des älteren Baues verlief nach MICHELS von Norden nach Süden. Dieses später wiederverwendete Dach bezeichnet Volmer 1870 anno „ai 1506“. An der Westseite vermutet MICHELS eine überdachte Freitreppe. Im zweischiffigen Erdgeschoss befanden sich u.a. die Stadtwaage, Verwaltungsräume und Verkaufsstände an den Rathaustreppen. Im Obergeschoss lag ein durch Säulen in zwei Schiffe geteilter Saal. Ebenso war die Ausübung der stadtrichterlichen Tätigkeit mit dem Rathaus verbunden. Für eine Kapelle am (im?) Rathaus ist 1481 die Stiftung eines Benefiziums auf den Altar bestätigt (StAP, U 178). Die steinerne Kapelle war von Bürgermeister, Rat und Gemeinde gebaut und der Hl. Dreifaltigkeit und der Mutter Gottes geweiht. Sie befand sich vermutlich bis zum Neubau des Rathauses im Jahre 1613-20 neben dem großen Saal. 1222 / 1224 1231 1245 1279 1473 1481 Rekonstruktion des gotischen Rathauses nach Paul Michels 106 Quelle für dieses Kapitel bzw. weiterführende Literatur insbesondere: • Müller, Rolf-Dietrich, Stöwer, Herbert: 700 Jahre Paderborner Rathaus. Katalog zur Ausstellung • des Stadtarchives im Museum für Stadtgeschichte Paderborn. Paderborn 1979 Michels, Paul: Aus der Baugeschichte des Paderborner Rathauses. In: Westfälische Zeitschrift. 96. Bd., 1940, 2. Abt., S. 52-84 FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 61 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1604 1611 1613 - 1620 1604 wird der Marktplatz vom Rathausvorplatz zur Kohlgrube verlegt, wo er sich bis heute befindet (Privilegienbuch der Stadt Paderborn II, STAP, A 5001 Bl. 65-92, in Schäfer, 700 Jahre, 1979, erwähnt) Eine Münzwerkstatt im Rathaus ist für 1611 beschrieben (StAP, A5007 Bl. 95). Im gleichen Jahr befiehlt Bischof Dietrich von Fürstenberg, das Rathaus zu „besßern“. Nach dem erhaltenen Ratsprotokollbuch erstellt der Rat eine Vorlage und fasst einen Beschluss. Demnach soll das Rathaus repariert werden, wenn sich aber zeigt, dass es baufällig sei und die Kosten unverhältnismäßig sind, dann ist auch ein Neubau in Betracht zu ziehen. Letztendlich stimmte der Rat für einen Neubau, obwohl dieser mit beträchtlichen Kosten verbunden war. (StAP A 5007 Bl. 99). Die Bauzeit betrug insgesamt 7 Jahre. 1612 werden bereits andere Bauaufgaben reduziert, um Geld für das neue Rathaus zu sparen. So wird für die Ausbesserung der Stadtmauern und Türme kaum etwas ausgegeben. Es wird am Rathausdach und am Stadtweinkeller gearbeitet. 1613 ist Baubeginn für das neue Rathaus. Die Stadtrechung aus diesem Jahr ist verloren. Vor allem über den Architekten herrscht Unklarheit. BRAND, GREVE und RICHTER behaupten, dass der Baumeister Dieter Schauker und der Maurermeister Zurhoven beauftragt waren. Für diese Angaben finden sich aber keine Belege. Zwar befindet sich unter der Giebelspitze des nördlichen Rathausvorbaus das Monogramm „TS“, doch finden sich in keiner der folgenden Stadtrechung die Namen von Schauker und Zurhoven (1617 in Armut verstorben). FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 62 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Nach SONNEN (Weserrenaissance) waren 1614 der Zimmermeister Peter Riheln von Hoxar (Höxter) und wenig später dann der Steinhauer und Maurermeister Hermann Baumhawer aus Wewelsburg am Bau beschäftigt (1615 „Herman von Wevelßburg“, in der Baurechnung erwähnt, StAP A 5040 Bl. 44). Er hatte an der Wewelsburg 1604 für den Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg Umbauten vorgenommen. Entsprechend den Gepflogenheiten der Zeit dürfte Baumhove als Maurermeister dann auch die Bauleitung des Rathauses innegehabt haben. Möglicherweise wurde er als Ersatz für den erkrankten Zurhoven gerufen auf Empfehlung des Fürstbischofes, dessen „Hofarchitekt“ er war. Das Jesuitenkolleg und die Universität werden Baumhawer zugeschrieben, möglicherweise führte er auch Arbeiten am Schloss in Neuhaus aus. Herman Baumhawer errichtete später für sich selbst ein Haus an bevorzugter Stelle nahe der Marktkirche (Marienplatz 2). 1613 wurden Teile des alten Rathauses abgerissen und erste Arbeiten für den Neubau durchgeführt. Möglicherweise wurde in diesem Jahr bereits ein Vertrag mit Baumhauer abgeschlossen, da er 1614 zwanzig große Fenster für das Rathaus liefert (Stadtrechnung 1614). Wie aus den Stadtrechnugen hervorgeht, spenden verschiedene Zünfte Geld für den Rathausbau. Zudem werden Darlehn von Privatleuten aufgenommen.375 Tlr. überläßt der Fürstbischof der Stadt aus Steuereinnahmen. Am neuen Rathaus wird zunächst gleichzeitig gebaut und abgebrochen, zumindest im Jahr 1614. Im März 1614 wird das Zimmerwerk abgebrochen. Die alten Mauern und der Rathausgiebel müssen „umschraubt“ werden. Das Dach des alten Rathauses von 1506 (Neuerrichtung nach dem Brand ?) wird anscheinden wiederverwendet, um 90° gedreht und durch Aufschieblinge im Querschnitt erweitert und somit dem neuen Rathausgrundriss angepasst. (MICHELS) 1615 ging die Bauaufsicht auf die „Kämmerer und Fünfer“ über. In diesem Jahr erfogte auch ein großer Teil des Innenausbaus, was sich in der Rechnung in Ausgaben für Weller- und Pliesterarbeiten (als Unterkonstruktion für Lehm), für Anstreicherarbeiten und Pflasterarbeiten niederschlägt. Der Fußboden wurde eingebaut, teils aus Holz Die Küche und zwei Gemächer nach dem Schildern wurden mit Almekies gepflastert. (MICHELS). Unterbrechungen am Bau sind wohl aufgrund eines Brandes 1616 festzustellen. Dennoch wird für 1616 der Baumeister „Henrich Overkotte“ in der Stadtrechnung erwähnt (StAP A 5041, Bl 32). Er führte u.a. Arbeiten zwischen den Pfeilern und am Keller aus. H. Overkotte, ein Renaissance-Baumeister, aus Lemgo stammend, war u.a. auch Baumeister des Neubaus der Abtei Gandersheim. Von ihm existieren dort eine Meisterinschrift und ein Steinmetzzeichen aus dem Jahr 1600. Aus der Akte geht weiterhin hervor, dass sich zwischen den Rathaussäulen ein Gerichtsstuhl befand. (SCHÄFER, 700 Jahre, 1979, S. 25). Für 1618 fehlt die Rechnung, 1619 ist ein schlechtes Jahr für die Stadt. 1620 wird vor allem im Keller gearbeitet und der Saal mit einer Galerie ausgestattet. Die Baukosten beliefen sich insgesamt auf ca. 8000 Taler (MICHELS, Baugeschichte). 