Band 4.1 - Legale Graffiti-Projekte.pub
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Band 4.1 - Legale Graffiti-Projekte.pub
vandagraf.de Schriftenreihe aus Forschung & Praxis Strategien zur Eindämmung von Vandalismus & illegalen Graffiti Band 4.1 Verhaltensorientierte Prävention Band 4.1 März 2008 Sortieren Sie diese Ausgabe in den Unterordner 4 Über den Autor Name: Günter Kuhr Herkunft: Polizeibeamter aus Münster / BPOL Erreichbarkeit: Schaumburgstr. 13 48145 Münster guenter.kuhr@ vandagraf.de Homepage: www.graffiti-info.de www.graffitimuenster.de Editorial Mit den legalen Graffiti-Projekten ist es so eine Sache. Während Bausteine, wie die konsequente Strafverfolgung und die Bemühungen um eine rasche Entfernung der illegalen Graffiti, häufig zum festen Repertoire der kommunalen Handlungsmodelle zählen, wird die kriminalpräventive Wirkung von legalen Graffiti-Angeboten sehr differenziert gesehen. Auf zahlreichen Fachtagungen der letzten Jahre wurde (und wird wohl auch in Zukunft) diskutiert, ob diese Projekte kriminalpräventiv wirken oder Straftaten sogar fördern. Bei den inhaltlichen Vorbereitungen der nun vorliegenden Schrift gab es auch innerhalb der VANDAGRAF-Redaktion überaus konträre Positionen. Das Thema wird sicher auch innerhalb dieser Schriftenreihe erneut aufgegriffen und aus anderen Blickwinkeln durchleuchtet. In der vorliegenden Schrift werden diese Projekte weder abgelehnt, noch uneingeschränkt befürwortet. Vielmehr wollen wir mit Hilfe einer Zielgruppenanalyse Chancen und Risiken herausfiltern, die sich als Hilfestellung zur Prüfung in der eigenen Kommune verstehen. Die Schrift enthält verschiedene Beispiele aus der Praxis und zeigt sinnvolle Rahmenbedingungen auf. (gk) Legale Graffiti-Projekte in der Kriminalprävention Von Günter Kuhr Im Jahre 2004 machte das Handlungsmodell der Ordnungspartnerschaft Graffiti in Münster/Westf. Schlagzeilen. Innerhalb von drei Jahren gelang es, die stadtweiten Sachschäden, die durch illegale Graffiti verursacht wurden, um Rund 70 % zu reduzieren. Die Struktur der illegalen Graffiti-Szene war förmlich aufgelöst. • • • • Folgende Module kennzeichnen das Handlungsmodell: • Die kommunale Zusammenarbeit von Behörden und Institutionen; Maßnahmen der Repression innerhalb einer gemeinsamen Ermittlungskommission (Landes- und Bundespolizei arbeiten in einem Büro) ; eine starke Prävention, zu der auch Projekte der Jugendarbeit zählen; die umgehende Reinigung beschmierter Flächen; eine abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit. Für die Koordinierung von Präventions- Band 4.1 maßnahmen und die zügige Reinigung beschmierter Flächen setzt die Stadt Münster/Westf. einen Graffitibeauftragten ein. Der damalige Innenminister des Landes NRW, Dr. Fritz Behrens, bezeichnete das kommunale Handlungsmodell als vorbildlich. Wichtig für den Erfolg sei, dass Projekte nachhaltig und dauerhaft angegangen würden. Beim Thema Graffiti könne die Polizei nicht allein zum Ziel kommen. In Münster/Westf. arbeiten Landesund Bundespolizei, Kirchen, Jugendamt, Stadtverwaltung und andere Einrichtungen Hand in Hand1 sagte Behrens. Im Dezember 2004 zeichnete der Innenminister dieses Handlungsmodell mit dem Landespreis für Innere Sicherheit in NRW aus. Im Rahmen der Jugendarbeit wurden auch Graffiti-Projekte angeboten. Stand die Durchführung dieser Graffiti-Projekte im Zusammenhang mit dem deutlichen Schadensrückgang in Müns- Seite 2 ter/Westf.? Festgestellt werden kann an dieser