ROLF BAHL
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ROLF BAHL
1 BLICK ZURÜCK Autobiographie von Rolf Bahl Teil 1 1 2 Meinen Eltern und Geschwistern gewidmet: Vater: Ernst 21.04.1899 – 02.10.1964 Mutter: Ida 03.10.1906 – 06.05.1988 Hans Theodor: 04.11.1929 -17.12.1979 Klara: 10.08.1945 – 21.06.1958 Ernst: 07.01.1947 – 24.08.1999 2 3 Kapitelübersicht: Erster Teil: Buch 1 0 bis 10 Jahre 01.09.1938 bis 31.08.1948 1. Am Anfang war das Bewusstsein (7) 2. Der Waggis (10) 3. Eine Kuh für die Besatzer (11) 4. Das „gebrannte“ Kind (12) 5. Die Schmach des „Architekten“(13) 6. Der Halbbruder (15) 7. Der Krieg im Südwesten (17) 8. Das stille Tal (19) 9. Die Resistance (22) 10. Das Schloss (24) 11. Die Schrecksekunde (28) 12. 1944 (29) 13. Die armen Schweine (30) 14. Wir produzieren Wein (32) 15. Die fetten Gänse (34) 16. Eine Kalberei (35) 3 4 17. Der Dreschtag (37) 18. Blanca (39) 19. Lucien Flacha (41) 20. Die Familie Steiner (38) 21. Furcht vor Uniformen (45) 22. Soso Bitchi (46) 23. „Le Petit Suisse (47) 24. Der tote Spion (49) 25. Gefährlicher Auftrag (51) 26. Bomber und Bomben (53) 27. Der 6.Juni 1944 (54) 28. Die Deutschen kommen (55) 29. Gefechte am Vormittag (58) 30. US-Pilot in Nöten (60) 31. Unmöglich ? (62) 32. Der Albtraum (64) 33. Im grossen Wald (65) 34. Das Feuer (66) 35. Ein Loch im Kopf (68) 36. Die rettende Stimme (69) 37. Banditen (71) 38. Das Brot (73) 39. Der Schock (74) 40. Die Kriegsgefangenen (76) 4 5 41. Ich muss in die Schule (78) 42. Die Läuse (79) 43. Indochina (81) 44. Spiele unter dem Pult (83) 45. Der Kopf steigt in den Himmel (45) 46. Ich kriege eine Ohrfeige (86) 47. Der 14. Juli (88) 48. Die blutende Nase (89) 49. Wir dürfen ins Kino (90) 50. Klara, die Schwester (92) 51. Schulweihnacht 1945 (94) 52. Salto im Kinderwagen (96) 53. Ich muss die Jesusfigur grüssen (97) 54. Mussolini (99) 55. Lucien klärt auf (88) 56. Lehrer Luca schlägt zu (101) 57. Der Vetter aus Bordeaux (103) 58. Luciens Schwester (104) 59. Der Besuch von Onkel Otto (105) 60. Ernst Junior wird geboren (108) 61. Petrus der Feind (110) 62. Monique Garigue (111) 63. Ich soll in die Schweiz (113) 64. Taufe (115) 5 6 65. Die Tour de France (116) 66. Die Besucher aus Winterthur (118) 67. Zurück ins „Paradies“ (120) 68. Ich verlasse die Schule (121) 69. Die Verschwörung (122) 70. Die längste Nacht (124) 71. Lyon (126) 72. Das erste Problem (127) 6 7 Kapitel 1 Am Anfang war das Bewusstsein Der Säugling wälzt sich in seinen nassen Windeln im dunklen Zimmer und schreit. Doch niemand kommt und so geht das Schreien weiter. Die hölzernen Fensterläden lassen auf der linken Seite den Sonnenschein ins Zimmer einfliessen. Seit Tagen immer die gleiche Situation, der Säugling will sich rächen, raft sich im Kinderbettchen auf und bemalt die Wand mit Kot soweit seine kleinen Arme reichen! Er rechnet sogar mit einer Schelte, aber er tut es trotzdem aus Wut! Die Eltern kommen zurück, sie sehen sich die Bescherung an und lachen! Also war das keine Lektion, denkt der Säugling und lässt es fortan bleiben. Er weiss, dass die Leute jeden Tag zurück kommen, also muss er nicht mehr in Panik geraten. Etwa 4 Wochen später, Vater trägt den Säugling auf seinen Schultern zum Schulhausplatz, es ist bereits dunkel, auf dem Pausenplatz ist ein grosses, weisses Zelt aufgestellt, als wir hereingehen, sehe ich 7 8 rechts oben ein bewegendes Bild, ein Rennauto rast durchs Zelt, Vater und Mutter setzen sich auf die Bank, ich sitze auf den Knien des Vaters, oben diese vielen Bilder, dann ein Hahn, dem wird ein Glas Rotwein gereicht, der Hahn trinkt und fällt um! Ja, da war noch viel mehr, aber das konnte ich nicht erfassen, jedoch, dass ich andauern von den Knien runter rutschte, und gerade einmal über die Knie des Vater hinausragen mochte. Nochmals etwa vier Wochen später, auf dem Schulhausplatz steht eine Riesenmaschine, ein wahres Ungeheuer, dieses presst den ganzen Tag Heuballen. Dann kommen Soldaten der französischen Kavalerie, sie werden bei uns einquartiert, sie tragen flache Helme auf den Köpfen. Ich sitze am Abend auf der Haustreppe und sage jedem der rund 100 Soldaten, „bonnuit“, vermutlich habe ich das von ihnen gehört? Damit war mein Wortschatz alle! Die Soldaten gingen und es kamen andere Leute, welche kurze Zeit im hinteren Teil des 1749 erbauten Bauernhauses wohnten. Erklärung: Obiges spielte sich im Dorf „Montagnac-La-Crempse“ in der Dordogne ab. 8 9 Anfang März 1940, ich war damals genau 1 ½ jährig, das allererste bewusste Erlebnis war im dunklen Zimmer, dann folgte das Kino, schliesslich die Mobilmachung der französischen Armee im Mai 1940. Die fremden Leute im Haus waren geflüchtete Elssässer, welche im Juni 1940 in den Südwesten zogen. Am 5. Juni 1940, erfolgte der deutsche Angriff auf Frankreich, und am 18. Juni war der Feldzug bereits zu Gunsten von Deutschland entschieden! Der grösste Teil der mobilisierten Truppen Frankreichs, kam gar nicht erst zum Einsatz! Nachtrag zu Kapitel eins: Es wird sehr oft behauptet, ein Kind könne sich unmöglich in die Zeit vor dem zweiten Altersjahr zurück erinnern! Das trifft in meinem Fall sicher nicht zu, dafür steht der Zweite Weltkrieg als Zeuge da! Meine Eltern konnten sich später nicht mehr an diese Einzelheiten erinnern, ich dafür umso genauer. Und als allererste Erinnerung bleibt unumstösslich die Zeit vom März 1940 , die 9 10 Strahlen der Märzsonne drangen durch die Spalten des Fenterladens, meine Eltern waren neu auf der Farm und mussten die Felder bearbeiten. Dieser „Racheakt“ blieb aber als Einzelfall im Gedächtnis, dann ist wieder alles Dunkel bis zum Wanderkino, ich bin überzeugt, der kam im April 1940! Danach war schluss mit solchen Vergnügungen, weil anfangs Mai die Mobilmachung der französischen Armee erfolgte, zumindest was unsere Gegend anbetraf. Die Stroh- und Heuballenpressen wurden vermutlich schon im April auf dem Schulhausplatz hergestellt, sicher aber nicht nach Mai 40! Danach kamen anfangs Mai die Soldaten der Kavalerie! Sie waren etwa zwei Wochen bei uns einquartiert, danach mussten sie an die Nordfront, soviel verstand ich damals, mehr aber nicht. Am 17. Mai konnte die Panzerdivision von General De Gaulle, die Deutschen zurück drängen, das war damit der einzige Siegeszug der Franzosen in diesem Krieg! Bereits am 5. Juni begannen die Deutschen mit der Schlacht um Frankreich, und am 17. Juni kapitulierte Frankreich bereits. Ob unsere Kavalerie noch im Einsatz war, das vernahmen wir nie! Nun sind mir aber aus genau dieser Zeit diverse Vorfälle immer noch präsent, und es ist 10 11 geschichtlich erwiesen, dass sie alle vor dem 17. Juni 1940 stattfinden mussten! Somit kann man ausrechnen, dass ich damals, also zwischen März und Mitte Juni 1940, zwischen einem Jahr und 7 Monaten bis zu einem Jahr und 9 Monaten zählte. Zur gleichen Zeit kamen auch die elsässischen Flüchtlinge, und ich wurde dann von einem Frl. Rudolf und dem Herrn Hofer, jeweils auf den Feldern gehütet, während meine Eltern das Land beackerten. Ich war damals zwischen eineinhalb und zwei Jahre alt, trug Windeln und konnte noch kaum gegen, denn ich kroch nur immerzu auf dem Boden herum! Vater konnte mir bestätigen, dass die Soldaten damals mobilisiert wurden um dann gegen Deutschland eingesetzt zu werden, was Beweis genug ist, dass sich diese Episode vor dem Juni 1940 ereignete. Auch das Wanderkino war noch vor dem Krieg. Somit sind etwelche Zweifel an den Daten praktisch ausgeschlossen. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 2 Der Waggis Sommerliche Hitze, ich liege in Windeln verpackt auf einer weissen Grundlage, vermutlich ein Leinentuch? Auf meinem 11 12 Kopf ein weisses Stoffhütchen, welches mich vor der Sonne schützen sollte. Um mich herum etwa 3 Menschen, ein schlankes junges Mädchen, das sich Frl. Rudolf nennt, ca. 18 bis 20, es wechselt ab und zu meine Windeln. Dann ein alter Mann, der es sich zum Spass macht, mich auf den mit Windeln verstärkten Hinterteil zu klopfen. Dabei ruft er jedes Mal: „So du Waggis“. Dabei falle ich dann flach hin und alle finde das anscheinend lustig. Der Mann heisst Herr Hofer, läuft an einem Spazierstock. Das wiederholt sich täglich während Stunden. Erläuterungen: Die Elsässer, welche anfänglich bei uns hausten, zogen nach kurzer Zeit ins „Font Franc“ hinunter. Weil sie aber arbeitslos waren, kamen sie zu meinen Eltern um nach mir zu schauen, sie wurden dafür mit Naturalien entlöhnt. Der Zeitpunkt ist auch gut nachprüfbar, Sommer 1940. Die Zeit zwischen 1 ½ und 2. Altersjahr, weil ich danach keine Windeln mehr trug! Eine Familie stammte aus Mühlhausen (Mulhouse) die andere aus Strassburg. Nach einem guten Jahr wurden die Elsässer wieder ins Elsass zurück beordert. Jetzt zu Grossdeutschland gehörend. Während den kurzen Wintermonaten, gab es nur wenig Farmarbeit zu verrichten, und Mutter hatte dadurch wieder genug Zeit um nach mir zu schauen. Wir lebten unter der Vichy-Regierung von Marschall Petains Gnaden. Die südliche Hälfte von Frankreich blieb bis ins Jahr 1943 unbesetzt. Das heisst, ein etwa 50 Kilometer breiter Landstreifen dem Atlantik entlang bis ins Baskenland war auch von deutschen Truppen besetzt. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 12 13 Kapitel 3 Eine Kuh für die Besatzer Ich sitze flach auf dem Boden der „Charrette“, diese wird von zwei Arbeitskühen gezogen, hinten ist die Kuh angebunden, welche wir in Villamblard abliefern müssen. Es ist ein heisser Tag, wir fahren die Abkürzung durch einen Buschwald, der Waldweg ist oft kaum erkennbar. Vater sitzt vorne und treibt die Kühe an, in Villamblard angekommen, werden wir auf einen grossen Platz gewiesen. Dort sind bereits viele Kühe und Rinder in Warteposition, die Bauern schauen nicht glücklich drein, es ist ein Befehl der Deutschen, je nach Viebestand muss ein Teil abgegeben werden, mehr kriege ich nicht mit. Erläuterung: Ich vermute sehr, dass dies bereits im Jahr 1940, stattfand! Begründung: Ich wurde auf die „Charrette“ gesetzt und blieb so bis nach Villamblard sitzen, die Beine flach am Boden gestreckt, wie das eigentlich nur die ganz kleinen Kinder tun. Ich fragte einmal meinen Vater wann das war, aber er wusste nur noch von der Kuh, aber nicht mehr das Jahr, meinte aber, es wäre zu Beginn des Krieges gewesen. Wir besassen damals fünf Kühe, vier Arbeitskühe und eine Milchkuh. Eine Arbeitskuh mussten wir den Deutschen „schenken“, so verblieben nur noch deren vier. Während den 9 Jahren in Montagnac, arbeitete Vater hauptsächlich mit der „Rouge“ und der „Blanco“, mit diesen beiden entwickelten wir im Lauf der Jahre eine beinahe familiäre Freundschaft. Im ersten Jahr, 1938 bis 1939, war Vater Pächter in Gardonne bei Bergerac. An diese Zeit erinnere ich mich logischerweise nicht. Ich vermute 13 14 heute aber, dass dieser Akt im Sommer 1941 stattfand, Begründung: Deutsche Truppen griffen die Sowjetunion an und benötigten sehr viel Fleisch für die Verpflegung der Truppen an der Ostfront. Die Zeit von Herbst bis Frühjahr 1940 bis 41 ist hingegen nicht mehr präsent. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 4 Das „gebrannte“ Kind Wir bewohnten zwei Räume, die Wohnküche und ein kleines Zimmer, welches als Schlafraum diente. Nur das Schlafzimmer wies ein kleines Fenster auf, das war auf die seltsamen Steuergesetze aus der vornapoleonischen Königszeit zurück zu führen! Damals mussten die Leute eine besondere „Fenster und Türensteuer“ für die Häuser entrichten. Mit dem Kaminfeuer im Wohnraum, wurde im Winter geheizt, die Temperaturen konnten oft den Gefrierpunkt erreichen. Es war vermutlich der Winter 1940, aber so ganz sicher bin ich mir da nicht mehr, weil ich doch noch sehr klein sein musste. Wie sonst hätte ich mich mit gerade gestreckten Beinchen im kleinen Blechbecken aufhalten können? Mutter füllte das ovale Becken mit Wasser und stellte es direkt an das Kaminfeuer, damit das Wasser heiss wurde. 14 15 Sie setzte mich ins Becken, allerdings auf die kalte Seite, ich weiss nicht mehr was mich damals bewog, die Seite zu wechseln, aber vermutlich war die Hitze an den Beinen zu stark. In diesem Alter ist logisches Denken noch nicht die Regel, sonst hätte ich realisieren müssen, dass ein Seitenwechsel keine Lösung war! Aber es war schon zu spät, ich spürte einen Riesenschmerz am Popo, schrieb auf wie ein Schwein, wenn es geschlachtet wurde. Mutter rannte herbei und liftete mich aus dem Becken, der ganze Po war rot und die Haut fühlte sich an wie das Fleisch aus dem Suppentopf. Mutter rieb Mehl und Oel ein, das machte die Schmerzen etwas erträglicher, ich wollte nie mehr ins Becken am Kamin steigen. Erst nach Wochen erholte sich die Haut wieder und ich hatte meine erste Erfahrung mit der Hitzekraft hinter mir. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 5 Die Schmach des „Architekten“ Ich war fast immer „Selbstunterhalter“, oder spielte mit den Tieren. Nach dem 2. Altersjahr war ich „Stubenrein“, das heisst, ich benötigte keine Windeln und dergleichen Zeug mehr, war stolz, dass ich wie die Erwachsenen in die Toilette gehen konnte. Allerdings hatte ich mir eine eigene Toilette in den leeren Hühnergehegen zugelegt. Das Plumpsklo der Erwachsenen war mir zu stinkig, zudem sah man dort tausende von ekelhaften Maden in der Brühe. Die Eltern hatten nichts gegen meinen Alleingang einzuwenden, oder sie bemerkten es nicht einmal? 15 16 Ich baute täglich kleine Häuser aus irgend einem Gemisch aus Erde und Lehm, ohne irgend eine Vorlage, frei nach meinem gutdünken. Dabei verpasste ich den Bauten auch genügend Fenster, vermutlich aus Protest gegen die Bauweise von früher. Die Eltern waren begeistert, sie sahen in mir bereits einen Architekten aufkommen, ich schätze, ich war damals etwa 2 ½ bis 3 ½ jährig, nicht weniger und auch nicht mehr. Vater zimmerte mir einen Schubkarren, darauf lud ich jeweils das Baumaterial. Es war ein ruhiger Vormittag, Vater war auf den Feldern, Mutter in der Küche, und ich war emsig am Häusle bauen. Ich lud den Karren tüchtig mit Steinen und anderen Materialien, ohne mir Gedanken zu machen, ob ich das Ganze schieben konnte oder nicht. Nun ja, ich umfasste die beiden Griffe und stemmte die Karre hoch zum weiterschieben, aber oha, mit der Kraftanstrengung waren auch meine Hosen voll!!!!!!!!!!!!! Ich schämte mich wie noch nie zuvor, weinend rannte ich zu Mutter und gestand ihr den „Unfall“. Sie lachte nur und meinte, dass könne sogar viel grösseren Kindern geschehen. Und viele in meinem Alter würden sogar noch täglich in die Hosen machen! Das war keine Entschuldigung für mich, schliesslich kam ich ja von einem anderen Planeten und war nicht wie die andern Kinder. Und nun sah ich mich auf einer ähnlichen Stufe wie die dummen Hühner und die stinkenden Schweine, welche ihren Dreck überall liegen lassen. Eine ekelhafte Vorstellung, nur konnte ich das der Mutter nicht erklären. Der Vergleich mit den Hühnern war für mich natürlich ein Schock, ich begann ernsthaft daran zu zweifeln, ob ich wirklich anders war? $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 6 16 17 Der Halbbruder Da war anfänglich ein ewiger Streit zwischen Vater und dem Halbbruder Hans Theodor Bodenman, welcher den ledigen Namen meiner Mutter trug. Er war wohl nicht der Krösus meines Vaters, irgendwie schwebte das scheussliche Wort „unehelich“ über ihn, von einem andern gezeugt und mit in die Ehe gebracht! Hans, geboren am 4. November 1929, war 9 Jahre älter als ich, und solange wir uns kannten, mochten wir uns gut leiden. Nur mit seinem Stiefvater, da vertrug er sich nicht. Also verliess er uns und ging zur befreundeten Schweizer Familie Gyr. Ja, es kam sogar zu einem Austausch der Knaben mit Gyrs, aber auch der andere Knabe war dem Vater nicht genehm!Etwa ab dem 11./12. Altersjahr, lebte Hans bei fremden Leuten. Er besuchte uns aber oft und für mich war das stets ein wichtiges Erreignis. Die Jahre 1941 bis 42, brachten nur wenig Abwechslung, ich begleitete meine Mutter beim hüten der Kühe, wenn die Eltern die Felder bestellten, legten sie mich meistens unter einen Nussbaum auf eine Matte, das verursachte oft Kopfschmerzen, aber ich wusste nicht wovon die waren und sagte nichts. Weil ja Bruder Hans nicht bei uns weilte, wuchs ich sozusagen als Einzelkind auf. Etwa 1942, Hans war zu Besuch, aus irgend einem Grund sollte er nach „Lacudal“ gehen, ein kleines Dorf, hin und zurück etwa 8 bis10 Kilometer. Und ich wollte mitgehen! Einfach so! „Nein, kommt nicht in Frage“, sagten Vater, Hans und Mutter unisono! Das sei für mich zuviel und ich könnte diese Strecke niemals zurücklegen. Ich schätze, ich war etwa 3 ½ jährig, ich weiss heute noch nicht, was damals in mich gefahren war. 17 18 Ultimativ sagte ich: “Ich will mit, ihr könnt mich daran nicht hindern!“ Nun begann ein richtiger Kampf, ich wollte davonrennen, aber sie versperrten die Ausgänge des Hofes, was dann folgte begriff ich nie, ich rannte kopfvoran in die Holzschranken, in der Annahme, diese würden nachgeben, aber das nicht nur kurze Zeit, sondern beim Hinterausgang und auch am Haupttor. Ich hatte bereits einen blutigen Kopf, und wurde immer rasender! Sie dachten wohl, ich hätte den Verstand verloren, es blieb ihnen nichts anderes übrig als mich gewähren zu lassen. Mutter wischte Schweiss und Blut von meinem Gesicht und ich trottete zufrieden mit Hans davon. Wir liefen über Felder und Feldwege, vor „Lacudal“ sah ich endlich die Schienen der längst stillgelegten Eisenbahn. Was sonst noch war, das habe ich vergessen, es gab aber keine zusätzlichen Zwischenfälle und soweit mir bekannt, schaffte ich den Rückweg auch problemlos. Ich fragte mich später oftmals, was mich damals eigentlich zu diesem Amoklauf veranlasste? Und ich konnte auch nicht eruieren, weshalb ich gerade in diesem einen Fall derart agressiv war. Weil ich während dem Krieg keine Schuhe trug, die letzten Sandalen gingen etwa auf das Jahr 1942 zurück, hatte ich stets eine Menge Würmer in den Därmen, und diese verursachten die Agressivität. Ja, ich erinnere mich sogar, dass ich völlig grundlos plötzlich laut schrie! Wir konnten dann die Wurmplage mit Knoblauchkuren bekämpfen und meine Situation verbesserte sich zusehends. Es ist zu erwähnen, dass wir während dem Krieg nie einen Arzt benötigten, und danach nur einmal bei der Geburt von Bruder Ernst. Bis 1945 war ich nie krank, erst als ich mit andern Kindern in Kontakt kam, änderte sich das schnell. ************************************************* 18 19 7. Kapitel Der Krieg im Südwesten Bis ins Jahr 1943 blieben wir vom Kriegsgeschehen verschont, hin und wieder kreisten deutsche Flugzeuge über das Dorf hinweg, besonders die Messerschmidt-Maschinen imponierten mir mit ihrem Motorengeräusch, ich gab ihnen den Namen „Bremsen“. Die „Garde-Mobile“ war eine Art Militärpolizei der Franzosen, diese hatten dunkle Uniformen und Helme wie Suppenkocher. Sie fuhren mit SeitenwagenMororräder durchs Dorf, jeweils von Perigueux kommend nach Bergerac. Sämtliche Lebensmitteln waren rationiert, wir aber waren Selbstversorger, jedoch wurde etwas einseitig gegessen. Ich hatte nur noch ein Paar Sandalen, als diese dann ausgetragen waren, lief ich ohne Schuhe in der Landschaft umher. Das hatte zur Folge, dass ich bald einmal voller Parasiten war, mit Würmern in den Därmen, Geschwüren an Beinen und Füssen. Es gab keine medizinische Versorgung mehr, zudem waren meine Eltern nicht gewohnt, ohne triftigen Grund einen Arzt aufzusuchen, eine Eigenschaft, die auch mir bis heute blieb. Der Ungang mit meinen Eltern beschränkte sich auf das Wesentliche, sie hatten zu tun, andere Kinder gab es keine in meinem Alter. Das hatte zur Folge, dass ich schon bald die Tiere zu meinen Freunden hatte. Aber nicht etwa der Hund, oder die Kühe, nein, es waren die Ameisen, welche mir weitaus am meisten imponierten. Mit den Hühnern 19 20 konnte ich auch nichts anfangen, diese und auch die Schweine fand ich zu dumm! An der Hausmauer und auf den Feldern wimmelte es von Ameisen aller Farben und Grössen. Vom 2. bis zum 4. Altersjahr verbrachte ich unzählige Stunden mit ihnen. Anfänglich beobachtete ich sie nur mit der nötigen Vorsicht, ich versuchte, ihre Organisationssysteme zu verstehen, wie sie einen Riesenkäfer wegtransportierten, irgend eine Kotkugel verschoben, Laub und kleine Aeste in die Wohnungen schoben, tote Ameisen in den Friedhof brachten. Die kleinen roten Ameisen vor dem Haus waren meine Spezialfreunde, mit ihnen teilte ich jeden Sonntag meinen Kuchenanteil, den die Mutter buck. Genau war es so, dass ich ihnen praktisch den ganzen Kuchen überliess, und selber nichts nahm! Sie waren so glücklich und ich freute mich jedes Mal, wenn ich sah, wie sie die Kuchenbrosmen wegtransportieren. Nicht nur die Ameisen wurden bevorzugt, nie im Leben mochte ich Süssigkeiten, aber ich hatte als Kind ein monatliches Anrecht auf 50 Gramm Schokolade! Vielleicht ein oder zweimal nahm ich die Hälfte davon, dann stellte ich fest, dass meine Mutter grosse Lust auf Schokolade hatte, aber keine kaufen durfte, also überliess ich ihr jeden Monat meine Ration! Der Einfluss der Ameisen auf mich war gross, und ich hatte grossen Respekt vor ihnen, ich wurde fast übertrieben ordnungsliebend, bei Regen und Winterwetter, fragte ich die Mutter:“ Hast Du nichts zum aufräumen, ich muss Ordnung machen!“ Sie zog dann ein paar Schubladen aus und meinte, ich könnte ja das Ganze wieder schön ordentlich einräumen, was ich immer auch tat. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 20 21 Kapitel 8 Das stille Tal Zum Landgut gehörte auch ein grosses Tal mit vielen Naturhecken, einer Quelle und einem Sumpfgebiet. Aber markant war die Tatsache, dass man in diesem Tal keinerlei Zivilisation antraf, weder Menschen noch irgend welche Bauten etc., nur in der Talebene nutzte Vater zwei grosse Parzellen für den Anbau von Mais, Getreide, sowie anfänglich noch Tabakpflanzen. Der Rest blieb unangetastet, weil keine Leute da waren, welche all das hätten bearbeiten können, (Vater und Mutter waren allein) darum blieb die Natur beinahe unangetastet, mit allen erdenklichen Lebewesen bewohnt. Es herrschte eine Fauna und Flora, wie man sich das kaum noch vorstellen kann. Vom 3. bis zum 10. Altersjahr, wurde das stille Tal zu meiner „zweiten Heimat“, bis etwa 4 ½ , war meistens noch meine Mutter mit beim hüten der Kühe dabei, wenn sie guter Laune war, sang sie Volkslieder aus der Heimat, ich mochte besonders das Lied: „Vo Luzern gäge Wäggis zue“. Ich war somit die meiste Zeit allein mit den Rindviechern im Tal, aber nicht nur mit ihnen, die Natur bot mir eine unglaubliche Palette von Atraktionen! Hohe Gräser mit den vielfältigsten Blumen bespickt, die Büsche und Zäune blüten im Frühjahr meistens in einer bezaubernden, schneeweissen Blütenpracht, so als stünden sie alle unter einem Wettbewerb. Im spätsommer reiften zentnerweise Brombeeren, die niemand pflückte. Wilde Weinreben und mir bis heute unbekannte Pflaumen, reiften an den steinigen Hängen, ich schaute erst auf die Tiere, wenn diese die Früchte 21 22 verspeisten, dann versuchte ich es für mich in vorsichtigen Abständen, weil Vater der Meinung war, diese könnten giftig sein. Sie waren es nicht, aber sehr schmackhaft, so, dass ich sogar die Eltern überzeugen konnte. Aber das war erst der Anfang, die Fauna war noch viel überwältigender, vermutlich Hunderttausende von Käfern, Libellen, Heuschrecken, Schmetterlingen aller erdenklichen Farben und Grössen, Raupen, Ameisen, Würmer, Zirpen, und viele andere Kriechtiere belebten die Flora und den Boden. Und jeden Abend bei Einbruch der Dunkelheit boten diese ein Sinfoniekonzert ganz besonderer Art. An den Feldwegen entlang leuchteten beidseitig die Glühkäfer wie Strassenlaternen, oft mischten sich auch noch die Vögel ins Orchester. Ich hatte immer den Eindruck, dass jede Spezie sich besonders anstrenge um beim Konzert gut abzuschneiden. In dieser friedlichen und heilen Welt gab es aber einen bösen Feind! Die Schlangen! Von ihnen waren viel zu viele vorhanden, dazu war ein Teil von ihnen hochgiftig. Mit meinen kurzen Hosen und ohne Schuhe, war ich ihnen besonders exponiert. Und es gab während dem Krieg keinerlei medizinische Hilfe, wenn man von einem solchen Reptil gebissen wurde. Beinahe jeden Monat, starb irgendwo in der Gegend ein Mensch an Schlangenbissen, auch Erwachsene. Ich hörte schon sehr früh von einer Methode, wie man das Gift selber aus der Bisswunde entfernen und so überleben konnte. Mann musste mit einem spitzen Gegenstand, Messer etc, sofort in die Wunde stechen, so, dass das Blut hinauspritzen konnte, zudem rund um die Wunde fest pressen. Doch ich musste nie soweit gehen, trat nie auf eine 22 23 Schlange, das war gefährlich, und diese wichen den Menschen nach Möglichkeit aus. Von der Farm ins Tal hinunter, waren es etwa 800 Meter, beiseitig des Feldweges waren rund 1 bis 1 ½ Meter hohe Steinmauern, ich nannte den Weg später die „hohle Gasse“. Wenn wir an Nachmittagen ins Tal gingen, lagen oft bis 20 grosse Schlangen auf diesen Mauern und genossen die pralle Sonne. Oft verschwanden sie im Gebüsch, wenn wir uns ihnen näherten. Mutter gestand mir später einmal, dass sie zwei Horrorvorstellungen hatte, eine betraf den Sodbrunnen, dieser war etwa 8 Meter tief, jedes Kind das reinfiel, ertrank! Die andere Schreckensvorstellung betraf die Schlangen, als sie mich noch als Säugling, jeweils unter die Nussbäume legte, bestand die Gefahr, dass sich Schlangen in den Mund des Säuglings schlichen und diesen dann erstickten! Als ich dies vernahm, schauderte es mich schon etwas, aber man muss auch etwas Glück haben! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 9 Die Resistance Im Frühjahr 1943, begann sich in unserer Region der Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht zu formieren. Die französischen Partisanen nannten sich auch „Maquisards“ oder „Maquis“, so wird auch ein Buschwald in Südfrankreich genannt. Der legendäre General De Gaulle, wirkte ab 1940 von England aus, er baute dort eine neue reguläre Armee auf, unterstützte aber –zusammen mit England und den USA – auch aktiv die 23 24 Resistance in Frankreich. Der Anführer der Maquis im Dorf, war ausgerechnet unser Nachbar, der Baumeister Blondy, das war vermutlich ein Vorteil. Vater war eher Sympathisant des Adolf Hitler, er trug die Haare ähnlich und hatte auch einen verräterischen Schnurrbart. Zudem hatte er oft Besuch eines Dr. Kübler aus dem Elsass, wenn dieser Mann aufkreuzte, verschwand ich immer bis er wieder ging, oft einen halben Tag lang. Ich empfand vor ihm instinktiv Angst. Er praktizierte nicht als Arzt, aber mir war er nicht geheuer. Die Antwort darauf erhielt ich 1945. Die Resistance soll angeblich geplant haben, meine Eltern als deutsche Spione zu liquidieren, (1996 erfuhr ich vom inzwischen 83jährigen M. Blondy, dass er sich gegen seine Mitchefs habe wehren und durchsetzen müssen, damit Vater und Mutter nicht erschossen wurden!) Es blieb aber bereits damals kein Geheimnis, ein Chef aus einer anderen Region, hielt Vater auf der Strasse auf, und erklärte ihm offen und direkt:“Wir wollten euch erschiessen, aber dein Nachbar will das nicht, darum geben wir euch eine Chance, ab sofort dürft ihr Haus und Farmland nicht mehr verlassen, sonst ist es aus!“ Das war klar und deutlich! Vater dachte, dass kann doch nicht sein, an einem Spätnachmittag sagte er mir: „ich gehe Grass mähen“. Ich spielte im Hof und sagte etwas wie:“Ja,ja“. Er war kaum zwei Minuten weg, als ich eine Serie aus einem Maschinengewehr vernahm, es mochten etwa 12 bis 18 Schuss sein. Ich spielte weiter, dachte lediglich, die Schüsse 24 25 wären sehr nah gewesen. Da rannte Vater daher, die Sense auf der Schulter, völlig atemlos! Ich lachte und fragte: „haben die auf dich geschossen?“ Er meinte aufgeregt:“Ja, ja, stell dir vor, alle Schüsse nur wenige Zentimeter vor meinen Füssen, dann die Mahnung:“das ist die letzte Warnung“, dabei musste ich doch den Gemeindeweg nehmen, um auf die Wiese zu gelangen!“ Es wurde „Kriegsrat“ gehalten, was tun? Mutter oder Vater pflegten einmal die Woche mit dem Fahrrad nach Villamblard zu fahren, um dort Brot, Hefe, und andere Produkte einzukaufen. Damit war nun schluss. Ich weiss nicht mehr ob der Vorschlag von mir kam, auf jeden Fall war bald klar, dass nur ich nach Villamblard fahren konnte, weil ich nicht auf der Abschussliste stand. Ich war etwas über 4 ½ jährig, dabei gab es aber ein Problem, meine Beine waren zu kurz um mit dem Damenvelo zu radeln! Ich fand eine eigene Lösung dafür, wenn ich nicht ganz rund drehen konnte, dann halt hälftig! Und es ging gut, immer halb vor und halb zurück. Sieben Kilometer hin und sieben zurück, wie ich jeweils die Sachen eingekauft habe, ist mir seltsamerweise nicht mehr bekannt, ich denke aber, die Eltern gaben mir einen Zettel und das Geld mit? Immerhin musste ich diese Fahrten bis zum Frühjahr 1945 durchführen, und es gab nie etwelche Schwierigkeiten, auch nicht unterwegs. Nach dem Krieg wurde die Strasse asphaltiert. Und gegen Ende 1944 oder Anfang 45, wars endlich soweit, dass ich eines Tages rund treten konnte. 25 26 Damit legte ich die Strecke viel schneller zurück. Bruder Hans kam oft zu uns übers Wochenende, stolz zeigte er mir eine Pistole und verriet mir, dass er Mitglied einer lokalen Gruppe der Resistance sei. Ich wäre am liebsten gleich mitgegangen, aber er meinte, mit meinen 5 Jahren würde man mich auslachen, er war damals 14. Ich erkannte damals die Zusammenhänge nicht, mir war jedoch bereits bewusst, dass Hans und ich eine andere politische Linie verfolgten, als zum Beispiel der Vater! Die Maquis besuchten auch uns fast wöchentlich, sie verlangten Naturalien, Hühner, Eier, Kartoffeln, Wein, Mais, Früchte und Gemüse, etc., natürlich ohne Zahlung. Ich hatte mich bereits an diese wilden Gesellen gewöhnt, sie trugen Zivilkleidung, oft auch Bärte und waren schwer bewaffnet. Nachtrag: Wenn ich heute viereinhaljährige Kinder sehe, dann muss ich mich selber fragen, ob das damals wirklich so war?Ich habe dabei einen festen Anhaltspunkt, und das ist, wie schon zuvor, der geschichtliche Ablauf von damals. Im Juni 44, als es sehr brenzlich wurde, konnte ich bereits auf ein gutes Jahr Velofahrt zurückblicken! Es dauerte etwa 1 bis 2 Jahre, bis ich endlich rundum trampeln konnte, und das war so gegen Ende 1944, kurz vor dem Kriegsende. Und als ich damit begann, war Frühsommer, aber nicht 44 sondern eben 43! Somit war ich etwas über viereinhalbjährig, daran lässt sich nichts ändern! An sich war die Fahrt nicht gefährlich, denn es gab kaum Strassenverkehr, nur Fuhrwerke mit Kühen. Aber Schlangen auf der Strasse waren schon eher eine Gefahr! 10. Kapitel 26 27 Das Schloss Das von uns gepachtete Landgut gehörte einem Monsieur Chassot, dieser lebte in Saint Astier bei Mussidan, war Oberst im Ruhestand, ein baumlanger Mann mit Humor, wenn er sprach, überschlug sich seine Stotterstimme. Seine uralte Mutter lebte neben uns in der Villa oder dem Schloss, sie mochte weit über 80 sein, hatte eine alte Zofe die Mademoiselle Denise hiess. Im Dorf lebten viele alte Frauen, die meisten waren Witwen aus dem Ersten Weltkrieg. Madame Angeli, Madame Cecille, Camille etc., im Dorf stand ein Denkmal, darauf alle Namen der in diesem brutalen Krieg gefallenen Soldaten aus der Gegend. Und es waren mehr Namen, als männliche Einwohner im Dorf! Diese alten Frauen mochte ich gut, sie hatten Humor, ich sprach oft mit ihnen und von ihnen konnte ich den alten Dialekt erlernen, eine katalanische Sprache, die früher im Südwesten gesprochen wurde. Die jüngere Generation sprach nur noch Französisch. Das Schloss war sehr gross und hatte unzählige Zimmer, ich durfte die Zimmer und Räume betreten, es war mir sogar erlaubt, auf den Pianos herum zu hämmern, es gab verschiedene sehr grosse Zimmer, welche alle mit riesengrossen Gemälden bestückt waren. Es herrschte ein modriger Geruch, eigentlich fehlten nur noch die Geister. Ich hielt mich oft stundenlang im Schloss auf, stöberte dabei allerlei Dinge auf, die ich vielleicht besser gar nicht sehen sollte. Da waren ganze Bibliotheken mit Büchern aus dem Mittelalter, ich schaute mir nur die Bilder und Zeichnungen an, da ich noch nicht lesen konnte. Dabei stiess ich auf richtige Monsterwerke, vermutlich aus der Medizin von damals, ich schaute gespannt auf die Zeichnungen, begriff aber kaum etwas, verständlich, den ich fand z.B. nie heraus, was diese vielen Zeichnungen aussagen wollten, auf welchen Menschen mit 27 28 grossen, meterlangen Schläuchen von After zu After verbunden waren? Chirurgische Eingriffe, die an Brutalität nichts zu wünschen übrig liessen. Aber nicht nur Bücher waren in Mengen vorhanden, in einem Abstellraum fand ich grosse Kisten mit Gold- und Silbermünzen aus der vornapoleonischen Zeit! Angesichts der Menge, füllte ich meine Hosentaschen damit und wollte sie für mich aufbewahren. Auch Polospielgeräte, Murmeln und andere Dinger sicherte ich mir. Ich erninnere mich nicht mehr, ob mit oder ohne die Zustimmung der Zofe. Die Münzen jedoch, die nahm ich einfach mit, getraute mich aber nicht, sie dem Vater auszuhändigen, darum schmiss ich sie einfach weg und zwar auf einen Feldweg. Als dann Vater und ich zufällig dort vorbei gingen, war ich der glückliche Finder der Münzen! Gefunden habe ich etwa die Hälfte meiner Sammlung, Vater behielt diese für sich, erzählte aber stolz den Leuten, dass ich diese gefunden hätte! Die andere Hälfte hatten vermutlich die Elstern und andere Vögel geholt? Seltsamerweise habe ich ihm das wahre Geheimnis nie verraten, er sollte an das Wunder glauben! Zusammen mit dem stillen, magischen Tal, bildete die antike Schlossanlage das andere mysteriöse Gebilde in meiner Kindheit. 11. Kapitel Die Schrecksekunde Bis Frühjahr 1943, waren meine nützlichen Arbeitsbeiträge noc eher recht 28 29 bescheiden, immerhin war ich bereits als Kurrier nach Villamblard aktiv und stolz auf diesen exklusiven Dienst. Ohne, dass die Eltern dies von mir verlangten, versuchte ich mich im Kuhstall und auf den Feldern nützlich zu machen. Etwa beim morgentlichen Ausmisten, oder beim zusammenrechen des Getreides und der Heuernte, aber auch die lästigen Bremsen an den Arbeitskühen musste jemand entfernen. Vermehrt musste ich im stillen Tal die Kühe alleine hüten. Das Farmland war nicht an einem Stück, sondern in verschiedene Zonen aufgeteilt. Die Simonette, eine riesige Wiese, war rund 2 Kilometer entfernt, beidseitig von kleinen Flüssen umringt, einer hiess „Crempse“. Die Wiesen waren mit vielen Laubhecken unterteilt, in diesen Gestrüppen wimmelte es von Schlangen und anderen Kleintieren. Und nur auf dieser Wiese geschah es, dass mir eine mehr als 2 Meter lange Schlange plötzlich über meine nackten Füsse kroch, ich blieb unbeweglich stehen, sie zog weiter! Aber nicht das war die Schrecksekunde, sondern etwas ganz anderes. Wenn ich keine Lust verspürte, mit den Eltern aufs Feld zu gehen, blieb ich einfach alleine zu Hause. Es war mit grösster Sicherheit im Herbst 1943, Vater war vermutlich in den Weinreben, Mutter ging hinter den Friedhof, dort hatten wir eine grosse Gemüsepflanzung. Ich blieb zu Hause und spielte einmal mehr mit meinen Freunden, den rotbraunen Ameisen. Es war sehr ruhig im Dorf, kein Lärm, keine Motoren, nichts. Plötzlich, hinter mir ein Geräusch, ich schaue mich um, es trifft mich wie der Blitz, zwei bärtige, wilde Gestalten kommen auf mich zu, sie sind etwa 20 Meter entfernt, tragen Waffen auf sich, ich erkenne Maschinenpistolen. Sie rufen mir etwas zu, aber ich schrack derart zusammen, dass ich 29 30 wie ein Berserker durch den Hof davonlaufe, hinten den Feldweg hinauf und von dort wie von Tausend Teufeln verfolgt bis zur Mutter hetzte! Eine Strecke von etwa einem Kilometer. Dort angekommen, bin ich unfähig, ein einizes Wort auszusprechen, ich liege am Boden und keuche. Als ich endlich wieder normal reden kann, erkläre ich der Mutter den Vorfall, sie lacht und meint etwas sarkastisch, dass das doch nur Rebellen sind, und die doch immer wieder kommen, um Lebensmittel zu holen. Ich schämte mich etwas, wunderte mich aber selber auch, weshalb ich diese Panikreaktion verzeichnete? Später verglich ich das mit dem Erschrecken der Pferde. Wenn ich tüchtig mithalf, belohnte Vater dies am Sonntag mit etwas Geldscheinen, das wurde dann zugleich mein Taschengeld. *********************** 12. Kapitel 1944 War eines der bewegtesten Jahre für mich, voller Erreignisse und Turbulenzen. Ab diesem Jahr verzeichnete ich keine Gedächtnislücken mehr, genauer, was mich beeindruckte, das blieb im Gedächtnis haften, das Unwichtige vergass ich. Zudem war es das allerletzte Jahr in gänzlicher Freiheit, das heisst, noch ohne die Schule. Im Prinzip war ich nach französischen Schulgesetzen bereits schulpflichtig, aber niemand kümmerte sich darum. 30 31 Manche Kinder wurden bereits mit 4 Jahren eingeschult, doch meine Eltern hielten wohl wenig von Anpassung, sie vertraten die Ansicht, dass ich in der Schweiz im Frühjahr 1945, in die erste Primaklasse eintreten müsste. Ich hätte jedoch schon gehen können, wenn ich das gewollt hätte, ich fand jedoch, ich benötigte die Schule nicht. Nicht etwa, weil nicht nicht lernen wollte, nein, der Grund lag ganz woanders, ich suchte keinen Kontakt mit anderen Kindern. Ich hatte doch meine vielen Freunde, die Ameisen, und die vielen andern Lebewesen, die sich auf dem Farmland herumtrieben. Mit Ausnahme der Kühe, hatte ich mit diesen nie Streit, nein, es herrschte totaler Friede zwischen ihnen und mir. Wobei ich einen nahezu göttlichen Status einnahm, ich konnte ihnen das Leben erschweren, sie töten und stören, wenn ich das gewollt hätte, aber das tat ich natürlich nicht. Und wenn ich einmal irrtümlich so ein Kriechtier zertrat, dann war meine Anteilnahme und Trauer echt. Und wenn die Ameisen sich bei einer Riesenlast mit dem Transport abquälten, dann konnten sie auf meine Hilfe zählen. Sogar mit den bösen Schlangen, gab es so etwas wie einen Waffenstillstand, ob sie sich absichtlich oder zufällig daran hielten, das bleibe dahingestellt. Nur für die dummen Hühner hatte ich kein grosses Verständnis. Beim Eierlegen, stiess ich ihnen manchmal das Ei wieder zurück, sie reklamierten dabei nicht einmal und legten einfach nochmals. Dabei wunderte mich, dass solch kleine Wesen derart grosse Eier produzieren konnten. Den Hühnern verpasste ich auch Namen, jeweils nach den Tönen, die sie von sich gaben. Auch sonst waren diese keine Vorbilder für mich, während die Ameisen ihre Behausungen sehr gepflegt und sauber hielten, liessen die Hühner ihren Dreck auf dem ganzen Hof herumliegen. Ich hatte deshalb auch keine grossen Hemmungen, ihr Fleisch zu essen. 31 32 13.Kapitel Die armen Schweine Mit den Schweinen hatte ich wenig Kontakt, diese wurden praktisch nur von Mutter gefüttert. Sie waren meiner Ansicht nach eher dumm, beinahe wie die Hühner, darum durfte man sie schlachten und essen. (Bitte beachten, bei diesen Ansichten handelt es sich um das Verständnis eine Kindes im Alter von fünf Jahren). Einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, war Schlachttag, ein richtiger Metzger kam und stiess dem Schwein ein langes Messer in den Hals. Dabei hatte ich da eine seltsame Aufgabe erhalten, etwa ab dem 4. Altersjahr, musste ich mit einem Blechbehälter das Blut auffangen. Das dumme Schwein schrie wie am Spiess, zwei Männer, welche für diesen Tag mithalfen, hielten das Biest fest. Wenn die Schüssel nahezu voll war, war auch das Schwein hin, röchelte noch leicht und blieb dann für immer ruhig. Das Blut wurde für die Herstellung von Blutwürsten und die beliebten „Boudins“ verwendet, auch hier waren etwa drei Frauen zur Hilfeleistung gekommen. Diese kannten auch das Rezept für die „Sembura“, eine Suppe aus Schweinefleisch und Gemüsen, dazu noch viele Gewürze beigemischt. Eine der vielen Spezialitäten aus der Dordogne oder dem Perigord, wie die Franzosen es nennen. Von hier kennt man eine der besten Küchen weltweit, mit Einflüssen aus der baskischen und katalanischen Kochwelt. Die Boudingwurst wurde mit Blut und Speck gemacht, dazu die Gewürze und Zutaten, welche nur die Einheimischen 32 33 kannten. Eine weitere Spezialität ist das „Chabrol“, man lässt von der Suppe noch etwas im Teller, danach giesst man Rotwein dazu, auch das mundet ausgezeichnet. Die Helfer wurden meistens mit Naturalien entlöhnt und nach getaner Arbeit wurde stundenlang gespiesen und geplaudert! Man kannte damals keine Hast, selbst in der Hochsaison der Sommertage, leisteten sich die Bauern eine zwei bis dreistündige Mittagsmahlzeit, mit hervorragenden Salaten, vermutlich die besten der Welt! Die Esskultur bildete den absoluten Mittelpunkt, dazu die ausgezeichneten Weine aus der Gegend. Weil man viel davon konsumierte, wurde der Wein in der Regel um 50% mit Wasser verdünnt. Das nennt man „Piquet“ oder ähnlich. Später erfuhr ich, dass diese Art von Schweineschlachten „schächten“ genannt wird, damit soll das Fleisch besonders zart bleiben?! Jedoch gilt sowas als Tierquälerei, was ich damals nicht wissen konnte. Für mich war das eine gottgegebene Sache, wer als Schwein lebte, musste eben diesen Tod erleiden. Ich erinnere mich nicht, ob ich für das Schwein etwelche Gefühle empfand. Ich denke aber, dass ich mir da eine „Maske“ überstreifte, damit mir das Ganze nicht zu sehr zu schaffen machte. Solche Sitten und Bräuche werden den Kindern weltweit als Selbstverständlichkeit eingegeben, sie kommen deshalb nie auf die Idee, daran etwelche Fragen oder Zweifel zu knüpfen. Ich musste auch Schweinefleisch essen, als dann aber eines Tages der Vater einen Riesenschinken vom Lager holte, diesen auspackte, war der doch von hunderten von weissen Maden bedeckt. Das war derart eckelhaft, dass ich mich später nur noch mit grosser Überwindung an dieses Fleisch heranmachte. ************************************************** 14.Kapitel 33 34 Wir produzieren Wein Auch die besten Weine weltweit kommen aus der Dordogne, im Ausland wird aber alles unter „Bordeaux“ Weine gehandelt. Verständlich, dass wir in diesem Weinparadies auch unseren eigenen Wein erzeugten. Zum Gut gehörten zwei Rebenparzellen, weit oben an einem Hang zwischen zwei Wäldern versteckt. Die linke Parzelle wurde von uns bebaut und gepflegt, für die rechte Seite fehlte uns die Zeit, deshalb blieb diese verwildert, hatte aber auch gute und süsse Trauben, die nur den Vögeln dienten. Zudem lauerte dort fast hinter jedem Rebstock eine Giftschlange! Vater überliess mir einige Rebstöcke am Rande des Gutes, zudem eignete ich mir noch diverse Trauben am Waldrand an. Mir war nie klar, ob der Wald noch zu unserem Gut gehörte. Diese waren wild, meistens weisse mit einem ausgezeichneten Aroma. Die Weinlese, „Vendange“ war eine spezielle Zeit im Herbst, dabei war mir stets eine Spezialaufgabe zugeteilt, ,ich musste barfuss in das Fass steigen, das auf der Charette aufgebaut war, und dann die Trauben mit den nackten Füssen stampfen! Oft kam auch Hans zur Aushilfe, oder Leute aus der Nachbarschaft. Obwohl wir auch weisse Trauben ernteten, hatten wir immer nur Rotwein im Keller, die rote Farbe dominierte! Nach der Gärzeit wurde der Wein in die Fässer abgefüllt, danach Wasser ins grosse Weinfass nachgegossen, und es entwickelte sich eine zweite Gärperiode, welche dann einen besonders guten „Piquet“ versprach. Milch war nie mein bevorzugtes Getränk, ich war bereits sehr früh an diesen „Piquet“ gewöhnt, der sehr wenig Alkohol aufwies, aber ich entwickelte noch eine andere Methode, um auch echten Wein zu kosten. Ich wurde jeweils beautragt, eine Flasche Wein ab Fass abzufüllen, das tat ich 34 35 gerne und oft, wenn die Flasche voll war, dann lag ich einfach unters Fass und drehte den Hahn auf, natürlich blieb es bei wenigen Schlucken, sonst wäre ich ja betrunken gewesen, aber so merkten die Eltern nie etwas von meinem Hobby. Hiess es doch, Alkohol töte die Gehirnzellen, als ich dann später vernahm, dass der Mensch nur einen Bruchteil seines Gehirns aktiviert, war mir auch klar geworden, weshalb ich noch gesunde Hirnzellen hatte. Wir produzierten mehr Wein, als wir für uns benötigten, deshalb zahlten wir oft mit Wein statt Geld, oder wir mussten einen Teil der Resistance (Rebellen) abliefern, natürlich gegen Gottes Lohn. Dafür befreiten diese uns ja von den Deutschen. 15.Kapitel Die fetten Gänse In der Dordogne waren die Wintermonate sehr mild, in all den Jahren, erinnere ich mich nur an zwei Winter, bei denen wir am frühen Morgen einen leichten Flaum an Schnee vorfanden, oder gefrorenes Wasser in der Kühetränke. Gegen Mittag schmolz aber Schnee und Eis jeweils dahin. Es genügte vollkommen, die kleine Wohnung von der Wohnküche her mit dem Kaminfeuer zu heizen. Hingegen erlebten wir jeden Winter starke Atlantikstürme vom Meer kommend, kleine Schäden an Häusern und Obstbäumen waren unvermeidlich. 35 36 Aber generell fühlte ich mich in diesem Klima sehr wohl. Im Sonner konnte das Thermometer bis auf 40 Grad ansteigen, die zahlreichen Gewitter sorgten dann für Abkühlung, mit Ausnahme des Jahres 1947, damals blieben wir länger als 3 Monate ohne einen Regentropfen. Die Gewitter waren sehr intensiv, ich erinnere mich an einen Gewittersturm beim hüten der Kühe hinter dem Friedhof. Die Wolken reichten bis zum Boden, die Blitze schlugen rund um mich ein, es roch nach Pulverdampf und Schwefel, und ich fühlte mich grossartig, die Luft war mit einer unglaublichen Energie geladen. Aber es traf keine der Kühe und mich auch nicht, ich konnte aber den Luftdruck fühlen, derart nahe schlugen die Blitze ein! Und nach einem solchen Gewitter konnten wir auf den Wiesen riesengrosse Schneepilze (Schneekugeln) ernten. Es gab soviele, man hätte das ganze Dorf versorgen können. Der Perigord ist bekannt für seine hervorragenden „foies gras“, Gänseleber. Leider ist deren Herstellung mit Tierquälerei verbunden, etwas, das ich als Kind nicht realisierte. Im Herbst begannen die alten Frauen mit dem „Gänsewürgen“, den armen Geschöpfen wurde eine lange Sonde in den Hals gestossen, eine Art von Trichter mit Mahlwerk im Handantrieb. Die Körner wurden in den Trichter geleert, dann drehten die Frauen das Rad durch und die Nahrung drang den Gänsen zerkleinert in den Magen. Diese wehrten sich stets gegen diese Tortur, aber sie waren zu schwach und mussten nachgeben, ihre langen Hälse waren stets zwischen den Oberschenkeln der Frauen eingeklemmt. Jeden Abend wiederholten sie diese Zwangsfresserei, bis dann kurz vor Weihnachten, die Gänse ihr Soll erreicht hatten, die Leber übermässig gross war, sie geschlachtet wurden und damit den lieben Menschen eine Weihnachtsfreude bescherten. Auch dieser brutale Akt war für mich eine gottgegebene 36 37 Sache, an der es nichts zu rütteln gab. Ich dachte, das sind wohl auch dumme Tiere und darum verdienen sie diese Behandlung! Noch eine Bemerkung zu den alten Frauen, diese sprachen noch einen alten französischen Dialekt, der sehr dem Katalanischen ähnlich war. Als ich noch nicht die Schule besuchte, kannte ich verschiedene Worte und war sehr stolz, dass ich mit den alten Weibern in dieser Sprache reden konnte. Es sei noch zu vermerken, dass es im Dorf kaum alte Männer gab, fast alle starben im Ersten Weltkrieg! 16.Kapitel Eine „Kalberei“ Wenn eine Kuh ein Kalb warf, war ich meistens als neutraler Zuschauer dabei. Ich war damals der festen Überzeugung, dass nur Tiere so auf die Welt kommen, Menschen jedoch, besonders ich, wäre mit einem Raumschiff angekommen, sicher nicht auf diesem primitiven Weg, wie zum Beispiel ein Kalb! Dieser Vorgang war immer gleich, erst platzte eine Blase, dann erschienen Haut und Knochen des Kalbes und nach 37 38 einem grossen Kraftakt, bei dem Vater seine ganze Körperstärke einsetzen musste, war dann das Kalb da. Wie alle anderen Vorkommnisse, gehörte auch das „Kalben“zum Alltag. Es war im Frühsommer, vom Alter her, könnte es sich im Jahr 1943 abgespielt haben, die Eltern arbeiteten auf dem nahen Acker mitten im Dorf. Es waren nur etwa 300 Meter, bis zum Kuhstall. Eine Kuh war kurz vor dem „Kalben“, darum musste ich, etwa jede Viertelstunde nachsehen, ob der Geburtsvorgang eingesetzt habe, damit Vater der Kuh Hilfe leisten konnte. Ich rannte viele Male hin und her, schaute dabei immer nur auf den Geschlechtsteil der Kuh, dorthin, wo ja das Kalb rauskommen musste. Da war aber nichts zu sehen, also nichts wie zurück und Fehlalarm melden. Vater wurde nach einiger Zeit misstrauisch: „Hast Du wirklich gut geschaut?“ fragte er mehrmals. Ich konnte ihm versichern, dass dort, wo das Kalb kommen musste, rein nichts war! Nach rund 2 Stunden ging er selber nachsehen, ich ging mit und war „siegessicher“, dass ich recht hatte. Aber was für eine Schlappe, Vater lachte und zeigte in die hinterste Ecke des Stalls:“Siehst Du dort hinten das Kälblein, das ist von dieser Kuh hier, Du musst noch viel dazulernen!“ Ich schämte mich und wäre am liebstem vom Erdboden verschwunden, so eine Blamage hatte ich noch nie eingefangen. Ich konnte mir das Ganze nicht erklären, vermutlich warf die Kuh bereits vor meinem ersten Besuch und das Kalb war bereits weggelaufen? Oder der Vorgang ging derart schnell vor sich, dass es sich zwischen zwei Kontrollen abspielte, ich unterliess es aber, in die dunkle Ecke zu schauen, fixierte meinen Blick nur auf den Kuhhintern. Bald einmal wusste das ganze Dorf von meiner Geschichte, die sich wie ein Witz herumsprach! 38 39 *************************************************** 17. Kapitel Der Dreschtag Dieser Tag wurde jedes Jahr wiederholt, die Landwirte der weiteren Umgebung mieteten sich von einer Zentrale eine Dreschereimachine welche von einem Dampf-Lokomobil angetrieben wurde. Der Inhaber dieser Monsterfahrzeuge hiess Martin Beau, er war zugleich Heizer und Leiter, zuständig für die Einhaltung der Dreschpläne. Jeder Landwirt wusste im voraus, wann sein Dreschtag war. Für mich war das immer ein Höhepunkt, das begann schon am Vorabend, wenn die Maschine und das Lokomobil vom Fontfranc unten ins Dorf gekarrt wurden. Die Naturstrasse war sehr steil, es bedurfte etwa 6 bis 8 Ochsen oder Kuhgespanne, um die Riesendinger endlich hochzukriegen. Dieser „Krampf“ nahm oft bis 2 Stunden in Anspruch, die Tiere wurden bis zum Letzten gefordert. Sie mochten etwa 2 Meter ziehen, dann wurden Bremsklötze untergeschoben, wenn die Tiere sich erholt hatten, kam der nächste Schub! Am nächsten Morgen kam der Martin Beau immer als Erster um aufzuheizen, dann, etwa um 9 Uhr waren die meisten Helfer eingetroffen, auch Bruder Hans musste jeweils kommen. Vom Lokomobil bis zur Maschine waren es rund 12 bis 20 Meter Distanz. Ein langer Treibriemen wurde vom grossen Rad des Lokomobils auf das kleine Rad der Dreschmaschine gespannt. Dann wurde den ganzen Tag gedroschen und Wein gesoffen, mehrere Frauen kamen zur Mithilfe in Mutters Küche. Ein Fass Wein genügte nicht für diesen Tag. Am Abend verzogen sich die Helfer nach Hause, 39 40 meistens zu Fuss, die andern mit dem Fahrrad. Ab dem 5. Altersjahr wurde ich als vollwertiger Mithelfer eingestuft, darauf war ich sehr stolz, sei es, dass ich die Garben dem Drescher reichen musste, oder aber diese mit der Gabel hinschmiss, und das den langen Tag lang. Dafür durfte ich dann mit den Erwachsenen am langen Tisch speisen und Wein trinken wie die Grossen. Vater musste natürlich allen anderen Landwirten ebenso Hilfe leisten, das hatte zur Folge, dass er jedes Mal stock besoffen nach Hause kam. Dann begann er jeweils eine Porzellanschlacht gegen die Mutter. Diese schmiss zurück und ich rief laut „Treffer“, wenn sie traf. Am andern Morgen war die Wohnküche weiss mit Scherben bedeckt. Da ich keine andere Ablenkungsmöglichkeiten kannte, bildeten diese Schlachten für mich eine spannende Abwechslung. Diese Anlässe waren eigentlich die einzigen Momente, bei denen ich den Vater betrunken sah. 18. Kapitel Blanca Vom 4. bis zum 10. Altersjahr, war das Kühehüten eine meiner Hauptaufgaben. Mit wenigen Ausnahmen, fand dies im stillen Tal statt. Meistens waren es 5 bis 6 Kühe, alle führten einen Namen, aber die beiden Hauptarbeitskühe waren die Rouge und die Blanca, richtige Persönlichkeiten. Die Namen der anderen habe ich vergessen, sie waren auch weniger interessant. Die Rouge war die duldsame,ruhige, die 40 41 Blanca die freche, muntere Kuh. Ich hatte grosse Probleme mit ihnen, eine Ausnahme machte nur die Blanca. Weit oben im Tal hatte Vater ein Maisfeld, ebenso ganz unten, nahe der Quelle, und ich hatte den Auftrag, dass keine Kuh ins Maisfeld gehen durfte, das hätte mir eine Einbusse beim Zahltag eingebracht, weil die Kühe es liebten, sich im grünen Feld breit zu machen und die Stauden nieder zu trampeln. Sämtliche Kühe hielten sich an meine Weisungen, sie blieben den Maisfeldern fern. Mit einer Ausnahme, die freche Blanca, sie machte es sich zum Spass, mich zum Narren zu halten. Sie konnte schneller rennen als ich, also ging sie erst zum unteren Maisfeld, frass einige Blätter und wartete mit frechem Blick auf mich, sobald ich etwa drei Meter nah war, warf sie ihren Schwanz in die Luft und machte einen grossen Satz davonlaufend, dabei schaute sie mich derart verächtlich an, dass ich fast heulen musste, sie rannte schnurstrackts durchs ganze Tal, wohl wissend, dass ich ihr nicht folgen konnte, dann, kaum beim oberen Maisfeld angelangt, begann sie wieder dort zu fressen, immer mit diesem verächtlichen Blick ihrer weissen Kuhaugen. Sie schien dreckig zu lachen, und wenn ich mit dem Stock nahe genug war, wieder dieser Salto und weg war sie! Ich weiss nicht mehr wie oft wir hin und her liefen, aber ich war völlig am Ende, hatte eine Riesenwut auf Blanca, tat sie das doch absichtlich, nur um mich zu ärgern, oder wollte sie nur mit mir spielen? Diese Überlegung kam mir erst viel später, ich war sicher, sie war eine teuflische Kuh, sie wollte nur mein Leben erschweren, wusste sie doch sehr genau, dass sie im Maisfeld nichts zu suchen hatte! Den andern Kühen war ich sehr dankbar, dass sie sich an der Verschwörung nicht beteiligten. Am nächsten Tag versuchte sie das Spiel erneut, aber ich machte ganz einfach nicht mehr mit, das war die Lösung, sie gab auf! Sie versuchte es dann oft auf dem Heimweg, aber da war Vater dabei und ich war wenigstens nicht schuldig. Sie scherte einfach aus, rannte zu einer Kleewiese oder einer 41 42 Anpflanzung und frass demonstrativ davon. Ich hatte jedoch immer den Eindruck, dass sie es besonders auf mich abgesehen hatte, deshalb blieb sie mein Feindbild. Die Rouge hingegen war fast ein mütterlicher Typ, nie gab sie mir Probleme auf. Hingegen verpasste ich ihr ungewollt eine kleine Verletzung. Wenn die Kühe die hohle Gasse hinaufeilten, mochte ich ihnen kaum folgen, also liess ich mich wie an einem Schneelift hinaufziehen. Und das am Schwanz der Rouge, die hatte nichts dagegen, wenn ich mich von ihr ziehen liess. Einmal machte ich mich besonders schwerfällig, war wohl müde, ja, und plötzlich hielt ich nur noch ein Stück Schwanz in meinen Händen, fiel fast auf den Rücken! Ich war völlig überrascht, warf den Schwanz ins Gebüsch und sagte dem Vater nichts. Aber statt mich zu fragen, was passiert sei, sagte er mir, die Ratten hätten den Schwanz der Rouge angenagt, ich machte nur ein erstauntes Gesicht, gut, sollen doch die Ratten schuld sein! Der Schwanz, welcher etwa am drittletzten Wirbel brach, wuchs wieder nach und ich hielt mich fortan von dieser Erleichterung zurück, war auch älter und konnte besser folgen. *************************************************** 19.Kapitel Lucien Flacha Ich erwähnte bereits, dass ich keine Spielkameraden hatte, das stimmt nur teilweise, die Nachbarn, Familie Blondi, hatten einen Knaben, der war aber etwa 2 bis 3 Jahre jünger, deshalb für mich uninteressant. Das heisst, ab und zu kam der Kleine zu mir, und einmal geschah es, ich bediente den Schleifaparat, mit dem man Messer etc. zu schleifen pflegte, das Antriebsrad war mit einem Zahnrad zur wagrechten Welle verbunden. Plötzlich, als ich das Rad drehte, rammte der Yve, wie er hiess, seinen Zeigefinger 42 43 zwischen die beiden Zahnräder, ein Aufschrei und sein Finger war gequetscht, das verpasste mir eine Schelte von beiden Seiten, ich mochte 5 sein, er etwa 2 ½ , deshalb wurde nur ich getadelt. Er hielt sich fortan von mir fern, das war mir auch recht, denn ich wollte nicht immer an seinen verkrüpelten Finger erinnert werden. Durch das stille Tal führte ein Weg quer in der Mitte durch, auf die andere Hügelseite, dort oben wohnten zwei oder drei Familien. Eine hiess Flacha, die andere Metranchard oder so, der Weiler hatte einen Namen, an den ich mich nicht erinnere, (Labertini?) die Flacha hatten zwei Kinder, ein Mädchen von etwa 11 und ein Knabe in meinem Alter, den Lucien, also etwa 4 jährig. Manchmal, wenn ich noch mit Mutter beim hüten der Kühe im Tal war, zogen diese Kinder mit ihrer Mutter an uns vorbei, und meine Mutter stellte mich ihnen vor. Ich sprach damals, mangels Kontakt, kaum Französisch, ich war aber auch im schweizerischen Dialekt nicht sehr bewandert, meine Konversationen beschränkten sich auf den Umgang mit den vielen Tiere. Anfänglich war ich nicht interessiert, mich mit menschlichen Wesen abzugeben, die Tiere waren viel interessanter. Bis zum Schulbeginn hatte ich deshalb kaum Kontakt mit dem Lucien, er ging jedoch bereits vor mir zur Schule, er hatte auch Jahrgang 1938. Lucien sollte mein einziger Kollege werden, er war etwas einseitig für die Sexualität interessiert. Ich werde später noch speziell auf ihn eingehen, als wir zusammen die Schulbank drückten. Er war, wie ich, praktisch alleine, seine Schwester war mit 14 (als wir 7 Jahre zählten),bereits eine richtige Frau, sie verursachte mir oft lange Einschlafperioden, doch darüber später. Ich denke, das Verhältnis zu Lucien, war wohl ähnlich, wie jenes zwischen zwei Brüdern, die sich gut zusammen vertragen. Aber das war erst ab dem Frühjahr 1945, nach Kriegsende und meinem Schuleintritt der Fall. 43 44 Bis dann sah ich ihn nur jeweils aus der Ferne, meistens mit seiner grossen Schwester, durchs stille Tal laufen und winken. Ich hatte erwähnt, dass man im Tal keinerlei menschliche Zivilisation sehen konnte, das ist richtig, denn der Weiler war von dort unsichtbar, weil weit oben auf einer Ebene gebaut, zudem noch mit Wald und Busch getarnt. Bis Lucien und ich Freunde wurden, sollten wir noch den Krieg aus nächster Nähe und in seiner vollen Brutalität erleben, das Jahr 1944! *************************************************** 20. Kapitel Die Familie Steiner und Co. Ich habe bereits andere Schweizer Familien im Umkreis von rund 40 Kilometern erwähnt. Zwei davon blieben mir besonders in Erinnerung, einmal die Steiners, dann die Wäflers. Die Wäflers lebten nur unweit von der Simonette entfernt auf einer Anhöhe, ein romantischer Weg führte zu deren Landgut hinauf. Sie lebten in einer Art von Schloss, und sie benahmen sich auch wie Schlossherren. Sie stammten aus Laterbach im Simmenthal, besassen aber in Stresa/Italien, 44 45 eine Villa am Lago Magiore. Herr Wäfler war ein mächtiger Mann, er überragte meinen Vater um nahezu zwei Kopflängen, (Vater war 172 Zentimeter gross), hatte einen mächtigen Bauchumfang, eine Silberkette seiner Taschenuhr hing über seinen Bauch herunter, und mit seinem ruhigen, aristokratischen Oberländerdialekt wirkte er für mich echt sonderbar. Vater wirkte neben ihm eher ein Knabe. An Frau Wäfler erinnere ich mich kaum, sie war gross und stets schwarz gekleidet, sprach selten ein Wort. Eines war mir schon damals klar, die Wäflers waren sehr reich! Sie hatten 2 Söhne, (Irrtum vorbehalten) beide zwischen 20 und 30 jährig, und sie waren wohl auch um die 2 Meter gross, aber sehr schlank. Etwa im Sommer 1943, starb einer von ihnen an einer Bluterkrankung, meine Eltern gingen an die Beerdigung, ich war allein auf der Simonette, an diesem Nachmittag flogen verschiedene deutsche Flugzeuge über mich hinweg, hauptsächlich diese Messerschmidtmaschinen, die wie eine Hornisse brummten. Dabei brachte ich das in Verbindung mit der Beerdigung. Natürlich bestand kein Zusammenhang. Weil die Deutschen im Sommer 44, kaum noch Flugzeuge besassen, kann ich mit Sicherheit auf den Sommer 43 tippen. Selbst meine Eltern konnten mir später nicht mehr genau sagen, wann diese Dinge passierten, darum halte ich mich besser an die historischen Vorkommnisse. Danach sah ich die Wäflers nie mehr, ich glaube, sie hatten das Gut verkauft und zogen nach dem Krieg wieder nach Stresa. Die Familie Steiner war da anders, ähnlich wie wir, arm ausgewandert und arm geblieben, weil der Krieg allen einen Strich durch die Rechnung machte. Sie waren nur etwa vier Kilometer von uns entfernt, mit vielleicht 6 Kindern, alle älter als ich, die jüngste Tochter traf ich noch in der Schule an, davon später. 45 46 Und die Steiners besuchten uns wohl am meisten, sie waren einfache, hart arbeitende Leute, ohne falschen Stolz. Ihre Kinder blieben alle in Frankreich und waren hundertprozentige Franzosen geworden. Auch die Eltern zogen es vor, dort zu verbleiben. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Nachtrag: Im Jahr 1972, besuchte ich die Steiners in Saint Astier, beide Eltern gegen 80 und krank, die jungen Steiners lebten, mit Ausnahme von zwei Brüdern auf dem Landgut, in den Städten von Frankreich (Bordeaux, Lyon, etc,). Kurze Zeit später traf ich im Thurgau auf Verwandte von ihnen, dabei vernahm ich auch, dass beide Eltern verstorben waren. 21. Kapitel Furcht vor Uniformen Vor Ärzten hatte ich eine angeborene Angst, aber auch vor fremden Menschen generell, selten traute ich mich ins Haus, wenn unbekannter Besuch da war. Wenn der Dr. Kübler erschien, dann blieb ich oft den ganzen Tag fern, spielte mit den Tieren etc., gegen Abend schlich ich dann ums Haus herum, um festzustellen, ob der Gast gegangen war. 46 47 Die Eltern kannten meine Abneigung und liessen mich gewähren, Mutter war auch nicht besorgt, wenn ich einen halben oder ganzen Tag fern blieb. Sie wusste, wo ich mich aufhielt, meistens bei den Ameisen hinter der Pflanzung ob der Farm. Aber auch vor Uniformen hatte ich eine grosse Furcht, nur der Briefträger, Monsieur Robert, diesen kannte ich als gutmütigen Mann in Uniform, und vor ihm rannte ich nie davon. An einem ruhigen nachmittag, lief ich am Friedhof vorbei, auf einer Naturstrasse, welche bis nach Bergerac führte. Ich war wohl etwas Gedanken abwesend, denn plötzlich stand ich vor zwei uniformierten Gendarmen, sie mochten noch ca. 50 Meter von mir entfernt sein, wie immer in solchen Situationen, rannte ich panikartig davon um mich in den nahen Reben zu verkriechen. Doch die Gendarmen riefen mich zurück, ja, sie rannten mir nach wie einem Verbrecher! Ich gab auf, schliesslich hatte ich ja nichts auf dem Kerbholz und war ein kleines Kind. Zitternd wartete ich am Strassenrand, bis die beiden vor mir standen, ich bestaunte ängstlich die Uniformen. Weshalb ich davonrenne? Fragte einer, ich wusste es ja selber nicht und konnte nicht antworten, dann fragte der andere, wo ich wohne, ich konnte auf die Farm zeigen. Als sie bemerkten, dass ich praktisch auf dem eigenen Land weilte, liessen sie mich gehen. Für mich aber, war das ein Horrorerlebnis, das mich noch lange beunruhigte, oder beschäftigte. In der Tat wunderte ich mich manchmal selber, woher diese angeborene Furcht herkam? Als ich mich dann später mit der Parapsychologie beschäftigte, erhielt ich teilweise eine Antwort auf diese Frage, wobei diese Schlussfolgerung aber nicht wissenschaftlich abgesichert war. ************************************************* 22.Kapitel 47 48 Soso Bitschi Es war eine meiner Spezialitäten, sowohl den Menschen wie auch den Tieren meine eigenen Namen zu verpassen. Bei den Menschen beschränkte ich das auf die Frauen, im Dorf hatte fast jede zweite Frau einen Namen von mir erhalten. Die Namen entstanden auf sehr einfache Art, wenn sie drauflos redeten, gab es oft Wiederholungen, und darin fand ich dann ihren Namen. Aber auch das Aussehen konnte mitspielen, so erinnere mich an eine Frau „Pulgerie“, diese glich einer Karikatur mit grossem Hinterteil aus der Zeitung. Vater hatte die „Republique Francaise“ abonniert. Diese Zeitung wurde in Bordeaux gedruckt und war vom 5. bis zum 10. Altersjahr, praktisch meine einzige Lektüre. Die Familie Steiner wohnte im „Maison Basse“, einem Weiler unweit von uns, ihre Nachbarn waren Polen. Es gab sogar zwei Polenfamilien, auch sie besuchten uns ab und zu. An die Ehemänner erinnere ich mich nicht, jedoch an die beiden Frauen. Sie waren kugelrund und sprachen gebrochen Deutsch. Besonders imponierend waren ihre Hinterteile, derartige Kaliber sah ich sonst nirgends. Besonders eine von ihnen, jene mit dem grösseren Po, sprach stets drauflos, jeder zweite Satz war:“ soso, bitzeli“. Klar, dass sie von mir „Soso Bischi“ getauft wurde, meine Eltern fanden diesen namen besonders lustig. Und wenn die Polinnen nahten, rannte ich zu Mutter und meldete:“Soso Bitschi kommt!“ Die andere Frau sprach kaum und hatte darum auch keinen Namen erhalten. Ein Huhn erhielt den Namen „Petateli“, weil es immer einen ähnlichen Laut von sich gab. Die Kühe hingegen, die wurden von Vater getauft, da konnte ich nicht mitreden. Diese hatten ihre Namen bereits erhalten, als ich noch nicht sprechen konnte. 48 49 Bis zum Schulbeginn blieb mein Sprachschatz sehr rudimentär, ein paar Worte Schweizerdeutsch (Elsässisch) und Französisch. Die Eltern hatten kaum Zeit für mich, und mit den Tieren konnte ich meinen Wortschatz auch nicht gross erweitern. Als ich später besser Französisch beherrschte, führte ich im stillen Tal oft Selbstgespräche, einmal kam Vater hinzu und wollte wissen, mit wem ich spreche, da antwortete ich einfach: „Mit den Kühen“. *************************************************** 23.Kapitel „Le Petit Suisse“ Ich war anders, das wurde mir allmählich bewusst gemacht, im Dorf wurde ich „Le petit Suisse“ genannt, der kleine Schweizer. Ich war somit kein Franzose, wie alle andern, konnte mir aber den Unterschied nicht so richtig vorstellen. Gemäss meinen Eltern, war die Schweiz ein nahezu paradiesisches Land, wo es all die guten Sachen gab, die uns hier in Frankreich damals mangelten. Etwa Käse, Schokolade, Waffeln und andere Süsswaren, die ich nicht kannte. Ich machte mir bekanntlich nichts aus Süssigkeiten, darum träumte ich auch nicht speziell von diesen Produkten. Vater war aber der Ansicht, dass in der Schweiz auch das Bier viel besser munde, zudem gebe es dort viele Marken davon, nicht nur eine, wie damals in Frankreich. Ich aber fühlte mich mehr und mehr als Franzose, nach Schulbeginn erst recht. An den Namen gewöhnte ich mich, fand den aber nicht diskriminierend, eher als etwas Besonderes. Dazu halfen natürlich meine Eltern, mit ihrer Schwärmerei und dem Patriotismus zur Schweiz. 49 50 Wenn ich also zu diesem Superland gehörte, dann durfte ich ja auch etwas stolz darauf sein! Aber besonders viele Gedanken darüber machte mir deshalb nicht. Meistens hörte ich diese Bezeichnung im positiven Sinne, abgesehen von einigen Fällen, bei denen ich mich negativ ins Zeug legte, und dabei wenig ruhmreich abschnitt. Mein frühes Bekenntnis zu Frankreich, aber auch zu den Befreiern, den AMIS, führte schon sehr bald zu Meinungsverschiedenheiten mit meinem Vater. Halbruder Hans war dabei auch mitschuldig, er bekannte sich schon zu Frankreich, als ich noch nicht einmal gehen konnte. Irgendwie bildeten wir zwei eine Front gegen die deutschfreundliche Einstellung des Vaters. Mutter war neutral und hatte, wie damals die meisten Frauen, keine eigene Meinung dazu. Leider war Hans nur selten zu Besuch, und ich blieb dann alleine mit meiner frankophonen Gesinnung, dies wurde aber von mir und ihm erst nach der 1. Klasse richtig bewusst wahrgenommen. Dabei waren die geschichtlichen Ereignisse besonders ausschlaggebend, der deutsche Terrorkrieg im Jahr 1944, die Bomben der AMIS, die Befreiung von Frankreich und die darauf folgende Aufbruchstimmung. ************************************************** 24. Kapitel Der tote Spion Es war im April oder Mai 1944, die Resistance schlug überall zu, Strassen wurden mit gefällten Bäumen gesperrt, damit deutschen Aufklärungsfahrzeuge nicht passieren konnten. Diese wurden dann aus dem Hinterhalt beschossen, das hatte wiederum zur Folge, dass die Deutschen sich mit brutalen Morden an der Zivilbevölkerung rächten. Die Rebellen trugen keine Uniformen, sie waren deshalb gewöhnliche Banditen nach deutscher Rechtsschreibung. 50 51 Die Resistance hatte es aber besonders auf Verräter abgesehen, meistens Franzosen, welche sich zum Gedankengut der Nazis bekannten. Aber auch mein Vater galt als möglicher Spion, deshalb wurde ihm und seiner Frau verboten, das Landgut zu verlassen, wie bereits zuvor erwähnt, führte dieser Umstand dazu, dass ich ab Frühjahr oder Sommer 1943, jede Woche einmal nach Villamblard radeln musste. Im Frühjahr 1944, war das für mich bereits zur Routine geworden. Ob sich die Eltern ängstigten oder nicht, es gab keine Alternative. Von den Partisanen war keine Gefahr, und von deutscher Seite vermutlich auch nicht, ganz ausgeschlossen war das jedoch nicht, denn die konnten ja im kleinen Knaben einen üblen Kurier des Feindes vermuten! Auf der sieben Kilometer langen Naturstrasse begegnete ich selten einem Menschen, in der Regel aber auch auf einem Fahrrad. Nach dem Krieg wurde die Strasse asphaltiert und dadurch besser nutzbar. Im Dorf machte eine Nachricht die Runde, wonach an der Kreuzung von Maison Basse nach Villamblard, ein Spion erschossen worden ist. Der Leichnam sei in der Wiese links der Strasse begraben worden, jedoch ragten die Arme noch aus der Erde! Ja, und am nächsten Vormittag war ich dran, dort vorbei zu fahren! Ich konnte nicht begreifen, weshalb der Mann erschossen wurde, unter dem Wort Spion konnte ich mir nichts vorstellen. Also nahm ich an, auch ich würde dort beschossen werden, sagte aber meinen Eltern nichts über meine Bedenken. Eigentlich war ich neugierig, wollte die Arme des Toten sehen, welche angeblich aus der Erde ragten. Als aber die Kreuzung nahte, bekam ich es plötzlich mit der Angst zu tun! Ich trampelte wie wild in die Pedale, schaute weder nach links und nach rechts, wartete ab, ob wohl Schüsse fielen, doch es geschah rein nichts, als ich die 51 52 Kreuzung hinter mir hatte, atmete ich auf, weit und breit kein Mensch! Auf der Rückfahrt schaute ich sogar nach dem angeblichen Grab, konnte aber nichts sehen und getraute mich auch nicht danach zu suchen. Zu Hause meldete ich nur, dass ich den Spion nicht gesehen hätte. Der Name des Spions war unbekannt, seltsam aber war, dass der Dr. Kübler seither nie mehr vorbei kam und auch für immer verschwunden blieb!(Er war Elsässer). Später vernahm ich, dass er ein deutscher Spion war, er brachte mit seinen steten Besuchen auch meinen Vater in Schwierigkeiten! Ob er aber jener Tote war oder nicht, dass vernahmen wir nie. 25. Kapitel Gefährlicher Auftrag Die „Säuberungsaktionen“ der deutschen Wehrmacht näherte sich täglich mehr und mehr in unsere Richtung. Horrormeldungen machten die Runde, etwa von Massenhinrichtungen und Morden an Zivilpersonen, der Fall von Oradour-sur-Glane,(ca. 90 Kilometer von uns entfernt), war in aller Mund. Die Leute waren geschockt, ich verstand nicht so recht, weshalb man eine solche Angst haben sollte. Ich hatte keine, war aber sehr neugierig, was da noch auf uns zukommen mochte? Und ich sollte schon bald Gelegenheit erhalten, den Krieg selber zu erleben. Es war ein schöner Abend, kurz vor dem Einnachten, da erscheint ein Chef der Resistance, den wir nicht weiter kannten, er war vermutlich höher im Rang als Monsieur Blondi. Er befahl meinem Vater fast ultimativ, 52 53 er solle oben bei der Labertini, an einem Waldrand, amerikanische Güter abholen und diese in unserer Scheune lagern, bis die Resistance diese abholen werde! Vater spannte die beiden Arbeitskühe ein und wir fuhren davon, ich sass hinten auf der Ladebrücke. Der Ort mochte um die 2 bis 3 Kilometer entfernt liegen. Aber noch nie erlebte ich einen Sonnenuntergang wie an diesem Abend! Die Sonne war blutrot und bedeckte den halben Abendhimmel. Ich war damals 5 jährig und 9 Monate alt, erinnere mich aber gut, dass ich diese Naturerscheinung mit unserem Abenteuer in Zusammenhang brachte, natürlich behielt ich das für mich, Vater hatte andere Sorgen. Ich erzählte den Eltern selten etwas über meine Gedankengänge, erstens, weil sie keine Zeit dafür hatten und zweitens, weil ich ja doch nie eine verständliche Antwort erhielt. Eine meiner Fragen lautete etwa:“Warum gibt es Krieg?“ Doch darauf erhielt ich einfach nie eine plausible Erklärung, nur, dass ich für solche Fragen zu klein sei. Woher die Kinder kommen war für mich klar, die wurden mit einem Raumschiff gebracht, deshalb erübrigte sich diese Fragerei. Es lag aber auch eine seltsame Atmosphäre in der Luft, fast wie bei den Blitzen und Gewittern, wenn ich mich so leicht und geladen fühlte. Endlich konnte ich Material von den AMIS sehen, die kamen ja auch vom Himmel her. Wir erreichten den Waldrand und sahen den Haufen, den wir verladen mussten, es war bereits halbdunkel. Da waren wollene Decken fürs Militär, ganze Bündel von Gummistiefeln, grosse Karnister mit Konfitüren oder Marmeladen, sowie grosse Blöcke von Margarinen, etwas, was wir damals in Frankreich nocht nicht kannten. Ich war ganz benommen, was für Leute mussten die AMIS sein, wenn sie solche Mengen an Material einfach vom Himmel runter werden konnten? Es gab noch mehr zum verladen, aber ich erinnere mich nur an diese Artikel. Mit der vollbeladenen Charette fuhren wir zurück, ich sass glücklich auf den Decken. Dabei realisierte 53 54 ich nicht, auf was für einem Pulverfass ich sass, wäre eine Deutsche Einheit aufgekreuzt, wir wären sofort exekutiert worden, möglich, dass die Kühe überlebt hätten. Der blutrote Himmel wäre dann nur eine Vorwarnung gewesen. Wir befanden uns rund 200 Meter von unserem Haus entfernt, als ein anderer Chef auftauchte und uns beschuldigte, wir hätten die Ware gestohlen! Vater wurde nun wütend und er tat das einzig Richtige, er spannte die Kühe aus und kippte das Zeug rückwärts den Hang hinunter: „Da habt ihr euren Scheiss“, so etwa seine Antwort. Wir fuhren leer nach Hause. Am nächsten Morgen war die Ware weggeräumt. Das war auch gut so, denn die Lage wurde nun sehr kritisch! Die Nervosität der Rebellenführer verbreitete Spannung im Dorf. Nachtrag: Erst viel später wurde mir bewusst, in welche Gefahr uns diese Mission damals hätte bringen können. Zum Glück stiessen wir auf keine deutschen Suchtrupps, die Tatsache, dass wir feindliches Material mitführten wäre für uns zwei unter den damaligen Bedingungen tödlich verlaufen! Das blieb auch meine einzige aktive Mitwirkung im ganzen Zweiten Weltkrieg. 26. Kapitel Bomber und Bomben Über den Verlauf des Krieges vernehme ich nur wenig, da ich die Zeitung noch nicht zu lesen vermochte, war ich auf die Aussagen der Erwachsenen angewiesen. Immer öfters fiel das Wort „AMI“ oder „Les AMI“, was mit den 54 55 Amerikanern identisch war. Alle erwarteten ihre Ankunft und den Frieden. Es zirkulierten Gerüchte, wonach sie bald an den Küsten landen werden und dann die Deutschen sich zurückziehen müssten. Soviel konnte ich verstehen, aber vorher noch, besuchten uns die AMI nur mit ihren Bomberflugzeugen. Und rund drei Wochen lang, jeden Abend nach Eindunkelung, nein, sie hatten es nicht auf unser Dorf abgesehen, sondern auf deutsche Munitions und Waffenfabriken rund 5 Kilometer entfernt, bei Bergerac. Die Bombardierungen dauerten nur etwa eine halbe Stunde, dafür aber sehr intensiv. Der Luftdruck war derart stark, dass sich unsere Stubentüre von selbst öffnete! Ich machte mir bereits einen Spass daraus, zu wetten, dass an diesem Abend die Türe wieder aufgesprengt würde. Die Eltern fanden mein Spiel eher lustig. Der Himmel wurde dann rötlich erleuchtet, man sah auch Scheinwerfer, vermutlich von der Deutschen Luftabwehr. Ob jemals ein Flugzeug abgeschossen wurde, das entging meinen Kenntnissen. Wir hatten aber absolute Verdunkelungspflicht. Die Lage war buchstäblich explosiv, allen war bewusst, wir standen vor grossen Ereignissen. Die Resistance wurde plötzlich sehr mutig, täglich wurden deutsche Konvois überfallen und meistens alle Soldaten getötet. Die Folgen davon mussten die Zivilpersonen erleiden. Wer als „Maquis“ in einem der grossen Wälder versteckt war, musste am wenigsten um sein Leben fürchten. Auch von einer grossen Invasion war die Rede, aber niemand wusste wo. Eine Variante war, von Algerien und Tunesien aus nach Südfrankreich. Eine andere von England in den Nordwesten von Frankreich. Den Leuten konnte es egal sein, die Hauptsache war, es wurde endlich Frieden im Land! 55 56 Aber vorher schlugen die deutschen Divisionen nochmals richtig zu und hinterliessen eine Blutspur durch den ganzen Südwesten. 27. Kapitel Der 6. Juni 1944 Am 6. Juni 1944, begann die Befreiung von Europa durch die Allierten Streitkräfte. Darüber muss ich nicht berichten, denn ich bekam davon nur sehr wenig mit, selbst die Leute im Dorf, wussten nur, sie sind im Nordwesten gelandet, „Normandie“, mehr war nicht bekannt. Ich kenne den Wochentag der Landung nicht, aber ich weiss, dass an diesem Tag oder einer/zwei danach, an einem Sonntagmorgen, über uns der Himmel dunkel wurde, weil sich ein Geschwader von 54 US-Bombern von Süden nach Norden bewegten. Es war eine Sensation, noch nie sah ich mehr als ein bis zwei Flugzeuge zusammen am Himmel fliegen, und jetzt gleich 54! Weshalb 54? Weil ich sie zweimal zählte, und, obwohl ich nocht nicht in die Schule ging, konnte ich zählen und bereits leichte französische Texte lesen. Allerdings kamen die Eltern nur auf 52 oder 53, aber die zählten nur einmal! Ich hätte sie sogar dreimal zählen können, derart langsam flogen sie! Im Zeitalter der Überschallflieger kaum noch vorstellbar. Es folgten noch kleinere Geschwader die mir aber schon weniger imponierten. Ich freute mich auf die Befreiung, es lag eine optimistische Stimmung im Volk. Diese AMIS mussten übermächtig sein, mit ihnen durfte man sich nicht anlegen. Bereits kamen da meine ersten Träumereien über dieses Wunderland auf, die Eltern waren da zwar anderer Ansicht, für sie war die Schweiz das Land ihrer Träume. Und Vater war immer der Ansicht, wir 56 57 gehörten auch der deutschen Rasse an, nur Deutschland könne Europa führen! Doch davon verstand ich nichts, für mich waren sie die Feinde. Das sagte der Hans und der war mein Halbbruder, also musste er recht behalten, Vater hasste ihn nur, weil er für die Franzosen kämpfte, so empfand ich das aus meiner Sicht! Ich wusste allmählich, welche die Guten und welche die Bösen waren. Diejenigen, welche Leute ermordeten, waren die Bösen, die, welche Güter vom Himmel abwarfen und im Norden landeten, das waren die Guten. In den Monaten Juni bis August 1944, wurden anlässlich von Säuberungsaktionen im Südwesten von Frankreich, viele unschuldige Menschen von den deutschen Divisionen ermordet. Dabei wurde Paris bereits am 26.August 1944, befreit, zwei Tage nach meinem 6. Geburtstag! 28. Kapitel Die Deutschen kommen! Einmal mussten sie ja kommen, und sie kamen anfangs Juli 1944! Ich lege diesen Zeitpunkt wie folgt fest, es war ganz bestimmt nach dem 6. Juni, aber sicher vor Mitte Juli. Ende Juni wurde in der Regel die Weizenernte eingebracht und in der Tenne lagerte bereits die Ernte. In Westfrankreich erfolgt das nahezu einen Monat früher als in der Schweiz. Ich war mit meinen Eltern an einem heissen sonnigen Nachmittag hinter der Farm, dort, wo wir eine grössere Gemüsepflanzung unterhielten. Plötzlich explodierten in der Luft eine oder zwei Raketen, Vater sagte dazu:“Es sind vermutlich Knaben“. Doch schon nach etwa 5 Minuten rannte Monsieur Blondi mit ein paar seiner Männer an uns vorüber und rief:“Rettet euch, die Deutschen kommen!“ 57 58 Vater sagte ruhig: “was sollen wir uns flüchten, wir sind doch Schweizer, wir gehen nach Hause“. Dabei leerte er die beiden Wassereimer aus und wir liefen die kurze Strecke ins Haus zurück. Für mich war Spannung angesagt, ich hatte bislang nur deutsche Fahrzeuge gesehen, welche durchs Dorf fuhren, aber besucht hatten sie uns noch nie, sie fuhren meistens nach Bergerac weiter. Allerdings wurde dies in den vergangenen zwei Monaten immer schwieriger, weil die Resistance die Strassen mit gefällten Bäumen versperrten, oft noch Minen dazu legten und sogar aus dem Hinterhalt schossen. Und einer von ihnen war Bruder Hans, damals knapp 15, ich war mächtig stolz auf ihn. Er sagte mir, er habe sogar mit seiner Pistole auf einen „Bosch“ geschossen. Vater wollte sich umsehen und ging in den Stall, dort konnte er ins Dorf runter schauen ohne gesehen zu werden. Mutter und ich blieben in der Küche. Als er zurückkam meldete er, die Deutschen hätten das Haus von Blondi in Beschlag genommen, nun sei eine Dreierpatrouille zu uns unterwegs. Jetzt kam die Realität, ich setzte mich auf eine Stufe der Hauseingangstreppe und schaute in die Richtung woher sie kommen mussten. Erst erblickte ich zwei Seitengewehre (Bajonette) im Sonnenlicht reflektierend, dahinter folgten die Gewehre und dann die imposanten Wehrmachtshelme. Die Soldaten kamen sehr langsam voran, den Finger am Abzug, die Gewehre in etwa gegen mich gerichtet, es war ein seltsames Bild. Als sie etwa 2 Meter vor mir waren, stand ich auf und machte mich dünn, damit sie passieren konnten. Einer zeigte auf die toten Hühner im Hof, und sagte: „Kaputt“! Wir hatten eine Hühnerseuche, gegen 100 Hühner fielen einfach um und waren tot. An diesem Nachmittag lagen gut 30 tote Hühner im Hof. Ohne mich weiter zu beachten schritten sie in die Küche, hinter ihnen folgte ein baumlanger Kerl, in schmucker Uniform, auch für ihn war ich kaum vorhanden. Er salutierte Vater, welcher gleich seine positiven Gedanken zum deutschen Reich äusserte, und nach seinen Wünschen 58 59 fragte. Erst musste der Oberleutnant, um diesen Rang handelte es sich, die Ausweise prüfen: „Sie sind Deutschschweizer, gut so!“ sagte er stramm. Dann wurden Schlafraum und Estrich sorgfälltig kontrolliert, mit einer Taschenlampe leuchtete der Oberleutnant unter die Betten. Dann gings in die Scheune, dort wo bereits ein Teil der Ernte lagerte, mit ihren Bajonetten stiessen die Soldaten ins Heu und Stroh. Das war wohl der gefährlichste Teil, denn hätte sich ein Franzose darin versteckt gehabt, wären wir sogleich von unserem Dasein erlöst worden! Verstecken von Rebellen oder Banditen, wie es die Deutschen nannten, wurde meistens mit sofortiger Erschiessung bestraft. Aus der weiteren Umgebung wurden damals täglich ähnliche Vorkommnisse gemeldet. Dabei war es durchaus möglich, dass sich Aufständische in den Getreidescheunen versteckt hielten, ohne, dass man das wusste! Das Glück war auf unserer Seite, niemand war versteckt. Der Oberleutnant bedankte sich und kehrte mit seinen Leuten zurück zum Sammelplatz. Vater ging wieder auf seinen Aussichtpunkt, kam bald wieder zurück und meldete, dass sich die Deutschen unter die Weinfässer von Blondi legten und den Wein direkt in die Mäuler laufen liessen. Ausser dem Dorforiginal, dem Lacoste, habe er keine Dorfbewohner sehen können, der Lacoste aber, der informiere die Deutschen laufend, wohin die Maquis geflohen sind. Die Richtung stimme aber gar nicht, er halte sie zum Narren! Dann wäre da wieder eine Patrouille unterwegs zu uns. Diesmal war sie von einem höheren Unteroffizier geführt, er begnügte sich mit der Beantwortung von ein paar Fragen, dachdem Vater ihm meldete, der Oberleutnant habe bereits alles durchsucht. Dieser erklärte dann auch, dass die Soldaten keine Deutschen sind, sondern alles Weissrussen, nur die Offiziere und höheren Unteroffiziere wären Deutsche. 59 60 Sie zogen bald wieder weg, meine Neugier war teilweise befriedigt, nun hatte ich Deutsche Soldaten aus nächster Nähe gesehen. Vater war aber noch nicht beruhigt, als er sah, wie sich die Weissrussen vollsaufen liessen, befürchtete er, die Offiziere könnten die Kontrolle verlieren und die Soldaten sich als Amokläufer betätigen. Aber es kamen keine mehr zu uns, gegen Abend konnten wir aufatmen. Doch abgezogen waren sie noch nicht, noch konnte allerhand geschehen! 29. Kapitel Gefechte am Vormittag Nach der Grossrazzia der Wehrmacht, wurde ich am nächsten Morgen durch ein seltsames Rattern geweckt, das unweit hinter dem Haus abgehalten wurde. Ich fragte die Mutter, was das sei? Sie sagte, es handle sich um Maschinengewehrfeuer der Deutschen, mehr konnte sie auch nicht informieren. Ich blieb im Bett liegen und lauschte dem Gefechtslärm, Vater war draussen, vermutlich wieder auf der Lauer als stiller Beobachter. Ich dachte gar nicht daran aufzustehen um selber nachzuschauen, vielmehr faszinierte mich dieses Maschinengewehrrattern, das sich immer mehr von uns entfernte. Ich konnte mir die Wirkung des MGs nicht richtig vorstellen, aber irgend etwas dabei faszinierte und liess mir keine Ruhe! (Noch konnte ich nicht ahnen, dass ich später in der Armee, just zum MG Schützen ausgebildet würde. Am MG 51, welches eine verbesserte Kopie des deutschen MG 42 war. 60 61 Das MG 42 war eine der schlimmsten Waffen im Zweiten Weltkrieg, anlässlich der Landung in der Normandie durch die Allierten, starben alleine dort Tausende im MG-Feuer der Deutschen. An der Ostfront waren es Hunderttausende von Sowjets!) Gegen 10 oder 11 Uhr verzogen sich die Deutschen in Richtung St. Julien de Crempse, ein Dorf hinter dem Wald, man hörte nur noch sporadisch MG Salven. Wir konnten aufatmen, aber noch war der Spuk nicht vorbei, sollten die Rebellen plötzlich von hinten angreifen, was sie ja auch oft taten, dann waren wir wieder dran. Um die Mittagszeit wurde es unheimlich ruhig, kein Gefechtslärm mehr, totenstille. Und das ganz wörtlich! Die Schreckensnachricht kam schon am gleichen Tag zu uns, St. Julien-La-Crempse, war nur etwa 3-4 Kilometer entfernt. Was war dort vorgefallen? Die Maquis, welche am frühen Morgen die Deutschen bei uns im Dorf angriffen, flüchteten oder zogen sich in den Wald zurück, vermutlich liessen sie ihre Heckenschützen zurück. Deshalb diese ständigen MG-Salven, ich nehme an, sie garnierten mit den MGs die Waldränder ab, nur so lässt sich erklären, wie mit derart viel Munition ein paar Rebellen bekämpft wurden. Die Rebellen, unter ihnen unser Nachbar Blondi als Chef, liefen in Richtung St.-Julien, dann von dort in den grossen Wald nach links. Dieser Wald war dermassen gross, dass sich oft Menschen darin verirrten und infolge Erschöpfung und Hunger starben. Aber die Maquis hatten dort ihre geheimen Unterkünfte und Lager. Die Deutschen hatten nicht ausreichend Soldaten, um die Wälder zu durchkämmen, zudem waren die Rebellen mit ihren leichten Waffen ihnen dort ebenbürtig. Die Deutschen erreichten St.Julien und suchten die „Banditen“, nur wollte keiner gestehen, sie waren alle für den Angriff am frühen Morgen unschuldig! Der Kommandant liess sämtliche männlichen Einwohner ab 14 Jahren auf dem Dorfplatz versammeln. Dann ratterten wieder die MGs, das war vermutlich die letzte Salve, die ich 61 62 hörte, dann waren die Leute tot! Soweit ich mich erinnere gab es 16 Opfer. Wenig, im Vergleich, was dann noch in Mussidan folgte, eine grössere Ortschaft, nur etwa 4 Kilometer von St.Julien entfernt. Die Umstände, welche zu diesem Massaker von 250 Menschen führte, ist mir nicht bekannt geworden. Es waren aber Einheiten von der gleichen Division, welche auch bei uns aktiv war. Die Vorgänge waren in der Regel dieselben, die Maquis beschossen die Deutschen, diese verfolgten die Rebellen, und wenn sie ihnen nicht habhaft wurden, dann musste eben das Dorf büssen, indem sie sich gerade befanden! Somit hatte unser Nachbar Blondi, uns nochmals vor dem Erschiessungskommando bewahrt, er hätte die Deutschen ja nicht nach St.Julien lotzen müssen. Ob er sich darüber je Gedanken gemacht hat, das habe ich ihn nie gefragt. 30. Kapitel US-Pilot in Nöten Wie bereits erwähnt, habe ich nie davon gehört, dass die schwache deutsche Luftabwehr im Südwesten einen amerikanischen Bomber abschoss. Diese Feststellung bezieht sich aber lediglich auf unsere nähere Umgebung. Vermutlich an einem Morgen im August 1944, hörten wir den Motorenlärm eines startenden Flugzeuges, etwa 2 Kilometer hinter dem kleinen Waldstreifen, der unsere Weinreben von einer kleinen Fläche trennte. Ich kannte diese Wiese nur schlecht, sie gehörte nicht mehr zu unserem Landgut. Es hatte geregnet und ein US-Pilot musste dort eine Notlandung vornehmen, den Grund dafür habe ich vergessen, war aber damals den Leuten bekannt. Ich glaube mich zu erinnern, dass er keinen Brennsprit mehr hatte. 62 63 Es gab immer noch deutsche Truppen in der Gegend, und alle Leute hofften und fieberten, dass der AMI doch bald aufsteigen möge. Aber es ging einfach nicht, vermutlich versank er zu sehr im Morast und die Wiese war zu wenig lang! Wir hörten zu, denn hingehen war sehr gefährlich, die Deutschen kannten damals keine Gnade, wer dem AMI zuschaute, war ein Verräter! Das Spiel dauerte bis gegen Mittag, wir wunderten uns bereits, dass die Deutschen noch nicht aufgetaucht waren, es war aber der Zeitpunkt der totalen Niederlage in Frankreich gekommen, möglich, dass einige Kommandanten den Unsinn einsahen und nicht mehr jedem Rebellen nacheilten. Wir, die Leute vom Dorf wussten aber davon wenig und ich rein nichts. Also fieberten wir mit dem AMI und hofften, er möge endlich einen gelungenen Start produzieren. Und der gelang ihm endlich kurz vor Mittag! Wir konnten es kaum glauben, der muss auch Humor gehabt haben, denn er machte noch eine Abschiedsschleife über unser Dorf. Alle Leute winkten mit Tüchern und waren erleichtert! Es war ein AMI, aber an diesem Morgen war er einer aus unserem Dorf! Ich freute mich riesig, dass er nicht von den Nazis erschossen wurde. Die SS-Division „Das Reich“, befand sich in unserer Gegend. Aber auch die gewöhnlichen Wehrmachtsdivisionen waren mit SS-Leuten durchmischt. Das jedoch vernahm ich erst 60 Jahre später aus dem Internet. Die Informationen waren damals auch für die Eltern sehr dürftig, sie hielten sich kein Radio, die Zeitung war zensuriert, man lebte nur von den „Mund-zuMund“ Nachrichten. Und ich stand immer neben den Erwachsenenen um zu lauschen. 31. Kapitel 63 64 Unmöglich!? Oft höre ich, es wäre unmöglich, dass ich mich bis auf das Alter von 1 ½ Jahren zurück erinnern könne! Ja, mir ist bekannt, dass viele bereits sehr stolz sind, wenn sie sich auf 3 oder 4 Jahre zurück erinnern können. Die meisten nennen das 5. Altersjahr. Nun ja, wenn da nicht die historischen Gegebenheiten wären, würde selbst ich daran zweifeln. Doch das Mosaik, das ich bereits schon in jungen Jahren zusammengestellt habe, ist hieb und stichfest. Selber versuchte ich mehrmals, Licht noch weiter zurück zu senden, umsonst, was ich feststellen konnte, war, dass das erste Ereignis, die Rache des Säuglings, bereits etwa 10 Tage zuvor begann. In Frankreich begann man mit dem bestellen der Felder anfangs März, die Eltern pflanzten damals noch Takab an. Am 24.Februar 1940 war ich genau 1 ½ jährig, eine Woche später liess mich meine Mutter am Nachmittag alleine im Kinderbett im dunklen Zimmer zurück. Das mochte anfangs März begonnen haben, ich regte mich unglaublich auf, weil sich trotz lautem Schreien, niemand meldete! Allerdings war mir bekannt, dass gegen Abend jemand kam und mich trocknete, etc, aber Säuglinge sind eben schlau, darum wollte ich mich rächen, denen eine Lektion erteilen! In den Monaten März bis August 1940, folgten dann die Ereignisse, wie der Wanderkino, die Mobilmachung, die Kavalerie, die Elssässer. Frankreich kapitulierte mitte Juni 40, deshalb ist es geschichtlich erwiesen, dass alles vor dem Juli 40 stattfand! Als Vater noch lebte, fragte ich ihn einmal nach diesen Vorkommnissen, aber er erinnerte sich nur noch an die Soldaten der Kavalerie, welche er auf Mai 40, ansetzte. Hingegen war er der Ansicht, die Abgabe der Kuh datiere auch auf Sommer/Herbst 40. 64 65 Gemäss meiner Mutter, war ich schon sehr früh „stubenrein“. Das heisst, ab dem 2. Altersjahr benötigte ich die Windeln nicht mehr. Als die Elsässer mich umsorgten, trug ich aber noch welche. Wobei ich mich an keinen einzigen Windelwechselvorgang erinnerte! Bis etwa zum 5. Altersjahr, gibt es nur Auszüge, keine durchgehenden Erinnerungen, etwa so, als würde ich mit einer Lampe in die Dunkelheit leuchten, dort Ausschnitte erkennen und diese dann niederschreiben. Was mich aber oft erstaunte, sind die präzisen Details, etwa der Spazierstock von Herrn Hofer, mit einem handlichen Griff und dunkelbraun. Oder der weisse Hut, den ich auf dem Kopf trug. Die besonders helle Haut von Fräulein Rudolf. Vom Film, der mir nur im ersten Augenblick imponierte, konnte ich sonst rein nichts aufnehmen. Ich dichte oder füge darum auch nichts hinzu, was ich vergessen habe, kann ich nicht aufzeichnen. Ein Grund für das Erinnerungsvermögen dürfte aber auch die damalige Zeit ausmachen, es gab keinerlei Ablenkungsmöglichkeiten und dergleichen. 