GDI Impuls Nummer 3. 2015, Das

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GDI Impuls Nummer 3. 2015, Das
Daniela Tenger
Studie: Woran Manager glauben
David Bosshart
Ausblick: Retail-Disruption
Emojis: die neuen Hieroglyphen
Anatol Stefanowitsch
Ideale Zeiten für Experimente.
Wie sich der Handel zukunftsfähig
machen kann.
Probieren
Sie mal !
Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel
Nummer 3 . 2015
62
ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 31
Thema: Retail-Disruption
4 AUTOREN
> Märchen III: «Aladin und die Wunderlampe»
64 SUMMARIES THEMA
32 DIE ROBOTISIERUNG
116 SUMMARIES IDEEN, WORKSHOP
117 ZUSATZIMPULS
> Pricing
Anja Dilk . Heike Littger
118 GDI-STUDIEN
120 KONFERENZEN
34 BEZAHLE, WAS DU MEINST!
122 GDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTE
Was geschieht, wenn man es den Kunden überlässt, wie viel
sie für ein Produkt oder einen Service ausgeben wollen.
124 GDI-AGENDA 2015/16
124 IMPRESSUM
> Märchen IV: «Schneewittchen»
42 DIE DENKENDEN DINGE
> Crowdfunding
Marcus Hammerschmitt
> Einzelhandel
David Bosshart
44 IM BEWUSSTSEINSWARENHAUS
10 RETAIL-DISRUPTION
Geld gegen Werte statt Ware gegen Geld – über den Boom
von Crowdfunding und Mikromäzenatentum.
Fünf Thesen zur Perspektive des Einzelhandels im digi­
talen Zeitalter.
> Foto-Essay
Michael Tewes
> Märchen I: «Tischlein deck dich»
16 DIE LETZTE MEILE
50 DER EINE UNTERSCHIED
Experimentieren bedeutet nicht, alles anders zu machen.
Im Gegenteil: Man lässt alles, wie es ist – bis auf eins.
> Intrapreneurship
Gespräch mit Hans-Jörg Dohrmann
18 START-UP IN BIG BUSINESS
Wie Start-up-Nischen am Rand der Konzernstruktur
auch grossen Unternehmen Experimente ermöglichen.
> Märchen II: «Aschenputtel»
22 DAS INDIVIDUALISIERTE PRODUKT
> Trends
Judith Mair, Bitten Stetter et al.
24 COUNTER-STORES
Sechs Szenarien zur Zukunft des Einzelhandels von Studie­
renden der Zürcher Hochschule der Künste.
6
Ideen
Workshop
> Technologie
Venkatesh Rao
> Ernährung
Bettina Höchli
68 DIE BÜCHSE DES PROMETHEUS
102 FAMILY-FOOD
Wie die Potenziale des technischen Fortschritts gesell­
schaftlich am besten nutzbar gemacht werden.
GDI-Studie: Wie, was und wo Schweizer Familien heute
essen.
> Soziologie
Jonas Frick
> Werte
Daniela Tenger . Jakub Samochowiec
76 KONTROLLGESELLSCHAFT
110 WORAN FÜHRUNGSKRÄFTE GLAUBEN
Die Methoden, Überwachung auszuüben oder sich ihr zu
entziehen – und deren Wandel im digitalen Jahrhundert.
Eine Umfrage des GDI unter Führungskräften über Wert­
haltungen, Glaubensfragen und Entscheidungsformen.
> Wirtschaftstheorie
Florian Josef Hoffmann
> Empfehlungen
114 DAS RELEVANTE NEUE
82 DIE DIKTATUR DER KATALLAXIE
Von und über Gartners Hype-Cycle, Theodor Adorno,
Myon, Yanis Varoufakis und die Spitzel der DDR-Staats­
sicherheit.
Ein Ökonomiemodell, in dem sichtbare Gemeinschaften
wichtiger sind als die unsichtbare Hand des Marktes.
> Kommunikation
Gespräch mit Anatol Stefanowitsch
88 HIEROGLYPHEN 2.0
Wie Emojis heute verwendet werden, und wohin sich
diese globale Bildsprache noch entwickeln kann.
> Zwischenruf
Christoph Giesa
94 THEIRDENTITY
Wie betreibt man Identity-Management, wenn einem die
eigene Identität durch andere zugeschrieben wird?