Stelle vorerst, dass sie den deutlichen Schadensrückgang nicht verhindert haben. Im Rahmen der Arbeit der Ordnungspartnerschaft erfolgte eine regionale Untersuchung zur kriminalpräventiven Wirkung der durchgeführten Graffiti-Projekte2. Auch wenn diese regionale Untersuchung – allein schon auf Grund der Anzahl der befragten Probanden3 – keinesfalls repräsentativ ist, konnten dennoch Tendenzen für die Stadt Münster/ Westf. herausgefiltert werden, die in den weiteren Verlauf dieser Schrift einfließen. Das Ziel von legalen Graffiti-Projekten Legale Graffiti-Projekte werden in der Kriminalprävention mit dem Ziel eingesetzt, Straftaten und Sachschäden einzudämmen. Doch der kriminalpräventive Nutzen dieser Projekte ist umstritten. Aufgrund der polarisierenden Bewertung über den kri- Prävention sollte verschiedene Ansätze enthalten. Auch die Stabilisierung des Rechtsbewusstseins ist einer der Bausteine (z.B.: www.graffiti-muenster.de). minalpräventiven Nutzen, bedarf das „legale Graffiti-Projekt“ einer gründlichen und differenzierten Begutachtung, damit Chancen und Risiken herausgefiltert werden können. Analyse der Zielgruppen Als eine Grundlage für die nachfolgende Zielgruppenbestimmung wurde eine Analyse des Instituts für Psychologie der Universität Potsdam herangezogen. Gegenstand der Untersuchung ist eine induktive Anreizanalyse mit dem Titel „Was macht Spaß am Graffiti -Sprayen?“. Die Ergebnisse der Analyse, bei der bundesweit 294 Sprayer anonym befragt wurden, publizierten die Autoren Rheinberg/Manig im Report Psychologie4 . Legale Sprayer (etwa 15 % der Szene5) suchen vorrangig Anreizmotivationen wie Kreativität, Anerkennung, ein positives Gruppengefühl und eine Kompetenzentwicklung (man möchte seine kreativen Fähigkeiten verbessern). Das Risiko, bei einer illegalen Aktion von der Polizei erwischt zu werden, empfinden diese Sprayer als Besorgnis. Sie gehen daher das Risiko einer illegalen Aktion nicht ein. Zwar sind sie geeignete Adressaten für legale Graffiti-Projekte, doch in Ermangelung der Gefahr straffällig zu werden, erscheint ein kriminalpräventiver Ansatz für diese Gruppe nicht erforderlich zu sein. Diese Gruppe kann jedoch eine Bedeutung gewinnen, wenn es gelingt, sie als positive Vorbilder für andere Jugendliche in die kriminalpräventive Arbeit einzubinden. Sprayer, die nur im illegalen Bereich operieren (etwa 21 % der Szene6), unterscheiden sich Band 4.1 von den legalen Sprayern im Wesentlichen durch eine anreizmotivierte Suche nach Grenzerfahrung. Sie erleben das Wagnis und Risiko des illegalen Sprayens als ein positives Abenteuererlebnis. Das legale Projekt schließt diesen Nervenkitzel zwangsläufig aus und stellt damit keine Alternative für illegale Sprayer dar. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Graffiti-Szene sind Jugendliche, die legal und illegal sprayen (etwa 64 % der Szene7). Hervorzuheben ist, dass innerhalb dieser Gruppe Jugendliche auftreten, die trotz einer Besorgnis von der Polizei überführt zu werden, an illegalen Aktionen teilnehmen. Ursache hierfür, so stellt die Untersuchung des Instituts für Psychologie fest, kann ein gruppendynamischer Prozess sein, der diese Jugendlichen motiviert und sie so zur Teilnahme an Straftaten förmlich hinreißen lässt. Ein anderer Grund für das paradoxe Verhalten dieser Jugendlichen kann - so führt die Untersuchung weiter aus – an mangelnden legalen Flächen in der jeweiligen Region dieser Jugendlichen liegen. Der kriminalpräventive Ansatz