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Podium Seite 30 Mittwoch, 5. Dezember 2007 Nr. 95 Finanz und Wirtschaft Wann kommt der sechste Kondratieff-Zyklus? – Bahnbrechende innovative Entwicklungen sind Mangelware Comeback der langen Wellen der Konjunktur Von Alfred Rhomberg Der vierjährige Wirtschaftsaufschwung geht langsam zu Ende. Die regelmässigen konjunkturellen Schwankungen von drei bis vier Jahren lassen sich über eine sinnvolle Zinspolitik zwar etwas mildern, abschaffen kann man sie wohl kaum. Die US-Hypothekenkrise ist derzeit allenfalls ein auslösendes Moment für die pessimistischere Einschätzung an den Weltbörsen. Wichtig wäre es, sich langfristigere Vorstellungen von der Zukunft zu machen. Ausser den kurzen Konjunkturzyklen gibt es Entwicklungen von rund 45 bis 60 Jahren, die nach der Theorie von Nikolai Kondratieff (1892 bis 1938) auf dem engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und technisch-wissenschaftlichen Basisinnovationen beruhen. Kondratieff hatte seine Erkenntnisse 1926 in der Fachzeitschrift «Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik» mit dem Titel «Die langen Wellen der Konjunktur» publiziert. In den vergangenen 250 Jahren kann man fünf solcher Zyklen zuordnen: Dampfmaschine und Baumwolle; Stahl und Eisenbahn; Elektrotechnik, Chemie (im weitesten Sinn); Petrochemie und Automobil (Gas-, Diesel- und Otto-Motoren) sowie Informations- und Kommunikationstechnologien. Grosse Produktivitätsgewinne Dass seit etwa 1970 durch die Informationstechnologien infolge der Miniaturisierung von Transistoren und Speicherchips ein neues Kapitel der Wirtschaftsgeschichte eingeläutet wurde, steht heute ausser Zweifel – wenigen war damals allerdings bewusst, dass dadurch fast alle Industriebranchen derart kräftige Impulse erhalten würden, weil die Preise von Computern anfangs noch recht hoch waren. Wegen der Verbilligung von Speichermedien und des Wachstums der Compu- terindustrie kam es dann ab 1980 zu Produktivitätssteigerungen, von denen fast alle Bereiche der Wirtschaft profitiert haben. Sie sind jedoch auch Ursache für die seither tendenziell steigende Arbeitslosigkeit. Um sich ein Bild des Ausmasses dieses fünften Kondratieff-Zyklus zu machen, seien die wichtigsten davon beeinflussten Branchen aufgezählt. Profitiert haben Unternehmen, die Computer und das notwendige Zubehör herstellen (Drucker, Scanner, CD-Rom und Brenner zum Anfertigen von Datenkopien etc.). In der Auto-, der Textil-, der Uhren- und der Konsumgüterindustrie sowie der Chemie wurden alle Fertigungsprozesse automatisiert und die Produktivität enorm erhöht. Hohe Entwicklungskosten Die Medizin profitierte von der Entwicklung neuer bildgebender Verfahren, mit denen es möglich wurde, bereits bekannte Geräte so zu verbessern, dass sie heute den medizinischen Alltag bestimmen (Computertomographie, Schichtröntgen, Magnetresonanztomographie/MRI, Ultraschalldiagnostik). Am meisten Nutzen ziehen konnte die Unterhaltungsbranche – CD-Player, MP3-Technik, neue Fernsehgeräte, Recorder, DVD-Videos, Digitalkameras, Computerspiele, Handys und alles, was mit der Mobilfunkbranche zusammenhängt. Sie haben unseren Alltag entscheidend verändert. Das Entwicklungspotenzial ist zwar längst noch nicht ausgeschöpft, neigt sich jedoch langsam dem Ende zu, weil es inzwischen kaum noch zündende Neuentwicklungen gibt und der Markt sich abmüht, vorhandene Technologien in neuen Kleidern zu verkaufen. Wenige dieser Produkte werden so breite Käuferschichten finden wie die Produkte zu Beginn des Handybooms oder seit dem Siegeszug der Digitalkameras – bereits am Markt befindliche Produkte der ckelt haben und umweltfreundliche Technologien derzeit boomen, ist