7
Judith Mair, Bitten Stetter et al.
Counter-Stores
GDI Impuls . Nummer 3 . 2015
Der Handel ist erschüttert – viele einst als unumstösslich geltende Strukturen und Institutionen
wanken. Oder positiv formuliert: Es kommt Leben in die Branche, es entstehen neue disruptive
Gestaltungs- und Spielräume. Die Studierenden des Masterstudiengangs «Trends» der Zürcher
Hochschule der Künste haben diese Interpretation der Erschütterung als Chance
aufgegriffen und sechs Szenarien zur Zukunft des Handels aus dem Jahr 2025 entwickelt.
1. NEAR-WANA
anderer Lokalmedien sorgt dafür, dass Innovationen sich
schnell landes- oder gar kontinentweit verbreiten können.
Selbst die Big Player und Global Brands versuchen sich zu
hyperlokalisieren. Sie investieren in «personal storytelling» und
verstecken sich in kleinen, unschuldig anmutenden, oft von lokalen Architekten gestalteten Ladenlokalen. Ganz gleich, ob
globale oder lokale Anbieter, es ist das Kleine, Nahe, Persönliche, Authentische und Nachvollziehbare, das Bindung, Vertrauen und Loyalität schafft.
Im Spannungsfeld von Globalisierung und Lokalisierung gewinnen die persönlichen sozialen und kommunikativen Aspekte des Konsums an Wert. Anhand Nah-Essern, regionaler
High-End-Gastronomie und «From farm to fork»-Restaurants lässt sich bereits heute erahnen, welche massiven Auswirkungen die Wiederentdeckung des Nahen und Vertrauten
in naher Zukunft haben wird: Die Nachbarschaft wird zu
einem ebenso zentralen Ort des Konsums, wie es einst die
Einkaufsstrassen gewesen sind. Eingekauft wird in Nachbarschaftsläden und auf dem Wochenmarkt oder direkt am Ort
der Herstellung; in den Produktionsstätten und Betrieben
selbst. Gespräche über Herkunft und Hintergründe des Produktes schaffen Vertrauen. Lebensqualität, Zeit und Ruhe und
der persönliche Kontakt haben Konsum, Besitz und Statusdenken abgelöst. Die Geschichten hinter den Produkten werden immer wichtiger für den Prozess der Kaufentscheidung
und fliessen bewusst in Produktinszenierungen ein.
Zum hyperlokalen Game-Changer entwickelte sich dabei
ein Todeskandidat. Die Lokalzeitung, kurz davor, auf der
Müllhalde der Mediengeschichte zu landen, machte mit dem
Community-Service Near-Wana die Nähe wieder lebenswert.
Vom Ayurvedakurs bis zum Ziegenkäse, alle Angebote aus
dem Nahbereich werden bei Near-Wana getestet, und die
lokale Verwurzelung garantiert, dass es, anders als bei den
Trip-Advisors dieser Welt, keine Fake-Bewertungen sind.
Die Kooperation über die Region hinaus mit den Near-Wanas
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Mit einer
Plattform namens Swisscom Friends ermöglicht Swisscom seinen Nutzern, technischen Support von Privatpersonen in der
Umgebung zu finden und zu nutzen. Wer will, kann sich auf
der Plattform registrieren und als Swisscom Friend bewerben.
Portale wie Nextdoor.com verstehen sich als «private social
network for your neighborhood», per Karte kann man gezielt
nach Nachbarn in der direkten Umgebung suchen, ein NewsFeed versorgt Mitglieder mit Neuigkeiten, Empfehlungen, Angeboten, Terminen oder einfach Tratsch aus der Nachbarschaft.