32. Kapitel Der Albtraum Wir hatten weder Berge noch hohe Hügel, ich blickte somit nie von einer grossen Höhe hinunter, die tiefste Strecke war vom Schlafraum auf den Weg hinter dem Haus. Trotzdem 65 66 träumte ich oft von einem Fall aus grosser Höhe, erwachte dann deswegen, manchmal lag ich tatsächlich am Boden. Aber konnten diese 50 Zentimeter wirklich einen solchen tiefen Fall vortäuschen? Ich nahm diese Träume einfach hin, ohne mir Gedanken zu machen, wie sie entstehen konnten. Immerhin erlebte ich dabei eine Felsenlandschaft, wie ich sie in der Realität noch nie sah. Wie konnte diese in meinen Kopf gelangen, wo ich doch nie Berge sah, auch keine Bilder davon? Und weshalb fand dieser Fall immer wieder statt? Als ich später mit 10 Jahren in die Schweiz kam, war ich plötzlich von Hügeln und Bergen umgeben, was mich aber noch mehr aufregte, war die Tatsache, dass ich nicht wie andere Kinder in die Tiefe schauen konnte. Erstmals wurde mir das bei der „Grassburg“ an der Sense bewusst, wir waren oben auf der Burg und schauten hinunter in die Sense. Mir wurde nahezu übel und ich musste mich flach auf den Boden legen, damit ich nicht runter sprang, irgend eine Kraft wollte, dass ich runter springe. Ich schloss die Augen und wollte mir nichts anmerken lassen. Also wieder so ein Faktor, der mich von den anderen Kindern unterschied. Natürlich behielt ich das für mich, fortan achtete ich darauf, mich von solchen Tiefen fernzuhalten. Später erfuhr ich, dass es noch andere Leute mit diesem Syndrom gibt, es wird als „Höhenkrankheit“ oder „Höhenangst“ bezeichnet. Besonders ärgerlich war das in der Armee, ich verschwieg für die UO-Schule mein Handycap, als ich dann den Rekruten das Abseilen an einer Felswand zeigen musste, da musste ich mich ganz auf mein Problem konzentrieren, immerhin, es gelang ohne grosse Probleme. Niemand bemerkte etwas und ich war heilfroh! Den Eiffelturm schaffte ich bis zur ersten Stufe, dann war Feierabend. Und ich musste auf all die hohen Türme auf der ganzen Welt verzichten, oft wollten die Leute das nicht verstehen. Auch da kenne ich niemanden in der ganzen Verwandschaft mit diesem Problem. Interessant ist es im 66 67 Flugzeug, dort nehme ich meistens Fensterplätze ein, in den ersten Jahre war der „Sog“ sehr offensichtlich bemerkbar. Wenn ich hinunter schaute, kam dieser „Sog“ auf, mein Kopf näherte sich immer mehr zum kleinen Fenster hin, bis ich plötzlich am Glas aufschlug! Angst vor dem Fliegen hatte ich aber dadurch nie verspürt. Im März 1958 reiste ich nach Spanien, da glaubte ich, die Felsenlandschaft meiner Albträume wieder zu erkennen, aber davon später! *************************************************** 33. Kapitel Im grossen Wald Dieser Vorfall hätte leicht tragisch ausgehen können, glücklicherweise war ich bereits unabhängig genug, um das Richtige zu tun. Vermutlich im September 1944, der Krieg war bei uns vorbei und die Eltern durften sich wieder frei bewegen. Der Job nach Villamblard blieb jedoch für mich gesichert. Es war ein gewöhnlicher Vormittag, Vater und Mutter wollten im Wald Farnkraut beladen, das wurde als Streugut im Stall verwendet, ich wollte nicht mit, sondern zu Hause verbleiben. Doch gegen Mittag änderte ich meine Meinung und wollte zu ihnen im kleinen Wald stossen. Doch ich fand sie nicht, also wagte ich es in den grossen Wald, ein Wald, von dem bekannt war, dass sich erwachsene Leute totlaufen konnten. Als ich die Grenze von unserem Landgut erreichte, bog ich nach links in den Wald ein, diesen Weg kannte ich von früheren Zeiten, ich begann nach den Eltern zu rufen, aber ausser von den Tieren, war kein Echo zu hören! Also ging ich tiefer hinein, erreichte leere Hütten, welche zuvor von den Rebellen benutzt wurden. Keinerlei menschliche Lebewesen weit und breit. Also wagte ich es noch weiter hinein, rief wieder aus voller Kehle, aber 67 68 umsonst. Ich war schon längst in einem Gebiet, das nicht mehr zu uns gehörte. Jetzt erinnerte ich mich an die Gefahr! Noch weiter und ich lief im Kreis herum! Sogar Vater verirrte sich bereits einmal tüchtig in diesem Wald. Ich realisierte, dass ich nur zurück finden würde, wenn ich den genau gleichen Weg zurück lief, den ich herkam. Es gab aber schon lange keinen Weg mehr, also ging ich instinktmässig vor, als ich bei den verlassenen Hütten ankam, da wusste ich, ich hatte es geschafft. Von dort war ich sehr schnell auf der Feldstrasse, von welcher ich abgezweigt war. Dann lief ich direkt nach Hause, die Eltern waren schon längst da und fragten sich schon, wo ich geblieben war? Ich schilderte ihnen meine Suche, sagte aber nicht, dass ich mich im grossen Wald beinahe verlief. Ich war ja da, also hatte ich mich nicht verirrt! Wir waren uns nur unklar, dass wir uns im kleinen Wald nicht treffen konnten, denn sie waren tatsächlich dort. Im Herbst gab es in den Wäldern viele wilde Früchte, ich hätte wohl schon ein paar Tage durchhalten können. 34. Kapitel Das Feuer Dieser Vorfall hinterliess bei mir, vom zeitlichen Ablauf her gesehen, fast am meisten Fragen offen. Er könnte 1943, 44 oder sogar auf Anfang 45, datieren! Mutter war irgendwo auf einer Pflanzung, Vater ging mit der Sense aus, wohin, das wusste ich nicht. Ich wollte auf dem Hof bleiben, ich befand mich im langen Hühnerstall und hantierte mit Streichhölzern herum. 68 69 Ich erinnere mich nicht mehr weshalb, setzte Zeitungen in Brand, plötzlich stand der halbe Stall in Flammen. Ich schaffte es, diesen umgehend zu löschen, wie, das weiss ich nicht mehr. Kämpfte aber sehr verbissen gegen die Flammen, ich denke, ich nahm Sand zu Hilfe? Schliesslich hatte ich alles unter Kontrolle, dann begann ich die Brandspuren zu tarnen, das hätte sicher Prügel abgegeben! Die Brandspuren zu beseitigen, war eine viel grössere Arbeit als das Feuerlöschen. Selber sah ich aus wie ein Schornsteinreiniger, also musste ich auch diese Spuren noch beseitigen. Kaum war die Arbeit getan, kam Vater mit der Sense daher, auch er sah aus wie ein Kohlensack, das Gesicht schwarz bemalt. Er war noch müder als ich und sagte:“Beinahe hätte ich den Wald in Brand gesteckt, ich wollte den Waldrand abbrennen, da breitete sich das Feuer plötzlich derart aus, dass ich nur noch mit grösster Anstrengung den Waldbrand verhindern konnte.“ Ich hörte ihm erstaunt zu, sagte kaum etwas und dachte, „seltsam, zur gleichen Zeit, geschieht beiden dasselbe Missgeschick“. Trotzdem behielt ich mein Abenteuer für mich, da er ja den gleichen Fehler gemacht hatte, wäre ich wohl mit einem Verweis davongekommen. Aber er hätte mir eine lange Geschichte erzählt, dass man nie mit dem Feuer spielen dürfe, und darauf verzichtete ich gerne, denn das wusste ich inzwischen aus eigener Erfahrung. Soweit ich mich erinnere, habe ich ihm dieses Geheimnis nie verraten. Die Spuren waren kaum sichtbar und da er ja vom Feuer nichts wusste, wurde der Vorfall nie erkannt oder bekannt. Natürlich konnte ich das nicht vergessen, und ich fragte mich später, wie es ausgegangen wäre, wenn ich das Haus und Vater den Wald niedergebrannt hätten? Eine Art Feuerwehr gab es damals nicht, ein Haus in Flammen brannte einfach nieder. Das heisst, Dach und Inhalt, die Mauern blieben als Ruinen zurück! 69 70 35.Kapitel Ein Loch im Kopf Ich war die dritte Kraft auf dem Hof, ab dem 5. Altersjahr galt es, auf dem Landgut nach bestem Können mit zu arbeiten. Ich musste das nicht umsonst tun, sondern erhielt jeden Sonntag beim Mittagessen meinen Zahltag. Je nach Einsatz mehr oder weniger. Oft stieg ich am frühen Morgen aus dem Bett und ging in den Stall, um die Kühe sauber zu machen, Futter abzugeben, und den Kot zu entfernen und neue Streue zu verteilen. Danach wischte ich den Gang sauber, das war für einen kleinen Knirps schon ein Aufwand. Wenn Vater kam, war schon fast alles gemacht! Auch auf den Feldern wurde ich immer nützlicher, konnte die Weizengarben beladen helfen, etc. Diese Aktivität verpasste mir an einem ruhigen Abend einen bösen Schlag. Ich wollte eine Ladung Gras in die Tenne fahren, dafür musste ich das grosse Tennentor öffnen. Dieses war von innen mit einer dicken runden Eisenstange gesichert. Um aufzuschliessen, musste ich die Stange aus der Halterung liften und dann liess sich das Doppeltor aufmachen. Die Eltern nahmen dafür stets eine Gabel. Ich weiss nicht mehr, ob ich das auch schon gemacht hatte, oder ob es ein erster Versuch war? Auf jeden Fall hängte sich die Stange aus und sie fiel mit der Spitze direkt auf meinen Vorkopf. Blut spritze hoch und ich war halb betäubt, so lief ich in die Küche zu Mutter, die bei meinem Anblick richtig erschreckte. Ich musste nicht viel 70 71 erklären, der Fall war sofort klar. Sie legte einen breiten Verband über die Wunde, diesen befestigte sie unten am Hals, ich sah aus wie ein Kriegsverletzter, zum Glück musste ich damals noch nicht in die Schule. Die Wunde heilte schnell aus, es blieb eine kleine Einbuchtung, die mich später an den Vorfall erinnerte. Während dem Krieg war weit und breit nirgends ein Arzt vorhanden, ab 1945 hatten wir dann den Dr. Dupuis in Villamblard. Bis zum Schuleintritt war ich nie krank, danach jedoch genoss ich praktisch alle Kinderkrankheiten. Ein Arzt war nicht nötig, man wurde eines Tages wieder gesund, und damit war das Problem überwunden! Vom 6. bis zum 14. Altersjahr, war ich jedes Jahr einen Monat lang in der Schule krank gemeldet. Allein dadurch verlor ich rund ein ganzes Schuljahr! Die Masern, die man angeblich nur einmal kriegt, hatte ich gleich dreimal 36. Kapitel Die rettende Stimme Im Herbst gärten die gepressten Weintrauben im grossen Fass. Dieses mochte zwei oder zweieinhalb Meter hoch sein, selbst Vater benötigte eine Leiter um einzusteigen. Erst wurde der reine Wein eingebracht, danach wurde Wasser ins Fass geleert, um eine erneute Gärung zu veranlassen, daraus ergab sich dann der süffige „Piket“. In der Regel geschah das gegen Ende des Jahres. Im vorliegenden Fall im Jahr 1944. Wir hatten den leichten Wein bereits bezogen, danach musste man noch eine Weile zuwarten, bis das Gas im Fass entschwunden war, dieses hatte tödliche Wirkung, ähnlich wie jenes im „Güllenloch“. Vater war der Ansicht, 71 72 das Gas wäre weg und ich könnte das „Träsch“ hinaus werfen. Er musste aber noch einmal ins Wohnhaus hinüber etwas erledigen. Also tat ich, was ich immer schon tat, ich begann mit der Arbeit. Ich warf die Gabel ins Fass, stieg die Leiter hinauf und liess mich ins Fass runter fallen. Da stieg eine schwindel verursachende Welle von unten auf mich zu, sie erreichte bereits meine Nase, ich spürte, wie ich benebelt wurde, da hörte ich eine klare Stimme die mir ultimativ den Befehl gab:“Spring!“ Ich sprang mit aller Kraft hoch und konnte den Rand des Fasses ergreifen, ich schob mich mit letzter Energie über den Fassrand an die Aussenwand zur Leiter. Ich war gerettet! Das Ganze war eine Angelegenheit von weniger als einer Sekunde, das Gas begann schon in meiner Nase wie eine Art von Schwefel zu wirken. Nur eine weitere Sekunde und ich wäre bewusstlos im Fass gelegen! Als Vater zurück kam, sagte ich nur: „Das Gas ist noch nicht weg“. Er fragte gar nicht, weshalb ich das wusste, schaute aber selber noch nach und meinte:“Ja, es stimmt, und dazu noch sehr viel!“ Wir verschoben die Leerung auf ein paar Wochen. Selbst erwachsene Leute starben oft in solchen Situationen, weil diese Gase sehr schnell wirken, Kinder ohne Begleitung hatten in der Regel keine Chance, ja, selbst dann, wenn Vater draussen herumhantiert hätte, wäre ihm der ganze Vorgang zu spät bewusst geworden, weil ich in zwei oder drei Sekunden das Bewusstsein verloren hätte. Ich hatte aber eine „fremde Hilfe“, der Befehl war derart klar und zwingend, dass ich ruckartig reagierte und dadurch rauskam. Später versuchte ich rauszukriegen, in welcher Sprache dieser „Befehl“ erfolgte? Ich wurde nie klug daraus, es war weder Deutsch noch Französisch, eher eine „universale Sprache“! *************************************************** 72 73 37. Kapitel Banditen Im Herbst 1944 war für uns der Krieg vorbei, die Mitglieder der Resistance sollten ihre Waffen abgeben und ins zivile Leben zurück gehen. Eine kleine Minderheit aber, die tat das nicht, behielt Waffen und Munition, lebte weiterhin in den Wäldern versteckt. Statt Deutsche zu überfallen, waren es nun die eigenen Landsleute, welche sie um ihr Geld brachten. Die Methoden waren dabei unzimperlich, oft erschossen sie die Leute, wenn kein Geld vorhanden war.. Im Dorf waren wir einigermassen sicher, sie bevorzugten die Weiler und Höfe ausserhalb. Da war der Fall von der Familie Lestang, an einem Abend drangen Banditen in ihr Haus ein, sie verlangten Geld und erhielten nicht was sie wollten. Danach fesselten sie das Paar und hängten beide an der Decke mit Kopf nach unten auf, dabei verpassten sie ihnen Schläge bis in den frühen Morgen, aber Geld kam nicht hervor! Erst dann liessen sie von ihnen ab und verzogen sich, das Ehepaar wurde am Vormittag bewusstlos von Nachbarn entdeckt. Sie überlebten, ich erinnere mich noch gut an den grossen Verband, den Monsieur Lestang lange um den Kopf trug. Er war ein harter Kerl, ein Erster Weltkrieg Veteran. Vater zog daraus die Konsequenzen und kaufte sich ein Kleinkalibergewehr. Jetzt, da der Krieg aus war, mussten wir uns verteidigen. Es kamen keine ungebetene Besucher, erst zwei Jahre danach, doch davon später. Die Zeitung war täglich voll mit Nachrichten von Überfällen 73 74 im Südwesten. Ich lernte so lesen, bevor ich in die Schule ging. Wir legten uns damals auch erneut einen Hund zu, ich denke, wir hatten bereits 1943 einen grossen braunen Hund, den wir „Mira“ nannten. 1944, als die Soldaten kamen, war der besonders aggressiv und sie zielten sogar auf den Hund. Aus irgendwelchen Gründen musste wir diesen wieder weggeben, ich glaube, weil er stets kläfte, egal ob ein Huhn an ihm vorbei lief oder sonst irgend ein Geräusch zu vernehmen war. Der zweite Hund blieb länger, aber er war nicht mein Freund, stets an der Kette, zeigte er laufend seine vielen Zähne, knurrte und blieb immer aggressiv. Zudem wurden Leute mit Hunden trotzdem überfallen, die Hunde wurden mit Fleisch geködert. Auch Bruder Hans hatte sich wieder ins Zivilleben zurück gezogen. Ich fuhr mit dem Fahrrad oft zu ihm nach „La Veiciere“, dort wurden die herrlichen „Montbasilac-Weine“ produziert. Ich war ganz süchtig nach diesem süsslichen Wein mit dem Spezialaroma, darum brachte ich immer einige Flaschen mit nach Hause. Und wenn Hans zu uns kam, musste er auch mindestens drei Flaschen mitbringen. 38. Kapitel Das Brot Die Jahre 1943 und 44, waren in Sachen Lebensmittelbeschaffung, wohl die allerschlimmsten. Die Gemeinde gab zwar munter Lebensmittelmarken aus, aber es gab kaum etwas zum kaufen damit Einzig Brot war praktisch immer erhältlich, dieses musste ich jede Woche einmal in Villamblard holen. Als es an Weizen fehlte, weil die Deutschen alles für sich beanspruchten, wurde Maisbrot produziert. Das war derart 74 75 hart, dass wir kaum reinbeissen konnten. Im Sommer 44, war dann das Brot überhaupt nicht mehr geniessbar, es war voll von Abfällen, Ratten- und Mäusekot, und dergleichen Zeugs. Als jemand vorbei kam, leistete sich Vater den Spass, den Brotlaib wie einen Fussball in hohem Bogen in den Hof hinaus zu katapultieren. Nicht einmal die Schweine mochten dieses Brot fressen. Ich musste fortan nur noch Hefe einkaufen, damit Mutter selber ihr Brot backen konnte. Andere Leute im Dorf folgten ihrem Beispiel. In diesem Jahr waren wir praktisch zu hundert Prozent Selbstversorger. Auch mit Kleidung und Schuhwerk wurde es prekär, anfangs 43, waren meine Sandalen hin, ich lief während fast zwei Jahren barfuss umher. Anfangs 45, begann sich das Leben wieder zu normalisieren, aber die Kriegsfolgen blieben noch lange spürbar. Immerhin konnte ich wieder Schuhe tragen und auch neue kurze Hosen, Leibwäsche kannte ich erst viel später. Es gab wieder Bier und Limonade im Angebot, wenn auch nur eine Marke, war das doch schon ein grosser Erfolg. Die Männer stellten sich ihre Zigaretten selber her, mit einer einfachen Vorrichtung, ohne Filter. Praktisch alle Jugendlichen rauchten, seltsamerweise interessierte mich das nicht, ich probierte auch nie eine Zigarette aus. Auch das Kino im Dorf wurde wieder aktiviert, aber davon später. Noch eine Bemerkung zum Fahrrad, Gummischläuche gab es keine, deshalb fuhren sämtliche Fahrräder mit Vollgummireifen. Das hatte den Vorteil, dass man nie einen Platten einfuhr! Die wenigen Autos, welche sich in unsere Gegend verirrten, wurden mit Holzvergasern angetrieben. Oft Lastwagen mit Holz beladen, aber noch öfters deutsche Militärfahrzeuge. Nur sie hatten Sprit und durften diesen sinnlos verpuffen. 39. Kapitel 75 76 Der Schock Bis in den Frühsommer 1945, war ich immer noch der Ansicht, Menschen gehörten höheren Lebewesen an und wären auf keinen Fall mit Tieren identisch! Das bezog sich auf die Aufzucht, nachts sah ich die Sternschnuppen vom Himmel her runterkommen, ich war sicher, dass da Menschennachwuchs gebracht wurde. Auf mich bezogen, war ich immer noch überzeugt, dass ich in einer Raumkapsel abgeliefert wurde. Aber je mehr ich mich umsah, wurde mir bewusst, dass ich mich wohl getäuscht hatte, seit anfangs 45, verkündeten meine Eltern, ich würde schon bald eine kleine Schwester erhalten. Ich war wütend, sagte, ich wolle keine Schwester und keinen Bruder, sie sollten den Auftrag rückgängig machen. Danach versteckte ich alle meine Sachen aus der Säuglingszeit im Schafstall, den nannten wir so, obwohl wir nie Schafe hatten. Mein Protest brachte nichts ein, wie wir später sehen werden. Weil gleichzeitig auch die Frau des Monsieur Blondi schwanger war, kam mir ein übler Gedanke auf, ja es war mehr als ein Schock für mich, wurden die Menschen gleich gezeugt wie die Kälber, Schweine, Schafe etc.? Tiere waren doch anders, sie konnten nicht sprechen, waren dümmer! Langsam wurde mir bewusst, weshalb Frauen einen Busen hatten, angeblich sollte da auch Milch hervorgebracht werden! Und dass sie lange Haare und Röcke trugen, hatte vermutlich auch seine guten Gründe. Der Schock war gross, noch immer konnte ich es nicht begreifen, wenn wir mit einer Kuh zum Bullen gingen, kam dieser mit heraushängender Zunge aus dem Stall, bestieg die Kuh und steckte seinen langen Stab irgenwo hinein, dann 76 77 sank er müde auf die Seite und verschwand mit dem Bauern wieder im Stall. War das bei den Menschen auch so? Natürlich getraute ich mich nicht danach zu fragen. Es hiess doch immerzu: „dafür bist Du noch zu jung“. Mein Respekt vor der menschlichen Kreatur sank auf den Nullpunkt. Aber noch blieb ein letzter Funke Hoffnung, dass ich mich möglicherweise getäuscht hatte. Bis zum zweiten Schock, der sich im Frühjahr 45, kurz vor Schulbeginn erreignete. Ich schlenderte in Richtung stilles Tal, ohne aber ein Ziel zu haben, schaute einem Arbeiter zu, wie er den Laubhag entlang dem Weg schnitt, ich denke, Vater hatte ihn dafür angestellt. Ich verspürte plötzlich das Bedürfnis, pinkeln zu müssen, machte das Ding frei und erlitt einen Schock, dieser Winzling war böse angschwollen und hart! In nackter Panik packte ich ihn ein und rannte ins Haus zurück. Ich dachte, da hat mich wieder so eine Krankheit erwischt. Bei Mutter angelangt packte ich wieder aus und sagte ganz aufgerecgt:“ alles ist geschwollen, vermutlich haben mich die Hornissen erwischt?“ Mutter lachte nur und sagte, das bilde ich mir nur ein, es gäbe doch gar keine Geschwulst! Jetzt erst schaute ich selber hin und schämte mich, ja, da war absolut nichts, ich packte ein und verzog mich den ganzen Tag. Einige Monate später, sah ich dieses Phänomen aus einem anderen Blickwinkel. Ich hoffte natürlich sehr, dass Mutter diesen Zwischenfall wieder vergessen hatte. 40. Kapitel Die Kriegsgefangenen 77 78 In Frankreich war der Krieg bereits gegen Ende 1944 vorbei, die deutschen Kriegsgefangenen wurden zu Landdiensten eingesetzt. Jeder französische Bauer durfte Gefangene beantragen, wir jedoch nicht, Ausländer waren dazu nicht berechtigt. Unser halbadliger Nachbar „Fougret“ erhielt zwei Gefangene zugesprochen. Diese wurden in einem etwas abgelegenen Hühnerstall untergebracht. Ausser Verpflegung erhielten sie keinerlei Entschädigungen. Viele Gefangene wurden aber misshandelt, weil sie für die Morde in der Gegend büssen mussten. Die Fougrets liessen ihre Männer in Ruhe, verwöhnten sie aber auch nicht, eher verachteten sie diese. Es wurde ihnen erlaubt, an den langen Abenden zu uns hinüber zu kommen, sie hatten sonst keinerlei Möglichkeiten, mit jemandem Deutsch zu sprechen. Der ältere hiess Vinzenz, er war schon um die 45 bis 50, der jüngere war der Fritz aus Leipzip. Fritz mochte etwa 25 Jahre zählen, war gross und blond, während der Vinzenz eher kleinwüchsig war, soviel ich mich erinnere, kam er aus dem Rheinland. Und sie wussten viel zu erzählen, Fritz erlebte die Ostfront, während Vinzenz das Glück hatte, immer im Westen zu kämpfen. Anfänglich verstand ich nur wenig, doch allmählich gewöhnte ich mich an ihre Sprache. Ich hörte ihren Erzählungen zu, manchmal bis weit über Mittenacht hinaus. Wenn ich ins Bett gehen sollte, verkroch ich mich unter den Tisch, die Eltern dachten dann, ich wäre im Bett. Seltsamerweise habe ich sämtliche Erzählungen vergessen. Die beiden Lanzer jedoch nicht, wer denkt, die hätten ein miserables Leben geführt, irrt sich, sie verstanden es, sich im Hühnerstall bequem einzurichten, sie erhielten genug Essen, auch Wein. Und sie waren sehr glücklich, dass der Krieg vorbei war und sie ohne grossen Schaden überlebt haben. Sie trugen nach wie vor Wehrmachtskleider, oft nur die Hose, oder aber die Jacken, die Rangabzeichen wurden ihnen abgetrennt. Kann 78 79 mich aber nicht erinnern, dass sie auf dem Rücken die Markierung „POW.“ oder ähnlich aufwiesen. Nach rund zwei Jahren durften sie nach Hause zurück. Noch einige Jahre erhielten wir später ihre Neujahrswünsche und sie bedankten sich stets für die damalige Zeit. Etwa um 1951/52, erhielten wir die Nachricht, dass Vinzenz verstorben war. Der Fritz lebte in der damaligen DDR, (Ostzone) nach 1953, kamen keine Briefe mehr. 41. Kapitel Ich muss in die Schule! Das musste ja einmal kommen, die Eltern machten ab und zu Bemerkungen, ich hätte nach französischem Gesetz, bereits im Herbst 44, eingeschult werden müssen. Aber ich wollte nicht, mochte mich nicht von meiner paradiesischen Welt trennen, besonders scheute ich mich vor dem Kontakt mit anderen Kindern. Eigentlich war ich sehr lernbegierig, das war ein Punkt, der dafür sprach. Doch bis zum Frühjahr 1945 lebte ich fast wie ein Einsiedler mit den Tieren, die Eltern sah ich oft nur anlässlich der Mahlzeiten, unsere Konversation beschränkte sich aufs Minimum, zu sehr waren sie mit dem Landgut beschäftigt, das sie kaum zur Hälfte bearbeiten konnten. Ich sprach wenig Französisch und kannte auch nur ein paar Wörter auf Schweizerdeutsch. Im April 1945 schlugen die Eltern zu, es war eine Überraschung für mich, am Morgen sagte Vater:“So, heute gehst Du in die Schule, in der Schweiz müsstest Du jetzt auch einschulen!“ Sie wussten genau, hätten sie mir das am 79 80 Tag zuvor gesagt, ich wäre den ganzen Tag verschwunden geblieben. Ich protestierte, aber umsonst, Mutter nahm meine linke Hand und wir liefen in Richtung Dorfschule. Anfänglich musste sie mich mehr schleppen und ziehen, sie redete laufend auf mich ein, dass ich gar keine Wahl hätte, jedes Kind müsse in die Schule. Irgendwie begann sie die grossen Vorteile aufzuzählen, weil ich mich erinnere, dass ich den zweiten Teil des nur etwa 300 Meter langen Schulweges schon fast ohne Widerstand mitging. Was danach an diesem Tag in der Schule war, das habe ich ganz vergessen, ich wurde zu den anderen kleinen Kindern im hinteren Teil des grossen Schulzimmers plaziert. Dieser Vorgang vollzog sich ohne nennenswerte Probleme. Ich stellte fest, dass der Lucien Flasha, der schon seit bald einem Jahr die Schulbank drückte, bereits vorne in der Mitte sass. Ich denke, der war bereits in der zweiten Primarklasse. Mich störte dies überhaupt nicht. Um mich sassen fast nur kleine Mädchen, alle jünger als ich. Noch kannte ich den Unterschied zwischen männlich und weiblich nicht so genau. Für mich war eine Epoche vorbei, die mich wohl für immer geprägt hatte. Das faszinierende Leben mit der Natur und allen ihren Lebewesen, natürlich weilte ich auch weiterhin im stillen Tal und hütete die Kühe. Aber ich war nun in Kontakt mit anderen Menschen, hatte einen Kollegen, den Lucien. Dieser wuchs weniger einsam auf und wusste Dinge, die ich erst noch lernen musste! 42. Kapitel Die Läuse Offenbar verlief die Umstellung auf die Schule relativ ohne grössere Schwierigkeiten, sonst könnte ich mich daran besser erinnern. Dafür gab es einige Sachverhalte, die sich mir auf ewige Zeiten eingeprägt haben. 80 81 Madame Luca, die Lehrerin, überliess uns hinten im Raum unserem Schicksal. Wir trieben allerlei Spiele und Unfug, vor mir sass eines der vielen Martinez Mädchen, auf ihren blonden Haaren konnte ich die Läuse tanzen sehen. Schon nach drei Tagen waren auch meine Kopfhaare voller Läuse. Mutter griff zur Radikalkur, schnitt meine Haare Milimeter kurz und dann wusch sie mich mit Seife, bis die letzte Laus weg war. Meine Läuse waren weg, nun machte auch die Lehrerin Läusekontrollen, auch sie war der Ansicht, die Martinez Schüler wären daran schuld. Und in jeder Klasse sass ein Martinez, das war eine besondere Familie, die sich nicht um Gesetze kümmerte. Ich weiss nicht mehr, ob die Martinez von der Schule gewiesen wurden oder aber diese die Schule boykottierten? Auf jeden Fall herrschte zwischen den Martinez und Frankreich ein offener Krieg. Und 1947 oder 48, kam es zu einer offenen Schlacht am Berg der Martinez, ich erfuhr nur bruckstückhaft davon, eine grössere Einheit der Polizei griff den Hof an, die Martinez waren gut bewaffnet und schossen zurück. Die Polizei musste sich zurück ziehen und ich denke, es gab auch Tote, genau weiss ich es nicht. Man durfte sich dem Berg nicht nähern, sie schossen auf alle, die es versuchten. Als wir im Herbst 1948 in die Schweiz zurück kehrten, war der Krieg noch nicht beendet. Die Martinez zeugten viele Kinder, darunter waren auch zahlreiche Mädchen, einmal, auf der Simonette, erwischte ich eins von ihnen, als es sich daran machte, an einen Heuhaufen zu pinkeln. Ich konnte das erfolgreich verhindern, indem ich sie laufend störte. Die ersten Monate mussten wir auch nichts lernen, dafür amüsierte ich mich mit den Ratten, welche oben an der Decke durch ein faustgrosses Loch hinunter schauten, besonders lustig wars, wenn sie ihre langen Schwänze frech hinunter hängen liessen. Und oft fielen sie selber beinahe hinunter, krallten sich emsig an der Kannte um sich nach oben zu liften. Das was gute Unterhaltung und ich fand 81 82 die Schule richtig lässig. Und einmal fiel tatsächlich eine Riesenratte hinunter, sie rannte wild umher und verschwand in einem Loch, das hinten in den Untergrund führte. Das war der Höhepunkt der Spannungen, ich wartete jeden Tag auf die nächste Ratte, aber es fiel keine mehr hinunter. Obwohl wir im Schulzimmer neben Mädchen sassen, war es strengstens verboten, in der Pause in die Mädchenabteilung zu gehen. 43. Kapitel Indochina Die lange Wand im Schulzimmer rechts von mir, wies ein viele Meter langes Wandgemälde auf. Oben stand in grossen Buchstaben „Indochine“ geschrieben, ferner war ein Reisfeld und eine Zuckerrohrplantage zu sehen, darin arbeiteten schlanke Frauen in langen Gewändern, auf den Köpfen trugen sie konische Hüte. Ihre Gesichter waren anders als die der Frauen in Frankreich, feiner, hübscher, mit kleinen braunen Augen. Und aus dem Schilf schaute noch eine Riesenschlange, diese war mir weniger sympatisch. Ich hatte viel Zeit, diese Bilder zu studieren, und ich prägte mir fast jedes Detail ein. Tief im Unterbewusstsein regte sich bereits ein Drang, einmal in diese wundersame Gebiete zu reisen. Noch hatte ich keine Ahnung, wo sich „Indochine“ befand. Im Laufe des Unterrichts, vernahm ich bruchstückhaft, dass Frankreich zu den grossen, hochzivilisierten Nationen der Erde gehörte, 82 83 dass „Indochine“ nur eine Kolonie von vielen war, und sich in Laos, Kambodscha und Vietnam unterteilen liess. Dass fast die Hälfte von Afrika zu Frankreich gehörte, und auch Länder in Südamerika und Ozeanien. Was noch mehr zählte, dass die Franzosen, als absolutes Herrenvolk, alle diese Länder kontrollierten und ausbeuteten. Allerdings bringe Frankreich diesen auch neue Werte bei, wie die Schriftsprache, sowie Kultur und Bildung. Mich faszinierte diese fremdartige Umgebung, sie übte einen beinahe magischen Einfluss auf mich aus. Was ich damals nicht wissen konnte, etwa zur selben Zeit, (1945) rief der legendäre Führer der Vietnamesen, Ho-Chi-Minh,(Onkel Ho) in Hanoi, Nordvietnam, die Unabhängigkeit von Frankreich aus. Das gefiel den Franzosen nicht, sie entsandten Truppen und ein jahrelanger langer Krieg begann. Die Franzosen wurden am 7. Mai 1954, in Dien Bien Phu, vernichtend geschlagen und mussten schliesslich doch abziehen. Das Land wurde in Nord- und Südvietnam geteilt. Der Süden wurde zum Protektorat der USA, ein neuer, noch viel brutalerer Krieg begann 1963, diesmal gegen die USA und vielen ihrer verbündeten Staaten in Ost und West. Nach Millionen von Toten, endete der Krieg am 30. April 1975 mit dem totalen Sieg der Nordvietnamesen und des Vietcongs. Für mich kam noch hinzu, dass Hans von 1950 bis 1961 in der französischen Fremdenlegion diente, er geriet noch vor Dien Bien Phu auf einem Vorposten in Gefangenschaft. Konnte fliehen und überleben! Er weilte von 1951 bis 1955 in Vietnam, Laos und Kambodscha, oder „Indochina“ wie es die Franzosen damals noch nannten. Anfänglich amüsierte mich der Krieg in Vietnam, als im Radio gemeldet wurde, der Vietminh transportiere Schwere Artilerie mit den Elephanten auf die Hügel von Dien Bien Phu, konnte ich vor Aufregung kaum noch schlafen, das war im April 1954. Dass möglicherweise Hans dort in der Falle 83 84 sass, war mir gleichgültig, meine Sympathie galt nur den Viets. Die brutale und gewaltige Materialschlacht der USA gegen das Volk von Vietnam, setzte meiner Lebensqualität sehr zu, die schnell ergrauten Kopfhaare waren wohl weitere Folgen des passiven Leidens. Ich war schon 1964 gegen diesen Krieg, aber die Welt nahm erst viel später davon Kenntnis, etwa ab 1968. Ich nahm jede Gelegenheit wahr, um gegen diesen ungerechten (gerechte Kriege gibt es nicht) Krieg zu protestieren. Bei Abstimmungen, wenn da der Name eines Kanditaten aufzuschreiben war, schrieb ich:“Ho-ChiMinh“. Ich wollte so die Leute wachrütteln, und schliesslich hat der weltweite, zivile Protest, diesen Massenmorden ein Ende gesetzt. Leider ist der Geist von damals verloren gegangen! *************************************************** 44. Kapitel Spiele unter dem Pult Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich einen, zwei oder drei Monate untätig hinten im Schulzimmer sass? Ein Vorfall, der bereits in den ersten Wochen stattfand, überstieg damals mein Verständnisvermögen, ich begriff erst später den Zusammenhang, wobei mir aber gewisse Fakten unbeantwortet blieben. Links von mir sass ein kleines Mädchen, das wohl erst vierjährig sein mochte, ihren Namen habe ich vergessen, sie trug eine Kombination von Hosenrock, die Hinterseite liess sich mittels zwei Knöpfen öffnen und der nackte Popo wurde sichtbar. Ich fand das sehr lustig und unterhaltsam, indem ich öfters die beiden Knöpfe öffnete. Rechts von mir war die Elise Vergang, eine Jugoslawin, deren Clan oben in einem Weiler „Labertini“genannt, ein Gut bewirtschafteten. Die Elise war etwa gleich alt wie ich, zwischen 6 ½ und 7 Jahren. An einem ruhigen Nachmittag 84 85 forderte sie mich auf, zu ihr unter das Pult zu kommen. Ich folgte der Aufforderung und hockte mich ihr gegenüber. Da zog sie ihr Höschen aus und spreitzte die Haut, welche sich an jener Stelle befand, wo bei mir das Pinkelding war. Gebannt starrte ich auf ihre Hände, welche einen breiten, roten Streifen freilegten, ich konnte kaum etwas erkennen, auch keinen Penis. Ich dachte, es handle sich da um eine Fehlentwicklung, sah ich doch noch nie zuvor ein Mädchen. Jetzt forderte sie mich auf, meinerseits auch etwas freizumachen, ohne zu zögern folgte ich ihrem Auftrag. Mein Ding war natürlich winzig klein und weich. Dann sagte sie laut:“il faut quiqueueter, aller quiqueueter avec moi!“Ich begriff rein nichts und verstand auch nicht, was sie wollte, sie schob dann ihren Unterkörper nahe an mich, aber ich blieb wie angewurzelt in der Hocke. Nach einer Weile ging ich wieder nach oben, spielte lieber mit dem Hosenrock der anderen Nachbarin. Die Elise war sehr sauer, sie sprach nie mehr mit mir, ich wusste nicht weshalb. Was hatte ich falsch gemacht? Es dauerte nicht mehr lange, bis ich diese Geschichte verstehen konnte, irgendwie schämte ich mich über meine Naivität. Ich sinnierte dem Wort „quiqueueter“ nach, ja, „queue“ hiess Schwanz, und den Rest konnte man als „Schwanzdrücken“ oder so, definieren. Ich machte mir später schon Gedanken über dieses Abenteuer, weshalb wusste die Elise soviel, und warum war sie dort relativ gross entwickelt. Da mussten doch irgendwelche Personen aktiv mitgewirkt haben! Ab dem 9. Altersjahr kam sie nicht mehr zur Schule, entweder wurde sie im Clan der Jugos verheiratet, war schwanger oder sonstwie verhindert? Die Zeitung, „La Republique Francaise“, meine einzige Lektüre ab 1945/46, meldete damals oft Geburten von Mädchen unter 11 Jahren, ich begann diese Meldungen zu sammeln, unter vielen anderen, wie zum Beispiel Raubüberfälle. Einmal war ein Fall einer Neunjährigen aus unserer Gegend in der Zeitung, leider wurden aber die Namen nie veröffentlicht. Ich dachte aber an die Elise Vergang. 85 86 Dieses Erreignis gehört zu den wohl ausgefallensten und seltsamsten in der ganzen Biographie. 45. Kapitel Der Kopf steigt in den Himmel auf. Mit dem Schulbeginn verliess ich auch meine kleine Welt, musste Dinge wahrnehmen, die mir völlig neu waren und mich oft richtig schockierten. Aber die Aussenwelt war die Realität, meine Welt nur eine Illusion! Wir feierten Weihnachten und Ostern, weshalb, das wusste ich nicht, denn wir praktizierten keinerlei Religion, Gebete, Rituale und dergleichen. An Weihnachten erhielt ich ein kleines Geschenk und wir stellten einen kleinen Weihnachtsbaum auf, an Ostern versteckte der Osterhase, ein schönes Nestlein mit gelben Strohblumen und gefärbten Eiern irgendwo im Hof. Natürlich wusste ich, dass Vater der Osterhase war, aber ich sagte nie etwas dazu, wenn ich das Nest nicht finden konnte, fragte ich ihn ob die Suche „heiss“ oder „kalt“ verlief? Er musste wissen, dass ich Bescheid wusste, wir sprachen jedoch nie darüber. Vielmehr fand ich grossen Spass daran und ernannte meinerseits das grösste Kaninchen im Stall zum Osterhasen. In der Schule waren alle Schüler katholisch, ausser meine Person natürlich, ich war ja anders. Einmal die Woche war Religionsunterricht in der nahen Kirche, ich durfte jeweils nach Hause gehen. In Frankreich gilt seit anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts der Laizismus, was völlige Trennung von Kirche und Staat bedeutet. Daher gab es in der Schule keinen religiösen Unterricht. Die Zeit der Gesetzlosigkeit und Spielerei hinten im Schulzimmer war 86 87 vorbei, die Lehrerin liess mich weit vorne neben der Cecille Camille sitzen, eine ruhige, etwas schüchterne Schülerin, keinerlei Vergleich mit der Elise Vergan. Sie liess mich in Ruhe und ich konnte mich besser auf das Lehrmaterial konzentrieren. Sie klärte mich aber auf einem gänzlich anderen Gebiet auf, anlässlich einer Beerdigungszeremonie in der Kirche nebenan, erklärte sie mir, nachdem die Glocken verklungen waren, jetzt solle ich gut hinschauen, in diesem Augenblick steige nämlich der Kopf des Toten in den Himmel hinauf. Ich schaute angestrengt in den blauen Himmel, konnte aber beim besten Willen keinen aufsteigenden Kopf erkennen, nicht einmal eine kleine Rauchwolke, wie sie zu sehen vorgab. Sie bemerkte, man müsse eben schon sehr genau hinsehen, weil der Kopf fast unsichtbar geworden sei! Zudem wäre ich ja ein „Ungläubiger“ und schon daher nicht fähig, den „Aufstieg“ zu erkennen. Ich lauschte ihr etwas skeptisch zu, einerseits wäre dieser „Aufstieg“ ja mit meinen Theorien vereinbar gewesen, wenn der Mensch in einer Raumkapsel auf die Erde kam, weshalb sollte er nicht auch wieder in den Himmel verschwinden? Ich musste wieder viel über dieses Gespräch nachsinnen, einerseits dachte ich, diese Theorie der Katholiken müsse ein Riesenschwindel sein, wenn die Toten doch in den Friedhof gebracht wurden, konnten sie ja nicht gleichzeitig in den Himmel fahren! Wie zuvor schon Uniformen und Ärzte, wurde nun auch die Kirche zu einem unheimlichen Monster für mich! Insgeheim interessierte es mich schon, was die Leute in diese Rituale trieb? Und einmal konnte ich gar einen Blick in die Kirche werfen, das war derart komisch, dass ich mir diese Stätte gut als Wohnort für die Teufeln und Engeln vorstellen konnte. Und es roch nach Katakomben und Müllhalde. Eine Geisterbahn hätte nicht gruseliger sein können! 87 88 46. Kapitel Ich kriege eine Ohrfeige An die einzelnen Schulfächer erinnere ich mich kaum noch. Ausser lesen, schreiben, rechnen sowie Geschichte und Geographie, waren noch weitere Gebiete, aber ich erinnere mich nur an ein Fach, das heute kaum noch existiert und doch vordringlich nötig wäre. Es hiess „Moral“, jeden Morgen waren die ersten 45 Minuten dafür reserviert. Da wurde Anstand, richtiges Benehmen den Erwachsenen gegenüber, Sauberkeit, Hygiene und vieles mehr doziert. Dieses Fach umfasste alle Lebensumstände und war auch als Ersatz bei jenen Kindern gedacht, welche zu Hause nicht ausreichend erzogen wurden. Wenn Seuchen ausbrachen, was nach dem Krieg oft geschah, wurden Verhaltensmassregeln ausgegeben. Der Unterricht ging nun zügig voran, fast täglich war auch ein kurzes Diktat fällig. Und ich war da immer der Klassenbeste, allerding mit einem kleinen Trick. Wir hatten damals keine Schiefertafeln, nur welche aus Kartonmaterial. Vor dem Diktat durften wir die Sätze auf der Kartontafel niederschreiben, dann musste das Ganze ausgewischt werden, wir mussten mit dem Rücken zur Wandtafel sitzen und das Diktat begann. Die Lehrerin diktierte langsam und wir schrieben die Sätze auf die Kartontafel. Ich hatte eine eigene Methode entwickelt, ich „gravierte“ die Sätze in den Karton, anlässlich des Diktats musste ich nur den fast unsichtbaren Rillen entlangfahren. Und das Unheil kam mit Riesenschritten auf mich zu, ich konzentrierte mich ganz auf die Rillen im Karton. Plötzlich klatschte die Hand der Lehrerin auf meine rechte Wange. „Du weisst schon warum“, sagte sie nur beiläufig und ging nicht weiter auf den Vorfall ein. Was war geschehen, sie 88 89 stand hinter mir und beobachtete mich, dabei stellte sie fest, dass ich etwas mogelte. Mir war durchaus klar, dass ich im Fehler war, empfand den Klaps als berechtigt. Dabei nahm ich mir vor, dass dies die erste und letzte Körperstrafe sein solle, fortan wollte ich keinen Anlass mehr dazu bieten, und sollte ich trotzdem zu unrecht bestraft werden, würde ich mich dafür rächen. Ich konnte mein Vorhaben in allen Situationen durchziehen und einhalten, womit bewiesen ist, dass man auch mit sieben Jahren bereits klare und realistische Ziele setzen kann. Ich blieb auch ohne die Anwendung meines Tricks bei den Klassenbesten, musste einfach etwas intensiver lernen. ************************************************ 47.Kapitel Der 14. Juli In der Schule wurde ich allmählich zum Franzosen erzogen, zu Hause war das nicht der Fall. Die Eltern schwärmten oft von der paradiesischen Schweiz, die Ordnung und Sauberkeit, die vielen guten Nahrungsmittel, wie Schokolade, Gebäcke, Käse, Wurstwaren und dergleichen Spezialitäten, von denen ich nichts wusste. Die Schule war während den Sommermonaten Juni, Juli und August geschlossen. Im September begann jeweils das neue Schuljahr. Die Sommer waren sehr heiss und trocken, nur von wenigen sehr heftigen Gewittern unterbrochen. Im Jahr 1947, war es aber extrem trocken, nahezu 5 Monate ohne Regen, der trockenste Sommer des Jahrhunderts. Die Felder waren gelb-braun, wiesen grosse Risse auf, man konnte durchaus mit einem Fuss darin stecken bleiben. Die Weizenernte war entsprechend klein, auch die anderen Erzeugnisse blieben weit unter den Erwartungen. Dafür waren die Trauben süss wie noch nie zuvor. 89 90 Der 14. Juli ist bekanntlich der Nationalfeiertag in Frankreich. Bis 1944 wurde dieser aber kaum gefeiert, das Land stand unter der deutschen Besatzungsmacht. Ab 1945, wurde dann umso intensiver gefeiert, ich deckte mich in Villamblard mit Knallfröschen und Petarden ein. Am Abend wurde auf dem Areal der Fougrets, ein grosses Feuer entfacht. Dazu gesellten sich stets viele Leute, mehr als das Dorf Einwohner zählte. Auch grössere Knaben aus der Umgebung waren dabei, sie pflegten über das Feuer zu springen. Das war für mich und den Lucien Flacha eine Herausforderung, was die grossen Buben konnten, das konnten wir auch! Erst sprang der Lucien, er war ja mein Vorbild, dann ich, ich nahm viel Anlauf, es musste gelingen! Und ich schaffte es, allerdings mit angesengten Haaren und die Haut roch auch wie nach Grill. Ich realisierte, dass ich noch schneller übers Feuer springen musste, um die Haare nicht ansengen zu lassen. Es ging jedes Mal besser und wir boten alle Jahre einen kleinen Wettkampf zur Unterhaltung der Leute. Ich blieb der Sache treu bis 1948, dem Jahr, in dem wir in die Schweiz zurück reisten. Bis etwa zum 8. Lebensjahr hatte ich hellblonde Kopfhaare, vom 9. bis 16. Jahr wurden sie dunkelblond. In Villamblard konnte man das ganze Jahr hindurch Knallkörper kaufen, ich verbrauchte einen Teil meines Taschengeldes für dieses Räucherwerk. Es knallte daher ab und zu im Hof, doch niemand beschwerte sich, weil die nächsten Nachbarn zu weit entfernt waren. 48. Kapitel Die blutende Nase Madame Chasot starb kurz nach der Razzia durch die Deutschen. Ihre alte Zofe verschwand danach auch bald und 90 91 das Schloss blieb unbewohnt. Irgendwie gelang es mir, in die Räumlichkeiten zu gelangen, wie, das habe ich vergessen. In einem Abstellraum fand ich eine Menge Spielwaren, darunter auch farbige Glaskugeln, konische Spulen, die man mit einer Schnur auf den Boden schleudern konnte, wo sie sich je nach Technik mehr oder weniger lang um die eigene Achse drehten. Es war in den ersten Schulwochen, meine Französischkenntnisse waren noch sehr beschränkt, als ich eine Anzahl dieser Dinger mit in die Schule brachte. Schon bald war ich auf dem Pausenplatz von einer Anzahl grösserer Knaben umringt, sie wollten vernehmen, woher ich all diese schönen Sachen hatte? In meinem naiven Stolz verkündete ich, ich wüsste ein grosses Geheimlager, aber ich dürfe den Ort nicht preisgeben. Das war wohl für einen der grossen Buben zuviel, er schlug mir seine Faust mit ganzer Kraft ins Gesicht. Blut spritzte aus meiner Nase. In diesem Augenblick erschien der Lehrer und befahl mir:“Spreize die Beine auseinander!“aber ich verstand das nicht, erst als er es selber vorzeigte, begriff ich was er meinte. Ich musste zudem das Gesicht nach oben richten, dadurch ging die Nasenblutung zurück. Meine Kleider blieben mit nur wenigen Flecken noch relativ sauber. Der Lehrer wies den Knaben zurecht und meinerseits nahm ich mir vor, inskünftig meine Geheimnisse für mich zu behalten. Es war eine böse Lektion, die mir zur Kenntnis brachte, dass sich Grosszügigkeit nicht auszahlt. Das Schloss blieb, bis zur unserer Rückkehr in die Schweiz, unbewohnt. In Frankreich gibt es unzählige Schlösser und ähnliche Bauten, besonders im Südwesten sind viele verkümmert, deren Unterhalt ist sehr aufwändig und kann oft von den Erben nicht finanziert werden. In praktisch jedem Bauerndorf findet man einige schlossähnliche Gebäude, in denen früher die Herrschaften wohnten, etwa wie bei uns die Fougrets und die Chasots. Der Unterschied zu den Bauernhäusern ist markant, wenn ich im Schloss 91 92 war, fühlte ich mich in einer anderen Welt. Unsere Wohnräume hingegen, unterschieden sich kaum von den Viehgehegen. Kein fliessendes Wasser, keine Toiletten, Minifenster, zum Teil Naturböden, usw. 49. Kapitel Wir dürfen ins Kino Nach dem Krieg gings aufwärts, wenn auch anfäglich nur langsam, dafür stetig und unaufhaltsam. Vater kaufte uns ein Radio, ein Mittelwellenempfänger, für mich war das ein Wunderding, ein Vorgeschmack, was noch alles neu kommen mochte! Ich hatte auch schon meinen Lieblingssender geortet, nämlich „Radio Andora“. Die Ansagerin war voller Humor und Lebensfreude, ihre sonore Stimme beeindruckte mich ungemein, ich stellte sie mir schwarzhaarig mit weisser Haut vor. Einmal sprach sie Französisch dann wieder Spanisch, sie war wohl meine erste platonische „Fernliebe“? Neben dem Radio hatten wir noch die Lokalzeitung aus Bordeaux, auch diese war für mich eine tägliche Lektüre wert. Dann erschien etwa einmal im Jahr der Zirkus „Bouglione“, kann mich aber nicht erinnern, dass ich da einmal dabei war. Dafür organisierte unser Lehrer zweiwöchentliche Kinovorführungen im Schulhaus. Die Filme, meistens französische und amerikanische, wurden dabei in grossen Postern angekündigt, Liebesfilme und Krimis, auch historische Erreignisse fehlten nicht. Die Kinoabende waren für die Erwachsenen bestimmt, aber der Lehrer meinte es gut mit uns, wer sich bereit erklärte, bei der Erwachsenenbestuhlung mitzuwirken, durfte umsonst ins Kino. 92 93 Das war Musik für Lucien und mich, wir waren von anbeginn dabei und verpassten keinen Film! Und es waren keine Kinderfilme, solche zeigte uns der Lehrer einmal in der Schulstunde. Eine Art von Trickfilm, wir schauten kaum hin, kein Vergleich mit den echten Kinofilmen! Da war einmal sogar eine Vergewaltigungs-Szene dabei, zumindest nahmen Lucien und ich das an. Nach Kinoschluss, mussten wir wieder Kinderbestuhlung herstellen, wir gingen dadurch oft erst gegen Mitternacht schlafen, auch das war kein Problem, begannen doch die Schulstunden nie vor 9 Uhr. Lucien hatte aber einen wesentlich längeren Weg nach Hause, wenn er etwas später erschien, war er dafür entschuldigt. Die Lehrerschaft wusste seine Dienste zu würdigen! Dieser Nebenjob war ganz nach unserem Gusto, weil wir sonst als Kinder keinen Eintritt gehabt hätten und auch das Geld dazu nicht hätten aufbringen können. An sich habe ich praktisch alle Filmszenen vergessen, ein Fall blieb mit aber noch, da wurden in einem Krimi zwei oder drei Leute lebendig zwischen zwei Mauern eingesperrt und zugemauert, Jahre später, als die Mauern abgebrochen wurden, fielen die Skelette herunter! Dieser Vorgang war derart brutal, dass er sich wie ein Horrorerlebnis nachempfinden liess. An sich hatten wir damals als Kinder sehr viel Freiheiten, durften Weine und Biere konsumieren, manche rauchten sogar Zigaretten, durften ins Kino, Knallkörper zünden, uvm., mir wurde das aber erst viel später bewusst, als ich diese Freiheiten nicht mehr hatte. Ob mir all das geschadet hat? Das weiss ich nicht, ich erinnere mich aber, dass ich am meisten kriminelle Ideen ausgerechnet aus der Zeitung entnahm, also nicht etwa vom Kino befruchtet wurde! *************************************************** 93 94 50. Kapitel Klara, die Schwester Alle meine Proteste nützten nichts, ich sollte eine Schwester oder einen Bruder erhalten, nicht von den Sternen, sondern aus dem Bauch meiner Mutter! Aus mit den schönen Illusionen, die Menschen kämen in Raumschiffen auf diese Erde, nein, sie wurden wie die Tiere geboren, für mich ein ordentlicher Schock! Der Schock kam nicht abrupt, sondern Stufe um Stufe, ich musste mich mit der Realität abfinden, doch etwas blieb zurück, ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass es doch welche geben müsste, die von weit her kamen und ein viel höheres Niveau aufwiesen! Auf jeden Fall machte ich mich später auf die Suche nach diesen Supermenschen, ich fand aber keine, nur tierische Wesen, welche zwar lesen und schreiben konnten, aber sich im übrigen nicht wesentlich von den andern Säugetieren unterschieden, vielleicht doch, denn die Spezie Mensch war noch viel brutaler als es jedes Tier sein konnte, besonders aber mit seiner eigenen Art! Nun also sollte ich nicht mehr alleine sein, Bruder Hans war ja stets abwesend, ich aber wollte allein bleiben, das liess ich die Eltern wissen, doch es hiess dann, die Bestellung sei unterwegs und sie könnten die nicht einfach rückgängig machen. Und weil ich inzwischen auch wusste, dass Mutter seit Januar 45, täglich dicker wurde, und am Schluss kugelrund war. Sah ich ein, dass dies nicht so weiter gehen konnte, sie wurde nach Bergerac gebracht, angeblich um das neue Kind heraus zu nehmen. Schon bald kehrte sie mit einem kleinen Bündel in den Armen zurück: „das ist Klärli oder Klara“, du hast jetzt eine Schwester“. Ich schaute teilnahmslos auf das winzige Ding, fühlte fast sowas wie bedauern mit ihm, aber mehr nicht. Dann hörte ich noch eine Konversation, die nicht für mich bestimmt war, die mir aber keine Ruhe liess, der Arzt 94 95 habe erklärt, das Kind werde nicht sehr alt, weil es mit Albumin (Eiweiss) überdosiert sei! Und meine Beunruhigung war nicht unbegründet, denn mit diesem Tag begann ein vieljähriges Familiendrama. Meine generelle Abneigung sowohl für eine Schwester, wie auch später den Bruder, konnte ich eigentlich nur mit dem „Alleinseinwollen“ begründen, erst später, als alles schief lief, überlegte ich, ob ich da möglicherweise Informationen aus einer anderen Dimension hatte, die mir das Unheil vorankündigten? Aber noch eine andere Frage stellte sich, Vater wollte noch zwei Kinder haben, damit er vom Sozialstaat Frankreich, viel Kindergeld beziehen konnte, da Hans bereits gegen 16 Jahre zählte, musste Vater für mich eine Art von Strafsteuer entrichten, ein Kind galt als ungenügend, Frankreich benötigte Soldaten für die Kolonien und ihre Kriege! Das Motiv war somit Geld, man darf sich somit auch die Frage stellen, war es nicht unmoralisch? Auf all das erhielt ich nie eine Antwort, wer könnte sie auch abgeben? Noch lebten wir in einer harmonischen Welt, Vater war höchstens ein oder zweimal im Jahr stock betrunken, das war problemlos. Wenn er mit dem Fahrrad nach Bergerac fuhr, brachte er regelmässig eine Ladung Meermuscheln nach Hause, er sagte mir, diese vermittelten Kraft, also begann ich auch Muscheln zu schlürfen, später erfuhr ich, dass sie besonders potenzfördernd sein sollten. 51. Kapitel Schulweihnacht 1945 Lehrer Luca war in jeder Beziehung ein aussergewöhnlicher Pädagoge, das muss man ihm anhand einiger Beispiele zugestehen. 95 96 Zuerst aber zu jenem Erreignis, das ich nie mehr vergessen sollte. Luca liess einen grossen Weihnachtsbaum im Schulzimmer der unteren Klassen aufstellen, er war nicht unser Lehrer, sondern seine Frau, er selber hatte die oberen Klassen unter sich, welche getrennt von uns feierten. Unter dem Baum lagen zahlreiche Geschenkpakete, nebenan auf dem Tisch lagen Türme von Omeletten und schliesslich ein Fass Weisswein vom allerbesten, weisser, leicht süsslicher Bombasilac, mein Lieblingswein. Es herrschte eine sonderbare Stimmung voller Erwartungen, was da wohl in den Paketen war? Ich erhielt ein „Monorail“ geschenkt, einen solchen „Luxus“ konnte ich nie zuvor verbuchen. Aber die Feier sollte noch mehr bieten, da waren diese mit Marmelade gefüllten Omeletten, und dazu ein Glas Wein! Ich leerte Glas um Glas, und wenn ich mein Glas erneut unter den Fasshahnen hielt, drehte Lehrer Luca jeweils auf. Er machte dabei Sprüche, die ich aber vergessen habe, animierte für noch mehr Wein und Omeletten. Ich weiss nicht, wieviele Gläser ich leerte, aber auf dem nach Hause weg, fühlte ich mich so leicht, als hätte ich Flügel. Ich schwankte in die Wohnung und fühlte plötzlich eine aufkommende Übelkeit: „ich will schlafen“, sagte ich nur und verzog mich ins Schlafzimmer. Ich hörte Vater sagen:“der ist ja stock besoffen“. Am nächsten Morgen wollte Vater wissen, weshalb ich derart betrunken nach Hause kam? Ich schilderte ihm die lustige Feier, lobte den guten Wein und die Omeletten. Er wurde zornig und sagte: „ein Kind in der 1. Klasse mit Wein abfüllen, das akzeptiere ich nicht, in der Schweiz würde ein solcher Lehrer eingesperrt, dem Kerl werde ich es Schon deutlich sagen!“ Zumindest wurde ich nicht getadelt, und er suchte tatsächlich den Lehrer auf. Aber seine Bemühungen waren 96 97 umsonst, vielmehr erhielt er eine Abfuhr:“Sie sind Ausländer hier, wenn es sie stört, dann reisen sie doch in ihr Land zurück!“ Vater war sehr ungehalten und teilte mir die Antwort mit, ich verhielt mich neutral, triumphierte aber innerlich, weil ich den Anlass richtig toll fand und ich diesen Traubensaft nun auch problemlos trinken durfte. Und schliesslich leistete sich Vater auch ab und zu einen Vollrausch, ich sagte ihm das nicht, denn die Antwort war mir bekannt:“du bist ein saufrecher Kerl, ich bin doch erwachsen und kann tun was mir beliebt“. Von den Weihnachtsfeiern 1946 und 47, habe ich keinen blassen Dunst mehr, wenn sie überhaupt stattfanden, dann sicher in einem ganz anderen Rahmen. Ich weiss auch nicht mehr, ob die Lucas bereits 1946 oder erst 47, verschwanden? (Mehr darüber später). Seit die Kriegsjahre vorüber waren, hatte ich keine sicheren Anhaltspunkte mehr. Die vielen neuen Einflüsse, wie die Schule, das Kino, die Zeitung, das Radio, etc. sind vermutlich mitschuldig, dass ich ab dem 6. Altersjahr viel weniger präzise Erinnerungen habe, zudem auch viel mehr vergass, ab dem 30. Altersjahr wird dies noch viel deutlicher. *************************************************** 52. Kapitel Salto im Kinderwagen Ich muss beschämend gestehen, dass ich von August 1945 bis und mit dem Datum unserer Rückkehr in die Schweiz, anfangs September 1948, nur ein einziges Erlebnis mit Klara verzeichnen kann! Einerseits war sie wohl ein sehr ruhiges Kind, andererseits kümmerte ich mich kaum um sie, ich war ja nicht glücklich 97 98 über den Zuwachs. Dafür war der Vorfall entsprechend dramatisch. Ich ging mit dem Kinderwagen spazieren, Klara mochte ein paar Monate alt sein, ich schlug gerne den Weg ins Tal hinunter ein, da konnte ich den Wagen frei laufen lassen, dann ihn wieder einfangen. Das gelang meistens, bis auf den Tag, an dem ich zu spät los spurtete, der Wagen wurde immer schneller und ich mochte ihm nicht mehr zu folgen. Das heisst, befor ich ihn einholen konnte, war er schon auf den linken seitlichen Hang aufgefahren und überschlug sich! Kissen und Decken zusammen mit der Klara wurden hinausgeschleudert, der Säugling begann zu schreien, panikartig schmiss ich alles in den Kinderwagen zurück und ging nach Hause. Mutter sah die Unordnung und fragte, was los gewesen sei, ich denke, ich sagte, der Wagen sei umgekipt, wegen den vielen Steinen. Da Klara nicht mehr schrie, nahm sie mir die Geschichte ab, es war ja die Wahrheit. Es hätte aber sehr leicht schief gehen können, deshalb wurde ich vorsichtiger und vermied diese Spiele. Weil ich mich irgendwie schuldig fühlte, begab ich mich in den Schafstall, dort hatte ich die Säuglingskleider versteckt, diskret, wie ich sie ein Jahr zuvor verschwinden liess, legte ich sie wieder in die Schubladen zurück. Ob es nur ein Teil davon war, oder aber alle Artikel, das weiss ich nicht mehr. Schlimmer war, dass Mutter bereits erneut wieder schwanger war. Es ging mit Riesenschritten dem Chaos entgegen. Ich war darüber nicht glücklich, aber woher sollte ich wissen, dass meine Vorahnungen sich leider bewahrheiten werden? 53. Kapitel Ich muss die Jesusfigur grüssen! 98 99 Auf dem Weg zum Schulhaus stand etwa in der Mitte, noch auf unserem Land gelegen, auf der rechten Seite eine grosse Jesus Cristusgestalt an einem Kreuz hängend. Ich schaute diese komische Figur oft an, auf dem Kopf war eine Dornenkrone, Hände und Füsse waren mit Nägeln festgemacht. Vorne trug er einen dünnen Lendenschurz, und hinten war ein grosses Loch, darin nisteten seit Jahren die Vögel. Ich interessierte mich eigentlich mehr um das Wohl der Vögel, diese schienen sich im Innern des Jesus richtig wohl zu fühlen! Vater sagte mir, das wäre ein Kultobjekt der Katholiken, immer, wenn diese einen heiligen Feiertag veranstalteten, sah ich aus der Ferne zu, wie sie vor diesem Kreuz niederknieten und Blumen und Dampfwasser ausstreuten. Die Anführer trugen seltsame Kleider, die Leute hinten sangen Lieder. Eines Tages, ich war auf dem Weg in die Schule, hatte soeben den Jesus hinter mir, da kam der Monsieur le Cure dahergelaufen, der Dorfpfarrer in seinem langen schwarzen Rock und der komischen schwarzen Mütze auf dem Kopf, dieser Kerl war mir nicht geheuer, ich stufte ihn bei den unheimlichen Zeitgenossen ein, denen ich lieber ausweichen wollte. Aber ich erblickte ihn zu spät, also nahm ich meine Baskenmütze (Beret) vom Haupt und sagte: „Bonjour Monsieur le Cure“. Das hatten wir in der Schule so gelernt. Doch der Monsieur Cure hielt mich auf und stellte fest, dass ich den Jesus nicht gegrüst hätte. In der Schule hatte man uns beigebracht, nur Menschen zu grüssen, nicht Gegenstände. Ich entgegnete:“ Ich bin nicht katholisch und muss den nicht grüssen“. Aber das fruchtete rein nichts, er beharrte darauf, dass auch ein „Ungläubiger“ den Jesus zu grüssen habe! Ich war natürlich nicht einverstanden, aber als kleiner Knirps war ich am kürzeren Ende. Er nötigte mich, nochmals zurück zu laufen, dann das Beret (Baskenmütze) abzunehmen und etwas wie:“Bonjour 99 100 Jesus“, zu sagen, dabei müsse ich den Kopf demütig nach unten halten. Widerwillig grüsste ich den Götzen, das heisst, ich nahm einfach die Baskenmütze vom Kopf und murmelte irgend etwas. Er liess mich gehen, aber er konnte es nicht unterlassen, meinem Vater noch einen Besuch abzustatten. Dort war er aber an der falschen Adresse, Vater liess ihn wissen, dass ich frei aufwachse und keinen religiösen Zwängen ausgesetzt sei, es sei mir daher freigestellt, den Jesus zu grüssen oder auch nicht. Fortan eilte ich immer am Kreuz vorbei und schaute in die andere Richtung, aber der Monsieur le Cure, tauchte nie mehr auf! 54. Kapitel Mussolini Der Krieg war bei uns schon längst vorbei, aber in andern Ländern tobte er immer noch weiter. Dabei prägte sich mir ein Foto ein, das ich während Stunden fragend anschaute. Auf der Frontseite der „Republique Francaise“, war gegen Ende April 1945 ein grosses Bild zu bestaunen. An einer Art von Reckturngerät hing ein grosser fetter Kerl, mit Kopf nach unten, das Gesicht war aufgedungsen wie eine Wassermelone, daneben hing eine Frau, weiss nicht mehr wie die bekleidet war, aber sie musste viel jünger gewesen sein als der Mann. Darunter stand geschrieben:“Como/Italien, der italienische Diktator Benito Mussolini und seine Freundin Clara Petachi, auf der Flucht in die Schweiz, bei Como von Partisanen erschossen“. Das war am 28. April 1945, wie ich später erfahren konnte. Ich denke, ich habe nie zuvor und danach jemals ein Foto solange angeschaut. Ich stellte mir Fragen, wie der Mann und die Frau wohl normal ausgesehen hätten, und weshalb man die wie geschossene Wildtiere aufhängen liess? 100 101 Ob die danach gekocht und gegessen würden? All das waren offene Fragen für mich. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 55. Kapitel Lucien klärt auf Lucien und ich wurden gute Kollegen, in der Schule sassen wir nun auf der gleichen Bank. Wir trafen uns immer öfters im Tal, dort hütete ich die Kühe. Dabei kannte Lucien nur ein Thema: Frauen und Sex! Er wusste ausserordentlich viel zu erzählen und fand in mir einen aufmerksamen Zuhörer. Für mich war das alles Neuland, obwohl gleich alt, war ich etwa ein Kopf grösser als er, dafür schlug er mich aber mit seinem erigierten Penis, den er gerne in der freien Natur herumschwenkte. Ich lernte dazu und wir entwickelten einen richtigen Phalluskult, und statt beim Abschied die Hand zu reichen, wurde der Phallus des anderen mit der Hand verabschiedet. Bei diesem Ritual liessen wir es jedoch bewenden, wir waren aber der Ansicht, man könnte doch unseren Brauch im Alltag einführen. Thema war aber stets das weibliche Wesen, wobei wir uns seltsamerweise mehrheitlich nur für die erwachsenen Frauen interessierten. Luciens Schwester war für mich bereits erwachsen, aber der Lucien hielt sich bei ihr zurück. Dafür kannte er einen Vetter in Bordeaux, der war 14 und konnte bereits jenen Saft erzeugen, mit dem man die Kinder zeugen könne. Wenn dieser das nächste Mal zu Besuch komme, wolle er ihn ins Tal mitnehmen, damit er mir vorzeigen könne, wie das gehe. Ich war sehr neugierig und konnte es kaum erwarten, bis der Vetter endlich kam. Lucien klärte mich auf, dass wir beide noch zu klein sind, um dieses Serum zu erzeugen. Ich war aber skeptisch und 101 102 erwiderte, das sei doch das gleiche Wasser, das wir täglich dort ausscheiden! Lucien lachte mich aus und vertröstete mich auf den Vetter. Die Lehrerin machte es sich zur Gewohnheit, oft für eine Weile aus dem Schulzimmer zu verschwinden. Das war jeweils die Stunde des Lucien, er packte seinen erigierten Penis aus uns zeigte ihn stolz den Mädchen, ich sass eher verlegen und mäuschenstill neben ihm, er wollte, dass auch ich mitmache, aber ich konnte und wollte das nicht und hatte auch nicht den Mut dazu. Ich vermutete auch, dass früher oder später eines der Mädchen zu Hause davon sprach, und dann der Lucien ein Problem hätte. Ich weiss nicht mehr, wie oft er seine Vorführungen machen konnte, das Unheil nahte aber mit Riesenschritten. Nicht von den Mädchen, ich denke, keines hat ihn verraten!? Aber von Lehrer Luca höchst persönlich, dieser stellte draussen eine Leiter an die Wand und schlich die Stufen hinauf, dann lauerte er in einer Fensterecke um dem Treiben im Schulzimmer zuzusehen. 56. Kapitel Lehrer Luca schlägt zu! Es war ein friedlicher Morgen, wir wurden statt von Frau Luca, von Monsieur Luca begrüsst, ich ahnte schon ein Unheil auf uns zukommen. Und ich hatte richtig vermutet, erst hielt er uns einen moralischen Vortrag an den ich mich nur bruchstückhaft erinnere. Es war bald klar, dass er den Lucien im Visier hatte, dieser hätte sich Dinge erlaubt, die nur ein erwachsener Mensch tun dürfe, niemals aber ein kleiner Kerl wie der Lucien, und dieses Vergehen müsse schwer bestraft werden. Lucien musste vortraben, erst 102 103 zerschmetterte er einen Stock auf seinem Hintern, dann aber wurde der Lehrer fast hysterisch vor Wut, er fasste Lucien an seinen Haaren und wirbelte ihn im Kreis herum! Ich konnte kaum zusehen und fürchtete schon, der werde das nicht überleben! Erst als dieser halb bewusstlos schien, liess er von ihm ab und verzog sich ohne weiteren Kommentar. Madame Luca übernahm wieder den Schulbetrieb und der Lucien sass wie ein geschlachtestes Schaf neben mir, er war aber ein humorvoller Kerl und fand sich schnell wieder zurecht. Ich denke, mich hat dieser Prügelakt mehr beeindruckt als ihn. Es war aber klar, dass Lucien fortan seinen Phallus nicht mehr an die frische Luft setzte, zumindest nicht im Schulzimmer. Und ich war dem Lehrer dankbar, dass er genau hingeschaut hatte, denn sonst hätte ich irrtümlich auch noch daran glauben müssen. Nachtrag: Was wir Schüler damals nicht wissen konnten, Lehrer Luca, trieb es selber mit kleinen Mädchen, vermutlich mit Hilfe der Frau Luca? Mir gingen später einige Lichter auf, wie war es möglich, dass die Lehrerin das Spiel der Elise Vergang unter dem Pult nicht sehen konnte? Weshalb durfte die Elise nicht mehr mit mir reden, jemand muss es ihr doch eingeflösst haben! Weshalb kümmerte es die Elise nicht, dass die Lehrerin im Zimmer war? Das Lehrerpaar Luca verschwand plötzlich sang und klanglos ohne Vorinformation. Seltsamerweise tauchte etwa gleichzeitig auch die Elise Vergang unter. Eines Tages hiess das neue Lehrerehepaar: Segnaud. Erst nach und nach vernahm ich aus den Diskussionen der Erwachsenen, dass sich die Lucas angeblich mit Schulmädchen eingelassen hatten, erst nahm ich diese Information sehr neutral auf. Viel später wurde mir klar, weshalb der Luca den Lucien fast umbrachte, der kam ihm doch so richig in die Quere! 103 104 50 Jahre später Im August 1996, traf ich den Lucien wieder auf seinem Bauernhof, er diente als Fallschirmspringer im Algerienkrieg, heiratete eine“Pied Noir“ Frau, arbeitete dann jahrelang in Südfrankreich in einer Wäscherei. Wir sprachen von früher, unter anderem erwähnte ich den Fall mit dem Lehrer Luca, seltsamerweise, wollte er sich nicht mehr daran erinnern, was mich sehr erstaunte, aber dafür wusste er Ereignisse, die ich meinerseits vergessen hatte. ***************************************** 56. Kapitel Der Vetter aus Bordeaux Nach den schweren Prügelstrafen, die Lucien einstecken musste, hielt er sich fortan in der Schule zurück, und verzichtete auf seine exibitionistischen Tätigkeiten. Unten im stillen Tal, da war er jedoch frei, allerdings fehlten die Frauen und Mädchen, und die Kühe interessierten sich nicht um seine Wenigkeit. Dann endlich kam er, der lang erwartete Besuch des Vetters aus Bordeaux, es war, als erscheine ein grosser Zauberer, einer, der viel mehr wusste und konnte als wir kleinen Knirpse. Aber die Schwester von Lucien war nicht dabei, somit konnte die Vorstellung, wie man Kinder macht, nicht erfolgen, doch Lucien war nicht verlegen, er sagte, der Vetter könne jedoch vorzeigen, wie das gehe und den geheimnisvollen Saft, den er der Schwester einspritzen wollte, werde er einfach auf die Wiese leiten. Ich begriff von allem dem nichts, schaute einfach zu und wunderte mich. Der Vetter war mit 14 Jahren, fast doppelt so alt wie wir. 104 105 Und Luciens Schwester war auch etwas älter als der Vetter. Kurz vor Sonnenuntergang konnte die Vorstellung beginnen, der Vetter packte seinen „Prinzen“ aus, und begann daran hin und her zu reiben, ich stellte fest, dass der nicht viel grösser war als der Lucien, aber dicker. Lucien teilte mir mit, ich müsse etwas warten, so eine lebenswichtige Flüssigkeit, könne man nicht einfach wie Urin abgeben. Ich aber zweifelte sehr daran, nahm an, es könne sich wohl nur um diesen Urin handeln! Inzwischen waren fast alle Kühe im Maisfeld, das musste ich eiligst korrigieren, aber Lucien war der Ansicht, der Zaubersaft komme gleich und ich solle noch etwas warten. Doch ich konnte nicht warten, rannte weg und als ich zurück kam, war die Vorstellung gelaufen, der Vetter presste noch ein paar dicke weisse Tropfen aus, immerhin konnte ich nun sehen, dass es sich nicht ganz um die gleiche Farbe wie beim Urin handelte! Lucien schwärmte, ich hätte den grossen Springbrunnen verpasst, was ganz meine Schuld sei, nun könne der Vetter das Spiel nicht wiederholen, weil der Behälter leer sei. Ich schämte mich schon etwas, doch der Vetter tröstete mich, dass, wenn ich einmal 13 oder 14 Jahre zählen würde, ich auch solche Fähigkeiten haben werde. Doch Lucien wollte nicht solange warten, er versuchte es jeden Tag, wurde aber nicht fündig. Bei mir erwachte das Interesse an dieser Fakultät nur langsam, ich gab mich damit zufrieden, dass man mit 14 Jahren soweit sein werde! 58. Kapitel Luciens Schwester 105 106 Der permanente Sexualuntericht von Lucien blieb nicht ohne Auswirkungen auf mich. Einerseits durch die Filme und die Zeitung animiert, andererseits motiviert von Lucien, begann ich mich immer mehr für diese Wissenschaft zu interessieren. Wenn es um Frauen ging, hatte Lucien es viel einfacher, er konnte sich an seiner grossen Schwester orientieren. Und ich lauschte ihm gespannt zu, wenn er über sie berichtete, allerdings habe ich fast alle Details vergessen. Sie wirkte für uns wie eine erwachsene Person, daraus entwickelten sich bei mir erotische Fantasien. Vor dem Einschlafen war sie nun während zwei oder mehr Jahren mein Fetisch für realistische und unrealistische Spiele. Mein Hauptproblem war meine kindliche Körpergrösse, wie konnte ich es anstellen, diese grosse Frau zu überwältigen? Monatelang plante ich, mich mit blauen Überkleidern einzudecken, einem Hut, eine Gesichtsmaske, sowie Seile zum fesseln. Damit wollte ich mich von einem Nussbaum runter fallen lassen, wenn die Schwester unten durch lief, erst die Arme, dann die Beine zusammenbinden, aber da war wieder die Frage, wie konnte sie die Beine spreitzen, wenn sie zusammengebunden waren? Es blieb ein Dauerthema, während vielen Monaten, natürlich durfte auch der Lucien nichts davon erfahren. Je länger ich nachdachte, umso mehr Fragen tauchten auf, zum Beispiel, dass die Schwester doch viel stärker war und mich wie einen Käfer auf die Wiese schleudern könnte, dass sie mir die Maske vom Gesicht riss und mich erkennen könnte, dann hätte ich ein neues Problem gehabt. Ich kam zu keinem befriedigenden Schluss, je länger ich daran herumbastelte, desto mehr wurde der Plan zum Wunschund Sextraum, der nicht realisierbar war! 59. Kapitel 106 107 Der Besuch von Onkel Otto Vater schrieb ihm oft dem Onkel Otto, mehr als allen andern zusammen, da waren noch Onkel Rudolf undTante Marie. Otto war mit Jahrgang 1906 das jüngste von 7 Kindern, obwohl verheiratet, hatte er keine eigenen Kinder, er wurde auch der „reiche Onkel“ genannt, weil er Land und Wald, sowie zwei Zweifamilienhäuser besass. Aber damals, im Herbst 1946, kannte ich nur seinen Vornamen, mehr nicht. Immerhin war er nun der allererste Verwandte, den ich zu sehen bekam. Und er kam direkt aus diesem Wunderland Schweiz, von dem Vater soviel hielt. Vater machte sich auf, um die beiden Besucher, der andere war ein Nachbar von Otto, etwas mehr als 20 jährig und nannte sich Walter Schuhmacher, in „Pont Saint Mammet“ abzuholen. Wenn Vater spät nach Hause kam, pflegte ich ihm entgegen zu laufen. Es gab keine Strassenbeleuchtungen, und wenns noch dazu bewölkt war, dann wars derart finster, dass man nicht einmal die eigene Hand vor dem Gesicht erkennen konnte. Ich zündete jeweils eine Sturmlaterne mit Kerosinbetrieb, machte mich dann auf den Weg in Richtung „Maison Basse“. Nach dem Dorfende, waren es noch gut ein Kilometer bis dorthin. Aber ich musste nie bis ganz hinunter laufen, irgendwo unterwegs trafen wir uns immer. Am fraglichen Abend mochte es gegen 22 bis 23 Uhr gehen, ich hatte das Gefühl, nun aufbrechen zu müssen. Die Laterne in der Hand, lief ich nach dem Dorfende auf der Naturstrasse in die dunkle Nacht hinaus, plötzlich hörte ich Stimmen die nicht Französisch klangen. Die mussten es sein, Onkel Otto war derart begeistert, dass er mich sporadisch umarmte und immerzu „Ruedeli“ sagte. Er war besonders beeindruckt, dass ich als 8jähriger Knirps, alleine in der dunklen nacht unterwegs war, aber Vater beruhigte ihn, 107 108 indem er sagte, das tue ich seit Jahren schon. Schliesslich war ich während den Kriegsjahren allein berechtigt, den Hof und das Land zu verlassen, da staunte aber der Otto. Das machte mich wohl ein gutes Stück selbstständiger, als man das von einem Kleinkind sonst erwarten könnte! Viel ist mir von diesem Besuch nicht in Erinnerung geblieben, sehr beeindruckt war ich von den Lebensmitteln, Würste, Käse, Schokolade mit Nüssen, das hatte ich noch nie zuvor gesehen, Waffeln und allerlei Gebäck, nichts davon war mir zuvor in dieser Ausführung bekannt. Meine Sprachenkenntnisse in Schweizerdeutsch waren damals sehr bescheiden, weil ich seit dem Schuleintritt praktisch nur noch Französisch sprach. Die Besucher unterhielten sich zudem meistens nur mit den Eltern, ich verstand dann nur einen Teil davon. Zwei Vorkommnisse sind mir aber geblieben, an einem Vormittag ging ich mit den beiden auf Pilzsammlung in den kleinen Wald. Vater sagte ihnen, ich wäre bestens im Bild und könne sie gut beraten. Ich war recht stolz auf meinen Job und wir gingen erst ins grosse Tal. Was für mich normal war, empfanden sie als Wunderlandschaft, kilometerlange Naturgehege voller Früchte, besonders die reifen Brombeeren hatten es ihnen angetan, die stopften sich ganze Hände voll in den Mund, führten einen richtigen Amoklauf im Schlaraffenland auf. Sie fanden es eine Sünde, dass all die reifen Früchte einfach nur von den Vögeln gefressen wurden. Ich war da anderer Meinung, ob Vögel oder Menschen, das machte doch keinen Unterschied! Dann zogen wir zum Waldrand, dort, wo ich die Steinpilze verstekt wusste. In wenigen Minuten war mein Korb voller Steinpilze, soweit ich mich erinnere, fanden sie keinen einzigen Pilz, sie staunten über meine natürlichen Instinkte, es war aber nicht besonders schwer, ich hatte Erfahrung mit den Steinpilzen, manchmal waren sie von Laub und Farnkraut richtig getarnt. Ich hatte stets den Eindruck, sie würden mich anlachen! 108 109 Ich hatte mir bei Onkel Otto viel Goodwill eingeholt, dessen war ich mir bewusst, besonders war er von meiner Selbstständigkeit unten im Tal und im Wald begeistert. Er konnte auch feststellen, dass ich durch und durch ein Kind der Natur war. Das faszinierte ihn irgendwie. Ich mochte ihn auch gut und wir blieben bis zu seinem Tod (2001), befreundet, er war später für mich so etwas wie ein Ersatzvater geworden. Trotz einem Schatten, der von Anfang an zwischen ihm und mir existierte! Nachtrag: Erst Jahre später erfuhr ich von Mutter, dass der Otto mir anfänglich überhaupt nicht gut gesinnt war. Er soll die Patenschaft verweigert haben, weil er der Ansicht war, Vater hätte keine Kinder zeugen dürfen, da diese ja doch nur in Alkoholiker und Krüppel ausarteten! Als ich diese Nachricht erfuhr, war ich dem Otto in keiner weise böse oder gar rachsüchtig, sondern zeigte Verständnis, schliesslich konnte er ja damals nicht wissen, was aus mir wurde. Und im Hinblick auf meine Geschwister, hatte er gar nicht so viel Unrecht. Ich habe nie mit ihm darüber diskutiert, aber in einigen Fällen machte er Bemerkungen, die irgendwie nach Bedauern klangen, ohne, dass er sich dabei klar auszudrücken brauchte. *************************************************** 60. Kapitel Ernst Junior wird geboren Mutter war seit einiger Zeit wieder kugelrund, mir war nun durchaus bewusst, was das bedeutete, nämlich nochmals Nachwuchs. Dass ich damit nicht einverstanden war, blieb einzig mein Problem, irgendwie kapselte ich mich von dieser Entwicklung ab und versuchte darüber hinweg zu kommen. 109 110 Diesmal sollte die Geburt zu Hause erfolgen, gegen Mitternacht kam Dr. Dupuis aus Villamblard, er vertrieb Vater und mich aus dem Schlafzimmer. Während ich Mutter im Schlafzimmer schreien hörte, als wäre sie am Marterpfahl, verspeiste ich in der Wohnküche genüsslich ein Stück Brot mit einem ebenso grossen Stück „Roquefort“ Käse, dazu ein Glas guten Rotwein. Vater lief aufgeregt umher und hatte keinen Appetit. Als Mutter nicht mehr schrie, begann ein anderer zu schreien. Dr. Dupuis kam aus dem Schlafraum und meldete: „Es ist ein Knabe von 4 Kilo!“ und gratulierte dem Vater. Nachdem er noch mit einem Kübel heissem Wasser gerumhantiert hatte, verabschiedete er sich mit der Bemerkung: „Bis zum nächten Mal“. Also, das bohrte sich wie ein Pfeil in meinen Kopf, sollte diese elende Kinderproduktion noch weiter gehen, wo doch bereits zwei zuviel da waren? Der neue Bruder hiess „Ernst“ wie sein Vater. Wenn die Leute im Dorf fragten, ob ich stolz auf meinen Bruder sei, antwortete ich stets gleich:“das ist nicht mein Bruder, das ist der Bruder meiner Schwester“. Im Dorf machte man sich lustig über meine Definitionen, ich meinte es jedoch ernst damit. Ich machte mir folgende Überlegung, wenn wir Hand in Hand einen Reigen bilden, dann ist nur der nächste mein direkter Nachbar, der Übernächste aber nicht mehr, somit ist er der Nachbar meines Nachbarn. Aber die Leute wollten meine Theorien einfach nicht verstehen können, also gab ich deprimiert auf. Erinnerungen an die beiden Geschwister habe ich bis 1948 praktisch keine, einzig dann, als Ernst etwa 10 Monate alt war, es war ein Sonntagmorgen, ich trainierte ihn zum selber gehen, und an diesem Vormittag waren meine Bemühungen erfolgreich. Ich verbuchte das als einen persönlichen Erfolg. Ansonsten ging ich meinen eigenen Weg, mit den beiden Säuglingen konnte ich nichts anfangen, zudem blieb ich auch das ganze Leben lang an Kindern desinteressiert. Ich schaute lieber den Kühen im Tal, sowie 110 111 den Ameisen, oder unterhielt mich mit dem Lucien über erotische Fragen. Zudem war ich vielmehr daran interessiert, mit Hans zu diskutieren, wir waren uns immer mehr einig, dass Vater, mit seinen Sympathien zu den Deutschen, auch unser potentieller Widersacher war. 61. Kapitel Petrus der Feind Im Dorf war ein Restaurant, dieses wurde von einem älteren Ehepaar mit Namen „Petrus“ geführt. Der Petrus war ein ausgesprochener Feind für uns, er mochte meinen Vater nicht leiden, einmal, weil er Ausländer war, dann aber auch wegen seinen Sympathien zu Nazideutschland! Aber Bier und Limonade konnte man im Dorf nur bei den Petrus kaufen. Und weil Vater den Kontakt zu diesen mied, schickte er mich zum Bier holen. Aber freundlich waren die beiden Wirtsleute auch zu mir nicht, Frau Petrus schaute mich mit grossen Kuhaugen an, der Herr Petrus grüsste mich nicht einmal, das entfachte bei mir eine seltsame Idee, ich wollte mich dafür rächen. Da beide sehr langsam gingen, benötigten sie ziemlich lange Zeit, um im Keller das Bier zu holen, in der Zwischenzeit entnahm ich in der Schublade ein paar kleine Geldscheine, einfach so, um sie zu schädigen, es war ein Teil von dem Geld, das ich zuvor gebracht hatte. Der Wert war sehr gering, weil eine gewaltige Inflation herrschte. Das geschah etwa dreimal Mal, dann bemerkte der Petrus den Trick und meldete seinen Verdacht prompt meinem Vater. Aber statt sich darüber zu freuen, war Vater sehr wütend über mich, dass ich ausgerechnet seinem grössten Feind ein Argument zum reklamieren geliefert hätte, ich dachte, er wüsste meine Hilfe zu schätzen. Doch er 111 112 sah es ganz anders, das sei Entwendung von fremden Geld, ich aber war der Ansicht, das Geld habe ich ja zuvor gebracht und es wäre auch unser Geld. Vater gab dem Petrus recht und blamierte mich, später sah ich den Kardinalfehler auch ein. Fortan ging ich nie mehr zum Petrus einkaufen, weil ich dachte, der bringe mich um. Ich musste das Bier mit dem Fahrrad in Villamblard einkaufen gehen. Der Petrus blieb ein unangenehmer Zeitgenosse, unterliess nichts, um uns irgendwie schädigen zu können, sogar bis zum allerletzten Tag vor unserer Abreise in die Schweiz. Doch darüber später. 62. Kapitel Monique Garigue Ich war in der zweiten oder dritten Primarklasse, so genau wusste ich das auch nicht, weil der Unterricht klassenübergreifend war. Die neue Lehrerin, Frau Segnaud, führte einen wesentlich strafferen Schulbetrieb ein, jeden Monat erstellte sie ein Klassement vom besten bis zum schlechtesten Schüler! Alle wurden rücksichtslos namentlich aufglistet bis zum letzten Rang! Mir war nie klar, weshalb ich plötzlich zu den Klassenbesten gehörte, hatte ich doch kaum Hausaufgaben zu lösen und auch sonst keinen grossen Schulstress zu verzeichnen, zumindest ist mir nichts in Erinnerung geblieben. Einmal war ich an erster Stelle, dann am folgenden Monat wieder die Monique Garigue. Es war ein stetiger Zweikampf zwischen uns beiden, ich kann mich nur an einen Monat erinnern, an dem ich den 3. Rang einnehmen musste. Da hatte sich ein anderes Mädchen auf den zweiten Rang vorgeschoben, ihren Namen habe ich vergessen. Bei den Knaben war ich aber immer an erster Stelle, der Lucien war 112 113 diesbezüglich kein Konkurrent für mich, weil das Fach „SEX“ nicht zählte! Die Monique nahm ich zuvor gar nicht wahr, sie war ein stilles, unaufälliges Mädchen mit schönen schwarzen Haaren, stets hübsch und sauber gekleidet, kein Vergleich zu den Martinez Kindern. Ich wurde erst durch unseren Zweikampf auf sie aufmerksam, sie war die Tochter eines Sägereibesitzers. Die Firma lag links an der Strasse nach Villamblard, Mir imponierten dabei mehr die zwei riesen Gorillas aus Stein, die dort bei der Einfahrt standen. Ich vermute, dass die Monique nach meiner Abreise keine ernsthafte Konkurrenz mehr kannte, und ich vermisste diesen Wettbewerb mit ihr, denn irgendwie begannen wir uns gegenseitig zu achten oder gar abzuheben. Es war ein gutes Gefühl, aber wir sprachen kaum jemals miteinander, das hätte sich aber noch ändern können, wenn nicht höhere Gewalt dazwischen gekommen wäre, nämlich mein Abschied von Montagnac. Nachtrag: Im Jahr 1967, also 20 Jahre später, fuhr ich mit meinem „Opel Record“ nach Montagnac-la-Crempse, dabei kam auch die Monique in meinen Erinnerungen wieder hoch. Ich dachte aber zuvor nie daran, ihr einen Brief zu schreiben, aber jetzt wollte ich nachschauen, ob sie noch dort lebte? Die beiden Gorillas waren immer noch am Eingang, allerdings voller Moos und dergleichen Unkraut. Ich glaube, die Sägerei war stillgelegt, aber jemand wohnte noch im Haus links nebenan, man konnte mir mitteilen, dass die Monique seit vielen Jahren in einer französischen Grossstadt lebt und dort verheiratet ist. Das wars dann, kurz und gut, ich fuhr weiter. Die guten Menschen sind eben immer schon vergeben oder verstorben! 113 114 *************************************************** 63. Kapitel Ich soll in die Schweiz Zu diesem Anlass kann ich auch nicht mit Sicherheit sagen, ob das im Jahre 46 oder 47, propagiert wurde? In der Schweiz erbarmte man sich der kriegsgeschädigten Kinder, man wollte sie in ein Ferienlager in die Schweiz einladen. Dort sollten wir uns von den mageren Kriegsjahren erholen und gut genährt wieder zurück kehren können. Zu diesen privilegierten Kindern gehörte auch ich, doch meine Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen. Erst lehnte ich ab, doch meine Eltern sprachen mir tagtäglich gut zu und lobten alles in den höchsten Tönen. Am allermeisten störte mich der obligate Arztbesuch, bis anhin war ich noch nie bewusst bei einem Arzt, allein das bedeutete mir einen wahren Horror, denn einem Arzt traute ich schon gar nicht. Schliesslich stimmte ich zu, nachdem die Eltern mir versprochen hatten, der Arzt würde mich nicht umbringen und keine Folterungen vornehmen oder Organe entfernen! An einem schönen, sonnigen Nachmittag ging ich mit Mutter nach Villamblard zu Dr. Dupuis. Ich schaute mich wie ein 114 115 wildes Tier in der Praxis um, prüfte die Fenster, bei denen ich im Fall eines Übergriffs heraushechten konnte. Trotz den Zusicherungen meiner Eltern, traute ich diesem Kerl im weissen Kittel nicht über den Weg. Langsam entblöste ich meinen Oberkörper, immer noch misstrauisch, der Arzt tastete mit einem Gerät meine Brust ab, schaute in den Hals und auf die Zunge, welche ich weit hinaushängen musste. All das war schmerzfrei, trotzdem schaute ich gespannt auf den Tisch, um festzustellen, dass kein Messer dort lag. Aber nichts geschah, er versuchte auch nicht, mir diese Nadeln in die Arme zu rammen. Ich konnte mich wieder ankleiden und verliess schnellstens die Praxis. Auf dem Nachhauseweg, war ich fast etwas stolz, dass ich den Gang in die Höhle des Löwen gewagt hatte. Jetzt konnten die Reisevorbereitungen beginnen und schon bald würde ich endlich das Paradies kennen lernen, von dem meine Eltern soviel schwärmten. Vater erhielt ein Aufgebot, wonach er mich in „Agen“ an einen Betreuer übergeben sollte, das Datum ist mir nicht mehr präsent. Ich kannte aber damals den Tag, die Uhrzeit und sogar die Nummer des Eisenbahnwagens. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Die Eltern erhielten eine neue Weisung, danach sei ich noch auf Viren und Seuchen zu untersuchen, was einen erneuten Besuch beim Dupuis bedeutete! Man wollte vermeiden, dass die Seuchen, welche in den kriegsgeschädigten Ländern wüteten, in die Schweiz gebracht wurden. Bei mir wuchs das Misstrauen, also wollten die wohl doch ein Organ oder etwas herausnehmen? Nein, und nochmals nein, um keinen Preis wollte ich nochmals hingehen. Alle schönen Worte halfen nicht weiter und blieben wirkungslos, ich verharrte bei meinem Entschluss. Zudem wollte ich gar nicht in dieses Paradies reisen, zog das Leben mit den Tieren im stillen Tal vor, das war meine wahre Heimat. Ich war damals schon soweit informiert, dass mir bewusst war, dass ich mit dem Lebewesen „Mensch“ am allermeisten Ärger einfangen werde! 115 116 Ich suchte deshalb den Kontakt zum Menschen nicht, die Tiere waren viel berechenbarer und zuverlässiger. Es mag seltsam erscheinen, aber ich erinnere mich, wie ich den Eltern sagte, ich wolle keinen Kontakt zu noch mehr Kindern, diejenigen in der Schule wären für mich schon zuviel. *************************************************** 64. Kapitel Taufe Wie schon andernorts ausgeführt, wurde ich nicht religiös erzogen. Ich wusste lediglich, dass ich zur Spezie der „Protestanten“ gehörte, konnte mir aber darunter wenig vorstellen. Ich war christlich getauft worden, jedoch ohne Taufzeugen oder Paten. Weil meine Eltern bereits 10 Tage nach meiner Ankunft in Bern, nach Frankreich auswanderten, wurde ich in einer Art von „Schnellverfahren“ getauft. Die beiden Geschwister, sollten nach dem Willen meiner Eltern, nun ebenfalls christlich getauft werden. Das Vorhaben erwies sich aber als umständlicher, als in einem reformierten Land, in Frankreich gibt es nur wenige Prostestanten. Es gelang ihnen, im Raum BordeauxPerigeuex, einen reformierten Pfarrer zu finden. Dieser Mann bestellte uns an einem Nachmittag ins Dorf Villamblard. In einem grossen Gebäude wurden wir in einen Raum geführt, dort waren verschiedene bequeme Sofas in einem Halbkreis aufgestellt. Vermutlich ein Treffpunkt der 116 117 Gläubigen in der Gegend? Der Taufvorgang interessierte mich nicht, erst langweilte ich mich auf einem grossen Sofa, auf dem ich allein sass. Vom Taufgeschehen ist mir rein nichts in Erinnerung geblieben, irgendwie waren da aber noch Taufpaten dabei, möglicherweise von den Steiners? Weshalb die beiden nochmals mit den gleichen Namen bedacht wurden, verstand ich auch nicht. Also begann ich mit meinen Händen hinten in der Sofaspalte zu forschen. Schon bald einmal wurde ich fündig, ich stiess auf silberne Broschen, Abzeichen, Devotionalien, Münzen aus Silber. Ich stopfte alle meine Hosentaschen voll damit, es waren verschiedene leere Sofas abzutasten, alle wiesen geheimnisvolle Schätze auf. Niemand kümmerte sich um mich, ich arbeitete hart an der Schatzsuche. Schliesslich waren alle Taschen voll und ich befürchtete schon, dass ein Teil herausfallen könnte! Der Taufakt war auch recht schnell vorüber, wir konnten wieder nach Hause fahren, irgendwoher hatte Vater ein Auto organisiert. Zu Hause angekommen, zeigte ich den Eltern stolz meine Ausbeute von der Taufe, erst dachten sie, ich hätte soviel Schmuck aus einer Kiste geklaut! Aber ihnen war auch klar geworden, dass ich die ganze Zeit bei ihnen weilte, nur eben, ständig im Hintergrund nach etwas suchte. Die schönsten Exemplare behielten sie für sich, den Rest durfte ich für mich behalten. Ich wusste auch nicht so recht, was damit anfangen, als wir dann das Land verliessen, musste ich mich auch von meinem „Schatz“ verabschieden. Ich durfte nur die allerwichtigsten Gegenstände mitnehmen. *************************************************** 65. Kapitel Die „Tour de France“ 117 118 Trotz Kino, Radio und einer Zeitung, gab es noch relativ wenig Abwechslung. Ab 1947 wurde die „Tour de France“ der Radrennfahrer wieder regelmässig durchgeführt. Erstmals 1903 veranstaltet, wurde der Anlass während dem Ersten und Zweiten Weltkrieg unterbrochen. 1939 wurde die Tour von Gino Bartali gewonnen, dann bis 1945 keine mehr ausgetragen. Im Jahr 1946 wurde eine „Mini“ Tour mit nur 6 Etappen gewagt, damals gewonnen von einem Jean Lazaridez, aus Bergerac. Ich muss jedoch bemerken, dass ich von diesem Anlass rein nichts mehr weiss. Und in der offiziellen Statistik figuriert diese Tour erst gar nicht. Im Jahr 1947 wurde aber zur neuen Tour de France geblasen, so, wie wir sie heute noch kennen. Und ich war während drei Wochen völlig in diese Tour vernarrt, am nächsten Tag posierte der Etappensieger auf der ersten Seite der Zeitung. Die Rangliste wurde täglich bis zum letzten Platz durchgegeben. Ich konnte nicht warten, bis der Pöstler, Monsieur Robert, die Zeitung brachte, also eilte ich ihm entgegen um sie etwas früher lesen zu können. Und ich verfolgte die Rangliste bis auf den letzen Platz, es herrschte höchste Spannung Der „Leader“ im gelben Trikot war seit Tagen der kleine Franzose Jean Robic, von ihm hiess es, er habe nur einen funktionierenden Lungenflügel, was mich sehr beeindruckte. Und er gewann schliesslich die Tour souverän. Ich kann noch hinzufügen, dass ich damals die Tageszeitung gründlicher las, als später im Erwachsenenalter. Auch Fortsetzungen gehörten dazu, ein Krimi hiess „Pierro le Fou“, also dieser hatte nicht gerade einen positiven Einfluss auf mich. Weil ich es aber selber wahrnahm, blieb die Gefahr gering. Im Juli 1948 führte anfänglich der Schweizer Ferdinand Kübler das Gesamtklassement an, ich war mächtig stolz auf 118 119 meinen Landsmann. Dann aber, in den Bergen, musste Kübler die Tour aufgeben, er erlitt eine Magenvergiftung, angeblich von den bösen Italienern angezettelt. Und schliesslich gewann dann der Italiener Bartali, und im Jahr darauf sein Landsmann Fausto Copi, aber dann schlugen die K. und K. zu. 1950 Ferdi Kübler, 1951 der schönfahrer Hugo Koblet! Wie „Indochina“ blieb auch die „Tour de France“ für mich lebenslänglich eine epochale und monumentale Angelegenheit. Etwas, mit dem man ein ganzes Leben lang verbunden bleibt. 66. Kapitel Die Besucher aus Winterthur Während die wenigen Verwandten auf Vaters Seite im Kanton Bern lebten, waren die Geschwister meiner Mutter alle in der Ostschweiz zu Hause. Tante Emma in St. Gallen, Tante Olga in Gossau SG, und Tante Alice in Winterthur. Für mich war das alles abstrakt und einerlei, ich konnte mir kein klares Bild von diesen Leuten machen. Mutter pflegte Briefe zu schreiben, doch das beschränkte sie auf etwa einen Brief im Jahr oder noch weniger. Von der Olga und der Alice erhielten wir Fotos, als sie erneut heirateten. Von der zweiten Hochzeit der Alice kam ein seltsames Foto, sie stand wie eine alte Nonne mit einer grossen Handtasche 119 120 da, neben ihr der neue Ehemann, Adolf Weiler, fast einen Kopf kürzer, ein Bein nach hinten geschlungen und eine Flasche Bier an seinen Lippen! Ich schaute das Foto lange an, wurde aber nicht klug daraus. Dann, im Jahr 1947. erwarteten wir deren Besuch, wie üblich, spielte sich das Ganze zwischen den Erwachsenen ab, ich bekam kaum etwas in Erfahrung. Ich realisierte aber auch, dass sie am fraglichen Tag nicht erschienen und wir wussten nicht, wo sie blieben, Unfall, Panne? Das Rätsel wurde lange nach Mitternacht gelöst, als plötzlich ein neues Auto in unseren Hof fuhr, begleitet von Dorfbewohnern, welche die Fremden zu uns brachten. Es waren zwei Ehepaare, Tante Alice und Ehemann, sowie ein Ehepaar Hintermüller aus Winterhur. Den Hintermüllers gehörte auch der brandneue Peugeotwagen, denn der Dölf konnte weder autofahren noch hatte er das Geld um ein Auto kaufen zu können! Da alle vier kein Wort Französisch sprachen, hatten sie grosse Mühe, sich zu orientieren. Sie fragten nach einer Ortschaft „Montignac“oder ähnlich, und wurden prompt nach „Montignac“, rund 140 Kilometer nördlich , umgeleitet! Also Geschenke, wie der Onkel Otto, brachten sie meines Wissens keine mit, sie beachteten mich kaum, widmeten sich aber ausgiebig dem Wein und dem guten Essen! Besonders der Dölf, der von der Tante oft getadelt wurde, ertrank seinen Frust in Bier und Wein. Und als er dann noch einen Salto in die Ernteabfälle wagte, hatte auch ich endlich etwas zum lachen. Wenn die Alice mekerte, rief er: „MACH A SCHNUURE“ . Er war die meiste Zeit betrunken und wiederholte diesen Spruch andauernd, so, dass ich ihn bald einmal nachahmte. Bereits in der ersten Nacht, als der Hintermüller zum WC hinüber musste, realisierte er einige Gestalten, die sich vom Auto davon machten! Noch war alles da, aber Vater hielt es für angebrachter, fortan mit dem Kleinkalibergewehr auf 120 121 Wache zu gehen. Die Diebe kamen aber nicht mehr und er musste auch nicht schiessen. Die Besucher interessierten sich nicht für die berauschende Natur, so war es eher eine Erleichterung für mich, als sie uns nach etwa 4 Tagen verliessen. *************************************************** 67. Kapitel Zurück ins „Paradies“ Im Vergleich zu den Jahren bis 1946, verlief die Zeit von 1946 bis Herbst 1948, relativ ereignislos. Wie ersichtlich, blieben mir aus dieser Epoche nur sehr wenige Dinge präsent. Wirtschaftlich war Frankreich immer noch auf dem Nullpunkt, es herrschte eine galopierende Inflation.Vater pflegte seine Ersparnisse in einer Metalldose auf dem Estrich zu verstecken. Täglich war das Geld weniger wert, die zehnjährige Schufterei machte ihn nur noch ärmer! Doch, er war sehr stolz auf einen Brief vom Schweizer Generalkonsulat in Bordeaux, das ihm gratulierte, weil er als allereinziger Auslandschweizer in Frankreich, den zinslosen Kredit der Eidgenossenschaft bis auf den letzten Rappen zurück gezahlt hatte! Dafür war er nun genau gleich arm, wie damals vor dem Krieg, als er den Kredit zugesprochen erhielt! Dieser Suizididealismus scheint bei uns in den Genen zu stecken! Die andern Auslandschweizer in Frankreich waren zum Teil viel besser situiert, dachten aber nie daran, diesen Kredit jemals zurück zu zahlen! In ihren Augen war er schlichtweg ein Dummkopf, bestenfalls ein hoffnungsloser Idealist! 121 122 Vater führte seit Monaten einen regen Schriftverkehr mit Onkel Otto. Dieser versprach ihm das „Blaue vom Himmel“, Arbeit in Hülle und Fülle, soziale Sicherheit, sowie eine günstige Zweizimmerwohnung in seinem Haus, das sich in Schlatt bei Gasel, Gemeinde Köniz bei Bern, befand. Vater sprach nur noch von diesem Angebot, träumte bereits vom grossen Zahltag und den kurzen Arbeitszeiten. Er sah keine Zukunft mehr in Südwestfrankreich, was bis vor kurzem noch gut war, zählte auch nicht mehr. Ich hörte seinen Ausführungen eher mit gemischten Gefühlen zu, einerseits wollte ich dieses vermeintliche Paradies kennen lernen, andererseits mochte ich meine gewohnte Umgebung nicht aufgeben. Es kam der Tag der Entscheidung, im Frühjahr 1948, wurde mir klar erläutert, dass meine Tage in Montagnac gezählt waren. Anfangs September gehe die Reise zurück in die Schweiz! Ich musste mich damit abfinden, ein kleiner Trost war aber, dass auch Bruder Hans mit uns kam! Eine sechsköpfige Familie ohne Geldmittel, ohne Vermögen, nur mit zwei grossen Koffern. Noch war die Zeit zur Abfahrt nicht gekommen, es fehlten noch etwa 5 Monate, ich hatte genug Zeit, um mich auf den Abschied geistig vorzubereiten. 