daraus nicht die Schubkraft zu erwarten, die vergangene Zyklen entwickelt hatten, weil sie mit hohen Kosten einhergehen, die zuerst erwirtschaftet werden müssen. Zukunftsträchtige Entwicklungen spielen sich oft im Verborgenen ab. Dies gilt ganz besonders für die Nanotechnologie, die als Fortsetzung und Weiterentwicklung der Mikrotechniken schon jetzt eine bedeutende Rolle spielt. Sie ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Technologien im Bereich sehr kleiner Teilchen, der bis in den Molekül- und den Atombereich hineinreicht. Als Zusatzstoffe in Form von Pigmenten und Additiven werden Nanomaterialien in der Lack- und der Kunststoffindustrie längst angewandt. Oberflächen können z. B. schon heute so präpariert werden, dass Wasser einfach abperlt. Weiter sind neue Baustoffe denkbar, die leichter und fester als herkömmliche Materialien sind. Derzeit wird u. a. daran gearbeitet, die hervorragenden Eigenschaften des Fadens von Spinnen auszunutzen, wobei allerdings wieder die Gentechnologie zur Produktion ins Spiel kommen müsste. Die Nanotechnologie ist eine «konvergente» Technologie, weil sie in viele Teilbereiche (Chemie, Physik, Kommunikationstechnologien und in die Gentechnologie) hineinführt. Von einem sechsten Kondratieff-Zyklus darf man bei den Nanotechnologien wohl nicht ausgehen. Die Zukunft der nächsten Jahrzehnte hängt eher von dem sinnvollen Verbund aller Hoffnung Nanotechnologie? bereits vorhandenen Technologien ab – Die Annahme des Informationstechno- ein der Informationstechnologie vergleichlogen Leo A. Nefiodow, dass der sechste barer neuer Kondratieff-Zyklus ist leider Kondratieff-Zyklus in der besseren Nut- vorerst nicht in Sicht. zung des Humankapitals (Umorganisation der Arbeit, Psychologie, Psychothera- Dr. phil. Alfred Rhomberg war als Chemiker im Forpie, Ökologie, Wellness) liege, teile ich schungsmanagement von Boehringer Mannheim nicht. Auch wenn viele Industrienationen (heute Roche Diagnostics) tätig und schreibt als ein hohes Gesundheitsbewusstsein entwi- freier Publizist über Wirtschaftsthemen. Unterhaltungsbranche werden allenfalls verbessert und werden billiger. Ingenieure, Naturwissenschaftler und Wirtschaftler fragen sich, von welcher Basisinnovation ein sechster KondratieffZyklus ausgehen könnte. Noch vor wenigen Jahren waren sie der Ansicht, neue Erkenntnisse der Biochemie und der Gentechnologie würden einen solchen Zyklus einleiten. Es besteht kein Zweifel, dass dank der besseren Kenntnis biochemischer Vorgänge und der Humangenetik ebenso wie dank der Weiterentwicklung der Gentechnologie wirksamere Arzneimittel gegen die derzeit gefürchtetsten Krankheiten wie Krebs oder Altersdemenz gefunden werden können. Sie werden aus wirtschaftlicher Sicht jedoch nie die Grössenordnung von Kondratieff-Zyklen erreichen. Der Grund hierfür liegt in den hohen Entwicklungskosten, die sich nicht (analog zur Miniaturisierung von Transistorelementen) wesentlich verringern lassen, und auch daran, dass die genannten Krankheiten in erster Linie Alterserkrankungen sind und nicht die Gesamtbevölkerung betreffen. Bei gentechnologischen Entwicklungen muss – sofern sie nicht den Gesundheitsbereich betreffen – zusätzlich die Ablehnung durch breite Bevölkerungsschichten in Betracht gezogen werden, die sich nicht so leicht abbauen lässt, weil die Notwendigkeit gentechnologisch veränderter Produkte (ausser im Gesundheitsbereich) nicht überzeugend darstellbar ist. Länder-, Regionen- und Branchenfonds Länderfonds Vietnam – die Alternative zu China Der bekannte US-Ökonom Horace «Woody» Brock stattete in der vergangenen Woche Zürich einen Besuch ab, und wer bei seinem Vortrag genau hinhörte, erfuhr auch, dass er unter den