mit legalen Graffiti-Projekten kann also diese Teilgruppe erreichen. Ein weiterer Grund, der für eine positive Wirkung von legalen Graffiti-Projekten spricht, ist die Episodenhaftigkeit des normabweichenden Verhaltens von Jugendlichen. Unumstritten ist in der kriminologischen Forschung der sprunghafte Anstieg des normabweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen im Alter von etwa 13/14 Jahren, deren Verlauf mit etwa 16 Jahren die höchste Straftatenbelastung aufweist und in der Regel selbst Seite 3 bei stark delinquenzbelasteten Jugendlichen mit etwa 21 Jahren mit der Integration in die Gesellschaft und dem Übergang zum normkonformen Verhalten endet. Diese auf die Jugendkriminalität allgemein zutreffenden Erkenntnisse spiegeln sich auch innerhalb der Graffiti-Szene wider. Die Motivation zur Suche nach Grenzerfahrung verliert also mit zunehmendem Alter der Jugendlichen in der Regel an Bedeutung. Die Kriminalprävention setzt hier an und soll im günstigsten Fall den Beginn der Delinquenz verhindern, oder aber den Verlauf des normabweichenden Verhaltens positiv beeinflussen und früher zum Abbruch bringen. Insofern bedeutet Kriminalprävention auch das Begleiten in die Legalität. Das legale Graffiti-Projekt kann also für die Aussteiger der Szene zur attraktiven Alternative werden und kann dann Straftaten und Sachschäden verhindern. Kann eine Wand für legale Graffiti Straftaten verhindern? Bundesweit gibt es sehr verschiedene Ansätze, um Jugendlichen das legale Sprayen zu ermöglichen. Dazu zählen auch Versuche, mit der Freigabe von Wänden für legales Graffiti zu arbeiten. Innerhalb einer regionalen Untersuchung der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg zeigte sich, dass in Gebieten mit offizieller Fläche mehr Graffiti zu finden waren, als in den Vergleichsgebieten ohne offizielle Flächen9. Und genau dieser Effekt wird immer wieder in den Städten beklagt. Zudem befürchten Fachleute, dass es an legalen Flächen zu einer „kriminellen Infektion“ zwischen illegalen Sprayern und den an Graffiti interessierten Jugendlichen kommen könnte. Wird hier nicht rechtzeitig eingegriffen, wenn sich kriminalitätsfördernde Strukturen und gruppendynamische Prozesse bilden, besteht die Gefahr, dass sich ein- Strukturen und gruppendynamische Prozesse von Jugendgruppen.8 Differenzieren ist wichtig, damit Chancen der Prävention transparent werden. Band 4.1 zelne Jugendliche zu Straftaten hinreißen lassen. Graffiti-Sprayen wirkt wohl nicht präventiv, pädagogische Jugendarbeit hingegen schon! Bei einer rigorosen Strafverfolgung der Graffiti-Sprayer durch Geld- oder Freiheitsstrafen besteht die Gefahr, dass sie noch stärker in die Szene abgedrängt werden10. Aus diesem Grund sind präventive Maßnahmen ein wichtiger Bestandteil eines abgerundeten Handlungskonzeptes und von herausragender Bedeutung. Im Zusammenhang mit der Graffiti-Bewegung sind u.a. die pädagogische Gruppenarbeit sowie die Arbeit und die Betreuung von einzelnen Jugendlichen bedeutend. Untersuchungen zeigen, dass die Zusammenfassung von Jugendlichen, deren Delinquenzund Problem-Risiko deutlich höher ist, mit Jugendlichen, bei denen das nicht der Fall ist, offensichtlich zu einer Verstärkung des Risikoverhaltens führt, insbesondere auch von aggressivem Verhalten11. Prinzipiell scheinen Programme, die den Zusammenhalt, die Normenorientierung Unter delinquenten Jugendlichen kann es zur Verstärkung des Risikoverhaltens kommen. Foto: www.polizei-beratung.de