2. TINDER-SHOPPING
Als die bequemste und unverfänglichste Möglichkeit, in unserer multioptionalen, schnelllebigen und durchdigitalisierten
Welt zu einem Date zu kommen, gilt derzeit die Dating-App
Tindr. Das Mitglieder-Profil ist kostenlos und in wenigen
Schritten auf dem Smartphone erstellt. Einzige Voraussetzung
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Trends . Counter-Stores . Judith Mair, Bitten Stetter et al.
ist ein Facebook-Account, über den man sich einloggt. Hast
du dein Konto einmal eröffnet, arbeitet die App auch schon
allein für dich. So durchforstet Tindr in einem von dir vorgegebenen Radius nach Nutzern, die deinen Präferenzen entsprechen, und stellt dir eine Reihe von Bildern deines möglichen Herzblattes zur Verfügung. Voilà: Schon hat man zwanzig
Leute auf seinem Mobiltelefon, die einem nicht nur gefallen
könnten, sondern sich auch ganz in der Nähe aufhalten. Nun
wird es heiss – Wisch nach links: gefällt nicht, Wisch nach
rechts: gefällt. Ein hocheffizientes und zugleich fast spielerisch
aufgeladenes Prinzip. Entscheidungen sind schnell und intuitiv, doch hinter dem einen Fingerwisch steckt jede Menge
ein hoch personalisiertes Warenangebot – in Echtzeit und
zum Greifen nahe.
Und auch für all jene, die auf jegliche Form digitaler Personalisierung mit Misstrauen oder Ermüdung reagieren und
lieber überrascht werden wollen, hat Tindr eine Lösung: Bei
der Matchmaker-Funktion schlagen dir Freunde aus deinem
Netzwerk Produkte vor, von denen sie denken, dass sie dir
gefallen könnten – und Tindr by Coincidence liefert sogar
Produktvorschläge von völlig unbekannten Personen.
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Mit der
Web-Anwendung Tindddle können Mitglieder des KreativNetworks Dribbble gezielt nach Design-Arbeiten suchen, um
sie dann (über das Kreuz-Symbol) verschwinden zu lassen oder
(mit einem Herzen) zu ihrem Favoriten zu erklären. Auch bei
der neuen mobilen App des Möbelhändlers Home 24 kann
man, ähnlich wie bei Tindr, durch einfaches Wischen auf dem
Screen einzelne Möbelstücke favorisieren oder aussortieren.
Hast du einer Marke zehnmal
eine Abfuhr erteilt, verschwindet
sie für immer von deinem Screen.
implizites Wissen. Besonders die Digital Natives der Generationen Y und Z zeigen sich äusserst geschult darin, aus dem
Überfluss an Reizen und Optionen in nur einem Bruchteil
von Sekunden genau das herauszufiltern, was für sie relevant
und interessant sein könnte – ganz gleich, ob Dating-Partner,
Tagesnachrichten, Urlaubsunterkunft oder Turnschuhe.
Tinder-Shopping hat sich an diesen Selektionsmechanismus angelehnt. Du magst Sneakers, neonfarbig und nicht
geschnürt? Schon poppen die ersten Angebote auf dem
Screen auf. Ein kleiner Wisch nach links, und du lässt jedes
Produkt fallen, das dir nicht gefällt. Hast du einer Marke
zehnmal eine Abfuhr erteilt, verschwindet sie für immer von
deinem Screen. «Shop until they drop!» Das setzt die Anbieter unter Druck, denn sie müssen es nun schaffen, ihre Angebote so zu inszenieren, dass sie nicht direkt vom Screen
des Mobiltelefons gewischt werden; und sie müssen sich
vom Spam-artigen Zumüllen aller Kommunikationskanäle
mit Produktbotschaften verabschieden, wenn sie einen Kunden nicht verlieren wollen.
Neue Chancen für den Handel im Zeitalter des TinderShoppings ergeben sich durch das immer genauere Bild, das
die App von Zielgruppen und Kaufverhalten liefert, auf das
mit einem immer individuelleren Zuschnitt des Produkt­
angebots geantwortet werden kann. Aktiven Tinder-Shopping-Kunden servieren Algorithmen auf dem Silbertablett
3. DIRTY SHOPPING
Wann haben Sie damit aufgehört, den ganzen Tag auf dem
Handy-Display Ihre Kalorien zu zählen? Wann waren Sie es
leid, beim «Clean Eating» zu Fleisch-, Fett- und Zuckerlosigkeit verdonnert zu werden? Wann haben Sie das erste Mal wieder die total unvegane Lederhose angezogen – und sei es auch
heimlich, nur für Sie und Ihren Badezimmerspiegel? Die ständige Arbeit an sich selbst mag zwar gut für Ihre Gesundheit
und Ihr Gewissen gewesen sein, doch kostete sie vor allem
Zeit, Lebenslust und nicht zuletzt Geld. Also, warum nicht
einfach (wieder) das Leben geniessen?