1726 1726 datiert ein Wappenstein in der Mitte des Hauptgiebels mit dem Stadtwappen und der Inschrift „RENOVATUM“. Dies deutet also auf umfangreichere Instandsetzungsarbeiten hin. Die Jahreszahl 1726 findet sich FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 63 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1779 1807 1845 1870-1878 1890/ 1900 1903 1945 1947 1954 weiterhin in Stein gehauen unter der Spitze des südlichen Frontgiebels sowie in der Wetterfahne des Südgiebels. Einzelheiten der Umbauten lassen sich nicht nachweisen, da die Baurechnungen aus dieser Zeit fehlen, umfasste aber wohl Renovierungen im Innen- und Außenbereich. Architekt Volmer, Leiter des großen Umbaus von 1870 vermutet, dass der große Saal vom Schildern bis zur Südseite erst um 1726 entstanden ist. (SCHÄFER, 700 Jahre, 1979, S. 30) 1779 wurden erneut Umbau- und Renovierungsarbeiten durchgeführt. Die Jahreszahl 1779 war an drei Stellen am Karniesprofil der Fenster im Erdgeschoss des Ostbaues nachweisbar: Eine Zahl fehlt seit dem Wiederaufbau nach 1945. Aus dem Jahre 1807 existiert ein Rathausinventar: „Inventarium der hiesigen Stadtwaage, An Silber, Auf der Registratur, Auf der Kämmerey, Auf der Gerichtsstube, Auf der Küche, Zur Eiche, Zur Steinkuhle, Zum Pflastern, Zur Wasserkunst“ (StAP A357) Mitte des 19. Jahrhunderts wird durch den bekannten Zeichner F.J. Brand das Paderborner Rathaus kritisiert: „Es zeigt wie alle Bauten jener Zeit, den tiefsten Verfall der Kunst“. Brand bemängelt vor allem die Mischung verschiedener Stilelemente, ohne dass ein bestimmter Stil gewählt worden wäre. (BRAND, F.J.: Kurze Beschreibung der Stadt Paderborn, zunächst für Fremde und Reisende, Paderborn 1846) In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts wurde ein großer Umbau des Rathauses unter der Leitung des Architekten Rudolf Volmer durchgeführt. Das Rathaus befand sich ín einem schlechten baulichen Zustand. Während der Bauarbeiten traten noch weitere, gravierende Mängel zu Tage. Die Baukosten erhöhten sich von 51.000 Reichsmark auf 200.237 RM. Die Stadt verschuldete sich hoch und sah sich gezwungen, zur Finanzierung wertvolle Grundstücke zu verkaufen. Volmer wurde 1874 seines Amtes enthoben, da man ihm die Hauptschuld an der enormen Baukostensteigerung zuschrieb. Er ließ an mehreren Stellen boshafte Sprüche, s.g. Kamelinschriften einmeißeln sowie an verschiedenen Stellen steinerne Figuren von zu Fratzen verzerrten Gesichtern einiger Stadtverordneter anbringen. (MICHELS). Bei den Baumaßnahmen wird auch die „gewaltige Mittelmauer“ des Rathauses entfernt, bei der es sich um die ehemalige Außenmauer des alten Rathauses von 1473 handeln muss. Die wachsende Einwohnerzahl und erweiterte Verwaltungsaufgaben veranlassten die Stadtverwaltung zu Beginn der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts, in leerstehende Räume des ehemaligen Gaukirchklosters umzuziehen, das nach der Säkularisation in den Besitz der Stadt gekommen war. Dort verblieb die Verwaltung bis zur Zerstörung des Gebäudes 1945. Die frei gewordenen Räume im Rathaus erhielt der Altertumsverein für Ausstellungszwecke zur Verfügung gestellt. Der Rathaussaal diente weiterhin repräsentativen Zwecken. Außerdem wurde die 1903 gegründete Paderborner Stadtsparkasse bis 1928 im Rathaus untergebracht. Danach wurde sie in das Heising´sche Haus verlegt. 1945 wurde nahezu das gesamte Rathaus mit Ausnahme des Kellers durch Brand zerstört. Bereits 1947 konnte das Richtfest des Wiederaufbaus gefeiert werden, 1954 wurde der Wiederaufbau eingeweiht. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 64 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.5.2 Das Ükernrathaus (1527-1843) Ecke Heiersstraße/ Thisaut In Paderborn befand sich bis 1843 ein weiteres Rathaus, das Ükernrathaus. Jede Paderborner Bauerschaft besaß ein eigenes Versammlungshaus. Unter diesen Versammlungstätten nahm das der Maspernbauerschaft, das „Uekernrathaus“, eine besondere Stellung ein, da dort ein Gericht seinen Sitz hatte. Dieses Gericht ging auf den judex de Aspethera, den Richter der selbstständigen Gemeinde villa Aspethera, zurück, der auch nach der Einbeziehung der Gemeinde in die Stadt Paderborn beibehalten worden war. Dieses Rathaus wurde 1843 abgebrochen. (Akad. Bibliothek Paderborn AV, Cod. 177 Bl.7; Greve: Hist. Wanderungen, 1900. Hübinger: Verfassung, S. 37/38 u. 112. S.a. Zeichnung von F.J. Brand von 1841) 1.5.3.5.3 Um 1560 1971 1972 1972 1976 Bürgerhäuser Adam- und Eva-Haus („Erzengelhaus“) Hathumarstr. 7, Museum für Stadtgeschichte An dieser Stelle kann und soll kein Gesamtüberblick über ehemalige Bürgerhäuser der Stadt Paderborn gegeben werden. Das Thema bedarf einer umfassenden Aufarbeitung. Zudem sind die ehemals sehr zahlreich vorhandenen Bürgerhäuser heute fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden und haben längst ihre stadtbildprägende Wirkung verloren. Eines der wenigen erhaltenen Ackerbürgerhäuser in Paderborn ist das sogenannte „Adam- und Eva-Haus“, auf das hier exemplarisch eingegangen werden soll. Das Gebäude wird seit der Renovierung bis heute als Stadtmuseum und Ausstellungsraum des Paderborner Kunstvereins genutzt. Kunstgeschichtlich wertvoll ist insbesondere der straßenseitige FachwerkSchaugiebel. Der untere der drei Schnitzbalkenfriese stellt den Sündenfall Adam und Evas, die Vertreibung aus dem Paradies sowie zwei Engelsfiguren dar. Halbkreisförmige Palmettenmotive unterteilen den Fries. Der mittlere Fries zeigt zwischen den Rosetten die Symbole der vier Evangelisten. Der oberste (wiederentdeckte) Fries zeigt grimassenschneidende Männergesichter. Die Balkenköpfe der beiden unteren Friese sind mit Personenköpfen, die des oberen Frieses mit Blattmotiven verziert. Um 1560 wurde das Gebäude errichtet und im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut (Krüppelwalm, Schaufenstereinbau, Grundriss u.a.). Die heutige Rekonstruktion erfolgte nach einer Zeichnung (vermutlich aus der 2. H. 19.Jh.), die wahrscheinlich vor einem Umbau angefertigt wurde (s.a. „Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Paderborn“, 1899). Übernahmeantrag der Stadt Paderborn Brand im Dachstuhl vernichtet das Dach und den rückwärtigen Gebäudeteil Erarbeitung eines Wiederaufbaukonzeptes mit dem Landesamt für Denkmalpflege, Münster, mit dem Ziel einer weitgehenden Wiederherstellung nach dem Originalzustandes d.h. als dreigeschossiges, dreischiffiges Vierständerhaus.. Abschluss der Arbeiten, Kosten 760.000 DM Literatur: WEBER, Franz Josef: Das Adam- und Eva-Haus. Blätter aus dem Museum für Stadtgeschichte. Hrsg. Museum für Stadtgeschichte. Paderborn 1980. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 65 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.5.4 Wasserversorgung, die Paderborner„Wasserkunst“ Wasserkunst Zunächst bezeichnet der Begriff „Wasserkunst“ Anlagen zur Betreibung von aufwendigen Wasserspielen in barocken Parkanlagen. In vielen Städten jedoch wurden sie zur Wasserversorgung des Stadtgebietes eingesetzt. Erste Funktion war die Nutzung des gespeicherten Wasser als Löschwasser. Erst in zweiter Linie diente sie der Versorgung der Bevölkerung mit Frischwasser. Die Technik zum Betreiben einer Wasserkunst ist bereits seit dem Mittelalter bekannt und vermutlich aus dem italienischen Raum übernommen. Häufig entschloss man sich zu Errichtung einer Wasserkunst, wenn z.B. das Wasser der Trinkwasserbrunnen durch Bevölkerungszuwachs oder verändertem Grundwasserspiegel nicht mehr ausreichend war. Die repräsentativ gestalteten Behälter - Kümpe - deuten auf die Exklusivität dieser Anlagen, zu denen die einfachen Bürger oft keinen Zugang hatten. In den Städten mit einer Wasserkunst versorgte sich ein Großteil der Bevölkerung weiterhin aus Grundwasserbrunnen. Brand 1506 1523 (?) 1662 1663 1819 1820 1852 1855 1857 Überblich zur Geschichte der Paderborner Wasserkunst 107 Im Jahre 1506 zerstörte ein Brand in Paderborn über 300 Häuser. Vermutlich war dies der Anlass eine Wasserkunst zu planen. 1523 ging dann in Paderborn eine der ersten Wasserkünste in Westfalen in Betrieb. Zum Bau der Wasserkunst war die Erlaubnis des Domkapitels einzuholen, das über die alleinigen Wasserrechte an der Pader verfügte. 1523 wurde ein Vertrag abgeschlossen (StAM, 593, Domkapitel Paderborn (Fürstentum Paderborn 2289a). Das erste Gebäude der Wasserkunst wurde vermutlich bereits 1583 ersetzt, da das 1854 abgerissene Gebäude diese Jahreszahl trug. 1812 ersetzte man die Quelle und die offenen Rinnen durch einen gemauerten Kanal. Die Wasserkunst arbeitete bis in das 19. Jh. im wesentlichen unverändert. Nur technische Verschleißteile mussten repariert werden. Inbetriebnahme der Wasserkunst Beschwerde des Klosters Abdinghof wegen Schäden im Baumgarten des Klosters durch die defekte Wasserleitung. Aufforderung des Bischof an die Stadt, die defekten Leitungen aus dem Baumgarten zu entfernen. ist eine Überholung der Leitungen fällig Ersatz der alten Holzleitung zum ebenfalls neu errichteten Kapuziner-Kump durch eiserne Leitung vom Rathauskump. Pläne mit Leitungsverlauf aus dieser Zeit liegen dem Manuskript SCHRÖDER bei, zusammen mit schriftlichen Erläuterungen des Stadtbaurates MICHELS zum Verlauf der Leitungen. Austausch der Blei- durch Eisenröhren steht an; Es wird eine erneute Leitungsführung durch den Klostergarten aus wirtschaftlichen Gründen empfohlen. Ersatz der alten Bleiröhren, die nun von der Stadt verkauft werden. Leitung zum Busdorf-Kump errichtet. 107 Literatur: Melzer, Ulrike, Historische Formen der Wasserversorgung in den Städten des ehemaligen Hochstiftes Paderborn. Im Wesentlichen nach einem Manuskript von F. Schröder, Geschichte der Wasserversorgung der Stadt Paderborn, 1981. Das Manuskript befindet sich bei den Stadtwerken Paderbon) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 66 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1875 existiern ca. 40 private Hausanschlüsse (Sanitätsbericht 1875 a.a.O., S.173). Das Wasser der Wasserkunst wird auch als Spülwasser für die Kanalisation genutzt. Beschreibung der Leitungsverläufe im Lagerbuch der Stadt Paderborn. In diesem Jahr wird eine neue Leitung angelegt (Promenade, Rosenstraße, Westernstraße) Anlage eines modernen Wasserversorgungssystem heißt der Kump auf dem Kamp auch Liborikump nach der in diesem Jahr für den Kump gestifteten Sandsteinfigur des Hl. Liborius. Typhusepidemie aufgrund mangelhafter Wasserleitungen (Hausanschlüsse). Das Wasser aus den Brunnen ist besser. (Sanitätsbericht 1892-1894) 1880 1887 1894 1895 Leitungssystem Steigleitung Bauliche Details zur Wasserkunst Als Hauptreservoir der Paderborner Wasserversorgung diente der LiboriusKump auf dem Kamp, von dem aus alle anderen sechs Kümpe gespeist wurden. Pläne von 1820 zeigen den Verlauf der Leitungen. Das Wasser wurde aus einer mit einer Brunnenstube umgebenen Quelle an der Pader entnommen. Diese Quelle lag in der nördlichen Ecke vom s.g. „Brüning´s Garten“ in Höhe des Piushauses (MELZER, 1995, S. 74). Von hier aus wurde das Wasser durch einen gemauerten Kanal unter der Straße „An der Wasserkunst“ zum Pumpenhaus geleitet. Parallel zu diesem Kanal, aber in entgegengesetzter Richtung, wurde das Wasser dann bis zur Treppe des Pius-Hauses geleitet und von hier aus weiter hochgepumpt. Die Steigleitung (Länge 2056 Fuß) hinauf zum Libori-Kump verlief dann entlang der Straße Am Abdinghof (früher: Hinter den Mönchen) an der Abdinghofkirche, der Alexiuskapelle und dem Fürstenhof vorbei. Von hier führte die Leitung weiter über den Markt und die Grube hoch zum Libori-Kump auf dem Kamp. Vom Libori-Kump aus wurden dann durch drei Gefälleleitungen die übrigen sieben Kümpe gespeist. Die erste verlief paralel zur Steigleitung abwärts zum Neptun-Kump am Markt. Die zweite verlief entlang des Kampes nach Westen, wo sie zunächst den RathausKump, dann den Kump am Kettenplatz und zuletzt den Kapuziner-Kump versorgte. Die dritte Gefälleleitung verlief vom Libori-Kump den Kamp entlang nach Osten und dann die Heierstraße hinunter. Sie speiste zunächst zwei Zapfstellen an der Heierstraße, wovon die eine zum Waisenhaus gehörte, die andere zur bischöflichen Wohnung. Sie endete im Kump an der Busdorfer Schule. Die Steigleitung wurde zunächst nicht am Alexiusgarten vorbeigeführt, sondern durch diesen hindurch. Dies belegt ein Vertrag zwischen der Stadt und dem Kloster Abdinghof aus dem Jahr 1587 (nach SCHRÖDER, 1981, S.98). Nach stetigen Streitereien zwischen Kloster und Stadt ist die Leitung wohl schließlich zu Ende des 17. Jh. entfernt und auf die neue, längere Trasse umgelegt worden. Nachdem das Kloster säkularisiert worden war und sich somit im Besitz des preußischen Staates befand, wurde anläßlich einer Renovierung der Leitungen wieder eine Trasse durch den Alexiusgarten gewählt, da diese kürzer (1730 Fuß) und somit preiswerter war. Die Bleirohre wurden durch Eisenrohre ersetzt. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 67 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Der Verlauf der Leitung im Jahr 1880 läßt sich dem Lagerbuch der Stadt entnehmen.108 Hervorzuheben ist die Kontinuität der Leitungen seit 1523. So waren sie wohl bereits zu ihrer Entstehungszeit mit einer günstigen Linienführung angelegt worden. Sie bestanden zunächst aus Holz, dann aus Blei und zuletzt aus Eisenrohren. Technologie, Reparatur und Instandhaltung der „Wasserkunst“ waren nicht ganz einfach. So mußte 1663 zur Reparatur ein Spezialist aus Kassel herbei gerufen werden. Privatanschlüsse Auf Antrag war es möglich gegen Entgelt einen privaten Anschluss an die Wasserkunst zu bekommen. Einen solchen benötigten besonders Gewerbetreibende wie Brauer oder Bäcker. Zwar wurden die Rechte sparsam vergeben, aber schließlich war die Zahl der Anschlüsse so hoch, dass die Wassermengen zur Versorgung nicht mehr ausreichten. Die Funktion als Löschwasserbehälter war gefährdet. Ab 1887 wurde mit dem Aufbau einer öffentlichen, moderneren Wasserversorgung begonnen. Kapuzinerkump Seit 1626 wurde das 1612 gegründete Kapuzinerkloster durch eine eigene Wasserkunst versorgt. Im Zuge der Säkularisation wurde der Kapuzinerkump der Stadt Paderborner geschenkt, um ihn in der Westernstraße aufzustellen. Nicht zuletzt sollte er in diesem Stadtviertel die Funktion eines Löschwasserbehälters übernehmen. Eine neue Leitung aus Eisenrohren vom Rathauskump wurde bereits 1822 verlegt, da die alte Holzleitung, die zum Franziskanerkloster führte, nicht mehr genutzt werden konnte. Gegen die Aufstellung des Kumpes vor dem Kloster gab es jedoch Einsprüche, so dass der Kump erst 1831 in Betrieb ging. Von den alten Teilen wurden letztendlich jedoch nur die sandsteinernen Springrohre und ein muschelförmiges Becken wiederverwendet, der Kump selbst wurde aus neuen Steinen errichtet. 108 „Von der Pumpe (...) läuft die Hauptröhrenleitung zur Oberstadt aus dem Gebäude heraus quer durch die Straße, durchschneidet den Alexiusgarten (...) in schräger Richtung, ungefähr 10 m von der Kapelle entfernt, tritt dort in die Straße, durchschneidet diese ebenfalls in schräger Richtung bis zu Ecke des Fürstenhofes, dreht sich dann rechts bis zum Markte, durchschneidet diesen in schräger Richtung bis zur Grube und durchzieht diese in ihrer Mitte bis zum Wasserkumpe auf dem Kampe. Von dem Rohr auf dem Markte zweigt sich eine Nebenleitung ab zum Marktkump, die erst seit ungefähr 10 Jahren angelegt ist. Früher, ehe diese angelegt war, floß das Wasser (...) vom Kampkump zum Marktkump. Diese Leitung liegt noch; sie wird zur Zeit benutzt für die Privatleitungen am Markt, in der Grube und im Schildern. Außer dieser Nebenleitung fließen aus dem im Kump auf dem Kampe befindlichen Kümpchen folgende drei Nebenleitungen: Die erste fließt über die Kampstraße zur Kasseler Straße, dreht sich, (...), rechts (richtig: links) und läuft dann über den Steinweg bis zum Kump an der Giersstraße, unterwegs die Wasserpfosten bei der bischöflichen Wohnung und beim Waisenhause speisend. Die zweite Leitung fließt über den Kamp am Gymnasium vorbei zum Kumpe vor dem Rathaus, speist diesen, läuft dann am Kettenplatz vorbei die Westernstraße entlang bis zum Kump am Franziskanerkloster. Die dritte, erst in diesem Jahr angelegte Leitung, durchläuft die Promenade bis zum Wollagergebäude, wo ebenfalls eine Pumpe sich befindet, geht vom Wollagergebäude bis zur Rosenstraße,dreht sich hier rechts, durchzieht die Rosenstraße in ihrer ganzen Länge und mündet beim Eintritt in die Westernstraße in das dort befindliche Rohr der Leitung ad. 2). Jeder Kump ist mit 2 Krähnen, einen zum Schöpfen aus dem Kump, einen anderen zum Zapfen aus dem Rohre, versehen.“ (Melzer, 1981, S. 75; zietiert nach Schröder S. 104f.) FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 68 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW 1.5.3.6 Historische Keller als Quellen der Stadtgeschichte Eine Besonderheit Paderborns besteht in dem überaus reichen Bestand an historischen Kelleranlagen, die in deutlichem Kontrast zu der heutigen aufgehenden Bausubstanz stehen. Während spätestens durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges die obertägige, historische Bebauung in wesentlichen Bereichen verloren ging, vermitteln die erhaltenen untertägigen Baustrukturen eine erstaunliche Informationsdichte zur Siedlungsentwicklung. Dies betrifft besonders die Domimmunität und den Schildern. Die folgenden Beispiel verdeutlichen dies sehr anschaulich. 1.5.3.6.1 Der ehemalige „Bischofspalast“ in der Immunität Die heutigen Parzellen „Am Abdinghof 1“ und „Diözesanmuseum“ betreffen ein in einer Urkunde von 1336 als „Bischofspalast“ bezeichnetes Gebäude. Bei diesem bischöflichen „palatium“ muss es sich um einen mindestens 13.50 m tiefen und über 60 m langen Baukörper gehandelt haben, der sich in Ost-West-Richtung vom Dom bis „zum Hof des Paulsklosters“ erstreckte. Durch die Projektion von archäologischen Informationen und baulichen Befunden in das moderne Stadtkataster ergibt sich ein anschauliches Bild der Lage des ehemaligen Bauwerkes und seiner Umgebung. (siehe Abb. ). Der „Bischofspalast“ wurde als solcher bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts genutzt. Die Verlegung der bischöflichen Residenz nach Neuhaus im Jahr 1275 führte zum Verfall des Gebäudes. Das Grundstück mit dem baufälligen Gebäudebestand wurde schließlich ganz aufgegeben und 1336 dem Domkapitel zum Abriss und zur Neuparzellierung überlassen. Bereits 1359 ist der Neubau einer Kurie nachweisbar (Am