Seite 4 und die interne Hierarchie der Gruppe eher bestärken, nicht erfolgreich zu sein12. Dagegen war ein Programm zur Eindämmung der Jugenddelinquenz erfolgreich, bei dem die Streetworker sich um die einzelnen Gruppenmitglieder kümmerten, jedoch nicht mit der gesamten Gruppe arbeiteten13. In Bezug auf die Graffiti-Szene muss festgestellt werden, dass es eine kleine Gruppe gibt, die wirklich künstlerische Ambitionen hat. Diese werden gewissermaßen von jeder freien Fläche angezogen, um sich auszutoben und dem Farben- und dem Formenrausch hinzugeben. Wenn das legal geschehen kann, umso besser14 . Die weitaus größere Gruppe findet es spannend, Grenzen zu überschreiten. Die große Mehrheit der Graffiti-Sprayer ist dem Reiz des Verbotenen erlegen. Das Bereitstellen von freien Flächen – was mit besten Absichten von den Kommunen praktiziert wird – wird diese Gruppe der Sprayer nicht von ihrem illegalen Tun abhalten15. Beispiele aus der Praxis Münster/Westf. (280.000 Einwohner) In Münster/Westf. wird versucht, durch legale Sprayaktionen, Bereitstellung von freien Flächen, Öffentlichkeitsarbeit in Schulen und Jugendzentren mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, graffitiinteressierte Jugendliche vom harten Kern der Szene fernzuhalten, legale Wege aufzuzeigen und so schon im Vorfeld anzusetzen16. Die Stadt reagiert damit auf eine in der Region bereits vorhandene Jugendbewe- gung und die damit einhergehenden Straftaten und Sachschäden. Folgende Praxisbeispiele sollen den Münsterschen Ansatz verdeutlichen: Das Projekt – Hiltrup “Weg von der Hauswand, hin zur Leinwand“ war der Leitgedanke eines betreuten Jugendprojektes in Münster/Westf., bei dem interessierte Jugendliche Bilder mit verschiedenen Maltechniken, insbesondere aber mit Spraydosen, auf Leinwände brachten. Das Projekt wurde von einem legalen Sprayer, der sich vom illegalen Graffiti distanzierte, künstlerisch unterstützt. Negative Gruppenstrukturen wurden im Ansatz unterbunden. Das Projekt wurde 2005 beendet. Gestaltung von Wandflächen Mit zahlreichen Konzeptarbeiten zeigten Jugendliche in den letzten Jahren, dass legal angebrachte Wandbilder zur Verschönerung des Stadtbildes beitragen können. Diese Projekte wurden von der Stadt initiiert und betreut. Es zeigte sich im Verlauf der Jahre, dass diese Bilder in der Regel nicht mehr illegal übersprüht werden und über Jahre erhalten bleiben. Diese Wandgestaltung wurde nicht in dem typischen Graffiti-Style umgesetzt, so dass auch die Bürger Begeisterung für die Bilder zeigten. Graffiti-Ausstellungen Bei zahlreichen GraffitiAusstellungen konnten sich Jugendliche mit Graffiti-Bildern der Öffentlichkeit präsentieren. Im Zuge von Öffentlichkeitsveranstaltungen der Ordnungspartner wurden legale Sprayer eingebunden, so zum Beispiel auch beim Tag der offenen Tür im Polizeipräsidium Münster. Band 4.1 Legale Flächen ohne Betreuung Auch wenn die Bereitstellung von legalen Flächen ohne pädagogische Betreuung für kriminalpräventive Ziele fraglich erscheint, setzt die Ordnungspartnerschaft diese Flächen erfolgreich ein, um Jugendlichen auch außerhalb der Betreuungsstunden das legale Sprayen zu ermöglichen. Als das Handlungskonzept der Ordnungspartnerschaft Graffiti in Münster im Rahmen der Preisverleihung des Landespreises für Innere Sicherheit in NRW vorgestellt wurde, hob die Ordnungspartnerschaft hervor, dass mit Hilfe der legalen Graffiti-Projekte ein Dialog zwischen Jugendlichen und den Ordnungspartnern