Servietten sind für Feiglinge –
die Hose bezeugt die Ernährung
der vergangenen Woche.
Natürlich, es war ein harter Kampf. Schliesslich ging es bei dem
Clean-Eating-Hype gar nicht um Gesundheit, sondern um Status und die Abwertung all derer, die nicht mitmachen wollten,
wie der «Guardian» bereits 2014 schrieb: «Mostly it means: ‹I’m
much better than you.› The opposite of clean is dirty.»
Und «dirty» wurde denn auch das Motto der Gegenbewegung. Aus London schwappte «Dirty Fashion» auf den Konti26
GDI Impuls . Nummer 3 . 2015
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Der
nent: seit den Sechzigerjahren nicht mehr verwendete Polyesterfasern, giftbunt, chemiegefärbt und schweissfördernd – der
strenge Geruch machte den Style erst richtig radikal. Berlin
steuerte «Dirty Food» bei: Ausgehend vom Döner mit extraviel Knoblauchsauce wurde aus allen Poren tropfendes Ganzkörperessen angesagt. Servietten sind für Feiglinge, die Hose
bezeugt die Ernährung der letzten Woche. «Dirty Shopping»,
in Barcelona entstanden, rundet den Proteststil ab: In den
«Seconds»-Filialen beispielsweise dürfen nur Klamotten gekauft werden, die man gleich anbehält – und das zuvor getragene Teil muss dafür im Laden bleiben und wird auf den Bügel gehängt.
Auch McDonald’s hat sich dem Dirty-Trend angepasst:
Das M im Logo ist nicht mehr golden, sondern neongelb, Salate, Smoothies und Veggie-Burger sind aus dem Programm
verschwunden, und der neue Bestseller auf der Karte ist das
legendäre Elvis-Sandwich – mit Erdnussbutter, Speck, Banane
und 2000 Kalorien.
Limonadenhersteller Fritz-Kola wirbt für seine Bio-Saftschorlen in der aktuellen Kampagne mit selbstironischen Claims
wie «Wer Körner frisst, muss auch was trinken» oder «Doch
lieber ne Tofu-Schorle?». Das New Yorker Milchreis-DessertRestaurant Rice to Riches versteht sich als «Reich der Kalo­
rien und der Unvernunft» und nimmt mit Sprüchen wie «No
skinny bitches», «Big is beautiful» und «We put the XXX in the
XXXL» den kalorienarmen Lebensstil der gesundheitsfixierten Mittelklasse auf die Schippe.
4. POE: PLACE OF EXPERIENCE
Überall im Leben bedeutet «handeln», dass man etwas tut.
Aber was machte der Einzelhandel bislang? Nicht viel mehr,
als seine Regale aufzufüllen und auf Kunden zu warten. Das ist
jetzt vorbei: Der stationäre Detailhandel verkauft keine Produkte mehr. Seine neue Rolle ist es, die Menschen agieren zu
lassen und dem öffentlichen Raum neues Leben einzuhauchen.
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Trends . Counter-Stores . Judith Mair, Bitten Stetter et al.
Er präsentiert das Produkt als sinnliche Erfahrung; das Produkt in Aktion und Gebrauch; das Produkt als Erlebnisplattform. Aus dem Point of Sale, der heiligen Kuh aller Marketingstrategen, wird der Place of Experience.
Nikes neues Retail-Konzept heisst seit 2023 «Laufen erleben». Der Shop ist eher ein Fitnesscenter, wo man die online
zusammengestellten Schuhe seiner engeren Wahl direkt ausprobieren kann – inklusive Work-out und Lauf durch die
Stadt, mit all jenen Messdaten, die anzeigen, ob der Schuh sich
nicht nur gut anfühlt, sondern auch physiologisch gut geeignet ist. Und vor allem: welcher Schuh am besten geeignet ist.
Kennenlernen, ausprobieren, verstehen. Das Produkt, den
Service, die Nike-Experten und, ja, ein Stück weit auch sich
selbst. Am Place of Experience geht es eben um weit mehr als
nur um die Erfahrung mit einem Produkt – denn Erfahrungen macht immer der Mensch.