68. Kapitel Ich verlasse die Schule Vater und Mutter verfügten lediglich über eine Grundschulausbildung. Vater wurde bereits im Alter von knapp sechs Jahren, einem Landwirt im Raum Oberscherli/BE, verdingt. Wie er manchmal ausführte, gehörten Prügel zum täglichen Erziehungsmodus, er musste schwerste Arbeit verrichten und dabei auch noch die Schule 122 123 besuchen. Diese Sklavenarbeit konnte bis auf 16 Stunden täglich ausgedehnt werden. Mutter hatte es nicht viel leichter, als Vollwaise musste sie im Waisenhaus von Urnäsch/AR, ausharren, angeblich ein Kinderheim, doch laut ihren Berichten eher ein Konzentrationslager übelster Gattung! Auch alle ihre Geschwister erlebten ihre Kindheit in diesem „Heim“. Ich musste darum oft hören, dass ich ein Riesenglück hätte, somit auch keine Ahnung von dieser Hölle auf Erden habe. In der Tat, wuchs ich in Frankreich mit den grösstmöglichen Freiheiten auf, hatte auch stets genug Essen auf dem Tisch, durfte alkoholische Getränke konsumieren, am Abend ins Kino gehen und auch sonst tun und lassen was ich mochte. Als dann im Frühjahr 1948, klar war, dass wir im Herbst in die paradiesische Schweiz zurück fuhren, quittierte ich die Dorfschule unverzüglich, begründete meinen Entschluss damit, dass ich ja doch in der Schweiz wieder von ganz vorne beginnen müsste. Die Eltern nahmen meine Mitteilung ohne Argument zur Kenntnis, ich wurde anscheinend in der Schule auch nicht vermisst. Die Eltern machten sich nicht viel aus Schule und Bildung, anständige Menschen mussten ihr Geld mit harter, manueller Arbeit verdienen. Ich wurde entsprechend zu Bescheidenheit motiviert und erzogen. Die nationalsozialistischen Parolen wurden bei uns gut befolgt und praktisch umgesetzt. Später kam ich jedoch selber zur Überzeugung, dass ich damals doch besser hätte in der Schule bleiben sollen. Ich verpasste eine ordentliche Portion an Lehrstoff. Von April 1945 bis Juni 48, waren es nahezu 3 ½ Jahre, das erste halbe Jahr verlor ich bei den Spielereien hinten im Schulzimmer, dann war ich jedes Jahr für gut einen ganzen Monat krank gemeldet,(Masern, Röteln, etc.) und schliesslich verpasste ich nochmals 3 Monate durch meinen vorzeitigen Abgang. Damit besuchte ich die Schule effektiv nur während 2 ½ Jahren. 123 124 69. Kapitel Die Verschwörung Der langersehnte Abreisetag war endlich gekommen. Tags zuvor verabschiedete sich Vater von den beiden Arbeitskühen, der ROUGE und der BLANCO, dabei erlebte er eine rührende Geschichte. Er stand im Stall und sprach laut zu den beiden noch verbliebenen Kühen, die andern waren bereits weggeschafft worden, wie leid es ihm täte, sie, die langjährigen treuen Helfer verlassen zu müssen. Dabei sollen ihm die Tränen gekommen sein, weil die ROUGE ihn mit ihren grossen Kuhaugen seltsam anschaute. Und als er auch in ihren Augen Tränen herunter kullern sah, habe er sie mit beiden Armen am Hals umarmt, gestreichelt und geküsst. Als er uns dieses Erlebnis danach erzählte, war auch ich tief betroffen davon! Und ich war sehr entäuscht, dass die beiden Schwerarbeiterinnen in ein Schlachthaus gebracht wurden, statt in ein Seniorenheim! Die BLANCO hingegen, die war schon immer „cool“ und weinte natürlich nicht, sicherheitshalber fragte ich den Vater aber noch desswegen. Mit ihr stand ich bekanntlich stets auf Kriegsfuss, dass sie aber jetzt sterben musste, war auch für mich zuviel. Es gab sehr viel zu tun, Hans war auch eingetroffen, dazu heuerte Vater noch zwei Männer an. Am Vormittag wurden Stall und Scheune gereinigt. Am Mittag meldete einer der Helfer, jemand habe ihm Geld aus der Tasche gestohlen, kein grosser Betrag, aber er machte eine Szene daraus. Ohne lange zu zögern beschuldigte er mich dafür, ich hatte keine Ahnung wovon er sprach und verblieb auch so. Vater wollte das Problem schnell lösen und ihm den angeblich entwendeten Betrag 124 125 vergüten, doch das wollte der nicht. Er machte ein grosses Theater und drohte gar mit der Polizei! Dann befreite mich der Zufall vom Verdacht, ich war den ganzen Vormittag woanders, weg vom Hof, wo, weiss ich nicht mehr. Jetzt war es eben Hans, der nun im Verdacht stand, er war in den Stallungen tätig, und dort soll einem der Männer das Geld aus der Jacke geklaut worden sein. Im Lauf der Streitereien wurde uns klar, weshalb wir diesen Kerl auf dem Buckel hatten. Es war ein Verwandter von „Petrus“, unserem „Freund“, der es nicht unterlassen konnte, uns noch bis zum letzten Tag etwas unter zu schieben! Mir wurde bewusst, wie gemein Menschen sein konnten. Wir fuhren nach „Pont Saint Mammet“ um dort den Bus nach Perigueux zu besteigen. Wir waren kaum angekommen, als auch schon zwei Polizisten auf ihren Fahrrädern daherkamen. Sie unterzogen uns einem Verhöhr, das rein nichts brachte. Der Agent von Petrus war dabei und begann wieder auf mich zu zeigen. Ich sagte ihnen, dass ich niemals etwas gestehen werde, was ich nicht begangen hätte, dazu müssten sie mich umbringen. Da wurde Hans aber zornig und klärte die Sachlage auf, dass ich als einziger der Anwesenden nicht auf dem Hof war, und somit ausser Verdacht sei! Damit hatte der Agent wohl nicht gerechnet, er konnte nicht wissen, dass ich nicht anwesend sein würde. Und ich war das geeignete Opfer für den „Petrus“, denn er mochte mich auch nicht. Ich machte mir aber Gedanken, weshalb Hans derart forsch auftrat, ob er wohl etwas genommen hatte? Ich denke aber nicht, weil das Ganze eine geplante Verschwörung war, nur um uns den Weggang noch zu erschweren. Getraute mich aber nie, ihn später danach zu fragen. Die Gendarmen zogen sich zurück und wir konnten endlich unbehelligt den Bus nach Perigueux besteigen. Die Sonne verschwand blutig am Horizont, der Petrus hatte sein Ziel erreicht, uns bis zur letzten Minute zu schickanieren. 125 126 70. Kapitel Die längste Nacht Ich trat die Reise ziemlich ahnungslos an, es war ja auch meine erste Exkursion weiter als 15 Kilometer von Montagnac, die Hinfahrt von 1938, konnte ich im Alter von 12 Tagen noch nicht bewusst erleben. Wir erreichten den Bahnhof von Perigueux bereits bei Dunkelheit. Es war in der ersten Septemberwoche des Jahres 1948, genau 10 Jahre zuvor, ging die Reise in die umgekehrte Richtung. Noch nie zuvor sah ich eine Dampflokomotive eines Eisenbahnzuges. Zum aller ersten Mal bestaunte ich eine Eisenbahn mit der mächtigen Lokomotive. Es standen etwa fünf dieser Ungeheuer auf den Schienen, ich war völlig benommen, die Riesenräder, die Männer mit den geschwärzten Gesichtern, welche andauernd Kohle in diesen Feuerschlund warfen. Der Riesentank und der Rauch- und Dampfstrahl aus den Röhren, dann die lauten Pfiffe. Es war einfach umwerfend, noch mussten wir nicht einsteigen, unser Zug kam aus Bordeaux und war verspätet. Wir waren seit dem frühen Morgen auf den Füssen und froh, als endlich der Zug aus Bordeaux eintraf. Aber oha, der war über und über voll mit Leuten aus den Städten, welche ihre Ferien beendeten, besonders aber mit vielen Studenten aus Lyon, Paris, etc. welche sich auf der Rückreise in ihren Campus befanden. Wir zwängten uns in einen der überfüllten Wagen, Vater und Hans schoben die beiden schweren Koffer vor sich her, ich hatte nur eine Tasche. Der Traum von einem Sitz blieb Wunschdenken, wir standen wie gepresste Rollmopse im Gang und mit uns viele andere Passagiere. Mutter setzte sich auf einen Koffer und nahm die beiden Kleinkinder zu sich. Die Toiletten waren 126 127 unbrauchbar, weil sie bis zur Decke mit Koffern belegt waren. Es war eine unglaubliche Situation, ich stand die ganze lange Nacht im Gang dem Fenster zugewandt und schaute hinaus in die dunkle Nacht. An Schlaf war nicht zu denken, obwohl das stehend durchaus möglich gewesen wäre, weil ich rundum von Leuten eingepfercht war. Im Schneckentempo bewegte sich die Bahn in Richtung Lyon, oft wurde angehalten, damit sich die Leute entleeren konnten, die Toiletten waren ja nicht zu gebrauchen. Die jungen Studenten aus Bordeaux sassen auf den Bänken und schliefen, niemand hätte den Kleinkindern oder alten Leuten einen Sitz angeboten! Aber ich wollte durchhalten und stramm stehen bis zum nächsten Tag. Mich störte dabei die Menschenmasse am meisten, ich war nicht gewohnt, mit so vielen Leuten auf derart engem Raum zu sein. Irgendwann am Vormittag schnaufte die Bahn in Lyon ein. Wir hatten die Hälfte der Strecke bis Bern geschafft. Vater beschloss, angesichts der Tatsache, dass wir die ganze lange Nacht stehen mussten, wohl besser in ein Hotel gingen um dort bis zum nächsten Tag auszuruhen. 71. Kapitel LYON Mutter und die beiden Kleinkinder schliefen am Nachmittag im Hotelzimmer. Vater, Hans und ich machten uns auf einen Stadtbummel auf. Ob wir zuvor noch schliefen oder nicht, daran erinnere ich mich nicht mehr, generell sind mir nur 127 128 sehr wenige Eindrücke geblieben, obwohl es sich um die allererste Grosstadt handelte, die ich zu sehen bekam. Häuser, Strassen, Menschen, was soll man da behalten können? Bereits vom Hotelzimmer aus, konnten wir die „Rhone“ sehen, der Fluss, der seinen Ursprung in der Schweiz hat. Wir gingen entlang des Flusses, die Ufer waren mit Büschen und Bäumen gesäumt. In einem Restaurant genehmigten wir uns ein Bier, mehr blieb nicht in meinem Gedächtnis haften. Hans und Vater redeten wie erwachsene Männer miteinnander, während ich, das Kind, lediglich zuhören konnte. Hans war nun bereits 19, etwa gleich gross gewachsen wie Vater. Lyon wurde für mich so etwas wie eine Kultstätte, in der ersten Septemberwoche 1938, verbrachten wir ebenfalls eine Nacht in dieser Stadt. Jetzt, die erste Woche im September 1948, bereits zum zweiten Mal, und ich blieb dieser Tradition treu bis ins Jahr 1978! Nämlich im März 1958, als ich unterwegs nach Nordafrika war, sowie 1968, als ich mein Spanienjahr verbrachte. Dann 1978, anlässlich einer Kreuzfahrt auf die Kanaren, als wir mit dem Talgoexpress wieder Lyon passierten. Aber damals, 1938, waren die Umstände noch dramatischer, Wir, meine Eltern und ich, kamen direkt aus einem französischen Gefängnis nahe der Grenze zur Schweiz. Vater wurde mit einem intensiv gesuchten Spion aus Italien verwechselt, die Franzosen waren sicher, den Kerl endlich geschnappt zu haben! Sie sperrten gleich die ganze Familie in eine Zelle. Nach drei Tagen erhielten sie die Meldung aus Bern, der Mann, den sie verhaftet haben, sei ein harmloser Auswanderer aus der Gemeinde Köniz bei Bern, nicht der gesuchte Spion! So verbrachte ich damals von meinen 12 Tagen auf der Welt, deren zwei oder drei im Gefängnis bei Anemasse. Später, wenn ich beteuerte, nicht vorbetraft zu sein, hielt mir Vater dies entgegen, immerhin blieb es dann dabei! 128 129 Lyon ist keine schöne Stadt, wurde aber wegen den damaligen Vorkommnissen zu einer besonderen Nostalgiestätte für mich. 72. Kapitel Das erste Problem Es handelt sich hier um eine Autobiographie, welche nur Informationen aufzählt, an die ich mich genau erinnern kann. Deshalb kann ich nicht beschreiben, wie ich die Fahrt von Lyon bis Genf erlebte, weil absolut nichts haften blieb. Dabei machte ich mir schon seit langer Zeit Gedanken darüber, wie wohl eine Grenze aussehen möge? War das eine hohe Mauer, über die man klettern musste? Oder ein tiefer Graben, eine Wand aus Brettern, durch welche man hindurch kriechen konnte? Mit Spannung erwartete ich die Grenze, aber seltsamerweise muss sich das problemlos abgespielt haben. Ich kann nachsinnen wie ich will, es kommen keine Informationen! Hingegen hat sich ein Vorkommnis am Bahnhof von Genf tief in meine Erinnerungen eingegraben. Der Unterschied zu Frankreich war kaum bemerkbar, auch hier war alles auf Französisch angeschrieben. Wir begaben uns ins Bahnhofbufett und setzten uns an einen grossen Tisch draussen auf der Terasse. Vater und Hans bestellten ein grosses Bier. Auch ich fordere ein grosses Bier, da schaut mich die Servierfrau entsetzt an und sagt: „Aber der ist ja noch ein Kind, der kriegt kein Bier!“ Ich will aber ein Bier und beginne laut zu werden. Die Frau läuft weg und bringt nur dem Vater und Hans je ein grosses Glas Bier. Ich erhalte nichts und werde richtig zornig, ich glaube, ich benutzte ein Wort, das wie Diskriminierung lautete. Als Vater sah, dass ich nicht klein beigeben werde und kurz vor einem Amoklauf war, bestellte er ein zweites Bier für sich, als er es erhielt, gab er das Glas mir weiter. Die Servierfrau protestierte laut, während ich durstig das Glas 129 130 leerte. Vater erklärte ihr, dass wir aus Südwestfrankreich kommen und ich dort seit vielen Jahren Wein und Bier trinken durfte. Die Frau sagte etwas, das mich inskünftig noch oft tangieren sollte: „Wir sind hier in der Schweiz, nicht in Frankreich!“ Damit machte ich meine erste Erfahrung mit dem „Paradies“ Schweiz, meine Erwartungen platzten wie Seifenblasen an der Sonne. Ende erstes Buch *************************************************** Buch 2: 01.09.48 bis 31.08.58 Buch 3: 01.09.58 bis 31.12.68 Buch 4: 01.01.69 bis 31.12.98 Anhang: 130 131 Am Anfang war der Affe........ Meine Herkunft kann als echt bescheidene Schweizer Art umschrieben werden. Im Jahr 1525 wurden im Kanton Bern auch die Landleute namentlich registriert, und seit diesem Jahr ist auch unser Stammbaum eingetragen. Es ist aber bekannt, dass diese Leute zuvor schon seit vielen hundert Jahren den Raum Thun-Oberland bewohnten. Es waren keine Leibeigenen, sondern eher bescheidene freie Bürger, aber auch keine Adligen, obwohl in der Familienchronik einige Fachvoegte hervorgehen. Soviel aus der Geschichte bekannt ist, wanderten Teile dieser Bevölkerung vor rund 2000 Jahren aus dem Norden Europas ein, sie mischten sich dann mit den Helvetier oder Kelten. So war etwa mein Grossvater allemannischer Abstammnung und die Grossmutter keltischer Herkunft. Die Kelten sollen grüne und blaue Agen haben, so hatte zum Beispiel Onkel Otto blaue Augen! Der helvetische Teil unserer Herkunft war zugleich der sanfte, weiche Menschenschlag, das galt zu allen Lebewesen, so soll etwa der Grossonkel gegen hundert Katzen gehabt haben, weil er nie eine töten konnte. Dieser Stamm hatte nie Geld, weil alles verschenkt wurde, sie lebten die humane Seite des Lebens wie es eigentlich die Bibel vorsieht. Die meisten waren schon Hippies, bevor es diese gab, und fast alle starben arm. Anders der Stamm meines Vaters, auch die kannten nur anständige Lebensformen, Geld raffen galt als Frechheit und höchst unanständig! Nur lebenslang arbeiten und Steuern zahlen, dann war man ein Guter Bürger! Und so starb Vater eben ohne einen Rappen Schulden oder Vermögen! 131 132 Meine Mutter war walsischer Herkunft, vor 400 Jahren mussten die protestantischen Walser aus dem Wallis nach Appenzell flüchten, Walser waren schon immer ein eigenes Volk, aber auch sehr bodenständig und bescheiden. Zudem war Mutter noch Vollwaise, weil die Eltern frühzeitig starben. Sie war eigentlich die harte Seite in der Familie, Vater tendierte eher in Richtung der Grossmutter. Die Nachkommen konnten somit aus drei Varianten wählen, das heisst erben. Nur so lässt sich erklären, weshalb zwischen Bruder Ernst und mir ein derart grosser Unterschied bestand. Wir hatten praktisch rein nichts gemeinsam! Dafür verstand ich mich mit dem Halbruder Hans viel besser! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Rolf Bahl, Blick zurück. Autobiographie: Zweiter Teil: 10. bis 20.Altersjahr 1.09.1948 bis 31.08.1958 Kapitelübersicht: 1. In der neuen Heimat 2. Reise in die Ostschweiz 132 133 3.Die Magie des Waldes 4.Winterhölle 5.Das Diktat 6.Onkel Hans 7.Der Unfall 8.Der Beinbruch 9.Intermezzo am Brunnentrog 10.Annelis Tod 11.Der Pfeilschuss 12.Ich erlerne das Alphabet 13.Die grossen Schuhe 14.Bubenstreiche 15.Füsilier Hans B. 16.Von Karl May zu Rolf Torring 17.Mönch und Einsiedler 18.Kanonier Piggerling 19.Ein Genie 20.Die Wahrsagerin 21.Der Unhold 22.Der Aufseher 23.Die Pistole 24.Lehrer Schmied 25.Der Korea Krieg 26.Deubelbeiss und Schürmann 27.Esther Williams 28.Mutters Vorschlag 29.Abschied 30.Das Leben ist anders 31.Endlich in der 9. Klasse 32.Der schockierende Brief 133 134 33.Die Rache des „Jöggu“ 34.Schrecksekunde 35.Angriff im Munistall 36.Der Amerika Traum 37.Streit mit dem Melch 38.Beim Berufsberater 39.Ich will Missionar werden 40.Gefahr am Abend 41.Roter Pfeil 42.Drohung 43.Die Konfirmation 44.Wieder im Schlatt 45.Die Lehre 46.Eine Bieridee 47.Besuch bei Mutter 48.Die Landesbibliothek 49.Dien Bien Phu 50.Auf dem Bau 51.O Cangaceiro 52.Fünf Sekunden im Jenseits 53.Die Halbstarken 54.Bei der Post 55.Lehrstelle in Weinfelden 56.Der Reinfall 57.Unter dem Nullpunkt 58.Elvis 59.Der Tyrann 60.Die Familie ist komplett 61.Der Postlehrgang 62.Das Ferngymnasium 134 135 63.Ich werde Kommunist 64.Neuorientierung 65.Tränengaseinsatz 66.Seen 67.Eilbote in Zürich 68.Eva 69.Fabrikarbeiter 70.Diensttauglich 71.Und wieder bei der Post 72.Lehrer als Sadist 73.Die Rekrutenschule 74.Der Waffenerwerbschein 75.Auf nach Afrika 76.An die Weltausstellung 77.Abschied von Klara 78.Erste Hürde Geschafft Kapitel 1 In der neuen Heimat Bei Sonnenuntergang erreichten wir unser Reiseziel, wir verliessen den SBB-Wagen dritter Klasse in Gasel. Der Stationsvorsteher, ein gewisser Herr Anken, begrüsste uns wie seltene Gäste. Neben ihm stand Onkel Otto, den ich natürlich sofort wieder erkannte. Bis zur Siedlung Schlatt, galt es noch rund 2 Kilometer zu Fuss zurück zu legen. 135 136 Otto hatte ein vierräderiges „Leiterwägelchen“ mitgebracht. Von der Bahnfahrt Genf-Bern-Gasel, blieben mir keinerlei Erinnerungen, ich war vermutlich zu sehr mit meiner Zukunft beschäftigt, ich kam mir vor wie ein Haustier, das man in der Fremde ausgesetzt hat. Fern der gewohnten Umgebung und hoffend, bald wieder zurück zu sein. Der Weiler Schlatt, liegt hinten in einem Talkessel, dieser ist rundum von Hügeln umgeben. Im unteren Teil des kleinen Dorfes standen nur 4 Häuser. Das erste ein Bauernhaus der Familie Hofer, dann eine Gärtnerei der Suters, das Zweifamilienhaus von Otto, und schliesslich ein Holzhaus der Grossfamilie Schuhmacher. Im oberen Teil standen etwa sieben Häuser, die Milchsammelstelle der Geschwister Schenkel, die Schreinerei der Familie Thommet, ein Bauernhaus und daneben ein Kolonialwarenladen, danach Malermeister Otto Locher, dann das Bauernhaus von Herrn Spycher, das von der Familie Schmutz gepachtet war, unten noch ein grosses Bauernhaus der Familie Zahnd. Letzteres war einmal Eigentum meiner Vorfahren, Vater wurde im Jahr 1899 dort geboren. Im Schlatt gab es nur wenige schulpflichtige Kinder, die meisten davon Mädchen, 2 Hofer, 2 Suter, 1 Schuhmacher, 2 Thommet. Der Suter Kurt war etwa fünf oder mehr Jahre älter als ich, auch der Thommer Edy, nur der Ruedy von den Schmutzes, war mit einem Jahr mehr, in meinem Alter. Alle diese Informationen hatte ich in wenigen Wochen gesammelt, noch galt ich als fremder, exotischer Vogel im Dorf. Besonders auf meine Baskenmütze hatten es die Buben abgesehen, deshalb zog ich es vor, diese lieber nicht mehr zu tragen und mich den neuen Sitten anzupassen. Selbstverständlich wussten alle im Dörfchen, wer ich bin und woher wir kamen. Ich denke, die Leute waren besser über uns informiert, als wir selber! Noch waren die langen Schulferien bis Ende September nicht vorüber, dann begann für mich der endgültig neue Lebensabschnitt in einem anderen Land. ************************************************ 136 137 Kapitel 2 Reise in die Ostschweiz Wir lebten zusammengepfercht in der kleinen Zweizimmerwohnung im ersten Stock des alten Riegelhauses von Onkel Otto (Otto). Vater, Mutter, ich und die beiden Kleinkinder, Hans arbeitete in Winterthur bei der Firma Rieter, er erhielt dort eine Anstellung als Hilfsdreher. Zimmer und Verpflegung erhielt er bei der Tante Alice. Wegen der restriktiven Devisenvorschriften, welche damals in Frankreich galten, durften wir gerade einmal 500.Schweizer Franken in die Schweiz ausführen. Der Rest der Ersparnisse blieb in Frankreich blockiert und verlor täglich an wert. Und mit den goldenen Arbeitsangeboten für Vater, wars auch nur ein Traum, er war schon fast 50 und für eine gute Anstellung bereits zu alt. Otto war Disponent und Betriebsleiter bei den „Vereinigte Mineralwasserwerke“ in Bern, aber ich verstand nie richtig, weshalb er für Vater keine Stelle anbieten konnte? Er hatte ihn doch mit Lockrufen in die Schweiz zurück geholt, jetzt, da er zurück war, liess er ihn fallen. Schliesslich konnte Vater eine Anstellung als Kohlenausträger bei der Firma „Schneider-Rindlisbacher“ in Weissenbühl bei Bern, antreten. Eine schwere, schmutzige Arbeit mit schlechter Entlöhnung, bei welcher auch viel getrunken wurde. Der Weg zum Alkoholiker war damit bereits vorprogrammiert! Schon nach wenigen Wochen standen wir vor einem Scherbenhaufen, eine fünfköpfige Familie ohne Geld und Vermögen und ein Familienoberhaupt, das fast täglich betrunken nach Hause kam. Mit zwei Kleinkindern konnte Mutter auch keiner Arbeit nachgehen, zudem war weit und breit auch keine Arbeit in sicht. 137 138 Kurz nach unserer Ankunft im Schlatt, ging Mutter mit uns auf Reisen, sie wollte ihre lieben Geschwister in der Ostschweiz besuchen. Mit der SBB fuhren wir bis Winterthur. Ab dem Hauptbahnhof Winterthur fuhren wir mit einer Strassenbahn bis nach Töss, dort lebte Tante Alice mit ihrem Mann Dölf, sowie der Hans, an der Klosterstrasse 10. Es war bereits sehr dunkel, beidseits der Strasse waren Fabriken von Sulzer, Lokomotivfabrik und Rieter, alles grosse Namen. Imponierend war deren 24-Stundenbetrieb in drei Schichten zu je 8 Stunden. Von der Strasse aus konnte man die hell erleuchteten Fabrikräume sehen und die Arbeiter an den Anlagen herumhantieren. Auch Hans musste im Schichtbetrieb arbeiten und schien glücklich über sein Salär zu sein. In Winterthur herrschte damals eine industrielle Aufbruchstimmung, wie kaum jemals zuvor und erst nicht mehr in den späteren Jahren. Danach ging die Fahrt weiter nach St. Gallen Winkel, zur Tante Emma, diese lebte mit ihren sechs Kindern (Arthur, Heidi, Elisabeth, Therese, Vreni und Erika) und Mann „Gusti“ in einem alten Haus, das eher an eine Scheune erinnerte. Die Wohnverhältnisse waren sehr prekär, die hälfte der Kinder hatte eine triefende Nase, und Tante Emma klagte bitterlich über das kleine Einkommen, das ihr „Gusti“ mit dem Verkauf des „Das Gelbe Heft“ erwirtschaftete. Gegen Mittag tauchte der „Gusti“ auf, er war äusserst schleimig-scharmant, so, als wollte er uns ein Abonnement aufschwatzen. Ich glaube mich zu erinnern, dass er meiner Mutter ein Abo aufschwatzte? Am grossen Familientisch musste er dann noch ein paar KO Tiefschläge seiner Gemahlin einstecken. Der arme Gusti erinnerte mich eher an einen Zirkusclown, und für Vater war er nur ein arbeitsscheues Element. Mir war schon damals klar, dass das Familienleben hier nur noch einem Grabenkrieg entsprach. 138 139 Und schon bald sollte auch bei uns eine ähnliche Situation entstehen. Kapitel 3 Die Magie des Waldes Noch hatte ich wenig Kontakt mit gleichaltrigen Knaben, es gab nur wenige in der weiteren Umgebung. Einer war der Paul Hofer aus einem abgelegenen Weiler weit hinten in einem Tal, welcher halbwegs zwischen Schlatt und Oberscherli, als Käsereibube oder Verdingbub, diente. Er hütete in der Nähe die Kühe und ab und zu gesellte ich mich zu ihm, Er mochte um die 12 Jahre zählen, kannte nur ein Thema, Sex und Frauen, immer, wenn ich bei ihm war, erzählte er von sadistischen Handlungen an Frauen. Das hörte sich oft derart brutal an, dass ich es vorzog, ihm lieber aus dem Weg zu gehen. Ich fand eine neue, faszinierende Beschäftigung, die Wälder. Alleine schlenderte ich stundenlang durch die nahen Wälder, folgte den zahlreichen Vogelstimmen, manchmal begegnete ich auch einem Reh oder Hasen. Otto nahm mich an Samstagen auch in seinen Wald mit, dort half ich Bäume fällen, Stämme durchsägen und Pilze sammeln, weil auch noch ein wilder Bach durch den Wald floss, fand ich dieses Waldstück besonders romantisch! Am liebsten verbrachte ich die Zeit jedoch alleine in den Wäldern, ich fühlte mich dort wie zu Hause und konnte so einen Teil meiner alten Heimat, das stille Tal, wieder finden. Es kam der Schulbeginn in Oberscherli, die Lehrerschaft wusste nicht so richtig, soll man den Knirps in die 3. oder 4. Klasse stecken? Vom Jahrgang her, wäre die 4. Klasse zutreffend gewesen, weil ich aber kaum Deutsch konnte, musste ich dann in der 3. Primarklasse sitzen. 139 140 Und ich wurde wiederum ganz hinten auf eine Bank beordert, von dort sollte ich vorerst einmal dem Unterricht zuhören. Ich war nun der „Franzose“, obwohl bereits mein Vater am gleichen Ort die Schule besuchte. Mit meinem starken französischen Akzent, blieb ich vorläufig ein Exot. Anfänglich hatte jemand die Idee, die Lehrerin sollte mich weiterhin auf Französisch unterrichten! Das führte dann zu einem unnötigen Zweikampf, indem die Lehrerin behauptete, mein Französisch wäre falsch und ich bei ihr die gleiche Behauptung aufstellte. In der Tat, sprach sie nur Schulfranzösisch, ich aber das Französisch des Südwestens. Auch in anderen Fächern sträubte ich mich mitzumachen, so wollte sie uns zu Balett-Tänzen motivieren, ich war derart verkrampft, dass sie es bald aufgab, zudem beharrte ich darauf, nicht singen zu können, weil wir in Frankreich dieses Fach nicht kannten. Seltsamerweise blieb während der gesamten Schulzeit die Gesangsnote in meinem Zeugnis einfach weg. Ich führte einen Kampf gegen viele Drachenköpfe, selbst in der Schulkantine konnte ich mich nicht überwinden, diesen scheusslichen Milchreis zu essen. Im Übrigen aber, war die Schule stressfrei und bequem, keine Hausaufgaben, keine aktive Beteiligung, ich musste nur ruhig zuhören! Kapitel 4 Winterhölle Ich besass damals kaum mehr als die Kleider, welche ich auf mir trug. Keine Leibwäsche, kurze Hosen, abgelaufene Halbschuhe, auch keine Winterkleider wie Wolljacken und dergleichen. Geld war schlichtweg nicht vorhanden, Vater 140 141 versoff einen Teil seines kleinen Gehaltes. Einmal die Woche gabs Fleisch, meistens „Kümmelwürste“ oder „Servelats“, manchmal auch eine Fleischsuppe, oder ein altes Huhn im Topf. Vater betonte oft, dass erst er als Schwerarbeiter Fleisch benötige, und wir als nutzlose Fresser mit etwas weniger zufrieden sein sollten. Er führte wieder die Porzellanschlachten ein, doch hielten sie nicht lange an, weil schon bald kein Geschirr mehr vorhanden war. Vater erhob sich zum absoluten Despoten, wir mussten ihn „formal“ mit „Ihr“ ansprechen, eine bernische Version von „Sie“, das Wort „Du“ war verboten! Wenn er an Sonntagen guter Laune war, ging die ganze Familie spazieren, dabei durften wir Kinder nicht vorauseilen, sondern mussten brav und züchtig hinter den Eltern her gehen! Als einmal die beiden Kleinen lustig voraneilten, gabs eine grobe Schelte und Prügel. Vom Auslandschweizerwerk in Bern, erhielten wir getragene Kleider und Schuhe, ich erinnere mich, dass meine Sachen fast immer viel zu gross waren. Auch Onkel Rudolf, der andere Onkel, brachte uns manchmal nützliche Gegenstände, oder gab mir ein Trinkgeld, er sagte mir, er wolle mein Ersatzpate sein, weil ich keinen hatte. Rudolf war Quellenaufseher der Stadt Bern, er lebte mit seiner Familie in Gartenstadt bei Liebefeld. Tochter Marlene war Jahrgang 37 und die jüngere Anneli, mit einem grossen Wasserkopf, etwa Jahrgang 40, sie starb daran recht jung. Trotz allen Kleiderspenden fror ich bei Wintereinbruch fürcherlich, es fehlten die warmen Kleidungsstücke. Zudem hatte ich kein eigenes Bett, musste auf dem kalten und harten Holzboden schlafen, das Schlafzimmer hatte keine Heizung! Es war der reinste Horror, ich fühlte mich wie in einem sibirischen Straflager. Dann am frühen Morgen mit halbschuhen, kurzen Hosen, ohne Mantel, durch den hohen Schnee stampfend in die Schule nach Oberscherli! 141 142 Einzig im Schulzimmer wurde gut geheizt und es herrschte eine angenehme Wärme. Am liebsten wäre ich die ganze Zeit einfach dort geblieben, aber das ging natürlich nicht. Logischerweise entwickelte ich einen ewigen Hass auf die kalte Jahreszeit, den ich nie mehr ändern konnte. Damals pflegte man beim Schlitteln kopfvoran zu fahren, ich fuhr einen steilen Waldweg hinunter, als plötzlich zwei erwachsene Leute auf der Piste standen, ich wollte ausweichen, doch ich beherrschte die Lenktechnik noch nicht richtig und landete in einem Baumstrunk. Resultat, die linke Hand war während Monaten verstaucht oder gar ein Knochen gespalten. Natürlich meldete ich den Unfall nicht, das hätte nur Aerger eingetragen, ich hielt die Schmerzen oft kaum noch aus, erst nach einem halben Jahr konnte ich die linke Hand wieder gebrauchen. Kapitel 5 Das Diktat Irgendwie überlebte ich den Winter im Schlatt, es war die Hölle, kein Bett zum schlafen, keine warme Winterkleidung, kein Geld und eine fremde Umgebung. Mir war bewusst, dass ich von meiner Herkunft her zu schliessen, zu diesem Volk gehörte, fühlte mich aber keineswegs mit diesen Leuten identisch. Die berndeutsche Sprache lernte ich sehr schnell und fast perfekt, wer gut hinhörte, konnte aber meinen französischen Akzent feststellen. Im Frühjahr 1949, ging es dann in die vierte Primarklasse zu Lehrer Hans Tanner. Dieser war ein junger, dynamischer Mann, Oberleutnannt in der Milizarmee. In der Knabenschule mussten wir das Marschieren im Gleichschritt üben, wer versagte, konnte mit einer Ohrfeige rechnen. Am Anfang rannte er einmal 142 143 auf mich zu, weil ich nicht im Takt war, er hatte seine Hand schon erhoben, ich sah bereits ein Problem auf mich zukommen, weil ich mich unschuldig fühlte und das nicht akzeptieren würde. Aber seltsamerweise, hielt er im letzten Augenblick inne, und verschonte mich! Ob er wohl intuitiv fühlte, dass er sich möglicherweise das Leben damit verkürzen könnte? Ich war damals fest entschlossen, eine solche Tat auf meine Art zu rächen! Fortan hatten wir fast sowas wie eine spirituelle Vereinbarung, er schlug mich in all den drei Jahren nie, und ich war mir fast sicher, dass er mich nicht anfassen wird. Woher ich dieses Wissen hatte, das wunderte mich ein Leben lang. Man darf dabei nicht vergessen, dass er die Verdingbuben, wie den Hofer Paul und den Krähenbühl, fast jede Woche vor versammelter Klasse mit der dicken Haselrute verprügelte, solange, bis dieser Stab in Stücke zerbrach. Lehrer Tanner liess mich weiterhin gewähren, ich musste nur zuhören und ruhig sein. Doch eines Tages war es aus mit dieser Gemütlichkeit, ein Diktat von etwa vier Sätzen war angesagt. Tanner sagte zu mir: „So Ruedi, jetzt musst Du auch mitmachen, nimm ein Blatt Papier und schreibe das Diktat auch mit!“ Ich tat wie befohlen, gab mein Blatt zur Korrektur ab, dann erhielt ich es zurück, und jeder Schüler musste laut die Anzahl der gemachten Fehler melden! Die besten Schüler hatten keine Fehler, die schlechteren meldeten zwischen 2 bis 6 Fehler. Dann war ich an der Reihe, ich sagte laut: „86 Fehler“. Im Klassenzimmer ein riesen Gelächter, ich errötete und lachte selber aus Verlegenheit mit. Da tat Lehrer Tanner etwas, was ich nie vergessen konnte, er sagte zu den Klassen:“Ihr sollt gar nicht so dumm lachen, der Ruedi kommt aus einer anderen Sprachregion, und 143 144 wenn ihr an seiner Stelle stehen würdet, dann wären eure Ergebnisse vielleicht noch schlechter“. Mir war diese Intervention sehr gelegen, ich sah fortan den Lehrer auf meiner Seite und wollte ihn auch nicht entäuschen. Ich hatte nämlich keine Helfer, weder zu Hause noch sonstwo. Dieses Diktat war zugleich der Anfang meiner schulischen Ausbildung in der Schweiz. Die 86 Fehler waren nur möglich gewesen, weil ich in jedem einzelnen Wort mehrere Fehler zu verzeichnen hatte. Die deutsche Sprache habe ich nie erlernt, ich schaffte es mit viel lesen, und in der 5. und 6. Klasse, erhielt ich bereits mehrere Preise von Lehrer Tanner, man würde es kaum glauben: „für fehlerfreies lesen aus dem Schulbuch“. Das Fach rechnen mochte ich nicht, war aber recht stark dabei. Kapitel 6 Onkel Hans Im Haus war noch ein Dachzimmer, dieses wurde von Onkel Hans bewohnt. Er war wenig älter als Vater, seit einer Kinderlähmung in der Kindheit schwer behindert. Er lebte von den Almosen seines Bruders, Onkel Otto, verdiente etwas Geld mit dem Mäusefang. Wie ich im Lauf der Jahre erfahren konnte, hatte Vater sechs Geschwister zu verzeichnen. Einmal zwei Brüder, welche sehr jung starben, einer soll Karl, der andere Fritz gewesen sein, dann der Hans, Vater, Rudolf, Marie, und als jüngster Onkel Otto. Nur der Otto durfte seine Jugendzeit zu Hause verbringen, alle andern wurden irgendwie verdingt. Der Hans war kein Aufsteller für uns, er sass den ganzen Tag auf der Bank vor dem Haus und reklamierte andauernd 144 145 über den Kinderlärm. Obwohl erst wenig über 50, empfand ich ihn wie einen uralten Greis. Machte ich einmal Spass, sagte er aufgeregt:“ Hau ab du frecher Saubub!“ Im Erdgeschoss war Otto mit Frau Marie, und im „Telephonstübli“ so genannt, weil dort ein Telephon war, schlief der Zbinden Walter, ein Pflegekind aus der Verwandschaft von Marie. Der Walter war damals etwa 19 und Hilfsarbeiter in der Firma von Otto. Obwohl das Ehepaar nie eigene Kinder hatte, wollte Otto den Knaben nicht adoptieren und gewährte ihm anscheinend auch keine berufliche Ausbildung? Ein Verhalten, das ich nie verstehen konnte. Den Walter mochte ich gut, er war fast immer bestens aufgelegt, fröhlich und mit Humor ausgestattet. Ich beneidete ihn um seine positive Lebenseinstellung. Als dann der mürrische Hans plötzlich verstarb, war das eher eine Erlösung für alle. Obwohl mittellos, hinterliess Hans doch etwas für mich, einmal rund 100 Mausefallen, dann eine ganze Garnitur von Nacktfotos mit Frauen. Hans gehörte zu jenen Zeitgenossen, welche nie eine Frau ehelichen konnten, ich nehme daher an, dass er sich in Bordellen herumtrieb, wo er vermutlich auch die Aufnahmen her hatte? Aber meine Freude an den Fotos, die ich nur heimlich bestaunen konnte, dauerte nur kurz, sie waren plötzlich spurlos verschwunden! Ich vermutete Mutter als „Täterin“ getraute mich natürlich nicht danach zu fragen. Ich musste mich mit den Mausefallen begnügen, in den drei folgenden Jahren verdiente ich ganz gut Geld mit dem Mäusefang und den Spatzen. Der Beauftragte der Gemeinde warf sie bei ihm auf den Misthaufen, gab mir das Geld und ich war zufrieden. Ab dem 11. Altersjahr wurde ich praktisch zum Selbstversorger, aus der Familienkasse kam nur noch die Verpflegung, wobei ich oft anderweitig zu essen pflegte. Zu Hause war meistens Streit am Tisch, wenn eines der 145 146 Kleinkinder laut war, war der Teufel los, es herrschte die absolute Nulltoleranz. Mir war das wirklich zu dumm, ich ass später oder früher, sagte dann, ich hätte bereits bei den Nachbarn verpflegt. Bei der Gärtnerei Suter, konnte ich die Kränze austragen, im Garten arbeiten, Erde sterilisieren, Setzlinge verpflanzen, Blumen pflücken und binden, ich kannte fast alle lateinischen Namen, war stolz, mehr zu wissen, als etwa der Lehrling im dritten Lehrjahr. Ich wurde für damalige Verhältnisse meistens gut entlöhnt, nur einmal, bei einem Bauern namens Kohli, erhielt ich für zwei Wochen schuften während den Heuferien nur 5.- Franken. Ich hielt mir auch Kaninchen hinter dem Haus, wenn sie fett genug schienen, brachte ich sie dem Michel, ein Händler zwischen Schlatt und Niederscherli. Damit sie etwas mehr wogen, gab ich ihnen zuvor noch eine gute Henkersmahlzeit. Ich hatte stets den Eindruck, dass der Michel meine Taktik durchschaut hatte? Doch er zahlte immer nach Gewicht, ich, hingegen, ass nie im Leben Kaninchenfleisch! Auch die Vermehrung hatte eine echt romantische Seite, den Kaninchen gab ich die Namen meiner Klassenkameraden/innen. So erinnere ich mich, dass ich an einem schönen Morgen das Dorly und den Fritz zusammenbrachte, der Fritz sollte das Dorly besteigen und tat dies auch gründlich. Und an einem schönen Morgen hatte das Dorly Junge geworfen, und ich rief laut in die Natur hinaus:“Juhu, das Dorly hat Junge geboren“! Natürlich behielt ich solche Intimitäten immer für mich! Im Klassenzimmer sah ich dann nach dem Dorly, die natürlich keine Ahnung davon hatte, für mich aber, war das alles Realität. ************************************************ Kapitel 7 146 147 Der Unfall In der Schule schlug ich mich verhältnismässig gut durch, Lehrer Tanner konnte sehen, dass ich mich anstrenge und auch gut vorankam, die Hausaufgaben erledigte ich immer ohne jede fremde Hilfe und ohne Beaufsichtigung. Einzig das Zeugnis mussten die Eltern zweimal jährlich unterschreiben. Die Noten schauten sie kaum an, und so erhielt ich auch nie negative Bemerkungen. Für Fleiss, Ordnung und Benehmen erhielt ich praktisch nur die beste Note. Ich hatte zu Hause keinen Rückhalt, somit musste ich mich in der Schule umso mehr anstrengen. Und ich ging sehr gerne in die Schule, trotz dem grossen Rückstand im Schulstoff, den Hänseleien wegen dem „Franzosen“, oder gar den kritischen Zuständen zu Hause! Ich nutzte jede freie Minute, um Geld zu machen, sammelte Weizen- und Kornreste auf den Getreidefeldern, das gab eine ganze Menge Mehl. In den Wäldern holte ich Holzabfälle, Tannenzapfen, und andere Brennmaterialien. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals Brennholz eingekauft hätten. Viel Geld konnte ich mit einsammeln von Mesinghülsen erzielen, das Militär liess etwa bis 1951, die Hülsen einfach im Gelände liegen, später mussten die Soldaten diese selber zurücknehmen und wir Knaben hatten eine Einahmequelle weniger. Zwischen Gasel und Köniz war die Station „Moos“, hinten ein grosses Tal, das mit dem Abfall der Stadt Bern aufgefüllt werden sollte. Ich streifte stundenlang durch den Abfall um nach Dingen zu suchen, die ich noch irgendwie verwerten konnte. Metall verkaufte ich dem „Lumpensammler“ wie man diese Leute damals nannte. Einmal fand ich eine komplete Fahrradpumpe, ich überstrich diese mit schwarzer Farbe und verkaufte sie für Fr. 2.- einem Velohändler in Schliern. Dabei freute mich am meisten, dass ich sie einem „Profi“ absetzen konnte. Es sei an dieser Stelle zu bemerken, dass man im Jahr 1950, mit 2.Franken noch recht viel kaufen konnte. 147 148 Wir schrieben noch immer das Jahr 1949, ich weilte wieder einmal während vielen Stunden im tiefen Wald. Als ich nach Hause kam, teilte mir Mutter mit, dass Vater schwer verunfallt ist, er liege in der Notfallstation im Inselspital von Bern! Was war geschehen? Vater, und ein anderer Arbeiter mit dem Namen „Sterchy“, standen in voller grösse auf dem Heck des Lastwagens, Gesichter nach hinten, darum konnten sie nicht erkennen, dass bei „Fischermätteli“ vor Bern, eine niedrige Überführung kam. Der Laster raste unten durch und die beiden Männer wurden auf die Ladebrücke hinunter geschleudert. Erst hiess es vom Spital, Vater werde kaum überleben, er habe verschiedene Nackenwirbel gebrochen und habe eine fürchterliche Hirnerschütterung! Das hatte gerade noch gefehlt, aber ich meine, ich war gar nicht mehr in der Lage, noch tiefer zu fallen, wir waren schon lange am Ende. Wer nichts hat, kann bekanntlich auch nichts verlieren, ich hatte noch meinen Körper und damit musste es einmal wieder aufwärts gehen. Aber Vater überlebte, musste jedoch etwa einen Monat im Spital bleiben. Wir besuchten ihn, dabei erinnere ich mich an den ersten Besuch im Inselspital. Im ganzen Haus diese weissen Gestalten mit ernsten Gesichtern, ein fürcherlicher Gestank von Chloroform, der mich beinahe betäubte. Dann endlich, ein Massenlager mit 50 der auch 80 Patienten, alle Betten besetzt! Etwa in der Mitte finden wir Vater, ernst wie immer, begrüsst er uns, Hals und Kopf in einem grossen Gipsverband gehüllt. Er kann sich nicht bewegen, die Halswirbel müssen erst wieder zusammenwachsen. Er schildert uns das Leben im grossen Raum, ganz am Ende soll der „Trampatient“ liegen, ein Mann, der unter das Tram geriet und fast alle Knochen gebrochen hat, er soll oft die halbe Nacht lang wie ein angeschossenes Tier schreien. Auch andere Insassen liessen ihre Schmerzen gerne den andern mitteilen. Hier gebe es zwei Möglichkeiten 148 149 rauszukommen, gesund entlassen oder im weissen Sack zum Friedhof! Alle meine Vorurteile gegen Ärzte, Spitäler und dergleichen, wurden mir hier real bestätigt, ja, ich möchte fast behaupten noch zusätzlich bestärkt. Wir verfügten über keinerlei Krankenversicherung, weil Vater auch kein Geld hatte, habe ich nie herausgekriegt, wer schliesslich diesen langen Spitalaufenthalt bezahlt hat? Vater kam nach einem Monat wieder nach Hause, er arbeitete reduziert, bis die Halswirbel wieder in Ordnung waren. Und er stand nie wieder auf einem fahrenden Laster! Kapitel 8 Der Beinbruch Lehrer Tanner wollte uns Knaben militärische Härte, Mut und Ausdauer beibringen. Jede Woche, anlässlich der „Knabenschule“, die Mädchen hatten Haushaltunterricht, rannten wir in einer zweier Kolonne zur Mühle hinunter und dort über die Holzbrücke in den steilen Wald hinein. In einer stillen Lichtung war eine Felswand, etwa 4 bis 5 Meter weiter unten eine Steinplatte welche mit Sand überdeckt war. Es brauchte etwas Überwindung um dort runter zu springen, Tanner zwang alle von uns zu springen, auch jene, die sich fürchteten. Die Furcht war durchaus begründet, wir stellten fest, dass die Sandschicht nach jedem Regenfall dünner wurde! Der obere Teil war sogar bereits ohne Sand und man musste weiter springen, um noch sanft zu landen. Einige der Schüler machten den Lehrer auf diesen Umstand aufmerksam, aber der wollte keine Gefahr erkennen. 149 150 Einer von uns, der Walter H. wurde jedes Mal kreidenbleich, er sprang jeweils als letzter weil ihm Tanner keine andere Wahl liess. Ich war mir sicher, dass es eines Tages zu einem Unfall kommen musste. Ich hoffte sogar insgeheim, dass es den Lehrer selber treffen sollte! An einem schönen Nachmittag wars wieder einmal an der Zeit, wir waren einmal mehr unterwegs in den Wald, ich lief am Schluss, neben mir, der E.P. ich sagte zu ihm:“heute wirds gefährlich, es hat stark geregnet und viel Sand runter gespült.“ Der E.P. stimmte mir zu, ich denke, ich habe noch erwähnt, diesmal nicht springen zu wollen, sicher bin ich aber nicht. Wir erreichten den fraglichen Platz, wie immer, standen wir oben und schauten hinunter, noch nie schien mir der Boden so weit unten zu sein, der Regen hatte viel Sand weggeschwemmt! Wie üblich, war Tanner der erste Springer, er fungierte ja schliesslich als Vorbild. Er sprang und dann hörten wir einen Krach, so, als würde ein Ast zerbrechen, Tanner wälzte sich stöhnend am Boden! Er hatte ein Bein gebrochen, eiligst rannten zwei Schüler zum nahen Bauernhof der Familie Probst, um den Sanitätsdienst zu informieren. Tanner wurde ins Inselspital von Bern transportiert, wir Schüler entliessen uns selbständig nach Hause. Natürlich besuchten wir ihn im Spital und brachten auch Blumen, ein bischen Schadenfreude gab es schon, doch wollte keiner direkt dazu stehen. Tanner wurde einsichtig, er entschuldigte sich, dass er uns zu diesen gefährlichen Sprüngen zwang, er erwähnte aber auch, dass es den Richtigen erwischt habe, denn sonst würde ihn das noch viel mehr belasten. Während den Wochen seiner Abwesenheit, wurden zwei Lehrerinnen für die Klassen 4 bis 6 aus Bern delegiert. Beide hatten einen sehr schweren Stand mit uns, wir waren gewohnt, dass die 150 151 Prügelstrafe die Ordnung sicherte, beide kannten diese nicht, in der Stadt wurde diese kaum noch praktiziert. Ich sass damals neben dem Krähenbühl, welcher bei Tanner ein Abonnement für Prügel besass. Mitten im Unterricht sagte er mir:“Jetzt zeichne ich eine F.... an die Wandtafel“. Stand auf und lief nach vorne, neugierig schaute ihm die junge Lehrerin nach, er nahm eine weisse Kreide und zeichnete einen riesigen, weiblichen Geschlechtsteil an die Tafel. Blöde grinsend, wie man ihn kannte, kam er an seinen Platz zurück. Die Lehrerin ging mit feuerrotem Kopf zur Wandtafel und wischte das Kunstwerk weg! „Das werde ich dem Lehrer Tanner melden“ sagte sie nur und der Unterricht ging weiter. Es gab aber noch viele andere Punkte, welche die Lehrerinnen zur Verzweiflung brachten, etwa unsere Pistolen, sogenannte „Knallfixpistolen“, fast jeder Knabe hatte eine in der Tasche, ich auch. Es knallte ab und zu in den Pausen, das wollten sie abschaffen, als alle Worte nichts nützten, sammelte die Lehrerin eines Nachmittags alle Pistolen einfach ein. Sie versprach uns, dass wir diese an ihrem letzten Arbeitstag zurück erhalten werden, wir willigten ein und sie hielt ihr Wort! Jede Lehrerin blieb nur 2 bis 3 Wochen, dann waren sie am Ende mit den Nerven. Obwohl nur etwa 10 Kilometer von der Stadt Bern entfernt, herrschte auf dem Lande eine viel rohere Kultur, die Knaben trugen lange „Trilchhosen“ welche oft noch mit Kuhmist verziert waren. Als Tanner zurück kam, lobte er uns für die Standhaftigkeit gegenüber den Städterinnen! *************************************************** Kapitel 9 151 152 Intermezzo am Brunnentrog Ich weilte nun des öftern bei der Familie Schmutz im oberen Schlatt. Sie hatten einen Sohn, Rudolf, Jahrgang 37, sowie eine Tochter Lisabeth, etwa Jahrgang 41. Wir, die beiden „Ruedy“ verstanden uns sehr gut, wobei der andere einen Altersvorteil hatte, den ich respektierte. Er war so etwas wie mein älterer Bruder, nur selten waren wir nicht gleicher Ansicht. Ich mochte aber auch seine Eltern, welche für mich alle Voraussetzungen für vorbildliche Erzieher aufwiesen. Ruhig und ausgeglichen, grosszügig, tolerant, souverän, intelligent und echte Vorbilder. Nicht was ich zu Hause erleben musste, Dauerkriegszustand, ein Vater, der bereits zuschlagen wollte, wenn er der Ansicht war, man habe ihn nicht respekt- und würdevoll gegrüsst! Ich erhielt nie Prügel, obwohl er mir X-Mal damit drohte, ich rannte ganz einfach davon. Das tat ich etwa bis zum 13. Altersjahr, dann aber, war ich gleich gross oder grösser als er, und es kam der Tag, an dem ich nicht mehr davonrannte, sondern stehen blieb und mich zum Kampf stellte! Ich habe nie vergessen, wie erschrocken er mich anstarrte, als ich ihm sagte:“ Komm nur, ich bin stärker als du!“. Er verzichtete auf einen Angriff und liess mich fortan in Ruhe. Zur Familie Schmutz gehörte auch noch ein alter Knecht, der „Wäber Chrigu“ wie er genannt wurde. Er verbrachte die meiste Zeit auf der Schattenseite des Lebens. Für mich bedeutete aber der Aufenthalt bei den „Schmutzes“oder in der Gärtnerei Suter, eine allegmeine Bereicherung. Mit meinen kleineren Geschwistern hatte ich wenig Kontakt, sie sorgten aber manchmal für etwas Stimmung. 152 153 So etwa über die Mittagszeit, wenn Otto seine Ruhepause einschalten wollte. Die beiden hämmerten oben derart laut herum, dass Otto die Nerven verlor, er schrie nach oben um Ruhe. Das rief die Mutter aufs Tapet, sie mochte den Kerl nicht leiden, sie beschuldigte ihn, er habe ihren Mann, (meinen Vater) um die rechtliche Erbschaft betrogen. Zudem lasse er uns in grosser Armut dahinvegetieren, habe noch nie Hilfe geleistet und sei ein mieser Zeitgenosse! Unten im Brunnentrog lagen die schmutzigen Überkleider von Vater, Mutter eilte hinunter und nahm die nassen Kleidungsstücke aus dem Wasser und schmiss sie dem Otto ums Gesicht! Otto schaute aus wie ein Neger mit blauen Augen, er verfluchte meine Mutter bis in alle Zeiten und verschwand in seiner Wohnung. Ich hielt mich aus diesem Streit heraus und blieb dem Otto weiterhin freundlich gesinnt. Wie später ersichtlich, war das der Anfang einer langen Auseinandersetzung, die dann mit dem endgültigen Wegzug von Mutter endete! Kapitel 10 Annelis Tod Wie schon erwähnt, wurde die jüngere Tochter von Onkel Rudolf mit einem „Wasserkopf“ geboren. Anneli war die Lieblingstochter von Rudolf, vermutlich wegen ihrer Behinderung. Ich machte mir keine grossen Gedanken darüber, dachte, sie habe eben einen Wassertank im Kopf. Das Schicksal schlug zu, als ich etwa 11 Jahre alt war, Anneli starb an den Folgen ihrer Behinderung. Als wir für die Beerdigung oben in der Gartenstadt eintrafen, öffnete uns Rudolf und weinte bitterlich, so, dass ich ihn nur wortlos anstarrte. Er heulte und lief tränenüberströmt die Wohnung auf und ab. Er war nur noch ein Häufchen Elend, ich dachte, er sollte doch froh sein, dass sie nun erlöst ist, aber er empfand das wohl 153 154 anders? Er war mein „Lieblingsonkel“ darum enthielt ich mich lieber von irgendwelchen Kommentaren, um ihn nicht noch zusätzlich zu verletzen. Von der Abdankung sind mir keinerlei Erinnerungen geblieben. Noch ahnte ich nicht, dass unserer Familie schon bald noch viel schlimmere Schicksalsschläge zustossen werden! Drei Jahre später starb auch Rudolf im Alter von nur 53 ½ Jahren, auch bei dieser Beerdigung war ich anwesend. Es hiess, er sei an den Folgen eines Unfalls, er fiel in einen Brunnenschacht, gestorben, dann aber hörte ich eine andere Version, danach starb er an Lungenkrebs, er war ein starker Zigarrenraucher. In der Schule machte ich gute Fortschritte, nur im Fach „Singen“ machte ich nicht mit, dafür interessierten mich die Gebiete wie Geschichte, Geographie und Religion umsomehr. Auch die Politik gehörte dazu, eigentlich Gegenwartsgeschichte, und auf dem Schulweg diskutierten wir, die beiden Rudolf, fast nur über Politik, der Koreakrieg war voll ausgebrochen und wir besprachen täglich die strategischen Aussichten der beiden Parteien. Leider war aber die Politik kein Schulfach. Was ich sehr bedauerte. Dafür freute ich mich unbändig auf die Lektionen in Geschichte und Geographie. Jeden Winter lag ich rund einen Monat im Bett mit irgend einer Jugendkrankheit oder einer schlimmen Grippeerkältung. Wir verfügten über keinerlei Krankenversicherung, deshalb wurde der Arzt aus Niederscherli nur in dringenden Fällen geholt. Zum Beispiel, als ich 42 Fieber hatte und genau auf dem Rückenmark eine tiefgehende Entzündung verzeichnete. Aber ich konnte das Versäumnis der Schule immer wieder aufholen. Die Gemeinde Köniz gehört zu den grössten der Schweiz, gegründet 949, feierte man im Jahre 1949 die Tausend Jahre. In Köniz wurde damals ein für diese Zeit grandioser Umzug veranstaltet. Er wurde gleich zweimal abgehalten, darum konnten wir ihn zweimal bestaunen. 154 155 Die einzige Sekundarschule befand sich in Köniz, seit vielen Jahren versuchte aber kein einziger Schüler aus Oberscherli, in die Sek. von Köniz einzutreten. Für mich war das ein Vorteil, weil man in Bern bereits aus der vierten Primarklasse übertreten musste, also für mich noch viel zu früh. Zudem war das gar kein Thema, obwohl ich heimlich daran dachte, aber ich wusste genau, dass es hiesse: was will den dieser Franzose, der soll erst einmal die Sprache erlernen!“ ************************************************* Kapitel 11 Der Pfeilschuss Zu Hause herrschte stets ein Dauerkriegszustand, waren einmal die Wogen etwas geglättet, gab es einen Familienausflug. Einmal führte dieser ins Appenzellerland, auf den „Hohen Kasten“. Auf der Hinfahrt mit der Eisenbahn mochte der Hausfrieden gerade noch hinhalten, aber bereits auf der „Ebenalp“ war bereits wieder der Teufel los, weshalb, das weiss ich nicht mehr, es handelte sich ja oft um reine Lapalien. Die Rückfahrt traten wir dann getrennt an. Mir machte das wenig aus, ich machte mir aber Sorgen um die beiden Kinder, meine Bedenken sollten mir später bestätigt werden. Ich war in einem Alter, in dem ich meinen eigenen Weg einschlagen konnte, ich hatte genug eigenes Geld, um Dinge zu beschaffen, die andere Knaben noch nicht hatten, etwa eine Uhr. Ich gab aber nicht alles Geld aus, sondern konnte noch ein Sparheft bei der „Berner Hypothekarkasse“ an der Schwanengasse in Bern, eröffnen. Bis zum 14. Altersjahr ersparte ich immerhin um die 500.- Franken, damals etwa zwei Monatsgehälter eines Arbeiters. 155 156 Ich verprasste aber auch ordentlich Geld mit dem Kauf von Feuerwerkskörpern um den 1. August herum, wobei die Knallerei bereits den ganzen Juli hindurch anhielt. Jemand verpfiff mich bei der Lehrerschaft, weil ich mir den Luxus leistete, gleich einen grossen Bund von „Krachern“ zu kaufen. Lehrer Schmied war der Ansicht, dass da ausgerechnet ein Arbeiterkind über die Schnur gehauen habe! Er nannte aber keinen Namen, es war aber voll auf mich bezogen, weil sich die andern gar nicht soviel auf einmal leisten konnten! Wir standen damals am Anfang des „Kalten Krieges“, die Schweiz benötigte harte Soldaten für die Landesverteidigung. Deshalb wurde fast alles toleriert, was zur Ertüchtigung der jungen Burschen beitragen konnte. Kriegsspiele aller Art, herumknallen mit Schreckschusspistolen, Karbidkanonen, schiessen auf Spatzen und Krähen mit Kleinlalibergewehren, sportliche Zweikämpfe, wie „Schwingen“, und dergleichen waren hoch angesehen. Wir arbeiteten nicht immer auf dem Hof, manchmal erinnerten wir uns, dass wir Knaben waren und spielten irgend ein Kriegsspiel. Beim Indianerspiel schossen wir mit echten Pfeilen, diese fingen wir mit Schutzschildern auf. Beinahe wurde mir meine Pedanterie zum Verhängnis, ich rückte mit einem Leiterwägelchen vor, dabei löste sich plötzlich ein Knopf von meiner Hose, ich schaute dem Knopf nach, damit ich ihn wieder finden konnte. Das hätte ich besser unterlassen, in diesem Moment schoss mein Gegner, der andere Rudolf, einen Pfeil auf mich los und traf mich knapp zwei Zentimeter unter dem rechten Auge! Nur Dank der Tatsache, dass ich nach unten schaute, traf mich der Pfeil nicht direkt ins Auge! Der Pfeil bohrte sich tief in den Backenknochen hinein, das Auge wäre wohl ganz zerstört worden. Der Mutter meldete ich, ich hätte das Gesicht auf dem Leiterwagen 156 157 aufgeschlagen. In der Schule hingegen gestand ich den wahren Ablauf. Der Warnvortrag von Lehrer Tanner war eindrücklich und ein Lehrstück für die Zukunft. Irgendwie zirkulierte die Geschichte in der Gegend herum, und jemand sagte zu Mutter:“Ihr Sohn hatte aber Glück mit dem Auge!“ Mutter bejate einfach, den genauen Ablauf kannte sie aber nicht. Nachtrag: 43 Jahre später, verlor ich in Malaysia, infolge einer Thrombose, das linke Auge! Ich erlerne das Alphabet In Frankreich erlernten wir die einzelnen Buchstaben, jedoch nicht von A bis Z. In der Schweiz wurde dies in der Unterstufe geübt. Weil ich bekanntlich diese Stufe nicht durchlief und sich zudem kein Schwein darum kümmerte, mir Privatlektionen zu erteilen, konnte ich im Alter von 12 Jahren das Alphabet nicht auswendig aufsagen. Dass ich beim lesen sehr schnell vorankam, war nicht zufällig, ich wurde zum eifrigsten Kunden der Schulbibliothek, verschlang alle Bücher, die irgendwie mit Weltgeschichte und Reisen zu tun hatten. Einmal fragte mich Lehrer Schmied, was ich lesen möchte, ich sagte, es müsse einfach spannend sein! Da schlug er mir den „Schatz im Silbersee“ von Karl May vor. Ich aber fand diesen Titel echt langweilig, etwas unsicher argumentierte ich, das könne doch gar nicht spannend sein! Schmied war ein totaler Deutschlandfan, darum waren auch Karl May Bücher gut. Er bemühte sich nun, mir klar zu machen, dass es sich da um ein sehr spannendes Buch handle! Ich glaubte ihm nicht, wollte aber nicht argumentieren und nahm es. Es sollte eines der spannensten Bücher bleiben, das ich jemals las. Ich lehnte mir dann sämtliche Karl May Bücher aus! 157 158 Trotz den prekären Verhältnissen zu Hause, schlug ich mich recht gut durchs Leben. Langsam gewann ich die verlorenen Privilegien wieder zurück, in Bern war der Kinobesuch auf das 16. Altersjahr beschränkt, ab dem 12. Altersjahr ging ich regelmässig ins Kino, dabei wurde ich nicht ein einziges Mal abgewiesen. Ich sah um Jahre älter aus und für einmal war das ein Vorteil! Ich fuhr an den Sonntagnachmittagen nach Bern, der Mutter sagte ich, ich ginge ins Kino. So sah ich u.a. den Film: „Die missbrauchten Liebesbriefe“, • mit Emil Hegetschweiler als Lehrer in einer der Hauptrollen. In diesem Film erlernten die Kinder das Alphabet singend, und als ich aus dem Kino kam, kannte auch ich endlich das Alphabet! Einmal wurde ich wieder von so einem lieben Zeitgenossen bei der Lehrerschaft verpfiffen, ich schaute mir damals den harmlosen Film „Es ist Mitternacht Dr. Schweitzer“an. Ich fand den Streifen so gut, dass ich sogar der Mutter davon berichtete. Als sie vor der Lehrerschaft vorsprechen musste, fragte man sie:“Wissen sie, dass ihr Sohn verbotenerweise ins Kino geht?“ Mutter verstand die Frage wohl falsch und sagte:“Ja natürlich, er hat mir davon berichtet und er wurde auch zugelassen“. Die Lehrer waren sprachlos und liessen sie gehen. Ich schmunzelte heimlich, weil Mutter ihnen klarmachte, dass es sich um einen Jugendfilm gehandelt habe. Ich hatte noch Kollegen aus der Umgebung von Gasel, die beiden Zaugg Brüder, sowie der Studenmann, wir besuchten an den Sonntagen gemeinsam die Kinos. Sie waren etwa ein Jahr älter oder gleich alt wie ich, aber eben, sie hatten noch Kindergesichter. So mischten wir uns jeweils unter die richtigen Erwachsenen, ich war meistens als Erster im Kino, dann wartete ich gespannt, wieviele von den andern es schaffen werden. Am besten waren die Chancen in der Revolverküche, dort kamen meistens alle vier hinein. Im Forum und anderen Filmtheatern, blieb ich oft alleine. 158 159 Das setzte die andern in Rage, war ich doch jünger als sie! Identitätskarten existierten damals noch keine, es war rein die äussere Erscheinung, die für den Eintritt zählte. Natürlich antworteten wir auf die Frage: „schon 16“, immer positiv, ich wurde aber gar nie gefragt, das heisst doch, ein einziges Mal, damals in Zürich, wo das Alter bei 18, angesetzt war. Zwei Wochen vor meinem 18. Altersjahr, fragte mich die Kassiererin in einem Kino an der Langstrasse: „Sind Sie 18?“ Ich war dermassen perplex, dass ich laut lachte. Die Frau lief rot an und gab mir die Karte ohne weitere Fragen! *************************************************** Kapitel 13 Die grossen Schuhe Jeden Sonntag besuchte ich schön brav die Sonntagsschule, ein Lokal im Gebäude von Ernst Locher, geleitet wurde die Schule von Leuten der „Evangelischen Gemeinschaft“, die sich aus der weiteren Umgebung rekrutierten, aus dem Dorf war nur die Familie Thommet bei dieser Organisation. Alles fromme Menschen, ich erkannte in ihren Gesichtern manchmal so etwas wie eine Erleuchtung, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein? Und wenn am Schluss der Veranstaltung, das „Negerlein“ herumgereicht wurde, da erhielt es von mir einen schönen Knopf geschenkt. Die frommen Leute bauten dann eine eigene Kirche, gleich neben dem Haus der Schuhmacher, oder knapp 50 Meter von uns entfernt. Es war beruhigend, die Vertretung der Allmacht so nahe zu wissen. Das Kirchlein wurde in reiner Fronarbeit gebaut, auch ich wirkte tüchtig mit, erst beim Fundament, dann beim Dach. Und ich war sicher, dass ich mir damit einen guten Platz im Jenseits gesichert hatte. Mit dem Gotteslohn konnte ich mir allerdings keine Kleider kaufen, aber was tut man nicht alles für das Himmelreich. 159 160 Noch frommer als die übernächsten Nachbarn, war Tante Marie aus Bolligen, die Schwester meines Vaters. Wenn sie vorbeikam, dann nur, um uns den nahen Weltuntergang anzukündigen. Sie war Anhängerin der „Neu-Apostolengesellschaft“, ihre Prognosen waren derart deprimierend, dass wir alle froh waren, wenn sie wieder nach Bolligen verreiste. Sie sandte aber auch Briefe, und diese waren nicht weniger niederschmetternd. Das Bernbiet war schon seit jeher ein Eldorado der Sektenbewegungen. Es war auch dem Lehrer Tanner nicht entgangen, dass ich meine Kleider aus eigenen Mitteln beschaffte, so etwas spricht sich eben herum, ich denke, die Leute wussten besser Bescheid über mich, als ich selber! Es kümmerte mich wenig und ich schämte mich auch nicht, weil ich in der Lage war, praktisch für mich selber aufzukommen. Ich war in der 6. Klasse, als Lehrer Tanner mich nach vorne rief, er sagte mir, er habe ein Paar Schuhe gekauft, No. 43, welche ihm aber zu gross wären, da ich vermutlich diese Schuhnummer führte, schenke er mir die Schuhe. Natürlich ein Riesengelächter im Klassenzimmer! Obwohl ich damals No. 43 hatte, sagte ich ab, indem ich ihm mitteilte, ich hätte ebenfalls die No. 42! Er erkannte wohl das Problem und insistierte nicht weiter darauf. Später pendelte sich meine Schuhgrösse zwischen 45 und 47 ein. Als einziger in der ganzen Verwandschaft, verzeichnete ich grosse Füsse, es kann somit nicht Vererbung sein. Ich führe das auf meine Barfusszeit während dem Zweiten Weltkrieg zurück. Kapitel 14 Bubenstreiche 160 161 Neben der Arbeit auf dem Bauernhof gab es nur wenig Freizeit, die wir Knaben für Spielereien und Unfug zur Verfügung hatten. Ein dankbares Opfer war der „Wäber Chrigu“, der Knecht, er pflegte zu „schicken“, das heisst, er kaute einen billigen Tabak. Vor dem Mittagessen nahm er seinen „Schick“ aus dem Maul und legte ihn auf die Fenstersims vor der Essküche. Nach der Mahlzeit griff er nach seinem „Schick“ und schob ihn genüsslich wieder ins Maul. Da heckten wir einen Plan aus, wir mischten etwas Hühnerkot in den „Schick“ und legten diesen wieder schön sorgfälltig auf die Fenstersims zurück. Danach gingen wir auf die Lauer um zu beobachten, wie er den Zusatzschick geniessen wird? Und es dauerte nicht lange, bis er ihn wieder zornig aus dem Mund entfernte und mit ein paar Flüchen auf die Lausebuben, diesen mit grossem Schwung auf den Misthaufen schmiss! Sinnigerweise befinden sich im „Bernbiet“ die Misthaufen oft vor dem Haus, gleich beim Eingang zur Wohnung! Er beschwerte sich beim Vater Schmutz und dieser hielt uns an, doch lieber keine solche Streiche mehr durchzuziehen. Wir hatten aber noch eine andere Methode ausgedacht, der „Chrigu“ war Alkoholiker und sein Vormund, der Ernst Locher, verbot ihm alkoholische Getränke. Aber der „Chrigu“ umging dieses Verbot, indem er in der Dunkelheit durch die Baumfarm schlich und dann im Kolonialwarenladen eine Flasche „Sauren Most“, einkaufte. Die Flasche versteckte er im Futtergras in der Tenne. Als dann der Vormund einmal sagte, man müsse ihm das „Saufen“ abgewöhnen, da traten wir sofort in Aktion. Erst urinierten wir nur ein kleinwenig in die Flasche, aus den Verstecken beobachteten wir dann, ob unsere Methode Wirkung zeigte? Er schien schon etwas bemerkt zu haben, trank jedoch munter weiter, also vergrösserten wir die Dosis, und wir 161 162 füllten die Flasche gleich voll auf. Das aber war nun eindeutig zuviel, er warf die volle Flasche weg und begann wieder über die bösen Buben zu fluchen. In seiner Verzweiflung klagte er das Unheil der Frau (Bigler) im Geschäft bei welcher er die Flüssigkeit erwarb. Diese hatte Mitleid mit ihm und meldete den Fall dem Vormund. Der Locher Ernst hielt uns dann einen kleinen Vortrag, dass der „Chrigu“ durchaus etwas „Most“ trinken dürfe, nur eben nicht in grossen Mengen. Wir sollten daher unsere Strafaktionen unterbinden, da diese in ihrer Anwendung und Ausführung doch etwas zu radikal wären! Wir hielten uns an die Weisungen, und der „Chrigu“ schätzte unsere Einsicht. Kapitel 15 Füsilier Hans B. Im Herbst 1949 besuchte uns Bruder Hans, er hatte den grossen Urlaub in der Rekrutenschule Herisau. Als FüsilierRekrut war er der dritten Kompanie zugeteilt. Die Rekrutenschulen St.Gallen und Herisau, sind unter dem gleichen Kommando. Noch konnte ich nicht ahnen, dass ich nur wenige Jahre später ebenfalls dort dienen werde. Damals waren Soldaten noch geachtete Männer, nur wer eine Rekrutenschule hinter sich brachte, war ein richtiger Mann! Wenn die Rekruten auf Urlaub waren, lauschten wir Halbwüchsigen ihnen gespannt und mit grösster Bewunderung zu. Auch in meiner damaligen Vorstellungswelt, konnte es kaum etwas würdevolleres geben, als einmal Milizsoldat zu werden. Dabei zog ich die Möglichkeit, etwa dienstuntauglich zu sein, schon gar nicht erst in Erwägung! Dass meine Idealisierung der Militärwelt, in einem krassen Widerspruch zu meiner humanitären Lebensanschauung 162 163 war, das realisierte ich damals nicht, es gehörte wohl zum pubertären Lebensabschnitt? Hans erzählte vom Drill und den Ausdauerübungen, aber am meisten fiel mir auf, dass er andauernd fluchte, er hatte sich wohl sämtliche Flüche der Ostschweiz angeeignet. Weil er keine abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen konnte, zudem nur während drei Jahren die Primarschule in der Schweiz besuchte, wurde er nicht für die Weiterausbildung zum Unteroffizier zugelassen! Das war vermutlich der Grund dafür, dass er nach der Rekrutenschule verschwand, und wir erst wieder im Jahr 1950 oder 51, ein Zeichen von ihm erhielten, als er sich in „Sidi-Bel-Abes“ (Algerien), in der Fremdenlegion befand. Ich war natürlich mächtig stolz auf meinen Bruder in Uniform, als er nach zwei Tagen wieder in die Kaserne Herisau zurück fuhr, konnte ich nicht ahnen, dass wir uns erst wieder im Jahr 1963 sehen würden. Obwohl nur Halbbruder, verstand ich mich mit Hans viel besser als mit Ernst, Hans war 9 Jahre älter und Ernst nahezu 9 Jahre jünger. *************************************************** Kapitel 16 Von Karl May zu Rolf Torring Man kann ruhig behaupten, dass ich mich ab dem 11. Altersjahr zu einer richtigen „Leseratte“ entwickelte. Weil ich die gramatischen Grundregeln der deutschen Sprache nie erlernte, blieb mir nur noch der Lesestoff als Weiterbildungsmöglichkeit offen. Lehrer Schmied, Oberstufenlehrer, war auch zuständig für die Schulbibliothek. Wie bereits erwähnt, lobte er besonders 163 164 die Bücher von Karl May, aber auch andere Autoren deutscher Herkunft lagen gross im Kurs, etwa der A.E. Johann, Richard Katz und Rene Gardi, um nur einige namentlich zu erwähnen. Er nannte das gute Jugendliteratur. Als ich aber begann, die in der Stadt Bern erworbenen Hefte von „Rolf Torrings Abenteuer“ zu verbreiten, da war es aus mit der guten Literatur. Meine Kollegen „verschlangen“ diese sogar während den Unterrichtsstunden, was der Schmied auch gleich realisierte. Kurzerhand konfiszierte er sämtliche Heftchen, welchen er habhaft werden konnte. Es waren alle meine Schriften, welche ich bei einer alten Frau im „Ryfligäschen“ in Bern, jeweils umtauschte. Für 30 von mir, erhielt ich deren 15 andere, gegen einen kleinen Aufpreis, die neuen Ausgaben kosteten nur 0.85 Franken das Stück, konnte ich so lange Zeit sehr günstig einkaufen. Ich erinnere mich nicht mehr, ob Schmied mir 20 oder 40 Hefte geklaut hat? Immerhin wurden diese 50 Jahre später in den Antiquarien der Stadt Zürich, zu Preisen von Fr. 10.bis 20.- das Heft angeboten! Anfangs der Fünfzigerjahre, wurde in den Medien zum Verbot dieser Hefte aufgerufen, schon bald verschwanden sie auch von den Kiosken. Diese, nun als „Schundliteratur“ bezeichneten Romane galten auch als rassistisch! Ich erinnere mich an Sätze wie:“die hinterhältigen Malayen, die schmierigen Chinesen, die listigen Tamilen, etc., mag schon sein, dass diese Aussagen gewisse Vorurteile auslösen konnten. Was mich selber anbetraf, war dies jedoch nicht der Fall. Hingegen war da noch ein anderer seltsamer Hinweis, der ständige Begleiter der beiden weissen Männer, war der „Pongo“, welcher angeblich eine afrikanische Mutter und einen Affen zum Vater hatte! Dieser Hinweis, den ich nur in einem einzigen Heft las, beschäftigte mich viel intensiver, umsomehr, als der „Wäber Chrigu“, noch erzählte, auch Frauen und Hunde könnte sowas produzieren! 164 165 Das habe ihm ein Gynänokologe aus einem Berner Spital ganz vertraulich gesagt! Nun hatte aber der „Chrigu“ immer eine blühende Fantasie und ich glaubte auch ihm durchaus nicht alle Geschichten. Dass er einmal den Ackergaul bestieg, das nahm ich schon eher als real an, weil er mir die ganze Technik im Detail erklärte, ich war aber der Meinung, er hätte doch viel einfacher nur onaniert, denn das andere erinnerte eher an eine Bergbesteigung. Seine Abenteuer in den Bordellen der Metzergasse, hörten sich schon viel besser an, und angeblich liess er sich auch einmal vom legendären „Dällenbach Kari“ rasieren. Diese idiotischen Erzählungen hatten natürlich Auswirkungen, wenn ich einen Mann sah, der ein Affengesicht hatte, dann war für mich der Fall klar! Erst viel später, erfuhr ich, dass der „wissenschaftliche“ Wert solcher Horrorgeschichten gleich Null war. Affen und Menschen sollen rund 2% im Genaufbau unterscheiden, darum können sie sich gemeinsam nicht fortpflanzen. Da hatte sich auch der Autor von Rolf Torring in einer biologische Sackgasse verirrt! *************************************************** Kapitel Mönch und Einsiedler Die Pflege der Kultur und musische Fächer, hatten damals einen sehr hohen Stellenwert. Besonders in Oberscherli wurde eine langjährige Examentradition eisern aufrecht erhalten. Jede Klasse musste sich bereits ein halbes Jahr im voraus auf das Examentheater vorbereiten, die Rollen wurden von den Lehrkräften verteilt, wobei man schon gewisse Vorschläge unterbreiten durfte. Mir wurden praktisch immer nur Rollen von Heiligen, Mönchen und Einsiedlern zugeteilt. Mir sagte diese Figurendarstellung zu, und ich wundere mich heute noch, wie die Lehrer es ahnten, welche Rollen für mich geeignet waren? Ich musste mich gar 165 166 nicht gross anstrengen und verstellen, weil ich mit wenigen Ausnahmen, auch im Alltag so zu leben pflegte. Meine Kinobesuche sah ich nie als einen Verstoss gegen die Gesetze, weil ich ja bereits in viel jüngeren Jahren ins Kino durfte! Mehr noch als die Theaterrollen, störte mich das Aufsagen des „Vater Unser“, jeweils am Ende des Schultages. Ich konnte diesen Text einfach nie auswendig lernen, erst etwa in der 5. Klasse schaffte ich es endlich! Das Ganze erschien mir sowieso suspekt, erinnerte mich an eine Holzfigur, welche versucht zu onanieren. Ich musste meine Meinung für mich behalten, selbst meinem Kollegen Rudolf, sagte ich nie etwas über meine Zweifel an diesem Glauben. Religion war eines meiner Lieblingsfächer, zudem galt ich ja als Mönch und Missionar, also spielte ich diese Rolle auch im Alltag! Und wenn bei anderen Leuten am Mittagstisch gebetet wurde, fand ich das immer noch angenehmer, als etwa zu Hause dieser ewige Krieg bei den Mahlzeiten! Der Examentag verlief immer nach dem gleichen Muster, am Vormittag musste gezeigt werden, was wir erlernt hatten, dabei waren auch Eltern und die Schulkommission. Ob auch meine Eltern einmal anwesend waren, daran erinnere ich mich nicht. Um 10 Uhr war die begehrte Pause, der Dorfbeck verteilte die „Examenweggen“. Dann am Nachmittag der gemütliche 2.Teil, erst der Umzug nach Scherli-Au, vorne die Fahnen, dann die Musik von Oberbalm, dahinter die Herren der Schulaufsicht, die Lehrer, dann wir Schüler nach Klassen abgestuft, das Schlusslicht bildeten die Elternschaften. Ein Bauernknecht und Dorforiginal, mit dem Namen „Bill“ schoss emsig aus einem grossen Vorderlader in die Luft. Es muss noch erwähnt werden, dass alles mit grosser Disziplin durchgeführt wurde, erst nach den Theateraufführungen, welche oft ein beachtliches Niveau aufwiesen, war Tanz angesagt. Eine Ländlerkapelle spielte auf und die Schüler durften auf die Bühne. 166 167 Trotz meinen grossen Hemmungen, versuchte ich mit dem Dorli zu tanzen,(jene, deren Namen ich einem weiblichen Kaninchen verpasst hatte) ich trat aber mehr nur auf ihre Füsse, darum verzog ich mich verschämt zurück, fortan hatte ich ein wahres Tanztrauma. Ich war aber froh, wenn der Anlass endlich vorüber war und wir anschliessend zwei Wochen Frühjahresferien beziehen konnten. Schon damals fühlte ich mich im Gedränge und bei Massen von Leuten um mich, sehr unwohl. *************************************************** Kapitel 18 Kanonier Piggerling Im hinteren Schlatt war der Bauernhof der Familie Stähli, auch sie beschäftigten einen Knecht. Bauernknechte standen auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie, oft waren sie während ihrer Jugendzeit sogenannte „Verdingbuben“. Auch in der Schule kümmerte sich niemand um ihre Ausbildung, gemeinsam mit den geistig weniger entwickelten Kindern, wurden sie einfach in einer Klasse sitzen gelassen. Ich traf einmal an einem Sporttag in Niederscheli, auf einen etwas mongoloiden Schüler aus Oberbalm, einer der Burschen aus dieser Schule sagte mir lachend: „Siehst du diesen Halbaffen dort, der ist 16 und sollte in der 9. Klasse sein, aber er ist erst in der ersten Klasse!“ In der Schule Oberscherli war die Situation ähnlich, weil niemand in die Sekundarschule oder ins Gymnasium abwanderte, blieb das Niveau relativ hoch, indem die schwachen Schüler einfach zurückversetzt wurden. Der Bauer Stähli beschäftigte auch einen Mann, wir nannten ihn „Piggerling“, „Pigger“ ist ein bernischer Vulgärausdruck für das männliche Glied. Diesen 167 168 Übernamen verpassten ihm die Knaben, weil er nur dieses eine Thema kannte. Das heisst, er hatte noch ein anderes Hobby, wir bauten auf Zweiradachsen mit Rädern, Ofenrohre ein, das sah aus wie Artilleriekanonen. Und wir konnten damit auch Schiessübungen machen, allerdings nicht mit Schiesspulver, sondern mit Karbid, das wir kiloweise beim Hufschmied Rohrbach in Oberscherli kaufen konnten. An den Sonntagnachmittagen zogen wir oft los, um danach am nahen Waldrand unsere Kanonen zu testen. Da gesellte sich auch oft der kleine Piggerling zu uns, er hatte sich ebenfalls eine Kanone gebastelt. Der Mann mochte etwa 35 Jahre zählen, war sehr klein gewachsen, um die 150 Zentimeter gross. Zudem hatte er noch eine „Hasenscharte“ die ihn beim sprechen hinderte. Wir waren nicht durchwegs begeistert, dass er mit uns spielen wollte, aber wir liessen ihn gewähren. Es war wieder ein schöner Sonntagnachmittag in Sicht, und wir hatten für diesen Tag grosse „Militärübungen“ angesagt. Aus der Umgebung kamen einige Knaben und mit dem Ruedy Schmutz und mir, waren wir um die sieben „Soldaten“. Natürlich wollte auch der „Piggerling“ dabei sein, er freute sich mehr als wir alle zusammen, war völlig durchgedreht, er montierte vorne statt eine Blechdose, welche abgeschossen wurde, gleich einen Holzrugel von einer Telephonstange! Das konnte nicht gut gehen, wir Knaben machten ihn darauf aufmerksam, aber er wusste es besser, also liessen wir ihn gewähren. In einer langen Kolonne zogen wir in Richtung Waldrand, es musste ein sonderbarer Anblick sein, jeder hatte irgend ein Stück Militäruniform angezogen, dann diese Kanonen mit den Riesenrohren. Ich trug einen Militärmantel aus dem 1. Weltkrieg, einen Helm, den ich aus einem Kochtopf geschlagen hatte, alte Militärhosen, einen alten Vorderlader und ein Seitengewehr. Solche Dinge fand ich entweder im Dachstock oben oder auf den Müllhalden. 168 169 Wir freuten uns auf die grosse Knallerei, die da kommen musste, und der Piggerling war ausser sich vor Übermut, er redete andauernd vom grossen Knall! Natürlich wollte er als erster zeigen, was er drauf hatte und lud seine Kanone mit einer dreifachen Ladung an Karbid, dann rammte er die Stange vorne ins Rohr. Wir gingen alle in Deckung hinter die Bäume, jeder wusste, das konnte nicht gut gehen, nur der Piggerling, der wollte es nicht einsehen! Er setzte sich dazu noch provozierend aufs Rohr, dann zündete er mit einem Streichholz. Eine gewaltige Explosion erfolgte, der Piggerling flog in hohem Bogen ein paar Meter weit weg, dort krümmte er sich und stöhnte wie ein angeschossenes Wildschwein. Wir spürten nur den starken Windstoss, der an uns vorüber zog. Der Piggerling lebte noch, aber wir mussten ihn ins Dorf zurückbringen, unser Nachmittag war dahin! Ausser den verschiedenen Wunden am Körper, verlor er etwa drei Finger an einer Hand. „Nümme schüsse“ sagte er uns später. Und auch wir mussten diese Spiele einstellen, obwohl wir bekanntgaben, dass wir vorsichtig wären und nie einen solchen Scheiss machen würden, hatte der Unfall höchste Priorität bei der Lehrerschaft. Der Rohrbach durfte uns keinen Karbid mehr verkaufen! *************************************************** Kapitel 19 Ein Genie Von den beiden jüngeren Geschwistern sind mir relativ wenige Eindrücke geblieben. Ab 1952, besuchte auch Klara die Primarschule in Oberscherli. Sie galt als ruhig und sehr fleissig, gut durchschnittlich begabt, wie es so schön hiess. Ernst war mit seinen erst 4-5 Jahren die Dorfsensation, er konnte lange Gedichte frei und fehlerlos aufsagen. Mutter 169 170 las sie ihm ein paar Mal vor, dann beherrschte er die ganzen Texte lückenlos. Da war zum Beispiel das „Traummännlein“, gut 20 Seiten lang, kein Problem, er leierte alles fehlerlos daher. Die Leute staunten, was der kleine Knirps so alles von sich geben konnte. Er erntete dafür sowohl Geld wie auch viel Lob! Sogar von ausserhalb des Dorfes kamen die Leute um ihm zuzuhören, es hiess, man habe es hier mit einem Genie zu tun, einer wie der Einstein oder ähnlich. Auch ich war etwas stolz auf meinen kleinen Bruder, das tat auch dem angeschlagenen Ruf unserer Familie gut, weil er alle anderen Kinder in seinem Alter weit in den Hintergrund stellte. Unter einer solchen Begabung brachte ich ihm auch das Lesen und Schreiben bei, sogar noch Rechenaufgaben meisterte er. Und dann geschah das Unglaubliche, obwohl er es spielend mit den Schülern aus der dritten Klasse aufnehmen konnte, durfte er wegen fehlenden 7 Tagen, nicht in die Schule eintreten! Ich intervenierte bei den Eltern, unbedingt ein Gesuch einzureichen, aber wie üblich, war das kein Thema. Ich ärgerte mich einmal mehr, keinerlei Befugnisse ausüben zu dürfen, verfluchte die Tatsache, dass ich erst mit 20 Jahren ein vollwertiger Bürger sein durfte. Ernst vertrieb sich die Zeit zu Hause mit der Lektüre meiner Bücher. Dann endlich, mit nahezu 7 ½ Jahren, durfte er endlich in die erste Klasse eintreten. Mit dem angeschlagenen Familienproblem, wurde dann seine weitere Laufbahn zu einem ständigen Fiasko. Natürlich war er während gut drei Jahren in der Schule völlig unterfordert, langweilte sich am Pult, machte weder Aufgaben noch sonst welche Übungen mit, er wusste ja schon alles besser! Und so sollte es die ganzen 9 Schuljahre bleiben, er war träge und faul geworden, konnte plötzlich dem Unterricht kaum mehr folgen, musste froh sein, dass er nicht eine Klasse wiederholen musste. 170 171 So wurde er vom Genie zum Schulversager, ja, noch mehr, aber davon später. Kapitel 20 Die Wahrsagerin Onkel Otto machte andauernd grosse Pläne und Vorschläge, wie er meinem Vater aus der Misere helfen könnte. An den freien Sonntagvormittagen erschien er regelmässig mit Unterlagen, Fotos und dergleichen Zeug, dabei handelte es sich um Bauernhöfe in Österreich, vorab Kärten und Steiermark, aber auch im Tirol und Voralberg. Das Land war damals noch von den vier Mächten besetzt und galt als „Billigland“. Otto nannte die Preise einen Pappenstiel, kein Problem für ihn, und Vater könne dann wieder das freie Leben eines Bauern geniessen. Er schwärmte dermassen intensiv, dass selbst ich noch auf den Geschmack kam, jedoch war ich vom Land nicht besonders begeistert, dann schon lieber wieder zurück nach Frankreich. Und Mutter wollte unter keinen Umständen nach Österreich auswandern. Otto war ein grosser Bewunderer der deutschen Kultur und Geschichte, wie Vater, war auch er der Ansicht, der braune Virus hätte der Menschheit das Heil gebracht, weil ja die andern Völker nicht fähig waren, die anstehenden Probleme zu lösen, daher wäre die Welt unter 171 172 der Führung des deutschen Herrenvolkes viel besser dran gewesen. Alles blieb beim grauen Alltag, ich sah für mich nur noch eine Lösung, nämlich mich möglichst unabhängig zu machen. Ich war selten zu Hause, die meiste Zeit auf dem Bauernhof der Familie Schmutz. Ohne jede Einschränkung durfte auch ich praktisch alle anfallenden Arbeiten verrichten, nur Kühe melken musste ich nicht. Dafür machte das Grasmähen mit dem Rapidmotormäher Freude, der war zugleich die einzige Maschine auf dem Hof, sonst wurde alles von Hand erledigt. An einem schönen Samstagnamittag, war ich mit dem zusammenrechen von Gras beschäftigt, da sah ich Vater auf dem alten Fahrrad daherschwanken. Ich schaute ihm amüsiert zu, wie er versuchte, die Einfahrt zum schmalen Schlattweg zu meistern. Ich hätte wetten können, dass er es nicht schaffte, er bremste noch etwas ab und versuchte es mutig. Er überdrehte das Lenkrad und landete weit draussen auf der Wiese! Eigentlich wars zum Heulen, aber ich musste laut lachen, er kroch auf der Wiese umher und fluchte laut, mir versprach er eine Tracht Prügel, wegen meiner Respektlosigkeit. Aber erst musste er mich erwischen, und gewöhnlich hatte er das innert kurzer Zeit wieder vergessen. Vater war kein Esoteriker, aber er pflegte öfters Wahrsagerinnen in Bern aufzusuchen, von diesen wollte er vernehmen, dass es wieder aufwärts ging, dass er bald in der Landeslotterie gewinnen könne, dass das Leben wieder besser würde. Es war wieder einmal eine solche Besuchsstunde vorüber, Vater kam spät am Abend aus der Stadt zurück, ich war bereits im Bett. Ich hörte ihn die neuesten Prognosen der Mutter preisgeben, plötzlich traf es mich wie einen Blitzschlag, als er ausführte:“ Sie hat gesagt, dass mein älterer Sohn mit 14 Jahren den Blinddarm operieren müsse“. Ich konnte mich nicht mehr zurück halten und rief 172 173 in voller Lautstärke:“Das ist Unsinn, ich werde den Blinddarm mit 14 nicht operieren lassen, die erzählt doch dummes Zeug und ihr glaubt das auch noch, ich glaube es nicht und werde recht haben!!“ Vater war erstaunt über meine Reaktion, ihm war bewusst, dass ein Spital für mich die Hölle bedeutete! Er sagte kein Wort mehr und wir sprachen nie darüber, vergessen konnte ich es jedoch nicht. Hingegen, begann ich mit einer „Gegenoffensive“, indem ich mir einsuggerierte, ich hätte die besseren Abwehrkräfte, und könne das Prognostizierte einfach ignorieren. Als ich das 14. Altersjahr hinter mir hatte, wusste ich, dass ich gewonnen hatte, machte aber keinen Gebrauch davon und behielt das für mich. Der Blinddarm war nie mehr ein Thema! Wer nun denkt, die Wahrsagerei wäre für mich auch abgeschrieben gewesen, irrt sich, im Gegenteil, wie die Religion, wurde auch sie zu einem von vielen Fakultäten der Paraspychologie, für die ich mich ab dem 13. Altersjahr zu interessieren begann. An sich ganz normal, wenn man in einem Gebiet den Durchblick nicht hat, muss man sich intensiver damit beschäftigen. ************************************************* Kapitel 21 Der Unhold Der Alltag war von vielen unwichtigen Vorkommnissen belebt, doch daran erinnert man sich später kaum noch. Ein Vorfall aber, der ist mir geblieben, ein etwas seltsamer, wie wir gleich sehen werden. Nachdem der „Piggerling“ seinen Meister verlassen hatte, stellte der Bauer einen jungen Knecht als Ersatzmann ein. Er führte den sinnigen Namen „Dällenbach“, deshalb nannten wir ihn den „Kari“, obwohl er einen anderen Vornamen hatte. Der „Kari“, rund 20 Jahre alt, fühlte sich vermutlich etwas einsam, er versuchte mit den Schulkindern Kontakte zu pflegen. Und weil die Höfe der Familien 173 174 Schmutz und Stähli angrenzend waren, traf auch ich ihn oft auf den Feldern. Vermutlich waren aber unsere Gespräche nicht besonders interessant, denn ich kann mich nicht an sie erinnern. Eines Tages orientierte uns der Locher Ernst über einen Vorfall, in dem der „Kari“ die Hauptrolle spielte. Irgendwo in einer Scheune soll der „Kari“ einer Gruppe Mädchen sein Glied vorgezeigt haben, er habe dabei erzählt, was man alles damit anstellen könne. Erschrocken berichteten die beiden Mädchen von Locher zu Hause darüber, Erika war in der ersten Klasse, ihre Schwester etwas jünger. Entsetzt sahen sie das erigierte Glied und sprachen von einem riesengrossen „Seiker“. Ein Wort, das ich zuvor noch nie gehört hatte. Der Ernst tat das einzig Richtige, statt viel Staub aufzuwirbeln, sprach er unter vier Augen mit dem „Kari“, klar und deutlich liess er ihn wissen, dass er nichts unternehme, sofern sich solche Vorfälle nicht wiederholen. Uns ersuchte er, die Geschichte nicht an die grosse Glocke zu hängen, das taten wir auch nicht, aber wir machten uns beim Zuckerrübenernten einen Spass daraus, die Mädchen zu fragen, welche der Rüben dem „Kari“ am meisten ähnlich waren? Weil die Mädchen dabei aber sehr verlegen wurden, unterliessen wir fortan diese Fragereien. Irgendwie hatte aber dieser Fall für mich noch ein seltsames Nachspiel. Der „Kari“ war auch oft in Kontakt mit der Bigler Susi, (beim Vornamen bin ich mir nicht mehr ganz sicher?) ihre Eltern führten neben dem Hof von Stähli ein „Lädeli“, Susi war rund 2 Jahre jünger als ich. Als sie mich im Gespräch mit dem „Kari“ erblickte, wurde sie urplötzlich unglaublich grob und frech zu mir. Sie beschimpfte mich mit allen erdenklichen Flüchen, welche die berndeutsche Sprache damals hergeben konnte, und das waren nicht wenige. Ich fragte den „Kari“ ob er wisse, was in die gefahren sei, ich hätte mit ihr noch nie irgendwelche 174 175 Meinungsverschiedenheiten gehabt und nun bombardiere sie mich aufs übelste mit Schimpfwörtern. Der „Kari“ tat, als wisse er nichts, machte aber eine dumme Bemerkung, die mir geblieben ist:“Das ist doch die Liebe, jetzt verflucht sie dich, später werdet ihr dann heiraten!“ Mir war aber damit nicht gedient, ich hätte dringend gerne vernommen, was ich ihr gegenüber „verbrochen“ hatte? Der „Kari“ arbeitete noch ein paar Monate beim Bauer, dann verschwand er, und damit hörten auch die Schimpftiraden der Susi auf. Ich habe lange an diesem Fall herummeditiert, eigentlich wollte ich die Susi einmal danach fragen, aber es ergab sich nie eine Gelegenheit dazu. Ich denke, sie vermutete wohl, dass der „Kari“ mir Informationen zu ihrer Person zukommen liess, das war aber nicht der Fall. So blieb diese Geschichte für immer ein Geheimnis mit vielen unbeantworteten Fragen! Kapitel 22 Der Aufseher Die Zeit vom 11. bis zum 18. Altersjahr, waren für mich insofern schwierig, weil ich als Knabe keinerlei Rechte hatte, ich musste die verworrene Situation zu Hause einfach hinnehmen, ohne dabei etwas ändern zu können. Die Schule bildete dabei für mich absolut kein Problem, obwohl ich auch da viel nachholen musste und kaum Aussicht auf den Besuch einer höheren Schule bestand. Ich wurde deshalb auch nicht stark gefordert, konnte mich langsam dem Wissensstand der anderen Schüler angleichen, indem ich intensiver an die Fächer heranging und den Stoff besser behalten konnte. 175 176 Zu Hause aber war das totale Chaos, meine kleinen Geschwister taten mir leid, das war keine sorglose Jugendzeit, weder für mich noch für sie! Der Druck, der da auf mir lastete, war aber zu gross, darum spinnte ich eine Art von Schutzhülle um mich, und fühlte mich trotz dieser Belastungen recht gut und versuchte, soweit möglich, das Leben auf meine Weise zu geniessen. Obwohl ich in der Freizeit immer arbeitete, fand ich noch genug Zeit um Bücher zu lesen, ins Kino zu gehen, in die Museen der Stadt Bern, ja, sogar ins Theater, um dort das „Tell Spiel“ zu anzuschauen. Ganz besonders hatten es mir die Kulturfilme an den Sonntagvormittagen angetan, diese schwarz-weiss Filme zeigten praktisch nur „Wilde“ aus Afrika, Neuguinea, Amazonien, etc., und die wilden Frauen waren splitternackt! Es war die einzige Möglichkeit, nackte Frauenkörper zu bewundern, in den Nudistenheftchen gab es zwar noch weisse Frauen zu bestaunen, aber diese Filme waren eben doch viel interessanter. Irgendwie wurde bekannt, dass besonders viele Jugendliche und auch Knaben wie ich, sich für diese Kulturen interessierten, die schönen Filme wurden nicht mehr gezeigt! So musste ich mich wieder mit den Nudistenschriften begnügen, nun ja, ich war zwischen 12 und 14, und die alte nette Frau im Ryfligässli, fragte mich jedes Mal:“Aber gäälet, Sie sind 18 gsi?“ Und ich antwortete immer:“Ja , ja, ich muss nächstes Jahr in die RS“(Rekrutenschule). Es gingen dort eben viele Halbwüchsige ein und aus, und deshalb hatte sie vermutlich meine Rekrutenschule jeweils wieder vergessen! Wie wichtig diese Nacktfotos damals für mich waren, zeigt die folgende Geschichte, ich hatte wieder einmal so ein farbiges Heftchen gekauft, nach dem Schloss Köniz, zweigt eine Strasse Richtung Schliern ab und die andere Richtung Gasel, beide waren distanzmässig gleichweit bis ins Schlatt, nur war jene über Gasel besser mit dem Velo zu fahren. 176 177 Ich zweigte somit Richtung Gasel ab, da sah ich die grosse Kiesgrube links von mir, etwa 80 Meter danach, ich fahre direkt in die Grube und greife zum Nudistenheft, konnte es einfach nicht ertragen, noch bis nach Hause warten zu müssen um die Fotos zu bewundern! In all den Jahrzehnten, wenn ich dort vorbei kam, war es diese Episode, die in mir auftauchte, und ich konnte ein leichtes Lachen einfach nicht unterdrücken. Im Postauto dachten die Leute wohl, ich hätte einen lustigen Tag, wenn ich mit dem eigenen Auto daran vorbei fuhr, erlaubte ich mir sogar ein lautes Lachen! Und wenn ich als Mitfahrer dabei war, gab es Momente, da musste ich mein Kichern sogar erklären! Tante Marie, die Schwester von Vater, war in Bolligen BE, zu Hause, wo sie mit einem E. Trachsel verheiratet lebte, drei Knaben, den Ueli, den Ruedy und den Nachzügler Peterli, aufzog. Trachsel war Aufseher in der „Irrenanstalt Waldau“. Ich denke, ich hatte ihn noch gar nie getroffen, also fuhr ich an einem Sonntagnachmittag nach Bolligen. Der Ueli und Ruedy waren auch im Haus, beide älter als ich, für sie war ich ein Knabe, aber ich unterhielt mich am Tisch mit dem Vater Trachsel. Erinnern kann ich mich aber nur noch an einen Satz von ihm:“Weiss Du, wenn man immer um Irre herum ist, spinnt man plötzlich auch!“ Diese Aussage beeindruckte mich stark, auf dem Weg nach Hause sinnte ich darüber nach, war auch erfreut, wie er sich mit mir, einem Knaben unterhielt. Nur wenige Wochen später, erhängte er sich, nun war mir klar geworden, was er mir damals wirklich sagen wollte! (Ruedy starb bereits im Alter von 32 Jahren an den Folgen einer Bluterkrankung, sein älterer Bruder Ueli starb am 4. August 2007 im Alter von 75 Jahren an einem Herzschlag!) *************************************************** Kapitel 23 177 178 Die Pistole Wie bereits erwähnt, gab es für mich diverse Erwerbsmöglichkeiten, einmal als Ausläufer für die Gärtnerei Suter, dann als Sammler von Altmetallen und Patronenhülsen, als Kaninchenzüchter, Mäuse und Spatzenjäger, sowie meine Arbeiten auf den Bauernhöfen in der näheren Umgebung. Vom 10. bis 12. Altersjahr, war ich auch mit allerlei Arbeiten in der Gärtnerei beschäftigt. Die Entschädigungen entsprachen mit einer Ausnahme immer meinen Erwartungen. Das war während zweier Wochen „Heuferien“ im Juni, als mich Kleinlandwirt Kohli auf dem „Busenhügel“ fragte, ob ich gewillt wäre, zwei Wochen bei ihnen mitzuhelfen. Ich sagte zu, wobei die Entschädigung nie zum voraus vereinbart wurde, diese richtete sich nach meinem Arbeitseinsatz. Und ich schuftete zwei Wochen vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Das Essen war schlecht, so präparierte Frau Kohli den Salat mit Zucker statt Salz, das schmeckte scheusslich! Ich rechnete mir aus, dass ich als Lohn mit etwa Fr. 40.- bis 50.- rechnen konnte, dieser Betrag zahlten die meisten anderen Leute für zwei Wochen Arbeit. Und am Schluss reichte mir Herr Kohli ganze 5.- Franken für diese Zeit! Am liebsten hätte ich ihm den Hals umgedreht, aber er musste nur meinen Blick erkennen. Klar, dass ich allen erzählte, was für ein schäbiger Geizhals der Kohli sei. Nicht selten bestellte ich meine Kleider und Schuhe über Postversandgeschäfte, etwa beim „Gilli“ oder „Voegele“. Schon seit längerer Zeit wollte ich aber eine Pistole kaufen, damit ich Krähen und Spatzen schiessen konnte. Vom Versandhaus „Ichy Freres“ in Yverdon erhielt ich einen grossen Katalog, und unter den vielen Waffen fand ich eine Kleinkaliberpistole, welche ich auch zahlen konnte. Damals war es möglich, sämtliche Schusswaffen ohne Waffenschein zu erwerben. Ich sandte am Samstag meine Bestellung an die Fa. Ischy. Weil die Ware aber als Nachnahme 178 179 versandt wurde, musste ich zumindest Mutter informieren, weil ich vermutlich bei der Auslieferung in der Schule steckte. Am Sonntagmittag war wieder einmal Familienwanderung angesagt, das ging immer mit dem gleichen Ritual vor sich, vorne liefen Vater und Mutter, meistens zankten sie sich über irgend ein Bagatell, neben oder hinter ihnen durften wir drei Kinder laufen, aber nie voraus eilen, das gab eine laute Schelte von Vater ab. Was für ein ungezogener „Saugoof“ man doch sei, ohne Respekt vor den Eltern! Ich hatte mit dieser Auffassung immer Probleme, konnte einfach den Sinn darin nicht erkennen. Ich informierte Mutter über die Sendung, die ich da erwarte, Vater wollte wissen, was ich denn bei Ichy bestellt habe? Ich sagte die Wahrheit, aber dann donnerte er los:“was fällt dir eigentlich ein, ein „Schulgoof“ mit einer Pistole, willst du mich damit erschiessen?“ Der Nachmittag war hin, wir kehrten nach Hause zurück, ich dachte vorher gar nicht an diese Variante, das war auch kein Thema, dafür hatte ich Fäuste und war bereits grösser als Vater. Ich erklärte sogleich, dass ich die Bestellung stornieren werde und ohne Pistole Spatzen einfangen werde. Ich schrieb eine Postkarte und erklärte, weil ich erst 13 Jahre zähle, habe man mir den Kauf verboten. Es kam weder eine Bestätigung noch eine Sendung. Bis zu meiner Volljährigkeit hatte ich verschiedene Momente, dass ich Verträge zeichnete und dann stornierte, natürlich immer unter Hinweis, dass ich noch nicht handlungsfähig wäre. Diese Tatsache wurde immer anerkannt, und ich hatte nie Probleme mit Stornierungsgebühren und dergleichen. Kapitel 24 179 180 Lehrer Schmied Gottfried Schmied (Godi) war nicht einfach ein Lehrer, er war so etwas wie eine Ikone! Hände und Füsse waren bei Geburt verkrüppelt, das hinderte ihn nicht daran, ein besonderer Schullehrer zu werden. Seine Lebenseinstellung war deutscher als Deutsch, nur was aus Deutschland kam, war generell gut, die deutsche Kultur und Sprache stand bei ihm über allem. Soweit möglich, bezog die Schule damals das meiste Schulmaterial aus Deutschland. Und im 9. Schuljahr wurde Plattdeutsch und die Keilschrift gelehrt. Und interessant auch, dass bereits mein Vater bei Godi Schmied Schüler war und damals auch tüchtig verprügelt wurde! Im Frühjahr 1952, beim Eintritt in die 7. Klasse, war es für mich soweit, mein Lehrer war nun Godi Schmied, gut 43 Jahre nach meinem Vater! Und Schmied begrüsste mich entsprechend: “Du bist wohl der gleiche Lausbub wie schon dein Vater, dem habe ich die Flausen aber gründlich ausgetrieben, also gib gut Acht!