aufgebaut werden konnte. Dabei wurde betont, dass dieser Dialog eine herausragende Bedeutung hat, weil nach Überzeugung der Ordnungspartnerschaft auf diese Weise präventive Kernbotschaften mit Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft den Jugendlichen, die sich für Graffiti interes- Seite 5 sieren, vermittelt werden konnten17. Nach Einschätzung der Ordnungspartnerschaft führt die Akzeptanz des legalen Graffiti zu einer Entspannung der Situation und entschärft den „Beharrlichkeitswettkampf“ zwischen Jugendlichen und Behörden (Ansatz der Deeskalation). Koblenz (106.000 Einwohner) Das Handlungsmodell der Stadt Koblenz führte zu dem Erfolg, dass die Stadt im Jahre 2007 kaum noch illegale Graffiti verzeichnete. Das illegale Handeln der illegalen Sprayer-Szene kam quasi zum Erliegen18. Und auch Koblenz setzte innerhalb der Jugendarbeit Graffiti-Projekte ein, um mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Von Seiten der mobilen Jugendarbeit des Amtes für Jugend, Familie, Senioren und Soziales werden mehrfach im Jahr entsprechende Veranstaltungen durchgeführt. Zum Beispiel sind Bauzäune, Brückenpfeiler und Unterführungen bei diesen Veranstaltun- Es gibt unter Sprayern eine kleine Gruppe, die wirklich künstlerische Ambitionen hat. Diese werden gewissermaßen von jeder freien Fläche angezogen. „Der neue Kollege ...“, das Graffito auf Leinwand steht im Eingangsbereich des Polizeipräsidiums Münster. gen unter pädagogischer Betreuung besprüht worden. Die Initiative "Sicherheit in unserer Stadt" unterstützt diese Maßnahmen finanziell, damit Spraydosen zur Verfügung gestellt werden können. Die sog. "Hall Of Fame" in Koblenz-Lützel ist zur freien Gestaltung freigegeben worden. Hier können die Sprayer ganz eigenständig tätig werden. Von Zeit zu Zeit werden die Wandgestaltungen übermalt und neue Werke können angebracht werden. Diesen Bereich hat die Stadt ganz klar mit Schildern gekennzeichnet. Zum einen für die Sprayer, damit sie wissen, wo genau sie tätig werden dürfen, und zum anderen für die Anwohner und Passanten, damit sie wissen, dass das Sprayen hier erlaubt ist. Mit dieser Vorgehensweise hat die Stadt sehr gute Ergebnisse erzielt - lediglich in dem freigegebenen Bereich werden Graffiti aufgetragen. Trotzdem lässt sich die mobile Jugendarbeit häu- Band 4.1 fig an der Hall Of Fame sehen und versucht auf diesem Wege, Kontakt zu der Szene aufzubauen19. Koblenz hat mit der Vorgehensweise sehr gute Erfahrungen erzielt. Die angebrachten Graffiti haben durchaus eine gewisse künstlerische Qualität und heben sich deutlich von Farbschmierereien ab. Die festgelegten Spielregeln werden von den Sprayern eingehalten. Generell ist anzumerken, dass in Koblenz wenig neue Farbschmierereien angebracht werden. Dies führen die Aktiven der kommunalen Kriminalprävention auch auf die gute Jugendarbeit und natürlich auf die zeitnahe Entfernung von neuen Farbschmierereien zurück20. Oberursel (43.000 Einwohner) Schnitzing 3D Graffiti" - Kreatives Programm zur Reduzierung illegaler Graffiti Der Künstler Hendrik Docken verbindet die Holzbildhauerei mit den Inhalten der GraffitiBewegung. Docken schreibt auf seiner Homepage: "Erstmals werden Graffiti-Schriftzüge in Holz dreidimensional dargestellt, welche die Dynamik der GraffitiFormensprache zur skulpturalen Kunst erheben." Dieses Kunstund Präventionskonzept wurde evaluiert und erhielt aufgrund eines messbaren Kriminalitätsrückgangs den Deutschen Förderpreis für Kriminalprävention 