S.181-189 - Roswitha Moralic
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S.181-189 - Roswitha Moralic
Leseprobe Roswitha Moralić DIE FLITZKIDS und die Mär vom Kidwitz Die Turmuhr schlägt 1 mal. Am besten … O, da kommt Pia gerade. Da können Sie sie selbst fragen. Pia kommt über den Platz – im Schlepptau den sichtlich niedergeschla genen Vic. Sie dreht sich kurz nach ihm um. Pia: Brauchst gar nicht die beleidigte Leberwurst zu spielen, Vic. Geschehen ist geschehen! Wetten, du wirst mich nie wieder so enttäuschen? Und nun komm schon! Mal sehen, was im BIMBAM abgeht! Pia wartet auf Vic und legt ihm den Arm um die Schulter, während sie gemeinsam dem Lokal zustreben. Angekommen, kreuzt sie beide Arme vor der Brust und verneigt sich. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa! Ich hoffe ihr vergebt mir! Gibt’s was zu feiern? Und wenn ja, darf ich Schlafmütze trotzdem … Ein Flugzeug donnert über den Platz. Pia hält sich die Ohren zu, bis es weg ist. Also darf ich jetzt mitfeiern? Pfarrer: Zum Feiern ist uns nicht gerade zumute. Wir waren eher damit beschäftigt, uns Sorgen um dich armes krankes Hühnchen zu machen. Marsch zurück ins Bett! Mit deiner Mutter ist nicht zu spaßen, wenn sie sauer wird. Pia: Krankes Hühnchen? Pfff! Seit wann ist Schlafen eine Krankheit? Bin fit wie´n Rollschuh! Also was ist, darf ich mir auch ´n Kakao bestellen? Pfarrer: Selbstverständlich, mein Engel und Vic natürlich auch. Zugegeben: allzu krank siehst du mir nicht aus. Pia geht auf das Lokal zu. Pia: Du auch ´n Kakao, Vic? Vic: Wäre super! Pfarrer: Als Pia zurück kommt, winkt der Pfarrer sie an seinen Tisch. Komm, setz´ dich zu mir. Kannst das andere Brötchen haben und das Ei, wenn du willst. Hast ja auch noch nichts im Magen. Und jetzt raus mit der Sprache: was in drei Gottes Namen sollte das gestern? Nicht nur, dass du meine Messe aufgehalten hast! Nein, du musstest mich auch noch vor der versammelten Gemeinde und 181 allen anderen, die zum Festtags-Gottesdienst gekommen waren zum Hanswurst machen. Pia: Pia fällt das Messer auf den Teller vor Schreck. Du nennst einen Patron einen Hanswurst? Na toll! Und ich hatte gedacht, es würde dir eine Ehre sein, am Festtag der Erlösung zum Schirmherrn für unsere Erlösung gekürt zu werden. Dass ich den ersten Schritt zu unser aller Erlösung etwas lustig verpackt habe, willst du mir doch wohl nicht übel nehmen?! Ich hab´ mir echt unglaubliche Mühe gegeben! Erst im Bus die richtigen Worte zu finden, und dann noch auf dem Platz das Ganze solo vorzutragen, was glaubst du wohl, wie viel Überwindung, wie viel Mut mich das gekostet hat! Schließlich verfüge ich nicht über eine jahrzehnte lange Prediger-Erfahrung wie du. Plötzlich steht Suse mit einem vollen Einkaufskorb auf der Terrasse. Suse: Genau! Herr Gott noch mal! Ich bin sehr sehr stolz auf mein Prinzesschen! Jeder einzelne von ihrer versammelten Gemeinde, Herr Pfarrer, jeder von all denen, die durch reinen Zufall dabei waren, sind hin und weg gewesen von den schauspielerischen Glanzleistungen meiner Tochter. Ich selbst noch am allermeisten. Solche Mühe hat sich das Kind gegeben, dass es auf dem Nachhauseweg – bumms! – umgekippt ist. Ja, umgekippt wie ein gefällter Baum. Flitzkids (im Chor): Was? Pfarrer: Ist nicht wahr! Suse: Und ob das wahr ist! Ich habe laut um Hilfe geschrien. Aber meint ihr, irgendwer hätte sich gerührt? Und Sie, Herr Erlöser-Pfarrer, haben sich auch taub gestellt. Sie können mir doch nicht weis machen, Sie hätten mich nicht gehört in der Kirche! Als ich mir