Und Amazon lehnt sich mal wieder besonders weit aus
dem Fenster. Wie jeder Content-Verkäufer, der etwas auf sich
hält, bietet der ehemals reine Online-Buchhändler an vielen
Orten Vorträge, Lesungen, Diskussionen an. Aber seinen PrimeKunden, von denen das Unternehmen ja besonders viel weiss,
schlägt Amazon gleich noch ein paar Fragen vor, die sie dem
Vortragenden stellen könnten. Etwas vorwitzig sei das, befinden manche Kunden; aber sowohl aus den ihrer Meinung
nach passenden wie aus den unpassenden Fragen lernen sie
exklusives Fitnessstudio und Showroom in einem – wenn auch
nur für eine selektierte Kundschaft aus Trendsettern, Redaktoren und Social-Media-Kennern.
5. THE WHITE ROOM
Das Geschäftsmodell des Warenhauses war es, alles zu haben.
Das ist gescheitert, vom Internet und den Filialisten zerstört
worden. Da könnte es ja erfolgreicher sein, wenn man einfach
das genaue Gegenteil des Warenhaus-Geschäftsmodells versucht. Und was wäre das genaue Gegenteil? Richtig: nichts zu
Bei der virtuellen Anprobe sehe
ich direkt, ob mein Geschenk dem
Beschenkten überhaupt steht.
haben. Und damit: Willkommen im White Room! Diese gerade überall aufkommenden Shops sind in der Tat weiss und
leer – bis auf die hochsensorische Hologrammtechnik, die
sich im Hinter- und Untergrund versteckt. So können das
Sortiment, ja ganze Markenwelten, per «Touch ’n’ Click»-Verfahren in die Räume geladen werden. Ändert sich etwas an der
Kollektion, ist die jeweilige Marke in der Lage, in ein paar Sekunden die Projektionen anzupassen. So kann man durch die
Reihen flanieren und interessante Stücke vergrössern. Neben
dem Preis sind der Herstellungsort und die Machart abrufbar,
aber auch individuelle Informationen: Wer aus meiner Pri­vate
Cloud fand das Shirt, das mich interessiert, schon vorher interessant oder hat es gekauft? Die virtuelle Anprobe via Hologramm-Projektion zeigt zudem, wie das favorisierte Stück an
einem selbst aussehen würde. Und auf Wunsch sogar, wie es
an einem veränderten Selbst aussähe: Lohnt es sich, für das
neue Sommerkleid zwei Kilo abzunehmen? Wie trägt sich die
Umstandsbluse im achten Monat?
Den Durchbruch schafften die White Rooms jedoch mit
der «Gift I-D»-Funktion: Wenn man ein Geschenk sucht, bekommt man auf Basis der gespeicherten Daten der Cloud eine
passgenaue Auswahl an Produkten, welche für den zu Beschenkenden interessant sein könnten. Je nachdem, wie gut
die Datenbasis für diese Person ist, kann man auch für sie eine
virtuelle Anprobe machen. Der gute alte «Hochzeitstisch», auf
dem einst das Brautpaar im Kaufhaus seine Geschenkwünsche
stapelte, wird so wiedergeboren – ganz in Weiss.
Seinen Prime-Kunden schlägt
Amazon Fragen vor, die sie nach
dem Vortrag stellen könnten.
ein wenig mehr darüber, wie sie von Amazon gesehen werden.
Und der Konzern wiederum lernt aus jedem Feedback, das er
bekommt, ein bisschen mehr darüber, wie er seinen nächsten
Place of Experience gestalten sollte.
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Es halten
sich Gerüchte, dass Amazon plant, einen stationären Laden in
Manhattan zu eröffnen – die Fläche direkt am Empire State
Building wäre vorhanden, ist aber noch untervermietet. Der
Online-Fashion-Händler Zalando betreibt inzwischen erfolgreich zwei Outlet-Stores in Berlin und Frankfurt. Der bereits
in New York eröffnete Fitness-Hub 45 Grand von Nike ist
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GDI Impuls . Nummer 3 . 2015
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Mit ihrem
fast direkt verfügbar. Man muss nur zugreifen. Das reale Leben wird zur Inspiration. Genormte Schaufensterpuppen weichen Menschen aus Fleisch und Blut. Apps wie Shazam, die
zur Musikerkennung dienen, werden auf sämtliche Konsumbereiche überschwappen.