2004. Bei dem Projekt wird ein GraffitiWürfel aufgestellt, der legal besprühbare Flächen einschließt; im Würfel eingesetzte Leinwände und Betoplan-Platten können ausgetauscht oder ersetzt werden. Hierzu Docken: "Wir machen aus Seite 6 einem gesellschaftlichen Problem einen Wettbewerb!" Das Projekt wird von Erwachsenen während der Durchführungsphase betreut. Außerdem gibt es Spielregeln! So bleiben zum Beispiel die gemalten Bilder mindestens drei Tage erhalten. Reservierungen von Flächen sind möglich, gemalte Bilder können vom jeweiligen Jugendlichen vermarktet werden und die Anbringung von Tags ist unerwünscht21. Die Sprayer qualifizieren sich durch ihre Bilder für das Schnitzing, bei dem ein Holzstamm zum Ende der Projektzeit dreidimensional mit den Techniken der Holzbildhauerei bearbeitet wird. Das geschieht im Inneren des Würfels als zeitlich begrenzte Aktion22. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des Künstlers www.schnitzing.de Projekte der Jugendarbeit müssen auf Dauer angelegt sein! Sprayer sind in der Regel 13 bis 24 Jahre alt. Durch die Altersfluktuation innerhalb der GraffitiBewegung müssen Projekte langfristig angelegt sein. In Münster/ Westf. wurde der große Anteil der Jugendarbeit im Phänomenbereich „Graffiti“ aus unterschiedlichen Gründen beendet. So ging auch dieser Dialog mit der nachwachsenden Szene mehr und mehr verloren. Im Verlauf der folgenden Jahre bildete sich recht schnell eine neue Struktur der illegalen Sprayergruppen. Straftaten und Sachschäden nahmen deutlich zu23. Der Zusammenhang zwischen der Reduzierung der Jugendarbeit und der Straftatenzunahme ist nicht empirisch gesichert, kann allenfalls vermutet werden. Sinnvolle Rahmenbedingungen für GraffitiProjekte? 1. Betreute Graffiti-Projekte können einen Dialog zwischen Jugendlichen und Institutionen herstellen. So entstehen Gespräche mit Jugendlichen, in denen präventive Kernbotschaften vermittelt werden können. 2. Programme der Prävention sind vor allem dann erfolgreich, wenn sie auf einer breiten und umfassenden Vermittlung von Verhaltenstechniken und sozialen Fähigkeiten und Kompetenzen beruhen24, die in die Projekte eingebunden werden sollten. 3. Sinnvoll ist die Einbindung von älteren Sprayern, die sich von Straftaten deutlich distanzieren und eine Rolle als positive Vorbilder für andere Jugendliche übernehmen. Nicht die Beschädigung sondern das kreative, künstlerische und konstruktive Arbeiten steht im Vordergrund. 4. Gruppenstrukturen, die normabweichendes Verhalten augenscheinlich fördern, müssen aufgelöst werden. Pädagogisches Arbeiten mit delinquenten Jugendlichen ist eher außerhalb von Gruppenprojekten sinnvoll. 5. Entscheidet sich eine Kommune, Graffiti-Projekte durchzuführen, muss langfristig sichergestellt sein, dass Möglichkeiten für legales Sprayen und genügend Flächen vorhanden sind. Sonst wird ein Interesse geweckt, das nicht durch erlaubte Möglichkeiten abgedeckt ist. 6. Für die Teilnehmer der Projekte sollten Regeln bestehen. Dadurch kann eine soziale Kontrolle unter Jugendlichen Band 4.1 Seite 7 aufgebaut bzw. gefördert werden. Zum Beispiel könnte eine Regel festlegen, dass die teilnehmenden Jugendlichen unerlaubte Schmierereien im Umfeld des Projektes entfernen müssen. So lernen Sie, wie arbeitsintensiv die GraffitiEntfernung ist. Zudem werden sie auf eine saubere Umgebung achten. Bei der Realisierung von GraffitiProjekten muss beachtet werden, dass nicht jede Wand für Spraylack geeignet ist. Großflächige Graffiti schränken die Atmungsaktivität einer Wand gegebenenfalls ein. Es kann zur Schimmelbildung, Putz- oder Anstrichabplatzungen bei Frost kommen. Für ein Garagentor ist das i.d.R. kein Problem, wenn keine Wasserdampfdurchlässigkeit erforderlich ist. Ein Hausbesitzer: „Die (Anmerkung: Sprayer) haben mir meinen Putz derartig versiegelt, dass ich den demnächst wegen der Schimmelbildung in der Isolierung komplett erneuern kann. Kosten… so um die 12.000 - 15.000 Euro.