“ Mich traf diese Begrüssung wie ein Schock, galt ich doch als Musterschüler in Sachen Fleiss und gutem Benehmen, ich war etwas aufgebracht und nahm mir fest vor, ihm keinerlei Anlass für Beanstandungen zu geben. Ich informierte meinen Vater und dieser lachte nur und sagte: „Ja, dieser Godi, der verpasste mir schon am ersten Tag eine Tracht Prügel“. Er wollte aber nicht damit herausrücken, ob die Strafen gerecht waren oder nicht, das vernahm ich dann vom Weber Chrigu und dem Hoferhausi. Beide wussten, dass er die Prügel durchaus verdient verabreicht bekam. Nach ein paar Monaten, anlässlich einer Unterrichtslektion, entschuldigte sich Schmied bei mir direkt und diskret für das Vorurteil! Ich war wieder überrascht, fand aber seine 180 181 Geste grossartig, er, der um die 67 Jahre zählte, war sich nicht zu wenig, sein Fehlurteil zu revidieren! Es war klar, dass er fortan für mich ein Superlehrer war, dem ich nie Schwierigkeiten bereiten wollte. Seine Ratschläge nahm ich auf wie ein Evangelium, lebte danach und stellte sie auch nicht in Frage. *************************************************** Kapitel 25 Der Korea Krieg Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Geschichte und Politik gehörte damals zu meinen Lieblingsfächern, ich verfolgte die Aussenpolitik im Radio und in der Presse. Da auch Ruedi Schmutz sich dafür sehr interessierte, war unser Schwerpunkt auf dem Schulweg die Politik und der Korea Krieg, welcher von 1950 bis 53 tobte. Wir hatten damals noch Naturstrassen, ich erinnere mich, dass wir den jeweiligen Frontverlauf am Strassenrand in Sand und Kies einzeichneten, dieser Krieg war so etwas wie ein Spiel, als die Amerikaner nahezu alles verloren hatten, machten wir uns schon Gedanken, wie die sich von der Halbinsel absetzen werden? Es kam aber anders, die Amis und ihre Nato-Verbündeten, landeten in der Mitte der Halbinsel und schnitten die Nordkoreaner im Süden ab. Plötzlich hatte sich das Blatt völlig gewendet, das brachte jeden Tag neue Spannung. Dann sandte MAO eine Million „Freiwillige“ nach Nordkorea, wir befürchteten wieder das Schlimmste für die Nato Truppen. Aber die Chinesen waren nur zahlenmässig hoch überlegen, als Soldaten schlecht bewaffnet und deshalb für die AMIS leicht bezwingbar. Schliesslich ergab sich am 38. Breitengrad eine Pattsituation, es wurde ein Waffenstillstand geschlossen, der heute noch Gültigkeit hat. 181 182 Für uns war es mehr als nur Krieg und Geschichte, es war eher wie ein Sport oder ein Spiel mit allen seinen Spannungen und Überraschungen, ich nehme an, dass heutzutage die Schüler keine derartigen Gespräche auf dem Schulweg pflegen? Kapitel 26 Deubelbeiss und Schürmann Mit etwa 11 Jahren kaufte ich mir meine erste Armbanduhr, eine der Marke „Türler“, die ich beim Flühmann an der Berner Marktgasse erwerben konnte. Ich war mächtig stolz auf meine schöne Uhr, sie war für mich wie ein Amulett, etwas Besonderes! Aber nicht alle Leute waren der Ansicht, ich dürfte über eine Uhr verfügen, in der Schule waren wir nur etwa zwei oder drei Schüler, welche eine Armbanduhr hatten, und die Lehrerschaft diskutierte sogar, ob man so was nicht verbieten sollte? Dass aber ausgerechnet einer der aller ärmsten Schulkinder über eine Uhr verfügte, das wollten manche nicht verstehen. Und Mutter wurde sogar diesbezüglich ausgefragt, sie sagte nur die Wahrheit, dass ich eben hart arbeite und über eigenes Geld verfügen könne! Und ich hatte auch eine Lösung, sollte das Uhrtragen verboten werden, ab in die Hosentasche damit. Aber es kam nicht soweit. Man schrieb ungefähr das Jahr 1950 oder 51, als in der Schweiz plötzlich amerikanische Zustände Einzug hielten, zumindest in einem Fall. Zwei Gangster, Deubelbeiss und Schürmann, bewegten die ganze Schweiz. Sie schossen sich ihre Fluchtwege frei, verfügten über selbst umgebaute Maschinenpistolen, im Kanton Aargau lieferten sie der Polizei eine grosse Schiesserei! 182 183 Während Tagen kannten wir nur noch ein Thema, die beiden Gangster und wann sie eingefangen werden? Mit grösster Spannung wartete ich auf die Nachrichten im Radio Beromünster. Und die Verfolgung der beiden war während einer ganzen Woche im Mittelpunkt. Ich war sehr aufgeregt, hoffte, dass man sie möglichst lange nicht einfangen konnte, doch dann wurden sie wegen einer Baskenmütze überführt. Aus der Traum vom grossen Geld, ihre Taten wirkten damals eher als Abschreckung, sie waren zwar äusserst brutal durchgeführt worden, aber sehr stümperhaft organisiert, nachträglich wusste jeder von uns, wie sie es besser hätten machen können. Kapitel 27 Esther Williams Seit dem 6. Altersjahr, also seit ich lesen konnte, las ich regelmässig die Zeitungen. In Frankreich begann ich mit der Sammlung einer Bildgeschichte, welche „Colombia“ hiess. Colombia war eine sehr hübsche Frau mit langen schwarzen Haaren und schneeweisser Gesichtshaut, dunklen Augen und sehr weiblich! Die Serie wurde während Jahren gedruckt und ich nahm nur sehr ungern Abschied von ihr, als ich in die Schweiz zurück wanderte. Die Columbia war mein Traumbild, sie blieb tief in meinem Unterbewusstsein zurück, vermutlich das ganze Leben. Auch noch mit 60 Jahren und danach, fragte ich mich oft, weshalb mich Frauen mit diesen Eigenschaften derart faszinierten? Die Antwort ging bis in die frühesten Jugendjahre zurück, anders konnte ich mir das nie erklären. Aber kaum in der Schweiz eingelebt, begann ich erneut mit dem Sammeln von Zeitungsausschnitten, hauptsächlich über Reisen in ferne Länder und historische Sachen. Ich 183 184 abonnierte ein Monatsmagazin, den „Kriminalspiegel“, darin wurden besonders interessante Kriminalfälle beschrieben, aber auch viel über neue Filme und deren Darsteller. Und einmal sah ich im Kino den schönen Film;“Eine Nacht in der Südsee“, mit Gary Cooper und Esther Williams, ein sehr schöner und vor allem romantischer Film aus der Südsee. Natürlich hätte ich auch diesen Film nicht sehen dürfen! Aber ich verliebte mich dabei „platonisch“ in die Esther Williams. Und da der Kriminalspiegel auch einen Leserdienst anbot, mit dem man sich über Filmsterne orientieren konnte, schrieb ich um Informationen zu Esther Williams zu kriegen. Und ich erhielt einen Lebenslauf von ihr, und dazu ein Farbfoto! Ich war total begeistert, trug das Bild stets auf mir und zeigte es den Kollegen, denen ich sagte, das wäre nun meine Freundin. Schliesslich trugen einige Mädchen auch ein Bild von Hugo Koblet auf sich! *************************************************** Kapitel 28 Mutters Vorschlag Im August 1952 wurde ich 14, es begann mit dem Stimmbruch, mit Pickeln im Gesicht, ein Leiden, das mir während Jahren Probleme bereitete und nie ganz beseitigt wurde. Meine Körpergrösse entsprach meinen Zielen, ich hatte mir mit 10 Jahren zum Ziel gesetzt, die Körperlänge von 180 Zentimeter zu erreichen, das war etwas hochgesteckt, in der Verwandtschaft war niemand über 172 cm, ich war jedoch fest davon überzeugt, auch da aus der Reihe zu tanzen. Mit 14 hatte ich 176/77 erreicht, ich wuchs dann noch runde 3 Zentimeter und war mit 16 fast auf den Millimeter genau 180 ! Ab 15 ½ war keinerlei Wachstum mehr zu verzeichnen, das hatte zur Folge, dass mich gleichaltrige 184 185 Kollegen, die noch bis 18 wachsen konnten, an Grösse überholten. Ich hatte mein Ziel erreicht, darum ist es auch möglich, dass ich selber die Schuld an diesem frühen Stopp trage? Ich machte mir keinerlei Gedanken über eine Berufslehre, hatte absolut kein Handwerk in Aussicht, das mich hätte begeistern können, heimlich hoffte ich, ich könnte noch lange die Schule besuchen. Tief im Unterbewusstsein, steckte mein Interesse an einem Geschichtsstudium, daran war aber in der Realität nicht zu denken, nicht einmal eine kaufmännische Lehre lag im möglichen Bereich! Schliesslich konnte ich mich bisher auch durchschlagen und es würde sich schon ergeben, also weshalb sich jetzt schon darüber Sorgen machen? Damals war es üblich, nach Schulende ein Jahr ins Welschland zu gehen, und erst danach eine Lehre anzutreten. Nun war aber mein Fall anders gelagert, ich hatte bereits genug lange Französisch Unterricht gehabt, also erübrigte sich für mich dieses Welschlandjahr. Mutter hatte einen Vorschlag, den ich gar nicht so abwegig fand, obwohl ich damals nicht ahnen konnte, dass sie dabei einen Hintergedanken hatte. Im „Das Gelbe Heft“, war eine Anzeige aus dem Emmental, ein Landwirt suchte einen etwa vierzehnjährigen Burschen als „Käsereibuben“, welcher dabei seine Konfirmandenkleidung abverdienen könne. Ein solcher Massanzug konnte mehr als 500.- Franken kosten! Für mich also ein kleines Vermögen. Ich stimmte zu und so fuhr uns Onkel Otto an einem Sonntag nach Konolfingen Dorf, zum Landwirt Christian Buri. Wir kamen überein, dass ich nach Ostern 53, eintrete, und bis zur Konfirmation und Schulende im Frühjahr 1954 bleibe. Zur Bedingung wurde gemacht, dass ich an den Abenden nicht ausgehe, für mich kein Problem, da ich lieber Bücher las. 185 186 Ich war begeistert, endlich weg vom Familienkrieg, und ich konnte meinen Horizont erweitern, die Schule wechseln, wobei ich plante, endlich das fehlende Schuljahr zu überspringen. Ich schaute mit viel Optimismus meinem neuen Lebensweg entgegen. Statt ins Welschland ins Emmental, sagte ich den Leuten im Schlatt. „Noch lieber würde ich aber nach Kalifornien auswandern“, äusserte ich zu Onkel Otto. Kapitel 29 Abschied Erstmals in meinem Leben verliess ich meine Familie, ich war 14 ½ jährig, ganz im pubertären Alter, eine innerliche Kraft und Wut macht sich in mir bewusst breit, ich hätte am liebsten die ganze Erde umklammert, einmal bewunderte ich Adolf Hitler, dann wieder sah ich im Kommunismus den rettenden Ausweg, verfluchte alles in meiner Umgebung, machte ernsthafte Pläne, um bei einem auftauchenden Problem sogleich in die französische Fremdenlegion einzutreten. Es war mir bekannt, dass man dort aus einem Vierzehnjährigen gleich einen Achtzehnjährigen machte. Konstanz war für die Schweizer am einfachsten, gleich nach der Grenzkontrolle wurde man von einem grossen Werbeplakat für die Legion begrüsst. 1955 konnte ich es dann selber bestaunen, als ich erstmals nach Konstanz fuhr. Es war eine gute Lösung, bei all diesen Frustrationen, nach Konolfingen, „auszuwandern“. Meine Anreise durfte ich telefonisch bei der Familie Buri anmelden, das Besondere daran war, dass ich zum ersten 186 187 Mal im Leben telefonieren konnte! Otto hatte bekanntlich ein Telefon, aufgeregt drehte ich die Zahlen an der Scheibe durch, dann das Klingelzeichen und ich wunderte mich, ob das Gespräch zustande kommen konnte. Es funktionierte und ich fühlte mich wie ein Pilot, der zum ersten Mal ein Flugzeug steuern durfte. Meine Kleider packte ich in einen Rucksack, den ich auf den Gepäckträger festmachte. Dann verabschiedete ich mich und fuhr los, Richtung Köniz, dann das Köniz-Tal entlang bis nach Kehrsatz, Belp, Münsingen, Rubigen, dann folgte eine leichte Steigung bis Konolfingen Kreuzstrasse, von dort die Strasse hinauf in Richtung Grosshöchstetten, bis Konolfingen-Dorf. Die Ankunft habe ich vergessen, war vermutlich nicht besonders emotional. Ich erhielt ein grosses Zimmer, welches über dem Wohnzimmer lag, neben mir war die alte Elsa, eine etwas mongoloide Person von ca. 80 Jahren. Weiter hinten hatte die Haushaltlehrtochter ihr Zimmer, sie war ein Jahr älter als ich mit einer Art von Wasserkopf. Ich mochte sie von Anfang an nicht richtig leiden, das beruhte auf Gegenseitigkeit. Die Familie hatte vier Kleinkinder, einen alten Melker, sowie einen sardinischen Hilfsarbeiter, mit Namen Ignacio. Die Eltern wohnten im Stöckli nebenan, dort wohnte auch noch die Familie Hofer, und die junge Frau Hofer war ein besonderer Fall für mich, sie lebte zuvor mit ihrem Mann mehrere Jahre in den USA! Am Abend zog ich mich in mein Zimmer zurück, aus einem Schrank suchte ich mir ein Buch aus, versuchte zu lesen, aber plötzlich überkam mich eine grosse Leere und Frust, ich fühlte mich völlig einsam und verlassen! *************************************************** Kapitel 30 Das Leben ist anders 187 188 Die Bücher, die mir als Lesestoff zur Auswahl standen, entsprachen nicht unbedingt meinen Interessen und Vorstellungen. Aber ich durfte ja auch einmal etwas anderes als Abenteuer und Wildwestromane konsumieren. So begann ich mit dem Buch „Hinter Pflug und Schraubstock, von John Bull. Und weil ein Buch nur ganz selten völlig inhalts- und sinnlos sein kann, konnte ich auch aus diesem viele gute Gedanken und Ideen schöpfen. Ich wurde über meinen Aufgabenkreis instruiert, morgens um 05.30 Tagwache, dann Kühe füttern und im Kuhstall ausmisten, gegen 06.30 das Pferd „Jöggu“ „tschierren“ und an den Käsereikarren festmachen. Danach mit den Milchkesseln ins Dorf hinauf fahren, die Milch abliefern und zurück zum Frühstück. Um 07.40 ab in die Schule, die sich ebenfalls oben im Dorf befand. Über die Mittagszeit war „Schweinehüten“ Trumpf, der Ignacio trieb die Schweine hinaus und ich sollte zu ihnen schauen, während dieser Zeit, musste er den Schweinestall reinigen. Danach wieder Schule bis etwa 16 Uhr, nach dem „Zvieri“ hatte ich Zeit für die Hausaufgaben. Danach war wieder Stalldienst bis etwa 18.30, wobei ich abends auch gegen drei Kühe melken durfte oder sollte. Um 18.30 wieder Käsereifahrt, dann Nachtessen, Kühe zur Tränke führen und den Stall reinigen. Gegen 20 Uhr war in der Regel Feierabend. An einem Nachmittag in der Woche war noch Konfirmandenunterricht in Konolfingen-Stalden. Während den Schulferien hiess es natürlich auf dem Hof arbeiten, statt in der Schule ausruhen. Mein Vorgänger war ein Hans Mosimann, er wohnte in der Nähe bei den Eltern. Stolz zeigte er mir den Job, er schien den Umgang mit dem Pferd zu geniessen und bedauerte etwas, dass er nun sein Welschlandjahr in Cudrefin, antreten werde. 188 189 Kapitel 31 Endlich in der 9. Klasse! Die Osterschulferien waren vorbei, für mich kam der erste Schultag in Konolfingen. Ich hatte meine Schulbücher aus Oberscherli in einen Rucksack gepackt und nun stand ich mit diesem auf dem Rücken vor der ganzen Klasse. Wartete auf die Ankunft des Lehrers, dieser kam und fragte, in welcher Klasse ich wäre, ich nannte die 8. Klasse in welche ich nun kommen sollte, er verstand das aber anders: „Dann bist du jetzt in der 9. Klasse, du kannst dort hinten sitzen, wo noch Platz frei ist“. Ich übergab ihm das Zeugnis, dann erkannte er das Problem, er schien meine Gedanken lesen zu können, denn er sagte sogleich:“Wir versuchen es in der 9. Klasse!“ Das schlug bei mir wie ein Blitz ein, endlich sass ich in der, nun meinem Alter entsprechenden Klasse. Ja, ich war nun sogar einer der jüngsten Schüler. Der Lehrer, Hans Röthlisberger, war als Sekundarlehrer Qualifiziert, er war eine herausragende Persönlichkeit, ein grosses Vorbild auch für mich! Damals, als die Körperstrafe noch überall praktiziert wurde, konnte er mit seiner Art darauf verzichten, er verstand es, Disziplin und Ordnung ohne Gewallt durchzusetzen. In den Pausen blieb ich oft im Schulzimmer und zeichnete Bilder oder büffelte Mathematik, Röthlisberger erteilte mir in den Fächern, in denen ich noch einen Rückstand aufwies, nach Schulschluss bei ihm zu Hause Nachhilfeunterricht, er war damals bereits über 65, ich glaube, er arbeitete bis 70. Seine ebenfalls bereits betagte Frau servierte uns jeweils einen Tee, und all das ohne einen Rappen zu zahlen, und ich nahm das als Selbstverständlichkeit entgegen, weil ich dachte, ich müsse 189 190 doch mehr lernen und erbringe einen zusätzlichen Aufwand, oder sogar, ich würde ihm damit einen Gefallen erweisen. Erst später wurde mir bewusst, was dieser Lehrer unentgeltlich leistete, nur weil er sah, dass ich gut mitmachte und lernen wollte. Einmal mehr wurde ich zum Musterschüler, im Unterricht war ich immer 100% dabei, gewöhnte mich an, auf jede Frage immer die Hand hoch zu strecken. Das hatte zur Folge, dass er mich fast nie fragte, beim Geschichtsunterricht pflegte er zu sagen:“Gut, wenn es niemand weiss, fragen wir den Geschichtsforscher“. Dabei fühlte ich mich immer hoch gelobt, schliesslich wollte ich ja ein Geschichtsforscher werden, Lehrer Röthlisberger hätte mir dabei sicher sehr geholfen, aber so ein Studium lag nun einmal nicht im Bereich des Möglichen! Nur in einem Fach blieb ich stur und passiv, singen, das war einfach für mich damals nicht aktuell. Später bedauerte ich, dass ich dem nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte. Röthlisberger war für mich eine Art von Übervater, ein wahrer Humanist. Er beherrschte auch die gotische Schrift hervorragend, und später, als er bereits im Ruhestand war, ersuchte ich ihn, mir das Alphabet in dieser Schrift zuzustellen. Er tat das natürlich prompt und kostenlos, während mehreren Jahren schickte ich ihm an Neujahr eine Grusskarte die er immer sehr freundlich erwiderte, er konnte so auch meine Dankbarkeit erkennen, wie hoch ich ihn einschätzte und wie vorbildlich er sich zeigte. So verdankte ich ihm auch mein späteres Interesse an der Parapsychologie, er pflegte während dem Unterricht mit Suggestion und Hypnose zu arbeiten, das liess er uns auch wissen, nur war ich wohl der einzige Schüler, der sich näher dafür interessierte. Ich kaufte am Kiosk ein Lehrbuch über Suggestion und Hypnose, damit begann für mich das langjährige Studium der Parapsychologie! Ich behielt das aber für mich, getraute mich nicht, dem Lehrer meinen Bucherwerb mitzuteilen. Ich denke aber, er hätte sehr positiv darauf reagiert, trotzdem vernahm er nichts von mir. 190 191 *************************************************** Kapitel 32 Der schockierende Brief Einmal im Monat hatte ich einen freien Sonntag. Das hiess, am frühen Morgen Stalldienst und Käserei, danach Frühstück und ich konnte meinen freien Tag beginnen, am Abend um 18.00 Uhr musste ich aber wieder zurück sein, um in die Käserei zu fahren. Diesen Urlaub wollte ich ausschliesslich für den Besuch meiner Familienangehörigen reservieren. Die Reise erfolgte immer mit dem Fahrrad und auf der gleichen Strecke. Ich war erst wenige Wochen in Konolfingen, arbeitete mit zwei Pferden auf einem Acker, den ich „eggen“ musste, um 9.30 brachte die Lehrtochter den Znünikorb, meistens ein grosses Dunkelbrot, ein ebenso imponierendes Stück Emmentalerkäse mit saurem Most. Als Milchlieferant, konnte der Bauer den Käse stark verbilligt von der Genossenschaft einkaufen. Ich freute mich jeweils auf dieses „Holzfäller-Znüni“, aber an diesem Morgen brachte mir die Lehrtochter noch einen Brief. Absender war Mutter, aber nicht im Schlatt, sondern irgendwo im Kanton Thurgau! Ich ahnte was geschah, las aber den Brief etwa dreimal durch, ja, es war klar und brutal, Mutter verliess mit den beiden Kleinkindern die Wohnung im Schlatt. Erstens wegen der ständigen Trunkenheit von Vater, zweitens wegen ihrem Kleinkrieg mit Onkel Otto. Sie werde niemals mehr ins Schlatt zurück kommen! Ja, der Scherbenhaufen war vollständig! Ich machte mir besonders grosse Sorgen über das Schicksal der beiden Geschwister, ich konnte und wollte diese Trennung nicht akzeptieren. Vorerst schrieb ich der Mutter, dass sie eine Kompromisslösung finden solle, weil dieser Zustand für alle nur Nachteile bringen, besonders solle sie aber an die zwei Kleinkinder denken. 191 192 Zählte auf, wie Kinder in solchen Situationen enden und dass dies bei uns nicht auch so sein müsse. Ich hatte nun noch ein zusätzliches Problem, das ich allein nicht lösen konnte. Mutter arbeitete als Hausangestellte bei einem Bauern (Leo Michel) in Lustdorf, TG. Klara besuchte dort die Schule, als dann Ernst schulpflichtig wurde, brachte ihn Mutter ins Schlatt zurück. Vater trank keinen Alkohol mehr, er hoffte damit, dass Mutter wieder zurück finde. Aber sie blieb stur im Thurgau. Ernst wurde von Tante Marie, die Frau von Onkel Otto, betreut, für diese Arbeit erhielt sie meines Wissens nie eine Entschädigung? Während den neun verbleibenden Monaten radelte ich nach Hause, informierte Vater über meinen Job, machte Vorschläge, wie das Problem mit Mutter gelöst werden könnte. Natürlich war mir nun auch klar geworden, weshalb Mutter mich damals drängte, nach Konolfingen zu gehen, sie hatte dadurch mehr Spielraum. *************************************************** Kapitel 33 Die Rache des „Jöggu“ Das Pferd „Jöggu“ war praktisch nur für mich da, um mit ihm in die Käserei zu fahren, als Ackergaul war er nicht geeignet, zudem überzählig, es gab kein Partnerpferd für ihn zum einspannen. So gesehen hatte der „Jöggu“ ein schönes Leben, und trotzdem war er mit mir immer ungehalten. Der Grund dafür war mir auch klar, sowohl am Morgen, wie auch am Abend, musste ich ihn immer mitten in seiner „Fresszeit“ stören und ihm den Halfter und das Pferdegeschirr überstreifen. Er schüttelte dabei immer den Kopf, was „Nein“ hiess, war dann auf dem ganzen Weg schlechter Laune und schenkte mir nur böse Blicke. Manchmal wollte er mich auch beissen, liess es aber bei der Drohung. An einem schönen Abend machte er aber ernst, als ich ihm das „Geschirr“ über den Kopf streifte, bewegte 192 193 er in der Regel seinem rechten Fuss einen Schritt nach vorne, dabei landete sein Huf neben meinem linken Fuss. Aber diesmal nicht daneben, sondern mit ganzer Wucht auf meinem Gummistiefel, und er drückte noch fest zu, so, dass der Stollen genau hinter der grossen und zweiten Zehe landete! Ich hörte ein Knacken im Fuss und es folgte ein starker Schmerz. Der „Jöggu“ blieb genüsslich auf meinem Fuss und machte sich noch speziell schwer, erst als ich ihm an das Bein schlug, liess er davon ab. Ich hinkte fortan, ging aber nicht zum Arzt, das heisst, es wurde nicht für nötig befunden, sowohl der Bauer, wie auch die Prüfungsexperten anlässlich der Turnprüfung, waren der Ansicht, dass ich lediglich simuliere. Nach etwa einem halben Jahr war der Schmerz weg, ich hatte aber ein gut sichtbares „Überbein“ das mich lebenslänglich begleitete, so konnte ich den „Jöggu“ nicht vergessen! Beim Kauf von Schuhen musste ich zudem immer auf diese Vergrösserung hinweisen, wenn der rechte Schuh gut passte, konnte der linke zu klein sein. Wenn ich den Verkäuferinnen meldete, das Problem sei von einem Pferd verursacht, schauten sie mich ungläubig an, ich zog es deshalb später vor, nur von einem Unfall zu sprechen. Kapitel 34 Schrecksekunden Das Essen war verhältnismässig gut, nur „Chäschuechli“ mochte ich absolut nicht, sonst konnte ich mehr oder weniger alles essen, ich hatte ja auch immer einen grossen Hunger. Eine Dusche oder Bad gab es nicht, man musste sich auch im Winter am Brunnen in der freien Natur waschen, die Toilette war ein „Klumpsklo“ über dem 193 194 Güllenloch. Es roch immer fürchterlich nach Gas und ähnlichen Aromen. Die drei Dienstsonntage im Monat verbrachte ich immer im Wohnzimmer der Familie, dort konnte ich ungestört den amerikanischen Soldatensender aus Deutschland abhören. Ich hatte mir auch das grosse „Cowboybuch“ gekauft, las dieses mehrmals durch und träumte von einem „Wilden Westen“ den es gar nicht gab, ich hatte nur noch ein Ziel, nach Kalifornien auswandern. Der Buri hatte zwei Brüder, welche als Käser nach Wisconsin/USA, ausgewandert waren, sie schrieben lange Briefe über das Leben dort. Der Buri pflegte die Briefe am Mittagstisch vorzulesen, das war für mich natürlich ein Hilight. Der „Joggu“ war ein schwieriges Pferd, das wussten alle, er war auch sehr schreckhaft und das hiess für mich, stets auf einen Anfall von ihm vorbereitet zu sein! Ich war kräftig und fühlte mich auch stark, die Kühe schlug ich nicht mit einem Stab, sondern mit den Fäusten, quasi als Training. Manchmal boxte ich gegen Holz, um die Fäuste abzuhärten. Ich war fest überzeugt, dass ich keine stärkeren Männer antreffen könnte. Nun ja, es war an einem schönen Sonntag, ich war mit dem „Jöggu“ auf dem Rückweg von der Käserei, der Karren war ähnlich gebaut wie jene aus dem Film „Ben Hur“, ich musste darin auch stehen und beide Zügel in den Händen halten. Vom Dorf herkommend zweigte man in die Hauptstrasse nach Grosshöchstetten ein, eine hohe Mauer versperrte die Sicht, so, dass ich nicht sehen konnte, was von unten anfuhr. An Sonntagen fuhren Autos in beide Richtungen, nicht viele, aber mehr als während der Woche. Ich bog in die Strasse ein, in diesem Augenblick brauste von unten ein Auto an, vermutlich ein Citroen, der „Jöggu“ machte einen Riesensatz direkt auf den Autokühler zu, die Strassen waren damals sehr eng, ich stemmte mich mit ganzer Kraft gegen den Vorderteil des Karrens und riss den „Jöggu“ an beiden Zügel hoch, so hoch, dass das Auto unter ihm durchfahren konnte, ohne, 194 195 dass er mit den Hufen auf das Dach stürzte. Das Ganze ging derart schnell, dass ich erst danach realisierte, was für ein Riesenunglück hätte geschehen können. Ein Pferd stürzt auf ein heranbrausendes Auto, was für ein Schock für alle und natürlich auch für mich. Ich behielt den Vorfall für mich, noch oft sah ich den Ablauf vor meinem geistigen Auge, den „Jöggu“, wie er fast senkrecht auf der Strasse still steht und wie das Auto vorbeiraste. Ohne meinen grossen Kraftaufwand wäre der Vorfall nicht so glimpflich abgelaufen. Zumindest half mir für einmal meine damalige Kraftprotzerei! Die Tatsache, dass ich ein Pferd vorne senkrecht in die Luft liften konnte, gab mir noch mehr Selbstvertrauen. Und in der Schule fand ich keine ernsthafte Gegner. Angriff im Munistall Das Ehepaar Buri zählte für damalige Verhältnisse zu den gross gewachsenen Menschen. Er war um die 1.90 und sie gegen 1.80 Meter gross. Sie verhielten sich zum Personal leicht distanziert, aber trotzdem immer korrekt. Bei den Mahlzeiten sassen wir, das heisst, der Melch, der Sardinier und ich auf der langen Bank an der Wand entlang, oben am Tisch war der Buri, auf der gegenüberliegenden Seite die Frau Buri und die Lehrtochter, dann die Kinder und ganz unten die verrückte Elsa. Elsa hatte nicht nur einen geistigen Schaden, sondern auch noch eine Blasenschwäche, sie roch darum auch entsprechend. Das war vielleicht auch gut so, damit kam ich nicht auf andere Gedanken, denn sie verhielt sich als meine Zimmernachbarin manchmal etwas kompromittierend, wobei ich das auf ihre Gestörtheit zurückführte. 195 196 Nach den Mahlzeiten, informierte uns der Buri was noch zu tun war, sofern noch zusätzliche Arbeiten auszuführen waren. Die Routinearbeiten waren bekannt und jeder hatte seine Aufgabe. Am Abend, nach dem Essen, wurden die Kühe an die Tränke geführt, danach wurde der Kuhstall aufgewischt, das taten der Melch und ich, während der Ignacio im Munistall dasselbe machte. Manchmal musste ich ihm aushelfen, weil wir vor ihm fertig waren. Schon von Anfang an mochten wir uns nicht leiden, für mich war klar, dass der mich eines Tages angreifen würde. Ich hatte ein Grundprinzip, nie zuerst angreifen, dafür aber umso härter zurück schlagen. Dem Ignacio zeigte ich aber mehrmals die Faust, ich war aber sicher, dass er mich nicht mit seinen Fäusten angreifen würde, dafür war er viel zu feige. Zudem war er doch viel kleiner als ich, jedoch kräftig und ich schätzte ihn auf 30 bis 35 Jahre, während ich gegen 15 zuging. An jenem Abend war ich mit der Reinigung im Munistall beschäftigt, als er erschien, ich erinnere mich nicht mehr was der Grund war, plötzlich behändigte er sich eine Mistgabel und rannte wie ein Amokläufer auf mich los, die Gabelzinken auf meinen Bauch gerichtet! Ich warf mich von oben auf den Gabelstiel und drückte das Ganze auf den Boden, dann riss ich dem Ignacio die Gabel aus den Händen und warf sie weg. Er ergriff eine „Munizeine“, (ein Stierenpenis), mit dem man gut zuschlagen konnte, aber auch diesen riss ich ihm weg und dann verpasste ich ihm einen Fausthieb an die Schläfe, es hörte sich an, als breche der Schädel, aber nein, der Kerl torkelte etwas und stand wieder auf, dann schleuderte ich ihn unter den Muni, dieser schien sich zu ängstigen und begann zu lärmen, aber auch unser Zweikampf war recht laut, das brachte den Buri auf das Kampfgebiet, er trennte uns und war sichtlich erstaunt, dass der Ignacio mich mit einer Mistgabel angriff, er hielt ihm einen kleinen Vortrag, immerhin hatte er als erwachsener Mann ein „Kind“ (noch nicht 15) mit einem gefährlichen Gegenstand angegriffen! 196 197 Eine Mistgabel in den Bauch gerammt bekommen, konnte tödlich enden. Ich wunderte mich, dass der Buri mir kaum einen Vorwurf machte, ihm war bewusst und bekannt, dass der Sardinier höchst jähzornig veranlagt war. . An der ganzen Geschichte störte mich eigentlich nur die Tatsache, dass mein Faustschlag den Kerl nicht bewusstlos machte. Ich begann an meiner Schlagkraft zu zweifeln, als Entschuldigung konnte ich vermerken, dass ich wegen der ungünstigen Bodenlage (Schorgraben), nicht mit ganzer Kraft zuschlagen konnte. Fortan wichen wir uns eher aus, das heisst, der Ignacio ganz besonders, denn nochmals ein Zweikampf, hätte vermutlich besonders für ihn Folgen gehabt. Immerhin konnte man seinen Gabelangriff auch als Mordversuch auslegen. Kapitel 36 Der Amerika Traum In meinen Gedanken war ich meistens im Wilden Westen, bereute, dass ich nicht hundert Jahre früher geboren wurde, und so am Goldrausch in Kalifornien teilhaben konnte. Zwei Eisenbahnlinien waren in der Nähe, gleich neben dem Bauernhaus die Linie Burgdorf -Thun, unten in der Ebene die Linie Bern – Konolfingen – Langnau-Luzern.Letztere setzten manchmal auch Dampflokomotiven ein, das fand ich ausserordentlich romantisch, es erinnerte mich an die Eisenbahnen im amerikanischen Westen. Wenn so ein Dampfzug nahte, rannte ich aus dem Kuhstall und bewunderte den Zug, in Gedanken sah ich, wie sich Indianer von einer Brücke auf die Wagen fallen liessen, so, wie ich das in den Filmen sah. Für mich war das ein Aufsteller, der mich den ganzen Tag beflügeln und inspirieren konnte. Aber noch eine andere Begebenheit konnte mich masslos 197 198 begeistern, im Stöckli wohnte auch die junge Familie Hofer, also der Sohn des alten Hofers mit seiner Frau. Und diese lebten zuvor während vielen Jahren in den Staaten. Frau Hofer mochte um die 30 sein, aber sie war offen und war sich nicht zuwenig, auch mit einem „Knaben“ zu reden. Sie erzählte mir in mehreren Abständen vom Leben dort, wie sie praktisch all die Jahre in einem Wohnwagen lebten, nicht irgend ein kleiner Wagen, sondern eine ganze Wohnung, mit Fernsehen, Radio, Wohn- und Schlafzimmer. Und so lebten viele Tausend auf speziell dafür bestimmten Plätzen. Und wenn ihr Mann eine andere Arbeit aufnahm, wurde einfach der Wohnwagen zum nächsten Ort gefahren. Ich war hell begeistert von dieser Art Lebensqualität, stellte unzählige Fragen dazu und sie bemühte sich, meinen Wissensdurst zu sättigen. Es wurde fast eine Sucht, mit der Frau Hofer über Amerika zu diskutieren. Kapitel 37 Streit mit dem Melch In der Schule ging alle gut voran, ich holte auf und war bald einmal auf dem Niveau der anderen Schüler der 9. Klasse. In den Fächern Rechnen und Deutsch, erhielt ich von Lehrer Röthlisberger nützliche Nachhilfestunden. Wöchentlich einmal musste ein Aufsatz geschrieben werden, dabei durfte man das Thema und den Titel selber wählen. Es war auch erlaubt, Fortsetzungen zu schreiben, und das war meine Chance, ich schrieb während etwa 8 Monaten nur über meine Erlebnisse in Frankreich, unter dem Titel:“Meine Kriegserlebnisse in Frankreich“. Ich hatte genug Stoff und konnte drauflos schreiben, das verhalf mir zumindest in der Inhaltsbewertung jede Woche zur 198 199 Maximalnote. Auch in der Rechtschreibung konnte ich mich vom „genügend“ zum „gut“ durchringen. Das war aber nur Dank der Hilfe von Lehrer Röthlisberger möglich. Dieser war übrigens ein ausgebildeter Sekundarlehrer, im Kanton Bern erfolgte damals der Uebertritt von der Primarschule in die Sekundarschule aus der vierten und fünften Klasse. Es gab aber auf dem Land wenige Sekundarschulen, oft weit und breit keine, und in der Schule Oberscherli, kannte ich keinen Schüler, der zum Beispiel in die Sek. Schule Köniz, hinüber wechselte. Mit der Familie Buri gab es auch keine Probleme, ich sprach ja auch nur selten ein Wort mit ihnen. Am meisten redete ich mit dem Melch, ich schätzte ihn auf ca. 55 Jahre oder älter. Im Kuhstall hatten wir an einem Abend Meinungsverschiedenheiten, den Grund dafür weiss ich nicht mehr. Ich glaube, ich provozierte ihn und er wollte mir eine Ohrfeige austeilen, nur war er viel zu klein gewachsen, und konnte mich kaum erreichen. Dafür verpasste ich ihm einen Fausthieb ins Gesicht, der ihn glatt im Schorgraben landen liess! Ich musste nicht einmal voller Kraft zuschlagen, er unterliess es nochmals einen Angriff zu starten, sagte auch dem Buri nichts, weil er ja angefangen hatte. Das war nur etwa eine Woche nach dem Streit mit dem Sardinier. Und es sollte der letzte Zwischenfall sein, der Melch hütete sich, mich anzugreifen, er hatte eine böse Lektion erhalten! Kapitel 38 Beim Berufsberater Ich machte mir keine grossen Gedanken bezüglich einer Berufslehre, weiterstudieren war mir verunmöglicht, auch eine KV-Lehre lag nicht im Bereich des Möglichen. Aber es 199 200 war damals selbst für viele Schulabgänger nicht möglich, eine Lehrstelle zu finden, es gab schlichtweg fast keine Lehrstellen auf dem Land. Irgendwie, ich nehme an von der Schule, erhielt ich eine Broschüre, darin waren alle 36 Berufslehren, welche damals möglich waren, aufgeführt. Bei der KV-Lehre wurde Sekundarschule verlangt, die anderen Berufe waren auch für Primarschüler offen. Ich studierte den Prospekt gründlich durch, schliesslich fand ich etwa 10 Berufe, die mich interessieren konnten, an erster Stelle war der Traumberuf „Automechaniker“. Obwohl mich technische Berufe wenig bewegten, ich wollte in den geisteswissenschaftlichen Fächern studieren. Es gab auch schon einen Berufsberater, allerdings musste man dafür nach Worb zu einem Herrn Pfenninger reisen. An einem schönen Nachmittag im Frühsommer 1953, radelte ich munter nach Worb, fand diesen Pfenninger, welcher in seinem Einfamilienhaus den Job als Berufsberater nur nebenberuflich ausführte. Ich schätzte ihn auf mehr als 60 Jahre, ein freundlicher Herr, der im Hauptberuf Lehrer war. Ich hatte ein Empfehlungsschreiben von Lehrer Röthlisberger mitgebracht, dieses schien ihm besonders zu imponieren. Er fragte mich, welche Berufe ich vorziehen möchte? Selbstverständlich sagte ich nichts wegen meinen Studienträumen, auch nichts über den KV, das wäre wohl nicht gut angekommen, hätte höchstens Verwirrung gebracht. Es wäre etwa damit vergleichbar gewesen, wenn ich als Velofahrer ein Flugzeug pilotieren wollte. Ich zählte ihm ein paar Berufe auf, zuerst Automechaniker, dann Schreiner, Schlosser, Mechaniker, Spengler, Zimmermann, Gärtner, etc.. Er stellte ein paar Fragen, an die ich mich heute nicht mehr erinnere. Dann war die Beratung vorbei, er versprach mir eine Bestätigung und gab mir noch einen Prospekt mit Anmeldeformular für die LWB Bern. Lehrwerkstätten der Stadt Bern, ich hatte zuvor noch nie davon gehört. Er fügte hinzu, dass es sehr schwer wäre, dort aufgenommen zu werden, ich müsste erst eine Prüfung 200 201 absolvieren. Ebenfalls beim Berufsberater war ein Hans Morandi, wir hatten den gleichen Rückweg, er kam aus Oberdiessbach. Gemeinsam traten wir die Fahrt in Richtung Grosshöchstetten und Konolfingen an. Der Morandi war Italiener und beklagte sich, als „Tschingg“ habe er mehr Mühe, eine Lehrstelle zu finden. Er war auch 15, kaute stets an seinem Kaugummi und redete drauflos. Ich beneidete ihn um seinen schwarzen Schnurbart, während ich lediglich einen blonden und zudem noch unsichtbaren Flaum hatte. Der Hausi las auch gerne Wildwestromane und dergleichen, und er konnte mir eine Adresse nennen, von einem Mann im Rollstuhl, der auch in Oberdiessbach lebte, bei diesem könne ich haufenweise kostenlos Bücher ausleihen. Er werde für mich ein gutes Wort einlegen, ich konnte es kaum erwarten und versprach, am kommenden Sonntagvormittag, nach dem obligaten Kirchenbesuch, bei ihm vorzusprechen. Was wir sonst noch für Themen besprachen, daran erinnere ich mich nicht mehr, ich traf dann den Hausi in Oberdiessbach und er ging mit mir zum Opliger, so hiess der Mann im Rollstuhl, den ich auf etwa 25 bis 30 Jahre schätzte. Er führte uns in einen grossen Raum voller Bücher, ich schätzte, es waren mehrere Tausend. Ich fühlte mich wie im Schlaraffenland, konnte mich gar nicht genug satt sehen, an all den vielen Büchern! Und zwischen den grossen Büchern fand ich Nudistenhefte, die allerdings durfte ich nicht auslehnen, er wollte keine Reklamationen von der Schule erhalten. Ich durfte etwa 12 Bücher mitnehmen, welche ich nach zwei Wochen wieder zurück bringen wollte. Und ich blieb dabei, bis ich Konolfingen wieder verliess. Nie zuvor und wohl auch nicht danach, las ich so viele Bücher. Ich las oft bis nach Mitternacht mit einer Taschenlampe unter dem Leinentuch, damit der Buri von aussen her den Lichtschein nicht sehen mochte. 201 202 Die meisten Bücher waren schön gebundene Wildwestromane, also nicht einfach die billigen Hefte. Den Hausi traf ich danach nie mehr, hatte ihn aber nicht vergessen, weil er mir zu dieser Literatur verhalf, zudem erinnerte er mich mit seinem Schnurbart an den mexikanischen Schauspieler Pedro Armendariz. Nachtrag: Am 25.März 2005, schrieb ich in Thailand unter „Blick zurück“, bereits eine ähnliche Story über den Hausi Morandi, diese händigte ich dem Kari, von der Swiss Taverna zum lesen aus. Und siehe da, der Kari sagte gleich, er kenne einen Hausi Morandi, der seit vielen Jahren in Saraburi, Thailand lebe, dort eine Familie habe und manchmal bei ihm vorbeischaute. Ein Gast wusste aber, dass er nun auf der Insel Samui lebe, und zwei Tage später konnte mir eine andere Person seine Handynummer geben. Ich rief an und es war tatsächlich der gleiche Morandi von 1953! Er konnte sich jedoch nicht gleich an mich erinnern, lediglich an den Opliger und seine Bibliothek, sowie auch an den Pfenninger! Er sagte mir noch, dass er als Klimamonteur, bei der Schweizer Botschaft in Bangkok die Klimaanlagen eingebaut habe. Wir wollten uns im September 05, in der Taverna treffen, und ich freute mich bereits auf ein Treffen nach mehr als 52 Jahren! Als ich im September wieder nach Thailand flog, erkundigte ich mich in der Taverna nach dem Hausi M. er war noch nicht aufgetaucht, aber zufälligerweise war ein Landsmann aus Samui anwesend und dieser wusste, dass der Hausi Morandi zwei Monate zuvor starb! Er hatte als starker Raucher Lungenkrebs, dabei dachte ich zwangsläufig, er wäre wohl besser beim Kaugummi geblieben! 202 203 Kapitel 39 Ich will Missionar werden An einem schönen Abend fuhr ein Wespa daher, auf dem Rücksitz eine Frau mit Tropenhelm, beide trugen weisse Kleidung. Das Ehepaar kam direkt aus Afrika angereist, der Mann war einer meiner vielen Vorgänger, er erlernte ein Handwerk und meldete sich danach bei der Basler Mission, wo er zum Missionar umgeschult wurde. Das war Musik für meine Ohren, was der konnte, das wollte ich auch vollbringen können! Zudem erkannte ich einen Weg, ohne grossen Geldaufwand nach Afrika reisen zu können, und die vielen Frauen, welche ich zuvor in den Kulturfilmen sehen konnte, waren dann auch in nächster Nähe. In Gedanken sah ich mich bereits als „Dr. Albert Schweitzer“ im Bereich Gynäkologie irgendwo in Schwarzafrika. Ich horchte den ganzen Abend dem seltsamen Paar zu, das war eine völlig neue Variante, irgend einen handwerklichen Beruf erlernen, danach bei der Mission anklopfen, ich hatte plötzlich ein neues Ziel, wobei aber Amerika und das Geschichtsstudium noch nicht begraben waren. Das Missionsehepaar brauste wieder davon, die Familie Buri schien tief beeindruckt von dieser Karriere. Sie zählten mir auf, wie erfolgreich alle meine Vorgänger später im Leben wurden. Mir wurde nun klar, wie nützlich eine Berufslehre im handwerklichen Bereich sein konnte. Ich meldete mich zur Aufnahmeprüfung zum Mechanikerlehrling in den Lehrwerkstätten der Stadt Bern, an, es konnte ja nur schief gehen. Ganz sachlich gesehen, hatte ich nicht die geringste Chance dort aufgenommen zu werden! 203 204 Aber wer nichts wagt, gewinnt bekanntlich nichts! Zudem konnte ich wieder einmal nach Bern reisen und dann im Ryfligäschen ein paar Nudistenhefte und Rolf Torrings Abenteuer kaufen! Ich glaube, das motivierte mich mehr, als die völlig aussichtslose Aufnahmeprüfung in der LWB. Kapitel 40 Gefahr am Abend Jeden Abend wurde der voll beladene Grasswagen oben bei der Einfahrt geparkt, die Pferde ausgeschirrt, und nach dem Nachtessen, mussten dann zwei Personen den zweiachsigen Wagen nach unten bis vor die Kuhscheune lotsen. Einer hielt die Deichsel fest, während die zweite Person die Bremsen losmachte. Die Abfahrt war sehr steil und es reichte ohne Zutun von uns, bis nach vorne zur Scheune zu rollen. Der Wagen hatte Gummireifen und kam jeweils schnell in Fahrt. Seit der Schlägerei machte sich der Ignacio nach dem Essen unsichtbar, verkroch sich in den Schweinestall. Damit blieb der Graswagen dem Melch und mir überlassen, manchmal half auch Meister Buri. Gewöhnlich wartete ich auf ihn oder den Meister, aber an einem Abend kam keiner, und ich entschloss mich, es allein zu versuchen, schliesslich war ich stark genug, so wenigstens war meine Überlegung. Ich löste die Bremse und griff sogleich zur Deichsel, der Wagen war bereits in voller fahrt, ich stemmte mich mit aller Kraft gegen die Deichsel, damit diese nicht direkt ins Bauernhaus einschlug, aber statt abzubremsen, stiess die Deichsel nach oben und bohrte sich mit voller Wucht in die Laube, die Deichsel brach in der Mitte wie ein Streichholz und fiel vor mir auf den Boden! Der Wagen hielt knapp vor der Hausmauer und ich blieb verschont, der Aufprall war derart heftig, dass der Wagen 204 205 so abgebremst wurde. Der grosse Krach alarmierte den Meister, ich sah mein Fehlverhalten sofort ein und anerbot mich, die Deichselkosten zu zahlen, ich hatte ja in Bern ein Sparheft. Aber der Meister ging gar nicht auf mein Angebot ein, es machte den Anschein, dass er sehr erleichtert war, dass mir absolut nichts zustiess. Denn es hätte sehr gut tödlich enden können. Einmal die gebrochene Deichsel, sodann die Wucht des Wagens gegen die Hausmauer und eingeklemmt werden. Selbstverständlich unterliess ich danach solche Alleingänge. Man braucht aber auch ein wenig Glück dabei! *************************************************** Kapitel 41 Der „Rote Pfeil“ Vater arbeitete immer noch bei der Firma Schneider und Rindlisbacher, in Weissenbühl bei Bern. Im Sommer 1953 feierte die Firma ein Jubiläum, was genau, das weiss ich nicht mehr. Aber es wurde ein Ausflug mit dem „Roten Pfeil“ für das Personal und deren Angehörigen angeboten. Das bedeutete, dass ich auch mitfahren durfte, was für mich eine willkommene Abwechslung war. Ich glaube, es war ein Sonntag, wohin die Reise führen sollte, war noch nicht bekannt, mit dem „Roten Pfeil“ reisen war damals ein grosses Erlebnis und sehr populär. Ich schätze, es waren gegen Hundert Teilnehmer. Endlich sah ich auch die Kollegen, von denen Vater oft sprach. Einfache Arbeiter, welche sich an diesem Tag besonders mit einer Bierflasche in der Hand, produzierten und versuchten, aufzufallen. Der Pfeil raste in Richtung Ostschweiz, und gegen Mittag erreichten wir Romanshorn am Bodensee, dort wurde im Hotel Bodan ein gutes Mittagessen serviert. Es war das erste Mal, dass ich in einem vornehmen Hotel speisen konnte, ich 205 206 wusste gar nicht, wie man mit dem Besteck umgeht. Ich schaute, wie es die andern Leute machten, wobei diese Arbeiterfrauen vermutlich auch nicht so recht Bescheid wussten, immerhin schaffte ich es dann doch, mit Gabel und Messer gleichzeitig zu hantieren. Ich glaube, es gab anschliessend noch eine Schiffsfahrt nach Friedrichshafen und zurück, erinnere mich aber an keine Details. Auf der Rückfahrt führte man uns über Kloten-Flughafen, das war für mich ein Hit, Stoff, um dann in der Schule einen Aufsatz zu schreiben. Vielmehr als die verschieden farbigen Lichter und ein paar Gebäude, war da nicht zu sehen, doch es war der Reiz der grossen weiten Welt, der von hier ausging, was faszinierte. Noch konnte ich nicht ahnen, dass 10 Jahre später, hier mein Arbeitsort sein würde. Die Stimmung wurde immer fröhlicher und feuchter, doch am Abend war auch diese Reise vorbei, ich stieg in Bern auf den Zug nach Konolfingen um, während Vater ins Schlatt zurück radelte. Kapitel 42 Die Drohung Der Winter war grimmig kalt und mein Zimmer ohne Heizung, aber ich gewöhnte mich daran, verkroch mich unter die schwere Bettdecke und mit Hilfe der täglichen Müdigkeit schlief ich trotzdem recht gut. Im Lauf der Jahre lernte ich alle gängigen Arbeiten auf einem Bauernhof zu verrichten, nur das Holzfällen fehlte noch in meiner Praxis, abgesehen von den wenigen Hölzern, die ich früher mit Onkel Otto in seinem Wald fällen half. Landwirt Buri besass auch einen grossen Waldanteil, und im tiefen Winter war Holzfällen angesagt. Das war vermutlich die gefährlichste Arbeit am Hof, wir schlugen die 206 207 Tannenbäume mit den Äxten und Sägen. Ohne die heute gebräuchlichen Motorsägen. Und die grossen Tannen fielen nicht immer so, wie wir das geplant hatten. Aber wir hatten keinen Unfall zu verzeichnen und ich war recht zufrieden, dass diese Arbeiten gut abgewickelt werden konnten. Sodann musste der Konfirmandenanzug angefertigt werden, der Schneider, ein kleiner Mann, nahm genau Mass und ich musste mehrmals vorbei schauen, bis der Anzug endlich fertig gestellt war. Den Stoff hatte Buri bereits 1939 gekauft, für seinen Hochzeitsanzug, aus irgend einem Grund konnte er aber damals den Stoff nicht verwenden. Die Schule war problemlos, deshalb sind keine Einzelheiten mehr bekannt, ich machte mir aber auch keinerlei Gedanken zu der bevorstehenden Berufslehre. Ja, ich hatte wider erwarten die Aufnahmeprüfung in die Lehrwerkstätten geschafft! Und zwar mit einem kleinen Trick, als ich vernahm, dass sich für die Mechanikerlehre, nicht weniger als 400 Kandidaten gemeldet hatten, die Schule aber nur 30 aufnehmen konnte, zudem fast nur ProGymnasium und Sekundarschulabsolventen dabei waren, sah ich meine Chancen mit 5 Jahren Primarschule im Eimer! Also meldete ich mich zusätzlich zum „Bau-Kunstund Konstruktionsschlosser“ Lehrling, das hörte sich zwar gut an, aber ich hatte keine Ahnung was damit gemeint war, immerhin war etwas mit Schlösser dabei! Aber ich konnte damit nichts anfangen, meine Gedanken waren ganz woanders, in den Staaten, genauer im Westen der USA. Im Konfirmandenunterricht machte ich aktiv mit, zu aktiv, wie ich bald einmal feststellen musste. Jeden Mittwochnachmittag war Unterricht in Stalden, dort wo der bekannte Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, als Kind lebte. Der Pfarrer wollte uns mittels eines Briefkastens mehr einspannen, wir durften Fragen stellen, ohne dass wir unsere Namen nannten. Ich machte tüchtig mit, war fast der einzige Konfirmand, der davon Gebrauch machte. Bald einmal wusste auch der Pfarrer, wer alle die ketzerischen Fragen 207 208 stellte, umso mehr, als ich jeweils bei der Beantwortung noch nachfragte und zusätzliche Zweifel anbrachte. Ich war aber sehr erstaunt, als mir der Pfarrer erklärte, er werde mich nicht konfirmieren, wenn ich weiterhin solche Fragen stellen würde. Nun ja, es waren durchaus begründete Fragen, wie konnte Maria ohne Befruchtung ein Kind kriegen? In der Bibel wimmelte es nur so von seltsamen Behauptungen. Aber das mochte der Herr Pfarrer nicht, erst fordert er uns auf, Fragen zu stellen, und wenn man welche stellt, wird man bedroht. Nicht konfirmiert werden, das wäre das grösste aller Übel gewesen, darum schwieg ich die restlichen Wochen und wurde dann prompt konfirmiert. Kapitel Die Konfirmation Das Datum der Konfirmation war nahe, der Winter hinterliess nur wenige Erinnerungen, ich las viele Bücher, die ich bis zur letzten Woche in Konolfingen, regelmässig beim Opliger in Oberdiessbach, auslehnen durfte. Ich war mit dem Erreichten zufrieden, konnte als einer der jüngsten die Schule quittieren, hatte eine Lehrstelle, um die mich manche Kollegen beneideten. Meine Berndeutschkenntnisse waren ebenfalls nahezu perfekt, nur wer aufmerksam horchte, konnte noch den französischen Akzent feststellen. Besonders stolz war ich auf die vielen Schimpfwörter, welche ich mir im Lauf der Jahre aneignete. Wer während einer Viertelstunde drauflos fluchen konnte, war bei den Mitschülern besonders geachtet. Allerdings musste ich sowohl auf eine Mitwirkung bei den Pfadfindern, wie auch den Kadetten, verzichten. Aus dem Schulkreis Oberscherli, war niemand dabei. Hingegen aus 208 209 der 9. Klasse in Konolfingen, zu den Kadetten konnten nur Knaben in der Stadt Bern, Thun, Biel, etc. stossen. Ich bedauerte dies ausserordentlich, aber die Voraussetzungen waren nicht vorhanden, ich nutzte jede freie Minute um Geld zu verdienen. Meiner Lehre sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen, es war einfach die schlechtere Alternative, weil mir keine andere Möglichkeit geboten war. Die Aufholjagd in der Schule, verlieh mir aber Mut und etwas Draufgängertum, ich wollte mich vom System, das mich umgab, und vor allem wegen meinem Schulmanko, das nicht mein Verschulden war, nicht einschränken lassen. Solange ich gesundheitlich auf dem Damm war, wollte ich alles daran setzen, um alternativ weiter zu studieren. Zudem wollte ich endlich die Familienprobleme lösen helfen, denn diese lagen mir sehr schwer auf dem Magen. Die Konfirmation war eine reine Pflichtübung, eine Art von Befreiung, danach musste ich nicht mehr jeden Sonntag in die Kirche, und auch dieser einfältige Unterricht war dann vorbei. Meine Eltern kamen zur Feier, natürlich mussten sie die kurze Zeit nutzen, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, ich war wenig begeistert, schlug vor, sie sollten wenigsten diesen Tag nicht verderben. Sonst habe ich alles vergessen, war aber glücklich, dass dieser Zauber endlich der Vergangenheit angehörte. Was mich freute, waren die zahlreichen Gratulationskarten, welche ich von Leuten aus der Umgebung erhielt, die ich kaum kannte. Und mit diesem Tag endete auch mein Aufenthalt in Konolfingen, nur der Abschied von Lehrer Röthlisberger, fiel mir nicht leicht, bei allen andern war es sehr nüchtern und völlig problemlos. Immerhin konnte ich nun auch vom 14-Stunden Arbeitstag, vermutlich für längere Zeit, Abschied nehmen. Kapitel 44 209 210 Wieder im Schlatt Das Konolfingen Jahr blieb wie ein langer Traum zurück, nun galt es, die Lehre in der Stadt Bern, zu beginnen. Ernst musste in die erste Primarklasse in Oberscherli, eingeschult werden. Ich denke, es war Tante Marie, die sich um ihn kümmerte, Vater und ich hatten dafür keine Zeit. Vater trank keinen Alkohol mehr und war dadurch etwas umgänglicher geworden, zusammen konnten wir Vorschläge für die Lösung der Familienprobleme ausarbeiten. Im übrigen gingen wir beide unsere Wege, ich hatte auch mit mir selber allerlei Schwierigkeiten zu überwinden. Einmal wurde mein Hautausschlag immer schlimmer, Gesicht und Rücken waren voll befallen, ich suchte einen Spezialarzt auf, machte alle die Therapien, aber umsonst. Dann litt ich unter einem wahnsinnigen Geschlechtstrieb, verfluchte die Gesellschaft, die es einem Fünfzehnjährigen verbot, sich verheiraten zu können. Aber selbst dann, wenn das möglich gewesen wäre, wären da etwelche Probleme dazwischen gewesen, einmal hatte ich ein Trauma von einer gescheiterten Ehe, wie sie meine Eltern vorlebten, sodann machte ich um die hiesigen Frauen eher einen grossen Bogen, weil sie nicht meinen Vorstellungen entsprachen. Schuld daran waren primär die Bücher von A.E. Johann, worin er die japanischen Frauen lobte und beschrieb. Für mich war ab dem 12. Altersjahr klar, ich wollte nur eine Japanerin heiraten. Wie bereits erwähnt, kannte man damals auf dem Land weder Badewanne noch Dusche, das hatte zur Folge, dass manche Mädchen, besonders im Sommer, eher einen üblen Schweissgeruch verbreiteten, und wenn sie ihre Tage hatten, konnte ich das im Klassenzimmer riechen, mir wurde es oft speiübel und dadurch baute sich in mir ein eiserner Vorhang auf. Einerseits drängte es mich furchtbar, Sex mit einer Frau zu haben, andererseits stiessen sie mich ab, also beschaffte ich mir diverse Bücher, die sich alle nur einem Thema widmeten, „wie kann man den Geschlechtstrieb überwinden“. Ich las die Literatur 210 211 aufmerksam durch, aber die einzigen realistischen Ratschläge kamen immer zum gleichen Ergebnis: Onanieren! Nun ja, das wusste ich bereits und so blieb das Problem ungelöst. Was ich nie genau abklären konnte, ob Vater der Tante Marie, für alle ihre Arbeiten während fast 2 Jahren, für Bruder Ernst und für uns, sie wusch unsere Kleider, jemals eine Entschädigung leistete? Belegt war lediglich, dass Vater mindesten fünf Jahre keinen Mietzins zahlte, das wollte Mutter so sehen, weil der Otto ja doch Vater um seine Erbschaft betrogen habe! Weder Otto, noch Vater, wollten mir direkt antworten und umgingen meine Frage immer mit Ausflüchten. Ernst, Vater und ich, lebten praktisch wie in einer Wohngemeinschaft, jeder verpflegte nur sich selber, ich denke, Ernst konnte auch bei Otto essen, er war damals ja erst sieben. Was ich speiste, das ist mir nicht mehr bekannt, ich denke aber, zum Frühstück war das Brot und Käse mit schwarzem Kaffee. Kapitel 45 Die Lehre Es war soweit, die Lehre konnte beginnen, mit dem Fahrrad fuhr ich über Schliern bis Köniz, dann nach Liebefeld, Weissenbühl, Eigerplatz, die Bonbijoustrasse hinauf, bis zum Bubenbergplatz, am Hauptbahnhof vorbei zur Lorrainebrücke, nach der Brücke galt es links abbiegen, dort war die Gewerbeschule und gleich nebenan befanden sich die Lehrwerkstätten der Stadt Bern. Vorne die 211 212 Mechanikerschule, hinten, im alten Gebäude, die Schlosser, Spengler und Schreiner Abteilungen. Ich legte diese Strecke in 20 Minuten zurück, bis zum Eigerplatz war es eine einzige Raserei, steil abwärts. Die LWB hatte einen eigene Theorieunterricht, 2/3 der Woche praktischer Unterricht in der Werkstatt, 1/3 Theorie. Während man damals noch 48 bis 54 Stunden die Woche arbeitete, kannte die LWB bereits die 5-Tagewoche mit 40Stunden. Samstag frei, das war sensationell, die Stunden waren wie folgt 07.30 bis 12.00 und von 13.30 bis 17.00. Ich glaube, im Winter war alles ½ Stunde später. Im ersten Semester galt es eine Minilehre zu absolvieren, Klassenlehrer war der Herr Steinhauer, seine Assistenten: Ulrich und Müllener. An die Namen der Theorielehrer erinnere ich mich nur an einen Blattmann. Die Werkstätten waren unten und die Theoriesäle oben. Wir waren 13 Lehrlinge im ersten Lehrjahr, rund ein Drittel von ihnen waren Söhne von Fabrikbesitzern, so etwa der Weber von Wildegg, oder der Lips vom Limmattal. Während der Weber recht umgänglich war, sah sich der Lips eher als VIP Lehrling. Der Grossteil war aus dem Kanton Bern, wir hatten aber auch Leute aus der ganzen Schweiz. Ich freundete mich mit einem Grünig aus Mühleturnen, einem Steiner aus der Stadt Bern und einem Koller aus Ostermundigen, an. Während Grünig Jahrgang 37 aufwies, war Steiner mein Jahrgang und der Koller als jüngster mit Jahrgang 39. Dann gab es noch einige halbwegs vernünftige Lehrlinge und ein paar, die sich überheblich zeigten. Steiner hatte als einziger von uns, die Knabensekundarschule Bern absolviert. Der Weber kam aus einer Bezirksschule im Aargau, und keiner wusste, was das ist? Im ersten Lehrjahr erhielten wir keine Entschädigung, ab dem 2. gab es dann ein kleines Taggeld. Ich lebte von meinen Ersparnissen, gesund war meine Verpflegung sicher nicht, zum Mittagessen kaufte ich mir Nussgipfel, „Schnecken“ und dergleichen Gebäck zusammen 212 213 mit Softdrinks. Anscheinend wurde die Direktion auf meine Situation aufmerksam gemacht, nach dem ersten Semester musste ich zu einem Klassenlehrer, dieser liess mich wissen, man habe ein Budget, womit jeweils in jeder Klasse ein Lehrling während einem Semester gratis Mittagessen erhalte. Ich wäre dazu auserwählt worden, erst war mir das peinlich, aber ich war derart knapp dran, dass ich zusagte. So konnte ich zumindest einmal täglich eine richtige Mahlzeit einnehmen. Diese Zuwendung blieb zudem vertraulich, damit die andern Lehrlinge nicht dumme Bemerkungen machen konnten. Ich konnte nie erfahren, wie die LWB Direktion von meiner Situation erfuhr? In der Werkstatt waren meine Leistungen durchschnittlich, obwohl mich das Ganze überhaupt nicht interessierte. In der Theorie hatte ich zwei Fächer, in denen ich sehr schlecht abschnitt, Chemie und Physik! Zum Glück wurden diese Fächer nicht entscheidend bewertet. Der Grund für mein Problem war mir auch bekannt, ich hatte mit meinen zahlreichen Schulwechseln, diese Fächer gar nie studiert! In all den übrigen Gebieten konnte ich gut mithalten. Kapitel 46 Eine Bieridee Mit dem 8-Stundentag hatte ich wieder viel mehr Freizeit, als zuvor in Konolfingen. Aber es gab Hausaufgaben und daher keine Zeit für eine Nebenbeschäftigung. Dafür waren im Sommer 4 Ferienwochen zur Verfügung, ich wollte mir ausreichend Geld auf dem Bau erarbeiten. 213 214 Eines der grössten Probleme war die Familien Zusammenführung, ich versuchte alle Hebel in Bewegung zu setzen, selbst aussichtlose. Ob es meine Idee war, oder ich von Dritten beeinflusst war, erinnere ich mich nicht mehr. Ich schrieb an eine Behörde in der Stadt Bern, obwohl in der Gemeinde Köniz wohnhaft. Wer das war, weiss ich nicht mehr, ich erhielt eine Vorladung auf einen Samstagvormittag. Pünktlich traf ich an der betreffenden Adresse ein, es war in der Altstadt. Ich ging in Richtung des fraglichen Raumes, trat in einen grossen Raum ein, wo etwa 7 Personen auf mich warteten. Ich nannte meinen Namen und sagte: “Ich habe diese Einladung erhalten“. Der Mann in der Mitte korrigierte mich: „Das ist keine Einladung, sondern eine Vorladung“. Es hörte sich nicht besonders freundlich an, ich entschuldigte mich, obwohl ich den Unterschied gar nicht kannte. Ich sass im grossen Raum und erklärte den Anwesenden mein Problem. Dass es sehr unvorteilhaft wäre, wenn meine beiden Geschwister ohne Familie aufwachsen müssten, obwohl dies möglich wäre, wenn die Eltern wieder zusammen finden würden. Ich weiss nicht mehr wie lange ich redete, vielleicht ein halbe Stunde? Dann erklärte der Mann in der Mitte, dass sie durchaus Verständnis für mein Anliegen hätten, dass aber der Staat keine grossen Möglichkeiten sehe, in diesem speziellen Fall beizustehen, sie würden das Anliegen prüfen und mir Bescheid geben. Er erwähnte noch, dass ich mit 15 ½ Jahren, ja selber noch als Kind gelte, aber, dass das in diesem konkreten Fall keine Rolle spiele. Ich durfte wieder gehen und auf dem Heimweg wurde mir erst richtig bewusst, dass auch von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten war, was mich heute noch wundert, ist die Tatsache, dass sich diese Leute die Mühe nahmen, dem „komischen“ Kind zuzuhören. Ob ich dazu noch eine Stellungnahme erhielt, weiss ich nicht mehr. Es war mir klar geworden, dass ich andere Wege finden musste. 214 215 Als nächsten Schritt, plante ich, an einem Wochenende meine Mutter im Thurgau zu besuchen und mit ihr neue Varianten abzusprechen, aufgeben war aber keine! Kapitel 47 Besuch bei Mutter Vater behauptete, Mutter treibe es mit dem Landwirt, dem Leo Michel. Als ich ihm meldete, ich würde Mutter besuchen, erwähnte er auch seinen Verdacht und ich solle besonders ein Auge darauf werfen. An die Anreise erinnere ich mich nicht mehr, von Frauenfeld fuhr ein Postauto bis Lustdorf. Mutter begrüsste mich auf ihre übliche Art, sie kannte keine Sentimentalitäten, schliesslich wuchs sie als Vollwaise in einem recht brutalen Kinderheim in Urnäsch, AR, auf. Sie wollte nie darüber berichten, nur einmal erwähnte sie, dass ihnen Haushaltabfälle mit Rattenkot serviert wurde, wer nicht essen wollte, wurde verprügelt. Aber sonst erfuhr ich nie etwas über dieses Kinderkonzentrationslager. Ihren Arbeitgeber nannte sie „Herr Michel“, sie wiederholte das so oft, dass ich sie schliesslich fragte, weshalb sie derart förmlich wäre. Sie berief sich auf die Ledigenzeit, als sie bei reichen Leuten als Köchin angestellt war. Der Michel war ein betagter Landwirt, ich wurde nicht richtig klug aus ihm. Es machte den Eindruck, als wäre er nur im Umgang mit Kühen gewohnt. Klara freute sich hingegen, dass sie ihren grossen Bruder sehen konnte. Am Abend gingen Mutter, Klara, der Michel und ich an ein Dorffest, ein grosses Zelt war aufgebaut worden. Es gab eine Theateraufführung welche im Wilden Westen spielte, Goldgräber in Kalifornien. An sich ganz nach meinem Gusto, aber natürlich nicht in Lustdorf. 215 216 Danach war Tanz, Mutter tanzte oft mit einem kleinen Italiener, ich schaute dem Treiben kritisch zu. Ja, ich fragte sie ultimativ, ob sie es mit diesem Kerl treibe? Sie verneinte, dass sie ihn zuvor nicht gekannt hätte und er wohl nicht in Lustdort lebe. Ich war nur halbwegs zufrieden mit dieser Antwort, konnte aber selber nichts dazutun. Immerhin konnte ich doch einige positive Meldungen zurück ins Schlatt mitnehmen. Mutter konnte erkennen, dass es mir sehr ernst war, und ich auf eine vernünftige Lösung hin plädierte. Sie machte mir klar, dass eine Rückkehr ins Schlatt und in den Kanton Bern, für sie nicht in Frage komme. Gut, ich fragte sie dann, wie es denn aussähe, wenn Vater, Ernst und ich in den Thurgau, „auswandern“ würden? Sie schien an diesem Vorschlag gefallen zu finden, ich versprach, fortan daran zu arbeiten. Noch dachte ich nicht daran, bei dieser Gelegenheit meine Lehre aufzugeben. Diese Option ergab sich erst später. Vater war von meinen Plänen nicht besonders begeistert, aber er sah keinen anderen Ausweg, darum sagte der nicht nein zum Projekt. Wir hatten wieder ein Ziel, auf das wir gemeinsam hinarbeiten konnten. Aber Vater verhielt sich ganz passiv, mir war klar, ich musste alles selber organisieren. Wir hatten noch mehrere Monate Zeit bis zum Frühjahr 1955. *************************************************** Kapitel 48 Die Landesbibliothek Als ich die Lehre begann, beschloss ich, keine „Schundhefte“ mehr zu lesen, etwa solche wie Wildwest- und Kriminalromane. 216 217 Mit der Landesbibliothek in Bern, (heute Nationalbibliothek) hatte ich mir eine neue „Goldgrube“ erschlossen. Die Auswahl an Büchern war fantastisch, mehr als zwei Millionen Exemplare. Ich erhielt eine Mitgliedskarte, damit konnte ich bis 15 Bücher, kostenlos für jeweils einen Monat auslehnen. Ich bezog Literatur aus allen möglichen Wissensgebieten, ganz speziell aber mit geschichtlichem Hintergrund. Besonders aber über die noch neuen Erkenntnisse für Mittel- und Südamerika. Es gab dicke Bände über die Atzteken, Maya und Inkakulturen. Ich denke, selbst wenn ich Geschichte studiert hätte, hätte ich kaum soviel Literatur konsumiert. Die Landesbibliothek wurde so etwas wie ein Ersatz für die Schule, fürs Elterhaus und auch für die Lehre. Bücher wurden zu meinen einzigen Freunden, sonst konnte ich mich auf nichts verlassen. Und genau diese Bibliothek und alle ihre Bücher, machten mir den Abschied von Bern, sehr schwer. Ich vernahm aber, dass man die Bücher auch mit der Post bestellen konnte, jedoch war das mit Auflagen verknüpft. 1954 war auch die Fussballweltmeisterschaft in Bern, mich liess das eher kalt, seltsamerweise war das auch kein Thema unter den Lehrlingen. Hingegen fand auch eine grosse internationale Ausstellung statt, da präsentierte Frankreich seine Kolonien: Algerien, Marokko, Tunesien, und Belgien brachte echte Neger aus dem Kongo, man sagte damals noch Neger, da sass der dicke Häuptling mit seinen vielen Frauen, und damit wurde der primitive Neger hervorgehoben. Da gefielen mir die Harems der Araber schon besser. Aber der grösste Hit für uns war ganz woanders, eine Art von Geisterbahn, durch die man gehen musste, am Ende war ein Gebläse, welches den Frauen die Röcke weit nach oben schweben liess, damals trugen Frauen noch keine langen Hosen. Wer durch war, konnte sich dann auf den Bänken niederlassen und zuschauen, wie die Röcke stiegen! 217 218 Im Juni war es bereits recht heiss, und es gab Frauen, welche „unten ohne“ waren, diese standen dann eben nackt am Gebläse. Und wir befanden uns an freien Tagen fast nur in diesem Gelände, wer Glück hatte, brachte es auf bis zu zwei nackte Frauen an einem Nachmittag. Auch die „Tour de Suisse“ hatte eine Etappenankunft in Bern. Das liess ich mir nicht verpassen, die Leute warteten lange auf den ersten Rennfahrer, es war der Deutsche Hennes Junkermann, welcher mit einer halben Stunde Vorsprung das Ziel erreichte. *************************************************** Kapitel 49 Dien Bien Phu Indochina liess mir keine Ruhe, schliesslich war Hans dort im Einsatz, angeblich um gegen den Kommunismus zu kämpfen. Schon seit 1947, wurde laufend über den Krieg in Indochina berichtet, und zwar recht einseitig, die Guten waren die Franzosen und die Bösen der Viethminh! Fast bei jeder Wochenschau im Kino, wurde über diesen üblen Krieg berichtet, dabei wurde ganz klar Partei für Frankreich ergriffen. Ich war anfänglich auch auf der Seite der Franzosen, schliesslich betraf es ja auch meinen Bruder. Im April 1954, verging kaum eine Radionachricht ohne den Indochinakrieg zu erwähnen. Ich vernahm jeweils die Morgennachrichten um 06.30, während ich mein Frühstück einnahm, dann um 07.00, radelte ich los in die LWB. Es wurde sehr spannend, die französischen Truppen sassen eingekesselt in Bien Bien Phu, im Norden von Vietnam, nahe der laotischen Grenze. Die Garnison zählte mehr als 20 Tausend Soldaten und galt als uneinnehmbar, aber die Lage verschlechterte sich täglich und ich fragte mich ernsthaft, ob wohl Hans auch dort oben war? Die westlichen Medien waren sich der Sache sicher, dass die Viets die Festung unmöglich einnehmen könnten! 218 219 Ich war da anderer Ansicht, realisierte, dass doch die Franzosen dort Eindringlinge waren und nicht die Vietnamesen, die doch nur um ihre Freiheit kämpften! Mehr und mehr galten meine Sympathien den Vietnamesen, ob Hans nun dabei war oder nicht, war mir unwichtig. Gegen Ende April wurden die Nachrichten immer prekärer, es hiess, die Viets würden den Belagerungsring immer enger werden lassen. Zudem könnten die französischen Flugzeuge nicht mehr landen und die abgeworfenen Materialien würden oft von den Viets eingesammelt. Auch die vielen Verwundeten konnten nicht mehr ausgeflogen werden. Dann wurde an einem Morgen gemeldet, die Viets transportierten mit Elefanten, schwere Artillerie auf die umliegenden Berge von DBP. Ich war begeistert, das musste Folgen zeitigen, ich radelte wie wild nach Bern, konnte es kaum erwarten, bis am Abend wieder Nachrichten ausgestrahlt wurden. Und nur eine Woche später (am 7. Mai) kam die Meldung: “Dien Bien Phu“, ist gefallen, General Giap verzeichnete seinen ersten grossen Sieg, der zweite war gegen die USA. Diese Niederlage war auch ein Totalschlag gegen die westlichen Interessen auf der ganzen Welt. Gleichzeitig aber ein Neuanfang für Vietnam und viele andere Länder der dritten Welt. Der weisse Riese wurde zum weissen Zwerg! Nachtrag: Hans war nicht im Hauptstützpunkt von Dien Bien Phu, er wurde schon Wochen vorher auf einem Aussenposten von DBP von den Viets überrannt. Kam in die Gefangenschaft, dort gelang ihm und drei seiner Soldaten die Flucht. Unter abenteuerlichen Umständen, gelangten sie nach vier Monaten durch den Dschungel, endlich nach Südvietnam. Das verhalf ihm zur höchsten französischen Auszeichnung. Hans war danach beauftragt, von 1954 bis Ende 55, die Stadt Hanoi den Viets protokollarisch zu übergeben. Das war gemäss seinen Aussagen, die schönste Zeit seines Lebens! Er pries besonders die Qualitäten der 219 220 Nordvietnamesen, empfahl mir 1964, unbedingt eine Frau von dort zu heiraten! Ich konnte aber seinen Rat nicht ganz befolgen, wie sich noch zeigen wird. Kapitel 50 Auf dem Bau Den ganzen Monat Juli war Schulferien, im Vergleich zu den Lehrlingen in der Privatindustrie, die kaum eine Woche Ferien beziehen konnten, waren wir privilegiert. Das Gesetz, wonach Minderjährige 3 Wochen Ferien im Jahr beziehen konnten, wurde erst auf den 1.1.1958, gültig. Genau in dem Jahr, in welchem ich 20. wurde! Für mich war klar, dass ich die ganze Zeit arbeiten würde, um endlich wieder über etwas Geld zu verfügen. Ich fand eine Stelle als Bauhandlanger bei der Firma Hänni, Hoch- und Tiefbau, in Liebefeld. Mit einem Stundenlohn von Fr. 2.54, gehörte ich zu den bestbezahlten Handlangern. Umgerechnet war mein Gehalt rund 30% höher, als das Gehalt von Vater. Ich arbeitete auch pausenlos bis 11 Stunden täglich. Schaufelte Gräber und Kanäle aus, hatte schon bald die Hände voller Blasen. Mein Einsatz veranlasste den Vorarbeiter zu folgender Bemerkung: „wollen Sie alles alleine machen?“ Er lag richtig, ich reduzierte meinen Einsatz etwas, passte mich dem Arbeitstempo der anderen an. Wir verlegten grosse Rohre tief in der Erde, als die Abwasserleitung fertig war, erinnerte sich der Chef, dass die Fugen noch nicht abgedichtet waren. Er suchte einen Freiwilligen, der bereit war, zwei Meter unter der Oberfläche diese Arbeiten auszuführen. 220 221 Es meldete sich keiner, also kam er auf die Idee, der jüngste müsse diese Arbeit tun. Und mit noch nicht einmal 16, war ich das, aber ich war auch der grösste, hatte demnach Schwierigkeiten in das enge Rohr zu kriechen. Erst folgte ich dem Befehl, kroch mit einer Portion angemachtem Zement in die Rohrleitung. Mit den Händen überzog ich die Fugen mit Zement, schon bald einmal bluteten alle 10 Finger. Aber es wurde noch schlimmer, ich musste die Arme nach vorn strecken, das war sehr mühsam, dazu kam noch, dass ich mich nicht bewegen konnte, ich verspürte Sauerstoffmangel, als müsste ich ersticken. Das war genug! Ich kroch hinaus und sagte wütend: „So, ich steige da nicht mehr hinunter, soll gehen wer will, schaut einmal meine Hände an, und Luft hat es auch keine dort unten“. Der Chef erkannte meine Entschlossenheit und lachte nur, fügte aber noch hinzu: “Dann lassen wir das eben sein.“ Das war das einzige Problem während dieser Zeit, ausser noch ein Zwischenfall bei der Verpflegung an einem Mittag. Da war auch ein etwas geistesgestörter Arbeiter aus Wattenwil, meinem Heimatort, den ich noch nie besuchte. Vermutlich hatte der Mann schlechte Erinnerungen an einen Bewohner, der meinen Namen trug, er wurde plötzlich grundlos sehr ausfällig und aggressiv, dabei ergriff er eine volle Mostflasche und schleuderte sie mit aller Wucht gegen mich. Geistesgegenwärtig drückte ich den Kopf zu Boden, ich sass ja am Boden, die Flasche sauste über meinen Kopf und zerschellte. Das war nochmals gut gegangen. Gegen Ende Juli, kam noch ein Handlanger, dem man eigentlich eher einen Chefposten zugetraut hätte. Er fuhr einen roten offenen Sportwagen, war gut gekleidet, weisser Anzug, elegante Halbschuhe. Er war sehr gesprächig zu mir, erzählte mir seine Abenteuer mit den Frauen, und ich hörte ihm zu wie dem Weihnachtsmann. Er wusste Dinge, die mir ganz neu waren, erklärte die Funktion eines Kondoms, und 221 222 er schenkte mir ein Kondom zum ausprobieren. Ich war hell begeistert und konnte es kaum erwarten, dieses Wunderding über zu streifen, obwohl mir bewusst war, dass da noch etwas fehlte. *************************************************** Kapitel 51 O Cangaceiro Etwa im Mai 1954, wurde im Cinema Forum, der brasilianische Film „O Cangaceiro“ gezeigt. Ich las bereits Monate zuvor in der Film Revue, dass erstmals ein brasilianischer „Wildwestfilm“ gedreht wurde. Gespannt ging ich an einem sonnigen Samstagnachmittag ins Kino, schon vor dem Beginn der Vorstellung, wurde diese neuartige Musik gespielt welche unter die Haut ging, dazu seltsame, tief greifende Gesänge, welche über die bekannten kirchlichen Töne hinausragten. Eine Art von sphärischen Klängen, die durch Bein und Mark gingen. Zwei Burschen vor mir sitzend, machten mich noch zusätzlich auf diese sonderbaren Melodien aufmerksam, sie waren ebenfalls davon bezaubert und betonten dies gemeinsam. Auf Grund dieser einmalig melancholischen Töne, erwarte ich auch eine einzigartige Vorführung. Und es war tatsächlich etwas Sensationelles, ein noch nie gesehenes Schauspiel, mit einem mystischen, fast ausserirdischen Hintergrund. Wie ich später erfahren konnte, handelte es sich nicht um eine frei erfundene Räubergeschichte, sondern um einen sorgfältig nach historischen Tatsachen gedrehten Filmstreifen. Der Anführer, Lampiao und seine Frau, Maria Bonita, wurden ausgerechnet im Jahr 1938, in einem Gefecht mit der Armee, erschossen. Vorher führte er eine Armee von weit über 150 Mann an, der im Sertao von Nordostbrasilien, 222 223 gegen die reichen Grossgrundbesitzer Krieg führte. Er soll sehr brutal vorgegangen sein, das wurde im Film auch so dargestellt, so etwa wurden ihre Frauen mit einem glühenden Eisen wie die Pferde, am Hintern markiert. Als dies von einem Mann in der Schweiz nachgeahnt wurde, war natürlich dieser Film daran schuld! Limpiao war aber ein Volksheld, eine Art von Robin Hood, und wird heute noch mit Symbolen und Schnitzereien verehrt. Das Ganze ging mir aber so nah, dass ich mich lange Zeit sogar als Wiedergeburt des Limpiao empfand. Ich summte die Melodie während Jahren und immer, wenn ich ein Problem hatte, kam in mir einfach der Song „Lua Bonita“, oder „O Cangaceiro“, hoch. Ich wusste, dass alle Cangaceiros von 1933 bis 1938, im Kampf ihr Leben lassen mussten, auch ihre Frauen wurden von den Polizisten und Soldaten rücksichtslos umgebracht, die Köpfe abgeschnitten und in den Städten des Nordostens ausgestellt. Die brasilianischen Filme, welche später von Glauber Rocha folgten, waren nicht einmal ein Schatten davon. Es blieb bei diesem einen Film und auch die Musik fand keine Nachfolge, nur billige Imitationen, welche sich richtig schäbig anhörten! Dieser Film war für mich wie ein Lichtblick in eine andere Dimension. Kapitel 52 Dreissig Sekunden im Jenseits Nach sechs Monaten war die Minilehre vorüber, jeder Lehrling hatte einen Ambos gefeilt, ein komplettes Schloss hergestellt, verschiedene Kunstschlosserartikel geschmiedet, etc. Das 2. Semester war in der Schweissabteilung, dort 223 224 wurden uns sämtliche bekannten Schweisstechniken beigebracht, besonders aber das Elektroschweissen. Wir sassen während Wochen und Monaten in den Schweisskabinen, brannten Elektrode um Elektrode auf die Metallstücke, welche zu Fahrradständern zusammengefügt wurden, Auftraggeber war die Stadt Zürich. Wir hatten zwar einen Augenschutz, aber keinen Mundschutz, während Monaten atmeten wir die giftigen Gase ein, die oft sogar berauschend wirkten. Während den Pausen, stiess man auch auf die Lehrlinge anderer Klassen, Schreiner, Spengler, Mechaniker. Im 2. Lehrjahr der Spenglerabteilung, war ein grosser Basler, schlanker als ich, aber weit über 180 cm gross. Er war Judoka, was mir einigen Respekt einflösste, weil ich davon wenig wusste. Aber er war ein richtiger Provokateur, der es besonders auf mich abgesehen hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir handgreiflich würden, das schien fast unvermeidlich. Wir sassen in einem grossen Glaserker auf den Bänken, einmal mehr reizte mich der Kerl mit einer Zeitung, die er gegen mich schlug. Das war das Signal, ich ergriff ihn mit einer Schwingerkombination, dann katapultierte ich ihn hoch und wir wären dann beide direkt in die Glaswand geschleudert worden, er unter mir! Ich war stärker und er hatte keine Chance, als ich aber erkannte, dass wir einen grossen Schaden anrichten werden, da zog ich ihn zurück, und das benutzte der Mann, um mit einem Judoschwung, mich auf den Plattenboden zu schmettern. Ich schlug mit der Stirnseite des Kopfes derart hart auf, dass ich nahezu bewusstlos wurde. Dies benutzte der Basler, um mich während längerer Zeit zu würgen. Ich verlor das Bewusstsein! In diesem Augenblick schoss ich durch einen dunklen Tunnel, auf der anderen Seite war ein grelles Licht und was noch mehr überraschte, eine herrliche Musik empfing mich. Noch nie zuvor hörte ich solche himmlische Klänge. Plötzlich war alles vorbei, ich erwachte am Boden, war völlig fertig, das war in dem Moment, als der Basler mit dem Würgegriff aufhörte. Wie mir die Kollegen 224 225 danach erzählten, würgte er mich noch einige Sekunden, als ich schon das Bewusstsein verloren hatte. Erst als sie ihm sagten, er habe mich umgebracht, liess er von mir ab. Halb benommen raffte ich mich auf meine Füsse, mein Kopf fühlte sich an wie eine zerquetschte Melone, eine faustgrosse Beule garnierte meine Stirne, zum Glück hatte ich sehr lange Haare und konnte diese zur Tarnung verwenden. Die Pause war vorüber und ich schwankte wie ein Betrunkener in die Werkstatt hinunter. Ich war heilfroh, dass wir die Glasgarnitur nicht beschädigt hatten, das hätte ein Riesenproblem abgegeben, möglicherweise sogar den Ausschluss von der Schule? Vermutlich hatte ich auch eine leichtere Hirnerschütterung, der Klassenlehrer machte eine Bemerkung zu meinem „Wasserkopf“, selbstverständlich sagte ich ihm nicht, wie das vor sich ging. Meine Beule war nach drei Wochen weg, und den Basler traf ich kaum noch in den Pausen. Er wusste, dass wir nur wegen meinem Rückzieher schadlos aus der Sache kamen, meinerseits war es nur eine halbe Niederlage. Tief beeindruckt hatte mich aber die Exkursion ins Jenseits, was wohl dort noch alles zu sehen gewesen wäre, bereits sah ich Wesen im hellen Licht, aber erkennen konnte ich nichts, es war alles viel zu kurz. Viele Fragen blieben dabei unbeantwortet. *************************************************** Kapitel 53 Die Halbstarken Schon 1953 konnte man die ersten Niethosen kaufen, lange, enge, schwarze Hosen mit Nieten versehen. Mit meinem Lohn von der Baustelle, erwarb ich natürlich sogleich diese Hosen, welche ich mit farbigen „Cowboy-Hemden“ trug. Dadurch wurde man natürlich zum Aussenseiter, hatte man auch noch lange Haare, dann wurde man als „Halbstarker“ 225 226 bezeichnet, dieser Begriff für Jugendliche von 12 bis 19 Jahre, kam wohl erstmals im Jahr 1954 auf. Ich zählte mich nie zu den Halbstarken, sondern zu den Ganzstarken, und das betonte ich oft gegenüber den Erwachsenen, ich führte aus, dass, sollte mich jemand „Halbstarker“ nennen, ich zeigen werde, dass ich kein „Halber“ sei! Ich sah aber mit 15 viel älter aus, und kann mich nicht erinnern, dass mich jemand „Halbstarker“ nannte. Das war auch besser so, sonst wäre ich möglicherweise ausfällig geworden. Schon bald wurden die schwarzen Hosen durch die damals, in der Schweiz noch unbekannten blauen „Jeans“ abgelöst, auch mit Nieten versehen, später oft nur noch mit auffälligen Nähten. Eine neue Zeit begann, gleichzeitig erfand Bill Haley den Rock-n-Roll, eine unerhört lebensbetonte Musik mit einem hinreissenden Rhythmus! Historiker zu werden, war nicht mehr mein einziges Ziel, mindestens ein halbes Dutzend Berufe reizten mich ebenso sehr. Filmproduzent (nicht Filmstar, dazu war ich zu scheu), Film-Operateur, Privat Detektiv, Journalist, Fotoreporter, Missionar, Legionär oder Soldat in der US-Armee. Und ich war überzeugt, dass ich alle diese Berufe ausüben könnte, wenn ich nur wollte. Später wunderte ich mich, dass ich mit meinen Gärtner- und Landwirtschaftskenntnisse, nie daran dachte, einen dieser Berufe zu ergreifen, mit grosser Sicherheit, wären mir diese Berufe weit besser gelegen. Ich führe es darauf zurück, dass ich davon schon soviel wusste und Praxis besass, dass ich mir weitere Jahre in diesen Branchen nicht vorstellen konnte. Je mehr neue Tätigkeiten sich mir öffneten oder boten, desto zielloser wurden meine Anstrengungen. Immer mehr musste ich mich auf das Geldverdienen ausrichten, schliesslich hatte ich keine Eltern, welche mir unter die Arme greifen 226 227 konnten, sondern eher umgekehrt, ich musste ihnen helfen und vorerst einmal die Familie zusammen führen. So gesehen, war die Familie für mich vielmehr eine grosse Behinderung und Belastung. Kapitel 54 Bei der Post Die LWB kannte praktisch die gleiche Ferienregelung wie die Universitäten und Gymnasien. Deshalb hatten wir auch am Jahresende zwei Wochen Urlaub. Auf der Informationstafel war ein Aufruf von der PTT, der Postabteilung, danach wurden für den Postdienst über Weihnachten, Studenten und LWB Schüler als Aushilfen gesucht. Das musste ich mir nicht zweimal überlegen, ich meldete mich sogleich und erhielt einen Job. Es war damals durchaus ein Privileg, bei der LWB in Ausbildung zu stehen, das merkte ich bei verschiedenen Kontakten. Und wenn ich sagte, dass ich eine Lehre zum „Bau- Kunst- und Konstruktionsschlosser“ absolvierte, wurde dies von Dritten viel höher gewertet, als von mir selber. Allein schon der „Bauschlosser“ war ein viel gefragter Beruf, „Konstruktionsschlosser“ war erst richtig im Kommen, „Kunstschlosser“ hörte sich hingegen fast künstlerisch an. Alle drei waren gute „Brotberufe“ welche einem Handwerker ein sicheres Auskommen gewährten. Es gab aber noch einen viel wichtigeren Faktor, dem ich damals kaum Bedeutung zumass, Absolventen der LWB waren beim Weiterstudium in einem Technikum, (heute Fachhochschule oder Ingenieurschule) bevorzugt, es wurde uns damals sogar versprochen, dass man mit einer guten Abschlussnote, prüfungsfrei eintreten konnte. Niemand hätte Verständnis gezeigt, wenn ich die Lehre unterbrechen würde, aber für mich war das nur eine 227 228 vorübergehende Episode. Ich hielt das aber für mich streng geheim, auch meine Kollegen wussten nichts davon. Das Familienproblem ermöglichte es mir, ohne „Gesichtsverlust“ auszusteigen. Die beiden Wochen bei der Post waren ein Vergnügen, ich wurde im Briefsortierdienst und im Bahnpostbahnhof eingesetzt. Die Arbeit war einfach und leicht, wir hatten viel Spass bei dieser Tätigkeit, und der Verdienst lag nur wenig unter jenem auf dem Bau. Dass man geistig nicht stark belastet wurde, das störte mich nicht, vielmehr entwickelte sich in mir ein neuer Berufstrend, den ich nun auch in die nähere Wahl aufnehmen konnte. Ich hatte wieder gutes Geld verdient, das sollte bis zum Frühjahr ausreichen, dann gab es wieder zwei Wochen Ferien, und danach war wohl das Ende in Bern fällig, weshalb ich die Direktion erst am allerletzten Tag informierte, weiss ich nicht mehr. Es war ein sehr kalter Winter mit viel Schnee, ich kaufte mir darum ein Lehrlingsabo für das Postauto, weil ich am frühen Morgen mit dem Fahrrad kaum vorwärts kam. Bahn und Postwagen wurden damals nicht geheizt, man sass somit im Mantel auf den Sitzen und fror trotzdem noch. Aber auch in den Restaurants war oft kaum geheizt, aus jenen Tagen erinnere ich mich an einen Zwischenfall in einem Restaurant nahe beim Hauptbahnhof. Ich setzte mich im Regenmantel verpackt an einen Tisch und bestellte eine Bratwurst. Als diese serviert wurde, getraute ich mich kaum, mit der Gabel hinein zu stechen, sie war voller Fett. Schliesslich stiess ich zu und eine Fontaine von etwa 5 bis 6 Meter schoss aus der Riesenwurst! Nicht nur mein Mantel war mit Fett versprüht, auch eine oder zwei Personen am Tisch auf der anderen Seite kriegten etwas ab. Mir war das höchst peinlich, entschuldigte mich in aller Form, sie zeigten Verständnis und machten keine Ersatzansprüche geltend, die Leute lachten und meinten, sie hätten noch nie einen solchen „Sprutz“ gesehen. 228 229 Mir war es recht ungemütlich, ich verspeiste in aller Eile die Wurst und verschwand aus dem Lokal, logischerweise ging ich nie mehr in dieses Restaurant. Nachtrag: Rund 25 Jahre später, arbeitete in meinem Büro bei der OSEC, eine Sekretärin, die sich als Tochter des damaligen Wirts „outete“. Sie war aber zu jenem Zeitpunkt noch kaum auf der Welt. Die Namen habe ich vergessen, Gwerder oder ähnlich? Kapitel 55 Lehrstelle in Weinfelden Es hiess schon bald Abschied nehmen von Bern und dem Schlatt. 1954 wurde letztmals auch der „Grand Prix Suisse“ auf der Bremgartenrundstrecke durchgeführt. Das war jedes Jahr ein Riesenkrach, ich getraute mich aber nie bis zur Piste vor, der Lärm genügte mir vollauf. Wenn ein Wagen besonders laut aufheulte, sagte ich immer zu meinen Kollegen: „Das ist der Juan Manuel Fangio aus Argentinien. In Weinfelden fand ich eine Lehrstelle in einer kleinen Metallbauwerkstatt, ein Familienbetrieb mit Namen Fehr. Ich denke, ich fand diese Stelle in der Thurgauer Zeitung, ebenso die Wohnung in Märstetten-Station. An der Gillhofstrasse 247, in einem alten Zweifamilienhaus, unten lebte die alte Eigentümerin, Frau Schweizer. Oben waren drei kleine Zimmer, ohne Heizung, Badezimmer oder Toilette. Letztere befand sich kollektiv im Treppenhaus. Dafür war der Mietzins sehr niedrig und tragbar. Vater organisierte einen Zügelwagen von einem Kollegen, welcher irgendwie mit seinem Arbeitgeber liiert war. Ich bezog noch meine Osterferien und konnte wieder auf dem Bau arbeiten, diesmal bei der Firma Riesen Gasel, die erste Woche war ich in Mengistorf bei Gasel, eingesetzt. Dort arbeiteten wir an einem grossen Abhang, ich glaube, es 229 230 war eine Gärtnerei. Ein Ereignis blieb mir von dort in Erinnerung, beim Mittagessen, befahl mir der Vorarbeiter: „Nach dem Essen, trägst du den Haufen dort unten dort hinauf“. Ich murmelte nur etwas wie „Ja“. Als ich den Haufen oben hatte, hörte ich plötzlich den Vorarbeiter schreien: „was für Dummköpfe haben wir denn schon auf dem Bau, du hast den falschen Haufen nach oben getragen, den hat der XY heute Vormittag doch hinunter getragen“. Nun ja, das wusste ich nicht, und er hätte den richtigen Haufen besser umschreiben können. Ich drehte mich mit der letzten oder vorletzten Ladung um, trug das Zeug wieder nach unten und begann mit dem „Richtigen“ Posten. Ich denke, es waren alte und neue Verbundsteine? Der Schaden war schnell behoben, ich trug eine Ladung nach oben und eine zweite nach unten. Die zweite Woche erlebte ich vor der Haustür, Otto liess ein Zweifamilienhaus bauen! Ich durfte beim Aushub des Kellerabteils noch dabei sein, alles erfolgte damals noch mit Pickel und Schaufel. Nach den Ferien sollte ich im 2. Lehrjahr weiter machen, ich fuhr nach Bern, ging direkt ins Büro der Direktion und erklärte, dass meine Familie in den Thurgau auswandere, und ich leider meine Lehrzeit unterbrechen müsse. Man nahm das zur Kenntnis und händigte mir ein spezielles Zeugnis aus, dazu noch das Lehrlingsbüchlein mit den Noten. Ich hatte da kaum etwelche Bedenken oder etwa Reuegefühle. Es war ein Samstagmorgen, wir luden alles in den grossen Umzugswagen, es hatte noch viel Platz, aber wir besassen zum Glück nicht viel Möbel. Vater stieg vorne zum Fahrer ein, Ernst und ich hinten bei den Möbeln. Unterwegs musste sich Ernst übergeben, sonst verlief die lange Fahrt problemlos. Über die Ankunft und den weiteren Verlauf am Zielort, erinnere ich mich nicht mehr. 230 231 Als ich im nahen Kolonialwarengeschäft einkaufen ging, befiel mich fast ein Schock, als ich die sehr langen Finger des Mannes erkannte, welcher den Laden führte, also war es kein Witz, wonach die Thurgauer lange Finger hatten! Kapitel 56 Der Reinfall Mit dem Umzug waren die Probleme noch lange nicht gelöst, vielmehr kamen noch neue hinzu. Mutter konnte oder wollte nicht sogleich kommen, sie begründete das mit dem armen Bauer Michel, der sonst keine Hilfe mehr hatte. Sie hielt sich an eine dreimonatige Frist und war somit für den Juni fällig. Ernst besuchte die Primarschule in Märstetten-Dorf, Vater konnte bei der Strassenbaufirma Franz Vago, in Müllheim-Wigoltingen, Arbeit finden. Und ich begann das 2. Lehrjahr, nur noch als gewöhnlicher Schlosserlehrling, bei der Fehr-Metallbau. Im Vergleich zur LWB, war das ein Schock, der Lehrlingslohn war kaum nennenswert. Dafür hiess es jeden Abend Überstunden schinden, oft bis 22 Uhr, als ich reklamierte, sagte der Fehr: „Wir sind eben Privatwirtschaft, klar, dass so ein Absolvent der LWB da nicht taugen kann“. Ich fühlte mich schwer beleidigt, und schon in der ersten Woche, beschloss ich, diese Bude wieder zu verlassen. Ich nahm einen Tag Urlaub und bewarb mich bei der Firma Tuchschmied in Frauenfeld, ich erinnere mich nicht mehr an das Resultat dieser Unterredung. Als ich aber am nächsten Tag wieder zur Arbeit ging, schien der Fehr bereits informiert zu sein, er beklagte sich, dass ich hinter seinem Rücken agierte, natürlich war alles aus! Ich vermute, die Fa. Tuchschmied erkundige sich bei ihm und so wusste er Bescheid, kein netter Akt! 231 232 Ich stand nun vor dem Nichts, es war zu spät, noch eine Lehrstelle zu finden, ich nahm die Gelegenheit wahr, endgültig auszusteigen, eine andere Laufbahn einzuschlagen. Vater war von der Arbeit überfordert, 10 bis 12 Stunden harte Arbeit und schlechte Bezahlung, das war keine Lösung. Ich machte mich auf, um für ihn eine andere Arbeit zu finden, bei der Schreinerei Heer, bei der Firma Naef und Co. In Müllheim – Wigoltingen, und man fragte mich direkt, weshalb nicht der Vater frage? Ich sagte, Vater wäre abwesend und ich hätte den Auftrag für ihn eine Arbeit zu suchen. Bei der Firma Naef wurde ich fündig, er konnte dort in der Färbereiabteilung wirken und hatte eine geregelte Arbeitszeit. Dafür ging ich bei der Vago arbeiten, es war Schwerstarbeit und fast täglich mit Überstunden verbunden. Die erste Woche stand ich auf der Teermaschine auf der Ottobergstrasse, musste mit einer Schaufel den Teer verteilen, das war sehr anstrengend. Zeitweise kam der Juniorchef in seinem offenen Ferarri dahergebraust, postierte sich in seinen weissen Hosen und Hemden, wie ein König am Strassenrand, machte sich lustig über die Arbeiter und trieb mich zu noch mehr Leistung an. Das hinterliess in mir eine Riesenwut, ich hätte ihn umbringen können! Ich konzentrierte mich während Tagen nur noch auf diesen Kerl, in Gedanken sah ich ihn bereits als toten Mann! Kapitel 57 Unter dem Nullpunkt Die Familie war immer noch getrennt, ich hatte kein Geld, keine Berufslehre, keine Freundin, nichts. Vater war höchst frustriert, Ernst wuchs ohne Aufsicht auf, seit einer Woche arbeitete ich in Kreuzlingen, wir mussten eine alte Gasleitung entfernen und neue Rohre in die Erde 232 233 verlegen. Das war an der Grenze zu Konstanz, aus den Leitungen strömte noch Gas, es wurde einem beinahe übel. Ich wurde mehr und mehr kritisch, einmal sagte ich einem andern Arbeiter, ich gedenke nicht immer Hilfsarbeiter zu bleiben, ich hätte berufliche Pläne. Das hörten auch zwei Halbwüchsige, welche an uns vorbei liefen, sie riefen mir laut zu: “Du bist nur ein Hilfsarbeiter!“ Ich ärgerte mich lediglich über diese dummen Sprüche, es war eine der schlimmsten Zeiten in meinem Leben. Jeden Tag sah ich die Postleute in ihren schmucken Sommeruniformen, zu zweit fuhren sie lachend an uns vorüber und erzählten sich Witze. Ich beneidete sie sehr, was für ein Unterschied zu meinem Job! Um 7 Uhr früh war Arbeitsbeginn, manchmal schon um 06.30, mit dem Fahrrad nach Kreuzlingen benötigte ich gute 30 Minuten, am Abend war meistens zwischen 18.30 und 19.30 Arbeitsschluss. Es war einer dieser Tage, als ich mit dem Velo am frühen Morgen Richtung Kreuzlingen fuhr, bei der Steigung im Dorf Märstetten, trat ich wie üblich, mit ganzer Kraft auf die Pedalen. Plötzlich ein Krach, ich war mit beiden Füssen am Boden, die Pedalachse war gebrochen, und die Kugellager rollten die Strasse hinunter! Diesen Augenblick vergesse ich nie mehr, es war, als rollte da noch meine letzte Hoffnung davon! Aus, ich konnte nicht zur Arbeit erscheinen, es gab keine vernünftige Verbindung, ein zweites Fahrrad war auch nicht vorhanden. Zudem war ich knapp an Geld, das defekte Rad konnte wohl kaum repariert werden. Ich sass neben dem Fahrrad und empfand mein ganzes Elend, alles schien gegen mich zu sein. Ich war unter dem Nullpunkt, tiefer konnte es kaum noch gehen! Oder doch? Als ich das Rad nach Hause schob, überlegte ich mir, was mir noch blieb? Und ich erkannte plötzlich, dass ich doch noch meinen Körper hatte, und der war gesund und stark! Ich war 16 ½ Jahre alt, hatte das Leben noch vor mir, also weshalb alle Hoffnung aufgeben, ab diesem Tag konnte es 233 234 nur noch aufwärts gehen. Im Hinterkopf spukte die „Fremdenlegion“ als letzter Ausweg in mir, und das Rekrutierungsbüro war in nächster Nähe, gleich beim Übergang in Konstanz, hiess ein grosses Plakat die Anwärter willkommen, ich war immer noch zu jung dafür, aber ich sah ja älter aus, das wäre somit kein Problem gewesen. Aber da war noch die Familie, für die ich mich verantwortlich fühlte, und wenn ich weg war, niemand würde sich um die zwei Kleinkinder kümmern. Ich wollte noch zuwarten, erst wenn alles nichts bringen würde, dann schon, nichts wie los, auf in die Fremdenlegion! Ich schöpfte neuen Mut und Hoffnung, es musste irgendwie weiter gehen. An einem freien Tag fuhr ich einmal auch nach Konstanz, man konnte mit einem Personalausweis eine Tageskarte lösen, ich hatte nur den Ausweis de LWB Bern, und das alarmierte die Zöllner, sie wollten mir keinen Schein ausstellen. Schliesslich telefonierten sie dem Arbeitgeber meines Vaters und wollten wissen, ob dieser auch dort arbeitete. Nach längerer Wartezeit, durfte ich dann endlich nach Konstanz einreisen. Damals, 1955, war das fast eine andere Welt, alte Häuser, schlechte Strassen, kaum neue Gebäude, während auf der Schweizer Seite alles sauber rausgeputzt war und vielerorts neue Häuser gebaut wurden. *************************************************** Kapitel 58 Elvis Im Frühjahr 1955, ich hatte wie fast immer, Radio Beromünster eingestellt, nach den Mittagsnachrichten sprach Heiner Gautschi aus New York. Er meldete einen neuen Sänger aus einem Südstaat der USA, der die Rock 234 235 „n“ Roll Musik auf eine besondere Art präsentiere. Sein Name war Elvis Presley, er war drei Jahre älter als ich, um die 180 cm gross, mit Akne am Rücken, aus armer Familie und er war Lastwagen Fahrer. Wir hatten soviel gemeinsam, nur eben, Gitarrenspielen und Singen konnte ich nicht! Seine Songs waren motivierend und revolutionär, ganz nach meinem Gusto. Ich hatte wieder eine Leitfigur, eine Person, die sich aus dem Elend nach oben schaffte, einer, der aufzeigte, dass man mit guten Ideen und Mut viel erreichen konnte. Ich war wieder besser motiviert, partizipierte am militärischen Vorunterricht sowie am Jungschützenkurs. In Weinfelden, war das Fotogeschäft Nuber, ich hatte dort auch schon Passfotos erstellen lassen. An einem schönen Tag, stand ich mit meinem Fahrrad vor dem Fotogeschäft, ich überlegte, ob ich den Herrn Nufer fragen sollte, ob er einen Lehrling ausbilden könnte? Ich wollte aber keine Absage riskieren, schliesslich verliess mich der Mut und ich zog unverrichteter Dinge davon. Es gab da noch einen wichtigen Punkt für meinen Entschluss, das Geld, mir war bewusst, dass ich kaum mit einem Lehrlingslohn rechnen konnte, und ich benötigte Geld, für mich und die ganze Familie. Ich habe mich oft gefragt, weshalb ich in diesem Augenblick den Mut zum fragen nicht aufbrachte, es war damals nicht meine Art, die Segel schon im Voraus zu streichen. In der Welt herumreisen und fotografieren, das wäre was gewesen! Allerdings hatte ich dazu nicht mehr Talent, als zuvor für den Schlosserberuf. Ein Jahr später kaufte ich mir in Konstanz für 99.