Die Herkunft der Hose der Sitznachbarin in der Bahn und
der Haarfarbe der Agenturchefin werden per Scanning-App
für mich erkennbar und verfügbar sein. Ein Klick genügt, um
zu wissen, bei welchem Schönheitschirurgen die Nachbarin
war oder wie teuer die Bluse der Galeristin tatsächlich ist. Ein
weiterer Klick, und das entsprechende Produkt ist gekauft –
und vielleicht bekommt die Nachbarin sogar Provision dafür.
Um ihre Produkte im Alltag und auf der Strasse präsent zu
machen, setzen die Hersteller nämlich auf gesponserte Markenbotschafter, die ihre Produkte in ihrem Alltagsweg scheinbar nebensächlich präsentieren und inszenieren. «Showping»
heisst der neue Trend, bei dem Produkte weder in Schaufenstern noch auf Catwalks präsentiert, sondern im (fast) normalen Leben gezeigt werden.
Konzept für die Einkaufssimulation «Future Hunter-Gatherer»
gewann die Chinesin Pan Wang 2014 den ersten Preis des
Electrolux Design Lab. In ihrem virtuellen Kauf­erlebnis lässt
sie Konsumenten Lebensmittel, die durch Hologramme in
den Raum projiziert werden, jagen, fischen oder sammeln.
«Future Hunter-Gatherer» ermöglicht einen virtuellen Lebensmitteleinkauf, der durch Simulationen spielerisch räumlich erlebbar gemacht wird. Die Informationen zu den im Spiel
erbeuteten Nahrungsmitteln werden an einen Lebens­mittel­
laden weitergeleitet, der die erbeutete und gesammelte Ware
zusammenstellt und nach Hause liefert.
6. SHOWPING
Schlange stehen vor Umkleidekabinen und Kassen, nervtötende
Kaufhausmusik und aufgesetzt freundliche Verkäuferinnen –
darauf werden wir in Zukunft verzichten können. Produkte
begegnen uns zukünftig dort, wo sie gebraucht und genutzt
werden, im Alltag, auf der Strasse, mitten unter uns, und sind
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Trends . Counter-Stores . Judith Mair, Bitten Stetter et al.
WAS AUS DER GEGENWART IN DIESE RICHTUNG WEIST: Das
Diese neue Form des Einkaufens verändert auch die Produktion; der Konsument will auch hier mitentscheiden. Das geht
ebenso schnell wie der Einkauf selbst: Die Farbe, das Material,
der Schnitt, und natürlich der Preis, alles wird konfigurierbar.
israelische Start-up Awear Solutions arbeitet an einer Technologie, anhand derer beliebige Kleidungsstücke in einem Umkreis von zehn Metern per App gescannt, identifiziert und gekauft werden können. Auch Zalando will seine App um eine
Bilderkennungsfunktion erweitern, bei der Kunden ein Foto
von einem Outfit als Vorlage verwenden können, um im hauseigenen Online-Katalog nach ähnlichen Looks beziehungsweise Schnitten, Farben und Mustern zu suchen. <
Man muss nur noch denken, dass
einem ein Kleidungsstück gefällt,
schon landet es im Warenkorb.
Die App wird mich fragen, ob ich die Hose lieber zum Originalpreis von Nike, Levis oder Prada beziehen möchte, ob es
die kostengünstigere Kopie vom neuesten Copy-Näh-Shop
auch tut oder ob ich sie mit dem 3-D-Drucker zu Hause selber
ausdrucken will.
Für die nächste App-Generation wurde bereits eine Gefühlssteuerung angekündigt: Dann muss man nur noch denken, dass einem ein Kleidungsstück gefällt, und schon landet
es, ganz unverbindlich, im Warenkorb.
Die Beteiligten
Unter der Leitung von Bitten Stetter und Judith Mair im Austausch mit dem
Lehrstuhl für Medien- und Kulturwissenschaften der Zeppelin Universität
haben sich Tanja Herberth, Yaël Kölliker, Kevin Kretzer, Angela Schmidt,
Nico Schürch, Beatrice Sierach, Lora Sommer, Nina Swager van Dok den
«Counter-Stores» gewidmet.
30
«Wie für schwammige Körper
gibt es dann Fitness-Studios für
den schwammigen Geist.»
Dieter Haller im GDI Impuls 4.14
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