Emerging Markets Vietnam besonders erwähnte. Für Engagements in dem aufstrebenden asiatischen Land spricht nicht zuletzt, dass das vietnamesische Bruttoinlandprodukt 2008 rund 9% wachsen soll. Brock strich besonders die Demografie als Indikator für die künftige Wirtschaftsentwicklung eines Landes hervor – und da kann Vietnam weit mehr überzeugen als beispielsweise China. Obwohl beide Länder intensiv Handel miteinander treiben und Vietnam so auch vom kräftigen Wachstum seines nördlichen Nachbarn profitiert, entwickelt es sich immer mehr zu einer eigenständigen Alternative. Japanische Fabrikanten haben letzthin Vietnam zum attraktivsten Investitionsstandort gewählt. Auch China hat die Vorteile erkannt, und es scheint nur eine Frage von wenigen Monaten zu sein, bis chinesische Investoren mehrere Milliarden Dollar in den Markt pumpen werden. China will einen Teil seiner riesigen Währungsreserven von über 1430 Mrd. $ gezielt im Ausland investieren, um damit den Druck von der eigenen Währung zu nehmen; 2008 sollen 246 Mrd. in Australien und in fünf asiatischen Ländern, darunter Vietnam, investiert werden. Angesichts einer Marktkapitalisierung der Börsen in Vietnam von rund 30 Mrd. $ dürfte der erwartete Kapitalfluss einen grossen Einfluss auf die Kurse haben. In den vergangenen Wochen strömte bereits so viel ausländisches Geld in den vietnamesischen Markt, dass es beim Währungsumtausch teils zu einem Engpass kam. Doch selbst ohne den Liquiditätsschub aus China wartet sehr viel Geld darauf, im Land am Mekong plaziert zu werden, denn das lange erwartete IPO der Vietcombank wird noch vor dem 26. Dezember stattfinden. Drei weitere grosse Staatsbanken werden in den kommenden Monaten ihr Börsendebüt geben. Einige Vietnam-Fonds haben sich bereits auf die neue IPO-Welle vorbereitet. Zahlreiche Vietnam-Fonds sind geschlossene Fonds (Closed End), bei denen keine regelmäs- Favorisierte Titel Name (Währung) Kurs Innerer Prämie Wert in % Vietnam Opportunities Fund ($) 3.54 3.49 PXP Vietnam Fund ($) 10.75 10.43 AMCFM Global Opportunities Fund (Fr.) 116.85 116.85 1,4 3,1 0 Fondsmgt. Manager Vina Capital PXP Vietnam AMC Don Lam LDN/OTC K. Snowball/Waugh ISE/OTC Walter Bollier Open End Börse Quelle: AMC sige Ausgabe und Rücknahme von Anteilen stattfindet. Wie im Falle des eher wenig transparenten PXP Vietnam Fund von PXP Vietnam Asset Management, dessen Aktien mit sehr geringem Umsatz in Irland und zu einer Prämie gegenüber dem inneren Wert (NAV) gehandelt werden. Auch der Vietnam Opportunities Fund von Vina Capital wird mit einer leichten Prämie gehandelt. Er bietet Anlegern aber mehr Transparenz. Fast 40% des Portfolios sind am vietnamesischen OTC-Markt investiert. Besonders transparent durch wöchentliche offizielle NAV-Berechnung ist der in der Schweiz zum Vertrieb zugelassene AMCFM Global Opportunities Fund, der über 83% seines Portfolios direkt in vietnamesische Titel investiert und auch an IPO partizipieren wird. Ausserdem bietet er als Open-End-Fonds durch wöchentliche Ausgabe und Rücknahme zum NAV eine gute Liquidität. Asset Management Consulting Aaa Center for Co-operation in Finance Crédit Agricole kauft Bank in Nassau Crédit Agricole (Suisse) hat eine Tochtergesellschaft der Banque Nationale du Canada in Nassau erworben. Die Kaufsumme wurde nicht bekanntgegeben. Die übernommene Bank ist auf internationales Private Banking spezialisiert. Die Akquisition ist Teil der Strategie, die Sparte Private Banking weltweit auszubauen. Ausserdem verstärkt die Crédit Agricole ihre Präsenz auf den Bahamas, wo sie seit 2001 tätig ist. Die Übernahme soll Anfang 2008 abgeschlossen sein. Crédit Agricole (Suisse) in Genf gehört zur gleichnamigen französischen