- DM eine Gitarre, damit wollte ich wie der Elvis spielen und singen. In Weinfelden, sollte ich Gitarrenunterricht bei einer älteren Frau nehmen, gut gelaunt fuhr ich zur ersten Lektion hin. Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung von Noten, Musik und Gesang. 235 236 Meine Vorstellung war derart vernichtend schlecht ausgefallen, dass mir die Lehrerin riet, nie mehr eine Gitarre in die Hände zu nehmen. Das war brutal und niederschmetternd, wie ein geschlagener Hund fuhr ich zurück nach Märstetten. Aus der Traum von einer Elvis Immitation! Die Gitarre wurde mir später gestohlen, ich vermute von Bruder Ernst, der immer der Ansicht war, was mir gehöre, das sei auch sein Eigentum. Kapitel 59 Der Tyrann Mein neuer Arbeitsort bei der Firma Vago, befand sich nun in Istighofen. Dort wurde das ganze Areal der Ziegelei erneuert. Wie üblich, hantierte ich mit Pickel und Schaufel, der Chef, in meinen Augen eher ein Aufseher, hiess Wagner, auch er in weissem Galaanzug, mit einem weissen Sportwagen, er schien mich nicht zu mögen, an einem Nachmittag kam er auf mich zu und meinte frech, ich arbeite zuwenig, daher werde mein Stundenlohn von 1.90 auf 1.70 gekürzt! Dabei fand ich den Ansatz von 1.90 bereits viel zu niedrig, hatte ich doch in Bern bei der Firma Hänni, 2.54, und bei der Firma Riesen nur knapp weniger. Er erklärte mir sodann, wie ich bei der Firma Karriere machen könne, dabei zeigte er auf die Strassenwalze, die von einem älteren Mann gesteuert wurde, wenn dieser in den Ruhestand komme, könnte ich sein Nachfolger werden, vorher aber, erwarte er harte Arbeit und vollen Einsatz von mir. Er sagte das in einem sehr überheblichen und arroganten Ton, ich hätte ihn mit dem Pickel erschlagen können, hielt mich aber zurück. Ich antwortete ihm nicht, beschloss aber, diese Bude zu verlassen. 236 237 Der Wagner verzog sich, vermutlich konnte er meine hasserfüllten Augen erkennen? Und ich war wütend wie noch nie zuvor, stundenlang „meditierte“ ich vor mich hin, dass dieser Unmensch für immer verschwinde, in Gedanken schlug ich ihm den Pickel über den Schädel. Meine Wut hielt bis zum dritten Tag an, dann kündigte ich und war wieder einmal ohne Arbeit. Ich hatte vom Strassenbau endgültig genug, einmal mehr schien mir die Fremdenlegion ein letzter Ausweg! Unwürdiger konnte dort die Behandlung nicht mehr sein, und dabei sah man ferne Länder und Kontinente, eben Abenteuer. ************** Nachtrag: In den folgenden Monaten stellte ich seltsame Vorkommnisse fest, ich hatte die „Thurgauer Zeitung“ abonniert und las sie auch täglich, besonders auch im Hinblick auf eine Arbeitsstelle. Dabei las ich jeweils auch die Todesanzeigen, mit hundertprozentiger Sicherheit, war da auch die Anzeige vom Tod des Wagners, er raste mit seinem Sportwagen in ein Hindernis und war sogleich tot. Ich schnitt die Todesanzeige sogar aus und behielt sie eine Weile auf. Ich empfand es als Selbstverständlichkeit, dass der einen Unfall baute. Aber auch der junge Vago, war vorher oder nachher ebenfalls erwähnt, auch er leistete sich einen tödlichen Autounfall. Ich nahm diese Nachrichten wie selbstverständlich auf, hatte eigentlich gar nichts anderes erwartet. Erst viel später, anlässlich des Studiums der Parapsychologie, kamen diese beiden Fälle wieder in mir hoch, beim Wagner bin ich sicher, beim Vago könnte es sich um einen Bruder gehandelt haben, denke aber, es war schon der gleiche, den ich damals auch ins Pfefferland wünschte. In den Fünfzigerjahren kannte man noch keine Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Strassen, und Autobahnen waren schlichtweg unbekannt. Wenn man die Verkehrsdichte von damals mit der heutigen vergleicht, gab 237 238 es prozentual rund 6 bis 10 Mal mehr tödliche Autounfälle, als zum Beispiel heute. Dass diese beiden Raser verunfallen mussten, war eigentlich fast eine logische Folge. Man kann aber durchaus auch andere Aspekte anführen. Ich werde es nie erfahren! *************************************************** Kapitel 60 Die Familie ist wieder komplett Endlich, nach gut 2 Jahren, war die ganze Familie wieder zusammen, Vater, Mutter, Klara, Ernst und ich. Ich war glücklich, dass es nun doch noch möglich wurde. Vater trank keinen Alkohol mehr, Mutter ging stundenweise Wohnungen reinigen oder arbeitete im Hotel „Kreuzstrasse“ in der Küche. Wir waren nun zu dritt mit jeweils einem kleinen Einkommen, aber es reichte aus, wir konnten uns einen elektrischen Staubsauger leisten, ich kaufte eine wasserbetriebene Waschmaschine. Dann erschien etwa im Juni ein Inserat von der PTT: Gesucht wurden Männer bis Jahrgang 1937, mit guter Gesundheit und Bildung, für die Laufbahn eines uniformierten Angestellten bei der Kreispostdirektion Zürich. Und in Klammern stand noch in Kleinschrift: „Ausnahmsweise werden auch Männer vom Jahrgang 1938, berücksichtigt, vorausgesetzt, sie erfüllen die Bedingungen“. Das war mein Ziel, ich musste es schaffen, der Nachbar, Ernst Schär, Bruder des bekannten Radrennfahres Fritz Schär, sagte mir, ich hätte doch keine Probleme und solle mich ruhig anmelden. Was ich auch sogleich tat, ich konnte ja nur gewinnen! 238 239 Ich konnte dann noch in der Färbereiabteilung der Firma Naef, etwas Geld verdienen, Vater war in der Rupferei beschäftigt, dort wo die Putzfäden hergestellt wurden. Die Arbeit in der Fabrik war im Vergleich zum Strassenbau nur halb so schwer. Man arbeitete nur 9 Stunden am Tag, hatte stets den gleichen Arbeitsort und Platz. Dann, an einem schönen Sommertag, beschloss die Färbereibelegschaft zu streiken, ich machte nicht mit, der Direktor Naef, beauftragte mich mit den Aufgaben des Vorarbeiters, Farbmischungen richtig machen etc. Die Übung gelang, vor Begeisterung wollte der Chef mich sogleich zum Vorarbeiter ernennen, aber ich wollte nicht, ich stand vor der Aufnahmeprüfung zur PTT und das reizte mich schon viel mehr, obwohl mit noch nicht 17, Vorarbeiter sein, hörte sich nicht schlecht an. Dafür hatte ich dann einen Feind mehr, der Chef wollte mir meine Absage nicht verzeihen. Als der Streik vorbei war, delegierte er mich zu zwei Bahnwagen, welche voller Kohle waren. Auch Vater war bereits an der Arbeit, er hatte Erfahrung im Ungang mit Kohle, ich aber empfand dies als persönliche Degradierung! Mit voller Lautstärke schmetterte ich dem Direktor sämtliche mir bekannten Schimpfwörter entgegen, und erklärte ihm direkt, dass ich keine Kohlen ausladen werde. Vater grinste nur, er konnte sich so etwas nicht leisten, ich hingegen schon, es war das erste Mal, dass ich über meinen Job offen rebellierte. Er entliess mich aber nicht, er wusste bereits, dass ich Ende August aufhören würde. Ich hatte die Aufnahmeprüfung und die ärztliche Untersuchung erfolgreich bestanden und konnte am 14. September in Zürich, die Postlehre beginnen. Kapitel 61 Der Postlehrgang Es war soweit, am 14. September 1955, soeben 17 geworden, 239 240 trat ich in die Dienste der PTT ein. An der Claridenstrasse in Zürich, befand sich das Seminarzentrum der Post. Wir waren rund 25 Kandidaten, dabei war ich einmal mehr der jüngste Anwärter, so wurden wir genannt, nach sechs Monaten wurde man zum Aspiranten. Den offiziellen Beamtenstatus erhielt man erst mit der Volljährigkeit, also mit 20. Uns wurden sämtliche Vorschriften und Gesetze beigebracht, jeder erhielt einen Satz Bücher zum Studium. Für manche war es ein Zweitberuf, und ein Bündner hatte sogar einen Maturaabschluss. Der Unterricht war sehr interessant, am liebsten wäre ich jahrelang dabei geblieben. Aber wir wurden auch bereits an die vorderste Front geschickt, so landete ich an einem Spätnachmittag auf der Post Aussersihl beim Helvetiaplatz. Ich musste dort die aufgegebenen Pakete in ein dickes Buch eintragen, das tat ich sehr sorgfältig, aber ich war allein und die Pakete häuften sich gnadenlos wie ein Berg vor mir, Ich schrieb immer schneller und schneller, aber der Berg wurde immer höher, ich sah nur noch Pakete! Meine Hand schmerzte, ich konnte meine Schrift kaum noch lesen, egal, es ging weiter und weiter! Endlich, um 18.30 wurden die Schalter geschlossen und der Berg wurde sodann immer kleiner, ich glaube, ich war erst gegen 20 Uhr fertig. Und auch körperlich total erschöpft, das war eine harte Nummer, und vermutlich auch Absicht, man wollte uns auf die Leistungsfähigkeit und Ausdauer prüfen. Zum Glück blieb diese Vorstellung einmalig, schliesslich machte ich auch keine Schalterlehre. Wir besuchten auch die Sihlpost und waren von deren Grösse beeindruckt. Nach etwa drei Wochen war der Kurs vorüber, wir wurden dann den Poststellen zur weiteren Ausbildung zugeteilt. Wunschgemäss durfte ich nach Winterthur. Dort wohnte ich an der Klosterstrasse 10,(Töss) bei der Tante Alice und Onkel Adolf. Von der Post erhielt ich ein gelbfarbiges Fahrrad ohne Übersetzung, zu dem natürlich noch die Postuniformen. 240 241 Bei Alice schlief ich in einer Dunkelkammer, ohne Fenster, dafür und für gelegentliche Mahlzeiten, zahlte ich ihr einen angemessenen Betrag. Es war ein seltsames Paar, sie hatte das Sagen, er durfte nur ja sagen. Ich durfte auch die Zeitungen und Magazine lesen, dafür klagte sie dann bei ihrer Schwester, meiner Mutter, ich wäre zu geizig, um selber Zeitungen zu kaufen, das fand ich sehr daneben. Ich hörte das Paar nie zusammen sprechen, es war wie in einem kleinen Irrenhaus. Der Dölf sass nach Feierabend immer am Tisch im Wohnzimmer und hatte ein Glas Bier vor sich, dabei sagte er jeden Tag denselben Satz: „Diese verdammten Sau Tschinggen!“, er meinte damit die Italiener, welche in der Fabrik arbeiteten. Als ich ihn einmal fragte, weshalb er immer über die „Tschinggen „ fluche, sagte er, die würden den Akkordtarif unterbieten, und so müsse er mehr arbeiten! Alice war Putzfrau und selten in der Wohnung, sie hatte eine sehr zynische und sarkastische Art, sie konnte nicht normal mit mir umgehen, alles war immer dubios und minderwertig in ihren Augen. Das Essen war oft ungeniessbar, sie kaufte in den Metzgereien Abfälle, Innereien wie Lungen und dergleichen, davon braute sie eine Suppe, und das schmeckte derart schlecht, dass ich mich manchmal fast übergeben musste. Natürlich machte sie wieder ihre dummen Sprüche, deshalb verzichtete ich später auf ihre Mahlzeiten. Ich verpflegte mich meistens in der Volksküche beim Bahnhof, die war gut und preiswert. Diese war nur für das Post- und Bahnpersonal bestimmt. Obwohl noch in Ausbildung, wurde ich gleich Mitglied bei der PTT-Union Zürich und auch Winterthur. Von beiden Büros erhielt einen sehr attraktiven Ausweis mit Foto. Beide datiert im Oktober 1955, worin mir der Titel „Uniformierter Postbeamter“ zugeteilt wurde. Die Qualität war derart gut, dass beide Ausweise nach 58 Jahren, immer noch wie neu aussehen! 241 242 Vater machte grosse Augen, als ich ihm den Ausweis zeigte. Auch der Dölf war sichtlich fasziniert, da war ein knapp Siebzehnjähriger bereits Beamter, damals eine kleine Sensation. Aber für mich war die Post lediglich ein Sprungbrett, eine gute Möglichkeit, schon sehr jung Geld zu verdienen. Und im Vergleich zum Strassenbau, war das bereits ein grosser Sprung vorwärts. *************************************************** Kapitel 62 Das Ferngymnasium Die Arbeitszeiten waren meistens unregelmässig auf 48 Stunden in der Woche verteilt, jeder Angestellte hatte einen monatlichen Dienstplan, die Aufgaben waren in einem Beschrieb festgehalten. Da gab es einen Dienst, den keiner mochte, Arbeitsbeginn um 13 Uhr, dann etwa drei längere Pausen, schliesslich war man am Morgen um 03.15 mit der Arbeit fertig und auch körperlich am Ende! Ausser Kinobesuche, kannte ich keine Freizeitbetätigungen. In Zürich war ein Ferngymnasium an der Restelbergstrasse, ich liess die Unterlagen kommen und war vom Angebot begeistert. In nur 2 ½ Jahren konnte man sich nebenberuflich auf die eidg. Maturitätsprüfung vorbereiten. Dabei war der Schwerpunkt auf die B-Matur ausgerichtet, damit konnte man praktisch alle Fakultäten belegen. Zudem waren die Kosten extrem niedrig, so, dass ich mit meinem Lohn durchaus kein Problem hatte. Ich meldete mich an und begann intensiv mit dem Studium, Deutsch und deutsche Literatur, Französisch, Englisch, Lateinisch, Physik, Chemie, Biologie, Mathematik, Geometrie, Zeichnen. Ich musste täglich bis 5 Stunden büffeln, damit war ich auf der absoluten Höchstbelastung angelangt. Aber der Wille war vorhanden und ich setzte mich anfänglich durch. Dann kam die Gesundheit und 242 243 machte mir einen Strich durch meine Pläne, ich litt an schweren Magenkrämpfen, es war kaum mehr auszuhalten, nachts konnte ich nicht schlafen, ich versuchte verschiedene Tabletten, aber umsonst! Ich konnte kaum noch meine Arbeit erbringen, ich hatte keine Wahl, ich musste das Studium, das so gut begonnen hatte, aufgeben! Ich konnte ohne Probleme und gebührenfrei stornieren, die Schule war wirklich vorbildlich, aber wie das bei guten Dingen oft ist, das Gymnasium konnte nicht überleben, ich hätte nicht einmal bis zum Abschluss studieren können. Dafür entstand danach eine andere Fernschule unter dem Namen „Akademikergemeinschaft“, (später AKAD), auch dort waren anfänglich Idealisten am Werk, und diese überlebten und existieren auch noch 50 Jahre später. Die Magenkrämpfe blieben mir noch gute 10 Jahre erhalten, bei Stresssituationen auch noch später, sie verhinderten die Realisierung meiner beruflichen Ambitionen. Kapitel 63 Ich werde Kommunist Es brodelte bei der Post, die PTT-Union forderte mehr Lohn und drohte gar mit Streik, obwohl Streiks in der Schweiz verboten waren. Anfangs Oktober 1955, forderte die Union, deren Mitglied ich nun war, uns ultimativ auf, an einem grossen Protestumzug in Zürich, teilzunehmen. So marschierten mehr als 4000 uniformierte Postangestellte, an einem Samstagnachmittag die Bahnhofstrasse in Zürich, hinauf. Der Aufmarsch wurde in der ganzen Schweiz ernst genommen, und es freute mich, auch dabei gewesen zu sein. Dabei wurde auch Werbematerial verteilt, ich erhielt eine Zeitung der „Proletarischen Aktion Schweiz“, unter dem Slogan „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“, wurden neue Mitglieder gesucht, das klang wie Musik in meinen Ohren. Ich wurde Mitglied und las die Zeitung stets von A 243 244 bis Z durch, es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die ganze Welt vom Kapitalismus befreit würde. Ich realisierte, dass wir sogar links von den Kommunisten angesiedelt waren, das war genau richtig. Ich sagte aber nicht einmal meinem Vater, dass ich politisch links aussen aktiv werden wollte. Das war auch gut so, denn wie ich später erfuhr, plauderte er gerne mit Drittpersonen über mich. Auch Tante Alice und ihr Mann wussten nichts, das heisst, sie hätten meine Post und Lektüre lesen können, anscheinend taten sie das nicht, oder sie verstanden die Sprache nicht. Gegen Ende Oktober, ich war bisher bei der Hauptpost in Winterthur im Einsatz, rief mich an einem Morgen die Sekretärin des Verwalters in sein Büro. Ich war gespannt weshalb, stand aufrecht vor dem Herr Oeschger und dieser schaute mich seltsam an. Dann begann er wie folgt: „Sie sind zwar noch sehr jung, wohl der allerjüngste bei uns, aber sie erscheinen viel älter und reifer, darum haben wir für sie einen Sondereinsatz vorgesehen. In Seuzach ist ein Briefträger erkrankt, und wir haben keinen Ersatzmann, wir dachten, sie könnten ihn möglicherweise vertreten?“ Ich sagte ohne zögern zu und eine Stunde danach war ich bereits unterwegs nach Seuzach. Einen solchen Job ohne Einarbeitung zu übernehmen, das war gar nicht einfach, auch der Verwalter machte mich darauf aufmerksam, aber das konnte mich nicht davon abbringen, ich mochte solche Herausforderungen. Es war ein harter Job, aber nach drei Tagen ging es bereits viel besser. Der Einsatz dauerte nur etwa 2 Wochen, nur einmal hatte ich ein Problem, die Belege für Barauszahlungen und Nachnahmen steckte ich im Büchlein unter den Umschlag. Unterwegs stellte ich fest, dass ich das Quittungsbüchlein verloren hatte, und damit auch alle Belege für viele Tausend Franken! Man hätte mir anhängen können, das Geld unterschlagen zu haben, eine Ungeheuerlichkeit. 244 245 Erst machte sich Panik breit, ich wollte sogleich mit meinem Postfahrrad in Richtung Konstanz, losradeln, ab in die Fremdenlegion! Das war nahezu eine Kurzschlussreaktion, dann aber überlegte ich scharf, da erinnerte ich mich an die Frau im Kolonialwarengeschäft, die immer soviel redete und mich ablenkte, sicher hatte ich das Büchlein dort liegen lassen! Aufgeregt fuhr ich zum Laden zurück, ich musste nicht einmal etwas sagen, die Frau streckte mir das Büchlein entgegen, ich war sehr erleichtert. Kapitel 64 Neuorientierung Es wurde mir bewusst, dass ich meine Studienziele vorläufig begraben musste. Ohne die zusätzlichen Familienprobleme, hätte ich vermutlich einen gangbaren Weg mit Teilzeitarbeit finden können, um die Maturität nebenberuflich zu bestehen. In meiner Situation, war das aber mit meinen gesundheitlichen Zusatzschwierigkeiten, absolut unmöglich geworden, und ich musste mich darum umorientieren. Da waren einmal diese Schaufenster an der Merkurstrasse, in welchen der KV Winterthur, die fast unbeschränkten Möglichkeiten eines Überseekaufmanns anpries. Ich bestaunte fast täglich diese schönen Laufbahnaussichten und Anpreisungen, welche einem Kaufmann mit Lehrabschluss offen standen. Die internationalen Handelsgesellschaften hatten Angebote nach Afrika, Asien und auch Südamerika. Das weckte in mir neue Träume und Pläne, was war schon ein Geschichtsstudium im Vergleich zu diesen Laufbahnen im Ausland? Aber wie konnte ich eine kaufmännische Lehre absolvieren, mit meinen 5 Jahren Primarschule, war es unmöglich eine Lehrstelle zu kriegen! 245 246 Somit musste ich einen anderen Weg finden, noch kannte ich ihn nicht, aber es musste einen geben! Dann war da noch der Traumberuf „Privatdetektiv“, es existierte damals ein Büro in Winterthur, an der Haldenstrasse. An einem freien Tag sprach ich dort vor, ich hatte einen Prospekt von einer Privatdetektivschule in Basel. Ich wollte wissen, was so ein Kurs nützen könnte, wollte ich ein eigenes Büro eröffnen? Die beiden Herren informierten mich spontan und nicht schlecht, ich bedankte mich und verliess das Büro. Damals war es noch normal, dass man solche Auskünfte kostenlos erteilte, und nicht für jede Dienstleistung eine Rechnung präsentierte. Ich tat dies oft und erhielt immer gute Auskünfte, die Leute waren sogar positiv beeindruckt, wenn sich ein Bursche informieren liess. Wer kein helfendes Elterhaus kennt, keine nützlichen Verwandten hat, und auch sonst nicht auf Rosen gebettet ist, muss sich nun einmal bei fremden Leuten orientieren. Das Detektivbüro war dem Kurs eher neutral gestimmt, sie waren der Ansicht, dass mir die Theorie durchaus nützlich sein könnte, dass aber erst die Praxis einen Privatdetektiv aus mir machen werde. Da der Jahreskurs nur 120.- Franken kostete, inkl. Abschlussdiplom, wagte ich Ende 1955, mich für diesen Fernkurs anzumelden. Ich musste viel weniger Büffeln, als für die Maturvorbereitung, zudem war ich richtig fasziniert vom Lehrstoff. Ein Jahr später erhielt ich das Diplom, einen Ausweis und ein Schulzeugnis. Ich machte nie Gebrauch davon, auch fehlte es mir am Anfangskapital für die Gründung eines Büros. Das Diplom war von einer einmalig guten Qualität, so, dass es noch mehr als 50 Jahre später wie neu aussah. Dann las ich zufällig in einer Zeitung, dass man in der Schweiz, auch eine Lehrabschlussprüfung machen könne, wenn man im fraglichen Beruf die doppelte Lehrzeit absolviert hat! 246 247 Diese Information bohrte sich wie eine Grabinschrift in mein Gehirn ein. Das war die Lösung für mein Problem, und ich war fest entschlossen, diesen Weg einzuschlagen. Die Post war zwar eine Lebensstelle, aber nicht für mich, obwohl Vater diese Anstellung in höchsten Tönen lobte. Er war ein Opfer der grossen Arbeitslosigkeit vor dem 2. Weltkrieg, und für ihn gab es nichts Besseres als eine solche Staatsstelle. Aber schon bei der Aufgabe der Lehrstelle, sah er sehr schwarz für mich, und er konnte mir ja doch nicht helfen, zudem hatten sich die Zeiten geändert. Deshalb nahm ich seine Schwarzmalereien höchstens zur Kenntnis, machte aber was sich wollte und als richtig empfand. Ich spielte bereits mit dem Gedanken, die PTT nach der Abschlussprüfung im Frühjahr 1956, wieder zu verlassen. Aus einer anderen Quelle erfuhr ich, dass man die Rekrutenschule bis um 2 Jahre vor verlegen konnte, vorausgesetzt, man wurde dafür als reif genug befunden. Auch dafür wollte ich auf sicher gehen, sprach diesbezüglich beim Kreiskommando Winterthur, vor, wo man mir freundlich diese Möglichkeit bestätigte. Allerdings hatte ich nur noch ein Jahr fällig, für zwei Jahre hätte ich mich bereits im Sommer 1955 anmelden müssen, also vor dem 17. Altersjahr. *************************************************** Kapitel 65 Tränengaseinsatz Ich war kaum aus Seuzach zurück, da rief mich die Sekretärin schon wieder zum Verwalter. Ich dachte schon, es gebe eine Schelte für ein Fehlverhalten in Seuzach, oder anderswo? Wer zum Verwalter zitiert wurde, war oft nicht mehr gesehen! Ein Appenzeller sandte einen Expressbrief statt nach Wien, nach Paris, er war aus meiner Klasse und wurde fristlos entlassen. Ein anderer leerte einen 247 248 Postbriefkasten einige Minuten zu früh, er wurde angezeigt und entlassen. Beide hatten bereits eine Verwarnung zuvor kassiert. Aber ich erhielt keine Verwarnung, der Verwalter lobte meinen Einsatz in Seuzach und führte aus: „Wir haben ein Problem in Unterstammheim, der Mann dort fällt einen ganzen Monat aus, können Sie ihn vertreten?“ Ich sagte nur „Ja“, dann ging ich zurück in mein Zimmer und eine Stunde später war ich bereits unterwegs mit der Eisenbahn nach Stammheim, im Zürcher Weinland. Den Ort musste ich aber zuvor noch auf der Landkarte suchen. Seltsamerweise war ich der einzige Postanwärter, der auf solche Missionen geschickt wurde, die andern mussten ihre Lehrzeit bei der Hauptpost im Innen- und Bahnpostdienst absolvieren. Ich hatte keine Ahnung, was da auf mich zukommen wird. Gegen Mittag erreichte ich die Station Unterstammheim, fragte mich zum Postbüro durch und war schon bald dort. Die Posthalterin, ein Frl.Merz, empfing mich freudig, sie war sehr froh, dass man ihr so schnell eine Ersatzperson für den Briefträger, Herrn Girsberger, zur Verfügung gestellt hatte. Das Fräulein war sehr klein, reichte mir knapp unter die Achseln, und sie mochte bereits über 60 Jahre zählen. Mit den Schuhen und der steifen Mütze, wirkte ich fast wie 190 cm gross. Frl. Merz erklärte mir kurz das Problem, und schon zog ich los, um die Tagespost zu verteilen, das war gar nicht einfach, erstens gab es kaum Strassennamen, dann hiessen viele Einwohner „Frei“ oder „Ulrich“. Frl.Merz zeichnete mir die Strassen auf einem Plan auf, so konnte ich mich etwas orientieren. Viele Häuser hatten weder einen Briefkasten noch einen Namen an der Haustüre, angebracht. Die Leute stellten mir nach und wollten mir beibringen, dass der Briefträger ihre Post immer ins Toilettenfenster lege, andere nannten die Bank beim Eingang. Ich machte ihnen sogleich klar, dass sie gemäss den Vorschriften der Post, Briefkästen anbringen müssten, ansonsten ich keine Verantwortung für eine zuverlässige Zustellung übernehmen könne. 248 249 Alle hatten da etwas zu meckern, aber ich ging gar nicht erst darauf ein, es fehlte mir die Zeit um dazu Stellung zu nehmen. Ich hatte ein Zimmer bei einer Frau Spalinger, dort hatten noch drei weitere Männer ihre Zimmer, ein Deutscher, ein Wallisser und ein Freiburger. Sie waren bei der SBB beschäftigt und auch älter als ich. Um in mein Zimmer zu gelangen, musste ich erst ihre Zimmer durchqueren, zudem konnte ich mein Zimmer nicht abschliessen. Die drei machten gerne Unfug, besonders dann, wenn sie getrunken hatte. So drohten sie mir, mich zu überfallen und mein Bett auf den Kopf zu stellen. Ich sagte ihnen, dass sie es versuchen können, dass sie aber auf der Hut sein sollten, denn ich würde mich verteidigen. Sie lachten nur saublöde. Ich lud meine Tränengaspistole mit sechs Patronen, legte diese unter mein Kopfkissen. Um Mitternacht hörte ich es draussen lärmen, sie kamen besoffen aus Diessenhofen zurück. Kurz danach stiessen sie meine Türe auf und drangen wie die Wilden ins dunkle Zimmer ein, ich hatte die Pistole bereit, liess sie näher kommen, als ich ihre Gesichter erkennen konnte, schoss ich ihnen direkt ins Gesicht. Damit hatten sie nicht gerechnet, sie wälzten sich am Boden und fluchten. „Tränengas“ rief der Deutsche. Ich hiess sie mein Zimmer sofort zu verlassen, und sollten sie noch einmal aufkreuzen, dann würde jeder eine echte Kugel ins Bein kriegen. Das war geblufft, aber sie konnten ja nicht wissen, dass ich mit der Gaspistole keine Munition verschiessen konnte. Ich war richtig motiviert, das Tränengas verfehlte seine Wirkung nicht, sie kamen nie mehr in mein Zimmer. Nun wollte ich am nächsten Morgen gleich noch ein zweites Problem lösen, ein Landwirtschaftsgut etwas ausserhalb des Dorfes, hatte drei bissige Hunde, sie mochten mich wohl nicht, immer wenn sie mich sahen, rannten sie zähnefletschend auf mich zu, einmal biss mich einer sogar in die Uniformhose. Ich liess den Bauern wissen, dass ich dies nicht toleriere, wenn sie die 249 250 Hunde nicht festbinden würden, würde ich selber für Ordnung sorgen. Also nahm ich die geladene Pistole mit, wieder rannte die ganze Horde auf mich los, ich sah nur noch deren weisse Zähne. Als sie knapp einen Meter entfernt waren, schoss ich alle sechs Schüsse direkt in ihre Gesichter. Die Hunde zogen winselnd davon und liessen mich fortan in Ruhe! Auch sie hatten die Lektion verstanden, ob der Bauer etwas bemerkte, weiss ich nicht, es war mir auch völlig egal. Ansonsten hatte ich keine nennenswerten Schwierigkeiten, das Frl. Merz, tänzelte immer um mich herum, sie wollte unbedingt mein Alter vernehmen. Als ich ihr dann endlich mein Alter wissen liess, war sie richtig geschockt, wollte mir nicht glauben, weil sie wusste, dass die Post damals erst Leute ab dem 18. Altersjahr aufnahm. Ich zeigte ihr dann meinen Ausweis, erst jetzt schien sie es zu akzeptieren: „Sie sind ja noch ein Jüngling“, sagte sie sarkastisch, sie liess mich dann aber in Ruhe. *************************************************** Kapitel 66 Seen Der Monat in Unterstammheim ging soweit gut vorüber, anfangs Dezember 1955, war mein Einsatzort wieder die Hauptpost von Winterthur. Aber ich vermisste bereits die grosse Freiheit, die ich als Landbriefträger genoss! Ich war noch auf der Suche nach einem Grund für meine Kündigung auf das Frühjahr 1956. Ich schrieb an die Generaldirektion in Bern, ersuchte um unbezahlten Urlaub für einen Englandaufenthalt. Wieder wurde ich zum Verwalter gerufen, diesmal wegen meinem Gesuch für Sprachurlaub, aber zuerst erteilte er mir eine Rüge, ich hätte den Dienstweg nicht eingehalten! Ich hatte zwar schon vom Dienstweg gehört, aber diesen wohl falsch ausgelegt? 250 251 Ich dachte, es betreffe nur dienstbezogene Angelegenheiten! Aber er belehrte mich dann eines Besseren und zeigte mir den Entscheid: „Als PTT Angestellter benötigen sie kein Englisch, das Gesuch wird deshalb abgewiesen“. Um aktiv zu bleiben, startete ich dann noch ein anderes Gesuch, diesmal auf dem Dienstweg. Ich wollte einen vormilitärischen Morse und Telegraphenkurs besuchen, dafür benötigte ich zwar keine Bewilligung, aber ich sollte eine geregelte Arbeitszeit haben. Auch das wurde mir verweigert, gut, ich hatte nun gute Gründe, im Frühjahr zu kündigen! Doch der Verwalter konnte es nicht lassen, im Lehrzeugnis eine komische Bemerkung zu hinterlassen, indem er den Satz: “Im Wesen etwas seltsam“, schrieb. Da ich mich bei den Noteinsätzen anscheinend bewährt hatte, wurde ich auf den 1. Januar 1956, nach WinterthurSeen, versetzt, das war nicht eine Aushilfsstelle, sondern es galt, den Posten bis auf unbestimmte Zeit zu versehen. Es war die Tour Nr. 5, mit den vielen Aussenstationen. Zu meinem Vorteil war es eine 70% Stelle, was aber auf mein Lehrlingsgehalt keinen Einfluss hatte. Dafür hatte ich nun eine regelmässige Arbeitszeit und auch mehr Freizeit. Einen besseren Job hätte ich gar nicht versehen können. Wir waren ein lustiges Team und während dem Büroaufenthalt war laufend Gelächter. Ich hatte bereits genügend praktische Erfahrung im Zustelldienst, um diese Arbeit kompetent und sicher aus zu führen. Zwei Ereignisse sind mir aus dieser Zeit noch in Erinnerung. Ich musste um 6.00 morgens im Büro sein, von Töss bis Seen fuhr ich mit dem Postvelo, obwohl ich auch mit dem Linienbus hätte fahren können. Es war ein sehr kalter Winter, mit der Uniform erhielten wir auch eine Pelerine. Ich trug die Pelerine über der Uniform, das hatte den Nachteil, dass man die Armzeichen nicht sehen konnte. Der Stadtbus fuhr elektrisch, daher konnte man ihn nicht hören. Ich war auf der Höhe der Post Seen und wollte nach links abzweigen, es war noch stockdunkel, plötzlich ein 251 252 Schlag und Krach, ich wurde auf die linke Strassenseite aufs Trottoir geschleudert, hinter mir der rote Stadtbus! Ich flog mit dem Rad und landete auch so auf dem Gehweg, fiel also nicht zu Boden. Die Busfahrer und der „Billetteur“ stiegen mit entsetzten Gesichtern aus, beide waren heilfroh, dass mir nichts zustiess. Der Fahrer konnte mein Handzeichen nicht sehen, ich zog es daher später vor, statt den Arm auszustrecken, lieber anzuhalten und nach hinten zu schauen. Der zweite Vorfall verlief weniger erfolgreich, ein Stockzahn Schmerzte mich seit Tagen und Wochen, ich war erst einmal in meinem Leben beim Zahnarzt, damals in Konolfingen. Und weil Mutter schon in jüngeren Jahren über ein künstliches Gebiss verfügte, machte ich mir die falsche Überlegung, auch ich würde das gleiche Schicksal erleiden. Also meldete ich mich bei einem Zahnarzt „Venzin“ am Deutweg in Winterhur, ich hatte an den Nachmittagen meistens frei. Statt das Loch reparieren zu lassen, ordnete ich an, den Zahn zu ziehen. Und das wurde zu einem Riesenaufwand für den Venzin. Er fluchte wie ein Holzfäller und murkste im Mund herum wie ein Berserker. Der Zahn wollte einfach nicht herauskommen, weil die Wurzeln nach innen gewachsen und gänzlich im Kiefer blockiert waren! Nach etwa drei Stunden schaffte er es doch noch, er brach mir aber irgendwie den unteren Kieferknochen, weil er den Zahn abdrehte. Die Wunde blutete stark, mit einer Masse sollte die Blutung gestillt werden. Ich zahlte und verschwand, sicher würde ich diesen Zahnarzt nie mehr sehen. Aber es war noch nicht vorbei, als ich am Morgen erwachte, fühlte ich mich völlig kraftlos und hatte den Eindruck, ich läge in einer Badewanne. Nur mit viel Kraftaufwand konnte ich das Licht einschalten, jetzt konnte ich die Bescherung erkennen, alles war voller Blut, das ganze Bett, das Kopfkissen, etc. , und ich fühlte mich miserabel. 252 253 Ich wollte aufstehen, aber das ging gar nicht, ich fiel einfach zu Boden. Ich rief Tante Alice, sie solle die Post anrufen, aber zuerst erteilte sie mir eine Strafpredigt, was für eine Schweinerei ich da angestellt hätte! Ich zahlte sie ja für den Schaden, ich denke, ich blieb noch etwa zwei Tage im Bett, dann hatte ich wieder genug Kraft für die Arbeitsaufnahme. Einen Arzt benötigte ich nicht. ************************************************* Kapitel 67 Eilbote in Zürich Von der Lehrabschlussprüfung sind mir keine Erinnerungen geblieben, sie fand wieder an der Claridenstrasse statt, zuvor hatten wir noch zwei Wochen Unterricht. Ich hatte eine Note im Rang und war zufrieden. Danach verliess ich die PTT, ich hatte bei der Handelsschule Gademann, (Gessnerallee)eine mehrmonatige Vollzeithandelsschule gebucht. Aber mein Geld reichte nicht aus, um ohne Einkommen diese Monate zu überstehen, zudem kamen von zu Hause neue Horrornachrichten, Klara musste ins Spital, um einen Lungentumor operieren zu lassen. Und ich sollte etwas Geld für die Spitalrechnung zurücklegen. Ich musste umdisponieren, meine Schritte damals mögen später seltsam erscheinen, ich musste einfach einen gangbaren Weg gehen, und das konnte nun einmal auch zu Umwegen führen. Ich stornierte meinen Vertrag bei Gademann, das ging problemlos, ich erklärte einfach kurz, dass ich noch minderjährig bin, und meine Unterschrift daher ungültig sei, sollten sie mich betreiben wollen. An der Eierbrechtstrasse, mietete ich bei einer Familie Caduff, ein kleines Zimmer. Dann begann ich bei der Firma Jelmoli, Uraniastrasse, einen Job als „Chasseur“ in der Versandabteilung. Ich blieb nur etwa 3 Wochen, die Arbeit 253 254 sagte mir nicht zu, weil ich von der Post kam, sollte ich die Pakete auf die richtigen Postfahrzeuge verladen. Dann landete ich wieder bei der Post, im Expressdienst der Sihlpost, als Privataushelfer, hatte ich mehr Salär als die Festangestellten. Ich trug nur meine Jeanshose mit Cowboyhemd, am linken Arm eine Armbinde der PTT. Die Arbeit gefiel mir, man konnte fast die ganze Stadt Zürich kennen lernen, Ausnahmen: Oerlikon, Schwammendingen und Altstätten. Dabei fielen mir besonders die vielen Luxusvillen auf, in der City, im Niederdorf, aber besonders am Zürichberg! Im Niederdorf besuchte ich einen Buchhaltungskurs der Firma Hermes in Bern, und im Seefeld den militärischen Vorunterricht. Die restliche Freizeit verbrachte ich fast nur in den Kinos, hauptsächlich im Forum. Es war auch der Zeitpunkt, als ich eine Aufstellung machte, was ich alles noch lernen und studieren wollte, und ich kam auf eine Studiendauer die bis zum 76. Altersjahr reichte! Das Heft behielt ich noch lange auf, aber es war völlig unrealistisch. Seit bald zwei Jahren träumte ich von einem verrückten Vorhaben, mit einem Fahrrad um die Erde radeln. Ich war der festen Überzeugung, dass dies noch nie jemand zuvor ausführte. Es war etwa im Mai 1956, ich streifte wieder einmal um einen Kiosk in Stadelhofen herum, studierte die Bücher im Schaufenster. Da traf mich ein Buchtitel wie ein Blitzschlag, stand doch da zu lesen: „Ich radle um die Welt, von Heinz Helfen“. Selbstverständlich kaufte ich das Buch sogleich, dann noch die Fortsetzung. Einmal mehr musste ich feststellen, dass eben auch andere Leute Ideen haben. Aber ich nahm nun die beiden Bücher als eine Art Lehrmaterial für mich, meine Ambitionen blieben aber bescheidener, ganz abgeschrieben hatte ich das Vorhaben noch nicht. Eines Tages wurde ich zu den beiden Verwaltern zitiert, 254 255 ein Herr Belser und Herr Spielmann, beide wohl schon über 60, sie sassen in ihren grauen Beamtenkitteln im Büro und schauten mich komisch an. Der Belser, der vermutlich höher war, erklärte mir: „Sie haben eine Kleidung, welche dem Ansehen der Post schadet, können sie nicht normale Hosen und Hemden tragen?“ Ich amüsierte mich nur über diese Probleme, antworte kurz: „Ich habe keine anderen Kleider“. Die beiden kriegten rote Köpfe und schauten sich an. Dann entliessen sie mich mit den Worten: „Gut, schauen sie doch, dass sie andere Kleider beschaffen können.“ Ich unternahm natürlich rein nichts. Diese „Bünzli“ konnten mich ja entlassen, wenn ihnen meine Kleider nicht in ihre Greisenköpfe passten. Aber sie liessen mich gewähren, ich kaufte noch mehr Jeans. Kapitel 68 Eva Ich beschloss, auf Ende Juni Zürich zu verlassen, ein Grund dafür war die Rekrutierung, für die ich mich im Kanton Thurgau gemeldet hatte. Freundinnen und Freunde hatte ich keine, abgesehen von einem Kameraden vom Vorunterricht, den ich aber nur während den Trainingsstunden traf. Seinen Namen habe ich vergessen. Heiraten und dergleichen, war absolut kein Thema, ich hatte keine Absicht, jemals zu heiraten, die Zustände zu Hause bildeten dafür eine sichere Barriere. Da war aber noch dieser Geschlechtstrieb, der ständig im Hintergrund wirkte. Ausser ins Kino, ging ich praktisch nie in den Ausgang, 255 256 Geld für die Bars hatte ich keines. Wenn ich aber vom Buchhaltungskurs in Richtung Bellevue lief, passierte ich auch am Restaurant zum Eckstein. Dort standen nachts ein paar Frauen vor dem Lokal und zeigten sich willig, eine Brünette sprach mich an, 20.- Franken koste bei ihr zu Hause der Liebesdienst, liess sie mich wissen. Ich hatte aber nur etwa 15.- Franken auf mir, sie schlug vor, doch am nächsten Abend wieder zu kommen. Und das tat ich auch, unsicher suchte ich nach der „Braunen“, konnte sie aber nicht finden. Da spricht mich plötzlich eine „Blonde“ an: „Kennst du mich nicht mehr?“ Ich schaute sie erschrocken an, erkannte die „Braune“ vom Vorabend. „Aber gestern hattest du doch braune Haare“, sagte ich unsicher. Sie lachte und meinte, das mache eben ihren Job aus. Wir liefen zu ihrem Auto, sie fuhr in Richtung Stauffacherstrasse, irgendwo in einer der Seitenstrassen hatte sie ihre Wohnung. Ich war unglaublich nervös, hatte ja noch nie Sex mit einer richtigen Frau. Und Mut hatte ich mir auch nicht angetrunken, das war vielleicht ein Fehler? Sie hatte ein sehr schönes Zimmer, mit Lichtern in verschiedenen Farben, ohne lange zu zögern, zog sie sich völlig nackt aus. Ich muss wohl grosse Augen gemacht haben, denn sie fragte mich: „Ist es das erste Mal?“ Etwas beschämt nickte ich, dann kam noch eine Frage, auf welche ich nicht vorbereitet war: „Aber gell, du bis 18 gewesen?“ Ich war so überrascht, dass ich nur meldete: „Ja, ja, ich muss im Winter in die RS“. Das war nicht gelogen, ich erwähnte natürlich nicht, dass ich vorzeitig gehe. Sie war beruhigt, weil sie sonst ein Risiko eingegangen wäre, Sex mit Personen unter 18, war strafrechtlich verboten. Nun ja, mir fehlten damals noch 3 Monate. Die Eva, welche einen sehr schönen Körper hatte, war sehr nett zu mir, sie gab sich grosse Mühe, erklärte mir den weiblichen Körperbau, als wäre ich in der Anatomiestunde. Auch ich hatte mich ausgezogen, etwas zögernd, aber Eva, die ich auf etwa 25 Jahre schätzte, war ein „Profi“, sie verstand es meine Schlaffheit zu mobilisieren, erst dachte 256 257 ich, das werde ein grosser Flop, aber Eva kannte schon einige Tricks, und sie schaffte es, doch noch einen erfolgreichen Abschluss zu bewerkstelligen. Zum Abschied gab sie mir noch einen Rat: “Weißt du, wir sind eigentlich nicht für junge Männer wie du da, sondern für jene, die keine Frau finden können, schaue dich doch nach einer netten Freundin um!“ Ich dankte ihr und küsste sie auf die Wange. Sie hatte aber in mir fast genau das Gegenteil ausgelöst, irgendwie war ich sogar in sie verliebt, und ich wollte eigentlich keine andere suchen, sah sie aber nie mehr, weil ich dann Zürich verliess. Damals, Mitte der Fünfzigerjahre, traf man in Zürich fast nur auf Prostituierte aus dem Kanton Zürich, oder den angrenzenden Kantonen. *************************************************** Kapitel 69 Fabrikarbeiter Ende Juni 1956, verabschiedete ich mich von Zürich, wohnte nun wieder mit der Familie in Märstetten. In Weinfelden konnte ich eine Anstellung bei der Firma Winzeler, Ott & Co., als Arbeiter in der Textildruckerei antreten. Wir waren ein Viererteam, der Vorarbeiter, zwei junge Deutsche aus Konstanz, und ich als der jüngste Arbeiter Die beiden Deutschen, 20 und 24, waren gute Kollegen und arbeiteten hart, sie kannten sich aus der Fremdenlegion, wo sie kurz zuvor nach vier Monaten Dienst desertiert waren. In „Sidi-Bel-Abes“, soll damals, etwa 1954/55, auch der bekannte Sänger Freddy Quinn, aufgetreten sein und auch das Lied der „Legionär“ vorgetragen haben. Ich kaufte damals alle Schallplatten von ihm. Die zwei konnten mir viel aus dem Leben eines Legionärs erzählen, was für mich damals sehr bedeutend war. Die Legion war dann nicht 257 258 mehr unter den primär angesteuerten Zielen, so gesehen waren sie für mich wichtige Berater. Noch 1954, als in der LWB Unterschriften gegen die Legion gesammelt wurden, weigerte ich mich als einziger Lehrling, zu unterzeichnen. Die beiden Deutschen legten die Farbschablonen auf die Textilien, rieben einmal hin und einmal her, dann kam der nächste Abschnitt. Danach war es an mir, die Schablone schnell zu reinigen, damit sie wieder einsatzbereit war. Wir verrichteten das immer mechanisch mit demselben Ablauf, das erlaubte uns auch, zwischendurch Gespräche zu führen. Mit der übrigen Belegschaft hatten wir wenig Kontakt, es herrschten die damals üblichen Hierarchiestufen, unten die Arbeiter, in der Mitte die Herren in den Büros, die uns weder grüssten noch beachteten, und die Alphabonzen ganz oben, die Inhaber, Machthaber und Herren der Schöpfung. Im Juli war ein Geschäftsausflug auf den Bürgenstock geplant, es wurde ein sonniger Tag und man blieb klassenbewusst unter sich. Während meiner Freizeit studierte ich emsig am Privatdetektivkurs. Und im Jungschützenkurs schaffte ich endlich eine Auszeichnung. Das war ein richtiger Aufsteller, war ich doch eher ein schlechter Schütze. Ein grosser Traum war damals natürlich ein eigenes Auto zu besitzen, ich sparte deshalb Geld, um sogleich nach meinem 18. Geburtstag mit der Autofahrschule beginnen zu können. Ich nahm Fahrlektionen bei einem Fahrlehrer in Weinfelden, dieser holte mich nach Fabrikschluss beim Bahnhof ab, er hatte einen grossen Chrysler Wagen, es war herrlich damit zu fahren, erst fuhren wir die Weinbergstrasse hinauf Richtung Ottoberg. Später auch bis Frauenfeld, die Strasse war meistens ohne jeden Verkehr, so fuhr ich das erste Mal ohne Gegenverkehr bis nach Frauenfeld. Beim zweiten Mal aber, sah ich bei der Brücke nach Müllheim, ein Auto entgegen kommen, ich dachte, wir kommen nicht aneinander vorbei! Ich faste mich und schaute nur geradeaus, es musste ja klappen, und der andere brauste problemlos an uns vorbei. 258 259 Anfang August meldete ich mich an, erhielt aber nur die Meldung, der Lehrfahrausweis werde mir am 24. August 1956, ausgeliefert, kein Tag vorher! So war es dann auch, ich genoss die Fahrstunden bis Oktober, dann war mein Budget erschöpft, immerhin kostete mich eine Fahrstunde rund ein Tagesgehalt! Der Fahrlehrer wollte mich aber noch nicht an die Prüfung Anmelden, weil er der Ansicht war, es fehle mir noch an der nötigen Fahrpraxis. Im September hatte es frühmorgens bereits Nebel auf der Strasse nach Weinfelden. Jeden Morgen raste ein Motorradfahrer im Höllentempo an mir vorbei in Richtung Frauenfeld. Es hiess angeblich Kressibucher und kam von Berg bei Weinfelden, hatte Frau und Kinder. An einem nebligen Morgen wurde ich ausgangs Märstetten von jungen Männern angehalten, ich erblickte einen Lastwagen, daneben auf der Strasse lag ein toter Mann in Ledermontur, neben ihm ein zerstörtes Motorrad! Der Unfall war nur wenige Sekunden zuvor geschehen, die jungen Männer des Lastwagens schienen traumatisiert zu sein, einer eilte zur Station Märstetten, um die Polizei anzufordern. Ich schaute der Blutspur nach, welche sich langsam in Richtung Strassenrand bewegte. Es war eine unheimliche Stimmung und das Bild blieb nicht nur den ganzen Tag in mir haften, sondern auch noch später. Klara wurde bereits zweimal operiert und musste dann rund ein halbes Jahr nach Davos in ein Kurhaus, ich denke, das zahlte die Krankenkasse, ich schloss meine auch im Jahr 1955 bei der Helvetia ab, im Jahr 2005, warf mich dann die Nachfolgerin der Helvetia, die Helsana, nach 50 Jahren Mitgliedschaft, einfach aus der Versicherung, (wegen meinem Zweitwohnsitz im Ausland) das nennt man Solidarität. Dann war da noch ein Fernziel, ich las, dass man in den USA willkommen war, sofern man sich bereit erklärte, dort in die Armee einzutreten, ab dem 18. Altersjahr war das möglich. Nach der Rekrutenschule in der 259 260 Schweiz, wollte ich meinen Koffer packen und nach Kalifornien auswandern, vorausgesetzt, das Soldatenleben gefiel mir. Der Armeedienst in den USA, versprach danach das US-Bürgerrecht, und ich sah bereits den Horizont in Kalifornien in den schönsten Farben! Kapitel 70 Diensttauglich Der 10. August 1956, der war für mich ein besonderer Tag. Ich wurde zur Rekrutenaushebung in Frauenfeld aufgeboten, und es war zugleich der 11. Geburtstag von Klara. Die Turnprüfung glückte nicht ganz, im Schnell-Lauf reichte es nur für die Note 2, aber nur wer zu den Grenadieren wollte, musste alles „Einer“ haben! Ich wollte Füsilier werden, weil ich zuvor den Film mit Audi Murphy, „Zur Hölle und zurück“ im Kino bewunderte, Murphy war der am meisten dekorierte Soldat der Amis im 2. Weltkrieg. Er war zuletzt in Guam und Saipan, wo die Japaner grossen Widerstand leisteten, und er war Ende des Krieges mit 19 Jahren Zugführer bei den Marinefüsilieren! Der wurde nun zu meinem Vorbild, ich hatte mir fest vorgenommen, mich freiwillig zur Infanterie zu melden. Nach der Turnprüfung folgten die medizinischen Abklärungen. Plötzlich wurde mein Name aufgerufen, ich musste mich bei den Ärzten melden, was war los? „Hatten sie als Kind eine doppelte Lungenentzündung?“ fragte mich der Mann, angeblich waren beide Lungenflügel voller Narben! Ich wusste nichts dergleichen, aber möglich war das schon, hatte ich doch oft Krankheiten mit hohem Fieber, die ich jeweils in einem Monat auskurierte, ohne Arzt und Medizin. Sie sagten mir, ich wäre vermutlich „Untauglich“, sie wollten aber nochmals genau durchleuchten. 260 261 Mich traf das wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, das Wort „Untauglich“ gab es in meinem Wortschatz nicht. Nein, das durfte nicht sein, also abwarten! Ich wartete gespannt bis ich wieder aufgerufen wurde, und jetzt war ich „Diensttauglich“, allerdings als Grenzfall. Das Mittagessen bestand aus Brot und St. Galler Schüblig. Am Nachmittag hiess es vor den drei Obersten der Aushebungskommission anzutreten. Wir waren zwei mit dem Jahrgang 38, der andere war ein Student der Rechte und hiess „Benno Schulthess“, er war aber im Frühjahr geboren und so war ich der jüngste aller Rekruten. Der Oberst sagte uns allen zuvor: „Am besten meldet ihr euch freiwillig zur Infanterie, es gibt nur wenige andere Möglichkeiten, ihr seid eben die letzten in diesem Jahr und könnt nicht mehr gross auswählen!“ Ein Murren ging durch die Anwärter, mir konnte es egal sein. Wir, vom Jahrgang 38, wurden zuerst aufgeboten, der Benno war 183 cm gross, und war darum als erster dran, auch er meldete sich mit lauter knapper Stimme zur Infanterie als Füsilier. Ich tat es ihm gleich, die Herren Obersten waren hocherfreut und erfüllten uns die Wünsche. Weil ich das Dienstbüchlein bereits Ende 1955 erhielt, war als Beruf „Postangestellter“ eingetragen, die Herren wussten nicht, dass ich zur Zeit nicht bei der Post war, darum fragte mich einer:„Möchten sie nach der RS zur Feldpost?“ Ich sagte sogleich nein, etwas, was ich später sehr bereute. Kapitel 71 Und wieder bei der Post „Wer bei der PTT kündigt, kann nicht wieder angestellt werden“, so lauteten die Anstellungsbedingungen. 261 262 Ich kannte diese Vorschrift, versuchte es aber trotzdem und schrieb einmal mehr an die Generaldirektion in Bern. Ich wollte in die Winterrekrutenschule anfangs Februar 1957, damals zahlte nur der Bund den vollen Lohn während den militärischen Diensten. Gut vier Monatsgehälter waren nicht zu verachten, deshalb dieser Versuch. Und es gelang, ausnahmsweise wurde ich wieder angestellt, auf den 1. Oktober 1956, genau wie ich das gewünscht hatte. Ich war mir auch bewusst, dass es diesmal auch das allerletzte Mal sein werde. Gleichgültig, wie es in der Armee ausgehen könnte, spätestens im Frühjahr 58, wollte ich mich wieder von der PTT verabschieden, diesmal für immer! Ich war nicht wenig erstaunt, dass man mich wieder auf den bereits bekannten Posten in Winterhur-Seen, versetzte. Einen besseren Job hätte ich wohl kaum erhalten können. Was der Verwalter nicht wissen konnte, anfangs Februar 57, musste ich in die Rekrutenschule einrücken. Den Marschbefehl erhielt ich im November und brachte ihn ohne Kommentar dem Verwalter. Ich war gespannt, was der dazu sagen würde, aber er sagte rein nichts. Die Armee war damals eine heilige Kuh, da konnte auch die Post nichts dagegen halten. In Ungarn ging ein blutiger Aufstand los, Zivilpersonen schossen mit leichten Waffen auf die russischen Panzer, ich verfolgte diesen Krieg mit gemischten Gefühlen, schon immer nahm ich Partei für die schwächere Seite, also hier für die antisowjetischen Rebellen. Aber diese wurden von den Panzern niedergewalzt! Ich war entrüstet, mit welcher Brutalität vorgegangen wurde, nein, das konnte nicht der Sozialismus sein, den ich mir vorgestellt hatte. Ich löste mich von der linkskommunistischen Front! Nicht alle Menschen konnten gleichgestellt werden, aber alle sollten die gleichen Chancen haben! Später wurde ich Mitglied beim „Landesring der Unabhängigen“. Meine Sympathien sowohl für sehr linke, wie auch extrem rechte Bewegungen schwanden, ich näherte mich immer mehr in eine „Mitte Links“ Position. 262 263 Was mich dann aber etwas sauer machte, waren die vielen Flüchtlinge aus Ungarn, sie arbeiteten bei der Post, sprachen kaum Deutsch, konnten aber mit Hilfe des Bundes problemlos in den Universitäten studieren, während man uns, als Bürger dieses Landes, von solchen Privilegien ausschloss! Ich kam auch aus dem Ausland, aber kein Schwein interessierte das, bei mir hiess es kaltschnäuzig:“Was, sie wollen mit ihren fünf Jahren Primarschule eine KV-Lehre absolvieren, werden sie doch lieber Walzenführer im Strassenbau!“ Ich überlegte mir ernsthaft, ob ich auch mit ein paar Brocken Deutsch, mich als Flüchtling profilieren sollte? Sicher könnte ich es mit diesen Ungarn aufnehmen, und mit Stipendien auf Staatskosten ein Studium absolvieren! Kapitel 72 Lehrer als Sadist Es war im Herbst 1956, ich war zu Besuch bei der Familie in Märstetten. Klara besuchte wieder die Schule und konnte trotz einem Jahr Unterbruch, in der gleichen Klasse weiter machen. Sie war sehr fleissig, pflichtbewusst und eine vorbildliche Schülerin. Umso mehr waren wir alle bestürzt, als sie uns meldete, sie sei vom Lehrer ins Gesicht geschlagen worden, weil sie eine Frage falsch beantwortet habe, dabei konnte sie die richtige Antwort nicht wissen, weil sie zu lange abwesend war. Klara war tief traumatisiert, sie konnte nicht verstehen, dass ein Lehrer zu einer solchen Tat fähig sein konnte. Auch ich war sehr aufgebracht, konnte aber den Lehrer Alder aus Zeitmangel nicht persönlich aufsuchen, ich ersuchte daher Mutter, dies zu tun. Ich weiss nicht, ob sie ihn sprach, da ich wieder zurück nach Winterthur musste. 263 264 Klara war auch körperlich sehr geschwächt, und schon bald musste sie wieder operiert werden, im Uni-Spital Zürich, hiess es, sie habe Ableger, aber wir konnten damit nicht viel anfangen. Klara wurde dann auf längere Zeit ins Spital Münsterlingen, am Bodensee, verlegt, dort besuchte ich sie anlässlich des grossen Urlaubs im Frühjahr 1957. Sie sah sehr krank aus, hatte aber den Lebenswillen noch nicht verloren. Ich war auch zuversichtlich, dass sie wieder ganz gesund werden musste. Der Zwischenfall in der Schule mit dem Sadistenlehrer, liess mir keine Ruhe, jedes Mal, wenn ich in Märstetten war, erzählte ich diese traurige Geschichte den Leuten, die ich antraf. Ich bin nicht sicher, ob sich der Lehrer Alder dafür entschuldigte, aber Ernst erzählte mir noch kurz vor seinem Tod, (am 24.08.1999), dass er im 8. Schuljahr, dem Alder die Faust ins Gesicht geschlagen habe, und ihn wissen liess, das wäre die Antwort für sein Vergehen an Klara gewesen! Ob es zutraf oder nicht, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, ich dankte ihm auf jeden Fall für seinen Einsatz! Es war eher selten, dass ich ihm im Laufe seines Lebens ein Kompliment machen konnte. Hinweis: Sowohl im Herbst 56, wie auch im Herbst 57, arbeitete ich bei der Post in Winterthur, und ebenso war Klara in diesen Jahren meistens im Spital, abwechslungsweise auch wieder in der Schule. Es ist daher durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich obiger Vorfall auch im Jahre 1957 zugetragen haben könnte? ************************************************* Kapitel 73 Die Rekrutenschule 264 265 Wohl nie zuvor und auch nicht danach, machte ich mir von etwas eine derart falsche Vorstellung wie vom Militärdienst. Mit geradezu kindlicher Freude rückte ich mit einem 3 mm Haarschnitt in die Kaserne St.Gallen ein. Man schrieb den 11. Februar 1957, es herrschte kaltes, trockenes Wetter. Da standen wir nun vor der Kaserne, an die 250 junge Männer aus den Kantonen Thurgau und St.Gallen. Korporale hetzten umher, und auch einige Offiziere schauten kritisch zu uns hinüber, so, als wären wir eine Schafherde, die es zu scheren galt. Dann kam der Appell, sämtliche Namen wurden aufgerufen und die meisten waren anwesend, wir mussten uns in einer Reihe aufstellen, der Oberleutnant, schritt die Reihe ab und brummelte fortlaufend etwas, als er näher kam, konnten wir ihn verstehen: „Füsilier, Panzerabwehr, Mitrailleur“. Dem kleinen Burschen neben mir sagte er „Mitrailleur“, dann schaute er mich an, ging zurück zum kleinen und sagte ihm: „Sie Füsilier, und Sie Mitrailleur“. Letzteres zu mir, der nächste war auch Mitrailleur, und dieser begann zu fluchen. Ich fragte ihn, was dabei nicht gut sei? Er meinte: „Das ist die Hölle, mein Bruder war bereits bei den Mitrailleuren im Feuerzug“. Ich konnte mich also auf etwas gefasst machen! Wir wurden dann zu unseren Unterkünften geführt, 36 Rekruten in einem Raum, der sogenannte Feuerzug, zwei Gruppen Panzerabwehr und zwei Mitrailleure. Dann wurden wir ins Zeughaus gehetzt, fassen der Uniformen und Ausrüstungen, des Karabiners, Rucksack und die Mannschaftsausrüstung. Am späteren Nachmittag wurden wir unserem Korporal zugeteilt, einen unsympathischeren Kerl konnte ich mir nicht ausdenken, wir mochten uns von der ersten Minute an nicht leiden. Ich war zwar sehr müde, konnte aber bis um 4 Uhr früh nicht einschlafen. Um 6.00 war Tagwache, und der Korporal 265 266 (Kpl. Büttler) schrie und brüllte herum, so dass wir uns wie in einem Straflager vorkamen. Ich habe nie im Leben ein derartiges Gebrüll erlebt, wir schauten uns nur stumm an, sprechen war verboten. Kalt waschen, anziehen und Frühstücken, dann ausrücken und es begann der Alltag in der Kaserne. Ich versuchte es mit einem Trick, reihte mich einfach beim andern Korporal ein, den ich sympathisch fand. Aber es gelang nicht, da wir in unseren Ex-Uniformen alle gleich aussahen, wusste der Korporal nicht, wer überzählig war, ich hatte verloren, er fand es heraus und schickte mich zum andern zurück! Dann erschien auch unser Zugführer, und der war noch ein üblerer Kerl, als der Korporal, ein Sadist von nahezu 2 Metern Körperlänge. Die ersten drei Wochen machte ich trotzdem eifrig mit, aber dann verflog meine Begeisterung fürs Militär. Schon am ersten Wochenende durfte ich Wache schieben, ich hatte keine warme Unterwäsche, nur die Uniform, draussen fiel Schnee und jede zweite Stunde mussten wir auf Wache. Ich schlotterte wie ein Windhund, fror die ganze Nacht durch und war dann auch noch erkältet. Aber ich meldete mich nicht ins KZ (Krankenzimmer). Von frühmorgens bis Spätabends wurden wir wie die Hasen herumgehetzt, mussten mit verbundenen Augen im Kreis herum laufen und dabei die Maschinenpistole laden und entladen, oder den Karabiner laden und entladen. Kein Tag ohne Kampfbahn und stundenlangen Gewehrgriffübungen! Zugschule, Kompanieschule und Turnstunden. Der Korporal mass sich dabei an, uns am Arm zu schupsen, wenn er der Ansicht war, wir könnten schneller laufen. Bei mir war er an der falschen Adresse, schon seit Tagen war meine Stimmung geladen, und es kam der Moment, als er auf dem Areal der Kreuzbleiche wieder einmal zu hetzen begann, er trabte links von mir und stiess mich an den linken Oberarm, in diesem Augenblick schlug ich ihm meine linke Faust mitten ins Gesicht, lief munter weiter, ohne dass die andern etwas davon mitbekamen. 266 267 Er hatte meine Sprache verstanden, denn es wäre mir nicht schwer gefallen, ihm bei einer Nachtübung den Karabiner über den Schädel zu schmettern. Er liess mich fortan in Ruhe und hielt sogar einen gewissen Abstand zu mir, für mich war das ein Status quo. Ich konnte damit überleben und er auch. Wir verloren nie ein Wort darüber und es war ihm vermutlich bewusst, dass er keine andere Wahl hatte, denn wir hatten nie direkten Wortabtausch vor den anderen Rekruten. So musste er sich auch nicht herausprofilieren. Der Gruppenführer war ein primitiver Mensch, der Zugführer ein wahrer Sadist, dafür war der Kompanieführer ein vorbildlicher Mensch, den ich auch respektieren konnte, und nur Dank ihm verblieb ich bei diesem Sauhaufen. Ich war nämlich der Ansicht, ich wäre freiwillig in der RS, und könne gehen wann ich wolle, das war allerdings ein Irrtum. Die zweimonatige Kasernenausbildung war noch einigermassen komfortabel, das Essen ausser ordentlich gut, und wir hatten auch viel Ausgang! Dann brachen wir auf in die Schiessverlegung nach Appenzell, mit der Vollpackung auf dem Rücken, alle 50 Minuten eine 10-Minutenpause, das war herrlich. Weniger herrlich war dann der Aufenthalt, sämtliche 120 Rekruten lagen in einem Raum auf Stroh, es herrschte eine stickige, Luft und es roch nach Fussschweiss. Jeden Morgen hiess es mit MG, Munitionskisten etc. zu Fuss nach Weissbad zu laufen. Dort hetzte uns der Zugführer den ganzen Tag in den sumpfigen Feldern herum, immer beladen mit 20 bis 50 Kilos, und wenn wir die Zeit nicht schafften, mussten wir die Munition am Abend wieder hinunter tragen. Die schwächeren von uns blieben dabei oft bewusstlos liegen, einmal erschien der Schulkommandant, wir merkten es gar nicht, dass einer fehlte, dieser lag ohne Bewusstsein am Wegrand, der Oberst fluchte den Sadisten zusammen, was das bedeute, führte den Bewusstlosen mit seinem Wagen ins Spital. 267 268 Die Schelte half aber nichts, schon wenig später sackte einer von uns auf dem Weg in die Unterkunft, mitten im Dorf Appenzell, bewusstlos zusammen, er trug ein 45 Kilo Munitionsreff, die Leute fluchten den Zugführer an, er wäre ein Menschenschinder. Das war er auch, doch der kümmerte sich nicht weiter darum. Es war die Zeit, als einige von uns den Vorschlag machten, man sollte den Kerl erledigen. Auch ich war gleicher Ansicht, aber ich äusserte mich nicht dazu, denn, sollte er mir in einer Nachtübung vor das Gewehr kommen, könnte sich leicht ein Schuss lösen, aber der musste den Braten gerochen haben, er exponierte sich nie! Es gab unzählige Episoden, die man gar nicht alle aufzählen kann, unsere Ausrüstung war recht primitiv, Patronentaschen, Nagelschuhe, Wadenbinden! Wenn wir durch den hohen Schnee wateten, lösten sich die Wadenbinden und der Hintermann tritt darauf, das hatte dann zur Folge, dass sich die ganze Binde von den Beinen loslöste, was wiederum mit viel Flüchen quittiert wurde. Die Winter RS fand in Eis und Schnee statt, noch Ende Mai wurden wir im Appenzellerland eingeschneit. Es folgte die Verlegung ins Toggenburg, genauer nach Unterwasser. Jeden Tag hinauf auf die Alp „Camplüt und andere Orte, und immer wie ein Lastesel beladen, dann schnitt ich mir beim Frühstück mit der Konservendose noch tief in den Finger, ich war moralisch auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Da fragte mich der Feldweibel, ob ich die Feldpost übernehmen möchte, ich war schliesslich Pöstler. Natürlich sagte ich freudig zu, aber schon am Abend kam die kalte Dusche. Nein, Rekrut RB könne nicht abkommandiert werden, den benötige man als Lastenträger. Für einen Augenblick wollte ich desertieren, das war nun zuviel für mich! Aber ich blieb! Eine Nachtübung auf der Alp Camplüt blieb mir in Erinnerung, es galt, sich nachts einschneien zu lassen, 268 269 dann, am frühen Morgen den Angriff zu starten. Den ganzen Tag hoben wir tiefe Schützenlöcher aus, erst regnete es, dann begann es leicht zu schneien, unsere Uniformen waren durchnässt, die Verpflegung war kalt. Dann hiess es die Nacht im Schützenloch zu verbringen. Mit mir war ein kleiner Rekrut, keine Ahnung, weshalb der Mitrailleur war, er war für uns nur eine Belastung. Ich nannte ihn Halbweib, weil er kein Soldat war, und der Kerl verdarb mir die ganze Nacht, indem er andauernd weinte und flehte, er werde erfrieren und sterben. Ich fluchte ihn an, sagte ihm, er wäre schlimmer als ein Weib, er werde nicht krepieren und den Morgen erleben. Man muss aber erst einmal eine solche Nacht durch gelebt haben, weil es um unsere Gesundheit nicht gut stand, sickerte das Gerücht durch, die Pferde wären unterwegs mit Wolldecken, aber die kamen nie an, angeblich konnten sie unsere Alp nicht erreichen. Gegen den Morgen begann ich selber zu zweifeln, ob ich diese nasse und kalte Nacht überstehen könne? Die Uniform war buchstäblich am Körper festgefroren, und wir zitterten die ganze Nacht wie Espenlaub. Schon einmal erlebte ich, dass ich die Kälte bis auf die Knochen spüren konnte, es war in Unterwasser, der Korporal befahl bei einer Übung, ich müsse in einem Strassengraben hinter dem MG liegen, als Tarnung wurde ich mit Schnee zugedeckt. Das ging solange gut, bis die Sonne den Schnee schmelzen liess, dann rann das kalte Schmelzwasser unter mir durch, nach einer halben Stunde konnte ich mich kaum noch bewegen, meine Knochen waren erstarrt! Ein Rekrut warnte mich, dass dies im Alter Knochenschmerzen auslösen werde, er sollte Recht behalten. Wir überlebten alle diese schreckliche Nacht, gegen Mittag wurde die Übung abgebrochen, wir krochen aus den Löchern, die Uniformen voller Lehm und Erde, und wir fühlten uns wie uralte Greise, schmerzende Glieder und total erschöpft. Wir machten einen derart schlechten Eindruck, dass der Kommandant beschloss, wir sollten 269 270 eiligst ins Tal hinunter, duschen, verpflegen und dann ruhen! Wir alle dachten, wir würden sicher krank werden, aber oh Wunder, kein einziger musste aussetzen! Die nächsten drei Wochen verbrachten wir auf der Schwägalp, natürlich wanderten wir von Unterwasser bis dorthin zu Fuss, noch einen guten Monat und das ganze Theater war vorbei. Auf der Schwägalp wurden wir täglich durchgedrillt, der Sadist hatte keine zivile Zuschauer, die ihn daran hätten stören können. Schon seit Tagen verlangte er von uns, dass wir eine Strecke durch Sumpfgebiet bis zur Krete hinauf in fünf Minuten schaffen mussten, es war einfach unmöglich mit all den schweren Waffen und der Munition. Der Sadist empfand das als Meuterei und hatte einen Straftag für uns vorgeplant. Den ganzen Tag wurden wir fast pausenlos durch den Sumpf gehetzt, ohne jemals die geforderte Zeit zu erreichen! Gegen Abend bewegten wir uns nur noch wie Greise und waren total am Ende. Doch der Sadist versprach uns noch einen spannenden Abend. Die Füsiliere durften ihre LMG und MP Waffen, zurück lassen, ihnen wurde gesagt, die Mitrailleure hätten heute einen guten Tag und würden diese in die Unterkunft tragen. Die Nacht war bereits hereingebrochen und wir rannten immer noch auf der Alp herum, dann befahl der Sadist, wir sollten ausser unseren schweren Waffen, auch noch die leichten Waffen der Füsiliere übernehmen. Dann kam die neue Schikane, der Weg war voller Steine und diese waren vom Regen nass, so, dass man leicht ausrutschte! Der Sadist befahl, dass er keine Abstände dulde, sonst müssten wir zurück auf die Alp und wieder neu beginnen. Immer wieder fiel einer unter den schweren Lasten hin, der Abstand war da und wir konnten wieder zurück. Erst gegen 23 Uhr durften wir dann endlich einrücken, aber zuerst mussten wir noch unsere Waffen und jene der Füsiliere reinigen! Dann, um Mitternacht, durften wir 270 271 verpflegen, doch kaum einer konnte noch essen, wir warfen uns auf die Feldbetten und schliefen sogleich ein. Viele der kleineren Schikanen habe ich vergessen, und es würde auch zu weit führen, diese 08/15 RS im Detail zu schildern. Wir wussten, dass wir am 8. Juni nach Hause entlassen wurden, es gab zwar Gerüchte, wonach wir möglicherweise gleich in den Aktivdienst übertreten könnten, weil die Sowjets angreifen würden. Und ich war dafür in der richtigen Einheit, der Schützen KP III/7, der 7. Division,(später Grenzdivision) wir waren zum Schutz der Ostgrenze vorgesehen, unser Korporal konnte es nicht lassen, uns täglich daran zu erinnern, dass wir die allerersten Soldaten wären, die Feindberührung haben werden. Ich war ein schwacher Läufer und ein schlechter Schütze, dafür aber einer der besten beim Gewehrgriffritual und auch als MG-Schütze. Wenn es galt, mit scharfer Munition über die stürmenden Füsiliere zu schiessen, war das immer eine Mutprobe, keiner wollte das Risiko eingehen, ich tat dies immer freiwillig. Dabei entwickelte ich eine Technik, die eigentlich verboten war, doch niemand konnte es sehen. Wir schossen meistens mit Leuchtspurmunition, dadurch konnte ich die Einschläge sehen und während dem Schiessen die Garben ins Ziel leiten, indem ich mit der Schulter nachhalf. Und ich traf immer! Dies ist verboten, weil es vorkommen kann, dass man zuviel schiebt und dann die Geschosse die eigenen Leute treffen! Im Toggenburg war die Zürcher Rekrutenschule stationiert, in der letzten Woche trugen wir Kriegsspiele mit ihnen aus. Finnische Offiziere waren zu Besuch, frühmorgens mussten wir zwei MG Schützen mit dem Kadi und unseren Helfern auf die Passhöhe eilen, der Kerl, der schon mit mir im Schützenloch zum Problem wurde, klammerte sich an meinen Gurt und ich musste den Idioten auch noch mitschleppen. Das machte mich völlig fertig, aber wir schafften es doch noch. Oben lag alles im Nebel, da hörten wir aus dem Nebel die Schreie der anstürmenden Zürcher. 271 272 Rechts von mir standen gegen 10 hohe Offiziere, einige davon Finnen, vor uns tauchten die „Feinde“ aus dem Nebel auf, wir schossen wie wild aus dem Hüftanschlag, diesmal allerdings blinde Munition. Ich verschoss Gurte um Gurte, ein feindlicher Korporal tauchte vor mir aus dem Nebel, brüllte mich an, weil ich weiter schoss, der zog sich wieder zurück, denn bis auf 20 Meter waren die Splitter nicht ungefährlich. Wir waren plötzlich vom Feind umzingelt, die Schiedsrichter erklärten uns für „Tot“. Ich hatte praktisch alle Munition verschossen, auch der Leo, der andere MG Schütze. Der Pulverdampf machte uns ganz verrückt, aber niemand machte eine Vorhaltung wegen nicht Einhaltung der Abstände. Im Gegenteil, die Finnen waren hell begeistert von unserem Einsatz! Dass alles wie echt erschien, das erfuhren wir, als der Kadi seinen Funker suchte, der war einfach verschwunden. Wir fanden ihn in einer Hütte, ganz hinten am Boden liegen, kreidebleich und er machte einen gestörten Eindruck. Ich musste laut lachen, wie würde denn der im Ernstfall reagieren? Ich war schon damals der Ansicht, dass gut die Hälfte der Soldaten für den Kriegsdienst untauglich sind, ich nannte sie die Weiber. Von der anderen Hälfte, schätzte ich, dass hier nochmals die Hälfte nur bedingt nützten, und vielleicht 10 bis 20% waren wirklich kriegstauglich. Eine Übung mit scharfer Munition imponierte mir auch, von Urnäsch aus schoss die Artillerie über uns, dann die Minenwerfer, weiter vorne die Mitrailleure und schliesslich die Füsiliere, es war grossartig, wie alles abgestimmt war, und es gab bei allen diese Übungen nie Unfälle! Unfälle hatten wir nur wenige, einmal an einer Alarmübung, um 3 Uhr früh mussten wir in Richtung Herisau, ausrücken. Dort galt es, die eingegrabenen Feinde zu bekämpfen, einer von der ersten Kompanie nahm das zu wörtlich, beim Sturm auf die Stellungen, schoss er einem Rekruten die Wange weg, er hielt ihm den Karabiner direkt ins Gesicht und 272 273 drückte ab. Damals hatten wir noch die grünen Holzzäpfen, es war nicht erlaubt, unter 20 Meter Distanz auf Leute zu schiessen. Die meisten Unfälle geschahen mit den gefährlichen Suomi Maschinenpistolen. Dem Kadi der ersten KP, schoss ein Rekrut eine ganze Serie in den Magen, er überlebte. Einmal, beim Scharfschiessen mit der MP, fiel während dem Schiessen plötzlich das Magazin aus der Halterung. Der Sadist drohte mir mit scharfem Arrest, doch ich wehrte mich mit dem Hinweis, dass es sich um einen Materialfehler handle! Es kam fast jedes Mal vor, dass die Halterungen versagten. Wir durften dann zu Fuss von der Schwägalp bis nach St.Gallen, laufen, natürlich während der Nacht als Gefechtsübung. Und es regnete wieder einmal ununterbrochen, wir lagen die ganze Nacht bei Urnäsch hinter unseren MGs, und zitterten in den Morgen hinein. Kleider durchnässt, wenig Schlaf, müde und ausgelaugt, humpelten wir bis nach Herisau. Dort angekommen, jagte uns der Major Vetsch über die Wiesen, wir seien ein dreckiger Sauhaufen, gegessen hatten wir auch noch nichts. Da tat unser Kadi etwas, was wir ihm sehr hoch anrechneten, er verweigerte den Befehl des Majors, uns weiter zu schinden und wir durften endlich verpflegen! Wir waren derart auf dem Hund, dass man beschloss, uns in der Kaserne Herisau, für eine Nacht unter zu bringen. Und wir mussten feststellen, dass diese Kaserne viel moderner war, als die unsere. In St. Gallen. Am nächsten Tag liefen wir dann nach St.Gallen, die letzte Woche war noch mit der Schlussinspektion durch den Oberstkorpskommandanten Annasohn, ein Höhepunkt. Wir standen schon lange auf dem Kasernenplatz, endlich erschienen die hohen Tiere, der Annasohn wollte einen Gewehrgriff sehen, und ich wurde aufgerufen, als einziger der RS musste ich einen hervorragenden Gewehrgriff bieten! 273 274 Es konnte nur schief gehen, mir war alles gleichgültig, ich wollte ja auch nicht weitermachen, und sollte ich nun versagen, man konnte mich nur noch drei Tage schikanieren. Ich trat drei Schritte vor, sah nur noch all die Goldfasane vor mir, konzentrierte mich ganz auf die Ausführung. Und es knallte, Tak-Tak-Tak und zurück Tak Tak Tak. Es gelang hundertprozentig, Annasohn war zufrieden und die andern wohl erleichtert? Was er wohl nicht wusste, ich war der allerjüngste Rekrut, 18 ¾ jährig bei der Entlassung. Drei Tage später wurden wir entlassen und ich hatte nicht vor, nochmals Militärdienst zu leisten, der Sadist hatte mir jede Lust dazu genommen. Soldat sein war alles andere als Individualität, und ich war nun einmal Individualist und konnte mich im Militär nicht wohl fühlen. Dadurch rutschte auch die Fremdenlegion ganz in den Hintergrund, aber auch die US-Armee! Kapitel 74 Der Waffenerwerbschein Ich war wieder in Winterthur, nach einer 08/15 RS, auch um einige Illusionen erleichtert und ärmer geworden. Klaras Gesundheitszustand wurde immer schlechter, aber wir hatten trotzdem noch Hoffnung! Vater ging wieder nach Bern, wo er bei der früheren Firma Arbeit fand, die Familie war somit wieder auseinander gerissen. Ich kündigte ein zweites Mal bei der Post, diesmal definitiv. Ich wurde erst beim Telefondienst eingesetzt, es galt dort, Telefon Apparate auseinander zu schrauben, die Teile zu reinigen und das Ganze wieder zusammen zu fügen. Das war zwar eine einfache Arbeit aber gleichzeitig auch sehr langweilig. Deshalb liess ich mich in den Zustelldienst 274 275 des Telegrafenamtes versetzen. Das war eine ähnliche Aufgabe wie damals in Zürich, statt Eilbriefe waren es Telegramme. Wir waren ständig gegen vier bis fünf Boten im Dienst, kaum voll ausgelastet und hatten es meistens lustig. Ich hatte auf den 28. Februar 1958, gekündigt, danach wollte ich eine Afrikareise unternehmen. Um einen Reisepass zu erhalten, benötigte ich die Unterschrift von Vater, er musste persönlich nach Winterthur kommen, glücklicherweise war das noch vor seiner Abreise nach Bern. Dann kaufte ich mir eine Vespa, damit wollte ich durch die Wüste Sahara fahren. Von Oase zu Oase, durch Algerien. Natürlich gehörte zu meiner Ausrüstung auch eine Pistole. Also ersuchte ich bei der Polizei am Obertor um einen Waffenerwerbschein, zwar hatte ich bereits eine Waffe, den Karabiner von der Armee. Den konnte ich natürlich nicht mitnehmen. Problemlos erhielt ich den Schein, der zuständige Beamte wollte noch wissen wofür ich die Waffe kaufe? Ich sagte es ihm, worauf er meinte, das könnte mir aber Schwierigkeiten eintragen, dort herrsche doch Krieg! Ich erwarb eine sechs Schuss Browning bei Ex-Weltmeister Fritz Kuchen, in Winterthur. Sodann begann ich mit dem Einholen der Visa, aber bereits für Algerien gab es Probleme, der französische Konsul in Zürich, verweigerte mir ein Visum für Algerien, dort herrsche Krieg, zudem grenze es an Selbstmord, alleine durch die Sahara zu fahren. Aber er schlug vor, es doch mit Marokko zu versuchen, ich hatte keine andere Wahl. Weil ich während der Rekrutenschule Geld sparen konnte, hatte ich ein Budget, das mir eine Reise von vier bis sechs Monaten ermöglichte. ************************************************** Kapitel 75 275 276 Auf nach Afrika Anfangs März 1958, startete ich mit der voll beladenen Vespa in Richtung Frankreich. Es war ein komisches Gefühl, ein Start ins Ungewisse, was wollte ich eigentlich in Afrika? War es klug von mir, diese Reise zu unternehmen? Ohne Begleitung, ohne Erfahrung im Reisen, mit wenig Geld! Über diese Reise habe ich im Buch „Einmal die Ferne sehen“ ausführlich geschrieben, ich möchte deshalb nur einige Randbemerkungen dazu schreiben. Am ersten Tag schaffte ich es bis nach Yverdon, dort nächtigte ich in einem einfachen Hotel. Am folgenden Morgen hielt mich ein Polizist vor dem Hotel auf, er wollte wissen, weshalb meine Zulassungsnummer auf den Kanton Zürich lautete, ich aber als Wohnadresse Märstetten im Thurgau aufgeführt hätte? Nun, das war einfach, ich sagte, dass ich in Winterthur arbeitete, aber nun als Adresse diejenige meiner Eltern angegeben habe. Er begriff und liess mich weiterfahren. Die Strasse war mit einer dünnen Schicht Neuschnee bedeckt, zudem war sie rundlich und ich musste genau auf der Rundung fahren, weil Militärfahrzeuge von der Gegenseite kamen. Da rutschte ich aus und schlitterte rund 40 Meter weit am Boden! Die Vespa war defekt, hinten eingedrückt, aus die Reise! Ich schob das Fahrzeug bis zur nächsten Garage, dort konnte man die Vespa nach Stunden wieder fahrtüchtig machen. Aber ich traute mich nicht mehr weiter zu fahren, ich liess die Vespa mit der Bahn nach Märstetten bringen, und fuhr ebenfalls mit der Bahn zurück. Dann kaufte ich eine einfache Fahrkarte bis nach Marseille, packte zwei Koffer, was sich im nach hinein als nicht sehr zweckmässig erwies. Es war ein nasskalter Morgen, als ich im Zug Richtung Frauenfeld sass, das Lieb: „Du mein stilles Tal, Gruss zum letzten Mal“, schoss durch meinen Kopf, 276 277 war das ein Abschied für immer? Ein traurig melancholisches Gefühlt stieg in mir hoch! Zwischen Port-Bou und Barcelona, hatte ich ein seltsames Erlebnis, der Zug hielt oft an, alte Frauen stiegen dazu oder aus, im Westen ging die Sonne unter, ein seltsam wohliges Gefühl legte sich um mich, ohne, dass ich wusste weshalb, ich fühlte mich zu Hause. Ich führte das auf die katalanische Sprache zurück, welche jener der alten Frauen in Westfrankreich ähnlich war. Später aber ergab sich noch eine andere Erklärung dafür. In Barcelona wohnte ich in der Pension Gascon, später „Benidorm“, was ich im Buch auch nicht erwähnte, in einem Rausch, hatte ich mit der Maria Fernandez, Sex ohne Kondom. Als ich dann am nächsten Tag ein „Ziehen“ im Unterleib verspürte, dachte ich schon, ich hätte mir eine Krankheit eingefangen. Doch es war ein Fehlalarm. Nach meiner Rückkehr verkaufte ich die Vespa an einen jungen Italiener. Klara war wieder zu Hause, sie wurde im März aus dem Spital entlassen, mit den lapidaren Worten, sie werde noch drei Monate leben können! Kapitel 76 An die Weltausstellung Es war ein grosser Schock, Klara sollte sterben! Nein, das durfte nicht sein, ich war nicht gewillt diese Nachricht einfach zu akzeptieren! Ich suchte nach Alternativen, im Appenzellerland wurde ich fündig, bei den Naturheilern, ich erkundigte mich nach den Kosten und stellte fest, dass ich fast alle meine Ersparnisse aufwenden müsste, das war eine harte Entscheidung, keine Arbeit, kein Geld mehr, wieder bei Null anfangen! 277 278 Aber ich wollte mir nicht das ganze Leben lang vorwerfen, ich hätte nicht alles versucht, sie heilen zu können! Ich legte das Geld aus und Klara musste sich nun einer etwas aufwändigen Therapie unterziehen, diese war mit vielen Kräutern und Übungen bespickt. Klara war sehr schwach und die Turnübungen waren oft zuviel für sie, es war zum verzweifeln. Im Mai öffnete in Bruxelles die Weltausstellung, ich entschloss mich, mit dem Fahrrad hin und zurück zu fahren, auch das ist im Buch beschrieben, so, dass ich nicht näher darauf eingehen will. Einzig die Kosten für diese zwölftägige Exkursion waren schon damals beachtenswert, inklusive den Kauf eines neuen Schlauchs und Eintritte in die Weltausstellung, verausgabte ich 110.- Franken. Auch nicht im Buch ist der letzte Tag, als ich von Heilbronn bis Märstetten fuhr. Ich hatte plötzlich das Gefühl, Klara liege im Sterben oder sie sei bereits gestorben! Meine Gefühle hatten mich getäuscht, die lebte noch, aber ihr Zustand war bedenklich, sie konnte nachts nur noch sitzend am Fenster bleiben, weil sie Erstickungsängste verspürte. Am Fenster hatte sie mehr frische Luft. Die Heilmethoden wirkten auch nicht, die ganze Welt war gegen uns, und Klaras Glaube an den Jesus wurde auch nicht honoriert! Kapitel 77 Abschied von Klara Wenn es eine Hölle gibt, dann muss sie auf dieser Erde sein, und wenn es einen Gott gibt, dann muss er ein Sadist sein! So etwa waren damals unsere Gefühle, Vater war in Bern, 278 279 Mutter verdiente etwas Geld als Putzfrau, ich erhielt einige Franken, indem ich bei Landwirten aushalf. Ich hatte mich aber entschlossen, zielbewusst eine Bürostelle zu suchen. Bei der Akademikergemeinschaft belegte ich die Handelsfernkurse. Ich meldete mich auf jede Anzeige, auch wenn ich die Voraussetzungen nicht erfüllte. Es war seltsam, wie sich gewisse Leute als Bremser betätigten, um mir zu schaden. Da war einmal die Frau des Direktors der Düngerfabrik, wo auch Vater später arbeitete, sie fühlte sich berufen, meiner Mutter zu melden, dass ich keine kaufmännische Ausbildung durchlaufen könne, weil ich keine Sekundarschule besucht habe! Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Frau meine Absichten wissen liess? Hingegen wurde mir klar, dass sie es wohl nicht verkraften konnte, dass ich, wie ihr Mann einen KV-Abschluss hätte. Vermutlich war sie auch die Person, die mich bei einer Stellenbewerbung diffamierte? Ich bewarb mich bei einer Möbelschreinerei in Sulgen, erhielt eine Einladung mich vorzustellen, dann aber eine Absage vorzusprechen, mit der Begründung, man habe negative Informationen über mich erhalten!!!!!!!!!!!!!!!!!! Ich konnte nie in Erfahrung bringen was das war? Ich schrieb täglich einige Offerten, nur für Bürostellen. Bei der Helvetia Feuer in Frauenfeld, wollte man mir eine Stelle als Policenschreiber anbieten, doch das war nicht meine Wellenlänge, weder vom Gehalt noch von der Arbeit her. Ich erhielt auch täglich Absagen, doch das ging mit dem Horrorzustand von Klara in Einem, es belastete mich kaum noch! Dann kam der Tag, Mutter war im Restaurant oben um zu putzen, Klara konnte kaum noch atmen, plötzlich rief sie nach der Mutter, doch die war nicht da. Ich eilte zu Mutter, aber die machte keine Anstalten zu kommen, da wurde ich aber laut: “Deine Tochter liegt im Sterben und Du hast keine Zeit für sie!“ Sie kam dann doch noch, Klara lebte noch, sie erkannte Mutter, welche sie in die Arme schloss. 279 280 Nach rund einer halben Stunde war sie tot! Man mag es vielleicht komisch finden, aber ich fühlte mich erlöst, befreit von einer Horrorzeit die kaum noch auszuhalten war! Ich befand mich wie in einem Trancezustand, fast apathisch, war schlechter Laune, sogar den Sarghersteller fluchte ich an. Ich mochte auch nicht sprechen, sagte nur: „Sie hat es hinter sich, wir haben es noch vor uns, mehr brachte ich nicht heraus“. Es war der 21. Juni 1958, der längste Tag des Jahres. Ich hatte keine Schuldgefühle, weil ich alles versuchte, ihr zu helfen, aber ich hatte noch viele Jahre Albträume, in denen ich immer ihr Grab aushob, weil sie angeblich noch lebte! *************************************************** Kapitel 78 Erste Hürde geschafft Das Leben musste weiter gehen, beinahe empfand ich das als eine Bürde, aber irgendwie war es auch ein Neuanfang. Konsequent bewarb ich mich um Stellen, für die ich die Voraussetzungen nicht erfüllte. Es war mir egal, irgendwann musste es gelingen, jeden Tag erwartete ich den Briefträger und öffnete die Briefe in angespannter Erwartung. Bis Mitte Juli hatte ich noch keine einzige positive Antwort erhalten. Dann, etwa um den 15. Juli, erhielt ich am späten Abend einen Expressbrief, Absender: Konsumverein Winterthur, Warenhaus Rothaus. Ich las den Brief und war etwas erstaunt, da schrieb doch ein Direktor Müller, ich würde am nächsten Tag eine Absage auf meine Weberbung erhalten, ich solle diese aber nicht beachten, es habe sich eine neue Möglichkeit ergeben und ich solle am frühen Morgen bei ihnen vorsprechen. 280 281 Erst jetzt erinnerte ich mich, dass ich Wochen zuvor, einmal auf ein Inserat schrieb, wusste aber nicht mehr wofür? Ich fuhr wie vorgeschlagen nach Winterthur, und meldete mich wie angewiesen, an der Marktgasse 37 im 5. Stock, bei einer Frau Weilenmann. Frau Weilenmann brachte mich zum Direktor Müller, ein dicker Mann, er liess einen Herrn Böhler, Abteilungsleiter, kommen, und dieser führte mich zu einem Herrn Schmied. Herr Böhler sagte mir, Herr Schmied werde mir die Arbeit Erklären, er werde in einer Stunde wieder kommen. Nun erfuhr ich auch, weshalb ich diese Stelle plötzlich erhalten sollte, Herrn Schmied, eidg. dipl. Buchhalter, 35, hatte gekündigt, und man hatte eine gut qualifizierte Frau angestellt, diese auch eingearbeitet, aber sie habe die Arbeit einfach nicht verstanden und hätte gehen müssen! Mich traf beinahe ein Schock, wie sollte ich den Job versehen können, wenn eine gut ausgebildete KV-Angestellte versagte? Aber ich hatte rein nichts zu verlieren, also nur weiter! Herr Schmied erklärte mir die Arbeit bis ins letzte Detail, und ich begriff rein nichts, aber liess mir nichts anmerken. Nach einer Stunde erschien wieder Herr Böhler und fragte: „So, denken Sie, sie können das?“ Ich wagte ihn nicht direkt anzusehen, antwortete einfach mit: „Ja, Ja,“. Und ich sollte gleich am nächsten Morgen, den 17. Juli 1958, mit der Arbeit beginnen. Ich wurde zwei Wochen eingeführt, dann verliess Schmied die Firma, ich verrichtete die Arbeit anfänglich mechanisch, wie instruiert, weil ich aber die Handelskurse absolvierte, wurden meine Kenntnisse plötzlich nützlich. Ich wusste nun auch, was meine Aufgaben waren: Warenkalkulationen, Margenberechnungen, Budgetkontrollen, Zollformalitäten, Inkasso der Bargelder, Abrechnung und Koordination mit dem VSK-Basel und der Hauptbuchhaltung an der Bankstrasse, kurz, ich war für das ganze Rechnungswesen des Warenhauses zuständig. 281 282 Das Anfangsgehalt war etwa gleich wie bei der Post, wobei nach der Probezeit eine Anpassung erfolgen werde. Mir war das eher egal, ich wollte die Stelle halten können. Anfänglich machten sich die Magenkrämpfe wieder stark bemerkbar, aber ich konnte trotzdem arbeiten und lernen. Auch das Büro gefiel mir gut, ich hatte eine Art Erker im 5. Stock, mit einer Rundumsicht auf die Stadt. Nach der Probezeit erhielt ich ein Kompliment von der Hauptbuchhaltung, dabei hiess es, ich würde die Arbeit nicht nur sehr gut machen, sondern noch wesentlich besser als mein Vorgänger Schmied! Das war es, ich war über dem Berg, blieb nahezu 4 Jahre dort und arbeitete zielbewusst auf meine KV-Prüfung hin. Aber dazu benötigte ich mindestens 6 Jahre Büropraxis, das war absolut kein Problem mehr. Der Anfang war gemacht, die erste Hürde genommen! Schluss Teil 2 282 283 Rolf Bahl Teil 3 1. September 1958 bis 31. Dezember 1968 Autobiographie von Rolf Bahl 283 284 Kapitelübersicht 1. Endlich volljährig 4 2. Wendepunkt 5 3. Mein erster WK 7 4. Die Testfahrt nach Jugoslawien 9 5. Ausbildung und Sport 11 6. 1960 13 7. Ich werde Unteroffizier 19 8. Abverdienen 23 9. Wieder Zivilist 34 10.Der Trick 36 11.Neue Horizonte 40 12.Vater stirbt 43 13.Die Lehrabschlussprüfung 46 14.Probleme mit Ernst 49 15.4.Mai 2964 52 16.Auslandbuchhalter 54 17.Neue Ziele 61 18.Chefbuchhalter bei Seaboard 64 284 285 19.Barcelona 66 20.Sprachlehrer 69 21.Filmpläne 76 22.Sevilla 78 23.Blutspender 81 24.Die Kollegin 84 25.Eurovision 1968 88 26.Los Caracoles 92 27.Die Academia pleite 95 28.Der Polizist 97 29.Ein „Kollege“ 100 30.Espania Adios 103 285 286 1. Kapitel Endlich volljährig Seit meiner Rückkehr in die Schweiz, verfluchte ich mein Alter, ich hatte keinerlei bürgerliche Rechte, dabei hätte ich diese doch so dringend benötigt, um speziell die familiären Verhältnisse zu bewältigen. Aber jetzt war es soweit, ich war 20. geworden und anlässlich einer schlichten Jungbürgerfeier im Hotel Kreuzstrasse, in Märstetten, überreichte uns der Gemeindeammann die Broschüre mit der Bundesverfassung. Von nun an durfte ich auch an den Wahlen teilnehmen, ja, selber als Kandidat für eine Partei auftreten. War ich noch bis zum 10. Altersjahr zu 80% Franzose, fühlte ich mich nun als 100% iger Schweizer, als der ich ja auch geboren wurde! Mutter Appenzellerin und Vater Berner, das ergibt einen Zürcher, und 1994, wurde ich dann auch tatsächlich Bürger von Volketswil und des Kantons Zürich. Wobei ich mich aber als Bürger von Europa und der Welt, am bestens fühlen würde! Die erste Volksabstimmung, an der ich teilhaben durfte, war das Frauenstimmrecht im Jahr 1959. Ich war schon immer der Ansicht, dass auch Frauen eine Meinung zum Staat abgeben sollten, ohne, dass dadurch ihre Weiblichkeit Schaden nehmen müsste. Also legte ich ein klares „Ja“ in die Urne. Aber die Zeit war damals noch nicht gekommen, in der Gemeinde Märstetten sagten 39 Männer „Ja“ und 240 „Nein“, und ich realisierte, dass die 39. Stimme von mir war. Dies blieb allerdings die 286 287 allereinzige Abstimmung, an die ich mich an solche Zahlen erinnere. Von 1958 bis 1960, büffelte ich die Handelsfächer an der Akademikergemeinschaft Zürich, im Fernkurs. Besonders die Kenntnisse aus dem Rechnungswesen konnte ich bei meiner Arbeit gut umsetzen. Die Firma finanzierte mir einen Zolldeklarantenkurs, weil ich auch alle die Importformalitäten erledigen musste. Und allmählich gewöhnten sich meine Bauarbeiterhände an die leichten Büroarbeiten. Jeden Abend sammelte ich bei den Kassiererinnen in den fünf Stockwerken die Tageseinnahmen ein, brachte das Geld zur Post Obertor, und die Quittungen an die Kassen zurück. Ich zeichnete nie für das erhaltene Geld, es galt Vertrauen auf Gegenseitigkeit. Und das funktionierte all die 4 Jahre dort bestens. Bei der Post kannte man mich, wenn aber ein Kunde hinter mir war, konnte dies bald einmal zu einer Flucherei führen, denn ich hatte um die 20 Einzahlungsscheine, und bei guten Tagen einige hunderttausend Franken zum einzahlen! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 2. Kapitel Wendepunkt Die Rekrutenschule, sowie meine beiden grossen Reisen in die Welt hinaus, veränderten meine Ansichten wesentlich. 287 288 Ich wurde in kurzer Zeit um viele Illusionnen ärmer, die Welt war nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, brutaler, kompromissloser, weniger romantisch! Ich traf fast nur Menschen, die ums Überleben kämpften, täglich dem Geld nachhetzten, sich sorgten und abmühten. Es gehörte zu meiner Art, praktisch immer alleine zu reisen, dadurch erlebt man die Umwelt von einer anderen Warte aus. Es ist ein kaum zu beschreibendes Gefühl, allein auf sich angewiesen in einem fernen Land zu sein, wo man keinen einzigen Menschen kennt, keine Freunde hat, die Leute und deren Einstellung und Kultur einem fremd sind, etc. Am extremsten war die erste Reise nach Nordafrika, es blieb vermutlich auch die gefährlichste aller meiner Einzelreisen. Man gewöhnt sich daran und wird auch selbstsicherer, es wird beinahe zu einer Art von Sucht, ist man einmal mit einer anderen Person unterwegs, wirkt sich diese bereits stöhrend aus. Ich hatte nun meine berufliche Laufnahn neu geplant, den eingeschlagenen Weg wollte ich unbedingt bis weit nach oben verfolgen, KV-Lehrabschluss, dann eine höhere kaufmännische Weiterbildung, dazwischen noch andere Kurse. Den Höhepunkt der beruflichen Karriere sah ich auf dem Posten eines Direktors, Geschäftsleiters, etc. Das war damals sehr hoch gepockert, für einen, der als Bauhandlanger soeben aufs Büro umgeschult hatte. Der Wille war vorhanden, nur die Gesundheit musste stimmen, dann war das Ziel durchaus in reichweite. Aber genau die Gesundheit spielte mir immer übel zu , erst während Jahren die Magenkrämpfe, später die HerzKreislaufprobleme. Ich kam mir vor, wie einer, der über gefrorenes Eis gehen wollte, laufend versuchte, wie weit er gehen konnte, bis das Eis unter ihm brach? §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 288 289 Kapitel 3 Mein erster WK Während zwei Jahren war ich vom Militärdienst befreit, und ich machte mir ernsthafte Gedanken, den Wehrdienst ganz zu verweigern. Aber da kamen Zweifel auf, wollte ich beruflich weiter kommen, dann war Dienstverweigerung fehl am Platz! Die Armee war damals noch eine heilige Kuh und unerer Gesellschaft. Ich überlegte mir, dass drei Wochen im Jahr doch kein Problem sein sollten, zudem waren Wiederholungskurse nicht mehr mit der RS vergleichbar. Ich erhielt einen Marschbefehl für März 1959 und folgte dem Aufgebot ohne Vorbehalte. Als Angestellter des Konsumvereins, erhielt ich zudem während dieser Zeit den vollen Lohn ausbezahlt. Die Anstellung verschaffte mir noch einen anderen Vorteil, zwischen dem Konsumverein Winterthur und dem KV Winterthur, bestand ein Abkommen, danach mussten die Angestellten im Büro zwangsläufig dem KV als Mitglieder beitreten. Obwohl ohne Lehre, wurde ich somit auf den 1. Juli 1958, Mitglied beim KV Winterthur. Ich wurde nach 30 Jahren Veteranenmitglied, trat später aus, weil ich meistens im Ausland weilte, sonst hätte ich es zum Schweizer Seniorenmitglied im Jahr 2008 geschafft! (50 Jahre) . Ich trat an einem Montagmorgen in Frauenfeld zum WK an, schon nach kurzer Zeit wurde ich namentlich aufgerufen. Ich sollte mich beim Kompanie-Chef melden. 289 290 Mit Vollpackung machte ich die Achtungsstellung, der Hauptmann Weber grinste und sagte: „Sie melden sich bei der Nachrichtenkompanie 31, beim Nachrichtenzug!“ Ich hatte keine Ahnung was das bedeutete, irgendwie schlug ich mich zu dieser Einheit durch. Dort machte man mir klar, dass man gedenke, mich zum Nachrichtensoldaten umzuschulen, weil ich mich nicht zur Weiterausbildung zum Unteroffizier gemeldet hatte. Man habe von jeder Kompanie einen fähigen Soldaten angefordert, und ich sei der Auserlesene der Schützen Kompanie 3/7. Das war ein wahrer Aufsteller, ich war plötzlich motiviert und begeistert. Nach der O8/15 RS, war das Musik in meinen Ohren! Der Kurs fand in Appenzell statt, wir hatten eine gute Unterkunft, und am Morgen wurden wir anständig geweckt, nicht wie in einer Strafkompanie. Es herrschten normale, fast menschliche Umgansformen, keine täglichen Schindereien und sadistische Einlagen! Ich wurde Nachrichtensoldat und konnte nach drei Wochen wählen, entweder bleiben, oder weitermachen, dazu müsste ich aber zu meiner Einheit zurück kehren. Und ich war derart motiviert, dass ich beschloss Unteroffizier zu werden. Etwas, das vier Wochen zuvor noch völlig undenkbar war. Ich hatte aber noch weitere Ziele, Sport treiben, besonders Laufsport, weil ich da grosse Probleme hatte. Ich war fast immer Letzter und schäumte aus dem Mund wie ein Pferd. Das wollte ich ändern und zwar noch vor der UO Schule! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 290 291 Kapitel 4 Die Testfahrt nach Jugoslawien Im Mai 1959, bezog ich drei Wochen Ferien, mit meinem englischen Fahrrad plante ich eine Fahrt nach Jugoslawien. Über dieses Abenteuer schrieb ich detailliert im Buch „Einmal die Ferne sehn“. Es war eine schwierige Fahrt, weil ich von den 17 Reisetagen, mehr als deren 10 im Regen fuhr, zudem litt ich wieder unter starken Magenkrämpfen. Mit jedem Tag wurde ich kräftiger und agressiver, von einem vorzeitigen Aufgeben war darum nie die Rede. Und als ich die letzte Etappe von Landeck im Tirol bis nach Märstetten hinter mich brachte, war klar geworden, es begann ein neuer Lebensabschnitt mit Sport! Deshalb meldete ich mich sogleich zu einem in der Zeitung ausgeschriebenen Waffenlauf in Winterthur an. Ich wurde Fünftletzter und fand dabei, das wäre ein Riesenerfolg für einen, der zuvor immer weit zurück lag. Darum meldete ich mich gleich auch noch zum bekannten „Frauenfelder Waffenlauf“ über 42.2 Kilometer. Ob ich diesen zu Ende laufen konnte oder nicht, interessierte mich nicht. Allein schon die Tatsache, daran teilzunehmen, war etwas Sensationelles. Da war aber noch ein anderer Grund, 291 292 im Rothaus arbeitete eine junge Frau aus Wil, sie mochte um die 18 sein, ihr Name: Maria Helg. Und ihr machte ich auf meine damals eher plumpe und scheue Art den Hof. Warum ich sie mochte? Sie hatte dunkle Haare, eine ganz weisse Haut und eine engelhafte Stimme. Und um ihr zu imponieren, wollte ich den Waffenlauf auch bestreiten. Stolz sagte ich ihr, dass sie dann in Wil am Strassenrand mir zuwinken solle. Sie versprach es und ich rannte Richtung Wil so schnell ich nur konnte. Es war sehr anstrengend, und immerhin machten damals um die 1200 Läufer mit. Aufgeteilt in Auszug von 20 bis 36, Landwehr von 37 bis 48 und Landsturm 48 bis 60 Jahren. Ich schnaufte wie ein Ackergaul, vor mir rannten viele Hundert hinter mir auch noch eine Menge. In Wil angekommen, wurde uns die Zwischenverpflegung gereicht, ich schaute auf die Zuschauer, da, endlich, da stand sie, die Maria und winkte mir zu! Was für ein Aufsteller, ich schöpfte neue Kraft für die restlichen 21 Kilometer, nur nicht aufgeben! Und ich erreichte das Ziel, hinter mir kamen noch einige Hundert, ich war überglücklich, Vater und Mutter waren auch zur Stelle und freuten sich als Zuschauer am Ziel. Am nächsten Montagmorgen hatte ich Fieber, ging aber trotzdem zur Arbeit. Ich wollte wissen, was die Maria sagte? Und was sie sagte, das war kein Aufsteller, sie habe so lange warten müssen, dass sie schon dachte, sie habe mich verfehlt! In der Tat, passierten die Spitzenläufer mehr als 2 Stunden vorher die Stadt Wil! Sie musste also sehr lange warten, und das störte mich schon etwas. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 292 293 Kapitel 5 Ausbildung und Sport Der Sport nahm plötzlich eine dominierende Rolle in meinem Leben ein. Mit der sitzenden Arbeit war mir dadurch auch gleich eine Alternative dazu geboten. Ich verwendete aber auch viel Freizeit für die Weiterbildung oder Ausbildung. Von 1958 bis 1960 absolvierte ich die Handelskurse der Akademikergemeinschaft Zürich, das verhalf mir zu einer gewissen Sicherheit im Büroalltag. Gleichzeitig belegte ich einen journalistischen Fernkurs aus Deutschland, diesen schloss ich im Jahr 1960, mit einer Schlussprüfung erfolgreich ab. Als diplomierter Journalist versuchte ich es aber vorläufig nicht in der Praxis, das hatte noch Zeit. Den Journalistenausweis trug ich aber gerne auf mir, er konnte damals in besonderen Situationen nützlich sein. Um an Frauen heranzukommen, war es von grossem Vorteil, wenn man die Tänze beherrschte. Ich war ein miserabler Tänzer, trampelte den Frauen auf den Füssen herum und lief vor Scham rot an, dazu schwitzte ich wie ein Galeerensklave, besonders, im Sommer. Wie in solchen Fällen üblich, wollte ich das Problem direkt angehen und beheben, also belegte ich im Lauf von etwa 4 293 294 Jahren, ganze 6 Tanzkurse. Aber es funktionierte trotzdem nicht richtig, ich führte das auf meine grosse Schuhnummer zurück (47), manchmal auch 45 bis 48. Ich zog mich von diesem Sport zurück, musste die Frauen anderswo finden, zum Beispiel im Geschäft, in unserem Warenhaus. Dort waren auf fünf Stockwerken verteil, rund 100 bis 150 Frauen im Einsatz. Und ich hatte es auf zwei von ihnen besonders abgesehen, da war einmal die Maria Helg; dann die Heidi Wyss. Während die Maria schöne dunkle Augen und Haare hatte, war es beim Heidi gerade umgekehrt. Sie war hellblond und hatte blaue Augen. Sie war heimatlich zwar von der Nachbargemeinde Seftigen stammend, aber in Preussen aufgewachsen, und ihre Mutter war eine echte Preussin. Ich lebte damals in Märstetten TG, da war noch die Irene Mettler, von der Dorfmetzgerei, wir trafen uns eigentlich nur in der Eisenbahn nach Winterthur, sie war dort als Verkäuferin tätig. Auch für sie interessierte ich mich, sie war eine einfache Kollegin, aber mit grossen Plänen und Ambitionen, sie verriet mir, dass sie etwas ganz Aussergewöhnliches anstrebe, das sowohl in Bezug auf ihren Partner wie auch ihren Beruf! Dass ich so etwas nicht anstrebte, war für mich klar, somit blieben noch die Maria und Heidi auf meiner Wunschliste. Irene heiratete später den Zirkusinhaber Stey, zusammen zogen sie auch als die „Tornados“ um die Welt, eine Messerwerfernummer, bei der die Irene immer dabei war. Später wurde sie Direktorin dieses Zirkusses. Ich traf sie Mitte der Neunzigerjahre im Zirkuszelt. Dabei hatten wir Gelegenheit einige alte Erinnerungen aufzufrischen. Im Herbst 1959, unternahm ich noch eine Reise per Anhalter (Auto Stop) nach Paris. Auch über diese Reise kann man im Buch „Einmal die Ferne sehn“, nachlesen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 294 295 Kapitel 6 1960 Das Jahr 1960 sollte zum exklusiven Sportjahr werden, fast nicht nachvollziehbar, was ich in diesem Jahr alles versuchte. Einmal bestritt ich sämtliche Waffenläufe in der Schweiz, von St. Gallen bis Lausanne, ich war immer dabei, dann verschiedene Armeewettkämpfe, die Divisionsmeisterschaften, sowohl im Winter wie auch im Sommer, bestritt den allerersten Biathlon in der Schweiz, in Gonten AI, den ersten Berner Zweitagemarsch, verschiedene Geländeläufe, und auch mit dem UOV Frauenfeld, konnte ich am Viertagemarsch in Njimegen/Holland, teilnehmen. Unser Gruppenchef war der Wachtmeister Walter Henke, aus Frauenfeld, Jahrgang 1908. Er starb im Jahr 2005, im Altersheim Kreuzlingen. Vor dem Marsch fuhren wir noch nach Madurodam und Amsterdam, um dort das andere Leben kennen zu lernen. Madurodam, das Miniholland, war nichts aussergewöhnliches, aber in Amsterdam, da gings direkt in die Strassen der roten Laternen. Und in einem Schuppen waren zwei Thaifrauen, alle wollten nur diese! Dabei wussten damals die wenigsten von uns wo Thailand war! Also mussten wir vor dem Eingang in einer Einerkolonne warten. Ich stand ganz hinten an, da erscheint ein Mann und eine Frau, der Mann sagt zu mir: „was zum Donnerwetter macht den die S.KP.III/7 hier, ich bin Oberleutnant Traber von dieser Kompanie!“ Oha, ich antworte nur: „wir stehen Warteschlange vor dem Thaipuff“. Der lachte laut und seine Frau lief rot im Gesicht an. Wer nun denkt, all das habe mir gereicht, irrt sich, ich löste auch noch die Lizenz als 295 296 Amateur B Radrennfahrer. Damit durfte ich an den Amateur Radrennen in der Schweiz teilnehmen. Ich startete an drei Rundstreckenrennen und schaffte es meistens bis zur zweiten Runde, dann musste ich aufgeben. Das sah in der Realität so aus, in Stäfa war ich auch am Start, alle Grössen der Schweiz waren am Start. Nach dem Start ging es erst einmal den Berg hinauf, ich trat mit ganzer Kraft auf die Pedalen und konnte knapp mithalten, dann aber schnappte die Kette aus dem Rad und ich durfte diese wieder hineinzaubern. Mit mir verblieben noch ein paar andere Pechvögel, aber ich blieb schliesslich alleine zurück. Als es endlich wieder nach unten ging, raste ich wie ein wild gewordener Indianer hinunter, mit meinen 85 Kilo Gewicht, war das noch vorteilhafter. Als ich im vollen Tempo durch Stäfa raste, erhielt ich einen Riesenapplaus! Alle dachten, ich sei der erste Fahrer aus der zweiten Runde, schauten die Nummer im Programmheft nach. Ich wurde wütend, bremste und stieg vom Rad und verschwand eiligst in der Turnhalle! Ich war kaum um die Ecke, als ich wieder Schreie hörte, diesmal waren es aber die echten Spitzenfahrer! Ich schlich mich wie ein geschlagener Hund davon und fuhr nach Hause. Nicht genug damit, war ich auch noch im Turnverein Märstetten und bei einem Kegelverein aktiv. Um mich im Radrennen zu verbessern, fuhr ich mit dem Rennrad von Märstetten nach Winterthur und zurück, parkte das Fahrrad einfach in meinem Büro. Einmal fuhr ich mit Höchstgeschwindigkeit bei Attikon der schmalen Strasse entlang, aus unbekannten Gründen stürtzte ich plötzlich wie eine Puppe und schlitterte gut 40 bis 50 Meter weit auf der geteerten Strasse. Aber ausser ein paar wenigen Schürfungen passierte nichts. Diese liess ich einfach unbehandelt um mich abzuhärten. Gleich wie bei den Blasen an den Füssen, am Hollandmarsch hatte ich einmal beide Fusssohlen voller Blasen, nach dem Duschen schnitt ich alle auf und zog einfach Wollsocken darüber, es gab nie Entzündungen und dergleichen. Ebenso lernte ich an 296 297 den Waffenläufen, das Seitenstechen zu überwinden, bis es wieder verschwand! Ob das schädlich war oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Dass auch das Durchstehvermögen seine Grenzen hat, erfuhr ich im WK, den ich wegen dem UO Vorschlag, noch in der S.Kp. 3/7, absolvieren musste. Es war ein besonders harter Dienst, der bereits mit kriegsmässigem Einrücken begann! Das hiess, für mindestens 1 bis 2 Tage Proviant mitzunehmen. Aber ich missachtete diesen Befehl und sollte schwer darunter leiden. Am Sonntag nahm ich an einem Querfeldeinrennen in Wil/SG, teil, mit meinem Gewicht sank ich im Morast ein, während die andern leicht darüber hinweg fahren konnten. Und irgendwann gab ich auf, es war meine allerletzte Teilnahme im Radsport. Zu Hause angekommen, zog ich die Uniform über und fuhr gegen Abend nach Frauenfeld, ich musste mich dort irgendwo melden. Statt zu meiner Einheit wurde ich zu einer Landsturmeinheit geschickt. Ich sollte Verbindungsmann spielen, lag einmal eine Nacht lang herum ohne aber schlafen zu können, wurde immer wieder irgendwohin geschickt. Verpflegung gabs keine, immerhin erhielt ich dann am nächsten Tag ein Stück Brot und einen Gamellendeckel voll Kakao. Um 16 Uhr nachmittags wurde ich dann endlich zu meiner Einheit geschickt, diese befinde sich unten an der Thurbrücke Richtung Ausslikon. Mit meiner Vollpackung lief ich in die befohlene Richtung. Kam mir dabei aber eher vor wie der HD Soldat Läppli. Die Leute von meiner Kompanie kannte ich nicht, ich hatte ja noch nie mit ihnen einen WK absoviert. Aber ich kam gerade dann an, als sie zum Marsch aufbrachen. Sie hatten soeben ihren Notvorrat verpflegt, für mich war nichts übrig. Der Wachtmeister Ulmer, erbarmte sich meiner und gab mir einen Landjäger aus seiner Reserve. Das hatte eine sehr positive Auswirkung auf mich, wir wurden gute Kameraden. Wir liefen nach Frauenfeld zurück, jedoch ohne dort zu rasten, weiter ging der Marsch in Richtung Thundorf, 297 298 Lustdorf, Strohwilen und um Mitternacht passierten wir tatsächlich Märstetten. Das Haus lag nur 50 Meter entfernt und mein Bett war leer! Die Leute wurden immer müder, und ab Engwilen lagen wir in den Marschpausen wie die Leichen auf der Strasse. Ein Lastauto sammelte diejenigen ein, welche nicht mehr aufstehen konnten oder wollten. Obwohl ich seit zwei Tagen kaum etwas gegessen hatte, kam aufgeben für mich nicht in Frage. Ich wollte durchhalten bis Tägerwilen, unser WK-Ort und Marschziel. Und um 6 Uhr am Dienstagmorgen, waren wir endlich dort, wir mussten uns zugsweise Sammeln. Ich stand ganz hinten die Vollpackung hatte ich abgelegt, plötzlich wurde mir schwarz vor den Augen, ich sank zu Boden, erwachte aber gleich wieder und stand wieder stramm. Nachdem das etwa dreimal so ablief, sagte der neben mir:“ bleib doch endlich am Boden liegen!“ Ich schaffte es dann ohne fremde Hilfe in die Turnhalle zu gelangen, weil alle Blasen an den Füssen hatten, stand praktisch die ganze Kompanie vor dem Sanitäter. Mir war das zu blöd, ich ging schlafen, und als ich erwachte, standen immer noch drei Soldaten dort. Ich erholte mich im Lauf des Tages, während zwei Wochen war Detailausbildung verbunden mit Nachtübungen und dergleichen. Vom Sonntag bis und mit Donnerstag oder Freitag, waren grosse Armeekorpsmanöver angesagt. Alles sollte möglichst realistsich sein, also wie im richtigen Krieg. So mussten wir bereits am Samstag in die Ausgangsstellung am Bodensee einziehen, durften nicht nach Hause anrufen, wegen dem Feind! In der Nacht vom Sonntag auf den Montag, lagen wir in voller Uniform auf dem Boden eines Restaurants in Uttwil. Wir lagen dicht wie die Sardinen gedrängt, ich konnte kein Auge schliessen. Kurz nach Mitternacht gings auch schon los, es hiess, der Feind sei, wie immer, aus dem Osten eingedrungen und befinde sich bereits im oberen Toggenburg. Wir wurden auf Lastwagen verladen und im 298 299 Raum Wil SG/Kilchberg, ausgeladen. Es begann ein Fussmarsch das Toggenburg hinauf, staendig von feindlichen Flugzeugen verfolgt, die uns jedes Mal in die Strassengräben zwangen. Ich trug die Gefechtspackung und das schwere MG, meinen Karabiner musste ein Kamerad tragen. Immer zu Fuss, liefen wir gefechtsmässig über den Ricken, es war bereits Mittwoch, vorher noch mussten wir uns nach Kilchberg SG, zurückziehen, es hiess, wir müssten nach drei Tagen ständigem Einsatz, und ohne Schlaf, ausruhen. Ich war total am Ende meiner Kräfte, freute mich, irgendwo in einem Kuhstall liegen zu können. Aber nein, es durfte nicht sein, unser Korporal erhielt den Auftrag, die Umgebung von Kilchberg nach möglichen Feindstellungen auszukundschaften. Immerhin durfte ich das MG mit einer Maschinenpistole vertauschen. Es war eine kalte, trockene Novembernacht, mit wenig Sternen am Himmel. Statt zu verpflegen und zu schlafen, schlichen wir uns etwa um 1 Uhr nachts die Hügel hinauf, und wenn in einer Hütte Lärm zu hören war, musste dort der Feind sein! Kriegsmässig, näherten wir uns den Schuppen, horchten, und einer flüsterte: „Nur Vieh!“ ein anderer meinte: „Nein, das sind Leute!“. Wir riefen: „Wer da?“ Keine Antwort und totenstille, also doch Feinde, einer warf eine Manipuliergranate in den Stall, ein lauter Knall und wieder kein Laut. Nun stürmten wir auf den Eingang und hatten die Finger am Abzug. Der Korporal leuchtete mit der Taschenlampe, und ein halbes Dutzend Kälber glotzten uns aus dem Dunkel blöde an. Verschämt liefen wir auf einem Feldweg weiter, plötzlich vor uns Lärm, wir vernahmen das Schnauben von Pferden, Männerstimmen dazwischen. Wir gingen am Strassenrand in Deckung, eine Train-Kolonne marschierte an uns vorbei, und wir konnten nicht herausfinden ob Feind oder Freund. Gegen 3 Uhr morgens waren wir wieder zurück, ohne Feindkontakte zu vermelden, die Kälber galten damals noch nicht als Feinde. 299 300 In der vierten nach schafften wir es endlich, den Rickenpass zu überwinden und in den Kanton Zürich vorzustossen. Aber das erste Dorf war vom Feind besetzt, also mussten wir es umgehen, die ganze Kompanie musste sich in einer Kolonne fortbewegen, alles, was irgendwie hätte Lärm verursachen können, musste mit Stoff umhüllt werden. Wir schlichen, rund 120 Mann, durch Ostgärten und offene Felder den Hang entlang in Richtung Westen. Aber die Wachen des Feindes hörten uns trotzdem, sie liessen alle paar Minuten Leuchtraketen steigen, das zwang uns jedes Mal, sofort nach links auf den Boden zu gleiten. Und wirklich, sie konnten uns nicht sehen! Aber die Schiedsrichter waren wohl anderer Ansicht, wir mussten auf den Ricken zurück! Am Donnerstagmorgen wurden wir eine Weile neutralisiert, das heisst, wir durften unsere Helme abnehmen und verpflegen! Ich hatte gerade ein Stück Käse gefasst und einen Gamellendeckel voller Kakao, als vor mir rund 80 Feinde auftauchten und auf uns schossen wie die Wilden! Statt die gar nicht zu beachten, lag ich schon hinter dem MG und schoss zurück, allerdings klärten die Neutralen den Irrtum bald auf. Aber ich hatte meinen kostbaren Kakao ins Gras ausgeleert und verloren! Das ärgerte mich noch lange, ja, eigentlich heute noch! Als dann der “Krieg“beendet war, musste sich jeder einmal erleichtern, und im kleinen Wäldchen auf dem Ricken, sah man bald einmal hinter jeder Tanne einen weissen Hintern aufleuchten. Am 4. Januar 61, sollte ich in die Unteroffiziersschule 7, in St. Gallen, einrücken. Über Neujahr reiste ich mit der Heidi und einigen Kolleginnen, auf eine einsame Alp im Urnerland. Man konnte nur mit einem Warenlift dort hinauf gelangen. Heidi war seit dem Sommer 1960 meine platonische Freundin, wie gingen, jeweils mit einer ihrer Kolleginnen ins Kino, oder trafen uns im Dunkel hinter der Bankstrasse, einfach nur um zu schmusen. Eigentlich hätte ich schon 300 301 mehr gewollt, aber ich fürchtete dieses „Heiraten müssen“ wie der Teufel den Weihrauch. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 7 Ich werde Unteroffizier Vier Jahre, nachdem ich mit gut 18 Jahren in die Rekrutenschule einrückte, war ich erneut unterwegs mit der Eisenbahn nach St.Gallen. Ich wusste nur, dass inzwischen der Kampfanzug und das Sturmgewehr eingeführt wurden, und dass auch sonst grosse Änderungen in der Armee stattgefunden hatten. Der Gewehrgriff, meine absolute Stärke, war abgeschafft. Und nicht nur das, war ich damals der allerjüngste Rekrut, zählte ich nun bei den UOAnwärtern zu den älteren Jahrgängen. Auch die Mentalität der Soldaten hatte sich in dieser Zeit stark verändert, Winter 56-57, Winter 60-61! Der Kadavergehorsam von früher hatte sichtbar nachgelassen, es war etwas lockerer geworden, aber noch kein Vergleich, was dann 40 jahre später war, als auch Frauen und Umgebaute, und halbe Männer dafür sorgten, dass daraus nur noch ein Jekami Haufen wurde, den man kaum noch als kriegstauglich erklären konnte. Das begann bereits, als ein Hauptmann daherkam, und jene, die kurz zuvor in der RS waren kannten ihn: „Da kommt der Climadusi“ rief einer, und schon fragte ich dumm: „ist das sein Name?“ „Natürlich nicht“, lachte einer und fügte hinzu: „das ist ein Arschloch, darum nennen wir ihn nur: „Cline, magere, dumme, siech“, da musste ich laut lachen. 301 302 Aber er hatte diesen Ehrennamen zu unrecht erhalten, fand ich später heraus. Er war ein anständiger, strenger, aber auch korrekter Instruktionshauptmann. (Hauptmann Zellweger). Es war bitterkalt, zu viert, marschierten wir im hohen Schnee ins Zeughaus, um unsere Karabiner ohne Tränen und Wehmut abzugeben und gleichzeitig neue Sturmgewehre zu fassen. Der neben mir war der Markus I. von ihm sollte später noch die Rede sein. Wir wurden in vier Klassen eingteilt, Klasse eins, sollte die erste Kompanie übernehmen, Klasse zwei, wo ich dabei war, die zweite Kompanie, beide verblieben in der Kaserne St.Gallen. Klasse drei und vier, wurde nach der Ausbildung in die Kaserne Herisau versetzt. Die Schule war hart, Ausgang hatten wir praktisch nie, dafür viele Nachübungen bis in die Morgenstunden. Und unser Adjudant Capol, ein Ex-Legionär, schlauchte uns Tag und Nacht. Dafür hatte er oft sehr nette Ausdrücke wie „angehende Seichchefs“, „Rekrutenschinder“ „Sadisten“, „Weichlinge“, undisziplinierter Sauhaufen, etc. Als ich einmal Bürodienst hatte, zog ich etwas hellere Socken über, ich musste dem Capol etwas bringen, machte die obligate Achtungsstellung und schon kam sein Kommentar: „Also, als angehender Seichchef, sollten sie dunklere Socken tragen“. Besonders lustig war es nach einer Nachtübung, vom 15 Stundentag völlig erschöpft, mussten wir erst die Waffen, dann noch die Gamellen reinigen. Weil der Capol danach noch Zimmerinspektion machen wollte. Und er wusste schon im voraus, dass mindestens einer die Gamelle nicht ganz sauber hatte: „Meine Herren, ich kann am Morgen auschlafen, ihr aber werdet in drei Stunden geweckt, und um sieben Uhr fährt der Lastwagen weg ins Breitfeld, und er fährt auch leer, wenn ihr nicht drin sitzt! Ihr werdet dann die ganze Strecke im Eilmarsch zurücklegen, hahaha!“ Ich war zwar auch am Anschlag, aber ich amüsierte mich trotzdem, weil ich überzeugt war, dass ich als Allerletzter schlappmachen werde. 302 303 Ein dummer Unfall in der ersten Woche, veranlasste mich beinahe zur Aufgabe. Ich wurde nicht am Sturmgewehr ausgebildet, man hatte das ganz einfach vergessen und angenommen, ich hätte das mit der Muttermilch aufgenommen! Im Breitfeld lagen wir in Schützenlöchern, ringsum hohe Schneewälle, vorne zirkulierten Übungspanzer. Diese galt es mit den Gewehrgranaten zu treffen. Ich war an der Reihe, schoss und lag plötzlich im Graben, Blut floss von meiner linken Hand an dem Gewehrschaft hinunter. Was war geschehen? Beim Abschuss zermalmten die Vorderstützen meinen linken Daumen. Der Nagel ragte nach oben war nur noch etwa zu einem Viertel festgemacht. Hauptmann Zellweger, brachte mich umgehend in eine Privatklinik in St.Gallen, er machte sich mehr Sorgen als ich, wie ich dann vernahm, hatte er in der UO Schule vorher einen tödlichen Unfall am Bärentritt, der Mann fiel rückwärts auf den unteren Balken und brach sich den Rücken. (Seltsamerweise war dann der Bruder dieses Mannes in meiner Gruppe). Der Arzt fragte, ob ich eine Schmerzspritze brauche, weil das Abreissen des Nagels sehr schwerzhaft sein könne. Natürlich sagte ich ohne zu zögern „Nein“. Ich dachte, der reisst den Nagel mit einem Ruck weg. Aber nein, er drehte ihn ganz langsam ab und das war wirklich schmerzhaft, aber als Soldat, durfte ich ja keine Schmerzen zeigen, also lachte ich. Das wiederum fand der Arzt seltsam. Auf seine Frage, weshalb ich gelacht hätte, sagte ich ihm: „das war aber schmerzhaft“. Ich erhielt einen grossen Daumenverband mit Halterung, aber keine Dispensation vom Turnen. So platzte die Wunde jeden Morgen neu auf, und bei mehreren Grad unter Null, waren die Schmerzen auch entsprechend. Aber ich gewöhnte mich daran, manches lief aber nicht so, wie ich mir das gewünscht hatte. Da war einmal dieser Vortrag über die Handgranate, ich war auf der Wache, und einer sagte mir: „Du musst am... einen Vortrag über Handgranaten halten“. 303 304 Ich dachte, der macht einen Witz, ich hatte noch nie eine Handgranate in der Hand und auch keine Ausbildung gehabt, alles was ich darüber wusste, hatte ich aus den Filmen und Büchern. Da ruft mich der Hauptmann auf, ich sagte, ich hätte keine Ahnung davon, aber es gab keine Entschuldigung. Also stand ich vor der Klasse und wusste nicht was sagen. Ich erinnerte mich, dass die Schweizer Armee Stilhandgranaten hatte, konnte aber darüber weiter keine Informationen geben. Dann kam ich auf die Eierhandgranaten, aus den Filmen, da fragte der Hauptmann: „sind das harte Osterreier“? Gelächter im ganzen Zimmer. Da war es bei mir aus, ich konnte nicht mehr weiter, sagte nochmals, dass ich keine Ahnung davon hätte und darum auch keinen Vortrag darüber halten könne. Aber es wurde noch schlimmer, nach 10 Tagen war Inspektion beim Obersten Juchler. Ich musste das Sturmgewehr zusammensetzen, zuerst aber den Verschluss, ich hatte auch da keine Ahnung. Der Oberst schaute zu, und der Stift meines Verschlusses flog durch die ganze Turnhalle. Ich ziterte mit den Händen und brachte einfach nichts zusammen, da klopfte mir der Oberst mit der Hand auf den Helm und meinte: „geben sies auf, ich sehe doch, dass sie keine Ahnung vom Sturmgewehr haben!“ Er rüffelte dann die Ausbilder, die es unterlassen hatten mich darin zu schulen. Nach zwei Wochen war eine Zwischenprüfung, es sah nicht besonders gut aus für mich, dieser Unfall, die Inspektion, der Vortrag. Aber ich schloss am besten ab, alle Patzer waren damit ausgebügelt, einer musste nach Hause gehen. Aber in der dritten Woche nochmals einen Unfall, diesmal bei einem Stellungsbezug mit dem MG, statt die Lafette in den Boden zu rammen, schoss die Spitze in mein Knie! Wir wurden den ganzen Tag in Rheineck im Häuserkampf gedrillt, nachts war ein Orientierungslauf bis St.Gallen auf dem Programm. Und ich gab auf halber Strecke auf, ich der Waffenläufer, das Knie schmerzte fürchterlich! 304 305 Für einen Augenblick dachte ich sogar, ich wollte die Ausbildung aufgeben. Der Daumen, das Knie! Ich dachte, ich könnte ein paar Tage im KZ (Krankenzimmer) ausruhen, aber Fehlalarm, man strich mir diese graubraune Salbe ein, die für alle Leiden gut war. Dann erhielt ich einen Riesenverband und wurde wiederum ohne Dispens entlassen. In der Kantine durfte ich mein Leistungsblatt studieren, und was stand da rot geschrieben? „Sehr ausdauernd“! Da hatte ich es, aber dieser Satz motivierte mich wieder und ich machte weiter. Es kam dann noch der 50 Kilometer Marsch, für eine Gruppe waren es 120 Kilometer, sie konnte nicht Karten lesen. Wir waren die Drittbesten, am frühen Morgen trafen wir in St. Gallen ein, in Achtungsstellung standen wir vor dem Obersten, der wollte sehen, ob einer schwach wurde? Ich schaute ihm eher frech ins Gesicht und sagte in Gedanken zu mir: „Auch mit Dir nehme ich es auf!“ Er schien meine Gedanken lesen zu können, legte auch ein blödes Lächeln auf. Es sprachen nur die Augen, aber wir schienen uns zu verstehen. Er mochte mich übrigens nicht. Ganz im Gegensatz zum Hauptmann Zellweger, den ich gut mochte. Dann folgte die theoretische Prüfung, mit rund 400 Fragen, die wir problemlos beantworten konnten. Unsere Gruppe bestand aus einem Studenten, zwei Lehrer, einem Kaufm. Angestellten und einem Postangestellten. Der Pöstler vermaselte uns den ersten Rang! Am gleichen Nachmittag war die Brevetierung, Vater kam speziell dafür aus Märstetten angereist! Obwohl er immer dagegen war, dass ich im Militär weiter machte, war er doch irgendwie stolz auf mich! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 8 305 306 Abverdienen Der erste Teil war soweit geschafft, nun musste der Unteroffiziersgrad noch durch Absolvierung einer Rekrutenschule abverdient werden. Obwohl es mir nicht so lief wie ich erwartete, verzichtete ich vorläufig auf eine Kandidatur für die Offizierslaufbahn. Mir war bekannt, dass mit meinem Verwandtenkreis, keinerlei Bonus vorhanden war, ich musste somit mindestens der beste aller Unteroffiziere sein, um eine Chance für einen Offiziersvorschlag zu erhalten. Das hiess im Klartext, ich musste die beste Gruppe haben! Was wiederum voraussetzte, nur gute Rekruten zugeteilt zu bekommen! Genau das wollte ich abwarten, und sollte dem so sein, dann würde ich mich voll einsetzen. Dann gab es da noch ein weiteres Problem, ich hatte die kaufmännische Lehrabschlussprüfung noch vor mir, das liesse sich aber lösen, weil viele Studenten auch noch nicht über einen Abschluss verfügten. Und ich kriegte meine Rekruten zugeteilt, ich wusste bereits am zweiten Tag, mit diesen konnte ich keine Lorbeeren ernten! Sieben junge Burschen, ein Landwirt,(Ehrbar) der Bruder des tödlich verunfallten UO Anwärters, ein Werkzeugmacher,(Kaestle) ein Mechaniker,(Ott) ein Schlosser,(Maeder) ein Knecht und halbschlauer Mann, (Bieri)der gar nicht hätte Rekrut werden dürfen, ein Zimmermann,(Vogel), dem der rechte Zeigefinger fehlte, und noch ein Schreiner (Geiser). Bei den Berufen bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob ich jedem den richtigen Beruf zugeteilt habe? Alle waren brav und folgsam wie die Laemmmer. Während ich oft hörte, wie Rekruten zu ihren Vorgesetzten frech wurden, gab es sowas bei mir nicht. Körperlich waren sie nur mittelmässig Leistungsfähig, intellektuell aber, liessen fast alle zu wünschen übrig. Am allerschlimmsten war der 306 307 Bieri, auch nach einer Woche täglichem einpauken, konnte er die Namen vom Feldweibel bis zum Obersten immer noch nicht auswendig aufsagen! Ich konnte meine Pläne zum Zugführer auf ewige Zeiten begraben. Wir waren zwei Mitrailleurunteroffiziere, der Mayer Adolf (39)und ich. Der Mayer wollte unbedingt Offizier werden, er bat mich, ihm dabei zu helfen, seltsam, dass die Leute von mir immer erwarten, dass ich ihnen helfe. Ich versprach nichts, sagte nur, ich werde sehen was ich tun könne. Auch er erhielt einen geistig behinderten Rekruten, dem sah man das aber schon von weitweg den geistig Behinderten an, ganz im Gegensatz zu meinem Bieri, er hatte keinen Hals, dafür ein sehr langes Kinn, und eine Nase, die in eine Richtung gebogen war, Lippen wie ein Kongoneger. Unter dem Stahlhelm sah er aus wie eine Witzfigur. Da ich auf eine Weiterausbildung verzichtete, hatte Mayer freie Hand als Mitrailleur- Offiziersanwärter. Anlässlich einer Gruppenübung für den Obersten, musste jeder von uns einen Mann dem Kameraden abgeben, ich gab dem Mayer den Bieri, er mir den Rekruten Brüllmann. Das setzte aber vom Obersten eine Strafpredigt ab, dieser sagte dem Mayer: „Sie sind aber ein ganz schlechter Kamerad, treten sie ihm doch den allerdümmsten Rekruten ab!“ Ich musste ein lautes Lachen unterdrücken, der Oberst konnte nicht wissen, dass ich ihm noch einen Dümmeren abgetreten hatte. Und reklamieren war nicht zulässig, den roten Kopf von Mayer sehe ich heute noch. Es war wohl das einzige Mal, dass der Oberst Juchler zu meinen Gunsten sprach, ich war ihm einfach nicht genehm, vermutlich spürte er, dass ich ihn nicht sehr ernst nahm. Aber noch viel schlimmer war unser Kompaniechef, Oberleutnant Salvisberg. Wir waren schon von der ersten Minute an Gegner, ich konnte ihn einfach nicht ernst nehmen, er war bei allen verhasst, sogar bei den Offizieren. Bei einer Benotung, hielt er mir mangels anderer Möglichkeiten vor, meine Rekruten rückten immer in sauberen Kleidern ein, während der Kpl. Mayer seine doch 307 308 oft durch den Dreck Robben lasse. Der Mayer hatte viel Freude dabei! Einmal an einer Nachtübung, sollte ich beim Stolperdraht aufpassen, da meldete sich der Mayer: „Herr Leutnant, kann ich beim Stolperdraht sein, ich habe sehr den Plausch, wenn einer auf die Fresse fällt“. Der Leutnant sagte, er müsse mich fragen, ich liess ihm die Freude! In der Verlegung in Gonten AI, teilten wir das Zimmer, Mayer hatte immer alles am Boden herumliegen, ich hatte alles schön im Schrank untergebracht. Als ich ihm sagte, er sei aber ein schlechtes Vorbild für die Rekruten, meinte er: „Ich bin schliesslich ein Vorgesetzter“. Ich konnte seine Ansicht nicht gutheissen, musste ihn machen lassen. In der Verlegung im Bündnerland, wurden die Rekruten körperlich sehr gefordert. Tagelange Märsche über die Berge, oft durch Neuschnee. Die Pferde, uns zugeteilt für die schweren Lasten, konnten nicht durchkommen, das hiess, alles selber tragen! Als ich das hörte, sah ich meine Leute zusammenbrechen, aber sie hielten sich sehr tapfer. Und ich musste sie wie die Ochsen die Berge hinauf antreiben, übernahm selber auch Lasten. Sie waren am Ende ihrer Kräfte, aber ich sagte: „Solange ihr noch fluchen könnt, mögt ihr noch laufen!“ So wars dann auch, und schliesslich trafen wir in Arosa ein. Dort schneite es die ganze Nacht, wir lagen frierend und nass in den Zelten. Mayer war Zugführer, er musste sich bewähren, die Wache schlief als der Oberst eintraf, dieser schrie wie am Spiess, wer da der Chef sei? Mayer und ich lagen im gleichen Zelt, ich sagte dem Mayer: „Du wirst verlangt“. Mayer flehte mich an: „ ich verliere meinen Offiziersvorschlag, wenn ich jetzt rausgehe! Bitte mach doch das für mich, ich werde Dir das nie vergessen“. Mir konnte alles egal sein, ich ging und meldete mich um 2 Uhr in der Nacht im tiefen Schnee vor dem Obersten: „Natürlich wieder Sie, immer Sie, ihre Wache schlief, und wie kommen sie darauf , diese dort aufzustellen?“. Ich konnte gar nicht antworten, der redete drauflos und 308 309 ich hörte ihm gar nicht mehr zu. Etwas von Sibirien ist mir noch geblieben, ich starrte in die dunkle Nacht hinaus und dachte ich habe einen Albtraum! Eigentlich hätte ich sagen sollen, wer all das angeordnet hatte, aber es hätte mir auch nichts genützt, er mochte mich trotzdem nicht. Als der Monolog beendet war, ging ich zurück ins gemeinsame Zelt, der Oberst merkte nicht, dass der Mayer sich dort verdrückte und sich freute, wie ich mich für ihn opferte. Er konnte zuhören, wie mich der Oberst „zusammenschiss“, natürlich dachte er nie daran, sich als verantwortlicher Zugführer zu „outen“. Immerhin bedankte sich der Mayer bei mir, er hatte sich nämlich soeben den Offiziersvorschlag A, gesichert. Einer der wenigen Unteroffiziere, die es damals schafften. Der Umzug zog sich dann weiter das Prätigau hinab, auf unseren Rücken bildeten sich bereits pilzähnliche Ausschläge, wir waren eine ganze Woche lang in den nassen Kampfanzügen, ohne diese wechseln oder trocknen zu können. Da war das alte Tenue „grün“ früher geradezu angenehm zu tragen, das im Vergleich zum neuen Kampfanzug! Nur einmal stiessen wir auf angebliche Feinde, diese wurden aber vom Kommanten eiligst rekrutiert, damit die Stimmung etwas besser wurde. Sonst war alles nur eine kriegsmässige Verschiebeübung. Als wir rund ein Kilometer am Dorf Schiers vorbeimarschierten, kam der Mayer aufgeregt zu mir: „Siehst du die Hütte dort, da habe ich mit 17, das aller erste Mal mit einer Kollegin aus dem Lehrerseminar gefickt“. Ich weiss nicht mehr, was ich ihm zur Antwort gab. Man erinnert sich nach fast 50 Jahren nicht mehr an solche Details. Wir erreichten schliesslich Landquart, die Rekruten waren am Ende und auch die meisten Unteroffiziere, ich fühlte mich eigentlich noch sauwohl. Unseren ekelhaften Kompaniechef hatten wir nur gerade die erste Woche bei uns, dann meldete er sich krank. Ein Leutnant übernahm das Kommando, die Züge wurden von Offiziersanwärtern, wie der Mayer, geführt. Der unfähige Chef wurde nicht 309 310 befördert, er soll frueh gestorben sein. (Ganz sicher bin ich aber nicht). Der Instr. Hauptmann Zellweger, war da ganz unserer Meinung, ich hatte darum eine hohe Meinung von ihm und fand es höchst unfair, ihn „Climadusi“ zu nennen. Wir wurden in Lastwagen verladen und nach St.Gallen gefahren, es begann die Demobilisierungswoche, mit all den Inspektionen. Von 16 Unteroffizieren, hatten 15 Rost im Gewehrlauf! Das kam davon, dass der Kompaniechef befahl, die Rekruten müssten unsere Gewehre reinigen, während wir Kaderschule hatte. Nur einer, der Musterkorporal Stoll, der in jeder Beziehung ein Vorbild war, das wahre Gegenteil vom Mayer, dieser ging am Abend, statt gleich in den Ausgang, erst einmal sein Gewehr putzen! Dieser Kamerad war auch charakterlich einwandfrei, wie man das nur sein konnte. Ich wunderte mich nur, dass ihm nie der Offiziersvorschlag angeboten wurde, er meldete sich nicht freiwillig. Er war genau der Typ, den man sich als guten Offizier vorstellt und wünscht. Im Gegensatz zur Rekrutenschule, hatten wir wenig Ausgang, die ersten Wochen galt, statt in den Ausgang, jeden Abend im Dachboden der Kaserne an den Waffen zu hantieren. Die Unteroffiziere durften dann um 22 Uhr noch in den Ausgang, die Rekruten gleich ins Bett. Ich besuchte meistens immer das gleiche Restaurant „Sternen?“, dort arbeitete eine österreichische Serviertochter, mit Namen Sigelinde Kofler, diese hatte schöne schwarze Haare und ein hübsches Gesicht. Und sie verstand es glänzend, mit unserem Verstand herumzuspielen. Jeder dachte, sie liebe nur ihn, gegen Ende der RS, stellten wir UOF fest, dass sie fast jeden zweiten von uns am Narrenseil herrumführte. Ich schrieb ihr wie versprochen aus der Verlegung, und sie schrieb ganz lieb zurück. Aber sie hatte mir noch etwas eingebrockt, mit der Heidi pflegte ich weiterhin eine platonische Beziehung, nicht, dass ich es nicht weiter hätte treiben wollen, aber ich hatte damals oft Albträume, ich müsste heiraten! So fuhr ich an den Urlaubstagen nach 310 311 Winterthur, dort traf ich die Heidi und wir gingen uns einen Film anschauen, mehr lag da nicht drin. Und sie kam mich an einem Dienstsonntag in St.Gallen besuchen, wir gingen in ein Kaffee, kaum sassen wir dort, kommt doch die Sigi herein und ruft laut: „Lieber Ruedy was machst du denn hier?“ Die Heidi läuft rot an und will gleich abreisen, ich versuche ihr zu erklären, dass das nur eine Serviertochter ist, die mich schon lange kennt. Aber Heidi bleibt kühl und ich sehe später ein, dass es wohl besser ist, alles zu stoppen, das wiederum mochte sie nicht zu akzeptieren, sie schrieb mir einen sehr bösen Brief mit Verwünschungen bis ans Lebensende, etc. Sie beanstandete die Art, wie ich sie informierte, gut, ich dachte darüber nach, sicher wäre es besser gewesen, ihr das mündlich mitzuteilen. Ich lernte aber doch etwas aus diesem Fall, denn niemehr im Leben bis heute, erhielt ich einen solchen Brief. Einmal musste unser Küchenchef 2 Wochen scharfen Arrest absitzen, es war ein Sonntag, ich war Wachkommandant, da alarmiert mich die Wache am Eingang zur Kaserne. Ich rannte hinaus, und wer steht am Eingang? Natürlich die Sigi mit einer Tasche voller Lebensmitteln, für den Arrestanten. Dieser klebte im Untergeschoss oben an den Gittern und flehte um Einlass für die Sigi. „Also der auch noch!“, ging es mir durch den Kopf. Natürlich konnte dem Ansinnen nicht stattgegeben werden, das war strengstens verboten. Auch die Verpflegung nicht, der musste die Rationen essen, die ihm gereicht wurden. Die Sigi versuchte es mit allen Tricks, aber da war sie bei mir an den falschen geraten, (heute würde ich mir möglicherweise eine Gegenleistung dafür einhandeln). Die Sigi musste unverrichteter Dinge verschwinden, ich denke, sie hat mir das übel genommen, der Küchenchef auch? Möglicherweise war sogar die Sigi schuld daran, dass der Küchenchef erst einen ganzen Tag später einrückte und erst noch völlig besoffen? 311 312 Der Arrestanten UOF war meistens Korporal Steinegger, ihm war dieser Job ans Herz gewachsen. Der liebe Kerl hatte einen Obersten zum Vater und wollte nicht Korporal werden, absolvierte die RS in Bellinzona, wurde dann zu uns abgeschoben. Er fiel schon am ersten Tag in der UO-Schule auf, der Hauptmann fragte ihn: „Wo haben denn sie die RS gemacht?“ „In Bellinzona, Herr Hauptmann“ antwortete er. „Das ist aber sehr weit unten“ kommentierte der Instruktor mit einem schrägen sarkastischen Lächeln. Eigentlich hätte der Steinegger wohl nach Hause müssen, aber sein Vater liess die Fäden spinnen. Er wurde Korporal, aber was für uns galt, das kümmerte ihn nicht gross, er war schon am ersten Tag „Kollege“ zu den Rekruten, es war verboten bis zum letzten Tag per „Du“ zu sein. Beim Einrücken in die Kaserne mussten die Rekruten in einer Einerkollonne marschieren. Nicht aber jene vom Steinegger, die schwärmten zu unserem Gelächter, wie eine Schafherde daher. Einmal war bereits das ganze Areal leer, nur weit hinten sahen wir noch den S. mit seiner Gruppe, es war Vorschrift, zwei Meter Abstand zu den Rekruten einzuhalten. Das galt für S. nicht, er stand in der Mitte und klopfte ab und zu einem auf die Schultern, als er endlich unser Rufen hörte, rannte die ganze Gruppe völlig undiszipliert auf die Kaserne zu! Aber als Arrestanten UOF, da war er absolute Spitze, meistens hatte er keinen im Knast und so auch keine Arbeit. War da aber einer oder gar mehrere im Knast, dann vergass er meistens, diesen Essen zu bringen! So waren wir zusammen an einem Abend bei der Sigi im Restaurant, es ging gegen 22 Uhr, plötzlich ruft der Steinegger: „Du, ich habe wieder vergessen den „Chüngel“ zu füttern!“ Ich musste laut lachen, er zahlte seine Rechnung und verschwand Richtung Kaserne. Ab und zu war er selber im Knast, zum Glück waren seine Kameraden etwas zuverlässiger als er. Aber niemand konnte ihn zum strammen Unteroffizier machen, er blieb der gute Kumpel, er hatte einfach kein militärisches Flair. Selbst die Offiziere 312 313 konnten ihm nicht böse sein, er war eine Art von „Braver Soldat Schweick“. Der hiess Joseph, ich glaube der S. auch? Der Mayer wurde Leutnant und später Hauptmann. Wir trafen uns einmal in den Manövern, mitten in der Nacht auf einer Strasse, er lief an der Spitze seiner Kompanie und ich an jener meines Mitrailleur-Halbzuges, aber in die andere Richtung. Das war etwa 1964, sein Kommentar: „Die ganze Nacht tschumpeln“. Seither sah ich ihn nie mehr. Ja, es gäbe noch viele lustige Details zu beschreiben, aber es kann auch langweilen. Vielleicht noch die Geschichte mit dem Rekrut Vogel, bei der Gewehrausbildung, mussten sie am Boden liegend Zeigfinger lang machen, dann den Finger um den Abzug krümmen. Ich schaute bei jedem einzeln nach, ob der Zeigefinger auch richtig gekrümmt war? Aber beim Rekrut Vogel war nichts da! Ich fragte ihn: „wo haben sie den ihren Zeigefinger“? Dieser antwortete: „Korporal, Rekrut Vogel, ich habe keinen mehr!“. Ich überlegte kurz und befahl: „dann nehmen sie den Mittelfinger!“ Dieser Vogel konnte mich manchmal schon etwas nerven, einmal waren wir knapp eine halbe Stunde ausgerückt, als sich der meldet: „Korporal, Rekrut Vogel, ich muess ga schiisse“ Ich fragte, ob er krank sei? Das wäre ein Grund zum OK gewesen, aber er verneinte, also nicht bewilligt. Zurückhalten bis am Mittag oder zur Pause. Der Rekrut Bieri war ein ganz besonderer Fall, er war sich seiner geistigen Behinderung wohl bewusst, hielt aber den Abstand zu mir nie ein, weil er nur flüstern wollte: „Korporal, sie sind immer gut zu mir, ich weiss , ich bin dumm geboren, aber ich gebe mir viel Mühe“. Ich war etwas überfordert mit dieser Aussage, sagte ihm etwas knapp: „das weiss ich schon, danke, aber desswegen müsssen sie den Abstand zum Vorgesetzten trotzdem einhalten“. Einmal, ich war wieder Wachkommandant, kamen meine Leute vom Scharfschiessen zurück und machten komische Bemerkungen gegen den Bieri. Ich wollte wissen, was vorgefallen war, da erfuhr ich, dass der Bieri, statt auf die Zielscheiben, in den Wald geschossen habe. Und einmal war 313 314 gar der Oberst dabei als er wieder so einen Scheiss machte, der Oberst flucht mich an! Das war dann aber zuviel für mich: „Herr Oberst, für die Intelligenz der Leute kann ich keine Verantwortung tragen!“ Er schaute mich erstaunt an, musste mir aber beipflichten und schwafelte dann etwas von mehr Training, ich hörte ihm gar nicht erst zu. Ich besprach mich dann mit dem Zugführer, welcher vor mir einen grossen Respekt oder eher Angst hatte, ich wusste nie weshalb, einmal sagte er, er getraue sich nicht, mir etwas zu sagen. Nun ja, ich sagte ihm klar, dass der Bieri bei mir nie ans MG komme! Obwohl das Vorschrift sei. Er müsse die Verantwortung übernehmen, eigentlich wollte ich den aber in die Küche abschieben. Und das gelang! Und der Bieri bedankte sich bei mir bei jeder Gelegenheit dafür, ja, er schrieb mir noch später Neujahrskarten zum Dank. In der Schiessverlegung, musste ich mit meiner MG Gruppe einen scharfen Einsatz zeigen, da war noch der Ekel Salvisberg da, ich kommandierte das MG in seine Stellung, der Schütze war Rekrut Maeder, ein sehr jähzorniger Mann, ich konnte mit ihm ungehen, aber andere Vorgesetzte weniger gut. Und er hatte eine Ladestörung, ich befahl, wie im Reglement vorgeschrieben, die erfoderlichen Manipulationen, der Schütze folgte dem. Aber der Salvisberg, der wollte es knallen hören, erst rannte er auf mich zu, änderte dann den Kurs auf den Schützen und verpasste dem mit dem Nagelschuh einen Fusstritt in den Hintern. Ich hoffte, der Maeder würde aufstehen und dem zurückgeben, das tat er aber nicht, und ich überlegte, ob ich das ihm befehlen sollte? Aber plötzlich war der Schaden behoben und die Knallerei konnte beginnen. 120 Mann schauten zu in deren Mitte der Salvisberg. Nach der Übung meldete ich, wie das üblich war, meine Gruppe zur Übungsbesprechung dem Salvisberg. Dieser schoss mit Vorwürfen los, da kehrte ich mich um, befahl meine Gruppe hundert Meter nach hinten und verschwand ohne abmelden. Austreten! Der Salvisberg hatte einen hochroten Kopf, ich erwartete natürlich 314 315 Konsequenzen, wollte aber zurückschlagen, ich hatte 120 Zeugen. Es geschah gar nichts! Der Kerl meldete sich dann krank! Einem Korporal von uns sagte er, er solle verschwinden, er verschwand den ganzen Tag und sonnte sich unten im Wald, als der Hauptmann Zellweger auftauchte, fragte dieser ihn, ob er Pilze suche?“Nein, der Kadi hat gesagt ich solle verschwinden!“ antwortete Kpl. S. Zellweger stellte den Kadi Salvisberg vor der ganzen Kompanie, stellte ihn bloss, wie ich es tat und ich freute mich mit allen andern darüber! Am letzten Abend liess ich den obligaten Gruppenabend vom Stapel, meine Rekruten durften mir „Du“ sagen, da verrieten sie mir, dass sie sich in den ersten Tagen gewaltig vor mir fürcheten. Ich hätte unter der Feldmütze hervorgeschaut und nichts gesagt, da erinnerte ich mich, ja, ich schaute sie an und überlegte, was ich mit ihnen machen solle? Wenn mir keine Idee kam, dann liess ich sie einfach etwas im Gleichschritt herumlaufen. Es sind diese ersten Stunden, welche alle ähnlich erleben, man ist vom Schüler plötzlich zum Lehrer befördert, ist Vorgesetzter, was die allermeisten zuvor noch nie waren. Aber schon nach dem ersten Tag, wird herumkommandieren zur Gewohnheit. Wie ich erfuhr, hatte praktisch jeder seine eigenen kleinen Probleme mit dieser Umstellung, aber keiner wollte das anfänglich zugeben. Einer musste seine Leute gar auf die Kampfbahn hetzen, um dort dann nachzudenken, was er nun mit ihnen weiter tun sollte. Der Mayer hatte noch dazu sein privates Vergnügen, er gestand mir, dass er seine Leute immer vor eine Wasserlache kommandiere, dort befehle er dann „liegen“. Und wenn die dann mitten in die Pfütze fielen, dann löse das bei ihm unglaublich gute Gefühle aus. Ob das an seinem Vornamen lag, er hiess Adolf! Ich nannte ihn einen Spinner, aber als eigentlichen Schinder konnte ich ihn auch nicht klassieren. Zu denken gab mir aber, dass der Hanswurst Salvisberg, ihn mir als Vorbild 315 316 nannte. Der S. blieb für uns alle ein sehr übler Kerl, den nicht einmal der Mayer leiden mochte! Es gab keine einzige Person, die den S. positiv beurteilte, auch Hauptmann Zellweger mochte den nicht. Der S. konnte diese totale Abneigung wohl spüren, deshalb vermutlich seine Krankheit. Bekanntlich lernt man den Charakter einer Person im Militär schnell und besser kennen, als etwa im Zivilleben. Und ganz besonders in schwierigen Situationen. So erlebte ich, dass Offiziere plötzlich durchdrehten, aber einfache Soldaten, die meistens als schwierig galten, sich als ungewöhnlich zäh, kompetent und ausdauernd erwiesen. Ich sagte dann danach, mit diesen würde ich in den Krieg ziehen, das waren aber weniger als 10%!!!! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Nachtrag:Ich erwähnte im vorherigen Kapitel auch die Sigi Kofler, fast 50 Jahre später traf ich in Pattaya den Walter W. Fahrlehrer aus dem Rheintal. Auch er kannte die Sigi damals gut und wurde von ihr an der langen Leine gehalten. Sie soll aber schon seit geraumer Zeit verstorben sein! So ist das Leben! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 9 Wieder Zivilist Das Soldatenleben entlastet von der zivilen Verantwortung. 316 317 Es wird für Essen, Unterkunft und Kleidung gesorgt, zudem ist auch die meiste Zeit programmiert und vergeben. Was persönlich noch bleibt, ist der Ausgang. Und da wird dann in der Regel herumgeblödelt und gesoffen. Deshalb wundert es nicht, wenn entlassene Soldaten nach vieljährigem Dienst, im Zivilleben grosse Schwierigkeiten bekunden. Nach einem halben Jahr Dienstzeit, ist das aber noch kein sinifikanntes Problem. Nach ein bis zwei Wochen, ist man wieder ganz Zivilperson. Sich wieder ins Büro zu integrieren war schon etwas mühsamer, zu gross war der Kontrast zum Leben als Mitrailleur-Infanterist. Ich überlegte darum, dass ich nun schon drei Jahre bei der gleichen Firma beschäftigt war, und es an der Zeit war, einmal andere Luft zu schnappen. Ich kündigte auf den Herbst 1961 meine Stelle. Das wurde durchaus nicht mit Freude aufgenommen. Im Juli fanden in Schaffhausen die „Schweizerischen Unteroffizierstage“ statt. Ich war mit dem UOV Frauenfeld dabei, aber da sich der Wettkampf auf eine ganze Woche verteilte, musste ich eine Woche Ferien beziehen. Und das wurde von der Direktion rundwegs abgelehnt, ich wurde echt wütend, und rief den verantwortlichen Chef telefonisch an. Dieser sagte nur knapp, ich hätte gekündigt und damit könne man mir keinen Urlaub erteilen. Ich sagte nur, ich komme gleich hinüber in die Bankstrasse und legte den Höhrer auf die Gabel. Ich war wütend und wollte denen einmal die Meinung sagen, was es bedeute, die Armee zu sabotieren! Sie sassen schon bereit im grossen Büro, der Direktor oder Verwalter und der Vize. Wie ich es damals gewohnt war, schoss ich los, donnerte mit der rechten Faust derart stark auf den Tisch, dass die Aschenbecher hochsprangen! Die zwei kamen gar nicht dazu zu reden, ich sagte noch, dass ich so oder so in dieser Woche nicht arbeite, ob es ihnen gefalle oder nicht. Aber wenn der Grund einzig bei meiner Kündigung liege, dann nehme ich diese hiermit zurück, ich hatte ja noch gar keine neue Stelle, was die nicht wissen 317 318 konnten. Da heiterten sich ihre Gesichter auf und freudig stimmten sie zu. Damit war der Kleinkrieg beendet. Ich überlegte mir nachträglich, dass ich da wohl etwas übertrieben auftrat, ich behandelte die beiden bestandenen Herren wie üble Rekruten, fast taten sie mir leid. Die UOF Tage wurden für uns ein voller Erfolg, von weit über 100 Gruppen aus der ganzen Schweiz, wurden wir fünfte! Dann war bereits wieder der Hollandmarsch fällig, den ich damit zum letzten Mal bestritt. Immerhin, gingen damals von den zwei Wochen Ferien, ganze 10 Tage für diesen Anlass verloren. Die Waffenläufe bestritt ich fast alle, ich schaffte es nun, im ersten Drittel einzulaufen, aber zufrieden konnte ich damit nicht sein. Am Frauenfelder 1961, erlebte ich dann noch eine unerwartete Siegerehrung. Von jeder Einheit, Kompanie etc, wurden die besten drei Läufer gewertet. Und die S.KP. III/7, schaffte tatsächlich den ersten Rang, weil wir den bekannten Läufer Edwin Biefer in unserer Kompanie hatten, dann der Gefreite Rietmann und ich. Und weil ich der Ranghöchste war, durfte ich die Auszeichnungen entgegennehmen. Ich hatte damit bewiesen, dass ich nicht nur im Bordell von Amsterdam, die Kompanie bestens vertrete, sondern auch an Wettkämpfen. Das war damit auch mein letzter Frauenfelder, weil ich ein Jahr später in Genf arbeitete. Im Spätherbst folgte dann noch der WK in Wilchingen/SH, der allerschönste aller acht WKs! Interessant war, dass ich nun die gleichen Soldaten befehligte, mit denen ich ein Jahr zuvor in der Gruppe war. Ich hatte nur leichte Bedenken, weil ich sicher war, dass ich mich durchsetzen kann. Aber es gab nicht die geringsten Probleme, jeder wusste, dass es bei mir keine Extras und dergleichen geben kann, und ich hatte leichtes Spiel mit ihnen. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 10 318 319 Der Trick Auf das Frühjahr 1962 hatte ich neue Pläne, das Fernweh hatte mich wieder einmal gepackt. Ich wollte auf dem billigsten Weg nach Indien gelangen. Bis dorthin hatte ich sämtliche Visas im Reisepass. (Siehe dazu auch: Einmal die Ferne sehn). Mir war bewusst, dass, wenn ich nun die Stelle kündige, ich wieder auf Widerstand stossen werde. Deshalb versuchte ich es mit einem Trick, ich ersuchte um einen unbezahlten Urlaub von einem Jahr, weil ich nach Indien reisen möchte. Dem Gesuch wurde sogleich stattgegeben und ich konnte mit den Reisevorkehrungen beginnen. Ich plante primär per Anhalter, Schiff, Kamel, etc. zu reisen. Anfang März 1962 zog ich los, und wie im Buch steht, bin ich in Saloniki anlässlich eines Alkoholrausches, gestrandet, statt weiter zu reisen, gings auf dem Deck eines griechischen Schiffes nach Brindisi zurück und dann zurück in die Schweiz. Dort schrieb ich mich in einen Englischkurs in London bei den Eurocentren ein. Ich war einen Monat zu spät, sass völlig verkehrt in der Klasse, das war ich mir aber von früher gewohnt, holte auf, und am Schluss war ich auch bei den Leuten! Und die Lehrer spornten mich tüchtig an, irgendwie freut es die eben, wenn einer so durchfliegt und aufholt. Immerhin schlug ich an der Abschlussprüfung den Genfer Andre, welcher bereits 9 Monate Vollzeitstudium hinter sich hatte. Dann buchte ich eine Stelle in Genf, bei der Privatbank Barrelet et Pidaux und Co. Dort erhielt ich 200.-Franken mehr Anfangslohn, als der Dienstkamerad Markus I. bei der Volksbank. Aber mit der Unterkunft, da erlebte ich meine Wunder, ein Vermittlungsbüro konnte mir immer für einen Tag ein Zimmer finden, schliesslich landete ich bei einer Witfrau, die im Zimmer 15 Riesenfotos von sich selber aufgehängt hatte, ständig vor der Tür lauschte und reinschaute, zudem 319 320 war dieser Schlag viel zu teuer. Jeden Tag standen rund 50 Deutschschweizer vor der Tribune de Geneve, rissen sich um die Zeitung und eilten dann in die nächste Telefonzelle. Nein, das war mir gar zu blöd, ich sagte im Büro, dass ich einen Wohnwagen kaufe, da ich kein anständiges Zimmer finden könne. Es regte sich nichts und ich kaufte einen Caravan, von einem Deutschschweizer in Vesenaz/GE. Er stelle diesen hinter dem Wald auf, ich glaube es hiess „Bois des Batti“ oder so ähnlich? Es war schon ein einzigartiges Gefühl, so allein am Waldrand, nur mit den Vögeln und anderen Kleintieren. Aber schon musste ich zum Direktor, dieser schaute mich ganz ungläubig an, ob es tatsächlich stimme, dass ich in einem Wohnwagen wohne? Ich bejate natürlich, mit dem Hinweis auf die Probleme bei der Suche. Der Chef zeigte sich sehr besorgt, weniger um mich, als um die vornehme Kundschaft der Bank, was würden die denken, wenn ein Angestellter in einem Wohnwagen lebt? Nein, das gehe nun einmal nicht, meinte er, er werde mir etwas suchen, schliesslich kenne er viele Leute mit Liegenschaften. Das hätte ihm auch früher einfallen können, aber noch am gleichen Nachmittag hatte ich ein grosses Zimmer an der Rue Pictet de Rochemont. Den Wohnwagen gab ich dem mann zurück, erst wollte der nicht, ich erklärte ihm, dass es die Bank sei, nicht ich, die das verlange. Er willigte ein, gegen Abzug von 100.- Franken, damit war ich sehr gut wegkommen, er war anständig und erbarmte sich meiner Lage. Dann schrieb ich meinem Arbeitgeber in Winterhur, ich hätte jetzt eine Stelle auf einer Bank in Genf angetreten und komme darum nicht mehr zurück, ersuchte um ein Zeugnis. Der Trick gelang voll, das Zeugnis wurde nicht verschlechtert und ich war zufrieden. Obwohl man mir nach 24 Monaten den Titel Prokurist anbot, und jährlich derart grosse Bonusse ausgezahlt wurden, dass diese bei den langjährigen Angestellten mehr als das Jahressalär ausmachten, gefiel es mir dort nicht. 320 321 Nirgends habe ich je eine derartige Verlogenheit, Intrige und Klatscherei erlebt, wie in dieser Bank. Besonders die Frauen zeichneten sich aus, jede wetterte über jede! In London traf ich eine Frau in meiner Klasse, sie sagte mir, dass sie anschliessend zur Swissair arbeiten gehe, dann koenne sie für nur 10% des Preises, in der ganzen Welt herumfliegen! Das ging nicht mehr aus meinem Kopf, ich wollte die Welt sehen, aber nicht zuviel Zeit vergeuden, war ich doch stark im Rückstand mit meiner Ausbildung!Ich rechnete mir aus, dass dies in meiner Lage die ideale Lösung ist, bei der Swissair arbeiten und gleichzeitig die Welt sehen. Aber ich hatte Bedenken, ob ich da überhaupt aufgenommen würde? Noch hatte ich die Lehrabschlussprüfung nicht hinter mir. Ich entschloss mich, mich anzumelden und guten Mutes an die persönliche Vorstellung zu gehen. Es war anfangs Januar 1963, ich lief erwartungsvoll die Hirschengrabenstrasse in Zürich hinauf, ins Hauptgebäude der Swissair. Ein Herr Dr. Egloff, Personalchef, empfing mich, ich sagte ihm, ich akzeptiere jede Arbeit, wichtig für mich sei es, fliegen zu können. Da sagte er anerkennend, ich wäre einer der wenigen Bewerber, der ganz offen sage, dass er wegen dem Fliegen komme. Die meisten würden irgend eine Ausrede vortragen, und er wisse genau, bei den tiefen Gehältern, sei doch das Fliegen ein ausgleichender Bonus. Er schlug mir vor, auf meinem Gebiet weiter zu arbeiten, also im Rechnungswesen. Ich sagte auch sehr selbstsicher, dass ich in 2 Jahren die Lehrabschlussprüfung absolvieren werde. Das nahm er positiv auf. Dann fuhr ich mit dem Sammelbus nach Kloten, ins neue Schulhaus. Dort wurde ich von einem Herrn Völlmi und einem Herrn Endress über die zukünftige Arbeit informiert. Am meisten imponierte natürlich die Fünftagewoche, sowie die Personalkantine, wo man für Fr. 2.50 ein kompletes Mittagessen erhielt, sowie die modernen Büros. 321 322 Wie schon zuvor, verstand ich kaum etwas über meine Arbeit, aber ich wusste ja, dass ich damit kaum Probleme hatte. Also nahm ich den Job auf den 1.März 1963, an. Ich arbeitete sehr hart und pflichtbewusst in Genf, in der Hoffnung, dafür auch ein gutes Arbeitszeugnis zu erhalten. Aber das blieb Wunschdenken, meine Kündigung auf den 28. Februar, wurde als grosse Frechheit empfunden, der Herr Direktor Pidoux grüsste mich nicht mehr. Er sagte ganz direkt, ich hätte ihn und seine Bank auf das schlimmste beleidigt, nirgendwo sonst könnte ich eine solche Anstellung kriegen, soviel verdienen und nach einem Jahr die Prokura bekommen, ich müsse total blöd sein! Ich sagte nur: „Ich schaue nicht aufs Geld, ich will die Welt sehen!“ Erst verweigerte er mir ein Zeugnis, als ich ihn aber auf das OR hinwies, schrieb er eines, auf das ich besser verzichtet hätte! Faszit, nie zuvor und danach arbeitete ich derart viel und hart, wie auf dieser Privatbank, und nie erhielt ich ein schlechteres Zeugnis, das nur eine knappe Arbeitsbestätigung war! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 11 Neue Horizonte Am 1. März 1963, begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. In Kloten fand ich ein kleines Zimmer in einem Einfamilienhaus. Es war genügend gross, weil ich die Wochenenden meistens in Märtsetten verbrachte. Oder aber unterwegs irgend in einem Land weilte. Mein Job war die „(Ausland) Passagen Abrechnung“, und weil ich im Finanzdepartement und der 322 323 Verkehrsbuchhaltung war, hiess die Abteilung: FVPA, Bürochef der Herr Völlmi, und es stellte sich heraus, dass auch er Mitrailleur Korporal war. Der Abteilungsleiter war ein Herr Endress, den wir aber, wegen seiner Erscheinung, „Knorrli“ nannten. In der Freizeit besuchte ich die KVKurse zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung. Die ersten 6 Monate hatte man noch keine Flugvergünstigungen, Mein erster Flug mit der Swissair, den allerersten Flug erlebte ich im Juni 1957, sollte nach Bern Belp gehen, mit einer DC-3. Onkel Otto holte mich auf dem Flugplatz Belp ab, er war mächtig stolz, dass es ein Angehöriger seines Stammes geschafft hatte, bei der Nationalen Fluggesellschaft zu arbeiten. Er erzählte das weit herum, und als dann Lehrer Schmied starb, erhielt ich die Todesanzeige wie folgt adressiert: R.B. Flugplatz Kloten. Bei der Swissair fühlte ich mich wie ein Vogel, der in alle Welt hinaus fliegen konnte, es war ein unglaublich gutes Gefühl. Oft lief ich abends den Fussweg von Kloten Dorf hinüber zum Flughafen, dieser führte den Hügel entlang und verschaffte einen Panoramablick über das ganze Gelände. Die Lichter der Pistenanlagen und des Airports liessen eine ganz besondere Atmosphäre aufkommen. Und ich entschloss mich dann jeweils, statt in der günstigen Personal-Kantine, im Flughafenrestaurant, direkt an den Fenstern und mit Blick auf die Pisten, genüsslich wie ein Flugreisender zu dinieren. Das konnte ein grosser Bündner Teller mit ein paar Glas Weisswein sein, oder eine andere Spezialität. Die Bedienung bestand aus Anwärtern für den Hostessendienst im Flugzeug, deshalb wurde man auch entsprechend zuvorkommend bedient. Ich war dabei fast immer allein, nur wenige Angestellte wollten sich diesen Luxus leisten. Schon 1955, als ich meinen ersten Lohn erhielt, kam ich auf die Idee, jeweils an Weihnachten und Neujahr, eine Menge Luxuswaren einzukaufen, Salamis, Weine, Fische, Delikatessen, etc. es war das Zeichen eines Nachholbedarfs, das viele Leute nach dem Krieg verspürten, die sich gewohnt waren, nur das Allerbilligste zu 323 324 konsumieren. Natürlich waren diese Luxusgüter für die ganze Familie bestimmt, und alle freuten sich darüber. Als ich dann ab 1958 im Rothaus beschäftigt war, kam ich zu einer mir ganz eigenen Dinierkultur. An Samstagabenden, ging ich ins nahe Restaurant, bestellte eine Portion Schnecken an Kräuterbuttersosse, und dazu Fendantwein. Aber immer dazu noch, las ich den Stellenanzeiger der NZZ, welcher im Restaurant auflag. Dabei machte ich mir zur Gewohnheit, alle Jobs, die für mich in Frage kamen, vorzumerken. Es war für mich ein absolutes Wonnegefühl, ich wusste, dass ich auf dem richtigen Weg war! Man mag denken, das wäre doch gar nichts Besonderes, doch für mich war es damals das Grösste. Dafür zog es mich nicht in Kneipen und dergleichen. Ich war gänzlich vom damaligen Hochkonjunkturvirus befallen, ein absolutes Gefühl der Machbarkeit, man konnte sich ein Ziel setzen und es auch erreichen. Dazu war der Zeitabschnitt von 1955 bis etwa 1968, geradezu einmalig und er wird auch kaum wieder vorkommen. Wer eine Idee hatte konnte sie realisieren, es waren noch Freiheiten da, von denen man heute nur noch träumen kann! Nur ein paar Beispiele, als ich 1956 die Autofahrschule absolvierte, gab es noch keine Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Strassen, und kaum mehr als zwei Dutzend Strassensignale. Konnte man problemlos von einem Beruf auf einen andern umschulen, und ohne diese wertlosen Diplome von heute, eine gute Anstellung finden. 1962, traf ich in Genf einen ehemaligen Schulkollegen aus Konolfingen, W.S., er hatte den Gärtnerberuf erlernt, nun aber in Genf, war er stolzer Besitzer einer Kaminbaufirma und hatte laufend Aufträge. Noch gab es damals kaum diese unternehmensfeindlichen Auflagen, die fast jedem Neuling den Start vermiesen halfen! Als ich 1953 zum Berufsberater ging, existierten in der Schweiz gerade einmal 36 anerkannte Berufslehren! Heutzutage sind es unzählige Berufe, und es kommen immer 324 325 mehr dazu, bereits sind Berufslehrgänge für Putzfrauen, Nachtwächter,Kassierer, Türsteher, etc. keine Witze mehr! Inzwischen wurde alles reglementiert und verboten, es ist daher viel einfacher, wenn man sich heute auf die wenigen Dinge beschränkt, die noch nicht verboten oder reglementiert sind. Dazu gehört noch Sex und dergleichen Betätigung. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 12 Vater stirbt Er hatte nur die Schattenseiten des Lebens gekannt, sein Leben war Arbeit und nochmals Arbeit. Mehr als 4 Tage Ferien in einem Jahr hatte er nie, irgendwie bedauerte ich sein Schicksal, wenn er aber wieder seine Launen an uns ausliess, vergingen diese Gefühle wieder. Ich glaube, die beste Zeit mit ihm hatte ich in Frankreich, als er nur ab und zu trank und noch wesentlich jünger war. Die unterschiedlichen politischen Ansichten standen damals auch weniger im Vordergrund. Am meisten Schwierigkeiten hatte ich mit ihm vom 10. bis zum 14. Altersjahr, später wurde das Verhältnis etwas lockerer, aber nicht kollegial, wie es mir vorschwebte. Er war immer der grosse Zampano und ich der kleine Junge, der sowieso alles falsch machte. Aber ich verhalf ihm dennoch zur Arbeit in der Düngerfabrik Märstetten, indem ich etwas herumhorchte und herausfand, dass die einen Mann in der Fabrikation benötigten, selbstverständlich musste er selber vorsprechen, er war derat negativ eingestellt, dass er dachte, diesen Job könne er nicht kriegen, weil er nicht vom Fach und er auch schon alt sei. 325 326 Aber er erhielt diesen Job und hatte endlich eine Arbeit gleich vor der Haustür, einen mittelmässigen Lohn, und konnte völlig frei arbeiten. Weil er keinen langen Arbeitsweg hatte, übernahm er am Abend noch den Postdienst auf die Bahn. Zusammen hatte er erstmals im Leben genug Geld, um sich noch etwas Zusätzliches leisten zu können. Etwa ab dem 58. Altersjahr, wurde er dann Abstinenzler, schon allein seine Arbeit verlangte von ihm Nüchternheit. Zudem hatte er zusehends gesundheitliche Probleme, wie Wasser in den Beinen, Leberschmerzen, etc. Aber er schaffte es doch noch, mit 65 Jahren die Altersrente zu bekommen, das freute ihn unheimlich. Er fand endlich seine lebenslange Arbeit belohnt und einen Lichtblick in seinem eher traurigen Leben. Aber er konnte nicht mehr arbeiten, zu sehr schmerzten ihn die Beine, die Nieren und die Leber waren angeschlagen, aber er wollte nicht zum Arzt, wohlwissend, dass es dafür keine Medizin gab. Im Herbst 1964, büffelte ich jedes Wochende zu Hause auf die kaufmännische Lehrabschlussprüfung hin, aber das ständige Stöhnen von Vater störte mich beim Studium empfindlich. Ich wusste, er litt grosse Schmerzen, aber mich nervte das derart, dass ich plötzlich explodierte, ich sagte ihm, er solle doch ins Spital gehen, das sei keine Lösung! Er erwiderte, ich könnte froh sein, keine solchen Schmerzen ausstehen zu müssen, und sollte ich einmal auch so leiden, würde ich an ihn denken. Da tat er mir echt leid, ich bereute meine Reklamationen, ja auch später noch. Ein paar Tage später wurde er dann doch ins Spital Frauenfeld gebracht, aber es war keinerlei Hilfe mehr möglich, er starb nach drei Tagen an Leberschrumpfung. Ich war in Kloten und an den Lehrabschlussprüfungen, was auch für mich ein Nachteil war. Ich organisierte die Beerdigung mit Nachruf etc. er wurde in Märstetten beigesetzt, dabei unterlief mir noch ein Fehler, ich lief mit Mutter voran zum Grab, hinten folgten die Leute und der Sarg. Ich bemerkte gar nicht, dass wir viel zu schnell liefen, 326 327 als ich zurückschaute, sah ich in ca. 30 Meter Entfernung den Tross. Ich sagte zu Mutter, wir sind viel zu schnell, sie merkte das wohl auch nicht. Der Pfarrer verliess den Nachruf, den ich ziemlich realistisch abgefasst hatte. Im Rückblick etwas zu hart. Aber unser Verhältnis war nun eben nicht ideal, er spielte den Übervater und ich war der, der immer gegen ihn war, dabei war das nicht mein Gusto, gerne hätte ich ein kollegiales Verhältnis mit ihm gepflegt, aber er konnte es nicht lassen, mir ständig vorzuhalten, ich machte alles falsch. Es war ein Riesenfehler, die Schlosserlehre aufzugeben, dann war ich ein Dummkopf, als ich die Post verliess, wo doch ein solcher Posten in den Krisenjahren äusserst begehrt war, sodann fand er, es wäre nicht nötig, dass ich Kaufmann würde, das seien doch alles faule Kerle, er fand es auch daneben, dass ich Unteroffizier wurde. Als ich dann den Posten bei der Swissair erhielt, war das auch nicht ganz nach seinem Gutdünken. Erinnere mich aber nicht mehr, was er daran auszusetzen hatte. Ich äusserte mich einmal dem Onkel Otto gegenüber, weshalb ich ihn eigentlich nicht besonders mochte. Da musste ich erfahren, dass er bei denen ganz anders sprach! Er habe mich stets gelobt und sei sogar sehr stolz gewesen, als ich etwa bei der Post war, oder dann bei der Swissair. Ja, selbst meinen militärischen Grad habe er respektvoll erwähnt. Da verschlug es mir die Sprache, ich sagte dem Onkel und der Tante, ich fände es seltsam, dass er mir gegenüber immer negativ sprach, er hätte mir doch seine Gefühle direkt verkünden können! Onkel Otto meinte, ein Grund dafür könnte sein, dass ich alles selber erreicht hätte und nie seine, oder andere Hilfe beanspruchen musste. Nun war er gestorben und wir konnten uns nicht mehr aussprechen, sicher habe ich auch manchmal ihm gegenüber falsch gehandelt, doch er zwängte mir das fast auf. Es war nie meine Absicht, ich hatte mir die ganze Jugendzeit nichts sehnlicher gewünscht, als ein freundschaftliches Verhältnis zu meinen Eltern, vorab zum Vater. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 327 328 Kapitel 13 Die Lehrabschlussprüfung Endlich war es soweit, ich hatte die Bedingungen für die Zulassung an die Erwachsenenlehrabschlussprüfung geschafft. Gut 3 ½ Jahre beim Konsumverein, ein Jahr in Genf, und nun 1 ½ Jahre bei der Swissair, das ergab die erforderlichen 6 Jahre Büropraxis. Zudem schien es, dass auch noch ein Teil meiner Postlehre dazu gezählt wurde. Ich hatte somit nur etwa 6 bis 7 Jahre verloren, hatte aber in der Zwischenzeit diverse Berufe erlernen können. Noch aber war die Prüfung nicht bestanden, ich hatte da ein Problem, die Stenographie! Damit wurde ich einfach nicht klar, meine Bauernhände waren viel zu verkrampft für diese flinke Kurzschrift! Ich übte mich darin mehr als in allen andern Fächern zusammen, aber umsonst, ich konnte meine Schrift einfach nicht lesen. Und dieses Fach bescherte mir dann tatsächlich Schwierigkeiten, ich hatte die ganze Prüfung mit einer mittleren Durchschnittsnote bestanden, aber im Fach „Stenographie“ die Note „unbrauchbar“ erhalten. Ich musste dieses Fach wiederholen, dazu auch noch jene Fächer mit der Note „genügend“ das war, soweit ich mich erinnere, Englisch oder Französisch? Ich belegte nun einen sechsmonatigen Abendkurs für Stonographie, direkt beim Stenographenverein. Dann wagte ich es ein zweites Mal, im Frühjahr 1965, diesmal gelang es mir eine „genügend Note“ zu erzielen, ich griff zu einem Trick, ich versuchte mit höchster Konzentration den Text im Kopf zu behalten. Dann schrieb ich diesen frei wieder nieder, weil ich meinen 328 329 Stenosudel einfach nicht zu lesen vermochte! Der Experte bemerkte noch, ich hätte aber eine seltsame Stenoschrift, er könne rein nichts lesen, aber wichtig war, dass ich es „lesen“ konnte. So schaffte ich dann die Lehrabschlussprüfung doch noch mit einem guten Resultat. Dass ich gemogelt hatte, auf diesen Gedanken kam niemand, denn es war nicht einfach diesen Text im Kopf zu behalten. Ich war derart wütend auf die Steno, dass ich schon nach wenigenTagen kein einziges Wort mehr schreiben oder lesen konnte. Steno kam für mich auch nie in Frage als Arbeitsmittel, dafür waren die Sekretärinnen da. Noch zu erwähnen ist, dass die Swissairleute meine Arbeit zu schätzen wussten und sogar Angestellte zu mir schickten, die auch diese Laufbahn einschlagen wollten. Ich wählte als praktisches Prüfungsfach „Flugwesen, Passagendienst“, auch da half man mir mit Informationen aus. Die Meinung war, dass man mir Fragen aus diesem Bereich stellen wird. Der Swissairmann, der als Experte fungierte, fragte mich aber praktisch nur über den Frachtdienst aus. Als ich ihm sagte, ich hätte mich aber für den Passagierdienst gemeldet, lachte der blöde und sagte: „Ja, dann hätten sie ja alles gewusst!“ Die Note fiel dann ensprechend aus und reduzierte das Durschnittsresultat! Der Kerl war wirklich ekelhaft, aber es gibt eine ausgleichende Gerechtigkeit, als er dann im Schweizer Fernsehen, beim „Mäni Weber“ mitmachte, scheiterte er kläglich an den Fragen und sagte zur Entschuldigung, er habe sich auf andere Fragen vorbereitet. Das freute mich sehr. Soweit ich mich erinnere, starb er noch vor seiner Pensionierung, seinen Namen habe ich vergessen. Als ich mein Fähigkeitszeugnis dem Chef vorlegte, erhielt ich eine Gehaltserhöhung von rund Franken 10.50 monatlich. Das war das Gehalt für einen kaufmännischen Angestellten mit Lehrabschluss, mir zahlte man auf Grund meiner Büropraxis, bereits zuvor nahezu den gleichen Lohn! Die erste Stufe, und somit auch die schwierigste, war geschafft, fortan musste ich nicht mehr auf meine Schulzeit 329 330 zurückkommen, ich konnte bei der KV-Lehre beginnen, denn wer diese besass, hatte in der Regel die Sekundarschule besucht. Das war eine grosse Erleichterung bei der Stellensuche, Kommentare wie: „Ja was, sie haben nur 5 Jahre die Primarschule in der Schweiz besucht“, musste ich nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Ich fühlte mich viel freier, und es war sonnenklar, es gab keine Grenzen mehr nach oben. Die Berufswelt stand mir weit offen! Denn ich hatte die allerschwierigste Hürde geschafft. Ich hatte ein Flair für das Rechnunswesen, deshalb plante ich die Weiterbildung bis zum eidg. dipl.Buchhalter. Andererseits reizten mich aber auch die andern kaufmännischen Gebiete, und ich hatte den „Überseekaufmann“ noch nicht ganz aufgegeben. Bereits 1962, fuhr ich nach Basel zur bekannten UTC, (Union Trading Companie), es galt um Versetzungen nach Westafrika, eigentlich klangen die Bedingungen damals recht gut, nur etwas störte mich, es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kontakte zur einheimischen weiblichen Bewölkerung mit der sofortigen Entlassung bestraft werde. Ich sagte diesen Herren, dass ich kein Rassist sei und für mich alle Leute gleich sind, das gutierten sie nicht, sie wiesen auf den missionarischen Ursprung der UTC hin. Bei der Basler Mission, bei welcher ich bereits in der 9. Schulklasse als Missionar dienen wollte, galten eben diese christlichen Tabus. Ich bedingte mir deshalb ein Jahr Bedenkzeit aus, nach dieser Frist landete ich bei der Swissair, dann konnte ich diesen Job mit gutem Gewissen absagen, ich flog dann nach Ghana und Nigeria, traf dort auf einen UTC Laden, im Geschäft hörte ich einen jungen Schweizer fluchen, es war einer von der UTC Basel, er war mit auffüllen der Regale beschäftigt. Als ich ihm sagte, beinahe wäre ich jetzt auch da an seiner Stelle, meinte er:“ Das ist der dümmste Job den man sich aussuchen kann, sind sie froh, haben sie nicht zugesagt!“ Und in diesem Augenblick konnte ich mir zu dieser Absage selber gratulieren. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 330 331 Kapitel Probleme mit Ernst Bis etwa zum 10. Altersjahr gab es wenig Schwierigkeiten mit Ernst, ausser, dass er in der Schule immer schwaecher wurde. Die Probleme begannen nach dem Tod von Klara, schon ab dem 12. Altersjahr begann er herum zu saufen, nachts mit kriminellen Kollegen Raubzuege durchzufuehren, was wir allerdings erst viel spaeter erfahren sollten. Ich war nur übers Wochenende zu Hause und jedes Mal, musste ich mich mit dem „lieben“ Bruder herumschlagen. Weder Mutter noch Vater konnten ihn in Schach halten. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal am Kragen von der Postbeiz nach Hause schleifte. Und Vater vermerkte einmal, er treibe sich mit schwulen Kerlen herum! Da wollte Ernst ihn angreifen, und für einmal musste ich Vater verteidigen. Es kam soweit, dass man ihn mit mir verwechselte oder gleichstellte, was mir einmal im Jahr 1963, grosse Schwierigkeiten verursachte, weil man mir anlässlich eines Armeewettkampfes einen Diebstahl in die Schuhe schieben wollte. Ich glaube, es ging um 50 Franken? Ich war einer der wenigen Wehrmänner, die an allen Wettkämpfen dabei waren, und darum wurde ich unter die Luppe genommen, der Ruf meines Bruders genügte bereits, mich zu den Verdächtigen zu zählen. Ich konnte die Polizei gut verstehen, an sämtlichen Orten, wo angeblich kleine Beträge geklaut wurden, war ich dabei. Zudem machte ich noch den grossen Fehler, den Schwimmwettkampf auszulassen, weil ich gar nicht schwimmen konnte. Ich schrieb in der Kaserne einen Brief an die Maria Helg. 331 332 Das war alles richtig, aber ich war nicht der Dieb! Die Polizei fragte, ob ich einen Kameraden verdächtige, ich sagte „Nein“. Das war ein Fehler, denn zu Hause erinnerte ich mich an den Meinrad, dieser wollte mich unbedingt überreden, doch zum Schwimmen zu kommen:“Du kannst einfach reinspringen und wieder raus!“ Auch der Meinrad war immer dort wo ich war, aber die Münze fiel erst, als im Büro ein Frl. S. mir gegenüber sass und mir sagte, ihr Freund mache auch Waffenläufe. Es war dieser M. Und sie sagte stolz, der sei doch Ingenieur bei der Firma XY, ich machte grosse Augen, denn er war dort Hilfsarbeiter! Aber Gewissheit, dass mein „bester“ Kamerad der Dieb war, erhielt ich erst dann, als sie mir sagte, beim Wettkampf in B. sei er sehr niedergeschlagen gewesen, er habe ihr gesagt, er habe einen Kameraden in grosse Schwierigkeiten gebracht! Dieser Kamerad war ich! Und sie erwähnte noch, dass sie schon vor unserem Treffen die Absicht hegte, ihn aufzugeben, weil zuviele Fragen unbeantwortet blieben. Der Zwischenfall hatte aber für mich leichtere Folgen, gab es doch sogenannte Kameraden, die mich fortan nicht mehr grüssten, weil sie vom Verdacht gegen mich hörten und den wahren Täter nicht kannten, ich habe nichts unternommen. Auf solche „Kameraden“ konnte ich verzichten, obwohl ich von diesen sowas nie erwartet hätte, wie etwa der Gefreite R. Ich wollte aber dem Füsilier H. nicht mehr begegnen und mied die Wettkämpfe ganz, was im nach hinein eine kluge Entscheidung war, weil viele Läufer später künstliche Hüftgelenke einsetzen mussten. Ohne meinen lieben Bruder wäre ich aber kaum in diese Situation gelangt. Er blieb in keiner der Lehrstellen länger als ein paar Wochen, und auch als Hilfsarbeiter wurde er ständig gefeuert. Im Jahr 1963 war er 16, er soff in allen 12 Kneipen von Märstetten herum und Mutter musste hintendrein die Rechnungen zahlen. Weil Vater auch noch da war, war es an ihnen, die Beizen zu instruieren, ihm kein Alkohol auszuschenken. Aber es gab immer wieder welche, die sich nicht daran hielten. 332 333 Als ich im Oktober/November dann in den WK musste, schickte die Swissair meinen Zahltag nach Hause. Als ich übers Wochenende auf Urlaub vorbeikam, weinte Mutter und Vater rief von hinten:“Weshalb haben wir einen Privatdetektiven im Haus?“ Er meinte mich, aber ich verstand nur „Bahnhof“ „Ist jemand gestorben?“ fragte ich Mutter, und die sagte tatsächlich:“nein, noch viel schlimmer, der Ernst ist mit deinem ganzen Zahltag abgehauen!“ Ich musste erst nur lachen, und sagte, das sei doch nur Geld und kein Grund zum heulen. Sie beruhigte sich dann und meinte, er habe eben nicht nur mein Geld geklaut, sondern meine beiden Koffer, meine Kleider, Schuhe, ja sogar meinen Hut! Einfach alles, was er einpacken konnte! Schön, so einen Bruder zu haben, der alles mit mir teilt und selber nichts hat. Schon lange verschwanden meine Sachen spurlos, nun war mir klar, es war Ernst! Ich musste eine Anzeige gegen meinen Bruder machen, damit ich wieder zu meinen Sachen kommen konnte! Wir hatten ja keine Ahnung, wo er war und ob er wieder zurück kam? Und er kam zurück, nach gut 10 Tagen klingelte es um 21 Uhr draussen, und wer stand da mit einem viel zu langen Mantel, einem Hut bis über die Ohren, und zwei Koffern? Ich musste laut lachen, er machte eine derart jämmerliche Figur ab, dann begann er zu heulen und wollte alles wieder gut machen. Ich musste ihm ja doch irgendwie beistehen, also forderte ich von ihm, eine Lehre zu beginnen und sich etwas zu bemühen, tue er das, würde ich ihm das Ganze erlassen und erst noch Fr. 45.-im Monat als Taschengeld zur Verfügung stelle. Er sagte zu und fand in Neuenburg in einem guten Hotel eine Lehrstelle. Es fehlten nur noch wenige Monate, als er eines Tages davonlief. Alles umsonst! Nun war auch ich am Ende meiner Weisheit. Die Vormundschaftsbehörde aber auch, nach dem Tod von Vater wurde er bevormundet. Ernst wurde in die Erziehungsanstalt Uetikon bei Zürich, eingewiesen, dort musste er nun eine Schlosserlehre absolvieren. Und ich 333 334 besuchte ihn mit Mutter je einmal monatlich während rund dreier Jahren. Brachte ihm etwas Taschengeld und Esswaren mit. Für mich war das ein recht grosses Opfer, musste ich doch meine kostbare Freizeit für ihn hingeben, für ihn war das aber eine absolute Selbstverständlichkeit! Er schloss die Lehre ab und bestand auch die Prüfung, doch kaum war wieder draussen, trieb er sich in den Hippiekreisen herum. Nun ja, ich war darauf nicht besonders stolz, aber er entwickelte sich genau so, wie ich das damals, 1954, den Herren in Bern, auf meine besorgte Art vorgetragen hatte. Aber andererseits bin ich immer noch der Ansicht, er hätte sich durchaus anders entwickeln können, wenn er das gewollt hätte! „Wo ein Wille - ist ein Weg“, lautet ein Sprichwort. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 15 4.Mai 1964 Am 2. Mai 1964, flog ich über das Wochende nach Istanbul, ich musste am Montag über Belgrad in die Schweiz zurückfliegen. Am Mittag wollte ich direkt nach der Ankunft ins Büro gehen. In Belgrad gab es eine Zwischenlandung, ich erinnere mich aber nicht, ob wir aussteigen mussten oder nicht? Ich hatte in Istanbul eine Flasche „ARAK“ gekauft, ein türkischer Brantwein. Und schon vor der Landung in Zürich, hatte ich die Flasche geleert. Voll betrunken war ich nicht, aber doch ziemlich beschwipst. Bei der Passkontrolle stellte man mir seltsame Fragen und ich gab vermutlich 334 335 entsprechende Antworten? Ich erinnerte mich später nur noch, dass man mich befragte und versuchte mich aufzuhalten. Schliesslich liess man mich gehen, ich hatte ja nichts verbrochen! Im Herbst des gleichen Jahres, sollte ich laut meinem KADI, den Grad zum Wachtmeister erhalten, ich führte bereits einen Mitrailleurhalbzug. Nun ja, ich führte wieder den Zug, aber von einer Beförderung war keine Rede mehr! Ich wunderte mich, fragte aber nicht zurück, weil ich einerseits „Zugführer“ blieb und zweitens zwei WK weniger zu absolvieren hatte. Als es dann bis zum letzten WK dabei blieb, ich aber immer den Zug führen durfte, vermutete ich, dass da eine „höhere Gewalt“ mitwirken musste, denn vom KP Kommandanten aus, war ich ja anerkannt, somit musste von höherer Stelle etwas gegen mich vorliegen? Nur hatte ich keine Ahnung was? Die Antwort darauf erhielt ich 25 Jahre später, am 31.1.1989, wurde das Schweizer Volk informiert, dass mehr als 700.000 Einwohner eine sogenannte Fiche bei der Spionageabwehr in Bern, hatten. Mein Kollege, in der Armee Feldweibel, sagte mir, dass jede militärische Beförderung ausgeschlossen wurde, wenn der „Kandidat“ in Bern ein Fiche aufliegen hatte. Weil ich mich ja 1959, und auch noch später, in Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, etc. aufhielt, lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass man mir dafür eine Fiche als potentiellen Ostspion verpasse. Ich schrieb nach Bern um mich diesbezüglich zu erkundigen. Und siehe da, ich wurde fündig! Aber nicht wegen 1959, auch nicht wegen den späteren Reisen, sondern wegen meinem Flug am 4. Mai 1964, von Istanbul nach Zürich! Ich wollte vernehmen, was für einen Unsinn dort über mich eingetragen wurde, aber der Fichenbeauftragte konnte keine weiteren Informationen finden. Bedenkt man, dass nicht nur militärische Beförderungen, sondern auch berufliche Karrieren beim Bund, von diesen Fichen betroffen waren, finde ich es schon 335 336 eine riesen Sauerei, was man sich damals in Kloten erlaubt hatte. Jugoslawien galt damals als moderates kommunistisches Land, darum war es umso unverständlicher, was ich da eingebrockt bekam! Bedenklich war aber auch, dass wir in der Schweiz prozentual mehr fichierte Leute hatten, als die berüchtigte STASI in der DDR! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 16 Auslandbuchhalter Während ich im Herbst 1963, im WK weilte, meldete mich der Abteilungsleiter Endress zum Auslandbuchahlterkurs der Swissair an, ohne mich zuvor zu konsultieren. Das tat er aus reiner Gefälligkeit mir gegenüber, sagte er, denn, er wisse, dass ich gerne in der Welt herumreise, und das wäre eine besonders gute Gelegenheit! Gewöhnlich würden dabei nur Leute aufgenommen, die schon zwei oder mehr Jahre bei der Firma beschäftigt sind, und sich mit besonderen Leistungen dafür qualifizieren. Dass man mich bereits nach nur acht Monaten zu dieser Möglichkeit verhelfe, sei ein ganz besonderes Entgegenkommen der Firma! Natürlich könne ich dies ablehnen, aber er wisse schon, dass ich das nicht tun werde. Ich nahm dankend an und konnte dann den Kurs während den Bürostunden absolvieren. Wir waren sechs Kandidaten, der Willi S., der Calamme, der W. Brauecher, der R. Schaerrer, der W. Zimmermann und ich. Alle waren schon seit Jahren bei der Firma. Ich war mit Abstand der Dienstjüngste. 336 337 Es ging dabei um die Besetzung von Posten in New York, London, Paris, etc. Diese Bevorzugung weckte in mir neue Motivationen, plötzlich war mein Traum vom Auslandkaufmann in Erfüllung gegangen, ich musste nicht mehr zu Firmen wie Eduard Keller, Züllig, Vollkart, UTC Basel, etc. , die Swissair bot mir die gleichen Chancen! Aber es gab da noch ein kleines Problem, den Kurs schloss ich erfolgreich ab, und ab Herbst 1964 wurden wir einer nach dem anderen ins Ausland versetzt. Der R. Schaerrer ging nach New York, der Zimmermann nach London, ich meldete mich nach New York, alles war soweit in Ordnung, nur eben, 10 Tage vor dem Abflug starb Vater, und die KV Prüfung war zwar auch bestanden, aber das Fach „Steno“ musste ich nochmals wiederholen. Im Frühjahr 1965, gut notfalls hätte ich ja aus New York herbeifliegen können, aber wo in die Schule gehen? Da machte ich einen grossen Fehler, statt den zuständigen Leuten mein Problem zu schildern, verlangte ich einfach soviel Gehalt, dass man mich nicht mehr nach New York schicken wollte! Und weil ich mich so selbstsicher fühlte, antwortete ich auf die Meldung, die Swissair lasse sich nicht erpressen, mit folgendem Satz: „Ich bin nicht auf die Swissair angewiesen, und die Swissair nicht auf mich!“ Dieser Satz verhalf mir zu einer lebenslangen Wiederanstellungssperre! Dabei wäre das ganze Theater viel einfacher zu lösen gewesen. In Berücksichtigung der Schwierigkeiten mit Bruder Ernst, war es ratsamer, nicht auszuwandern. Ich sagte die Auslandversetzung endgültig ab, das aber wurde wiederum als arrogante Haltung meinerseits eingestuft, weil man mir ja doch grosszügig eine Vorzugsstellung verpasst hatte. Nun ja, das Porzellan war zerschlagen und ich musste mich damit abfinden. Ich nahm die Drohung wegen der lebenslänglichen Sperre nicht allzu ernst. Als ich mich dann aber später als Revisor wieder meldete, sagte mir der Chef von Top Work, ich hätte 337 338 die allerbesten Qualifikationen für diesen Job! Als ich dann zwei Wochen spaeter wieder vorbeischaute, kam der mit einer sauren Miene und sagte: „ Aus dem Job wieder leider nichts, sie stehen bei der Swissair auf der schwarzen Liste“. Gut, das war weiter nicht schlimm, ich hatte andere Angebote. Ich nehme an, dass mit dem Untergang der Swissair, um die Jahrtausendwende, auch meine Verbannung hinfällig wurde? Aber ich kam trotzdem noch auf meine Rechnung, im Jahr 1970, begann meine Frau Delia ihren Job bei der SR, und ich bekam wieder Flügel, ja, ich war sogar über die Swissair mit der ganzen Familie krankenversichert. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 17 Neue Ziele Als ich bei der Swissair meine Arbeit aufnahm, sagte ich bereits, ich wolle genau drei Jahre dort verbringen, und während dieser Zeitspanne plante ich sämtliche Auslanddestinationen anzufliegen. Ich machte regen Gebrauch von den Flugvergüngstigungen und war fast immer irgendwie und irgendwo unterwegs. In der Welt herumfliegen wurde zur Usanz, was noch kurz zuvor unmöglich war, war nun Realität. Ich war entsprechend motiviert, machte aber den Fehler, dass ich, statt weiter drauflos Karriere zu machen, mich entschied, weiter zu studieren. Dabei war die eidg. Buchhalterprüfung die grösste Herausforderung für mich. Die KV Prüfung sollte nur der Anfang sein, ich liebäugelte sogar wieder damit, etwa im Ausland ein Unistudium zu absolvieren. Ich belegte in der Abendschule des KV Zürich, Vorbereitungskurse auf die höheren Fachprüfungen. 338 339 Auch Fernkurse des SIB belegte ich emsig. Über die Auslandreisen schrieb ich später das Buch: „Einmal die Ferne sehen“, darum will ich hier nicht näher darauf zurückkommen. Den Abschluss machte die lange Fernostreise aus, welche vom Februar 1966 bis in den April hineinreichte. Auf dieser Reise sollte ich auf den Philippinen auch meine zukünftige Frau kennen lernen. Sie damals 18 jährig und Werkstudentin an der FEATI Universität in Manila, in der Freizeit verdiente sie ihr Studiengeld als Kassiererin in einem Chinesen Restaurant.(Chung King House), ich 27 ½. Ihr Name „Delia Rosales“ gefiel mir gut, ich traf sie aber nur gerade eine gute Viertelstunde an ihrem Arbeitsplatz. Ich ersuchte um ihre Adrese und damit wars passiert! Schon vor meinem Abflug hatte ich auf mitte April eine neue Anstellung als Vertreter bei der Firma R.Faigle, in Zürich. Ich wollte mich im Aussendienst versuchen! Dafür musste ich sogleich nach meiner Rückkehr ein Auto kaufen, dann begann die Einführungszeit durch den besten Vertreter. Ein Herr Stegemann, mit Mercedes, unsere Aufgabe war der Verkauf von Kopiergeräten, die damals recht teuer waren! Der Stegemann hatte seltsame Methoden, ich konnte mich damit nicht befreunden! Da war er stolz, dass er einem kleinen Schuhmacher einen teuren Aparat aufschwatzen konnte, den dieser gar nicht verwenden konnte. Dann sagte er stets, wir haben ein brandneues Gerät, es hat sich im Bundeshaus bereits seit 5 Jahren bewährt. Oder er drückte dem Einkäufer der Firma Sprecher und Schuh in Schönenwerd, die Bürotüre ein. Begründung, der werde ihn nie vergessen! Ich war froh, als ich endlich alleine auf Reise gehen konnte. Ich hatte angeblich die Ostschweizer Kantone für mich alleine. Aber schon nach wenigen Tagen musste ich erfahren, dass auch ein Vertreter der Firma Ruegg-Naegeli, genau die gleichen Geräte verkaufte! 339 340 Ich stellte sogleich den Verkaufschef von Faigle zur Rede, dieser gestand mir, er hätte es unterlassen, mich darüber zu informieren! Ich kündigte deshalb umgehend. Er konnte das zwar begründen, die US-Firma hatte fusioniert, daher waren nun die Vertretungen von Faigle und Ruegg-Naegeli, plötzlich identisch. Ich erfuhr später, dass der Stegemann sich erschossen habe, mit seinen brachialen Methoden schwanden auch seine Verkaufserfolge, er musste den Gürtel enger schnallen, wurde zum schwächsten Vertreter. Das konnte er nicht ertragen. Ich sah mich jedoch in meiner Ansicht bestätigt, dass man mit agressiven Lügen nur kurtzfristige Erfolge verbuchen kann! Weil ich immer noch in Märstetten mit Mutter zusammenlebte, wollte ich mich beruflich im Kanton Thurgau umsehen. Bei der Firma Spring in Eschlikon, war der Posten des Exportleiters neu zu besetzen. Aber der Arbeitsweg war mir etwas zu weit. Also nahm ich eine Stelle als kaufmännischerAngestellter bei der Firma SIA Frauenfeld, an. Ich war Exportsachbearbeiter für Österreich und Finnland. Jede Woche fuhr ein Lastwagen los, ich musste alle Unterlagen bis zur Abfahrt bereit halten. Bei der Anstellung machte ich zur Bedingung, dass ich die Rechnungen im Vorbüro schreiben lassen könne, das wurde mir zugesichert und ich durfte das Schreibbüro sogar noch besichtigen. Als es aber um das Schreiben der vielen Rechnungen ging, lachte man mich dort aus, was ich mir eigentlich erlaube, ich solle diese selber schreiben! Ich begann urchig zu fluchen, fühlte mich verarscht, schon bald musste ich ins Direktionsbüro. Die kannten mein Problem bereits, redeten sich damit heraus, das sei vermutlich ein Missverständnis meinerseits gewesen! Gleichgültig, ich kündigte wieder, die Betriebsmentalität, im Büro die Herrenmenschen , in der Fabrik die Affen, gefiel mir ganz und gar nicht! Wenn ich in der Fabrik die Belege für die Rechnungsstellung einholen musste, war da Krawattenzwang, wegen den Arbeitern! 340 341 Ich meldete mich auch als Reiseleiter bei der Firma Kuoni in Zürich. Und noch bevor ich mir klar wurde, was das genau bedeutete, hatte ich schon einen Vertrag in den Händen und auch die erste Reise zum organisieren. Ich war für Touren nach Übersee auserkoren, aber meine Aufgabe gefiel mir nicht, ich hatte schon Magenkrämpfe, bevor ich die Stelle antrat. Also fuhr ich nach Zürich um mich dispensieren zu lassen, wie damals bei der Swissair, versuchte ich es mit mehr Gehalt. Mein Gegenüber war der Direktor und später sehr populäre Jack Bolli. Er fand meine Forderung anmassend und frech, dann holte er die Gehaltsliste und zeigte auf, dass keiner soviel verdiene wie ich da fordere! Ich blieb stur, denn ich wollte ja nicht anfangen, der Jack kriegte einen roten Kopf und machte einen Salto fast bis zur Decke hinauf! Dann war es aus, er war endgültig wütend und ich machte mich davon! Das war noch vor meiner Anstellung bei der SIA, weil ich dann eines Tages einen Brief von Kuoni erhielt, in dem mann verlangte, ich solle den Vertrag doch endlich unterzeichen und zurücksenden. Ich hatte ihn unterzeichnet, wollte aber nicht, dass man mir dann einen Vertragsbruch unterschob, darum meldete ich den als verloren an. Damit war auch meine Karriere als Reiseleiter zu Ende. Etwa zwei Jahre später versuchte ich es nochmals, aber wieder wurde nichts daraus, Reiseleiter war kein Beruf für mich! Ende Juni 1966, ich hatte nicht weniger als drei Stellen offen, bei der BEA (Airline) als Bürochef in Zürich, bei der Foreign Commerce Bank, an der Fraumünsterstrasse, als Buchhalter mit Prokura nach 3 Monaten, sowie eine Anstellung bei der Firma Weddel und Co Ltd. London., mit einem Büro an der Schützengasse in Zürich, im Aussenund Innendienst. Da ich alle drei Stellen auf den ersten Juli antreten sollte, begann ich zu sondieren, jene der BEA sagte ich ab, die bei Weddel verschob ich auf den ersten August. Ich startete bei der FOCO Bank, wie sie sich später noch nannte. Während einer Woche wurde ich von einem 341 342 Profibuchhalter eingearbeitet, dann liess man mich alleine werken. Dass fast alle Mitarbeiter etwas seltsame Namen trugen, fiel mir erst gar nicht auf, zahlreiche Ungaren, die deutschklingende Namen führten. Dann stellte ich fest, dass auch die Kunden solche Namen hatten, und als ich auf die Konten der El-Al traf, war mir klar geworden, wo ich war! Offen und spontan, wie ich nun einmal bin, machte ich eine Bemerkung über die Riesenvermögen, die ja doch nur zusammengeklaut sind! Kaum ausgesprochen, war ich von einer Meute Angestellter umgeben, die wissen wollten, was ich gegen Juden hätte? Ich wusste, da stach ich in ein Wespennest! Ohne zu zögern sagte ich ihnen, dass anständige Menschen niemals derart viel Geld mit Arbeit verdienen könnten, also wäre das sicher zusammengestohlen worden! Da sah ich meine letzte Minute gekommen, zum Glück war ich stäker als alle die kleinen Kreaturen um mich, sie wagten nicht, mich anzugreifen, liessen es aber bei verbalen Tiraden bleiben. Für mich war klar, hier konnte ich nicht bleiben! Ich ging zum Direktor und sagte:“Herr Amann, ich kündige hiermit auf nächste Woche“. Und der sagte: „Ich begreife sie gut!