fast die Kehle aus dem Leib geschrien hatte, ist Opi Kiri bei laufendem Motor aus dem Klein-Azzurro gesprungen. Er hat mein Prinzesschen ins Haus getragen und wieder in unsere Welt zurück geholt. Und jetzt, lieber Herr Pfarrer, haben Sie meine Tochter aus dem Haus gelassen, obwohl ich Sie gebeten hatte, sie schlafen zu lassen. Männer! Kann ich da nur sagen. Komm Kindchen! Ab nach Hause! Da kriegst du ein gesundes Frühstück. Und dann schläfst du noch ´ne Runde. Pfarrer: Nun warten Sie doch mal einen Moment, Suse! Ich will einfach nur herausfinden, was Pia mir eigentlich genau hat sagen wollen gestern Abend, sonst wäre ja ihr ganzer Auftritt für die Katz´ gewesen. Pia: Hurra! Ich habe gewonnen! Endlich mal will Herr Pfarrer wissen, was ich will, anstatt mir zu predigen, was ich zu wollen habe. Also hör gut zu: der Geier weiß, wie splitternackt, total zerbrechlich ich auf die Welt gekommen bin, wie herzzer- 183 reißend ich um mein Leben geschrien habe. Pia hält inne, als könne sie sich wirklich daran erinnern. Kind (Stimme): Na und? Kind auch! Kra-ha-ha! Und schon war Mama da! Meine Mama brachte mich unter das Dach der Kirche. Aber kleiden konnte sie mich nicht. Der Pfarrer der Kirche warst du. Du hast mir alles für den Anfang gegeben und dafür gesorgt, dass ich ein Zuhause bekam, dort hat sich jeder darum bemüht, dass es mir wohl ergeht, und so ging´s weiter, weiter, weiter … bis zum heutigen Tag und morgen geht’s wahrscheinlich ebenso weiter. Kind (Stimme): Pia vergewissert sich, ob ihr auch alle zuhören. Und bist noch nicht gescheiter! Krä-ä--ä-ä-ä-ächz! Gestunken hätte Kind das, nicht mal gewunken hat der beim Abflug. Fast ertrunken wäre der auf der Jagd nach Fressen, so war er auf Freiheit versessen. Ein Flugzeug donnert vorüber. Pia hält sich die Ohren zu, bis es weg ist. Pfff! Bin ganz aus dem Konzept gekommen! Aha! Jetzt fällt es mir wieder ein: Ich habe mich halt gefragt: Was sagt mir das, wenn jeder, der es mit mir zu tun hatte bisher, alles dran gesetzt hat, dass es mir gut ging? Und kam zu dem Schluss: ich muss wichtig sein, lebenswichtig für andere. Warum eigentlich? Weil ich das den Leuten weis gemacht habe – unbewusst – jeweils mit den Möglichkeiten, die ich gerade hatte, weil mir das innen drin so befohlen wurde. Das heißt doch: mein Leben zu hüten, es auf Deibel komm raus vor Übel zu bewahren, ist meine Lebensaufgabe. Stimmt´s Herr Pfarrer? Pfarrer: Mag schon sein, mein Engel. Pia: Aber nicht nur das! Auch für die übrige Welt kann ich nichts Besseres tun, als meine Lebensaufgabe ernst zu nehmen. Weil ich dann weniger Leuten die Zeit stehle. Stimmt´s, Herr Pfarrer? Pfarrer: Mag schon sein, mein Engel. Komm zur Sache! Pia: Das ist die Sache, die Hauptsache! Aber Sache ist auch, dass das Übel, das mich im Augenblick heimsucht groß, riesengroß, zu groß für mich ist. Würde ich um Erlösung davon beten, würde in der Zwischenzeit das Unheil nur noch größer 185 und größer. Ich muss mich also jetzt sofort dagegen wehren. Allein schaffe ich das allerdings nicht, geschweige denn es ganz abzuwehren. Ich brauche Gleichgesinnte: die Flitzkids – sie wollen ja auch davon erlöst werden. Die Flitzkids brauchen einen Erwachsenen, der auch davon erlöst werden will, obendrein jedoch etwas zu sagen hat. Du bist so einer, Herr Pfarrer, einer, dem wir dazu noch trauen. Aber auch du brauchst Unterstützung von jemandem, der wie du erlöst werden will und etwas, ja vielleicht noch mehr als du zu sagen hat – den Bürgermeister z.B. Der Bürgermeister wiederum braucht Leute, die