“25 Kann auf das Malen mit der Spraydose auch verzichtet werden? Wie wirken Sport- und Freizeitprogramme? Sport- und Freizeitprogramme gehören mit Sicherheit zu den Maßnahmen, die prinzipiell viele positive Effek- Sport- und Freizeitprogramme wirken nicht zwangsläufig positiv. Foto: www.polizei-beratung.de Legale Graffiti können auch zur Aufwertung des Stadtbildes beitragen (hier: Projektarbeit mit Jugendlichen in Münster/Westf.). te haben, jedoch eher geringe oder sogar gegenläufige Wirkungen auf Jugendkriminalität, wenn nicht bestimmte Bedingungen wie die Aufsicht durch Erwachsene erfüllt sind und zusätzliche Bestandteile zum Training prosozialen Verhaltens eingebaut werden26. Das gilt vor allem dann, wenn Jugendliche mit Problemen in solche Programme einbezogen sind 27. Philadelphia/USA (1.45 Millionen Einwohner) Das Kunstprojekt MURAL ART startete bereits 1984 als ein Modul des Anti-Graffiti-Network (PAGN). Unter Anleitung der Künstlerin Jane Golden gestalteten Jugendliche in den letzten 20 Jahren über 2700 großflächige Wandbilder. Bei diesen betreuten Kunstprojekten werden verschiedene Maltechniken eingesetzt. Jugendliche erhalten so die Möglichkeit, an der Gestaltung Ihrer Stadt mitzuwirken. Anreizdimensionen, die auch bei Sprayern markant sind (Suche nach Anerkennung, Kreativität, das Gruppengefühl, etc.), werden durch dieses Alternativangebot kompensiert. Inzwischen ist das Projekt über den präventiven Ansatz hinausgewachsen. Der Oktober steht alljährlich im Zeichen der Wandkunst. Dann finden zahlreiche Veranstaltungen, Workshops und spezielle Führungen statt, die regelmäßig von mehr als 5.000 Touristen und Einheimischen besucht werden; Touristen können „Mural-Tours“ buchen. Das Projekt wird durch zahlreiche Sponsoren aus der Wirtschaft unterstützt. Weitere Informationen zum Projekt sind im Internet unter www.muralarts.org abrufbar. Kommunale Kriminalprävention Die Durchführung der pädagogischen Jugendarbeit fällt naturgemäß in das Ressort der Sozialarbeit. Sinnvoll ist eine Abstimmung und Kooperation mit örtlichen Behörden und Institutionen. Alle Beteiligten müssen die Möglichkeiten und Grenzen der zum Teil abweichenden Aufgabenerfüllung kennen, z.B. die Schweigepflicht der SozialarbeiterInnen (§ 203 StGB) und das Legalitätsprinzip (Strafverfolgungszwang) der Polizei (§ 163 I StPO). Band 4.1 Fazit Die Untersuchung über die Graffiti-Projekte in Münster28 kommt zu dem Ergebnis, dass das Ziel einer realistischen Kriminalitätsbekämpfung - insbesondere im Bereich der Jugenddelinquenz niemals der Anspruch einer völligen Verhinderung abweichenden Verhaltens sein kann. Wichtig ist zu erkennen, dass nur eine effektive Eindämmung möglich ist. Dafür sind präventive Maßnahmen neben dem repressiven Einsatz der Strafverfolgungsorgane nicht weg zu denken. Das immer wieder umstrittene legale GraffitiProjekt zur Verhinderung der illegalen Graffiti besitzt dafür zwar keine offensichtliche und allumfassende Wirkung aber es erreicht einen Teil