“ Und zwei Wochen später war er nicht mehr dort! Es gäbe da noch interessante Sachen über die Bankgeschäfte zu melden, aber wie ich weiss, unterstehe ich lebenslänglich dem Bankengeheimis. Ich ging dann zur Firma Weddel und sagte:“Sie haben Glück, ich kann am Montag bei ihnen beginnen!“ Der Manager nahm den Vertrag, stornierte das erste Datum und schrieb einfach 1. August 66, damals noch ein Arbeitstag! Ich habe einmal ausgerechnet, dass ich mich zwischen 1954 bis 1985, auf insgesamt etwa 450 Stellen beworben habe, das waren Stellen vom Hilfsarbeiter bis zum Direktor. Die meisten in den Jahren 1966 bis 1969, ich hatte manchmal bis 10 Stellen zur Auswahl, wusste nicht welche nehmen, entschied mich dann oft für die falsche, aber es war eine einmalige Zeitepoche. Manche nutzten das um maximale Gehälter zu erwirken, ich mochte das nicht, ich wollte eine 342 343 interessante Arbeit! Man konnte sich auf 20 Stelleninserate melden und davon waren 15 positiv, nie zuvor und auch nicht mehr danach, hatten Arbeitssuchende solche Möglichkeiten. Auch die Selbständigerwerbenden hatten es damals leicht, man konnte ein X-beliebiges Geschäft eröffnen und hatte fast immer den erwarteten Erfolg. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 17 Englische Arbeitsmethoden Bisher arbeitete ich immer nur bei Schweizer Firmen, eigentlich war es mein Ziel, in einer amerikanischen Gesellschaft zu arbeiten, die hatten alle bereits die 5Tagewoche und die 40-Stundenwoche. Während man bei den einheimischen Firmen noch 44 Stunden kannte, und dazu zwei Wochen Ferien etc. Ich trat also meine Stelle bei der Firma W.Weddel Co. Ltd, London, an. Wozu ich angestellt war, das wusste ich nicht so genau. Der Manager, ein junger Jude aus England (Mr. Stearn), sagte einfach, ich solle in den Unterlagen meines Vorgängers schauen, was der gemacht habe, solle auch ich tun. Ich stöberte in den Schubladen herum und wurde fündig. 100 Tonnen Eigelb an die Firma Dr. Wander, 20 Tonnen Ananasschnitze an die Konservenfabrik Estavayer le Lac, 100 Dosen Corned Beef an die EPA in Zürich, etc. 343 344 Das war ja sehr interessant, und der Manager meinte noch, bei schönem Wetter besuchen wir unsere Kunden und fragen nach ihren Wünschen. Und es gab keinerlei Arbeitszeitkontrollen, man kam während des Vormittags ins Büro, und verliess es zwischen 16 und 17 Uhr wieder. Der Manager selber war am Morgen immer der allerletzte von uns, so um die 9.30 schlich er sich durch den Gang, obwohl wir die Bürotür meist offen hatten, grüsste er nie. Mit mir war meistens noch ein junger Engländer, direkt aus der Uni im Büro gegenüber. Dann im kleinen Büro der Buchhalter, und im grossen Lager Herr und Frau Mantel aus Elgg. Der Ausläufer hiess Zollinger, aber er hatte eine Sprache, als wäre er der Chef in Person. Dann im Sekretariat, die Chefsekretärin, „Prima“ eine ca. 45jährige Frau, mit Vornamen Primavera, sie sah aus wie eine echte Zigeunerin, Vater Schweizer Mutter Mongolin. Meistens war da noch eine zweite Sekretärin für uns zur Stelle. Sonst schrieb eben die Prima unsere Briefe, wenn sie nicht gerade besoffen war. Sie hatte einen Liebhaber, aber es wurde gemunkelt, dass sie bereits jeden Mann vom Weddelbüro bei sich hatte, ausser meiner Wenigkeit. Ich hatte aber keine grosse Lust, sie sah derart verkommen aus, da sagte mir der Buchhalter H. er habe sie auch überlebt. Ich ging mit ihr ins Seefeld, sie wohnte irgendwo dort in einer kleinen Wohnung, es war schon spät abends, wir gingen in eine Bar, tranken zusammen ein paar Gläser Alkohol. Prima ertrug das natürlich besser als ich, als wir bei ihr ankamen, war ich echt beduselt. Schon stand sie nackt vor mir, doch mir verschlug es fast den Atem, sie sah aus wie eine verkommene Burgruine in der Gemeinde Köniz! Ich versuchte mühsam meinen Freund zu begeistern, aber dieser machte nun einmal schlapp, irgendwie schafften wir es dann doch noch halbwegs, aber nur halb! Ich schämte mich natürlich, weil ich wusste, dass die Prima im Suff gerne ihre Freier durch den Dreck zog! 344 345 Aber das Problem löste sich schon nach wenigen Tagen von selbst. Prima war wieder einmal stockbesoffen, der Manager im Ausland, sie lag unter dem Bürotisch und rief dem obersten Chef in London an, Lord Vesty, der Konzern hiess:“Union international“ mit rund 90 Tausend Angestellten in der ganzen Welt. Ich hörte, wie die Prima den Lord sexuell belästigte, und auch sonst allerlei dumme Sprüche nach London sandte. Das konnte nicht gut ausgehen, schon am nächsten Morgen kam der Lord im Privatflugzeug aus London angeflogen, und eine Stunde danach war die Prima nicht mehr unter uns! Ich traf sie dann noch zweimal, das erste Mal in Ottoberg Thurgau, dort lebte ich mit meiner Mutter, wo sie mich an einem Sonntagnachmittag besuchen kam, mit einem Taxi aus Weinfelden, sie stieg aus und umarmte mich mit Küssen, zeigte auf einen kleinen, untersetzten Mann im Heck, dieser, um die 55 Jahre, schaute mich sehr böse an, ich begriff gleich, dass der dachte, ich wäre wohl auch ein Liebhaber von Prima! Sie aber betonte, der kleine Kerl sei ihr neuer Freund! Nur wenige Tage danach, schoss in Zürich ein eifersüchtiger Mann eine Frau mit fünf schüssen in den Bauch nieder.Ich erfuhr, dass es die Prima war, die aber schwer verletzt überlebte. Einige Monate danach traf ich die Prima gleich an der Stampfenbachstrasse, unsere Büros waren inzwischen von der Schützengasse an die Beckenhofstrasse verlagert worden. Sie sagte mir, dass sie je eine zerschossene Leber und Milz habe, jedoch sonst wieder auf dem Dann sei! Der Job bei Weddel war zwar angenehm, aber sicher kein Sprungbrett für eine Karriere, zudem war der Manager total unfähig, schrieb rote Zahlen, während der Mantel und ich gute Umsätze erzielten, verlor er mit seinem blöden Gehabe sämtliche Stammkunden. Aus London kam der Befehl: „Personal entlassen“, aber weil er wusste, dass er der Versager war, getraute er sich nicht, einem von uns zu 345 346 kündigen. Ich nutzte die Gelegenheit um Ende Dezember zu kündigen, auf den 1. März 1968. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 18 Chefbuchhalter bei Seaboard Airline Ich war froh, konnte ich die chaotische Firma Weddel endlich verlassen, man konnte dort ganz gut das Arbeiten verlernen! Privat war wenig Abwechslung, ab und zu fuhr ich an Samstagen nach Konstanz zu den Huren, oder nach Innsbruck ins AIDA, etc. Seit dem 1.Januar 1967, hatte ich eine regelmässige Korrespondenz mit Delia auf den Philippinen. Ich sandte ihr zum Jahreswechsel eine Karte und sie gab Antwort auf diese Nachricht. Erst danach entwickelte sich unser langjähriger Briefwechsel. Einmal im Monat fuhr ich mit Mutter nach Uetikon, um Bruder Ernst aufzusuchen. Damit war jeweils der ganze Sonntag hin, aber was tut man nicht alles um dem Problem-Bruder zu helfen? Einmal fragte ich ihn, ob er mich in der gleichen Situation auch während 3 Jahren besuchen würde? Seine Antwort 346 347 habe ich vergessen, aber ich brachte ihm auch noch Verpflegung und Taschengeld. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass alle meine Bemühungen umsonst waren! Die Frachtairline, Seaboard, suchte einen Chefbuchhalter für ihre Büros in Kloten. Ich meldete mich einfach einmal und wurde auch prompt angestellt, dafür musste ein Beauftragter aus New York einfliegen, wir wurden uns bald einig und ich sollte auf den 1. März 68, meine Stelle im Frachthof Kloten antreten. Der Direktor war ein Herr Schnyder, alles schien bestens zu sein, auch der Lohn liess sich sehen, Einzelbüro, das war eigentlich weniger nach meinem Gusto, ich wollte lieber mit einer Person das Büro teilen. Nun ja, das hatte noch Zeit. Bei der Firma Weddel überarbeitete ich mich nicht mehr. Von der Position und dem Salär aus gesehen, sollte ich mich eigentlich auf die neue Stelle freuen. Aber ich litt irgendwie unter einem „burn out“ Syndrom, ich hatte genug vom Klima und von der Umgebung, wollte eine Abweschlung! Mutter und ich zogen nach Buhwil im Thurgau um, eine nicht unbedingt gute Lösung, weil zu weit nach Zürich. Und der 1. März war gekommen, ich musste in aller Frühe aufstehen, mit dem Auto fuhr ich nach Frauenfeld, von dort mit der Bahn bis Kloten. Und als ich vom Bahnhof Kloten in Richtung Frachthof lief, herrschte dort starker Nebel, es war zudem nasskalt, ekelhaft! Mich überkam plötzlich ein dominierender Gedanke, auswandern, den Job gar nicht antreten! Der Entschluss war gefasst, ich trat ins Büro und sagte: „Guten Tag, ich bin der neue Buchhalter, aber ich fühle mich nicht gut und kündige hiermit auf den nächsten Termin, das ist laut OR eine Woche, aber ich melde mich für diese Zeit krank“. Die Chefsekretärin verstand rein nichts, deshalb wiederholte ich meinen Spruch, sie war total überfordert, der Direktor Schnyder befand sich in Davos in den Ferien. Also musste sie ihn konsultieren, dieser war aber noch im Halbschlaf und 347 348 begriff auch nichts, ich nahm den Höhrer und klärte ihn auf, etwa nach der dritten Wiederholung verstand er das Problem. Das mit der Woche Arbeit war überflüssig, ich war entschlossen, nach Spanien zu gehen, wie lange, das wusste ich noch nicht. Ich war nicht krank, aber meine Stimmung auf dem Nullpunkt, und das war auch eine Art von Krankheit, Als ich den Eindruck hatte, auch der Herr Direktor habe den Sachverhalt verstanden, setzte ich meinen Hut wieder auf, den Mantel zog ich schon gar nicht erst aus. Ich befand mich wie in einem Traumzustand, als sässe ich im Kino und schaue mir einen Film an, dessen Ende noch völlig unklar war. Ich fuhr wieder nach Hause, sagte der Mutter, dass ich nach Spanien gehe und packte die Koffer. Sie fragte nicht, was ich in Spanien wollte, ich hätte es auch nicht gewusst. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 19 Barcelona Seit nun gut 10 Jahren war Barcelona für mich eine „Traumstadt“. Billige Unterkunft und Verpflegung, Frauen zu zahlbaren Preisen, und eine Ambianz, die eher an Mexiko erinnerte, etc. Spanien war damals schlichtweg anders, sehr arm und diktatorisch von Franco regiert. Aber für Ausländer interessant, abwechslungsreich, abenteuerlich, romantisch die Sprache. Ich hatte genug von der Schweiz, ich brauchte eine Veränderung, vermisste die vielen Länder, die ich von 1957 bis 1966 besucht hatte. Ich wollte ausbrechen aus dem Alltag, gleichgültig was die andern dabei über mich dachten! 348 349 Auf der Bank hatte ich etwas Geld, aber nicht genug, um all zu lange keines mehr einzunehmen. Ich sass also wieder einmal in der Eisenbahn, wie schon so oft in den vergangenen Jahren. Ich reiste dabei mit 2 Koffern, nicht unbedingt praktisch, aber ich wollte ja nicht andauernd unterwegs sein, sondern mich irgendwo niederlassen. Barcelona war vorerst einmal ein Ziel, bis dorthin wollte ich durchreisen, erst auf der Fahrt machte ich mir Gedanken, was ich eigentlich dort tun wollte. Und ich hielt es für naheliegend, erst einmal die Sprache zu erlernen. Ich hatte fast bei jedem Besuch in Spanien und Südamerika Probleme mit der Sprache. Da sprachen mich im „Barrio Chino“ die Frauen an mit: „Hola, vamos arriba?“ Und ich dachte, die fragen wies mir geht, ich antwortete darum immer mit: „Si, si, grazias“, oder ähnlich. Dann gingen die Frauen in einen Eingang und wunderten sich, dass ich nicht folgte! Sie riefen mir zu und winkten, dann suchte im im Diktionär nach einer Erklärung, was denn wohl „ARRIBA“ bedeuten könnte, das hiess „oben“. Jetzt erst wurde mir klar, das hiess doch „gehen wir nach oben?“ Das Beispiel war aber nur eines von vielen Missverständnissen. Auch mit meinen Italienischkenntnissen kam ich nicht immer durch, so etwa beim ersten Besuch in Barcelona, im März 1958, als ich beim Fruehstueck die ranzige Butter nicht essen mochte, und dann einen Ersatz mit den Worten „Burro“ bestellte, die Kellnerin schaute mich böse an und errötete. Ich zeigte auf die Butter, da lachte sie und sagte laut:“ Ah Mantequilla“. Weil Burro eben auf Spanisch „Esel“ heisst! Somit konnte eine Sprachschule nicht schaden und ich hatte dazu noch ein Ziel, denn es war nicht meine Art, ziellos in der Welt herum zu reisen. Aus nostalgischen Gründen wollte ich natürlich wieder im gleichen Hotel wohnen, wie schon anfangs 1958, sowie all die folgenden Jahre. Die Herberge hiess nun „Pension Benidorm“, (früher Cascon), war immer noch gleich primitiv und billig wie schon zehn 10 Jahre zuvor. 349 350 Das Zimmer war klein, ein einfaches Bett und ein Schrank, ein Minitisch und Stuhl. Eine Gefängniszelle in der Schweiz war vermutlich nicht viel primitiver? Aber ich fühlte mich trotzdem wohl dort, die Ambiance erinnerte eher an Millers Buch „Quiet Days“ in Clichy. Die Mehrzahl der Bewohnerinnen waren Prostituierte, ein paar wenige Ausländer, oft von der Polizei gesuchte, einmal auch eine ausgerissene Deutsche, sie mochte erst 15 sein? Alte Dirnen ohne Kundschaft, die ihr Elend auf hysterische Art verkündeten. Sie nagten an den weggeworfenen Hühnerschenkeln aus den Abfällen, bettelten um Geld für einen Kaffee, etc. Ich meldete mich gleich nach meiner Ankubft bei der Berlitz Sprachschule an der Calle Pellayo, dort konnte man zu jeder Zeit eintreten und die Kurse waren sehr günstig. Jeden Vormittag von 9.30 bis ca. 11.00 war Unterricht. Ich plante vorerst einen ganzen Monat Schule, dann wollte ich in die Schweiz zurückkehren. Eine Schülerin sagte mir, sie gehe am Vormittag in die Schule und am Nachmittag sei sie selber „Profesora“. Ich wunderte mich, weil sie nach meiner Ansicht keine besondere Bildung hatte, sie sagte, das sei hier absolut kein Problem, nebenan, sei die „Academia Puig Condal“ dort könne jeder mit normaler Schulbildung unterrichten. Das liess ich mir nicht zweimal sagen, wenn die das schaffte, konnte ich es sicher auch! Ich hatte einen neuen Plan, zurück in die Schweiz, um nach Mutter und Ernst zu schauen, und mich dann für längere Zeit nach Spanien absetzen. Dann kam da noch ein weiterer Faktor hinzu, der hiess „Isabelle“, eine Zigeunerin aus Cartagena, sie machte den Strich, wohnte ebenfalls in der Pension. Sie war mein Typ Frau und ich wollte sie heiraten. Noch vor Ostern feierten wir „Verlobung“ allerdings kaufte ich die Ringe im „Corte Ingles“ für umgerechnet 2 Franken das Stück. Und soviel war wohl auch unsere Verbindung wert? 350 351 Erst einmal gab es da in der Pension einen Riesenaufruhr, weil ein gebildeter Ausländer auf die Idee kam eine „Hure“ zu heiraten, dazu noch eine Zigeunerin aus dem Süden! Nein, das durfte nicht sein, ich verstiess also gegen die katalanischen und aragonesichen Landessitten! Danach durfte sich ein Nordspanier etc. Nicht mit einer Zigeunerin liieren, erst recht nicht mit einer Dirne! Ausländer standen damals ebenfalls hoch im Kurs. Ein Schweizer Angestellter, erhielt fast zehnmal mehr Lohn in der Schweiz, als etwa ein Spanier in seinem Land. Der „Chefe“ der Pension, Senior Francisco, war ein Aragonese. Die Belegschaft stellte mich zur Rede, meine Spanischkenntnisse waren bereits so gut, dass ich sie verstehen konnte. Sie konnten mir diese seltsame Verbindung ausreden. Dann fuhr ich in die Schweiz zurück, in Winterthur erhielt ich sogleich eine Stelle als Buchhalter. Bei einer kleinen Stempelfabrik, aber das war nicht das „Gelbe vom Ei“, der Chef, stellte sich mit einer Stopuhr neben mir auf und wollte festhalten, wieviele Belege ich in einer bestimmten Zeit verbuchen konnte, nein, sowas nicht, ich blieb nur gerade etwa drei Stunden und verzog mich wieder. Dieser Idiot von Inhaber war genau der Typ, der mich zur erneuten Reise nach Spanien veranlasste! Diese Scheissbude motivierte mich somit, die Schweiz wieder in aller Eile hinter mir zu lassen! Der Chef verabschiedete sich noch mit einer frechen Bemerkung, ich sei langsam gewesen, das sagte er aber erst, als ich ihm meinen sofortigen Abgang wissen liess! Eigentlich wollte ich ihm noch meine Meinung wissen lassen und zwar nach guter alter Manier, mit ein paar Schmeichelworten. Aber ich unterliess es, denn das regte mich nur unnötig auf und nützte im Endeffekt nichts. Die Dummen sterben eben nie aus! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 351 352 Kapitel 20 Sprachlehrer Ich fuhr nach Hause und packte wieder meine Sachen zusammen, diesmal für eine längere Zeitspanne. Ernst hatte die Schlosserlehre in der Anstalt Uetikon, knapp bestanden. Nach meinem Ermessen konnte er nun selber für sich aufkommen, aber da sollte ich mich einmal mehr täuschen. Mutter knüpfte Riesengrosse Teppiche, ich kaufte ihr das Material für gut ein Jahr Arbeit, sie blieb in Ottoberg, beim Simon Nussbaum in Miete. Sie erhielt eine Wittwenrente und war ab dem Jahr 1968 auch AHV berechtigt. Allerdings erst ab dem Monat November. Damit war sie selbständig und konnte ohne meine Unterstützung anständig leben. Ich verabschiedete mich vorerst einmal für ein paar Monate. WKs musste ich keine mehr absolvieren, somit gab es da auch keine Probleme mit dem Militär. Aber es sollten andere auftauchen, genau am Abreisetag, begannen die französischen Staatsbahnen zu streiken! Ich konnte somit nicht durch Frankreich fahren, blieb nur noch der Flug oder eine Busverbindung übrig. Fliegen war mir zu teuer, Busverbindungen gab es erst nach ein paar Tagen, aber nicht nach Barcelona, sondern nur nach Figueras. Ich fuhr mit der Bahn bis nach Genf und konnte 352 353 dort einen Bus nach Spanien besteigen. Wir fuhren die ganze Nacht durch, eine recht unbequeme Fahrt, im Laufe des Vormittags trafen wir in Figueras ein, von dort konnte ich mit der Eisenbahn bis Barcelona weiter fahren. Ich stieg wieder im Benidorm ab, alles war wie zuvor, und ich wurde als alter Bekannter begrüsst. Sogleich machte ich mich auf die Suche nach einer Stelle als Sprachlehrer für Deutsch, aber alle wollten nur Englischlehrer. Ich schrieb an alle Berlitzschulen in Spanien und Grand Canaria. Diejenige in Palma de Mallorca schrieb mir zurück, wenn ich einen Deutschen Pass habe, könne ich gleich beginnen. Aus Merida schrieb man etwas weniger direkt, und fragte welches meine Muttersprache sei? Ich schrieb zurück „Deutsch“ und als Wohnort, nannte ich Konstanz als nächste, grössere Stadt. Das war richtig, weil Ottoberg nur etwa 10 Kilometer entfernt lag! Und Konstanz lag ja in Deutschland! Dann kam ein Brief aus Santa Cruz de Teneriffa, von der dortigen Berlitz Schule. Da wurde gar nicht erst gefragt, ich wurde aufgefordert, auf dem bestmöglichen Weg schnellstens zu kommen. Da die Deutschklasse verwaist sei! Ich schrieb zurück, dass ich bereits eine Schiffsfahrkarte für die nächste Fahrt bestellt hätte. Das war die „Villa de Madrid“ ein altes Schiff aus der Vorkriegszeit, ein Geschenk Hitlers an General Franco! Vor der Abfahrt erhielt ich noch einen Brief aus Teneriffa, danach hiess es, ich müsste auch Englisch unterrichten, das war mir gleichgültig, wenn die das Risiko tragen wollten? Die Überfahrt dauerte rund 2 Wochen, die Kabine teilte ich mit zwei Männern, einem Spanier der immer Seekrank war, und einem Italiener aus Como, den es später auch erwischte. Der Italo war mit einer Spanierin aus Cran Canaria auf Honeymoon, sie war Hausangestellte in Lugano, und durch sie erfuhr ich dann die Adresse einer Filippina in Lugano. Meine beiden Begleiter kotzten das Lavabo voll, es stank nach Gekotztem und ich zog es vor, auf Deck zu bleiben. 353 354 Wir legten in Valencia an, dann in Malaga, bei jedem Hafen gab es einen ganzen Tag zur freien Verfügung, von dort gings nach Las Palmas, etwa drei Tage auf See, ausser dem Italiener und mir, waren nur Spanier auf dem Schiff, aber ich fühlte mich dadurch nicht etwa unwohl, im Gegenteil, ich konnte bereits anständig Spanisch sprechen, jedoch war mir die kanarische Version etwas fremd, aber man bemühte sich, mir die Unterschiede beizubringen. Es herrschte eine durchaus familiäre Atmosphäre, alles einfache Leute, ich mochte die meisten von ihnen sehr gut leiden. Wir legten auch noch auf einigen anderen Inseln an, schliesslich war ich in Santa Cruz eingetroffen. In einer alten Herberge fand ich ein Zimmer im obersten Stock, von meinem Fenster aus konnte ich die Prostituierten unten auf der Strasse beobachten. Für mich waren fast alles dumme Ziegen, neben jenen in Deutschland habe ich welweit nie derart komische Weiber angetroffen. Sie konnten gar nicht normal mit einem Mann reden, nur laufend blöde Sprüche, stures Verhalten zeigen, etc. Ich glaube, ich hatte nur eine in all den Monaten dort? Ich kaufte Wein in 5-Literflaschen in der nahen Bodega, dazu Mineralwasser zum verdünnen, aber ich trank viel zuviel Wein, das war sicher. Auf meiner „Hermes Baby“schrieb ich das Manuskript für das Buch „Einmal die Ferne sehn“. Aber ich war ja als Sprachlehrer, oder wie es auf Spanisch hiess „Profesor de Idiomas“ angereist! Die Sekretärin der Berlitz Schule empfing mich freundlich, endlich sei ich da man habe mich sehnsüchtig erwartet! Dann kam der Schuldirektor, ein Belgier mit Namen Serdo oder Serda? Er hiess mich willkommen, lud mich in den nahen Schuppen ein, wos Essen und zu Trinken gab, natürlich auf seine Kosten. Ich weiss nur noch, dass er mir sagte, er zahle mir 37 statt wie den andern 35 Peseten die Stunde. Dann wurde mir ein Kollege vorgestellt, auch ein Belgier, 354 355 ehemaliger Dolmetscher der Allierten in Europa, der hiess, glaub ich Servay? Er war beauftragt, mich in die Geheimnisse des Unterrichts einzuführen. Das begann so:“Also, die Canaren sind alles Idioten, darum spielt es keine Rolle, ob sie die Sprache, die sie unterrichten beherrschen oder nicht, ich selber unterrichte etwa in 6 Sprachen.“ Damit war der Einführungskurs schon fast beendet. Wir unterhielten uns dann noch über andere Dinge und nach einer Viertelstunde, war ich ein ausgebildeter und echter „Profesor de Idiomas“. Also er hatte mir schon geholfen dieser Kurs, denn ich hatte nun meine Ängste und Vorbehalte abstreifen können. Konnte ganz unbefangen und frei an meine Arbeit gehen! Fortan galt ich in Spanien als „Profesor de Idiomas“ nur mit einem S geschrieben! Weil hier jeder Lehrer ein Profesor war. Im Briefverkehr wirkte sich das auf die Anschrift wie folgt aus: Senor Don Rodolpho, Profesor de Idiomas, etc. Der Don wurde im damals noch vielfach analphabetischen Spanien jedem verpasst, der sich über eine „Ausbildung Mercantil“ ausweisen konnte! Also eine kaufmännische Ausbildung hatte. Obwohl ich dadurch nicht gebildeter war, war das für mich zumindest am Anfang ein Aufsteller. Aber gleichzeitig begann für mich ein Lotterleben, wie ich es mir später nie mehr hätte leisten können! Auf den Kanaren war damals alles steuerfrei, eine Stange Celtas Zigaretten war billiger als in der Schweiz ein Päcken. Ich rauchte diese ekelhaften Zigaretten fast pausenlos, und so taten es auch die anderen Profesores. Der bereits erwähnte Belgier, ein USA-Dänenehepaar, er Journalist und sie Lehrerin. Mir wurde erst einmal die Deutsche Klasse anvertraut, meine Vorgängerin war eine Finnin und war einfach davongelaufen. Dann aber musste ich zwei Englischklassen übernehmen. Das ging vorerst auch gut, bis ich eines Tages zum Direktor zitiert wurde. Er sagte mir vorwurfsvoll: „Weshalb haben sie ihren Schülern gesagt, dass sie kein Engländer sind?“ Ich hatte aber nichts 355 356 gesagt, als er mir aber die Namen der Schülerin nannte, ging mir ein Licht auf. Es waren zwei Schwestern, eine war in der Englischklasse, die andere in der Deutschklasse! Und so doof waren sie nun auch wieder nicht, dass sie nicht feststellten, dass ich ein und derselbe war! Ich erklärte das dem Chef und er schien zu begreifen, dafür fasste er mich an einer anderen Stelle, irgendwie hatte ich dem US-Pärchen verraten, wieviel ich die Stunde erhalte. Schliesslich waren wir gut befreundet und einmal luden sie mich sogar zum Lunch zu sich nach Hause ein. Zudem wusste ich nicht, dass die weniger hatten, ich dachte, das hätte sich seit dem ersten Tag meiner Ankunft inzwischen erledigt. Hier konnte ich keine Begründung finden und gab es freimütig zu, ich bemerkte noch, dass ich es unfair fände, dass die weniger verdienten als ich, hatten sie doch noch eine hübsche, blonde, vierzehnjährige Tochter in einer Privatschule zu finanzieren! Ihr Name war Vivien, und hätte ich ihr alter nicht gekannt, ich hätte sie für 18 gehalten! Der Chef wurde daraufhin wütend, ich nannte ihn einen Menschenschinder, weil er seinem Landsmann nie Urlaub geben wollte! Dann kündigte ich per sofort, es war Mitte August 1968. Er wurde dermassen zornig, dass ich befürchtete, er könnte einen Herzanfall kriegen! Er nannte mich einen sehr undankbaren Kerl, und er werde dafür besorgt sein, dass ich auf der „Penninsula“ nirgendswo mehr unterrichten könne! Ich nahm die Drohung nicht ernst, lachte und verliess das Zimmer. Ich hatte mein Manuskript „Einmal die Ferne sehen“ mit mehr als 250 Seiten zu Ende geschrieben. Darum steht im Vorwort, „Santa Cruz de Tenerife, im August 1968. Ich hatte aber auch Probleme mit der grossen Hitze, die Temperaturen lagen immer zwischen 35 und 38 Grad im Sommer. Und nachts konnte ich kaum schlafen. 356 357 Zudem hatte ich nach gut drei Monaten eine Art von „Inselkoller“, ich wollte plötzlich nur noch abreisen, zurück aufs Festland! Eine weitere Erscheinung von damals war diese „Kanarische Liberations Front“, die sich zum Ziel setzten, die Inseln zu Algerien oder Marrokko zu schlagen. Die Wände waren mit „Estrangeros fuera“ und „Espagnoles fuera“ „Franco muero“! etc. beschmiert. Und im Radio hörte ich Sendungen, die eindeutig spanisch und ausländerfeindlich klangen“, in manchen Restaurants wurde ich als Ausländer einfach nicht bedient. Es waren meistens die billigen Schuppen der Einheimischen. Für die Touristen hatte das kaum Auswirkungen, weil diese auf der anderen Seite der Insel (Puerto de la Cruz) lagerten und die Agitatoren sich auf die Hauptstadt beschränkten. Es gab aber auch freundliche Kanaren, ein Paar, Schwester und Bruder, die ich auf dem Schiff kennen lernte, luden mich zu einer Inselbesichtigung ein. Die Frau hatte ein Auto, ihr Bruder war blind, aber die beiden waren sehr zuvorkommend zu mir, ich durfte auch ein Paarmal auf Besuch gehen. Sie wollten mir die kanarische Küche näher bringen. Die Einladung zum Mittagessen beim US Paar, artete nahezu zu einem richtigen Streit aus. Im August 1968 standen die USA mitten im Vietnamkrieg, ich war von anbeginn dagegen, und der liebe Kollege natürlich als AMI dafür. Er kam mit diesen abgedroschenen Floskeln, wonach die USA die freie Welt verteidigten, die andern eben nur Kommunisten wären! Da wurde ich aber deutlich, fragte u.a., wer in welchem Land Krieg führe, Vietnam in den USA oder die USA in Vietnam? Wir gerieten schon bald in einen echten Streit, da einnerte ich mich, dass ich ja eingeladen war und mich mässigen musste. Er wurde dann auch leiser und meinte, dass dieser Krieg von den USA natürlich gewonnen werde, wie alle andern bislang auch! Bruder Hans war ja auch der gleichen Meinung! 357 358 Und ich verblieb mit der Bemerkung, die USA würden die grösste Schlappe ihrer Geschichte einstecken und diesen Krieg verlieren! Ich bedauerte es sehr, dass ich später weder mit dem Hans noch mit dem AMI darüber sprechen konnte, als die USA 1975 Vietnam fluchtartig verliessen! Es war ein beschämendes Bild, wie der nordvietnamesische Panzer die Tore des südvietnamesischen Präsidentenpalastes eindrückte, wie sich die AMIS mit den letzten Flugzeugen und Helikoptern auf ein Kriegsschiff absetzten, wie gemeine Diebe auf der Flucht ! Selbst der damalige Oberbefehlshaber in Vietnam, General Westmorland, musste später eingestehen, dass dieser Einsatz ein grosser Irrtum war! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 21 Filmpläne Ich buchte eine Überfahrt mit einer neuen Fähre bis Tanger, diese fuhr dann weiter bis nach Cadiz. Ich wollte aber nach Malaga und von dort nach Almeria, weil man dort als Statist für die Italowestern bis 400.- Pesetas täglich verdienen konnte. Das erfuht ich von den vielen Hippies, die sich damals durch Spanien wältzten. Und meine Barcelona Braut gestand mir damals, dass sie es zwar nicht mit dem Clint Eastwood persönlich, aber immerhin mit seinem norwegischen „Double“ trieb! Ich wollte eigentlich nie zum Film, das heisst schon, aber nicht als Schauspieler, weil ich dafür die nötigen Nervenkräfte nicht hatte, aber eher als Filmproduzent, da hatte ich immer schon Pläne. Nun wollte ich aber einmal erst schnuppern und sehen, wie das so vor sich ging, Statisten mussten nur durch die 358 359 Strassen gehen, manchmal auch ein paar Worte sagen, aber nie viel. Und vierhundert Pesetas, das war das Doppelte, was ich als „Profesor“ verdienen konnte. Im Gegensatz zur „Villa de Madrid“, war dieses Schiff fast neu, mit grösseren und besseren Kabinen. Ich teilte meine mit einem AMI, er stellte sich vor mit; „Professor Russo“ und ich mit „Profesor de Aleman“. Da mussten wir beide lachen, denn es handelte sich um einen Irrtum, er war von Beruf Professor und hiess Russo! Er unterrichtete in einem College in New York, war ledig und lebte noch bei seiner Mutter, obwohl ich ihn um die 40 schätzte. Er war zum Teil gut gebildet, hingegen schien er über das amerikanische Ausland wenig zu wissen, hatte auch zum Vietnamkrieg diese einseitige Meinung, wenn auch weniger extrem als der Lehrer in Santa Cruz. Von der Fahrt weiss ich nicht mehr viel, hingegen von der Landung in Tanger. Genau 10 ½ Jahre nach meiner ersten Ankunft dort, war ich wieder an diesem komischen Ort, und ich hatte noch keine zwei Schritte auf dem Festland getan, da hatte ich schon wieder den ersten Streit mit einem agressiven Kerl. Russo schloss sich mir an, er hatte das Land noch nie bereist. Wir wollten ein Hotel oben in der Altstadt buchen. Irgendwie brachte uns dann einer dieser Vermittler in ein Hotel, der Preis des Zimmers war soweit in Ordnung, nicht zufrieden war der Agent, der forderte von uns eine Summe, die fast soviel ausmachte wie der Zimmerpreis, leider gab ihm der Russo den Betrag, von mir erhielt er nur , was ich für richtig und angemessen fand, dann zeigte ich ihm unmissverständlich den Weg nach draussen. Er soll dann den Russo gefragt haben, woher wir kommen, er habe nur geantwortet, einer aus den USA und einer aus der Schweiz, daraufhin soll doch der Kerl gesagt haben, er wisse genau welcher aus der Schweiz komme! Das war für mich eher ein Kompliment, weil ich dieser Abzockerei eine Grenze setzen wollte. Am nächsten Tag erreichten wir unser Schiff nach Malaga ohne viel Probleme, es war ein Linienschiff, das zwischen Tanger und Malaga zirkulierte. 359 360 Auch diese Fahrt verlief ereignislos, dann im Hafen von Malaga, war es bereits dunkel, mit einer Taxe fuhren wir eine gute Stunde durch ganz Malaga und fanden kein Hotel mit freien Zimmern. Der Fahrer sprach von einer Absteige, weit draussen, dort gebe es sicher noch freie Zimmer für uns, also nichts wie hin. Und erst dachte ich, es handle sich um ein Gefängnis, die Fenster hatten Eisengitter davor! Es gab Zimmer und erst noch billig, wir gingen sogleich schlafen. Aber hier wollte ich keinenfalls bleiben, deshalb verabschiedete ich mich am nächsten Morgen von Russo und ging zur Busstation. Einen Bus nach Almeria sah ich dort aber nicht, dafür nach Sevilla. Also stieg ich in diesen ein und fuhr den ganzen langen Tag bis Sevilla. Die Landschaft war zwar auch ohne Wälder romantisch, aber immer fast gleich langweilig. Dass fast ganz Südspanien ohne Wälder war, hatte einen geschichtlichen Hintergrund. Die meisten Schiffe in die Kolonialgebiete, starteten von Cadiz aus, daher mussten dort auch die meisten Schiffe konstruiert werden. Und da sie damals vorwiegend aus Holz gebaut waren, wurden die Wälder abgeholzt. Die langen Trockenzeiten im Süden sind heute das Ergebnis aus diesen alten Zeiten. Es gibt Gebiete, welche oft während Jahren nie Regen sehen. Gegen Abend trafen wir in Sevilla ein. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 22 Sevilla Sevilla wollte ich schon lange einmal sehen und erleben, man hörte derart viel von dieser Stadt und konnte sich doch kein richtiges Bild davon machen. 360 361 Jetzt war ich endlich da, ich fragte nach einer Herberge, irgendwie schaffte ich es in kurzer Zeit etwas ausfindig zu machen. Es war ein Massenlager, rund 40 Männer in einem Riesenraum, jeder hatte sein Bett, mehr nicht. Ich war der einzige Ausländer, neben mir war einer von der Guardia Civil, eine Spezialpolizei, welche von Franco gegründet wurde. Man konnte die Sachen ruhig unbewacht zurücklassen, im damaligen Spanien wurde selten etwas geklaut, und meistens waren die Diebe erst noch Ausländer. In Sevilla herrschte eine Höllenhitze, um die 40 Grad, es hiess, es wären die heissesten Tage des Jahres. Die Strassen waren am Mittag und Nachmittag menschenleer. Ich schleppte mich von Bar zu Bar und goss ein Cola nach dem anderen hinunter. Schliesslich erreichte ich die Strasse mit dem sinnigen Namen:“Calle Jesus de Grand Poder“, dort stand ein uniformierter Mann bei einem Eingang zu einem Bordell. Ich ging hinein und erinnere mich an rein nichts mehr, ausser, dass ich es mit einer Sevillianerin trieb, und als ich das Haus wieder verliess, da sagt doch der Uniformierte:“Vaya con Dios senor“. Also ich überlegte einen Augenblick, ob ich mich in einem Puff oder in einer Kirche aufgehalten hatte? Aber bekanntlich machte da die katholische Kirche wenig Unterschiede, ob es sich um ein Kloster oder ein Bordell handelte, das hielt bereits der Reformator Martin Luther fest. Es war aber nicht mein Tag in Sevilla, bei dieser Hitze blieb ich den ganzen Tag in den Bars oder lag im Bett. Hier konnte ich nicht bleiben, ich studierte die Landkarten, nach Almeria gab es keine vernüftige Landverbindung ohne grosse Umwege, entweder musste ich zurück nach Malaga oder aber weit nördlich über Murcia und Cartagena fahren. Somit beschloss ich, auf die „Filmkarriere“ zu verzichten, und mit der Eisenbahn über Cordoba nach Barcelona zu reisen. Ich hatte dazugelernt, vor mehr als zehn Jahren führte ich keine Speisen mit mir, liess mich von den Einheimischen im Abteil verpflegen, das sollte nicht mehr vorkommen. 361 362 Von dieser langen Bahnfahrt sind mir jedoch keine weiteren Erinnerungen geblieben. Spanien kann mit seinen römischen Wasserviadukten, den nachfolgenden maurischen Elementen und den letztlich christlich dominierten Bauten begeistern. Die Geschichte Spaniens hat auch diejenige von ganz Amerika und Afrika massgeblich beeinflusst. Irgendwo auf dieser Reise zwischen „Gran Canaria“ und Barcelona, erlebte ich auch meinen 30. Geburtstag, ich denke, dass ich das Datum ganz einfach vergessen hatte. Geburtstage feiern, das war für mich nur bis zum 20. Altersjahr ein Thema, und nur deshalb, weil ich dann endlich volljährig war. Danach sah ich darin keinerlei Anlass mehr zum feiern, denn es war doch lediglich ein klarer Hinweis, dass man wieder ein Jahr im Lebenskalender weniger hatte. Und warum soll man nur einen Tag im Jahr zelebrieren, wo es doch deren 365 gibt? Ist nicht jeder Tag gleichwichtig und ein Feiertag? Ich machte mir damals wenig Gedanken über meine zukünftige Laufbahn. Meine Ersparnisse auf der Bank waren auf wenige Tausend Franken geschrumpft, fast jeden Monat musste ich Geld aus der Schweiz nach Spanien transferieren, obwohl das Leben dort viel weniger kostete, reichten meine Lehrerhonorare nicht aus. Ich hatte immer noch einen Plan, um länger in Spanien zu verbleiben, ja, um eventuell ganz nach Spanien auszuwandern. Irgendwo zwischen Barcelona und Malaga gedachte ich eine Sprachschule zu gründen. Das wiederum mit einer Spanierin als Frau, damals war man als Ausländer noch sehr gefragt, weil Spanien immer noch mausarm war. Und ich träumte bereits von dieser „Academia de Idiomas“ an einer der schönen Küsten. Es ist noch zu erwähnen, dass Ausländer unter dem Franco Regime, diesbezüglich willkommen waren. Aber wie das Sprichwort sagt:“Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“. Endlich war ich wieder zurück in meinem geliebten Barcelona, ich fühlte mich wieder zu Hause! Dass ich mich ausgerechnet in Katalonien sehr heimisch fühlte, hat seine guten Gründe, auf die ich anderswo bereits hinwies. 362 363 §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 23 Blutspender Ich nahm wieder ein Zimmer in der bekannten Pension Benidorm. Praktisch alle Leute kannten mich von früher, sie riefen: „Hola, el profesor de vuelta“ oder die etwas gebildeteren: „Bienvenido Don Rodolpho“. Erst musste ich meine Reiseschreibmaschine in Reparatur geben, sie war gänzlich defekt geworden, ich schrieb um die 350 Seiten Manuskript auf ihr! Der Mann im kleinen Geschäft verzweifelte fast, er sagte, er habe fast alle Typen ersetzen müssen! Dann galt es eine Stelle als Lehrer zu finden, die Berlitzschule kam nicht in Frage, die stellten nur „Nativos“ ein, aber gleich nebenan war die „Academia Puig Condal“, diese engagierten mich sogleich, sowohl als Deutsch wie auch als Englischlehrer. Ja, der Rektor wollte mich gar als Spanischlehrer einsetzen, er rief mich in der Pension an, ich solle doch gleich vorbeikommen, da standen zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau aus der Schweiz, welche Spanisch unterricht nehmen wollten. Als ich mich aber mit ihnen auf Schweizerdeutsch unterhielt, wollten sie doch lieber davon absehen, und das mit guten Argumenten, sie kamen nach Spanien, um hier mit den Einheimischen die Sprache zu erlernen, Landsleute hatten sie in der Heimat genug. Ich gab ihnen soweit auch recht, hatte ich doch gar keine Absicht, mich als Spanischlehrer zu betätigen. Wenn schon eine dritte Sprache, dann Französisch, das streng genommen, meine „Muttersprache“, oder zumindest die erste erlernte Sprache war. 363 364 Ich hatte nur 2 bis 4 Unterrichtsstunden in der Academie, oft aber auch Tage ohne. Das veranlasste mich, noch weitere Einnahmemöglichkeiten zu finden, ich schaffte es, ein paar Privatschüler zum Teil bei ihnen zu Hause, oder bei mir in der Pension zu unterrichten. Ein Kaufmann, „Profesor Mercantil“, der viel auf sich und seinen Berufsstand hielt, machte mich aber darauf aufmerksam, dass er nur getarnt zu mir kommen könne, weil ich mich im Bordellviertel von Barcelona befinde! Ich lachte nur, und sagte ihm, dass ich diese Umgebung eben möge, und ich mich da inspirieren lasse. Zudem verdiente ich zuwenig, um in einem Nobelviertel zu wohnen, ich müsse alle Monate meine Bank in der Schweiz um Geldüberweisungen ersuchen. Das war nicht gelogen, aber ich führte von August bis Dezember ein Leben, wie ich es danach nie mehr konnte und wollte! Jeden Abend bis über Mitternacht in den Ausgang, dabei war ich die meiste Zeit in der Texasbar, dort verkehrten Huren, Hippies und andere Leute. Die Hippies rauchten Gras, oder drehten aus Pulver Zigaretten. Ich rauchte neben Zigaretten auch noch die Pfeiffe. Die Drogen interessierten mich nur am Rande, da schenke mir ein Hippie so ein Pulver, das ich in die Pfeiffe schob, aber ich verspürte nur einen heissen Kopf! Also liess ich es lieber bei Bier und Wein, und das in grossen Mengen, zum Mittagessen eine Flasche Rioja, zum Nachessen nochmals ein Liter, oft sogar deren zwei, daneben 10 bis 20 Espresso, Biere, Liköre etc. . Ich ging jeden Abend schwer beduselt schlafen. Dazwischen nahm ich noch eine der vielen Liebesdienerinnen auf, meistens immer die gleichen, ich kannte die bereits auswendig. Dann inserierte ich in der „Lavanguardia“ wo ich mich als Profesor wie auch als Traductor anerbot. Das hiess dann etwa so:“Profesor de Idiomas da classes de aleman e ingles, y tambien traductiones“. In der Academia waren wir ein Engländer, (Bankräuber) eine Schweizerin aus Lausanne, 364 365 und ich, es gab noch ein paar andere Gestalten, an die ich mich weniger erinnere, zwei waren Spanier. Dann die Sekretärin, und der Rektor. Diese Academia gehörte früher einmal zu den vornehmsten in Barcelona. Es war eine Handelsschule, die dann zur reinen Sprachschule verkam. Die ganze Belegschaft verbesserte den Verdienst mit Blutspenden, etwa 10 Km, ausserhalb von Barcelona, war eine Privatklinik, diese kaufte Blut gegen Bezahlung von 400.- Pesetas. Auch ich ging eines morgens mit, erst wurde die Blutgruppe bestimmt, zwei junge Frauen kommandierten uns herum, der Befehl lautete übersetzt: „gib die Hand her!“ dann stachen sie in den Finger und entnahmen das Blut zur Prüfung. Danach musste man im Warteraum verbleiben, bis die Nummer aufgerufen wurde, die man zuvor erhielt. Man lag in einer Nische, erst wurde das Blut abgezogen, dann bearbeitet (die roten Blutkörperchen entzogen) und die restliche Brühe wieder zurück in den Körper gepumpt. Danach gabs ein Sandwich und die Belohnung! Neben zahlreichen Sprachlehrern, waren fast alle andern Spender Hippies. Wir gingen etwa einmal die Woche, aber schon bald, wurde mir oft am Nachmittag, mitten im Unterricht schwindlig. Dann kam der letzte Tag des Spendens! Am Nachmittag fragte mich der Bankräuber, ob ich heute nichts bemerkt hätte? Ich überlegte einen Moment und sagte ihm: „doch, im Spendesaal wars plötzlich mäuschenstill, ich dachte schon, die haben mich vergessen! Da kam dann doch noch eine Schwester und nabelte mich ab, aber alle waren schon weg!“ Der Bankräuber lachte und sagte:“Hast du nichts gemerkt, du lagst gleich neben einem Toten! Der 20jährige Norweger Hippie neben dir war ausgeblutet, er soll mehrmals wöchentlich gespendet haben! Aus und tot!“ Ich ging nicht mehr hin, ab diesem Tag sollen sie dann Kontrollen eingeführt haben, um festzustellen, ob der Spender noch über genügend Blutkörperchen verfügt? Der Bankräuber wohnte in einem noch schäbigeren Quartier als ich, er war mit einer blonden Frau aus 365 366 Granada verheiratet, brüstete sich damit, er müsste in England 20 Jahre Knast wegen Bankraub absitzen, weil er aber mit einer Spanierin liiert sei, zudem Spanien wegen Gibraltar mit England auf Kriegsfuss stehe, werde er nicht an England ausgeliefert und wäre hier sicher! Er mochte mich nicht sonderlich leiden und ich ihn auch nicht, besonders störte ihn, dass ich Englisch unterrichtete, als ich einmal in seiner Schwulenbeiz war, er hatte seine Wohnung gleich darüber. Begann er mich zu provozieren, er sagte den Gästen, ich hätte ein Englisch wie ein Esel! (El habla Ingles como un burro!) So ganz unrecht hatte er auch wieder nicht, aber das musste er mir nicht auch noch sagen! Und weil ich ihn nicht ernst nahm, lachte ich nur, nun erlebte ich aber unter den spanischen Gästen, die mich alle nicht kannten, eine sonderbare Parteinahme für mich, sie stellten sich alle gegen ihn und hielten ihm noch vor, er sei derjenige, der ein miserables Englisch spreche. Er spreche nämlich auch Spanisch wie ein Esel, und ich doch wesentlich besser! Über diese Hilfeleistung freute ich mich natürlich, er versuchte nie mehr, mich blosszustellen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 24 Die Kollegin Seit 1967 korrespondierte ich mit Delia Rosales in Manila, die kleine Frau, die ich im März 1966 in Manila traf und mit ihr rund fünf Minuten sprach. Sie sandte mir auch ein Foto, als die Isabelle sie sah, hielt sie mir ständig die „Japonesa“ vor, so, wie damals in der Schweiz jede Asiatin eine Japanerin war, galt das auch in Spanien. Isabelle dachte, ich hätte sie wegen der „Japonesa“ 366 367 aufgegeben, was nicht richtig war, aber im Prinzip gleichgültig. Die junge Lausannerin in der Akademie war auch kein ungeschriebenes Blatt, sie war seit gut zwei Jahren in Barcelona, verdiente etwas Geld als Französischlehrerin, sie hatte nur 8 Jahre die Volksschule besucht und auch keinen Beruf erlernt. Als sie noch minderjährig war, machte sie in der Presse Schlagzeilen, sie wurde an der Ostberlinergrenze als Menschenschmugglerin gefasst und erhielt dafür ein paar Jahre Knast in der DDR. Sie wurde dann vorzeitig entlassen, als die Schweiz sie mit einem Spion der DDR austauschen konnte. Sie erzählte mir die Flucht in allen Details und die Geschichte war mir noch aus den Medien bekannt, nun aber mit vielen Einzelheiten. Sie hatte Zeit um sie mir zu erzählen, und sie erhielt schliesslich von mir jeweils 100.- Pesetas Vorschuss, wenn sie nichts mehr zu Essen hatte. Sie gab mir das Geld immer zurück und so konnte sie immer mit meiner bescheidenen Hilfe zählen. Seltsamerweise wirkte sie auf mich völlig asexuell, ich hatte absolut keine Lust auf etwas anderes, als mit ihr zu plaudern. Ein Grund mochte sein, dass sie sich wie ein Bursche verhielt, wenig weibliche Austrahlung hatte und auch sonst eher ein Kumpel war. Ich nehme auch an, dass sie im DDR Gefängnis mehr tun musste, als sie mir zugeben wollte, und ich nahm an, dass sie mit einem Trauma belastet war? Kaum war sie wieder in Freiheit, verschwand sie nach Spanien, wo sie nun als Profesora wirkte, allerdings wie ich, ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung! Sie war nun schon drei Jahre hier, eines Tages sagte sie mir, sie wolle sich legalisieren lassen, das hiess offiziell anmelden. Ich wunderte mich über ihren Mut, war sie doch schon solange illegal da. Das konnte doch Probleme geben, wie etwa Ausweisung aus Spanien? Ich staunte nicht schlecht, als sie am nächsten Tag lachend zu mir kam und sagte:“Jetzt darf ich offiziell arbeiten, habe eine Krankenversicherung für ein Jahr und bin legal im 367 368 Land mit einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, und das alles kostete nur 65.- Schweizer Franken.“ Ich war perplex und fragte weiter:“Was hast du denn gesagt, dass du soeben angekommen bist?“ Sie erwiderte:“Nein, die Frau fragte nur, was ich arbeite, da sagte ich „Französischlehrerin“, und sie schrieb „Profesora“ in den Ausweis, mehr wollte die gar nicht wissen!“ Also so einfach war es damals im Franco Spanien, solange man sich nicht politisch betätigte, blieb man ganz frei. Ab und zu kam die Geheimpolizei und verhaftete irgend einen Mann, meistens Basken oder Katalanen, die hatten nichts zu lachen, kreidebleich wurden sie in Handschellen abgeführt, sie wussten auch, dass ihnen ein grausiges Ende bevorstand. Viele wurden damals noch mit der „Carrotta“ hingerichtet, eine höchst brutale Art zu sterben. Vorher würde ich mir die Adern aufschneiden. Die Geheimen erkannte man an ihren hohen Gummisohlenabsätzen und ihren Ringerposturen, zudem trugen sie Riesenpistolen unter den Jacken. Ich war oft in meinem kleinen Zimmer, studierte noch Buchhaltung an der Akademikergemeinschaft in Zürich, manchmal hörte ich urplötzlich an eine Tür poltern und dann:“ Abre la puerta polizia!“, wenn ich durch die Türspalte schaute, sah ich meisten schon den armen Kerl kotzend von der Polizei aus dem Zimmer geschleppt! Mir wurde dabei recht komisch zu Mute. Einmal polterten sie gleich neben mir, ich erschrank, weil ich erst dachte, sie klopften an meine Tür! Als der Gesuchte weg war, ging ich zum „Chefe“ der Pension, dem Senior Francisco, ich fragte ihn, ob für mich keine Gefahr bestünde, weil ich keine Arbeitsbewilligung habe? Er lachte und antwortete:“Da musst du dich nicht sorgen, ich habe denen schon vor langer Zeit gesagt, wer du bist und dass du Profesor bist, das interessiert die überhaupt nicht, ob du illegal da bist, die verfolgen nur die Politischen.“ Ich dankte ihm für die Information und fühlte mich danach wieder besser. Auch die vielen Hippies nutzten die spanische Toleranz, im Gegensatz zu den anderen Ländern, 368 369 wurden die Drogen damals in Spanien nicht geahndet. Die Hippies, teilweise auch aus der Schweiz, sagten mir lachend, sie reisten mit vollen Taschen „Gras“ aus Marrokko ein, die Zöllner hätten überhaupt nichts dagegen, und auf den Strassen und in den Bars kifften die Hippies munter. Es war eine seltsame Stimmung, die Hippies scheuten sich auch nicht, auf den Strassen nach Geld zu betteln, das aber tolerierte die Polizei nicht! Sie sammelte die Hippies ein und die mussten dann eine Nacht im Knast verbringen, nicht wegen dem Haschrauchen, sondern dem Betteln! Am nächsten Tag wurden sie kostenlos an die französische Grenze gebracht, dort den Franzosen übergeben. Am nächsten Abend traf ich sie wieder an der Rambla, wieder als Bettler. Das wiederholte sich viele Male, bis es den Hippies zuviel wurde und alle nach Formentera dislozierten. Dort gab es bald einmal mehr Hippies als Einheimische, das führte zu Reklamationen. Die Polizei war überfordert, etwa im Oktober 1968, hatten die Behörden von Formentera genug. In der Lavanguardia las ich täglich Berichte, danach sollen sich die Hippies dort unter den Bäumen nackt paaren und Hasch rauchen, das war zuviel, für die konservativen Einwohner. Der Notstand wurde ausgerufen, die Armee fuhr mit Schiffen vor, und die Hippies wurden im grossen Rahmen wie Zootiere eingefangen. Es waren mehrere Hundert und sie wurden in Alicante ausgeladen. Einige gingen vorerst nach Almeria um dort etwas Geld zu verdienen, andere kamen schnurstrakts nach Barcelona und gingen ihrem Treiben nach. Die Hippies waren zwischen 16 und 40 Jahre alt, ein Bieler Hippy der sich brüstete, er habe noch nie im Leben gearbeitet, war mir besonders weltfremd, er verstand es, mit Tränen in den Augen jämmerlich nach Geld zu betteln, damit er sich dann einen Joint oder Rausch leistens konnte. Mit ihm war eine junge Frau, vermutlich unter 18, auch ein vergammeltes Girl aus Mitteleuropa, der Bieler hatte einen Schlafsack und die Kleine schlief mit ihm darin. Eines Abends kam er weinend zu mir und klagte:“Jetzt ist meine Kleine mit so einem verdammten 369 370 Norweger abgehauen und hat auch meinen Schlafsack mitgennommen!“Ein anderer Landsmann war da etwas realistischer, er war gross und schlank, etwas über 20, mit einer kaufmännischen Ausbildung, er war relativ sauber gekleidet, ging nicht betteln und Blut spenden, denn auf seiner Brust trug er ein Lederetui voller Traveller Checks! Diese Art von Hippy war mir sympathischer, er hatte Format und Prinzip. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 25 Eurovision 1968 Es gab viele neue Erfahrungen und Erlebnisse in meinem Spanienjahr, aber es hätte beinahe auch mein leztes Jahr sein können, wie sich einige Monate später zeigen sollte. Ich war diesem Lebenswandel nicht gewachsen, aber ich wollte einmal anders leben und diese Variante bewusst auskosten. Mit der Bettelei der Hippies war ich hingegen gar und gar nicht einverstanden, ich sprach oft mit einigen von ihnen und sagte ihnen klar, was ich davon hielt. Auch ich begrüsste damals neue Lebensformen, neue Ideen, etc., aber nicht diese Abzockermentalität, indem man die Arbeit verweigerte und sich bei den armen Leuten bereicherte. Ich gab deshalb nie einem Hieppie einen Batzen, auch zahlte ich ihnen keine Drinks, sie sollten selber arbeiten und Geld verdienen! Andern aber half ich gerne einmal aus, da sprachen mich zwei junge Vietnamesen an, sie kamen aus Frankreich und man hatte ihnen Geld geklaut oder ähnlich, sie fragten mich, ob ich ihnen 400.- Pesetas geben würde, damit könnten sie die französische Grenze erreichen, von dort versuchten sie es per Anhalter bis Paris. Sie erklärten sogar, sie wollten mir das Geld in einem Brief zurücksenden, 370 371 aber ich sagte ihnen, der Aufwand lohne sich nicht, zudem wäre ich ein Freund des vietnamesischen Volkes und seines Kampfes gegen die US-Agressoren. Sie waren überglücklich und bedankten sich, danach dachte, die hätten vielleicht eher Sympathien mit dem südvietnamesichen Militärregime gehabt? Mit dem Privatunterricht zu Hause bei den Schülern, lief es nicht sehr gut, in ein paar Fällen reiste ich mit der U-Bahn und dem Bus durch ganz Barcelona, suchte die Adresse und wenn ich fündig wurde, waren die Schüler nicht zu Hause. Ich hatte dadurch mehr Umtriebe und Spesen, als Einnahmen zu verzeichnen. Zwei Schwestern, sie lebten in einer vornehmen katalanischen Villa, waren hingegen zuverlässig und immer pünklich am frühen Abend zu Hause. Beide mochten um die 25 bis 30 sein, und als sie ihren Beruf verrieten, versetzte mir das einen kleinen Schock, sie waren beide Lehrerinnen! Ich hatte ja kaum Kenntnissse über die Bedeutung der gramatikalischen Ausdrücke. Ich hatte die einfach nie erlernt, war autodidakt. Und schon am Anfang begannen sie seltsame Fragen zu stellen, über Konjugationen, Werben etc. ich sagte dann ganz klar, dass ich nur nach der Berlitz Methode unterrichte, daher auch nur schrittweise doziere was in den Lehrbüchern stehe und daher nicht vorgreifen könne. Sie schienen das begriffen zu haben und unterliessen die Fragereien. Lehrerinnen können eben auch gehorchen. Da war aber noch eine interessante Variante mit den beiden Frauen, nein keine Liebesromanze, wenn sie miteinander redeten, sprachen sie immer Katalanisch! Unter Franco, war es verboten, diese Sprache zu lernen oder zu sprechen. Aber die beiden Frauen entpuppten sich als katalanische Nationalistinnen erten Grades, sie liessen keinen guten Faden am Francoregime. Aber noch mehr waren sie überrascht, dass ich ihre Gespräche weitgehend verstehen konnte! Ich wartete jeweils nicht erst ihre spanische Version ab, sondern antwortete schon vorher, ganz entsetzt mussten sie 371 372 feststellen, dass ich sie verstand, und sie wollten wissen wo und wann ich Katalanisch gelernt habe? Nun ja, ich habe diese Sprache nie erlernt, es gab aber zwei Erklärungen dafür, eine logische, und eine abstrakte, Katalanisch ist unserem Rumantsch sehr ähnlich, der Bündner,(Jost) den ich 1958 in der Ramblas traf, sagte mir damals stolz:“Du glaubst es kaum, aber ich verstehe die Katalanen gut, es ist wie unser Rumantsch“. Gut, aber ich habe auch Rumantsch nie erlernt, ausser den wenigen Worten, die man manchmal im Fernsehen hören konnte. Die zweite Erklärung war, dass ich im vorherigen Leben eben doch ein Katalane war und im Alter von 37 Jahren von hinten, von den Fanlanghisten erschossen wurde und von einem Felsen runter fiel. (Geboren 1900 im Raum Figueras, im Bürgerkrieg 1937 umgekommen, und dann 1938 reinkarniert. Soviel ergab eine von mir laienhaft durchgeführte Pendelabklärung. Es heisst, in früheren Leben gehabte Wunden, würden in jenem Alter wieder als Narben auftauchen, in welchem sie geschehen sind! Also erhielt ich im Alter von 37 Jahren im Rücken einen Riesenflecken wie ein grosses Mal. Mehr als dreissig jahre später existiert das Mal immer noch gleich! Weitere Hinweise, meine Wut auf die Francoleute in jungen Jahren, dann dieses heimatliche Wärmegefühl, als ich 1958 in die Umgebung von Figueras kam. Sodann diese Idenfikation mit dem Film „Wem die Stunde schlägt“ mit Ingrid Bergmann und Cary Cooper. Und schliesslich noch die Erzählungen des Freundes der Isabelle, ein Katalane mit schwarzen Haaren, Schnurrbart, und einer grossen Narbe im Gesicht, eine Kugel traf ihn unter dem Auge und ging auf der andern Seite wieder raus! Aber die Narbe verunstaltete ihn nicht etwa, sondern war fast eine Zierde für ihn. Er war um die 50 und musste während dem Bürgerkrieg erst etwa 18 gewesen sein. Also etwa 2 Jahre jünger als ich damals. Wir sprachen sehr oft vom Bürgerkrieg, und das seltsamste daran war, dass ich stets fühlte, ich wäre life dabei gewesen! 372 373 Aber noch mehr, ich hatte den festen Eindruck, dass wir uns damals kannten! Oder, dass wir sogar verwandt sein konnten und zusammen im Krieg waren. Er hat die Gefangenschaft der Frankisten überlebt, vermutlich weil er so jung war, liess man ihn am Leben? Ich vergesse nie mehr, welche seltsamen Gefühle in mir aufstiegen, wenn wir von früher sprachen, und wir die Feinde angriffen, um dann doch noch elendiglich den Krieg zu verlieren! Man mag nun das Ganze als einen reinen Zufall taxieren, ich denke aber, dass diese Hinweise, die ich ja damals nicht herbeirief, nicht zufällig waren, angefangen mit dem Uniformen Hass und der Angst davor mit 5 Jahren in Frankeich, zu einem Zeitpunkt, da ich vom spanischen Bürgerkrieg keine Ahnung hatte. Dann diese Träume bis etwa zum 8. Altersjahr, bei denen ich immer von einen hohen Felsen runter fiel, dabei hatten wir doch dort gar keine solche Berge! Danach die Riesenwut auf das Francospanien, ich wäre am liebsten als verspäteter Spanienkämpfer losgezogen! Dann Funkstille bis zum 19. Altersjahr, die Erlebnisse aus dem früheren Leben verschwinden zwischen dem 5. und 8. Lebensjahr fast gänzlich, jedoch nicht aus dem unteren Unterbewusstsein. (Unterste Schicht). Dann kam diese erste Spanienreise 1958, als ich mich wunderte, weshalb ich mich hier zwischen der französischen Grenze und Barcelona derart gut fühle? Sodann die Geschichte mit dem echten Spanienveteranen in Barcelona 1968, und schliesslich meine Untersuchungen mit dem Pendel und das Mal am Rücken. Seither habe ich mich damit mangels anderer Hinweise abgefunden, kann so nicht mit jenen konkurrieren, welche von sich behaupten, sie wären Napeleon, Stalin, Hitler oder Mussolini gewesen, oder wie eine Frau meint, die Königin von Saba. 373 374 1968 war auch das Jahr der Spanier in der Eurovision, Spanien war erst dazugekomen und man wollte natürlich gewinnen, und Spanien gewann auch! Mit der Sängerin MASIEL und dem Lied „NO- NO LETA.............“ Es wurde die ganze Nacht durchgefeiert, alle sangen die Melodie, auch ich, und ich freute mich wie die Spanier. Schliesslich war ich auch schon ein halber. Im Jahr 2008, wurde weltweit verkündet, Spanien habe nicht legal gewonnen, General Franco persönlich habe diverse Jury Mitglieder bestechen lassen und zum Teil sogar unter Druck gesetzt! Ich wunderte mich schon damals, weshalb nicht das Lied „Congratulation and Celebration...“ gewann? §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 26 Los Caracoles Die Monate in Barcelona waren wie Jahre, noch selten zuvor und danach, erlebte ich das Leben derart intensiv und pulsiv. Da war einmal das Leben in der Pension, die Nervenzusammenbrüche der alten Dirnen, die kein Auskommen mehr hatten. Gestrandete Leute aus aller Welt, etwa die 16jährige Deutsche, sie war plötzlich da und niemand wusste wie sie herkam, sie war nicht unbedingt meine Wellenlänge, eher etwas arrogant, schliesslich unterhielten wir uns doch noch, sie war zu Hause ausgerissen, irgendwo im Ruhrgebiet, sie schlug sich ohne Geld durch bis nach Barcelona, mir war klar, als Frau konnte sie sich mit Gelegenheitsprostitution durchschlagen, 374 375 ein grosser Vorteil, den Männer nur haben, wenn sie sich mit schwulen Kerlen abgegeben. Ich glaubte ihr nicht alle Geschichten, eine mochte aber stimmen, sie musste sich einer Blinddarmoperation un terziehen und zeigte mir ihre dazupassende Narbe. Sie wolle Spanisch erlernen, aber Geld hatte sie keines, und ich war auch nicht flüssig dafür. Zudem hatte ich den Eindruck, mit ihr nur Probleme zu kriegen, ich gab ihr aber mein Spanischlehrbuch von Berlitz, erwähnte ausdrücklich, dass ich das zurückhaben musste, sollte sie wegziehen. Diese Bücher waren damals sehr teuer, zudem konnte man diese zum Beispiel in der Schweiz gar nicht im Buchhandel kaufen. Ich war zufällig am Empfang, als ich sie mit einer Tasche davonschleichen sah, obenauf mein Buch! „Halt, rief ich ihr zu, wohin gehts Du?“ Sie antwortete:“Ich gehe fort, zurück nach Hause“. „Aber das Buch da, das bleibt hier“, gab ich zur Antwort, sie errötete und händigte es mir aus. Dann fragte ich sie: „wie gehts Du nach Hause, mit der Eisenbahn?“ Sie:“Nein, per Anhalter, ich habe kein Geld“. Gut, aber ich wusste, dass damals so junge Mädchen bald einmal in den Bordellen und Harems von Marrokko landeten, oder sogar im Libanon. Zudem war sie ein „Fressen“ für die Autofahrer, obwohl sie nicht mein Fall war, hatte ich doch wieder mein fürsorgliches Gen aktiviert. Ich ging mit ihr nach draussen, in der Nähe des Hauptbahnhofs standen verschiedene Autos aus Deutschland, ich sah ein Ehepaar einsteigen, ich ging gleich zu ihnen hin und erklärte ihnen den Fall, sie schienen mir zu glauben und zeigten sich bereit, das Mädchen bis ins Ruhrgebiet mitzunehmen. Und wie ich die Leute einschätzte, konnte man ihnen trauen und sie würden sie wohl auch nicht verhungern lassen. Ich fühlte mich auf jeden Fall besser dabei, und da die Leute ja von mir auserkoren wurden, war ich zuversichtlich, dass alles gut ging! Ich weiss nicht, wie es mit ihr weiter ging, sie kannte meinen Namen nicht, ich wollte die Geschichte nicht weiter ziehen. 375 376 Leuten mit Problemen selbstlos beizustehen war schon immer meine Lebensphilosophie, mit kleinen Gesten andern eine Freude bereiten auch. Das begann schon, als ich noch sehr klein war, bei schlechtem Regenwetter fragte ich meine Mutter:“Hast Du mir etwas zum aufräumen?“ Meine Kriegsration an Schokolade gab ich immer meiner Mutter, sie mochte diese eben mehr als ich. Und einmal, leerte ich mein Sparschwein, ich mochte etwa 8 jährig sein, und gab mein ganzes Geld der Mutter als Geschenk. Später war es meine Familie, die ich laufend sponsorte, ich half nicht nur mit den laufenden Kosten für die Wohnung und Verpflegung, sondern spendete einen grossen Teil meines Geldes für Mutter und Geschwister. Und bei der Klara gab ich sogleich mein restliches Vermögen für eine erfolglose Alternativheilung aus! Bruder Ernst war die grösste Bürde bis zu seinem Tod im Alter von nur 52 Jahren! Bruder Hans, dem ich im Jahr 1964 einen schönen dunkelblauen VW Käfer inklusive Versicherung etc. finanzierte, blieb, wie alle andern auch, das Geld bis zum Tod schuldig. Und meiner Spenderrolle blieb ich stets treu, später freiwillig für die Delia, dann für verschiedene Sanierungsfälle im Isaan. Aber ich hatte all die Jahre trotzdem immer noch genug Geld für mich übrig! Auf der anderen Seite der Ramblas, in Richtung Bahnhof, war ein Spezialitätenrestaurant mit dem sinnigen Namen „Los Caracoles“ (Die Schnecken). Es mochte wohl das einzige Restaurant sein, das sich fast nur auf Schnecken spezialisiert hatte. Es war nicht billig, dehalb wollte ich mir einen Besuch auf später vorbehalten, wenn ich wieder einmal einen Geldtransfer aus der Schweiz tätigte, denn meine Einnahmen reichten bei weitem nicht aus, um meine Unkosten zu decken. Aber ich freute mich schon lange auf den Tag, an dem ich dann endlich dort speisen ging. Aber es sollte nicht so weit kommen, an einem schönen Abend traf ich kurz vor diesem Restaurant den deutschen Hippie der ausserordentlich sensibel schien. Er war mit 376 377 seiner Freundin unterwegs, als er mich erblickte, zeigte er auf die nächste Gasse, und sagte:“Scheusslich, dort liegt ein Toter am Boden, gleich beim Eingang zum Restaurant.“ Ich war mit wenigen Schrittten auch dort, und da lag ein toter Mann in zerschlissener Kleidung, auf dem Trottoir beim Eingang ins Restaurant! Der Kopf war wie zermalmt, Hirmasse und Blut floss die Gasse hinunter. Wirklich ein scheusslicher Anblick. Und drinnen speisten die Leute und hatten davon nichts mitbekommen. Mir aber war der Appetit gründlich vergangen, niemals wollte ich im „Caracoles“ Schnecken essen! Der Mann war ein Arbeitsloser, der von ganz oben, vermutlich dem 6. Stock oder so, kopfvoran hinunter sprang. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 27 Academie Pleite Die meisten Angestellten der Pension sprachen Aragonesisch, den Dialekt der Provinz von Aragon, von der sie stammten. Der Franscisco sprach jedoch mehr oder weniger gut Spanisch. Den Gonzalo, der „Chefe de noche“, den verstand ich hingegen sehr schlecht, er gab sich auch keine grosse Mühe richtig Spanisch zu sprechen, vermutlich hatte er die Sprache nie richtig erlernt? Wenn Ausländer kamen, holte Franscisco immer mich aus dem Zimmer, er klopfte an die Zimmertür und rief: „Rodolpho, Estranjeros para ti“. Da wusste ich, es standen wieder Touristen an der Rezeption und niemand konnte sie verstehen. Ich konnte eigentlich immer helfen, weil alle sich 377 378 auf Französisch, Englisch oder Deutsch verständigen konnten. Aber einmal, da musste ich gerade hinaus lachen, draussen stand ein Indianer aus Peru, dieser sprach besser Spanisch als alle im Benidorm! Er war ausgebildeter Arzt und wunderte sich, dass man ihn hier nicht verstehen konnte. Ich sagte dem Frascisco:“Der spricht Deine Sprache, was soll ich da übersetzen?“ Fransciso schaute mich komisch an und meinte: „Pero es un Indio!“ Ich erklärte ihm dann, dass es sich um einen Akademiker handle, der durchaus Spanisch beherrsche. Aber Aragon und Peruspanisch waren eben zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich musste weiterhin den Dolmetscher spielen, übersetze Peruspanisch in Katalonenspanisch, was für ein Job! Der Rektor der Academia Puig Condal informierte uns, dass das Institut geschlossen werde, weil zahlungsunfähig geworden! Die Lehrer verzogen sich in alle Richtungen, nur die Sekretärin und ich blieben noch zurück. Das hatte einen guten Grund, der Rektor schlug mir vor, ich dürfe die restlichen zwei Monate die Räumlichkeiten kostenlos verwenden, die Schüler sollten die Gelder direkt mir zahlen und ich könne bis Ende Jahr bleiben. Das traf sich ausgezeichnet, ich hatte sowieso vor, gegen Ende Dezember mein Zelt abzubrechen und in die Schweiz zu gehen. So wurde ich völlig ungeplant zum Institutleiter auf Zeit. Der pädagogische Beruf war mir sympathisch, schliesslich wollte ich ja einmal Geschichte und Geographie studieren und mich danach vermutlich als solcher Lehrer betätigen. Das Ziel lautete damals demnach: „Professor für Geschichte und Geographie“an einer Universität! Jetzt war ich diesem Ziel sehr nahe gekommen, ohne viel Aufwand und Einsatz! Ich glaubte bald selber daran, mein Ziel durch die Hintertür erreicht zu haben. Und konkrete Plänedie bereits im Hinterkopf waren, entstanden in meinem Vorderkopf, ich wollte an der Costa Blanca oder Costa del Sol, eine Sprachakademie gründen und leiten. Aber vorerst musste 378 379 ich noch nach Hause in die Schweiz, um dort das nötige Kleingeld zu sammeln. Noch vor einem Jahr, hätte ich nicht geahnt, dass ich mit derartigen Plänen zurückreisen werde. Am Meer wohnen, das ganze Jahr mildes Klima, gutes Essen, etc. das war wahre Lebensqualität. Im Quartier Barrio Chino trieb sich auch eine Frau herum, die als „Maria la Loca“ bekannt war. (Maria die Verrückte). Sie pflegte plötzlich ihren Pullover hochzuheben und da konnte man ihre grossen Brüste bewundern. Im konservativen Spanien ein grosses Vergehen, aber wenn eine verrückt war, war sie eben verrückt und entschuldigt. Auch die Polizei interessierte sich nicht für ihre Shows. Man konnte sie auf den Trottoirs sehen, wie sie einem Touristen den Busen zeigte und ihm an den Penis langte. Je nach Ergebnis, zeigte sie dann der zuschauenden Menge, wie gross er ist. Ein paar Jahre später, reiste der J.H. nach Barcelona, ich gab ihm alle Informationen um dort mit wenig Geld viel zu erleben. Schliesslich erwähnte ich auch die Maria la Loca, damit er Bescheid wisse, wenn er ihr begegne. Als er zurück kam, lachte er immer noch, er sagte mir, er wäre vom Bahnhof zu Fuss in Richtung Ramblas gelaufen, genau so, wie ich ihm das vorzeichnete. Und urplötzlich wäre er vor dieser Maria gestanden, die ihm glatt ihren Busen zeigte und andere Kapriolen machte, die ihm aus meiner Schilderung nicht mehr so fremd waren. Aber er musste sich richtig kaputtlachen, und sich auf seine Reisetasche setzen und dachte dabei, das dürfe doch nicht wahr sein! Das war schon eher ein Zufall, denn ich traf die Maria oft wochenlang nicht an. Möglicherweise sperrte man sie ein und liess sie dann wieder gehen? $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 379 380 Kapitel 28 Der Polizist Im Millieu von Barcelona gab es seltsame Frauen, eine war die Liliputanerin „Teresita“, sie hatte den Körper einer Sechsjährigen, aber den Kopf einer erwachsenen Frau, das machte sie zu einer komischen Figur, zudem war sie alles andere als hübsch! Das mochte ein Grund dafür sein, dass ich sie nie näher kennen lernte. Zudem war sie ständig in irgendwelcher Männerbegleitung oder besoffen. Ich traf sie aber ein Jahr später an, als ich einen Kurzaufenthalt in Barcelona machte. Wir verzogen uns in eine Absteige, Teresita kannte mich von früher, ich merkte aber, dass sie nicht wusste, ob wir es schon zusammen trieben oder nicht? Sie sagte u.a., dass sie wieder eine Kind habe, wieviele sie schon hatte, weiss ich nicht mehr. Trotz ihrem kleiner Körper, war ihr Intimbereich absolut nicht etwa klein, sondern erstaunlich gut ausgebaut, die Kinder entfernte sie per Kaiserschnitt. Aber das war es nicht, sie massierte derart grob und intensiv an meinem Freund herum, dass dieser an der Spitze eine kleine Wunde aufwies! Und diese heilte nur ganz langsam aus! Zurück blieb eine lebenslange Narbe die mich immer an diese Teresita erinnerte. Wie bereits erwähnt, versuchte ich mich auch als „Traductor“ (Übersetzer), aber die Aufträge kamen äusserst 380 381 spärlich herein, es war eine sehr mühsame Sache, mit der UBahn durch die Stadt fahren, die Büros suchen und wenn ich ankam, war die zuständige Person nicht da. Am nächsten Tag wieder kommen, ja, ich denke, ich hatte mehr Auslagen als Einnahmen. Eines Tages rief mich der Franscisco an die Rezeption, ein jüngerer Mann grüsste mich und fragte, ob ich ihm einen Brief aus Deutschland ins Spanische übersetzen könne? Ich nahm an und sagte ihm, er könne diesen am nächsten Mittag abholen. Ich hatte meine gute Mühe mit der Übersetzung, handelte es sich doch um Fachausdrücke, wie Aerosole, etc. und ich hatte dafür kein Wort auf Spanisch. Aber schliesslich schaffte ich es doch, der Mann erschien wieder, zahlte mir noch einen Kaffee dazu. Ich stand an der Bar und er neben mir, plötzlich sagte er, er wäre bei der Polizei, ich zuckte zusammen, musste das jetzt sein, knapp vier Wochen vor meiner Rückreise, schnappt man mich als Schwarzarbeiter, aber er reichte mir lediglich seine Visitenkarte und sagte:“Wenn sie einmal Probleme haben sollten, rufen sie mich einfach an“. Ich war erleichtert, zum Glück sah er nicht, wie ich beim Wort „Polizei“ zusammenzuckte. Ich habe nie etwas vernommen, dass ein Ausländer damals wegen Schwarzarbeit gefasst worden wäre, alle Sprachlehrer genossen die grössten Freiheiten. Da erinnere ich mich noch and die Maria Fernandez, jene Frau, die ich 1958 als Zwanzigjährige in der San Remo Bar kennen lernte und danach, ganz ordentlich berauscht mit ihr aufs Zimmer ging und ohne Kondom draulos meditierte. Sie wirkte nun mit ihren 31 Jahren viel älter, war recht dick geworden und nur noch ein Schatten von damals, aus nostalgischen Gründen, besuchte ich sie aber noch ein paar Mal. Sie sass immer im gleichen Restaurant, und wenn Stierkämpfe im Fernsehen gezeigt wurden, hatte die Maria nie Zeit zum Sex. Sie sagte dann:“Los Torros“ wären wichtiger! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 381 382 Kapitel 29 Ein „Kollege“ Ich war eifrig auf der Suche nach einem Verlag für meine Reisebeschreibung „Einmal die Ferne Sehen“, aber da stiess ich auf Riesenprobleme. Einige Verlage in Deutschland und in der Schweiz, beschränkten sich auf eine simple Absage ohne jede Begründung. In einem Fall hiess es, man ziehe nur Manuskripte von bekannten Autoren in Betracht. Noch dümmer war die Antwort, man habe eigene Autoren im Vertragszustand. Etwa wie die Herstellung von Autos am Fliessband. Natürlich schrieb ein Konsalik und dergleichen Grössen, Romane wie am „Fliessband“. Es kommt angesichts solcher Absagen die Frage auf, wie sich neue Autoren überhaupt profilieren können, wenn man ihnen nicht einmal die Chance dazu offen lässt. Klar, dass jeder Autor der Ansicht ist, sein Buch wäre das allerbeste. Da war die Anwort vom Goldmann Verlag geradezu ein Aufsteller, da schrieb mir doch Herr Wilhelm Goldmann, mit einem handgeschriebenen Brief, er bedanke sich für mein Angebot, sein Verlag publizierte seit Jahren keine Reisebeschreibungen mehr, weil sich diese Literatur sehr schlecht verkaufe. Er wünschte mir aber viel Erfolg und Zuversicht. Da machte sich ein bekannter Verleger die Mühe, mich sachlich und korrekt zu informieren. Ich wusste wenisgtens wo der „Schuh“ drückte und konnte mich danach richten. 382 383 Das „Barrio Chino“, Barrio = Quartier oder Viertel, Chino = Abkürzung von Capuchino, war ein richtiges Hurenviertel. Dieses zog sich bis hinauf zur Calle Palayo, aber ausschliesslich nur Liebesdienerinnen gab es in der Calle Robador, die Strasse der Diebe. Dort war Bordell an Bordell und das war für das Fracospanien eine absolute Ausnahmesituation, die sonst nirgends in Spanien anzutreffen war. Eigentlich war die Prostitution im ganzen Land untersagt, aber die Behörden schlossen im Fall von Barcelona beide Augen. Einige der Frauen aus der Calle Robador wohnten in der Pension Benidorm, und manch eine mochte es gar nicht, wenn der „Profesor“ durch die Diebenstrasse schlich! Weil sie mir sagten, sie arbeiteten als Künstlerinnen. Und wenn ich sie im Hotel wieder antraf, sagte ich frech: „Uste es una artista de gama“, also du bist eine Bettkünstlerin! Andere aber machten daraus kein Geheimnis, ich war aber trotzdem ein seltener Kunde in dieser Strasse, die Masse passte mir nicht! Hingegen hielt ich mich fast täglich im Cafe links, gleich beim Eingang in die Strasse, auf, dort war ein freundlicher Kellner namens Jose, er war verheiratet, sonst hätte ich ihn für schwul gehalten. Und ich trank dort meistens ein paar Tassen Espresso von der allerstärksten Sorte. Ein ehemaliger Kollege von der Swissair, der Fritz B. verkehrte ebenfalls gerne dort beim Jose. Da hielten sich meistens noch ein paar Frauen auf, Nieves etc. Nun ja, eines Tages erhielt ich eine Postkarte von F.B. aus der Schweiz. Er schrieb, dass sie nun einen Knaben namens B. hätten, dann im gleichen Satz fuhr er weiter:“sag der Nieves im Cafe.... einen schönen Gruss von mir“. Das etwa der Text der Karte und ich fand ihn derart komisch, weil er im gleichen Satz seinen Sohn ankündigte und auch noch einen Gruss an eine seiner Huren dort. Der Sohn ist nun 42, immer noch bei den Eltern und ich getraue mich kaum, die Karte von damals zu zitieren. Unterhalb der Calle Robador war ein grosser Platz, auch ein Billigrestaurant befand sich 383 384 an der linken Seite. Immer dann, wenn mein Geld zur Neige ging, pflegte ich dort zu speisen, man konnte für ein Trinkgeld eine vollständige Mahlzeit erhalten. Die Menueauswahl war aber sehr einfach, und die Menues fast immer die gleichen. Ich speiste an einem warmen Herbstabend in diesem Lokal, rechts von mir sassen junge Frauen aus der Deutschschweiz, so gegen 20 schätzte ich grob. Ich lauschte ihren Gesprächen zu, sie konnten ja nicht ahnen, dass ich alles verstehen konnte. Nach einiger Zeit schloss ich aus den Gesprächen, dass es sich um eine Schulreise oder dergleichen handeln musste. Der einzige Mann dabei, der musste schon um die 50 bis 65 sein! Schliesslich sprach ich die Frauen, die mir am nächsten sassen an, sie waren höchst erstaunt, einen Landsmann anzutreffen. Dann war auch schon der Herdenführer bei mir: „Professor Walter, Gymnasiumlehrer aus Olten“, stellte er sich vor, und ich ohne zu überlegen antwortete:“Profesor B. aus Barcelona“. Beide lachten, er glaubte aber im ernst, ich doziere an der dortigen Universität. Ich klärte ihn sogleich auf, dass ich mich als „Profesor“ mit nur einem s schreibe, aber er machte gar keinen grossen Unterschied, schliesslich waren wir beide im Lehrberuf tätig, also Kollegen! Er befand sich auf der Diplomreise der Maturandinnen des Mädchengymnasiums. Die Girls waren somit zwischen 18 und 19 jährig, ich sagte ihnen dann, dass sie sich hier im grössten Bordellviertel von ganz Spanien befinden. Sie waren darüber begeistert, das brachte etwas Farbe in ihre Reise. Dann erklärte ich ihnen, die Strasse da vor ihnen, sollten sie möglichst meiden, weil die Frauen dort keine Konkurrenz wünschen! Aber genau das wollten sie nun sehen, erst wollte der Herr Professor Walter nichts davon wissen, weil es auch schon zu Tätlichkeiten kam. Dann beschlossen wir aber wie folgt vorzugehen, weil die Girls nicht locker liessen, der Herr Walter ging voraus, hinter ihm die Mädchen in Zweierkolonnen, und am Schluss wollte ich gehen. Das ganze Spiel verlief ohne Zwischenfall, 384 385 die Frauen sahen sogleich an der Kleidung, dass es sich um Ausländerinnen handelte, sie machten ein paar Bemerkungen mehr nicht. Und die Diplomklasse hatte ihr Erlebnis! Auch aus diesem Treffen hatte ich niemehr ein „Followup“ oder ein sonstiges Echo. Im Barrio gab es auffallend viele ältere Liebesdienerinnen, manche mochten schon um die 70 Jahre zählen. Fast nur Geschiedene oder Verwitwete Frauen, oft noch Witfrauen aus dem Bürgerkrieg, ( 1936 bis 39). Ihre Umgangssprache war alles andere als zimperlich oder weiblich, und sie warfen mit Schimpfwörtern nur so um sich. Wer nicht bumsen mochte oder wollte, wurde als schwuler Hund tituliert, oder sie drohten das beste Stück abzuschneiden. Ganz hinten an der unteren Strasse waren die alten Frauen, unappetitlich und frech waren die! Einmal, als ich zufällig dort vorbei lief, kam ein Mann aus einem der Schuppen, er sah aus wie der Schauspieler Antony Quin, hinter ihm eine alte, verlauste Dirne, sie zeigte ihm ihre Faust und rief laut:“ Maricon“. (Schwuler Hund). Der Mann lief rot an, und verzog sich eiligst in eine andere Strasse. Ein anderes Mal verfolgte ein Polizist in Zivilkleidung einen Mann im Barrio Chino. Es war nach meinen Erkenntnissen ein Gestapomann, (Geheimpolizei) und der junge Mann, dem er die Handschellen überziehen wollte vermutlich eher ein Politischer? Die Leute schauten dem Verfolgunsspiel zu und aplaudierten jedes Mal, wenn es dem jungen Mann gelang, dem Polizisten zu entfliehen. Das Spiel schien ohne Ende, etwa zweimal passierten die zwei an mir vorbei, und ich überlegte ernsthaft, ob ich dem Polizisten das Bein strecken sollte? Aber das wäre Unsinn gewesen, denn als Ausländer wäre ich eingesperrt und dann ausgeschafft worden! Also besser Finger davon halten. Man hilft dabei dem Verfolgten auch nicht und schadet nur sich selber dazu! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 385 386 Kapitel 30 Espania Adios! Das Jahr 1968 näherte sich seinem Ende zu. Für mich war eine Zeit des Lotterlebens vorbei, ein Leben, das ich so nicht mehr lange ertragen konnte! Ich hatte aber während diesem Spanienjahr viel Neues erlebt und damit konnte ich in die sterile Schweiz zurück gehen und dort wieder eine Zeitlang davon zehren. In der Academia waren nur noch die Sekretärin, Senorita MAS, und ich zurückgeblieben. Sie musste mir noch ein Zeugnis ausstellen, weil ich damit möglicherweise später dafür Verwendung hatte, etwa zum aufhängen in einer eigenen Schule an der Küste. Das machte sich immer gut, wenn einer zuvor bereits als Lehrer in Barcelona tätig war. Aber daneben schmusten wir wie wild auf den Tischen herum, ohne aber intim zu werden. Ich wollte da keine Risiken eingehen, in Katalonien herrschten diesbezüglich noch strenge alte Sitten, die da bald einmal zu einer Zwangsheirat ausarten konnten. Ich verabschiedete meine letzten Schüler, es war wie eine Beerdigung, fast herrschte Trauerstimmung! Die einst vornehme Academia Puig Condal war zu! Ein Jahr später war sie wieder in Betrieb, jedoch nicht mehr als Sprachschule sondern als Handelsschule. Ich nehme an, dass sie heute noch existiert? Die Nächte wurden kühler, aber immer noch viel angenehmer als in der Schweiz um die diese Jahreszeit. 386 387 Auch in der Pension Benidorm nahm ich von allen Leuten Abschied, es war wie der Abschied von einer grossen Familie. Die Fahrt in die Schweiz hinterliess keinerlei Erinnerungen, weder positive noch negative. Kurz vor Weihnachten traf ich in Ottoberg bei Mutter ein. Sie war sichtlich froh, denn der jüngere Sohn Ernst kümmerte sich nie um sie. Er verkehrte in Hippiekreisen in der Stadt Zürich. Den Teppich, den sie zu knüpfen begann, als ich die Schweiz verliess, hatte sie schon fast fertig. Mit meiner Gesundheit stand es auch nicht gut, ich hatte mir vermutlich ein Magen-Darmgeschwür eingefangen? Diese vielen starken Espressos, Zigaretten und die Alkoholikas, waren eben nicht meine Stärke. Aber noch konnte ich nicht ahnen, was für ein gesundheitliches Problem ich mir in Spanien eingebrockt hatte. Ich ignorierte die aufkommenden Symtome und liess vorerst Weihnachten und Neujahr vorübergehen. Im Jahr 1969 wollte ich dann weiter sehen, aber das gehört bereits in ein anderes Teilstück. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Ende 3. Teil 387 388 388 389 389 390 Rolf Bahl Teil 4 1.Januar 1969 bis 31.Dezember 1998 Autobiographie von Rolf Bahl 390 391 Kapitelübersicht: 1. Neuanfang 5 2. Die Prüfung 8 3. Ende der Karriere 10 4. Der Scherbenhaufen 19 5. Parteigründung 26 6. Buch wird gedruckt 30 7. Der Kandidat 32 8. Die Heirat 35 9. Die Prüfung 38 10. Krank 41 11. Politik am Ende 44 12. Flug nach Manila 46 13. Die Parapsychologie 51 14. Fernstudium 54 391 392 15. Frankreichreise 58 16. Der Sohn 61 17. Hauskauf 66 18. Reise um die Welt 70 19. Reisebürogründung 80 20. Ein neues Haus 85 21. Das richtige Haus 89 22. Nochmal Philippinen94 23. Auf dem Kriegspfad 97 24. 50 Jahre alt 101 25. Genug von Kreuzfahrten 104 26. Fernost und China 106 27. Ägypten 110 28. Geschafft 112 29. Mein Flug nach Manila 114 30. Schockmeldung 116 392 393 31. Ich soll wieder heiraten 118 32. Folgenschweres Inserat 120 33. Heirat in Las Vegas 122 34. Keine gemeinsamen Interessen 128 35. Die Luft ist draussen 128 36. Die Urahnen 130 37. Neue Pläne 132 38. Auf Brautschau 134 39. Zweite Heirat in Vegas 137 40. Nach dem Mauerfall 141 41. Nicht wie geplant 144 42. Die Katastrophe 146 43. Kampf gegen Windmühlen 148 44. Endlich eingetroffen 150 45. Vorzeitig pensioniert 154 46. Rentner in Thailand 157 393 394 Kapitel 1 Neuanfang Das Lotterleben war vorbei, nun galt es wieder Geld zu verdienen! Das konnte man damals in der Schweiz sehr gut, wer nichts finden konnte, musste assozial oder gestört sein. Ich meldete mich zur Buchhalterprüfung im Frühjahr an, obwohl ich die Vorbereitungskurse nur zur Hälfte absolviert hatte, ich sandte die Prüfungsaufgaben der Akademikergemeinschaft und erntete erstaulich gute Noten. Besonders im Fach „Organisation der Buchhaltung“ erhielt die Maximalnote! Darauf werde ich später noch zurückkommen. Anfangs Januar machte ich mich auf die Jobsuche in Zürich, ich holte dafür beim KV ein paar Adressen und rief dann aus einer Telefonkabine an. Schon bei der zweiten Firma blieb ich hängen, ich sagte, ich suchte nur eine temporäre Stelle, aber ein Direktor Müller einer Firma Bautreuhand, flehte mich buchstäblich an, doch vorbei zu kommen, weil er sehr dringend einen Chefbuchhalter suche, und das ginge auch in Ordnung, für ein paar Monate! Die Geld spiele dabei keine Rolle. Erst sagte ich recht arrogant ab, als dieser aber immer verzweifelter wurde, hatte ich es mit dem Mitleid zu tun, also ging ich hin an die Tödistrasse. Der Müller überredete mich, obwohl ich ihm sagte, ich wäre nicht „Bilanzsicher“. Das war nur zur Hälfte richtig, theoretisch hatte ich alles studiert, aber in der Realität hatte ich eben noch nie eine AG-Bilanz erstellt. Sein Chefbuchhalter verliess die Firma in wenigen Tagen und er konnte mich nur rudimentär einarbeiten, dieser hatte die Stelle eines Finanzchefs einer grossen Steinzeugfabrik übernommen. Mir war das Angebot etwas umheimlich, ich sollte also einen solchen Chefposten übernehmen, wo ich doch noch gar nie einen hatte! Aber ich war in Spanien an 394 395 viele neue Dinge herangkommen, die ich zuvor auch nicht in Erwägung gezogen hätte, die sich dann aber als gar nicht so schierig erwiesen, wie etwa der Unterricht in Englisch oder Französisch, oder die Übersetzertätigkeiten. Monatlich 2000.- Franken Lohn, das war damals eine sehr gute Entschädigung, (im Mittel lag dieser damals bei 1200.bis 2000.-Franken), der Müller wollte sogar auf 3000.gehen, aber ich winkte ab, wusste ich doch gar nicht, ob ich dem Job gewachsen war? Und ein Jahr zuvor verdiente ich bei der Fa. Weddel noch um 1500.-monatlich. Ich musste sogleich am nächsten Tag beginnen, machte alle Tage die lange Reise von Ottoberg über Weinfelden nach Zürich. Bis Weinfelden mit einem alten Kreidler Moped, dann mit dem Schnellzug bis Zürich. Hatte ich bei der Firma Weddel englische Verhältnisse angetroffen, waren es hier ebenfalls seltsame Umstände. Die Buchhaltung war ein totales Chaos, mein Vorgänger war der Sache nicht gewachsen, seit drei Jahren wurde keine Bilanz mehr erstellt! Sämtliche Wände waren gefüllt mit Umschlägen, darin waren unverbuchte Belege und anderes Zeug untergebracht, und jedes Mal sagte der Vorgänger:“Das muss ich noch erledigen bevor ich gehe!“ Es waren nicht einfach einige Pendenzen , sondern unzählige Belege! Die Firma lief unter zwei Aktiengesellschaften, der Grund dafür war mir schnell klar geworden, damit konnte man Guthaben und Kredite vortäuschen! Die Banken hatten die Kredite gesperrt, das Steueramt wurde ungemütlich, es war Schlimm um die Firma bestellt, aber das störte den Müller nicht. Mit der ganzen Belegschaft ging er ein paar Tage auf das Rebengut in Döttingen. Ich blieb zurück, der Vorgänger war weg, liess sich nie mehr blicken, er hinterliess mir einen wahren Saustall. Mit der Buchhalterin und der Lehrtochter, begann ich die Belege zu verbuchen, erstellte die Bilanz von drei Jahre zuvor. Ich sass alleine im Büro, die andern waren eine ganze Woche lang auf dem Weingut. Ich sagte:“Erst muss die Buchhaltung nachgeführt werden, dann erst werde ich mitkommen!“Da konnte der Müller nichts dagegen 395 396 einwenden, ich liess ihnen aber auch meine Meinung wissen, dass man so nicht eine Firma erfolgreich leiten könne! Da war das Theater mit den Lohnausweisen, diese sollten falsch Ausgestellt werden, damit die Angestellten weniger Steuern entrichten sollten. Ich weigerte mich konsequent, falsche Ausweise zu erstellen, hatte dadurch sämtliche Angestellten gegen mich. Schliesslich war auch die Bilanz des Vorjahres erstellt. Der Revisor, ein Freund des Müllers, segnete sie kommentarlos ab. Dann ging ich an die Bilanz per Ende 1968, und es ergab sich ein Verlust von einer halben Million Franken. Da das Aktienkapital nur 50.000.- Franken ausmachte, sollte ich laut OR sogar das Konkursamt benachrichtigen! Als ich das dem Müller meldete, wollte er mich beinahe umbringen, was mir eigentlich einfalle, ein Müller mache nie Konkurs, habe immer Geld, dabei nahm er ein Bündel Banknoten aus seiner Rocktasche und legte sie auf mein Pult. Der Müller war ein degradierter Hauptmann der Schweizer Armee, weil er einem Deutschen die Festungsanlagen zeigte, wurde er mit 6 Monaten Regensdorf und der Degradierung bestraft. Dabei engagierte er gleich noch seinen Wächter als Wohnungsvermieter und Verwalter. Müller erteilte mir folgenden Befehl:“Und ich befehle ihnen, mir eine Bilanz mit 10.000.- Nettogewinn zu erstellen, dann sind sie ein guter Buchhalter!“ Ich tat wie befohlen, als Generalunternehmung war es ein Kinderspiel, im Bau befindliche Häuser höher als erlaubt zu bewerten. Gegenbeweise konnte niemand erbringen, auch nicht der Revisor oder das Steueramt. Als Belohnung streckte er mir eine Banknote hin, und sagte:“Ich habe gewusst, dass ich einen fähigen Buchhalter habe!“ Mir war aber etwas unwohl dabei, obwohl Müller mir mit Gehaltserhöhung und Prokura „drohte“ wollte ich nicht bleiben. Ich meldete mich als Geschäftsleiter und Chef der Finanzen nach Liberia, genauer nach Tapitan im Urwald, die Firma hiess MIM TIMBER LTD. LONDON. Dort sollte 396 397 ich 5 Europär und 200 Schwarze führen. Das Gehalt liess ich sehen und ich erhielt den Job ohne grosse Schwierigkeiten, ein Verbindungsmann in Dübendorf, war für den Anstellungsvertrag zuständig. Was mich etwas störte, war die Tatsache, dass dort kaum einer länger als sechs Monate aushielt! Die Abreise war bereits festgesetzt, (Mai 69) und ich wollte zuvor noch die eidgenössische Buhhalterprüfung in Zürich ablegen. Ich vermutete aber, dass ich ein Magen- oder Darmgeschwür hatte, und der Arzt, der mir die Impfungen für die Tropen verpasste, machte seltsame Bemerkungen. Ich erhielt den militärischen Urlaub auf unbestimmte Zeit, deponierte die Ausrüstung im Zeughaus, kündigte meine Krankenkasse, und wollte Ende April bei der Bautreuhand aufhören. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 2 Die Prüfung Ich hatte seit 1965 zahlreiche Weiterbildungskurse in Form von Abend- und Fernkursen in Richtung Rechnungswesen und im Hinblick auf die eidgenössische Buhhalterprüfung gemacht. Ein solches Diplom versprach damals einen Superlohn und mindestens den Prokuristen Titel. Ich erinnerte mich, mit welch grossem Respekt mein Vater jeweils vom Prokuristen im Geschäft sprach, als wäre der ein Halbgott! Immerhin hatte ich bereits drei Positionen inne, bei welchen ich in einem Jahr diesen Titel schriftlich zuerkannt bekam, sollte ich nicht kündigen. Einmal in Genf bei der Privatbank, dann bei der Foreign Commerce Bank in Zürich, und schliesslich bei der dubiosen Bautreuhand an der Tödistrasse. Nein, ich hatte mehr vor, Direktor oder 397 398 noch besser Generaldirektor, und nun war ich zumindest dem Ziel eines Direktors sehr nahe gekommen, wenn auch nur in Afrika! In der Freizeit traf ich mich mit meinen ehemaligen Kollegen von der Swissair, wir trafen uns oft im Niederdorf. Aber noch mehr vermisste ich Spanien, deshalb klopfte ich vorerst einmal alle spanischen Lokale in der Stadt ab. Es blieb nur ein Lokal übrig, das mich fesselte, die „Bodega“ im Niederdorf. Dort verkehrten die Alternativen und Studenten von Zürich. Aber selbst RAF Terroristen traf ich dort an, oder Schriftsteller, wie den Max Frisch, nur erkannte ich ihn erst Jahrzehnte später, in einer TAGI Magazinausgabe. Ich hielt ihn einfach für einen „Chlochard“, der gerne ein Glas Rotwein trank und die Szene beobachtete, er hatte meistens einen Regenmantel über und einen langen grauen Schal um den Hals geschlungen. Mehr als „Salü“ sprach ich nie mit ihm, was ich später sehr bedauerte. Die Stimmung war revolutionär und faszinierend. Nirgends fühlte ich mich wohler als dort. Theoretisch hatte ich vier Jahre Buchhaltung studiert, aber genauer waren es wohl nur 2 bis 3 Jahre. Die Prüfung war im April, und sie dauerte ganze drei Tage. Ich war denkbar schlecht vorbereitet, einmal nahm mich der Job bei der Bautreuhand voll in Anspruch, dazu kam die lange Anreise aus dem Thurgau, aber noch schlimmer war das Geschwür, das mich 24 Stunden lang quälte! Ich schlug mich die drei Tage mit Schmerzen durch die Prüfung, nutzte jede Sekunde aus, bis die Experten die Unterlagen einsammelten. Ich kapierte nicht alle Fragen, gab einfach eine logische Antwort darauf. Aber ich hatte den Eindruck, durch die Prüfung gefallen zu sein. Im mathematischen Bereich musste ich sogar zu eigenen Methoden finden, weil ich die Formeln vergessen hatte oder gar nie erlernte. Einige Tage danach kam ich zur mündlichen Prüfung erneut in die „Kaufleute“. Ich war mehr krank als gesund, das Geschwür wurde fast unerträglich und raubte mir auch noch den verdienten Schlaf! 398 399 Die mündlichen Prüfungen gelten allgemein als relativ leicht und es fallen da auch nie Kandidaten durch! Ich trank einen ganzen Liter Riojawein vor der Prüfung, um die Schmerzen zu lindern, nach einem alten Bauernrezept, wonach Alkohol immer wirkt! Und wie der Wein wirkte! Im Fach „Organisation der Buchhaltung“ da hatte ich bei der Akad immer nur die Maximalnote erhalten, stellten die Herren Experten folgende Fragen:“Also, sie haben fünftausend Debitoren und zweitausend Kreditoren, (das habe ich nie vergessen), wie organisieren sie die Buchhaltung?“ Ich sagte sogleich:“Erst einmal schaue ich die alte Buchhaltung an, dann prüfe ich, was ich verbessern kann“. Da sagen die doch:“Aber es gibt zuvor keine Buchhaltung!“ Ich werde giftig und antworte:“Das ist doch gar nicht möglich, woher kommen dann diese vielen Debitoren und Kreditoren, da waren doch bereits seit langer Zeit Bewegungen vorhanden!“ Jetzt kommen die Experten unter Zugszwang, damit hatten sie nicht gerechnet, sie schauen sich gegenseitig an und kriegen rote Köpfe. Sie brechen ab und stellen andere Fragen, diese kann ich problemlos beantworten, aber es ist ihnen nicht geheuer, nach wenigen Minuten kann ich gehen. Die wollen nicht mehr mit mir sprechen und haben immer noch rote Köpfe! Ich weiss auch, was das für mich bedeuten wird, aber ich denke immer noch, ich hätte die schriftliche Prüfung nicht bestanden. Somit spielte dieses Intermezzo keine Rolle, den Stoff hatte ich erlernt und nun ging es auf nach Afrika und dort konnte die Karriere weiter gehen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 3 Ende der Karriere! Bruder Ernst war nun ausgelernt und ich musste mich nicht mehr um ihn kümmern. Er trieb sich in Zürich mit den 399 400 verlausten Hippies herum, rauchte Joints, die er angeblich in Marokko auf dem Landweg holte. Dabei sagte er mir einmal, als er mit einem anderen Hippie aus der Schweiz auf dem Schiff von Algeciras nach Tanger fuhr, habe er gehört, wie normal gekleidete junge Leute zueinander sagten:“Schaut mal diese zwei dreckigen und verlausten Schweine da neben uns!“ Sie hätten so getan, als würden sie die Sprache nicht verstehen, die andern konnten ja auch nicht wissen, dass sie ebenfalls Landsleute waren! Ich sagte ihm, dass sie sich dieses Urteil selber eingebrockt hätten und demnach Empörung nicht angebracht war. Aber Ernst empfand es anders, er sei psychisch dabei sehr verletzt worden von diesen Kommentaren! Nun ja, wir waren uns da sowieso nie einig, einerseits begrüsste ich neue Lebensformen, Versuche nach Alternativen etc., andererseits konnte ich mich mit der Hippie Philosophie nie so richtig anfreunden! Ihre Ansichten waren noch widersprüchlicher als die Religionen oder der Marxismus. Die Stelle bei der Bautreuhand hatte ich auf April gekündigt, aber der Nachfolger war noch nicht Einsatzfähig, darum arbeitete ich noch stundenweise während der Prüfung weiter. Kurz nach der Prüfung traf ich mich wieder mit meinen ExSwissair-Leuten im Niederdorf. Ich glaube der Schuppen hiess „Schlüssel?