Bankengruppe und ist eine der bedeutendsten Auslandbanken in der Schweiz. Ende Juni verwaltete sie 56 Mrd. Fr. Kundenvermögen. Der französische Konzern ist in mehr als 70 Ländern aktiv und beschäftigt 157 000 Mitarbeitende. Auslandkommentar System Putin hat Erfolg Von Gerhard Beck Wladimir Putins Partei Einiges Russland hat – wie erwartet – mit 64,1% der Stimmen die russischen Parlamentswahlen klar gewonnen. Die Wählerinnen und Wähler haben nicht so anders abgestimmt als viele andere Nationen es auch machen würden. Die überwiegende Mehrheit wünscht sich wirtschaftliche Stabilität, hohes Wirtschaftswachstum und steigende Realeinkommen. Für all das steht in Russland der seit acht Jahren regierende Präsident. Ein bisschen Nationalstolz kommt dazu, wenn Putin offiziell dafür sorgt, dass Russlands grosse Rohstoffressourcen von Oligarchen oder dem Kreml kontrolliert werden. Die Kommunisten als einzige echte Kraft der Opposition im Parlament schauen mit 11,6% dagegen so alt aus wie die Mehrzahl ihrer betagten Stammwähler. Sie stehen für eine Opposition gegen die soziale Ungleichheit im Riesenland. Besonders stark sind sie in vielen Regionen Sibiriens, die zu den Verlierern der Wirtschaftsreform gehören. Putins Wirtschaftsaufschwung hat zwar einen Mittelstand geschaffen, aber breite Bevölkerungsschichten merken davon noch wenig. Mit 8,2% folgen die Rechtspopulisten der Liberal-Demokratischen Partei Schirinowskis. 7,8% der Stimmen entfielen auf die Pro-Putin-Splittergruppe Gerechtes Russland, eine Plattform für sozialen Protest ohne Basis und Substanz. Putin könnte daher sowohl allein regieren oder mit sich selbst eine Koalition bilden. Andere Oppositionsparteien schafften die 7%-Hürde erst gar nicht. Vor vier Jahren musste eine Partei in Russland nur 5% der Stimmen erringen, um in die Duma zu kommen. Demokratisch fragwürdig könnte man das Vorgehen des Präsidenten nennen. Sein Wahlsieg weist einige Schönheitsfehler auf. Politiker und Beobachter aus den USA und der EU kritisieren das Vorgehen harsch. Die OSZE sprach von Wahlen, die nicht europäischen Standards entsprechen. Von Stimmenkauf und direkter Beeinflussung von Angestellten durch ihre Vorgesetzten war die Rede. Viele Zettel sollen schon vorher ausgefüllt worden sein. Die Wahlbeteiligung lag mit 63% weit über den Wahlen von 2003 oder 1993. Viele der 109 Mio. Stimmberechtigten sind jedenfalls nicht ohne staatlichen Druck zur Urne geschritten. In Grozny, der Hauptstadt Tschetscheniens, haben mehr als 99% für Putin gestimmt. Allein das lässt Zweifel an freien und geheimen Wahlen aufkommen. Die Kommunisten wollen 10 000 Unregelmässigkeiten beobachtet haben und kündigen Klagen wegen Betrugs an. Hinter den unschönen Praktiken des Kremls verbirgt sich Angst vor einer zukünftig vielleicht unkontrollierbaren Opposition. Eine orange Revolution wie in der Ukraine kündigt sich jedoch nicht an. Denn auch ohne Manipulationen wäre Putin als klarer Sieger hervorgegangen. Das Wahlergebnis liefert die Grundlage für Putins Politik der gelenkten Wirtschaft. Russlands staatlich beeinflusste Konzerne und Grossunternehmen werden weiterhin zu den Gewinnern seiner Politik gehören. Der RTS-Leitindex der Börse Moskau pendelt mit 2200 knapp 3% unter seinem Höchst. Die anhaltend hohen Energie- und Metallpreise stützen die gegenwärtige Wirtschaftspolitik. Das ist Glück und Fluch zugleich. Viele Reformprojekte aus den Bereichen Gesundheit, Militär und Soziales stehen noch ganz am Anfang. Die russische Börse und die internationalen Investoren können derweil mit Putin und seiner Industriepolitik umgehen. Sein Sieg war in den Kursen eingepreist. Besser wäre es gewesen, wenn er demokratischer zustande gekommen wäre.