Abdinghof 1). In diesem Gebäude, welches 1730 im barocken Stil erneuert wurde (HOPPE, S. 93) haben sich in dem durch den 2. Weltkrieg kaum zerstörten Keller Spuren des alten „palatiums“ erhalten. Weitere Gebäude auf dem Areal des ehemaligen „palatiums“, von deren Existenz man durch das „Urkataster“ von 1830 weiß, sind im 20. Jahrhundert zerstört worden. Mit dem Bau des Diözesanmuseums gingen weitere Teile des „palatiums“ vor allem im Kellerbereich verloren. Laut einer Urkunde aus dem frühen 14. Jahrhundert waren auch südlich vor dem „palatium“ Gebäude vorhanden und zwar zwischen einem durch den Palast führenden Tor und der Mauer des Domfriedhofs, also südlich vor dem heutigen Diözesan-Museum. Die Grundstücksgrenzen insbesondere auf der Fläche des heutigen Diözesanmuseums wechselten bis in jüngste Zeit häufig. Deshalb sind die in großen Bereichen unverändert erhaltenen Kellerstrukturen die einzigen erhaltenene Zeugen der Bauphasen vor und nach 1336. Spuren des „Bischofspalastes“ Die noch vorhandenen Spuren mittelalterlicher Baureste können in einem „Rundgang“ erschlossen werden. Über das Diözesan-Museum erreicht man den östlichsten Teil der historischen Kelleranlagen. Zwar ist über die Originalsubstanz der einzelnen Mauerzüge nur bedingt eine Aussage hinsichtlich ihrer Zeitstellung zu treffen; da die Außenmauern jedoch offensichtlich die alte Palaststruktur nachzeichnen, dürften diese mit großer Wahrscheinlichkeit dem „palatium“ zuzuordnen sein [2]. Bei Ausgrabungen 1968 – 1971 durch W. WINKELMANN konnten Teile dieser Außenmauern freigelegt werden. WINKELMANN formulierte bereits in seinem Grabungsbericht, dass der frühere „Bischofspalast“ sich bis zum Fürstenhof erstreckt haben könnte: „Im Gelände südlich des Domturmes liegt in O-W-Erstreckung ein größeres Gebäude, an dessen Südost- und NordostEcke zwei charakteristische Ecksteine Meinwerkischer Bauten erhalten sind. [2, 3] Seine an der Ostseite erkennbare Breite beträgt 13,50 m. Die O-W-Ausdehnung ist ... auf fast 20 m FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 69 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW erkennbar; ältere Beobachtungen ... Michaelisstraße und im Garten der Fürstenberg-Curie haben eine noch weiter nach Westen reichende Ausdehnung angezeigt und machen es wahrscheinlich, daß sich dies Episcopium bis in die Fürstenberg-Curie erstreckt hat.“ (WINKELMANN, Ministerbericht 16.2.1970) Zeichnung/ Rekonstruktion: Kandler/Krieger 2002 Im Keller des Diözesanmuseums ist die östliche Außenwand/ Kellerwand des „palatiums“ gut erkennbar und an den Ecken zudem durch zwei typische „Meinwerk-Ecksteine“ gekennzeichnet. Der nördliche Eckstein [2] liegt im Außenbereich des Museums, da der Museumsbau keinen Bezug auf die historische Form nimmt. Der südliche Eckstein [3] wurde neu an alter Stelle innerhalb des Museums wiedereingebaut. Die 13,50 m lange und ca. 1,35 m starke östliche Abschlussmauer des Palastes war bei Freilegung durch WINKELMANN ca. 1 m hoch erhalten, zeigte aber auch Veränderungen bzw. den Neuaufbau der Mauern auf älteren Fundamenten an. Eine zeitliche Einordnung dieser Baumaßnahmen ist allerdings kaum möglich. [1] Durch eine durch die ehemalige Außenwand führende später angelegte Tür betritt man die zu Ausstellungszwecken genutzten Kellerräume. [1] Zunächst gelangt man in den größten Keller, einen langrechteckigen Raum [4], der in der östlichen Hälfte mit einem Kreuzgewölbe, in der westlichen Hälfte jedoch mit einer Tonne überdeckt ist, wodurch der Scheitelpunkt hier ca. 1.00 höher liegt. Der nördlich anschließende Keller [14] ist ebenfalls mit einem Tonnengewölbe überdeckt. Die Verbindungstür wurde beim Museumsbau neu geschaffen. Der ursprüngliche Zugang zu dem nördlichen Keller ist bei genauer Betrachtung in der Nordwestecke zu erkennen. Dieser Gewölbekeller könnte u.U. einem im Urkataster noch zu erkennenden Gebäude zugeordnet werden. Es handelt sich bei den beschriebenen Kellern wohl um Räume, die nachträglich innerhalb der älteren Palastaußenmauern errichtet wurden. Von dem bereits erwähnten langrechteckigen großen Hauptkeller gelangt man über einen sekundären Durchgang zu dem südlich vorgelagerten „Annex“-Keller, der ursprünglich ebenfalls über einen eigenen, repräsentativen Zugang erschlossen war. Dieser „Annex“-Keller wurde mit seinem nördlichen Mauerwerk eindeutig nachträglich gegen die Südwand des alten Palastes gesetzt. Die Art der Einwölbung mit ihren schlanken Pfeilern weist in die Gotik. Eine ähnliche Einwölbung ist auch im Keller Markt 2 zu beobachten (s.u.). [5] FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 70 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Die Zusammenlegung des „gotischen“ Kellers [5] mit dem nördlich gelegenen langrechteckigen Kellerraum [4] erfolgte möglicherweise im Barock, da der Sandsteinbogen des Durchganges barockzeitlich anmutet. Die unteren Teile der Pfeiler des „gotischen“ Kellers bestehen aus dem gleichen Sandstein wie der barocke Türbogen. Hierbei müsste es sich um eine Reperaturmaßnahme der übermäßig schlanken und somit anfälligen Pfeiler in der Barockzeit handeln. Die Schauansicht des Türbogens ist nach Süden ausgerichtet. Bei dem „gotischen“ Keller [5] scheint es sich um den bei VÜLLERS beschriebenen östlich unter der ehemaligen Löwenapotheke liegenden Keller zu handeln (VÜLLERS, Über älteste Baureste Paderborns, 1898, S.175). Vüllers Beschreibungen der Deckenkonstruktion in „gotischer Bauart“, der Mittelsäulen sowie des Durchganges zum Palatiumkeller stimmen mit der vorhandenen Situation überein. Unter dem Hauptgebäude des Domhofes beschreibt VÜLLERS einen weiteren sehr großen Gewölbekeller, der heute nicht mehr vorhanden ist [6]. Er erstreckte sich entlang der Abdinghofstraße und hatte eine Ausdehung von ca. 20.00 m x 10.00 m und war in der Mittelachse durch eine „Scheidemauer“ getrennt. Diese sei auf jeder Seite durch 8 Pfeiler verstärkt worden. Die Keller waren mit einfachen Kreuzgewölben eingedeckt. Diese Beschreibungen zeigen deutlich, dass im Bereich südlich vor dem Palatium verschiedene, gemessen an den aufwändigen Kellern, nicht unbedeutende Gebäude aus verschiedenen Bauphasen