der Sprayer als Ausstiegshilfe und denkbare Alternative im präventiven Sinne. Bei der Umsetzung von Projekten der Jugendarbeit sind Rahmenbedingungen wichtig, wie zum Beispiel das Auflösen von Gruppenstrukturen, die normabweichendes Verhalten fördern. Seite 8 4. Rheinberg/Manig, Report Psychologie, Ausgabe 04/2003, S.222 ff. 5. Ebenda 6. Ebenda 7. Ebenda 8. Vgl. Wolfgang Zirk, Jugend und Gewalt, Boorberg-Verlag, Berlin 1999, Seite 18 9. Reinhold Sackmann, Annelie Dorn, Christiane Gamrath, Graffiti zwischen Kunst und Ärgernis. Empirische Studien zu einem städtischen Problem, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Der Hallesche Graureiher 2006 – 1, Seite 54 ff. 10. Thomas Feltes, VANDAGRAF, Band 2.1, Seite 7 11. Susanne Karstedt, Zwischen Spaß und Schock - Vom vernünftigen Umgang mit jugendlichen Straftätern; dpspecial, Juni 2000 - No. 11 - Seite 13 12. Ebenda 13. Ebenda 14. Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Interview unter www.mach-nicht-alleskaputt.de, 2007 15. Ebenda 16. www.graffiti-muenster.de/pages/ opsg.html 17. G. Kuhr , Vortrag zur Ordnungspartnerschaft Graffiti Münster im Rahmen der Preisverleihung zum Lan- despreis für Innere Sicherheit in NRW; Kunstmuseum Bochum; 03. Dezember 2004 18. Vgl. Günter Eder, VANDAGRAFBand 2.2 - Erfolgreich gegen Graffitisprayer, November 2007 19. Marcus Uhrmacher, Stadt Koblenz, 19.12.2007, Antwort auf eine EMailanfrage von G. Kuhr 20. Ebenda 21. www.schnitzing.de 22. Ebenda 23. Die nicht betreuten legalen Flächen konnten das nicht verhindern. 24. Susanne Karstedt, Zwischen Spaß und Schock - Vom vernünftigen Umgang mit jugendlichen Straftätern, dpspecial, Juni 2000 - No. 11 - Seite 10 25. Interview mit einem Kriminalbeamten, 21. Juni 2006, http://www.graffiti -info.de/pages/fachbeitrag/kripo.html 26. Susanne Karstedt, Zwischen Spaß und Schock - Vom vernünftigen Umgang mit jugendlichen Straftätern, dpspecial, Juni 2000 - No. 11 - Seite 12 27. Ebenda 28. Dipl. jur. Nicole Meyer, Günter Kuhr; Ein Bericht über legale Graffiti - Wände in Münster/Westf., April 2004 Bei einem negativen Verlauf einzelner Projekte sollten diese nicht sofort für untauglich erklärt werden. Vielmehr muss auf einer sachlichen Basis die Frage behandelt werden, ob die Rahmenbedingungen der betreffenden Projekte stimmen. Die Evaluation von kriminalpräventiven Projekten spielt dabei eine wesentliche Rolle. Projekte müssen darüber hinaus kontinuierlich überprüft und ggf. neu ausgerichtet werden. Quellen und Anmerkungen 1. Meldung der Deutschen Presseagentur, „Die Welt“, 12. Juli 2004 2. Dipl. jur. Nicole Meyer, Günter Kuhr; Ein Bericht über legale Graffiti - Wände in Münster/Westf., April 2004 3. In der Untersuchung wurden 22 Sprayer aus Münster/Westf. befragt. Auf unserer Projekthomepage finden Sie: • alle bisher herausgebenden VANDAGRAF-Schriften • lizensfreie Fotos für Ihre Präventionsmedien • aktuelle Infos von der VANDAGRAF-Redaktion • Veranstaltungshinweise • und mehr ... www.vandagraf.de vandagraf.de | Schriftenreihe aus Forschung & Praxis Urheberrecht | Haftung Haftung für Inhalte Die Inhalte unserer Seiten wurden mit größter Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen. Die hier wiedergegebenen Inhalte und Texte spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wieder. Dafür ist allein der Urheber verantwortlich. Haftung für Links Unser Angebot enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. 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