mit ihm Kleinstadt regieren, und die brauchen Kleinstadts Bürger – viele, möglichst alle. Denn alle wollen ja vom selben Unheil erlöst werden. Stimmt´s Herr Pfarrer? Pfarrer: Von welchem Übel redest … Ein Flugzeug verschluckt mit seinem Getöse den Rest der Frage. Pia hält sich die Ohren zu. Der Pfarrer lacht. Verstehe, verstehe, mein Engel. Du willst also mit den Flitzkids in Kleinstadt ein Märchen auf die Bühne bringen, das auf den Lärm aufmerksam macht. Und ich soll die Honorigen der Stadt dazu einladen. Das ist, was du eine VIP-Party nennst. Stimmt´s, mein Engel? Pia: Warm, Herr Pfarrer! Aber noch nicht heiß! Also gib acht: wir Flitzkids wollen nicht auf den Lärm aufmerksam machen – jeder der den in Kleinstadt noch nicht bemerkt hat, müsste taub sein – sondern auf die Notwendigkeit, auf den Lärm zu reagieren. Deshalb wollen wir mit dir, Herr Pfarrer als Patron, den Springinsfeld-Spielen als Schauspieler, der Springinsfeld-Band und Tobi als Musiker, den Honorigen und möglichst vielen Bürgern von Kleinstadt als Tänzer, Statisten und Publikum hier auf dem Erlöser-Platz gemeinsam das Theaterstück PIA UND DIE FLITZKIDS aufführen, um uns gemeinsam von unserem gewaltigen Übel zu erlösen, das unser aller Leben hier in Kleinstadt Tag und Nacht angreift, oder es wenigstens zu versuchen. Das ist schlicht die Pflicht eines jeden von uns. Nicht nur ich – Pia – habe ja die Aufgabe, mein Leben zu hüten. Jedes Lebewesen hat sie. Stimmt´s Herr Pfarrer? Pfarrer: Nun ja. Du scheinst es ernst zu meinen, mein Engel, bitterernst. Fragt sich nur ... Dem Pfarrer hat es die Sprache verschlagen. Er sucht nach einer Antwort. Der Pfarrer stockt, starrt zur Kirche hinüber. Auf der Kirchgasse kommt der Ministrant vom Vorabend angerannt. Beim Publikum angelangt, bimmelt er heftig mit der Glocke. Jetzt brat´ mir einer ´nen Storch! Was ist denn in unseren Noah gefahren? 187 Fremdenführerin: Touristen springt ins Feld! Beifälliges Gemurmel der Touristen. Glauben Sie, Sie könnten Ihre Flitzkids dazu überreden, ein paar Runden für sie zu drehen? Pia: Die Touristen-Gruppe ist derweil am BIMBAM angkommen. Guten Morgen Hochwürden. Unsere lieben Gäste aus dem fernen Morgenland haben gerade Ihre Kirche besichtigt – mit überaus großem Interesse. Ist es nicht so? Jeder aus dem Publikum hängt sich eine Kamera um, setzt sich eine Mütze, Kappe oder einen Hut auf, erhebt sich und folgt der Fremden führerin über den Platz. Und nun, verehrte Damen und Herren, haben Sie das ausgesprochene Glück, die Hauptattraktion von Kleinstadt kennenzulernen: die Flitzkids mit ihrem Gönner, dem Pfarrer der Erlöser-Gemeinde. Glück deshalb, weil unsere berühmten Inline-Skater gewöhnlich erst in den Spätnachmittagstunden ihr Stelldichein geben. Vielleicht haben wir ja doppeltes Glück und kommen in den Genuss einer kleinen Kostprobe ihrer Fahrkunst. Fremdenführerin: Noah stellt sein Bimmeln ein. Der Pfarrer schaut die Flitzkids fragend an. Pia nickt mit dem Kopf. Da braucht´s keine große Überredungskunst! Wir Flitzkids tun nichts lieber als flitzen – besonders vor Publikum und mit … Ein Flugzeug donnert über den Platz. Pia hält sich die Ohren zu, alle anderen schauen hoch, bis der Lärm abebbt. Also … O Verzeihung, jetzt hab´ ich doch schlicht vergessen, was ich sagen wollte! Suse: Das ist auch gut so, Prinzesschen. Du wirst nämlich jetzt auf keinen Fall flitzen. Du marschierst jetzt auf dem kürzestem Weg in die Falle. Auf Wiedersehen allerseits! Pia: Ich werde ja wohl noch aufessen dürfen! Suse: Du bekommst ein gesundes … 189