mindestens seit gotischer Zeit gestanden haben. Im weiteren Verlaufe der alten „palatium“-Südmauer wurde bei Kanalarbeiten in den 1930er Jahren wohl auch die östliche Kante einer Durchfahrt durch den Bischofspalast freigelegt [7] (ORTMANN, Die ältesten Befestigungen, 1977, Abb. S. 69). ORTMANN hat hier einen Mauerzug dokumentiert, der eindeutig einen Mauerkopf darstellt. Die 1,40 starke Mauer ist ergraben bis 2.30 m unter dem damaligen Straßenniveau. Dieser Befund legt nahe, dass die Durchfahrt sich im heutigen Verlauf der Michaelstraße/ Eselsgasse befunden hat. Leider ist ein Gegenstück des Mauerkopfes nicht erfasst, sodass in der Rekonstruktion von einer idealisierten Breite der Durchfahrt von ca. 3 m ausgegangen wird. Im weiteren Verlauf findet sich die Südmauer des „palatiums“ als 1,80 starke Keller- bzw. Fundamentmauer dann in der Kurie „Am Abdinghof 1“/ „Fürstenhof“ wieder. [8] Während die bisher beschriebenen Mauerzüge im rechten Winkel zueinander stehen, ist dies bei der westllichen Abschlussmauer des „palatiums“ im Keller des Fürstenhofes nicht der Fall. Die modernen Kataster zeigen, dass die Westmauer um wenige Grad nach Westen abweicht. Wird vorausgesetzt, dass der Palast bis an die Grenze zum Abdinghof reichte, dürfte sich der Mauerzug des alten Palastes auf eine noch ältere Flucht beziehen, die möglicherweise aus den ersten Anfängen der Stadt stammt. Die Westmauer ist, soweit zu erkennen, nur ca. 1,15 m stark. Sie ist nicht mehr auf ihrer gesamten Strecke zu verfolgen, da der nordwestliche Keller des „Fürstenhofes“ [9] nach Zerstörungen im 2. WK verschüttet wurde und heute unzugänglich ist. Die heutigen Keller des „Fürstenhofes“ befinden sich auf zwei Ebenen. Bevor man in den ältesten Teil im Südwesten des Gebäudes hinabsteigt [8,9], gelangt man von einem Zwischenpodest rechter Hand in die Kellerräume, die wohl im Zusammenhang mit dem Kurienneubau 1730 zu sehen sind [10]. Hier konnte während der Kellerbegehung im Rahmen der „Archäologischen Bestandserhebung“ eine weitere sehr interessante Beobachtung gemacht werden. Im weiteren Verlauf der als „nördliche Palastmauer“ angesprochenen Innenwand (s.u.) schließt sich im 900 Grad-Winkel innerhalb der Kellerräume eine nach Norden fluchtende sehr massive Wand an, so dass sich hier eine Gebäudeecke des ehemaligen Palastes andeutet. Daraus ergibt sich, dass sich an das Gebäude entlang der Abdinghofgrenze möglicherweise ein kleiner Nordflügel von ca. 7.00 m Breite und unbekannter Nordausdehnung angeschlossen haben könnte [11]. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 71 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Bei den tiefer gelegenen Kellern [8,9] in der Südwestecke des heutigen „Fürstenhofes“ handelt es sich möglicherweise um Originalsubstanz aus dem 11. Jahrhundert. Dies sollte durch eine bauarchäologische Untersuchung unbedingt geklärt werden. Stets besteht die Gefahr, dass durch Unkenntnis bei Umbauten oder Renoviereungen historische Subsanz verloren geht. Die Nordmauer [12] des „palatiums“ ist bereits ebenfalls innerhalb des „Fürstenhof“-Kellers fassbar (s.o.). Ihre grobe Beschaffenheit weist sie mit großer Wahrscheinlichkeit als Rest der alten Fundamentmauer aus. Vor der östlichen Außenfassade des heutigen „Fürstenhofes“ wurde 1958 bei Ausschachtungsarbeiten in gleicher Flucht wie die Nordmauer ein mindestens 1,30 m dicker Mauerzug aufgedeckt. Ein weiterer Teil der Nordmauer findet sich dann im nicht öffentlich zugänglichen Teil des Museumskellers. Der moderne Nordflügel des Museums schneidet diesen Mauerzug in Richtung Westen ab. In östlicher Fortsetzung begrenzt die Nordmauer den ca. 6,30 x 4.20 m großen bereits eingangs beschriebenen kleinen Gewölbekeller [14] . Dessen nördliche Rückwand trifft dann wieder auf die östliche Außenwand des Palastes. [2] Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass die Zusammenschau verschiedener bauhistorisch relevanter Informationen auch konkrete archäologische Fragestellungen für künftige Untersuchungen vorgeben kann. 1.5.3.6.2 Markt 10/ Grube Der Keller Markt 10/ Ecke Grube bestand aus mindestens zwei Teilen. Der höher gelegene nördliche, möglicherweise barockzeitliche Keller wurde nach Auskunft des Eigentümers nach dem zweiten Weltkrieg verschüttet. Bei dem zweiten Keller handelt es sich um einen spätmittelalterlichen Gewölbekeller mit vier Kreuzgewölben auf einem Grundriss von 4.60 m Breite und 13.00 m Länge sowie einer Höhe im Lichten von ca. 2.60 m. Das Laufniveau des Kellers liegt bei 3.00 m unter dem der heutigen Straße „Grube“. Trennwände und Treppe sind sekundär. Der Originalzugang ist nicht erkennbar. Während das nördliche der vier Joche ca. 3.50 m breit ist (in Nord-Süd-Ausdehnung), beträgt die Breite der übrigen drei nur je ca. 2.60m. Der Keller hat hinsichtlich seiner Lage keinen eindeutigen Bezug zu den aufgehenden Gebäuden. Zum Teil befindet er sich unter dem barockzeitlichen Gebäude Markt 10, nach Osten weist er in die Straße hinein, nach Süden reicht er nicht bis an die Grenze des aufgehenden Gebäudes. Nach Osten hin zieht sich der Keller bis in den Straßenbereich der Grube. Das ursprüngliche Haus war also breiter. Die Ostwand weist in ihrem Verbund mit dem Gewölbe Unterschiede zur Westwand auf. Die Ostwand ist unter die Gewölbe gesetzt und nicht wie üblich das Gewölbe vor die Mauer. Es bleibt durch eine detaillierte Bauuntersuchung zu klären, ob die Mauer nur verstärkt wurde, oder ob sie neu eingesetzt wurde, der Keller also eventuell sogar noch weiter unter die „Grube“ reichte. Im Gegensatz zu den übrigen Wänden ist die südliche Abschlusswand des Kellers zum Teil unverputzt und zeigt eine unregelmäßige Wandstruktur. Es ist klar zu erkennen, dass die relativ grob gemauerte Rückwand bei ca. 1.65 m unter dem heutigem Laufniveau der Grube auf Fels aufsitzt. Ob diese Mauer in ihrer Zeitstellung mit dem Keller identisch ist, ist nicht gesichert. Es könnte sich durchaus um einen älteren Mauerzug handeln. Unmittelbar vor dieser Mauer befand sich ein Brunnen. Die hier beschriebenen Beobachtungen lassen querliegende Mauerbefunde im Verlauf der „Grube“ von Bedeutung erscheinen, die in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts aufgedeckt wurden. Diese Befunde bestätigen, dass die „Grube“ nicht zu jeder Zeit als Zuwegung zur Immunität gedient hat. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 72 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Erwähnt wird die „Grube“ erstmals 1294 als in loco qui dicitur grove (WUB IV, 2305). Die Formulierung in loco zeigt, dass es sich dabei um eine Örtlichkeit und nicht um einen Weg handelt. 1374 wird die Situation auch als in fossa „im Graben“ (Msc. VII, 4217, Bl.36, nach HOPPE) bezeichnet, was noch eindeutiger auf die konkrete Grabensituation hindeutet. Es dürfte sich bei diesen Bezeichnungen also nicht um den heute als „Grube“ bezeichneten Weg handeln, sondern um den west-östlichen Verlauf des Grabens zum Schildern hin. 1396 lag im Bereich von Markt 10 das Benefizium „Mariae in choro“. Der beschriebene Keller könnte durchaus zu diesem Baukomplex gehört haben. Wenn 1630 in einer Urkunde von zwei hintereinander liegenden Häusern an der Ecke Grube/ Markt die Rede ist, dann bezieht sich dies allerdings wohl schon auf die heutige Wegeführung der Grube. 1.5.3.6.3 Markt 2 und 4 Beim Betrachten der beiden „modernen“ Gebäude Markt 2 und 4 ahnt der Betrachter nicht, dass sich an dieser Stelle im Spätmittelalter ein repräsentatives Gebäude befunden haben muss, mit einer bedeutenden Schaufront zum heutigen Markt von ca. 26 Metern. Im Keller von Markt 4 erinnern zwar nur die starken Außenmauern an einen älteren Vorgängerbau. Allerdings ist deutlich zu erkennen, dass sich in Markt 2 und Markt 4 die gleiche Außenmauer wiederfindet. In Markt 2 lässt diese Mauer sich aufgrund vorhandener Baudetails genauer klassifizieren. Die erhaltenen, sehr schlanken gotischen Stützpfeiler ähneln in ihrer Ausführung denen des gotischen Kellers im Diözesanmuseum (vgl. oben). Überträgt man die Gewölbestruktur von Markt 2 auf den Keller Markt 4, lässt sich eine gewaltige Halle, deren Kreuzgewölbe von insgesamt 12 Pfeilern getragen wurde, rekonstruieren (s. Abb.). Der originale Laufhorizont des Kellers Markt 2 liegt heute ca. 4,10 m unter dem Straßenniveau. Der originale alte Ausgang zum heutigen Markt zeigt deutlich, dass das Straßenniveau in gotischer Zeit erheblich tiefer lag. Wichtig ist zudem die Spitzwinkligkeit des Gebäudes zum Schildern hin. Auch wenn sich der Winkel aufgrund der nachträglich eingebauten Treppe nicht genau ermitteln lässt, deutet diese bauliche Struktur auf eine Erschließungssituation der Immunität in gotischer Zeit (15.Jh), die dem heutigen Straßenverlauf Schildern zumindest nahe kommt. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 73 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Rekonstruktion: Kandler / Krieger 2002 1.5.3.6.4 Schildern 8 Der Keller des Hauses Schildern 8 ist insofern von besonderem Interesse, da er sich im Bereich der ehemaligen Immunitätsgrenze befindet. Zudem wird in der Stadtgeschichtsschreibung hier eine Torsituation zur Domimmunität angenommenen. Der Keller besteht aus zwei großen Räumen unterschiedlicher Bauzeit mit sekundären Einbauten. Beide Kellerräume fügen sich mit ihrem Grundriss in das konisch zulaufende Grundstück ein. Ein Artikel im Westfälischen Volksblatt von 13.7.1939 berichtet über die Geschichte des Hause, leider ohne Quellenangaben. Der Hinweis, dass hier schon seit dem Jahr 900 das Schildertor gestanden haben soll, ist somit nicht nachvollziehbar. Eine Torsituation seit dem 15. Jahrhundert kann vermutet werden. Nachrichten aus dem 13. Jahrhundert, die den Gebäuden Schildern 8 und 13 zugeordnet werden, sind schwierig zu beurteilen, da sich die Strukturen des 13. Jahrhunderts in denen der heutigen Bausubstanz nicht eindeutig rekonstruieren lassen. Dies betrifft auch Nachrichten vom Anfang des 13. Jahrhunderts, dass hier eine Kette den Zugang zur Immunität von der Stadt aus versperrt habe. (SCHOPPMEYER, Stadtgeschichte I, S. 215). Ein Stadtbrand im Jahr 1506 hat auch den Schildern 8 betroffen. Die heute vorhandenen Keller sind wohl nach diesem Stadtbrand entstanden. Nach umfangreichen Zerstörungen im 2. Weltkrieg wurde das Gebäude auf den vorhandenen Kellern neu aufgebaut. Keller Raum 1 (rückwärtiger Keller zum Kötterhagen) Bei dem rückwärtigen Keller 1 handelt es sich um einen homogenen Kellerraum, der in der Südwand auf einen Parzellenknick Rücksicht nimmt und dadurch im Grundriss kein Quadrat, sondern ein unregelmäßiges Fünfeck bildet. Der Raum ist überwölbt mit einem vierteiligen Kreuzgewölbe, das in den aus Kalkbruchstein gemauerten Außenwänden auf leicht vorkragenden Konsolen ruht und in der Mitte auf einer leicht ausmittigen, schlanken, achteckigen Sandsteinstütze. Die lichte Raumhöhe beträgt 2.85 m. Die Entstehung dieses Kellers fällt vermutlich in das frühe 17. oder 16. Jahrhundert. Als Bauherren kämen die Bürgermeisterfamilien Perlensticker, Fabritius (zwischen 1590 und 1670) oder der Handelsherr Engelbert ab Elsen (1670 – 1712) in Frage. Keller Raum 2 (Keller zum Schildern) B Der Keller 2 unterscheidet sich in seiner Konstruktion grundlegend von Keller 1. Der Durchgang ist sekundär. Er wurde von Keller 1 aus mit einem Gewände aus unregelmäßigen größeren Bruchsteinen repräsentativ gestaltet. Die Erschließung von Keller 2 erfolgte ursprünglich über eine Treppe in der östlichen Raumecke sowie über den Wirtschafts-Zugang (Lastenaufzug) von der Kötterhagen-Gasse. Es handelt sich um einen Raum mit entsprechend dem Grundstückszuschnitt konischem Grundriss. Er ist mit einem Tonnengewölbe überdeckt. Aufgrund einiger Baudetails erfolgte die Einwölbung am ehesten im 18. Jahrhundert. Bemerkenswert an der mindestens 1.80 m starken Längsaußenwand zum Kötterhagen sind die im gesamten Verlauf erkennbaren (Entlastungs-) Bögen. Die Mauer ruht ähnlich wie eine Bogenbrücke punktuell auf Pfeilern. Diese Technik kam immer dann zur Anwendung, wenn tragfähiger Baugrund nur in größerer Tiefe zu erreichen war. Unterhalb dieser Außenwand, etwa 2.80 m vom Schildern entfernt, befindet sich ein Brunnen von ca. 70 cm Durchmesser. Er wurde ursprünglich vom Erdgeschoss aus genutzt. Der Durchbruch in den Kellerraum erfolgte später. Der Brunnen ist weitgehend mit Schutt verfüllt. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 74 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Ca. 3.00 m unter dem Niveau des Kellerfußbodens und 6,50 m unter dem Laufniveaus des Kötterhagen ist anstehender Fels erkennbar. Die Längswand zum Schildern 10 ist ca. 0,90 m stark. Hier befindet sich eine vermauerte Fensteröffnung. Vermutlich befand sich zwischen beiden Häusern eine maximal 2,00 m breite Traufgasse, da der Abstand zur Innenwand des Kellers Schildern 10 ca. 3,80 m beträgt. Die Stirnwand von Keller 2 zum Schildern gab bei der Begehung Rätsel auf. Obwohl weitgehend durch eine Verschalung verdeckt, sind in dieser Wand deutlich die Reste eines raumhohen Bogenansatzes erkennbar. Es entsteht der Eindruck eines vermauerten Tores. Die lichten Breite betrug mindestens 2.30 m, die Höhe 2.15 m. Dies übersteigt die Dimension eines herkömmlichen Kellerzugang (insofern es sich um einen solchen gehandelt hat) und weist eher auf eine „Torsituation“ mit Durchfahrtsbreite. Das heutige Laufniveau im Keller, das auch etwa dem Niveau des evt. „Tordurchganges“ entsprochen haben dürfte, liegt ca. 3.50 unter dem Niveau des heutigen Schildern. Auch am alten Rathauskeller und am Domplatz (s.o.) zeigt sich, dass das ursprüngliche Straßenniveau im 15. Jahrhundert deutlich tiefer lag. Nur eine qualifizierte, umfangreiche Bauforschung kann Klarheit schaffen. 1.5.3.6.5 Schildern 11/ 13 Die Keller des Doppelhauses Schildern 11/13 weisen ebenfalls historische Substanz in erstaunlichem Umfang auf. Bemerkenswert sind vor allem drei Kellerräume verschiedenen Alters mit unterschiedlichen Laufhorizonten. (A; B; C). Im Zuge einer städtischen AB-Maßnahme wurde bereits 1995 ein Aufmaß angefertigt, welches durch die FH Köln 2001 elektronisch lagerichtig eingemessen wurde. So ergibt sich ein recht genaues Bild der Situation. Auch zu Schildern 11/13 liegen historische Nachrichten vor. Die Hausstätte Schildern 13 ist nach HOPPE und DECKER (freundlicher Hinweis v. 27.11.2001) vermutlich identisch mit dem Haus „am Eingang des Marktes“ mit dem 1211 der Stifter des Johannes-Hospitals das Hospital ausstattete (area in introitu fori ab urbe bzw. in introitu fori vel urbis) (WUB IV, 47). Noch 1717 verlief durch dieses Haus die Immunitätsgrenze (nach HOPPE: durch Johann Hörden Hauß FP U 2470, lt. städtischem Kataster im Schildern 13 wohnend). Von diesem Haus wurde bis zur Säkularisation Grundgeld an das Gaukirch-Kloster gezahlt (nach HOPPE: Kl. Gokirchen, Akten III,9, Kgr. Westf. E, 17,Nr. 64, Bl.93; StadtA Pad, TK II,1,Nr.12). Keller Schildern 11 Der mittlere vierteilige Keller (A) mit Kreuzgewölben auf Wandkonsolen und Sandsteinmittelstütze ist als jüngster der drei historischen Keller anzusehen, etwa zeitgleich mit Keller 1 von Schildern 8 und wohl ebenfalls nach dem Stadtbrand von 1506 angelegt. Dieser Keller wurde einem im hinteren Bereich des Gebäudes querliegenden tonnenüberwölbten älteren Keller (B) vorgelagert, eindeutig erkennbar an dem „abgeschnittenen“´ Kellerhals des älteren Kellers B (Foto). Keller B ist gut 15 m zurückversetzt von der Straßenfront des Schildern und steht mit keinem der heute bekannten Straßenverläufe in irgendeinem Bezug. Beide Keller liegen rund 4.10 m unter dem heutigen Laufniveau des Schildern. Keller Schildern 13 Der unter dem Gebäude Schildern 13 östlich des kreuzgewölbten Kellers unmittelbar an der Straße gelegene dritte Keller (C) wurde nach Aussage der Bewohnerin erst nach dem 2. Weltkrieg mit den Kellern von Schildern 11 verbunden. Dieser Keller verfügte ursprünglich über einen eigenen, wahrscheinlich gewendelten Zugang von seiner Rückseite aus. Es handelt sich um einen leicht trapezförmigen ca. 6,60 m x 4.80 m großen, tonnenüberwölbten Raum mit einer lichten Höhe von 2,50 m und einem Laufniveau ca. 3.70 m unter dem Niveau Schildern. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, das seine Struktur durchaus nicht homogen ist. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 75 PADERBORN ARCHÄOLOGISCHE BESTANDSERHEBUNG IN NRW Auffälligster Befund ist ein ungemein starker, sehr sorgfältig gearbeiteter Mauerblock in Richtung Schildern 15, der ganz offensichtlich einer älteren Bauphase entstammt. Nach einem Versprung nach Osten setzt sich die Längswand, die mit dem erwähnten Mauerblock im Verbund steht, als Grenzmauer zu Schildern 15 fort, um dann am Ende der sich bildenden Nische auf Strukturen zu stoßen, die nur durch eine detaillierte Mauerwerksuntersuchung zu klären sind. Das Tonnengewölbe ist eindeutig später über die nicht zeitgleichen Längswände gespannt worden. Die westliche Kellerlängswand fällt auf durch ihr unsauberes und unregelmäßiges Mauerwerk auf. Wichtig für die noch nicht zufriendenstellend beantworteten Fragen der Immunitätsbegrenzung und des „Schildertores“ ist in diesem Keller vor allem der eingangs erwähnte Mauerblock in der östlichen Längswand zum Schildern 15. Seine Fortführung in den Schildern ist leider durch einen sekundären Stützpfeiler verunklart. Deutlich ist aber zu erkennen, dass sich die Flucht dieser Mauer weniger auf die Baustrukturen des Schildern 13 bezieht, sondern in gerader Linie auf die südliche Außenmauer von Schildern 8 fluchtet. Im Zusammenhang mit der Grenzbeschreibung von 1717 (FP U 2470) inhaltlich nach HOPPE, wonach mindestens seit dem frühen 13. Jh. die Grenze durch das Gebäude Schildern 13 auf die Grenzmauer zwischen Abdinghofkloster und die urbs verlief, ließe sich ein Stadteingang in der vorgeschlagenen Weise fassen. Die Grenze verlief somit ebenfalls „durch“ das Haus Schildern 13. (1680 in einer Urkunde PDPr 16, Bl.67). In den Kellern Schildern 11-13, 15, 17-19, 8 und 10 haben sich bedeutende Reste auch mittelalterlicher Strukturen erhalten, die vor allem in ihrer Zusammenschau für die siedlungsgeschichtliche Entwicklung der „urbs“ von besonderer Bedeutung sind. Eine qualifizierte Untersuchung der Baustrukturen verspricht einen aufschlussreichen Beitrag zur Paderborner Siedlungsgeschichte. FACHHOCHSCHULE KÖLN / FAKULTÄT ARCHITEKTUR / INSTITUT FÜR BAUGESCHICHTE UND DENKMALPFLEGE / PROF .DR.-ING. NORBERT SCHÖNDELING 76