“, wir tranken ausgiebig Bier und mein Geschwür quälte mich nur noch bedingt, je mehr Bier ich genoss, umso komischer wurde mein Magen. Den letzten Zug nach Weinfelden verpasste ich, also schlief ich, wie schon so oft, im Hotel „Hirschen“ im Niederdorf, dieses Hotel hatte immer freie Zimmer und war sehr billig. Etwa um 4 Uhr morgens erwachte ich und mir war hundeübel, ich schleppte mich auf die Toilette, dort musste ich mich übergeben, und das war nicht einfach eine Kotzerei im Rausch! Nein, die ganze Toilette war voller Blut! 400 401 Und ich konnte mich kaum noch bewegen, fühlte mich himmeltraurig und völlig am Ende! Immerhin, das Geschwür schmerzte nicht mehr! Ich vermutete richtig, dass es geplatzt sein musste. Ich kroch zurück ins Bett und versuchte weiter zu schlafen, aber es war eher ein halb bewusstloser Zustand! Um 7 Uhr begann ich das Blut im Toilettenraum zu beseitigen, zog die Kleider über und lief total geschwächt zum Bahnhof. Dort traf ich den Freddy, ich glaube, wir hatten um 8 Uhr abgemacht, es sollte eine Morgenwanderung dem Fluss entlang sein. Aber ich musste absagen, wollte mit dem nächsten Zug nach Weinfelden fahren, Freddy wünschte mir gute Besserung und ich sagte ihm spasseshalber:“sollte es mich ins Jenseits befördern, kannst Du mein rostiges Velo erben!“. Wie immer lachte er und ich danach auch. Aber das Angebot war nicht ganz scherzhaft gemeint, ich fühlte, dass da noch grössere Probleme auf mich zukamen. Im Zug wagte ich mich nicht ins Abteil, sondern blieb draussen neben der Toilette sitzen. Ich fühlte mich speiübel! Endlich in Weinfelden angekommen, holte ich mein Farrad, aber ich konnte nicht aufsteigen, somit schob ich es bis nach Ottoberg hinauf, schwankend wie ein stockbesoffener Mann. Immer wieder musste ich eine Pause einschalten, dann wieder mit letzter Kraft weiter torkeln. Als ich in Ottoberg eintraf, war ich am Ende meiner Kräfte, Mutter war übers Wochennende bei einem Unternehmer mit Namen OTT, in der Gegend von Strohwilen. Sie besorgte dort den Haushalt. Ich ging sogleich ins Bett, trank aber zuvor noch einen halben Litter „Appenzeller Bitter“, nach altem Rezept, half das in allen Fällen! Die Flasche leerte ich dann noch ganz, in der Hoffnung, diese Rosskur müsse mich wieder auf Trab bringen! Die Nacht auf den Sonntag schlief mehr oder weniger gut durch, zwei Flaschen „Appenzeller! Sollten mich kurrieren, Volksmedizin! Aber es wurde nur noch schlimmer, und die Nacht vom Sonntag auf den Montag 401 402 wurde zur schlimmsten Nacht, die ich je durchmachte, jede Stunde oder gar halbe Stunde, musste ich auf die Toilette, die sich draussen auf dem Holzbalkon befand, ein Bauern WC. Ich weiss nicht mehr wann am Vorabend die Story begann, ich kroch die ca. 20 Meter Strecke zur Toilette, verlor dabei unerwegs das Bewusstsein, wachte wieder auf und kroch weiter, kotzte unaufhaltsam Blut, das Bett war schon völlig durchnässt, weil das Blut auch unten wegfloss, ja, selbst aus den Ohren, glaubte ich festzustellen? Aber ich schaffte es immer wieder, trotz vielleicht fünf und mehr Bewusstseinsverlusten, das Bett zu erreichen. Mir wurde klar, dass dies mein Ende war! Mutter kam erst am Montag zurück, da war ich sicher bereits tot! Wenn ich das Bewusstsein erlangte, (nur wenn ich ganz flach lag), konnte ich einigermassen klar denken. Was tun? Ein Telefon gab es nicht, aufstehen konnte ich auch nicht mehr, weil ich sogleich das Bewusstsein verlor. Unten lebte der Simon Nussbaum, der Hausmeister und Sattler, ich wusste, dass , wenn ich ganz stark auf den Boden klopfe, er vermutlich hinauf kommen würde um nachzuschauen, was los ist! Ich wollte noch bis etwa 6.30 warten, dann wollte ich mit der leeren Flasche auf den Holzboden klopfen. Und siehe da, es klappte, der Simon, mit dem ich „per Du“ war, kam und erschreckte fast zu tode. Ich fragte leise:“kannst Du den Arzt anrufen?“, er ging wortlos nach unten und schon nach etwa 20 Minuten kam Dr. Gartmann, der mich auch von früher her kannte. Eigentlich mein Hausarzt, aber ich ging nur in dringenden Fällen zu ihm. Dieser erschrack ebenfalls, ich lag ja in einer Blutlache und war voller Blut im Gesicht! „Da kann ich nichts mehr machen“, war sein Kommentar, ich rufe das Spital Frauenfeld an. Erstaunlich schnell war der Krankenwagen da, es sind immerhin über Weinfelden an die 20 Kilometer. 402 403 Ich wurde in ein weisses Tuch gewickelt und ins Sanitätsauto verfrachtet. Der Mann in weiss schaute mich besorgt an, aber ich war bei bester Laune, machte Witze über Leben und Tod, er musste das Lachen unterdrücken, er getraute sich angesichts meiner Situation nicht einmal zu grinsen. Schliesslich erreichten wir das Kantonsspital Frauenfeld. Ein ganzes Detachement maskierter Leute wartete auf mich, ein langer, dünner Arzt, um ihn herum etwa fünf Helfer. Ich schaute sie nur teilnahmslos an. „Den können wir nicht operieren, der hat ja kein Blut mehr!“ hörte ich den Oberen sagen. Ich wurde ins Intensivzimmer gelegt, dort war ich allein, erst einmal wurde mir Eis aufgelegt, damit die Blutung zum Stillstand komme, aber die war wohl schon vorher gekommen, denn ich war ausgeblutet, auf der Fahrt sah ich, dass meine Finger und die Hände grünlich gelb waren. Also Blutleer, und auch mein Gehirn war wohl leer, ich musste ganz flach bleiben, um nicht das Bewusstsein zu verlieren. Aber ich blieb die ganze Nacht hellwach, allein im Zimmer, etwa jede Viertelstunde kam eine Oberschwester um nachzusehen, ob ich noch atme, dabei fragte sie jedes Mal wies mir gehe? Weil sie sah, dass ich wach war, und ständig die weisse Decke anstarrte. Ich wollte ihr antworten:“den Umständen entsprechend gut“. Aber ich brachte nicht einmal die Lippen in Bewegung! Kein Wort kam heraus! Und als sie frühmorgens wieder fragte, sagte sie plötzlich: Eine dumme Frage, ich kanns ja sehen!“Mir war eigentlich alles egal, der Lebenswille war gänzlich verschwunden, ich hatte weder Zeichen von Angst noch sonstwelche Bedenken, was nun mit mir geschehen wird. Nachdenken war zu mühsam geworden, ich schwebte in einer Art von Wachtraumzustand. Dass ich in gut 10 Tagen hätte nach Afrika verreisen sollen, war kein Thema mehr, weil ich gar kein Thema mehr hatte. Ich befand mich in einem Vakuum zwischen Leben und Tod, wegen dem Blutverlust war aber der Lebenswille völlig weg, es war gleichgültig, ob ich die 403 404 nächste Nacht im Zimmer oder unten im Keller im Totenraum verbringen würde. Während des ersten Tages, bemühten sich einige Krankenschwestern mich von der Blutkruste zu befreien, die mich vom Kopf bis zu den Füssen bedeckte, ich liess es passiv über mich ergehen, was sonst sollte ich tun? Es war eine ganz ordentliche Arbeit und sie erinnerte mich an das Schlachten der Schweine in Frankreich. Die Schwestern hatten Humor und lachten viel, sie nannten mich den Blutpatienten oder ähnlich. Dann wurde mit Blutinfusionen begonnen, während 24 Stunden ohne Unterbruch und das etwa drei Wochen lang! Dann kam der Oberarzt, Dr. G. mit glänzenden Augen und sadistischem Lächeln, liess er mich fast jeden zweiten wissen, dass er mir ein Drittel oder bis zur Hälfte des Magens abschneiden werde, aber das könne er erst dann vornehmen, wenn ich wieder genug Blut im Körper habe. Erstmals regte sich in mir wieder sowas wie Widerstand. Seine Art gefiehl mir gar nicht, es schien, als könne er es kaum erwarten, mir den Magen wegzuschneiden! Aus Bern kam ein Spezialist, dieser sollte mich durchleuchten und genau feststellen, wo das Loch war. Ich konnte nicht gehen, weil zu schwach, also stiess mich eine Oberschwester im Rollstuhl in den kalten Keller hinunter, an meiner linken Seite die Flasche und der Schlauch für die Blutübertragung. Der Spezialarzt entsprach eher einem Folterknecht in einem Nazi-KZ. Die Schwester entfernte die Nadel aus der Kanüle, weil dies für die Untersuchung nötig schien. Ich wurde dann an die Wand des Gerätes gebracht, weil ich aber nicht aufrecht stehen konnte, fluchte der Spezialist auf mich los, die Schwester war verschwunden, erst leerte er mir etwa zwei Liter weisse Flüssigkeit den Hals hinunter, ich erstickte nahezu dabei. Dann schoss er mit den unsaftesten Schimpfwörter auf mich, das klang etwas so:“Dummer Kerl, stehen sie einmal grade!“ Ich war aber immer noch zu schwach, um überhaupt sprechen zu können. Der Unhold liess mich dann einfach im Kellergang im Rollstuhl allein. 404 405 Ich fror natürlich, und weiss heute nicht mehr, wie lange ich dort warten musste, bis die Oberschwester mich abholte. Sie entschuldigte sich, sie habe mich ganz einfach vergessen. Als sie die Nadel wieder in die Kanüle stiess, sagte sie lachend:“Oh, das kann aber tödlich werden, das Blut in der Kanüle ist eingetrocknet, ich glaube, wenn nun diese Brocken in den Kreislauf gelangen, könnte das eine Embolie verursachen!“ Ich lachte mit, bis ich realisierte, dass es da um mein Leben ging!“ Nach ein Paar Tagen kam ein kleinerer Mann um die 30 bis 35 in mein Zimmer, er stellte sich als polnischer Assistenzarzt vor. Er kam sogleich zum Wesentlichen, er sagte:“wissen sie, wir in Polen versuchen es immer zuerst mit natürlichen Mitteln, diese Schnetzeleien finde ich nicht gut!“ Dann fuhr er fort: „wenn sie wollen, können wir zusammen so eine Kur durchführen, ich benötige einfach nur ihr Einverständnis, dann darf sie der Oberarzt nicht aufschneiden!“ Ich hatte sogleich Vertrauen zu diesem relativ jungen Arzt und sagte zu. Er fügte noch hinzu, dass die Kur recht unangenehm sein könnte, Schleimbrühen, Milch, Tabletten etc. , also genau das, was ich nicht schlucken mochte! Aber ich war entschlossen, und im Gegensatz zu diesem Oberarzt, traute ich dem Polenarzt! Ich war plötzlich sicher, dass der Versuch gelingen wird und hatte keinerlei Zweifel daran. Die Kur begann schon am gleichen Tag, weil jeder Tag zählte, das grausige Zeug zu schlucken war gar kein Problem, wenn der Wille da ist, kann man sehr viel machen. Mit jedem Beutel Frischblut wurde auch mein Lebenswille wieder aktiviert. Voraussetzung, dass keine Operation stattfand, war auch, dass die Wunde nicht mehr blutete, ich hatte tagelang Zeit, mich darauf zu konzentrieren, ich visulialisierte, wie sich die Wunde schloss und das Blut nicht mehr in die Eingeweide ausfloss. Auch das funktionierte bestens. Den Oberarzt hatte ich praktisch weg von mir, mit der Rückkehr meiner Lebenskräfte, wurde auch meine Abneigung auf ihn immer grösser, und ich denke, er konnte das aus meinen Augen erkennen. Der Pole kam mehrmals 405 406 täglich um nach dem Befund zu fragen, und ihm sagte ich sehr gerne, dass es von Tag zu Tag besser gehe. Für mich war er so etwas wie ein Freund oder Kollege, und er benahm sich auch so. Frühmorgens, so um 6 Uhr, kamen immer die beiden Schwestern zur Fieber und Blutkontrolle. Die hatten vermutlich ein Veterinärinnnenstudium hinter sich? Ohne zu grüssen kamen sie ins Zimmer, eine ergriff meinen Arm und stiess eine Nadel hinein, die plauderten zusammen, als gäbe es mich gar nicht. Das beanstandete ich dann und klagte, also dass sie mich nicht grüssten und wie einen Hund behandelten, das ginge ja noch, aber bitte, nicht um 6 Uhr früh, jedes Mal weckten sie mich unsaft auf, dabei sei es Befehl, ich müsse möglichst viel Schlaf haben! Die Einsprache hatte den erwünschten Erfolg, sowohl bezüglich Zeit wie auch Anstand. Es wurde zu ihrer Entschuldigung gesagt, sie hätten gedacht, ich sei doch gar nicht bei Bewusstsein, hätte lediglich die Augen offen. Am Morgen schoben die Schwestern immer einen Rollwagen mit allerlei Schleimzeug, Milch etc. ins Zimmer, diese Brühe leerte ich regungslos hinunter. Mir fiel aber auf, dass die Brühe und die angebliche Milch immer mit einer braunen Schicht bedeckt war, ich dachte an Zimt, den man zur Versüssung darüber streute. Aber es war echt seltsam, das ganze war überhaupt nicht süss! Vorerst machte ich mir keine Gedanken mehr darüber, bis ich dann, so gegen Ende der dritten Woche, wieder selbstständig auf die Toilette draussen im Korridor gehen konnte. Da traf mich ein kleiner Schock, das heisst gleich zwei, einmal die uralten Greisinnen die da wie Skelette durch den Gang schlichen, dann aber ganz besonders, der Rolltisch neben meinem Zimmer! Somit war das Zeug bereits am Vorabend bereitgestellt worden, aber da war keine braune Schicht zu sehen! Ich schaute an die Decke dieses uralten Spitals, das wenig später abgebrochen werden sollte. Die ganze Decke war mit Spinnennetzen bedeckt, und die Spinnen rannten munter 406 407 hin und her. Dadurch streuten sie Kot auf mein „Frühstück“, bis am morgen war dann diese schöne Schicht entstanden! Das erinnerte mich an einen Spruch meiner Mutter die sagte:“Dreck macht feisst, wers nicht weiss!“ Und ich konnte das dann noch ergänzen mit:“Dreck heilt auch so noch gut!“ Ich befand mich schon wieder weitgehend bei den lebenden Menschen, deshalb setzte es dann eine grosse Schelte ab, fortan erhielt ich das Zeug ohne „Zimtschicht“. Ich fragte sie, ob sie mich mit diesem Kot noch ganz umbringen wollten! Der erste Mensch, der mich besuchte war der Pfarrer Michel aus Märstetten, er hatte gehört, dass ich am ableben war, und wollte mir noch das letzte Geleit geben. Dann kam meine Mutter, die gar nicht so recht wusste, was mit mir los war? Danach kamen noch der Freddy Zwicky und der Reutimann, beides ehemalige Swissair Kollegen. Auch sie hatten auf Umwegen erfahren, wo ich mich aufhielt. Hingegen war von meinem Bruder Ernst weit und breit keine Spur zu sehen, was mich auch nicht erstaunte. Er suchte mich zeitlebends nur dann auf, wenn er Geld brauchte, sonst sah er dafür keinerlei Bedarf. Als er mit 52 starb, blieb ich daher an der Beerdigung sehr emotionslos. Etwa in der dritten Woche wurde ein junger Mann eingeliefert, zuvor war ich allein im Zimmer, der Mann, der ihn brachte war derselbe, der mich drei Wochen zuvor in Ottoberg abgeholt hatte, als er mich erblickte sagte er spontan:“Sie kommen mir irgendwie bekannt vor“. Ich lachte und sagte es ihm, da rief er ganz erstaunt aus:“Was, Sie leben noch, nie zuvor habe ich von einem einzelnen Menschen soviel Blut gesehen!“ Nach einem Monat wurde ich aus dem Spital entlassen, der Oberarzt bemerkte noch, dass, wenn ich eine Krankenkasse gehabt hätte, (diese hatte ich ja eine Woche zuvor aufgekündigt) man mir noch etwa drei Monate Erholungskur verschreiben würde. So aber, solle ich einfach langsam wieder ins normale Leben gleiten, meine Stelle in Afrika könne ich vergessen, weil ich mindestens noch 407 408 während zwei Jahren zu einer Schonkost verpflichetet sei, dort im Dschungel, würde ich in sehr kurzer Zeit bei den Engeln landen, meinte der Ober auf seine stets sarkastisch witzige Art. Ich wurde ohne Tasche eingeliefert, und verliess demnach das Spital auch wieder ohne irgend etwas. Ich fühlte mich noch sehr unsicher beim gehen, solange ich mich vorwärts bewegte, konnte ich das Gleichgewicht behalten, sobald ich aber stillstand, musste ich mich an eine Wand lehnen um nicht umzufallen. Irgendwie traf ich wieder in Ottoberg ein, wie, das habe ich vergessen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 4 Der Scherbenhaufen Ich stand wieder einmal vor dem Nichts, nicht das erste Mal im Leben. Nachdem mir bewusst wurde, dass ich knapp überlebte und wieder in den Lebenskampf treten musste, begann ich Bilanz zu ziehen. Und diese sah nicht sehr vielversprechend aus. Einmal war da noch eine Rechnung für einen einmonatigen Spitalaufenthalt fällig, und ich hatte kaum noch Geld und keine Krankenversicherung! Dann die Stelle in Liberia, ich musste unbedingt den Agenten finden und ihm absagen. 408 409 Und von der eidg. Buchhalterprüfung erhielt ich die Resultate, und das Verrückteste war, ich hatte die schriftliche Prüfung bestanden, hingegen die mündliche in jenem Fach, indem ich mich mit den Experten stritt, eben nicht! Und ich hatte keinen Job mehr, aber das Allerschlimmste war, ich musste meine berufliche Karriere begraben! Jetzt, da ich vor dem grossen Sprung nach vorne war, ausgerechnet jetzt! Ich tröstete mich damit, dass ich ja schliesslich noch mich hatte und dass ich wieder am Leben war, einen Monat zuvor, war ich am Rande und es fehlte nur sehr wenig um ins Jenseits befördert zu werden.. Meine Penpal-Freundin Delia wunderte sich auch, weshalb plötzlich absolute Funkstille herrschte, sie dachte schon, ich hätte eine andere geheiratet und wollte ins Kloster gehen. Aber so hoffnungslos wies ausschaute, war es gar nicht! Fürs Spital musste ich einen Pauschalbetrag von 500.Franken zahlen, wie war das möglich? Anscheinend gab es da noch kluge Leute im Spital, es war bekannt, dass ich mich in einer „verschissenen“ Situation befand, ich erinnere mich, dass ich meinen Heimatort mit Wattenwil BE, deutlich ansagte. Auf der Spitalrechnung stand aber :“Bürger von Mattwil TG“, und für Thurgauerbürger übernahm der Kanton die Kosten, (Kantonsspital) ich musste nur einen kleinen Anteil leisten! Sodann zahlte mir die Firma Bautreuhand den vollen Lohn, auch wenn ich bereits nicht mehr für sie arbeitete, sozusagen aus Solidarität! Endlich konnte ich auch den Agenten finden, der hielt mir eine ganz ordentliche Strafpredigt, weshalb ich untergetaucht sei und ihn nicht informiert habe? Ich entschuldigte mich, und erwähnte, dass ich in meiner Lage ihn unmöglich habe informieren können! Er verstand halbwegs und wir sahen uns niemehr, damit war auch dieses Kapitel abgeschlossen. 409 410 Etwas weniger Glück hatte ich mit der Prüfung, das heisst mit dem Rekurs, diesen verpasste ich nur um wenige Tage, ich sprach beim Sekretariat des KV Zürich vor und erklärte den Fall. Man zeigte grosses Verständnis für mein Pech, der Sachbearbeiter hielt fest, dass selbst mein Spitalaufenthalt die Rekursfrist leider nicht erstrecken könne. Er erwähnte aber auch, dass ich mit hundertprozentiger Garantie zu meinem Recht gekommen wäre, denn die Experten dürften sowas nicht tun! Und mein Fall sei ihnen auch seltsam aufgefallen, weil noch gar nie jemand in der mündlichen Prüfung durchgefallen sei, als ich dann noch erwähnte, dass es sich um mein stärktes Fach handelte, ich hatte bei der „Akad“ immer die Maximalnote erhalten, sagte er, allein schon mit diesem nachweis hätte ich Gehör gefunden! Damit war auch die zweite Karrieremöglichkeit in die Brüche gegangen, ein eidg. Dipl. Buchhalter, zählte damals zu den höchstbezahlten Kaufleuten in der Schweiz. Manche wurden in grossen Firmen Finazdirektoren, etc. Immerhin hatte ich das theoretische Wissen, nur nützte das bei einer Stellenbewerbung recht wenig, wer wollte schon einen anstellen, der bei der mündlichen Prüfung versagte? Dafür konnte ich es dann später für unser Reisebüro gut gebrauchen. Ich konnte sowohl die Steuerbuchhaltung einer Einzelfirma, einer GmbH wie auch einer Aktiengesellschaft ohne fremde Hilfe erstellen, diese selber gründen und auch wieder löschen. Als einmal die AHV Revisoren vorbeischauten, hatte ich alles sogut vorbereitet, dass sie nichts zu beanstanden hatten. Ich hatte aber aus meiner Praxis bei der Bautreuhand und mit dem lanjährigen Studium, auch das „Know How“, wie man das optimale aus der Firma erzielen konnte. Die Firma musste als Beispiel unsere Studienreisen in alle Welt hinaus zahlen, das war bei der grossen Fernostreise immerhin ein Betrag von rund 30.000.- Franken, und da auch unser Sohn die Lehre in unserem Büro absolvierte, konnte ich das gegenüber den Steuern gut vertreten, wobei diese aber gar nie soweit 410 411 kamen. Man musste einfach Fakten und Beweise haben, und diese hatte ich immer bereit. So gesehen, war mein ganzes Studium nicht umsonst gewesen. Weil ich aber grundsätzlich fast von vorn beginnen musste, entschloss ich mich, die mündliche Prüfung nicht mehr nachzuholen und es dabei zu lassen. Der Arbeitgeber meiner Mutter verfügte über einen grossen Mercedes, diesen lehnte er mir unentgeltlich zum selber fahren aus. Es gab aber noch weitere Aufhellungen am Horizont, der „Generalanzeiger Ostschweiz“, eine Gratiszeitung in alle Haushalte, begann mein Buch „Einmal die Ferne sehen“ in Fortsetzungen zu veröffentlichen, dafür zahlten sie mir das „enorme“ Honorar von Fr. 250.-, und weil ich im Buch an einer Stelle schrieb, dass ich blinde Maschinengewehrmunition der Schweizer Armee mit auf meine Reisen nahm, veröffentlichte ich die Fortsetzung unter dem Namen R.B. von Wattenwil. Also die Initialen meines Namens und noch mein damaliger Heimatort bei Thun. Niemand kam auf den Gedanken, dass das von mir war. Ich stellte aber fest, dass zB im Dorf Ottoberg, alle Leute den Fortsetzungsbericht mit viel Interesse lasen. Eines Tages sprach mich der Simon Nussbaum an, unser Hausmeister, er fragte mich, ob ich diese Abenteuergeschichten auch lese, dieser Kerl habe noch mehr erlebt als ich. Ich musste gezwungenermassen laut lachen, da gestand ich ihm, dass ich derjenige bin. Der Simon schaute mich mit seltsamen Augen an, argumentierte dann, aber ich hiesse doch nicht „Von Wattenwil“ . Da sagte ich ihm:“Du bist doch auch Bürger von Wattenwil wie ich, also schau her, R. ist mein Vorname, B. mein Name, und schliesslich ist Wattenwil mein Bürgerort.“ Da kullerten ihm nahezu die Augen aus dem Kopf. Und am Abend wusste es das ganze Dorf, es war an der Zeit zu verschwinden! Ich arbeitete wieder bei der Bautreuhand, weil mein Nachfolger noch nicht loslegen konnte, mir konnte es nur recht sein und der Firma war es sogar mehr als recht. Wir schrieben Juni 1969, ich erholte mich immer noch von der Krankheit, statt täglich nach Ottoberg zu pilgern, 411 412 mietete ich mir gleich am Arbeitsort ein Zimmer, im Restaurant Tödi, an der Tödistrasse. Ich konnte noch bis Ende Juli bei der BT arbeiten, dann kam der Nachfolger. Vom Oberarzt hatte ich den Befehl erhalten, keinen stressigen Job auszuüben, das war gar nicht so einfach, einen nicht stressigen Job zu finden! Mit dem Essen hatte ich auch meine liebe Mühe, keine treibenden Lebensmittel, kein Kaffee, kein Schwarztee und vieles mehr, ich hatte eine lange Liste von verbotenen Lebensmitteln. Im Büro konsultierte ich die Tageszeitungen auf Arbeitsangebote hin, und ich kam mir vor wie ein Rennpferd, das nur noch im Sandkasten herumturnen darf. Alle die guten Kaderstellen galten als unegeignet, ich hatte mich aber noch lange nicht damit abgefunden, einfach eine Stelle anzunehmen, die wenig Anforderungen an mich stellte, wozu sonst, hatte ich im Lauf der Jahre diverse Diplome und Berufsabschlüsse gemacht, nur um dann kläglich auf die berufliche Karriere zu verzichten? Da las ich eines Tages u.a. in der NZZ von einer Stelle ganz in der Nähe an der Dreikönigsstrasse, da wurde ein „Allroundkaufmann“ gesucht, Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch und wenn möglich Spanisch. Mit einer sehr guten Allgemeinbildung, Auslanderfahrungen, etc. für die Auskunfterteilung über die Schweizer Exportproduktion, etc. Das schlug bei mir sofort ein, aber was war das für eine Firma? Da stand OSEC und SZH, keine Ahnung was das sein konnte! Ich sandte einmal meine Bewerbung an diese mir unbekannte Firma. Und schon rief mich die Sekretärin an, man sei sehr an meiner Person interessiert, wann ich vorbeikommen könnte? Das ging aber schnell! Ich hatte es gar nicht eilig, Stellen gab es haufenweise, ob da etwas faul war, dass die es so eilig hatten? Ich traf den Vizedirektor über die Mittagspause, ich sagte, ich hätte nur dann Zeit, was nicht zutraf. An der Dreikönigsstrasse 8, trat ich in ein 412 413 beamtenähnliches Gebäude, alles war wie in Bundesbetrieben nüchtern gehalten, kalt und eher unfreundlich. Der Vizedirektor, ein Herr A. Laube, trug einen beigen Beamtenkittel, er klärte mich auf, was das für ein Betrieb ist, also „SZH“ war die deutschsprachige Version „Schweizerische Zentrale für Handelsförderung“ und „OSEC“ war die französische Version „Office Suisse d`Expansion Commerciale“, richtig beeindruckend, und ich hatte noch nie davon gehört. Die Stelle war im Nachweisdienst der Schweizer Produktion offen, Herr Laube führte mich zum Abteilungsleiter, ein Herr Gross, der aber eher klein war! Sein erster Satz war, dass er sieben Sprachen beherrsche, dann fragte er mich wieviele ich könne, ich sagte ihm, dass ich mir daraus nicht viel mache. Er betonte dann, das wäre eben sein Hobby, da wusste ich eigentlich schon, mit was für einem Menschenschlag ich es dann zu tun hatte. Ich machte zur Bedingung, dass man mir eine Sekretärin zur Verfügung stelle. Der Gross aber schwafelte da etwas von Kartein, die man selber schreiben müsse, also ging ich mit ihm zum Laube und als der Gross wie ein Köter hinter mir hereinschlich, merkte ich gleich, wer da das Sagen hatte, ich sagte dem Laube: „der da sagt mir, ich müsste Karteien schreiben, wir haben aber etwas anderes abgemacht!“ Der Laube sagte umgehend:“Was wir abgemacht haben gilt!“ Gut, das war ein Wort und ich wollte dann noch eine ganze Woche Bedenkzeit, genau am Mittwoch um 12 Uhr mittags würde ich Bescheid geben ob JA oder NEIN! Ich erkundigte mich etwas über diese Zenrale, konnte aber kaum Leute finden, die etwas wussten. Meine Kollegen aber waren der Ansicht, ich solle die Stelle doch annehmen, die sei doch für mich ideal, und werde mich nicht zu sehr stressen! Der Anfangslohn war auch gut, das heisst, der Vize fragte, was ich bei der BT verdiene und genau das wollte er mir auch zahlen, ich erfuhr später, dass ich dabei etwas höher lag als viele in der OSEC! 413 414 Ich blieb aber auch der einzige Bewerber, das heisst der einzige, den sie in die engere Wahl nehmen konnten. Ich entschied mich zum „JA“ und wartete am Mittwoch bis um 11.59, da rief ich an, und sagte dem Laube:“ich komme! Der schien sichtlich erleichtert, damals war der erste August noch ein halber Arbeitstag, aus Freude schenkte er mir diesen halben Tag und sagte auch noch, nach drei Monaten, oder nach der Probezeit gebe er mir dreihundert Franken mehr Gehalt. Auch das hörte sich eher gut an, was mich mehr störte, waren die seltsamen Gestalten, denen ich im ganzen Haus begegnete, Leute, die herumschlichen, oft in grauen Beamtenkitteln, introvertiert und in einer privaten Firma kaum vorstellbar. Ob ich mich mit solchen Elementen zurechtfinden konnte? Die Frage war nicht unberechtigt, wie sich später herausstellen sollte. Für mich war klar, obwohl die Aufgabe an sich, interessant erschien, ich hätte unter normalen gesundheitlichen Voraussetzungen diese Stelle nie angenommen. Ich sagte dem Laube auch von meinen gesundheitlichen Problemen, er meinte dazu, dass dieser Posten keinerlei Aufstiegschancen biete, daher sei er für mich sehr geeignet und entspreche den ärztlichen Empfehlungen. Das klang auf einer Seite wie ein Todesurteil, was die berufliche Karriere anbetraf. Ich kam mir vor, wie in einem Sack eingesperrt, ohne Möglichkeiten daraus zu entfliehen, weshalb hatte ich bislang soviele Schulen und Kurse gemacht, um jetzt kleinlich verzichten zu müssen. In all den Jahren hatte ich weit über 300 Stellenbewerbungen abgesandt und manch eine war erfolgreich. Einmal bewarb ich mich als Geschäftsleiter des schweiz. Baumwollinstituts, wohlwissend, dass die einen Juristen suchten, nun ja, ich erhielt eine glatte Absage, den Posten erhielt ein Mario Ludwig, Jurist und Fürsprecher aus Bern, und dieser, den man auch den schwulen Mario nannte, wurde ab 1972 Direktor der OSEC. Aber einige Male blieb ich mit solchen Bewerbungen erfolgreich, so etwa bei der Firma Hasler Signal AG Bern, als diese einen neuen Geschäftsleiter 414 415 suchten, bewarb ich mich auch. Und zu meinem Erstaunen kam ich in die engste Wahl! Ja, sie wollten mich gleich anstellen, da kriegte ich aber kalte Füsse, eine Firma mit mehr als 100 Leuten führen, das war schon etwas viel für den Anfang. Ich schlich mich damals aus den Büros mit dem Hinweis, ich hätte noch andere Stellen ob. Auch der Job als technischer Leiter beim Zirkus Knie, den ich bereits zugesagt hatte, wäre sicher ein Sprungbrett gewesen. Nun kamen solche Stressjobs nicht mehr in Frage und ich unterliess es fortan, mich darum zu bewerben. Jetzt hatte ich ungewollt eine sogenannte Lebensstelle, da hätte ich ja auch bei der Post, oder bei der Swissair oder noch besser bei den Banken bleiben können! Ich wollte die Leiter hinauf und war plötzlich am Ende der Fahnenstange angekommen. Meine Gesundheit spielte mir wieder einmal einen üblen Streich, und es sollte nicht der letzte sein! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 5 Gründung einer Partei Am 1. resp. 4. August 1969, trat ich meine neue Stelle bei der OSEC an, das Zimmer hatte ich immer noch im Restaurant Tödi und konnte meine Arbeitsstelle in fünf Fussminuten erreichen. In weniger als drei Tagen hatte ich mich bereits mit der Hälfte des Personals unserer Abteilung verkracht, aber sogar mit ein paar Botschaften hatte ich das Kriegsbeil ausgegraben, indem ich ihnen Anweisung verpasste, wie sie ihre Anfragen abfassen sollten. Meine Assistentin und Sekretärin, eine ca. sechzigjährige Frau Bodenmann, nannte 415 416 ich ein Reibeisen, und mit solchen wolle ich nichts zu tun haben. Dann fluchte ich auch noch den Chef so laut zusammen, dass ich fest überzeugt war, der würde direkt zum Direktor eilen und sich beschweren. Vermutlich hat er es auch getan, nur war eben der Direktor danach noch freundlicher zu mir! Den verschonte ich aber auch nicht, als ich mich negativ über den Zahltagsmodus äusserte, wir mussten uns in einer Kolonne vor seinem Büro aufstellen und dann einzeln den Barbetrag entgegen nehmen. Ich sagte dem Laube, das sei nicht zeitgemäss, er antwortete:“Wir sind eben altmodisch!“ Und ich erwiderte:“Das habe ich auch schon festgestellt“. Er schaute mich seltsam an und ich lachte. Ich dachte, den habe ich wohl auch noch zum Feind, aber es schien nicht der Fall zu sein, irgendwie war er sich wohl diese Art von „Zivilcourage“ nicht gewohnt, das ganze Personal schien einen riesen Respekt vor ihm zu haben. Ich nahm, wie immer, kein Blatt vor den Mund, kritisierte die verstaubte Mentalität der Angestellten, machte mich oft auch lustig über sie. Ich hatte überhaupt nicht vor, in dieser Bude zu verbleiben, aber soviel ich auch provozierte, ich musste nie zum Laube. Mir wurde bald klar, die Leute scheuten jede Form von Konfrontation, sie zogen es vor untereinnander zu flüstern und am Ende des Monats ihr Salär zu beziehen! Der Chef wich einer direkten Stellungnahme immer aus, er versuchte aber, mir mit seinen unglaublichen Sprachkenntnissen zu imponieren, was ja auch nicht schwierig war, weil ich mir daraus rein nichts machte, und auch keinen grossen wert auf gepflegten Briefstil legte, sondern mehr auf Klarheit und Kürze. Dass er mich damit nicht geil machen konnte, plagte ihn sehr, und er versuchte es dann manchmal mit Seitenhieben. Natürlich blieb ich ihm die Antwort nicht schuldig. Meine Karriere war hin, ich musste mich mit einer medioker Stelle abfinden, das widersprach meinem Naturel. Die grossen Freiheiten und Kompetenzen, die ich bei den vorhergehenden Firmen der Privatwirtschaft inne hatte, 416 417 gehörten nun der Vergangenheit an. Anfänglich durfte ich nicht einmal meine Post selber unterschreiben. Das führte zwangsläufig zu anderen Aktivitäten, eine davon war die Politik, ich glaubte damals noch an eine saubere Politik und dass diese realisierbar wäre. Bekanntlich war Politik eines meiner Hobbies, mit 17 Kommunist, dann beim Landesring, dann bei den Sozialdemokraten. Im Jahr 1969 war ich Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zurich, kaufte jeden Monat die Marken fürs Parteibuch. Selber ging ich aber nie an die Versammlungen. Dafür war ich ein regelmässiger Besucher der „Spanischen Bodega“ an der Niederdorfstrasse in Zurich. Dort verkehrten ausser dem Max Frisch, Studenten, Alternative, ja selbst RAF Terroristen und viele andere Leute. Nachdem ich im Zimmer des Hotel Tödi nahezu verbrannt wurde, zog ich dort aus und mietete ein Studio im Seefeld. Ein Gast im unteren Geschoss schlief rauchend ein, und am frühen Morgen entstand ein Zimmerbrand mit einem ekelhaften Rauch. Als ich aufwachte und die Zimmertür öffnete, stiess eine gewaltige Rauchwolke in mein Zimmer. Ich schloss die Tür sogleich wieder zu und prüfte die Fluchtwege übers Dach, keine einfache Sache! Also warf ich das Zeug in den Koffer und wartere ab, da hörte ich die Feuerwehr im Untergeschoss, ich war gerettet! Aber ich hatte eine grosse Ladung Rauch in den Lungen, konnte kaum noch atmen, und erholte mich erst nach zwei Wochen. Ohne Spitalbesuch, der Rauch wa ja bereits in den Lungen! Das Umweltproblem war damals noch kein Thema in der Politik, ich wollte daher eine „Oekologische Umweltschutzpartei“ gründen, die sich etwa mitte links ansiedeln sollte. Im Tages Anzeiger suchte ich mittels Inserat Interessenten, aber es meldete sich nur Kollege Freddy Z. aus Vaduz, der dort bei einer Bank arbeitete und meine Postfachnummer kannte. Aber das war nur ein Witz von ihm. Meine Begeisterung war leicht bedrückt, ich dachte, die Leute interessiert das einen Scheiss. Da stiess ich auf einen 417 418 Zeitungsartikel, wonach eine neue Partei, die EFP, „Europäische Föderalistische Partei“ mit Sitz in Wien, sich in der Schweiz in Gründung befand. Ich nahm Kontakt mit dem Zentralpräsidenten Schweiz auf, H.P. Stämpfli, aus dem Aargau. Ich legte ihm meine Pläne für die neue Partei dar, wir stellten dabei fest, dass wir gar nicht weit auseinander lagen, weil auch bei mir der europäische Gedanke im Vordergrund lag. Und es ging dann Ruck-Zuck weiter, ich wurde beauftragt, die „Zürcher Kantonalpartei“ zu gründen. Und schon am 6. Dezember 1969, gründeten wir im Hotel Du Nord, beim Hauptbahnhof, die EFP des Kantons Zürichs. Die Gründungsmitglieder reichten gerade einmal aus, um den Vorstand zu belegen. Jeder stellte sich die Partei etwas anders vor, aber die Statuten waren vorgegeben, das Hauptziel war ein vereinigtes Europa auf föderalistischer Grundlage. Aber dem Umweltschutz wurde ebenfalls viel wert beigemessen, darum war diese Partei genau nach meinem Gusto. Ich wurde zum Kantonalpräsidenten ernannt, ausser dem Tagesanzeiger, wurde die Partei von allen andern Zeitungen ignoriert, während später die kleineren Blätter doch noch aktiv von uns berichteten, weigerte sich die NZZ stets standhaft. Eine wenig demokratische Verhaltensweise, bedenkt man, dass Europa doch schon damals ein Thema war. Das Problem in der Schweiz war, dass wir keinen finanzpotenten Guru als Sponsor hatten, in Oesterreich waren da immerhin zwei bekannte Persönlichkeiten, Werner Molden, Verleger und Otto von Habsburg. Für mich war das ein Hobby, aber schon bald wurde es zu einer Riesenbelastung! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 418 419 Kapitel 6 Buch wird gedruckt Mit der neuen Partei hatte ich mir eine ganz ordentliche Arbeit mit viel Stress eingehandelt. Ich musste fast alles selber erledigen, die andern Vorstandsmitglieder blieben passiv und desinteressiert. Immerhin wuchs unsere Partei rapide an und schon bald war sie die grösste aller EFP Gruppen in der Schweiz. Schliesslich war der Zentralpräsident nur noch eine Garnitur ohne Mitglieder, alles drehte sich um die Zürcher Kantonalpartei. Jede zweite Woche organisierte ich eine Sitzung, oft im Restaurant Frieden an der Stampfenbachstrasse, dann wieder im Du Nord, oder woanders. Und Geld war auch kaum vorhanden, das meiste wurde von mir bezahlt oder gesponsert. Schon bald entstand ein linker und ein rechter Parteiflügel, die sich bei jeder Sitzung gegenseitig beschimpften. Ich musste erst immer diese Streithähne zum Schweigen bringen. Schon gab es die ersten Austritte, den einen waren wir zu links, den anderen zu sehr rechts orientiert. Ich kam mir vor wie ein Kapitän, der ein schiffbrüchiges Boot steuert. Die Veröffentlichung meines Manuskriptes gab mir Mut, wieder nach einem Verlag zu suchen. Ich konnte jetzt auf die vielen begeisterten Leser im Generalanzeiger verweisen. Für die eidg. Agentenprüfung, auf die ich mich nun im KV vorbereitete, meldete ich mich im Branchenfach als Inseratenakquisiteur. Und dafür musste ich mich als selbstständiger Agent ausweisen können. Und ich schloss mit dem Verlag des „Code Diplomatic et Consulaire“ in Goldach SG, einen Vertrag ab. Ich hatte die exklusiven Rechte für Chile, Philippinen, sowie kollektiv für die ganze Schweiz. 419 420 Zudem vermittelte ich meinen Kollegen Fritz H., der sich in England in Ausbildung befand, und nur dieser war später wirklich erfolgreich im Geschäft. Ich selber ernannte Delia auf den Philippinen und Virginia in Chile, als meine Unteragentinnen. Aber beide wussten nichts damit anzufangen. Ich befand mich ja in fester Anstellung in Zürich und hatte kaum Zeit, auf die Suche nach Inseraten zu gehen. Aber der Verleger in Golddach, war von meinem Buch begeistert und wollte es drucken und verlegen. Aber bei den Detailgesprächen wurde es immer schlechter bestellt, mit seiner Begeisterung! Erst einigten wir uns dahingehend, dass ich die Finazierung sicherstelle, der andere wollte sodann den Verlag übernehmen. Weil ich aber die Finanzierung leisten musste, wollte ich zuerst einen Kostenvoranschlag sehen! Dieser wurde mir in Aussicht gestellt, der Freddy war dabei Zeuge. Ich wartete mehrere Wochen auf diesen Kostenvoranschlag, als ich telefonierte um mich nach der Funkstille zu erkundigen, sagte der Verleger:“Ja, das Buch ist bereits gesetzt und druckbereit“. Aber das dicke Ende kam noch:“Wir sind total überlastet , könnten sie nicht auch den Verlag übernehmen?“. Das war nun aber zuviel, ich überlegte, ob ich das Ganze eigentlich übernehmen musste? Am liebsten hätte ich den ganzen „Scheiss“ liegen lassen, aber da war dieser Vertrag als Agent. Und wenn die nicht nötigenfalls bestätigten, dass ich für sie Arbeite, hätte man mich von der Prüfung ausschliessen können! Ich als Verleger? Keine Ahnung, und was kostete der Druckauftrag? Ich erklärte mein Problem dem Inhaber, dieser führte interne Schwierigkeiten im Betrieb an, er war der Ansicht, ich könnte das schon bewältigen, und er wäre sehr froh, wenn ich einverstanden wäre. Da regte sich wieder einmal mein humanistisches Gen in mir und ich sagte zu. Für die ganze Produktion von 1000 Exemplaren, sollte ich rund 5000.- Franken hinblättern, das waren damals immerhin 2 ½ Monatsgehälter. Dabei war nicht sicher, ob ich überhaupt 420 421 ein einziges Buch werde verkaufen können? Inzwischen bewohnte ich eine Dreizimmerwohnung an der Bahnhofstrasse in Effretikon/ZH. Meine Freundin Delia sollte im Sommer von den Philippinen herfliegen und so war die Wohnung erforderlich, zudem weilte meine Mutter zeitweise auch noch bei mir. Und weil ich mich auf die höhere, eidgenössische Agentenprüfung vorbereitete, setzte ich den Verlagsnamen wie folgt fest: „ARUBA VERLAG“, wobei das „A“ für „AGENTUR! zeichnete, und die restlichen Buchstaben sich aus Vor- und Nachnamen ergaben. Unter diesem Namen mietete ich mir in Zürich ein Postfach, und trug auch eine Einzelfirma im Handelsregister ein. Da ich mich auf vielen Gebieten als Agent versuchte, so etwa auch als Immobilienagent für Spanienliegenschaften, plazierte ich auch des öftern Inserate in ausländischen Zeitschriften, wie die „Lavanguardia“ in Spanien oder die „Int. Herald Tribune“. Und es kam vor, dass ich dann Anfragen für Liegenschaften auf niederländisch ARUBA erhielt. Mit diesen Aktivitäten habe ich aber in all den Jahren nie Geld vedient, sondern nur Geld verloren. Einige Male war ich nahe an einem Abschluss, weil ich jedoch beruflich an Zürich gebunden war, fehlte mir die nötige Freizeit, um mich den Kunden besser widmen zu können. Einmal versuchte ich eine kleine Villa an der Costa Blanca Zu verkaufen. Ein deutscher Pilot beauftragte mich damit, das Haus sah ich selber aber nie, jedoch verliess ich mich auf die Beschreibung des Eigentümers. Aber die Interessenten beschwerten sich nach ihrer Rückkehr, das Haus entspreche bei weitem nicht dem Prospekt! Ich zog mich sogleich von diesem „Deal“ zurück, ausser Spesen nichts gewesen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 421 422 Kapitel 7 Der Kandidat Sodann, im Februar 1970, wurden in der Stadt Zürich die Stadtratswahlen durchgeführt, erstmals durften auch Frauen wählen. Und es gab eine Kandidatin, ein Frl. Lieberherr, und eine völlig unbekannte Partei , die sich EFP nannte, portierte einen Studenten, der hiess „Reto a Porta“. Und wie kam ich auf diesen Reto? Ende 1969, ich war damals fast täglich in der Bodega, verliess eine Gruppe Studenten das Lokal, ein grosser, schnauzbärtiger unter ihnen machte irgendwelche politischen Sprüche:“Du bis genau mein Mann“ rief ich ihm zu, „ich suche noch einen Stadtratskandidaten, hast du Lust dazu?“ Und schon war er bei uns einer der aktivsten Mitglieder, als er dann mit den andern sieben Kandidaten im „Kaufleute Zürich“ auftreten musste, war das für uns ein grosser Erfolg, die ganze Sendung wurde im Radio übertragen. Und der Reto schlug sich sehr gut, neben ihm sass die später gewählte Frl. Lieberherr, und sie stellte fest, dass zwischen dem Reto und mir irgend eine Verbindung bestand, kannte mich aber nicht, wenn sie mich in späteren Jahren als Stadträtin sah, schaute sie mich immer lange fragend an, sprach mich aber nie an und so ergab sich auch keine Konversation. Ich wusste aber wer sie war, sie jedoch nicht wer ich war. In diese Wahlen steckte ich auch noch Geld aus meiner Tasche hinien, wenn auch nicht sehr viel, blieb es doch eines der bodenlosen Sponsorenfälle. Und wenn ich bedenke, dass mein ganzes Leben fast nur aus „Sponsoring“ bestand, 422 423 wundere ich mich heute immer noch, dass trotzdem für mich noch genug Geld übrig blieb! Aber wir wurden mit diesen Aktionen viel bekannter, ausser der NZZ, ignorierten uns die Zeitungen nicht mehr, sogar der Blick meldete manchmal mit ein paar Zeilen unsere Aktionen. Unser Kandidat erhielt etwas über 4000 Stimmen, blieb natürlich weit abgeschlagen, aber er konnte als Störkandidat zB der EVP Stimmen abnehmen. Und er wurde stadtbekannt, ob es ihm im Endeffekt geholfen oder geschadet hat, konnte ich nie erfahren. Er trat aber politisch nie mehr in Erscheinung. Damals war er Can. Lic. Oec., wir trafen uns nie mehr. Spörri Andere Leute kamen zu uns, so ein Herr P. aus Knonau. Er gab sogleich den Ton an, kritisierte meine etwas legere Art des Vorsitzes, manchmal begann eben die Sitzung eine halbe Stunde später, das hatte ich schliesslich in Spanien gelernt. Spörry hatte ein Buch über Landreform in der Schweiz und in Europa, herausgebracht. Er wollte nun unsere Partei als Träger dafür einspannen, plötzlich hatten wir ganz neue Kriterien und Ziele. Und weil wir bei jeder Sitzung Meinungsverschiedenheiten hatten, schmiss ich ihm eines Tages den Bettel hin und sagte, ich könne nicht mehr, in der Tat war ich mit den Nerven auch am Ende angelangt. Vorerst verblieb ich als Vizepräsident. Solche Änderungen wurden jeweils anlässlich der Sitzungen abgestimmt. Die Statuten waren in allen Ländern gleich, es gab bereits eine EFP in Oesterreich, Deutschland, Belgien, Holland und Luxemburg. Ein Katalane bei uns sollte eine spanische Partei gründen, doch das war zu Francos Zeiten nicht möglich. Wir arbeiteten an Parteizielen in der Schweiz, und hatten einige Studenten, die ganz gute Arbeit leisteten. Selber verfasste ich ein Manifest: „Wege nach Europa“, darin war u.a. die Vereinigung von Ost und West auf friedlichem Wege angeführt. Das föderalistische Europa ginge von Island bis nach Vladiwostok! Zwar ist es noch nicht so weit gekommen, aber was heute existiert, war damals ebenfalls eine unglaubliche Utopie. Um die Schrift 423 424 aber drucken zu können, fehlte mir das nötige Kleingeld. Das Original behielt ich viele Jahre auf, beim Mauerfall suchte ich es aber vergeblich, vermutlich wurde es irrtümlich entsorgt? Von allen Prognosen ist an sich nur eine nicht eingetroffen, danach sollte ganz Lateinamerika von Mexiko bis Argentinien kommunistisch werden, oder zumindest sozialistisch. Ein föderalistisches Europa nach schweizerischem Vorbild wollten aber die Regierungen in Europa nicht haben, so wurde, unter dem Druck der weltweiten Globalisierung, die EU von heute kreiert. Sie wird jedoch den Erwartungen einer multikulturellen Europagemeinschaft nicht gerecht! Und ich frage mich heute noch, weshalb damals unsere Partei von allen politischen Schattierungen boykottiert wurde? §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 8 Die Heirat „Verliebt dich oft, verlob dich selten, heirate nie, dann bist du ein Genie!“ Grundsätzlich wollte ich bei diesem klugen Spruch bleiben, seit nun 1966, waren Delia und ich in einem regem Pen-Pal Briefkontakt, ich hatte in dieser Zeitspanne weit über einhundert Luftpostbriefe von ihr erhalten und sie auch von mir. Natürlich konnten wir uns dadurch etwas besser kennen lernen, ich hatte aber immer den Eindruck, dass sie sich das Leben in Europa und in der Schweiz nur bruchstückhaft vorstellen konnte. Immer wieder zitierte sie amerikanische Filme, die eine Lebensform zeigten, die auch 424 425 bei uns damals fremd war. Und einige Kolleginnen aus dem Büro und den Gaststätten, wie etwa das Frl. R. im Swissairterminus in Zürich, waren gar der Ansicht, so eine Verbindung könne gar nicht funktionieren! Mir waren alle diese Kommentare egal, ich mochte das Aussergewöhnliche und nutzte deshalb jede Gelegenheit dazu. Damals war es noch möglich, mit einem Einfachflugschein in die Schweiz zu kommen, aber dieser kostete mich 3200.-Franken, meine Ersparnisse waren stark geschrumpft, sie hätten wohl kaum für einen Rückflugschein gereicht. Für die Hochzeit benötigte ich zwei Trauzeugen, einer war der Freddy, und die Frau lokalisierte ich wieder in der Bodega. An einem schönen Abend sass ich mit einer Spanierin am Tisch, wir tranken Rioja Wein und plauderten den ganzen Abend, ich war froh, dass ich wieder einmal meine Spanischkenntnisse aufpolieren konnte. Die Maria, wie sie glaube ich hiess, war mit einem Schweizer verheiratet, aber es machte den Anschein, dass die Ehe am besten funktionierte, wenn sie nicht zusammen waren. Ich nahm sie als Trauzeugin in die engste Wahl. Der Swissairflug von Manila erreichte Zürich am Samstagmorgen, Freddy fuhr mich mit seinem Auto zum Flughafen, ich schrieb der Delia, das sich eine Zeitung in der linken Hand schwenke, zudem einen hellen Anzug trage, dass neben mir noch ein kleinerer Kerl stehe, der Freddy. Es war leicht sie zu erkennen, denn sie war die einzige Asiatin bei den ankommenden Leuten, das hat sich im Lauf der Jahrzehnte stark geändert. Sie erkannte uns bereits früh, musste aber noch durch die Passkontrolle und dann die Koffern holen. Ich sah, wie ihr ein Mann half, die beiden Koffer auf den Rollwagen zu liften. Wir durften ja nicht in den Transitraum und mussten zusehen. Wir begrüssten uns gegenseitig, aber ohne grosse Emotionen, sie war sichtlich müde und wohl auch überfordert. Freddy fuhr uns direkt nach Effretikon, ich schlug vor, dass sie erst einmal schlafen sollte. 425 426 Mutter begrüsste sie auf Schweizer-Deutsch, ihre Kleider waren für das Klima untauglich, natürlich fror sie, obwohl wir gegen Ende Juli zugingen. Und in einem Koffer war ein grosser Jesus mit Lampe, dieser füllte fast den halben Koffer aus. Delia brachte ein Barvermögen von genau 2 US Dollars mit, gut, meine Barschaft war damals nur wenig höher. Zusammen konnten wir praktisch auf Null beginnen!!!!!!! Weil das Besuchervisum nur auf einige Wochen ausgestellt war, gingen wir bereits am Montagmorgen nach Illnau, aufs Standesamt. Die Schweizer Botschaft in Manila hatte alle Unterlagen ins Französische übersetzt, also einer Amtssprache, die anerkannt war. Alles war in bester Ordnung und wir konnten bereits am 21. August 1970 heiraten. Meinerseits gab es zwar schon noch einige Bedenken, sollte ich sie wieder zurückfliegen lassen, aber dann kam wieder das humanistische Gen auf, nein, ich wollte das Ganze bis zum Abschluss bringen! Da Delia keine Ahnung und auch noch keine Meinung hatte, war ich in der Organisation der Eheschliessung relativ frei. Es sollte so einfach wie nur möglich zugehen, schliesslich war ich schon immer ein Gegner von grossen Anlässen und Tam Tam. Und Pomp war schon gar nicht nach meinem Gusto, in der Bescheidenheit liegt schliesslich die wahre Grösse! Aber ich wollte nach meiner Vorstellung die Feier geniessen, deshalb reservierte ich im oberen Stock der Bodega den grossen ovalen Tisch für rund 12 Personen für das Abendessen. Empört fragte Kollegin R., ob meine Braut damit einverstanden sei, dorthin gehe man doch nicht eine Hochzeit feiern! Ich aber entgegnete, das sei eben originell und einmal anders. Die Trauung war einfach, Freddy sollte übersetzen, aber er sagte einfach etc. schon bald sagte der Beamte:“wir lassen das besser weg, ihr wisst ja um was es hier geht! Nachem die Maria noch an falscher Stelle signierte,(man sollte eben keine Analphabeten als 426 427 Trauzeugen nehmen) , war der Spuk nach wenigen Minuten schon vorbei. Und ich beantragte für Delia sogleich den Schweizer Pass, den sie etwa 10 Tage später bereits in Händen hatte! Fressorgien geniesse ich selten, aber diese Feier in der Bodega war ein voller Erfolg, wir genossen die Meeresfrüchte und den guten Rioja. Vom Büro kamen noch drei Personen hinzu, und der Ehemann der Maria tauchte auch noch auf. Und alle waren der Ansicht, das sei nun ein besonders schöner Anlass gewesen. Doch eine Person war da anderer Meinung, Delia, aber das sagte sie mir erst viel später, sie wollte eine Riesenparty mit vielen Gästen und all den Fressern, die man im Lauf der „Feier“ kaum alle sprechen kann. Und so ein Anlass macht man eben nie für sich, sondern für die andern, um zu zeigen, was für Monsterparties man sich leisten kann. Und darüber hatten wir eine ewige Meinungsverschiedenheit. Wenn ich so eine Hochzeit sehe, habe ich immer den Eindruck, dass das Brautpaar irgendwie „leidet“, geniessen tun es primär die Gäste. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel Die Prüfung Seit meiner schweren Erkrankung waren bereits wieder 1 ½ Jahre vergangen, ich musste noch immer auf meine Speisen achten. Der hohe Blutverlust hinterliess auch seine Spuren, so spürte ich auf der Leber einen permanenten Schmerz, dieser hielt noch etwa zwei Jahre an, dann war die Erinnerung an diesen Vorfall schon bald einmal vergessen. Delia hatte vor ihrer Abreise noch diverse Kredite aufnehmen müssen, kleine Beträge, die sie von Verwandten 427 428 erhielt. Aber sie wollte diese möglichst bald zurück vergüten. Darum schlug ich ihr vor, sich bei der Swissair zu melden, zuvor schaute sie bei der Egyptair in Zurich vorbei, aber die Stelle verlangte gute Deutschkenntnisse, darum fiel sie aus dem Rennen. Bei der Swissair ging es aber auch nicht reibungslos, nur mit Hilfe meiner dortigen Kollegen, gelang es schliesslich, dass sie bereits am 14. September 1970, also nur gut sechs Wochen nach ihrer Ankunft in der Schweiz, in der Schreibzentrale Balsberg anfangen konnte. Dort wurde sie als Sekretärin und Korrespondentin für Englisch beschäftigt. Im Grossbüro war auch eine Ursula A. die sich ihrer annahm und sie auch informierte, falls ich sie nicht gut behandle, sollte sie das ihr melden, ich dachte zwar, ich könnte auf diese Hilfe verzichten! Immerhin wurde die Ursula später die Patin unseres Sohnes. Ursula sagte mir einmal, dass man die Delia gut möge weil sie immer fröhlich wirke, die Leistung lasse aber zu wünschen übrig, zwar produziere sie sehr viel Papier, aber das meiste für den Papierkorb! Meinerseits liebäugelte ich immer noch mit einem Neubeginn meiner abgebrochenen Karriere. Diese OSEC war für mich lediglich eine bequeme Übergangslösung, in einer Institution die zur Mehrheit Leute beschäftigte, die entweder wie ich, gesundheitliche Probleme hatten, oder aber in der Privatwirtschaft nichts taugten, machte es wenig Spass zu bleiben! Mit dem KV-Diplom und einer höheren, eidgenösischen Fachprüfung, sowie rund einem Halbdutzend anderer Diplome, war ich überzeugt, dass es da noch Möglichkeiten nach oben geben musste! Im September/Oktober 1970, fand dann diese Prüfung statt, ich nahm mir einen Weiterbildungsurlaub von der OSEC. Es war damals Usanz, dass man jährlich bis zu einer Woche Bildungsurlaub ohne Lohnkürzung beziehen konnte. Einzige Voraussetzung, es sollte im Bereich der beruflichen Aufgabe 428 429 liegen. Aber da meine Aufgabe sämtliche Branchen umfasste, konnte man mir auch diese Agentenprüfung nicht verweigern. Ich hatte dabei nur die Hälfte der Vorbereitungskurse besucht, aber zur allgemeinen Überraschung, schloss ich im Rang ab und erhielt noch eine Auszeichnung. Dabei holte ich mir im Fach Deutschaufsatz die absolute Maximalnote, nie zuvor schrieb ich an einer Prüfung derart wild drauflos! Nur wenige Sekunden, nachdem die Themen bekannt gegeben worden waren, begann ich loszuschreiben, und ich brachte es auf etwa 25 Seiten! Andere schlossen bei drei bis sechs Seiten. Ich staunte selber über meine Leistung! Die Diplomfeier fand in Baden statt, Delia war auch dabei und freute sich natürlich über mein Resultat. Am meisten freute mich aber, dass ich es mit dem halben Aufwand in die vordersten Ränge schaffte! Nach rund zwei Monaten erhielt ich dann das grosse Diplom vom BIGA in Bern. Die höheren Fachdiplome sind alle gleich aufgemacht, deren beruflichen Werte sind aber unterschiedlich. So dürfte das Buchhalterdiplom ganz oben angesiedelt sein, während das Agentendiplom etwa in der Mitte liegt. Nun wollte ich aber mit dem Studium endgültig aufhören und das Gelernte in bare Münze umwandeln. Später musste ich erkennen, dass ich viel zu viel Zeit mit Weiterbildung vergab, statt wie andere, mich voll ins Karriereleben zu stürzen. Einerseits war da der Rückstand auf die andern mitschuldig, aber auch die Tatsache, dass ich mich nicht orientieren konnte! Wer einen Hochschulabschluss vorweisen kann, muss auch nicht nachweisen, was er studiert hat. Ich hatte nun immerhin zwei staatlich anerkannte Berufsabschlüsse, das KV-Diplom und das höhere Fachdiplom als Agent. Zudem rundeten meine Buchhaltungsstudien, und diverse andere Bildungsgänge das Ganze ab! Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt, sagt der Dichter S. Doch mehr darüber im nächsten Kapitel. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 429 430 Kapitel 10 Krank! Im Herbst 1970, kurz nach meiner Heirat und nach bestandener Prüfung, schickte mich die Firma zum Vertrauensarzt der Pensionsversicherung. Dieser sollte feststellen, ob ich die Voraussetzungen für eine vorbehaltlose Aufnahme in die Versicherung erfülle. Ich war optimistisch, hatte ich mich doch inzwischen sehr gut erholt. Aber der Arzt sah das anders, ein alter, zynischer Kerl, fluchte während der ganzen Untersuchung vor sich hin. Immer wieder mass er den Blutdruck und fluchte noch lauter. „Sie sind ein kranker Mann, sie haben viel zu hohen Blutdruck, wussten sie das nicht?“ fragte er mich vorwurfsvoll. Natürlich wusste ich rein nichts davon, erschrack aber schon sehr über diese Nachricht! Ich hatte danach an beiden Oberarmen blaue Flecken, so sehr presste der Kerl meine Arme zusammen. Ich wäre nur mit Vorbehalten aufgenommen worden, deshalb verzichtete ich darauf und zahlte Beiträge in eine Nebenkasse, die ich nach Bedarf auch jederzeitig auflösen konnte. Der Arzt meldete mich bei einem Herz-Kreislauf Spezialisten an, dieser hatte seine Praxis im Stauffachergebiet, dort musste ich nun während einem ganzen Jahr jede Woche mindestens einmal zur Kontrolle. Die erste Abklärung dauerte einen halben Tag, danach wurde ich in Speziallabors eingewiesen, dort wieder in Röhren geschoben und auf seltsame Geräte geschnallt. Aber laut dem Spezialisten, wurde man auch da nicht fündig, er, der Spezialist, übrigens auch nicht. Selber unternahm ich nichts, weil ich dachte, die moderne Medizin könne mein Problem lösen. Ich erhielt Tabletten zur Senkung des Blutdruckes, aber da wurde ich erst richtig 430 431 krank! Ich konnte nachts nicht mehr schlafen, dafür schlief ich während der Arbeit am Pult ein! Die wöchentlichen Kontrollen ergaben auch nur diffuse Erbegnisse, selber hatte ich keinerlei Kenntnisse über dieses Gebiet. Dann beschaffte ich mir Literatur, aber offensichtlich die falsche. Ich las ein Buch über das Herz und seine Krankheiten. Danach verspürte ich fast sämtliche Symtome, wie sie zum Beispiel bei einem Infarkt auftreten. Schmerzen im linken Arm bis zum Herz, Angstzustände, punktuelle Schmerzen im Herzen etc., kurz, alles wie im Buch umschrieben. Ich legte das Buch wieder weg und suchte nach alternativer Literatur. Wenn ich mit Freddy und Kollegen wandern ging, schmerzten am folgenden Tag beide Lungenflügel höllisch! Ich führte das auf den viel zu hohen Blutdruck zurück. Im Lauf dieses Kontrolljahres versuchte ich unzählige Tabletten, aber sie halfen mir nicht. Nach diesem Jahr kam der Abschlussbericht, Dr.B. liess mich folgendes wissen:“ Also, wir haben ihre Krankheit leider nicht ausmachen können, sie leiden unter einem essentiellen Bluthochdruck, damit können sie noch etwa 5 Jahre leben!“ Das war es also! Ich sollte noch bis 37 leben können, was dachte sich der Idiot wohl, ich würde das einfach so hinnehmen? Ich sagte nichts und verabschiedete mich für immer von ihm, lieber keinen Arzt als so einen! Wieder einmal war ich vollständig auf mich selber angewiesen. Zuerst wollte ich meinen Blutdruck selber messen können, aber diese Geräte gab es nur in einem Spezialgeschäft in Zürich, Kostenpunkt um die 500.Franken! Ich kaufte ein altmodisches System mit komplizierter Anwendung. Ich denke, allein durch die Anwendung stieg der Blutdruck noch um einige Einheiten. Es war keine ideale Lösung, aber schon bald kamen die ersten modernen Geräte für den Privatgebrauch in den Handel. Ich konnte nun während Jahren nachprüfen, wo die 431 432 Ursachen für den hohen Blutdruck zu finden waren. Eines war mir klar geworden, der Druck war nicht immer hoch, Stress, aber auch Getränke und Speisen, konnten sich da sehr deutlich manifestieren. Und noch etwas fiel mir auf, allein schon der weisse Arztkittel konnte 20% mehr ausmachen! Aber nur dann, wenn der Arzt mit seinem langen Gestellt mass. Dr. Milek in Volketswil, war sozusagen mein Hausarzt, zu ihm musste ich gehen, um die blutdrucksenkenden Medikamente kaufen zu können. Ich mass jeweils den Druck zu Hause und dann wurde dieser nochmals in der Praxis von Dr. M. gemessen. Und dort war er immer viel höher, also war entweder mein Gerät nicht kalibriert oder aber der Druck war inzwischen viel höher! Nach einiger Zeit wurde es mir zu bunt, ich sagte dem Dr. M. ich bringe nun mein Gerät mit in die Praxis und werde damit vor ihm messen. Und fortan blieb der Blutdruck wesentlich niedriger, ich hatte sogar zwei Apparate. Das Problem war damit noch lange nicht gelöst, aber ich konnte damit leben. Hingegen musste ich möglichst jede Form von Stress meiden, das hiess wiederum, dass ich meine beruflichen Pläne vermutlich nun endgültig begraben musste! Langsam aber sicher wurde mir bewusst, dass ich keine andere Wahl hatte, als bei meinem Job zu verbleiben. Immerhin konnte ich mit meinem Gehalt genug verdienen um eine kleine Familie durchzubringen. Bei der OSEC fühlte ich mich immer mehr wie ein Tiger in einem Käfig, der zwar viel möchte aber nicht kann und nicht darf! Das führte dann zu sporadischen „Ausbruchsversuchen“, was natürlich jeweils wenig Anklang beim oberen Kader fand. Jeder war nur um seinen bescheidenen Posten besorgt und wollte möglichst nicht negativ auffallen. Besonders eine eigene Meinung war verpönt, wurde bereits als Sabotageversuch ausgelegt. Das erlaubte der Direktion, an den internen Sitzungen den grössten Unsinn zu verbreiten, ohne, dass da irgend ein Teilnehmer Einspruch erhob! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 432 433 Kapitel 11 Politik am Ende Der Stress mit der Partei war wohl mit ein Grund für meine Krankheit! Im Jahre 1971 waren Nationalratswahlen, inzwischen war ich, gesundheitsbedingt, vom Vizepräsidenten zum gewöhnlichen Mitglied abgestiegen. Auf der Liste für die Nationalratswahlen, figurierte ich nur an 11. Stelle. Und weil kaum einer eine Chance hatte, gewählt zu werden, spielte das für mich auch keine Rolle mehr. Während den Wahlen befand ich mich mit Delia auf den Philippinen und kümmerte mich nicht weiter darum. Die Partei schloss aber viel schlechter ab, als damals bei den Stadtratswahlen, offene Rechnungen blieben unbezahlt, oder wurden mir zugestellt, obwohl ich längst nicht mehr im Vorstand war. Da wurde es mir zu bunt und ich gab meinen Austritt bekannt, mit dem Hinweis auf meine gesundheitlichen Probleme. Ein Dr. Schmied löste dann denn Spörri als Präsidenten ab, später behauptete dieser sogar, er wäre der Gründer der Partei gewesen. Er begründete das mit einer Namensänderung auf „Europa Partei“. Ist an sich unwichtig, aber aufgebaut hat er diese auf unserer EFP, und diese habe ich in Zürich am 6.6.1969 gegründet, das kann der liebe Dr. auch nicht ändern! Ich verabschiedete mich damit für immer von jeder Art von Parteipolitik! Im Militär lief es auch nicht ganz nach meinem Wunsch. Mit 28 absolvierte ich den letzten Wiederholungskurs im Auszug. Da ich ab dem vierten WK den Mitrailleurhalbzug führen durfte, versprach mir der Kadi im fünften WK den Wachtmeisterrang. Dieser war eigentlich angebracht für einen Zugführer oder dessen Stellvertreter. Aber dann war Funkstille, ich dachte, man habe es vergessen und gehe nicht weiter darauf ein. 433 434 Ich fragte darum auch nicht danach, denn es gab auch Vorteile, erstens konnte ich mit 28, statt 30, den letzten WK machen, und zweitens konnte ich auch als Korporal den Zug führen. Ich hatte absolut keine Führungsprobleme, bei mir gab es kein WENN und ABER, sondern nur klare Befehle die man unverzüglich auszuführen hatte. Den wahren Grund erfuhr ich erst 25 Jahre später, anlässlich der Fichenaffaire. Aber wenn ich schon gesundheitlich so angeschlagen war, weshalb sollte ich noch Militärdienst leisten? Ich wurde in das Landwehrbattailon 274 umgeteilt, das passte mir auch nicht recht, und ich wollte endlich meinen Rosthaufen von Sturmgewehr loswerden. Allerdings hätte ich gerne eine Pistole gehabt, die erhielt man bei der HD Hilfspolizei! Den Marschbefehl für den Landwehrkurs hatte ich bereits erhalten, aber noch vorher musste ich vor UC in Winterthur. Die hohen Offiziere schauten mich komisch an, als ich den Wunsch äusserte, ich möchte zur Hilfspolizei. Sie waren von meinen freiwilligen Diensttagen beeindruckt, „Sie haben soviel freiwillig gemacht, wir schlagen ihnen etwas Besseres vor, sie werden administrativ zum HD umgeteilt und müssen nie mehr Dienst machen, als Hilfspolizist müssten sie noch einen Umschulungskurs von drei Wochen absolvieren!“ Gut, mir war das auch recht. Damit verabschiedete ich mich vom Militär, musste aber noch bis zum fünfzigsten Altersjahr an die Inspektionen gehen. Mit 17 hatte ich einen Traum, ich wollte bei der Infanterie Zugführer werden, das war nach dem Film „Zur Hölle und zurück“ mit Audy Murphy, welcher sein eigenes Leben spielte. Seltsam ist schon, dass mir dieser Wunsch trotzdem in Erfüllung ging, wenn auch sehr knapp! Ich hatte mich nun von Politik und Militär befreit und distanziert, das versprach mehr Freiraum, aber schon bald war ich mit neuen Problemen konfrontiert. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 434 435 Kapitel 12 Flug nach Manila Im Herbst 1970, also kurz nach der Heirat, unternahmen wir noch eine Reise nach Spanien, insbesondere aber nach Barcelona, wo ich früher doch eine längere Zeit verbrachte. Natürlich wollte ich im „Benidorm“ wohnen, Delia gefiel diese Absteige aber überhaupt nicht, und noch viel weniger Freude hatte sie am Anblick der Isabella, die anscheinend wieder ein Kind geboren hatte und frech behauptete, ich sei der Vater! Sie sagte ja zwei Jahre zuvor, wenn sie diese „Japonesa“ treffe, werde sie ihr das Gesicht zerkratzen. Ich musste somit aufpassen, aber ausser ihren leeren Behauptungen, die ich als Spass aufnahm, blieb sie friedlich. Für den Herbst 1971, planten wir eine etwa dreiwöchige Reise auf die Philippinen, Delia hatte bereits mehr als ein Dienstjahr und durfte somit mit einem neunzigprozentigen Discount auf den Normalpreis zählen. Damit wurde dieser lange Flug für uns auch finanziell erschwinglich. In Bangkok machten wir einen kurzen Aufenthalt im Narai Hotel, dort trafen wir auch unseren Landsmann R.S. der als Leiter der Reiseabteilung bei der Firma Diethelm in Bangkok, beschäftigt war. Wenige Eindrücke von diesem Aufenthalt sind mir geblieben, so etwa die Einladung von R.S. in ein Nachtlokal im Naraihotel, deshalb, weil R.S. die Zahlung der Rechnung grosszügerweise mir überliess. Dann der Aufseher im Hotel, der mit lauten Geschrei uns folgte und rief:“Sir, it is not allowed to take ladies into the room!“ Ich war wohl ebenso erstaunt und erwiderte kurz:“But this is my wife!“ Ohne weiter zu prüfen entschuldigte sich der uniformierte Mann und verschwand. 435 436 (genau 20 Jahre später, 1991, wurde es jedoch bewilligt, man musste lediglich eine Gebühr von 300.- TB entrichten und die Sache ging in Ordnung). Wie schon 1966, tobte in Vietnam immer noch der Krieg, und ich erinnere mich, wie sehr die Thais sich damals vor dem Vietcongs fürchteten, ein Taxifahrer sagte mir, dass er ständig bereit sei, sollten die Vietnamesen kommen, er sogleich mit seinem Fahrzeug in Richtung Burma flüchten werde. Die vollständige Niederlage der Südvietnamesen und Amerikaner, war dann ein unglaubliches Drama wie man es kaum jemals in der Geschichte in dieser Form erlebte! War die totale Niederlage der Franzosen in Diem Phien Phu von 1954, der erste Schritt westlichen Gesichtsverlustes und ein Schandfleck für den weissen Superrioritätsdünkel, läutete die amerikanische Niederlage das sichere Ende der westlichen Arroganz ein! Man darf heute sogar annehmen, dass Vietnam damals problemlos auch Thailand hätte einnehmen können, und dass die USA rein nichts unternommen hätten. Mit Kambodscha und Laos war das ja der Fall! Auf den Philippinen herrschte eine sehr bleihaltige Luft, und als wir sagten, wir wären unterwegs dorthin, wollte man uns Mut machen mit der Frage:“Habt ihr auch schusssichere Westen bei Euch?“. Dort waren Wahlen angesagt, und täglich explodierten in Manila Sprengkörper, in einem Fall, der nur wenige Tage vorher anlässlich einer Tagung der Opositionspartei stattfand, wurden mehr als 80 Personen getötet. Wir schafften es bis zum „New Swiss Inn“ von Emil Landert im Paco. Am Eingang war ein Wachturm mit Sandsäcken und leichten Maschinengewehren, die Angestellten trugen zum Teil Maschinenpistolen und Revolver. Ich fühlte mich in ein Fort des Wilden Westens versetzt. Ich hatte durst und wollte eine Flasche Bier ins Zimmer bestellen, aber der Kellner winkte ab, während den Wahlen dürfe kein Alkohol abgegeben werde. Nein, das war wohl ein Witz? In den Ferien und kein Bier? 436 437 Damals kannte ich den Emil noch nicht persönlich, 1966, als ich noch ins alte Swiss Inn am Roxasboulevard wollte, hatte er keine freien Zimmer. Jetzt rief ich den Emil, der kam und fragte was ich wolle. Ich sagte ihm, dass ich einen fürchterlichen Durst habe und sein Diener mir kein Bier bringen wolle! Er lachte und erklärte:“Ja, das ist eben so während den Wahlen, aber machen sie sich keine Sorgen, ich lasse ihnen eine grosse Harass Bier in den Kühlschrank stellen, und wenn sie damit fertig sind, sind die Wahlen auch schon vorüber“. Das war ein Wort, solche Leute waren mir sympatisch, unkompliziert und praktisch veranlagt. Er warnte uns aber noch, dass wir sehr vorsichtig sein sollten, ein Menschenleben zähle hier rein nichts. Wir zogen es darum vor, nur die Verwandten von Delia zu sehen und sonst so wenig wie möglich herumzufahren. Ein Kuriosum das mir damals aufgefallen ist, im Radio wurden laufen Brücken gemeldet, die man meiden solle, weil man dort überfallen werde. Dann sah ich die FEATI Universität, jene, wo Delia studierte, da waren alle Fensterscheiben eingeschlagen! Studentenunruhen! Wir flogen nach Cebu und von dort nach Dumaguete, in Dumaguete besuchte Delia die High School, auch dort trafen wir auf Verwandte. Im Hotel Oriente fanden wir ein Hotelzimmer mit Klimaanlage, es war feuchtheiss und alles klebte am Körper. Dann fuhren wir nach Ayungon, rund 85 Kilometer nördlich, dort wuchs Delia auf, sie war ja Halbwaise, und wurde von der Familie des Bruders ihres Vaters aufgezogen. Der Vater war Lehrer und der Bruder Anwalt (Abocado) Ein weiterer Onkel war der Oberlehrer im Dorf, ein anderer Farmer und einer Kriminologe, dieser war in Manila und wir trafen ihn zuvor dort. Dann waren da noch die Grossmutter und der Grossvater, der aber getrennt von seiner Frau weit oben in den Bergen wohnte. Auch die Tanten waren Lehrerinnen, als wir eintrafen, wurde die Schule sogleich geschlossen, ein paar Hundert Augen 437 438 schauten mich an, als käme ich von einem anderen Planeten. Man erklärte mir, dass die Kinder noch nie einen Weissen gesehen hatten, weil die letzten beiden Weissen, zwei Amerikaner vom Peacecorps, vor mehr als 10 Jahren in der Gegend waren. Mir wurde es echt ungemütlich, wie musste es den Affen im Zoo zumute sein? Das Städtchen hatte noch keinen Anschluss an das Stromnetz, der Onkel hatte einen Bezingenerator, dieser machte einen Riesenlärm und stank auch fürchterlich. Darum wurde er nur kurz am Abend eingestellt um etwas Licht zu spenden. Zur Feier meiner Ankunft, wollte man eine Ziege schlachten, aber das konnte ich verhindern, indem ich sagte, ich esse kein Fleisch. Obwohl der Onkel ein relativ grosses Haus hatte, war das Wohn- und Esszimmer nur mit einem Naturboden versehen. Schweine zogen durch das Zimmer, draussen meckerten die Ziegen, der Raum war voller Leute, und das bei etwa 38 Grad Hitze ohne Ventilator oder Klimaanlage! Mir klebten die Kleider am Körper und ich hatte das Gefühl in einer Waschküche zu vegetieren. Aber das war erst der Anfang, wenn ich an die Wände schaute, bemerkte ich, dass da viele Löcher nach draussen waren, und in diesen Löchern sah ich Augen, viele Augen! Die Augen bewegten sich! Himmel, was war denn das schon wieder? Haha, die Kinder, die den weissen Mann sehen wollten, obwohl nur Kinder, wurde es mir doch etwas komisch zu Mute. Endlich durften wir uns in den oberen Stock zurück ziehen, man hatte für mich ein Bett zurechtgemacht, mit Moskitonetz! Ich traf auf ein Holzgestell, ohne Kopfkissen, ohne weiche Unterlagen, und es war kürzer als ich! Als Kopfkissen nahm ich ein Kleidungsstück aus meiner Reisetasche, dann fixierte ich das Moskito Netz. 438 439 Auch im Obergeschoss war eine fürchterliche Hitze, ich versuchte die Beine zu strecken und stiess auf die harte Holzkannte, es war stockdunkel, schon bald hörte ich das Summen der Besucher, Moskitos! Gut, dass ich ein Netz hatte! Aber oha, am ganzen Körper erlebte ich einen Generalangriff von Moskitos, Mücken aller Art etc. Ich hatte eine Taschenlampe mit mir, jetzt erkannte ich die grossen Löcher im Netz! Ich schwitzte wie in einer Sauna, ein kühles Getränk war Wunschdenken. Die ganze Nacht verbrachte ich mit kratzen und umdrehen, jetzt wusste ich, wie es damals im Krieg in einem japanischen Gefangenenlager gewesen sein musste, eben genau so! Und es kühlte auch kaum ab, auf jeden Fall wünschte ich mir nichts anderes, als am nächsten Tag abzureisen! Völlig verstochen stieg ich schon sehr früh aus dem Zimmer nach unten, gab meine Lage bekannt und man schien mich zu verstehen. Delia konnte bleiben, aber sie wollte auch mitkommen. Im Oriente erholte ich mich von dieser Horrornacht. Am Morgen kam noch der LOLO von den Bergen herunter, er wurde getragen, weil er einmal so mit 85 einen Motorradunfall hatte, der Beinbruch heilte nicht mehr aus. Ich durfte ihn aber nie dort oben besuchen, auch später nicht, weil entweder die vielen bösen Geister oder aber die kommunistischen NPA, etwas dagegen hätten. Er war damals bereits um die 92 Jahre alt. Er erinnerte an einen chinesischen Buddha, er war ja auch ein echter Chinese. Damals exitierte noch die „Orient Airline“, diese flog von Dumaguete nach Dipolog, auf Mindanao. Delias Vater war Lehrer in Dipolog. Zudem lebte dort auch noch der „reiche Onkel“, der älteste von den Brüdern. Er hatte am meisten Vermögen, darum nannten wir ihn so. Ein Kuriosum bei ihm, er hatte die uneheliche Tochter seiner Ehefrau zur Frau! Beide lebten friedlich mit ihm zusammen!“ Delias Vater war ständig betrunken, er war aber immer noch im Schuldienst, nun, dort spielt es keine so grosse Rolle, ob die Lehrer betrunken sind oder nicht. 439 440 Beim reichen Onkel gab es elekterische Anlagen wie Ventilatoren, Kühlschränke etc., und auch die Betten waren bequemer. Wir besuchten dann auch Dapitan, der Ort, wo die Spanier den Jose Rizal gefangen hielten. Man kann die Gebäude wie eine Art Museum besuchen. Die jüngste Tochter des reichen Onkels, Lisabeth, war damals rund 20 und mit einem Buchhalter liiert, dieser soll sich dann später den NPA angeschlossen haben. Ich hatte mit ihm über diverses geplaudert, er war auch der Ansicht, man müsse dort etwas verändern. (Nachtrag, etwa im Jahr 2006, starb Lisabeth an Krebs, die Behandlung war derart aufwändig, dass Delia auch noch Geld schickte, obwohl sie selber gar keines hatte, natürlich holte sie wieder Hilfe beim geborenen Sponsoren) . §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 13 Die Parapsychologie Vom 14. bis etwa zum 22. Altersjahr befasste ich mich mehr oder weniger mit der Parapsychologie und verwandten Gebieten. Ende der Sechzigerjahre entstanden dann die vielen Gruppierungen von Esoterikern, PSI-Forschern, New Age Anhängern, etc. Selber abonnierte ich die bekannte Monatsschrift „Esotera“ sowie weitere einschlägige Schriften aus England und den USA. Ich wurde auch Mitglied bei der „Schweizerischen Gesellschaft für Parapsychologie“, besonders von deren Bibliothek machte ich regen Gebrauch. Ich las unzählige Bücher und vergass 440 441 dann das meiste später wieder. Die Erforschung der paranormalen Erscheinungen fand ich besonders faszinierend. Die Religionen aller Schattierungen konnten alle diese Fragen nicht zur vollen Zufriedenheit beantworten, sondern versteiften sich auf oft völlig unhaltabare Behauptungen und liessen auch Drohungen nicht aus, wenn es darum ging, ihren oft abstrusen Glaubensbekenntnissen folge zu leisten! Andererseits mochten die Religionslehren auch einen Funken Wahrheit enthalten, und um einfache Gemüter zufrieden zu stellen, hatten sie auch ihre Daseinsberechtigung. Den etwas gebildeteren Zeitgenossen blieben sie aber viele Fragen schuldig. Bei der Erforschung der paranormalen Erreignisse, erstatetten die verschieden Forschungsgruppen anlässlich der Jahresversammlungen, Berichte über ihre Erkenntnisse und Forschungsergebnisse. Für mich bildeten diese eine willkommene Ergänzung zu den literarischen Informationen. Auf die brennenste Frage, nämlich über das mögliche weiterbestehen der Seele (Astralkörper) nach dem Tod, sowie einer Reinkarnation in neue Lebewesen, erhielt ich trotz vielen interessanten Hinweisen, keine einwandfreie und nachweisbare Fakten! Ich hatte aber schon einmal darauf hingewiesen, dass ich auf Grund eines seltsamen Erlebnisses im März 1958, als ich von Portbou nach Barcelona fuhr, und ich plötzlich dieses sonderbare Wärmegefühl verspürte, etwa auf halber Strecke! Es war mir zumute, als würde ich zu Hause eintreffen! Dann der Freund von Isabelle in Barcelona, welcher bei den Roten kämpfte und verletzt wurde, und als er mir davon erzählte, war ich der festen Ansicht, ich sei dabeigewesen und wir wären damals gute Kameraden gewesen! Dann meine Riesenwut auf die Frankisten, die ich schon als kleines Kind verspürte und den Grund dafür nicht kannte! Und als ich die katalanischen Schülerinnen unterrichtete, 441 442 konnte ich ihrer Sprache fast problemlos verstehen, obwohl ich gar nie Katalanisch gelernt hatte. Aus all der Literatur, erfuhr ich, dass diese Zeichen Hinweise waren, dass man einmal in einem früheren Leben dort zu Hause war. Aber mit meinen rudimentären Kenntnisse der Pendeltechnik, erfuhr ich noch mehr, ja, ich wurde im Jahr 1900 dort geboren, und im Jahre 1937, also mit 37 Jahren, im spanischen Bürgerkrieg von hinten erschossen, und fiel von einem Berg runter. Solche Gebirge gibt es in der dortigen gegend! Nun kennt man aber noch die Theorie von den Wunden oder Narben, welche man später in den neuen Körper hinüber transferiert. Im Prinzip hat man bei einer Schuss und Stichwunde dann dort ein Mal oder gar mehrere Male oder Flecken (Leberflecken) meistens sind diese bereits anlässlich der Geburt vorhanden, aber eine andere Theorie besagt, dass sie auch erst dann auftauchen, wenn sie im vorherigen Leben verursacht wurden! Also, wurde die Wunde im Alter von 25 Jahren erlebt, soll sie im nächsten Leben erst dann erscheinen, wenn der neue Körper dieses Alter erreicht hat! Und genau das war bei mir der Fall, mit 37 bildete sich auf der rechten oberen Rückenseite ein Riesenmal mit einem Durchmesser von ca. 3 cm. Dieses Mal ist dann immer so geblieben! Und damit ist das mosaikartige Puzzle fertig, ein einwandfreier Beweis ist es nicht, aber für mich doch sehr relevant. Nebst den bereits genannten Fakten, kommen noch weitere unbeantwortete Fragen auf, weshalb träumte ich als kleines Kind immer, ich falle von einem Berg runter, dabei hatte ich noch nie Berge gesehen! Diese Träume hielten nur bis etwa zum 10. Altersjahr an, hingegen blieb die Höhenangst bis heute, wobei sie etwas gemildert wurde. Der Hass auf die Frankotruppen verblich auch bis zum 20. Altersjahr. Es würde diese Aufzeichnung sprengen, wollte ich näher auf diese interessanten Themen eingehen. Leider ist rund 90% all dieser Literatur eher Makulatur, hat man hunderte 442 443 Bücher gelesen, weiss dann aber oft nicht viel mehr als zuvor. So war die Lektüre der Scientologie Bücher reine Zeitverschwendung! Ich erhielt dann von dieser aufdringlichen Organisation laufen Korrespondenz, wonach ich eben den Stoff nicht begriffen hätte, und ich reif für einige teure Dianetic Kurse sei! Auch 40 Jahre danach erhalte ich noch Werbematerial von dieser einzig „wahren“ Religion. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 14 Fernstudium Meine berufliche Weiterbildung war mit der zweiten eidgenössischen Fachprüfung auch abgeschlossen. Ich hatte nun diverse Fachdiplome und Ausweise, die mir aber beruflich sehr wenig brachten, da war das PoehlmannDiplom, das ich anfangs der Sechzigerjahre in einem Jahreskurs erwarb, das Ruf Buchhalterdiplom aus dem Jahr 1956, das Privatdetektivdiplom von 1956/7, die halbe Schlosserlehre in der LWB,(1954/55) die Lehre bei der PTT,(1955-58)das KV-Diplom, das Journalistendiplom, das eidg. Agentendiplom, die Handelsschule der Akademikergemeinschaft, das beinahe eidg. Buchhalterdiplom. Und ich sehe heute noch die entsetzten Gesichter der Personalchefs, wenn sie meine vielseitige Ausbildung bestaunten und fragten, wann ich denn all das gemacht hätte und wofür? Dass ich auch noch sämtliche Landwirtschaftsarbeiten kannte, und bei der Gärtnerei 443 444 Sutter im Schlatt fast alle Gärtnertechniken erlernte, musste ich dabei nicht auch noch erwähnen. Aber der Zufall hilft eben oft auch mit, meine Aufgabe bei der OSEC, war die Information und Auskunfterteilung über die gesamte Schweizer Produktion. Das hört sich mit einem Satz sehr einfach an, aber genau in meinem Job, den ich von 1969 bis 1997, ausübte, konnte ich wirklich alle meine Kenntnisse voll einsetzen und davon Gebrauch machen, ich hatte eigentlich nur zwei Schwachpunkte, die Chemie und die Physik! Dass ich in diesen Branchen nicht mehr wusste, bereute ich, aber es war schliesslich unmöglich, sich überall gleich gut auszukennen! Und was noch schwieriger war, ich sollte mich in vier Sprachen verständigen können! Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch. Mit meinen Französischkenntnissen stand es aber anfänglich nicht zum Besten! Ich schwitzte ganz ordentlich am Telephon, weil sich die französisch sprechenden Landsleute keinerlei Mühe gaben, langsam zu sprechen oder sich so zu verhalten, wie man das mit einem Fremsprachigen tun sollte! Vielmehr wurden sie ausfällig, wenn ich ein technisches Wort auf Französisch nicht sogleich verstand! Besonders frech waren dabei die Angestellten der Handelskammer von Genf! Wenn ich sie fragte, wie das Wort auf Englisch oder gar Deutsch lautete, sagte die Dame:“Der versteht ja nicht einmal unsere Sprache!“ Aber ich setzte mich darüber hinweg, und nach einigen Monaten waren meine Kenntnisse auch wieder auf einem besseren Niveau! Schon bei den Engländern machte ich mit der welschen Arroganz bekanntschaft. Ich fuhr damals den ganzen Tag über Yverdon bis nach Morges zur Firma Demaurex. Unterwegs hatte ich noch eine Panne und musste mein Auto reparieren lassen. Damals, 1966, hatten wir nur eine Autobahn von Lenzburg bis nach Grauholz. Alles andere war auf engen Landtrassen und als ich gegen 16 Uhr endlich in Morges eintraf, war ich derart ausgelaugt, dass ich das französische 444 445 Wort für Eigelb nicht mehr wusste! Ich stammelte vor dem Einkäufer etwas zusammen, so dass dieser einen Lachkrampf kriegte, ich war derart deprimiert, dass ich mein Gespräch auf Englisch und Deutsch weiter führte, was natürlich der welsche Depp nicht vertstehen konnte und mir die Gelegenheit verschaffte meinerseits dumm zu grinsen! Ich litt demnach bereits unter einem starken Vorurteil, gegenüber den Welschen Zeitgenossen! Und die Filiale Lausanne wurde in all den Jahren zu einer feindlichen Hochburg. Gegen Schluss meiner „Karriere“ bei der OSEC eskalierte dann das Ganze noch mit einem meiner bösen Artikel in der Hauszeitung! Worauf dann der Direktor, Walter Fust, auf das Drängen von Lausanne, mir ein Schreibverbot auferlegen musste! Die Redaktorin, Ursula Renold, quittierte dann ihren Job, sie wurde m.W. später Vizedirektorin des BIGA?(Es könnte sich um eine andere Person mit genau gleichem namen handeln, ich habe aber ihre Stimme im Radio DRS deutlich wieder erkannt, und bin fast sicher, dass sie es ist!) Jede Medaille hat immer zwei Seiten, Spanisch benötigte ich nur sehr selten, dafür war aber Italienisch viel gefragt! Doch diese Sprache war damals nicht gefragt, demnach lernte ich die nötigsten Italienischwörter und so war es mir möglich, besonders die Anfragen aus dem Tessin zu beantworten, manchmal auch aus Italien. Und wenn die Welschen sich wie wilde Paviane aufführten, waren die Tessiner praktisch ausnahmslos sehr freundlich, bemühten sich langsam und deutlich zu sprechen, und waren um jede Information sehr dankbar. Freche Anrufe aus dem Tessin erhielt ich nur von Deutschen dort oder von Deutschweizern. Weil meine Arbeit kein Geld einbrachte, zumindest nicht direkt, wurde sie innerhalb der OSEC richtiggehend diskriminiert. Damit hatte ich mich abgefunden, aber als dann auch das Salär darunter litt, griff ich zu einem Trick, der dann viel Ungemach in die Bude brachte. 445 446 Ich war seit 1958 KV-Mitglied, und der KV bot sich an, die Arbeitsplätze zu evaluieren um festzustellen, ob man zeitgemäss entlöhnt wird? Ich sandte einen genauen Beschrieb meiner Arbeit zusammen mit dem damaligen Stelleninserat in der NZZ, zur evaluation an den KV. Mein Salär erwähnte ich vorsichtshalber nicht! Und das Ergebnis war umwerfend, ich sollte mehr als das Doppelte verdienen! Die Erhebung schlug wie eine Bombe ein, die Direktion musste eine Sondersitzung einlegen, man gewährte mir dann einige Hundert mehr monatlich. Später erfuhr ich, dass man alle Varianten, inkl. Aufhebung meines Arbeitsplatzes besprach! Aber dazu hätten diese „Puppen“ wohl mehr Mut und Durchsetzungsvermögen benötigt! Sie wussten, dass ich mit der Hilfe des KV rechnen konnte! Um das Jahr 1972, fand ich eine Anzeige in einer englischen Schrift, dort wurde angeboten, Leute, welche ihre Studien nicht abschliessen konnten, könnten dies nun anhand eines Fernstudiums mit einem amerikanischen College nachholen. Ich dachte dabei nicht an mich, sondern an Delia, welche ja ihr Studium nicht zu Ende bringen konnte. Ich bestellte die Unterlagen aus Indianapolis(USA, erhielt interessante Unterlagen, wobei ich festellte, dass auch ich diese Kurse absolvieren konnte! Nach etwa zwei Jahren konnte man mit dem Titel Dr.of Psychology, und Dr. of Religious Science, abschliessen, eine Disseration musste aber eingereicht werden. Ich war begeistert, schrieb mich zusammen mit Delia ein, damit wurden die Kurskosten halbiert. Ich stellte dann fest, dass es sich um eine religiöse Hochschule handelte, welche schon seit fünfzig Jahren theologische Dr. Titel legal verleihen durfte. Das Studium war sehr interessant, entsprach aber nicht dem akademischen Standard in der Schweiz! Hingegen hatte ich in den Fächern Psychologie, Theologie und Parapsychologie, viel dazugelernt. Die Dissertation war einfach und wir erhielten dann die grossen Diplome zugestellt. Ich stellte fest, 446 447 dass viele Psychologen in der Schweiz, mit diesen Diplomen eine Praxis betrieben. Später wurden sie eingeklagt und durften sich beruflich nicht mehr Dr. der Psychologie nennen! Etwas danach stiess ich auf ein anderes College, das „Collegium Neotarianum Philosophiae“ in Kansas City, Missouri. Dort absolvierte ich diverse Fernkurse und reichte dann auch eine Dissertation ein, und mit den „Credits“ meiner früheren Studien, erhielt ich dort schliesslich den Ph.D. Aber auch dieser legale Titel, wird in Europa nicht honoriert. Mir brachte er auch keinerlei Vorteile. Darum führte ich den Titel nur auf einer Visitenkarte des BTS Reisebüros, das jedoch eher scherzeshalber. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 15 Reise nach Frankreich Im Herbst 1970 fuhren wir, Delia und ich, bereits einmal durch Frankreich, damals nach Barcelona/Spanien. Im Juni 1972 ging es nach dem Südwesten, also genauer nach Montagnac-la-Crempse, wo ich neun von 10 Jugendjahren in Frankreich lebte, das erste Jahr in Gardonne, war mir ja nicht bewusst. Weil ich oftmals in Frankreich war, erinnere ich mich nicht mehr an die genaue Strecke. Geblieben ist mir aber, dass wir erste Klasse 447 448 fuhren, und einmal nervte mich Delia derart, dass ich ihr meine Hand zeigte, aber nicht schlug! Das war das einzige Mal in unserer Ehe, dass ich beinahe die Nerven verlor, den Grund dazu habe ich aber vergessen, wenige Wochen später wurde mir aber ihr Verhalten verständlich, sie war schwanger! Ich erinnere mich, dass wir auch Lourdes besuchten, dieser religiöse Jahrmarkt stimmt eigentlich eher nachdenklich! Tragisch finde ich die vielen Hundert Hilfesuchenden, die kaum eine Chance auf eine Spontanheilung haben können. Dass in 150 Jahren nur gerade einmal 39 Wunderheilungen stattfanden, finde ich sogar unter dem zu erwartenden Durchschnitt, da schneiden selbst die philippinischen Geistheiler besser ab . Mit der Eisenbahn erreichten wir dann Perigeuex, dort mietete ich ein Auto um damit nach Montagnac zu fahren. Ich war letztmals 1967 dort, die alten Damen waren nun inzwischen alle gestorben, aber der Nachbar Blondy, lebte noch in seinem Haus. Lucien Flachat, mein Schulkamerad, war in Marseilles, das Dorf war nur noch teilweise bewohnt, die Hausdächer eingefallen, es war wie in einem verlassenen Wildwestdorf. Wir fuhren am nächsten Tag nach Mussidan, wo wir die Familie Steiner besuchten, das alte Paar war krank, besonders Herr Steiner litt unter Magengeschwüren, erinnere mich, dass ich ihm noch Ratschläge über deren Heilung abgab, etwa Kartoffelsaft zu trinken, Reisbrei zu essen, etc. Delia stellte fest, dass mich die Leute hasserfüllt anschauten, es waren fast nur schwarz bekleidete alte Frauen! Aha, da wusste ich Bescheid, im Juni 1944, (siehe Teil 1), wurden hier sämtliche Männer von den Nazis erschossen. Und ich hatte das Riesenpech, mit einem „Tete Bosch“ herumzulaufen! Ich wurde als Deutscher erkannt und demzufolge gehasst. Wenn ich dann mit den Leuten sprach, ihnen erklärte, dass ich früher in der Nähe lebte und in die Schule ging, wurden sie umgehend sehr freundlich und luden uns sogar zu einem Glas Wein ein. Wir besuchten 448 449 dann noch einen Sohn der Steiners, welcher das Landwirtschaftsgut seiner Eltern weiter führte. Ich glaube, eine der Schwestern war auch noch dort beschäftigt, sie kannte mich nicht mehr, wir besuchten in Montagnac die Schule, aber sie war etwa 12 oder 14 und ich erst 7 bis 8 jährig! Die andern Kinder waren in den Städten wie Lyon, Paris, Bordeaux, etc. berufstätig. Sie waren alle hundertprozentige Franzosen, während ich es kaum auf die Hälfte brachte. Eine wichtige Information erhielt ich von den Steiners, sie kannten Bruder Hans gut, und was sie mir erzählten war nicht sehr positiv. Hans war angeblich von Bergerac nach Toulouse gezogen, dort soll er in einem Alkoholrausch mit seinem Lastwagen einen Riesenunfall verursacht haben! Die Zeitung habe seitenweise darüber berichtet, vermutlich lebe er nicht mehr! Und ich hätte ihn doch noch gerne getroffen, wir hatten 1964 eine Wette abgeschlossen, danach behauptete ich, die Vietnamesen würden als Sieger aus dem Krieg hervorgehen und die USA verlieren. Er sagte, obwohl sie sehr gute Soldaten wären, könnten sie gegen die Waffenüberlegenheit der AMIS nichts ausrichten. Und 1972 zeichnete sich diese Entwicklung bereits deutlich ab. Nur allzu gerne hätte ich ihn dabei sehen wollen, was für ein Argument er dabei aufbringen würde. Ende der Achtzigerjahre, beschloss ich eines Tages, mich nach dem Schicksal von Hans zu erkundigen. Behördlicherseits kamen keine Informationen, obwohl diese an sich verpflichtet gewesen wären, die nächsten Angehörigen zu informieren, sollte er verstorben sein. Und das war sicher seine Mutter, also meine Mutter! Aber sie erhielt nie eine Nachricht, ich konnte deshalb annnehmen, Hans könnte trotzdem noch leben! Ich schrieb an das Schweizer Konsulat in Bordeaux, und die Antwort kam postwendend, dass Hans Theodor B. am 17. 12. 1979, in Toulouse gestorben sei. Ich wollte wissen, woran er gestorben ist, aber da sperrten sich die noblen Leute vom Konsulat, solche vertraulichen 449 450 Informationen würden nur den Eltern erteilt, nun war aber Mutter in der Zwischenzeit auch gestorben, ich war somit sein nächster Verwandter, aber da wir nur „Halbe“ waren, reichte ihnen das auch wieder nicht! Ich wurde an die Heimatgemeinde Urnäsch-Herisau verwiesen, aber auch dort klemmte man. Schliesslich gab ich auf, es änderte ja doch nichts mehr! Mich interessierte eigentlich nur, ob er an den Folgen des schweren Unfalls oder aber wegen dem Alkohol starb? Nun bleibt diese Frage wohl für immer unbeantwortet. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 16 Der Sohn Nein, ich wollte eigentlich keine eigenen Kinder haben, ich litt immer noch unter dem Trauma über den dramatischen Tod von Schwester Klara! Und so etwas würde ich ein kein zweites Mal durchstehen können! Dann die Familienprobleme zwischen Mutter und Vater, und schliesslich noch alle die Schwierigkeiten mit meinem Bruder Ernst! Zudem fühlte ich mich absolut nicht als Vaterfigur, der sich geduldig seinen Kindern widmet, Windeln wechselt, die Milchflasche verabreicht. Da schlug wohl wieder eine höhere Macht zu? Wir verfügten über eine natürliche Fruchtbarkeitskontrolle, und ich war mir sicher, als wir über die Ostertage 1972, nicht nach Chicago fliegen konnten, weil eben kein Platz für die Angestellten frei war, und Delia sich gewalltig aufregte, dass uns damals einer dieser spanischen Kondome einfach riss! Ja, genau so musste es gewesen sein, wie sonst würde sie wie die Maria einfach schwanger werden? Und ich sollte mich auch über 450 451 meine Fruchtbarkeit, bei der bereits ein geplatzter Kondom genügte erfreuen! Gut, es war geschehen und wir standen dazu, zudem kam ich zur Überzeugung, dass es doch besser war, wenn ich mit 35 Vater wurde, als erst mit 40 oder noch später. Und da war noch etwas, seit über vier Generationen, gab es keinen männlichen Nachfolger mehr. Der Urgrossvater starb in Ohio, er hinterliess ein Kind den Grossvater, dieser wiederum zeugte etwa sieben Kinder, aber nur mein Vater hatte zwei Knaben, Ernst und ich, und der Ernst schien auch nicht um Nachwuchs zu sorgen! So blieb diese lebenswichtige Aufgabe anscheinend mir überlassen? (Meinem Sohn erging es übrigens fast genau gleich, er sorgte dann dafür, dass auch noch in der sechsten Generation wieder ein Knabe da war!) Delia ging weiterhin ganztags arbeiten, ich hoffte insgeheim, dass es eine Tochter sein werde, sozusagen ein Ersatz für Klara! Aber da nützte alle Meditation nichts, denn das Geschlecht war schon bestimmt, als wir wussten, dass Delia schwanger ist! Sie besuchte regelmässig den Frauenarzt, und wir beschlossen, die Geburt im Privatspital oberhalb Winterthurs anzumelden. Alles schien normal abzulaufen und ich machte mir auch keine grossen Sorgen. Ein Problem war allerdings das Befruchtungsdatum, dieses konnten wir nur erraten, und der Arzt kam dann gegen Ende Dezember zum Schluss, man müsse wohl eine künstliche Geburt einleiten! Auch dazu hatte ich keine eigene Meinung, weil mir das alles nicht bekannt war. Obwohl Delia sehr klein und schlank war, war ihre Schwangerschaft äusserlich bis zum Schluss kaum sichtbar! Unsere Hauswärtin, die sie jeden Tag zur Arbeit gehen sah, hatte keine Ahnung davon. Am 5. Januar 1973, mussten wir frühmorgens ins Linthbergspital, ich ging zwar mit, aber dann verzog ich mich ins Geschäft, ich wollte besser nicht dabei sein, und im Nachhinein erwies sich dies auch als richtig. Die künstliche Geburt wurde mittels Spritzen veranlasst, die Hebamme kam und es sollte laut ihr 451 452 ausreichen, wenn sie dabei war. Ich gab ihr meine Tel. Nummer und sie sollte mich im Geschäft anrufen. Aber ich wartete den ganzen Tag und wurde immer nervöser, kein Anruf, nichts! Gegen Abend hielt ich es nicht mehr aus und rief an, die Hebamme sagte nur trocken:“Es ist ein Büblein“. Ja, aber da war doch etwas faul! So langsam wurde sie deutlicher, es habe eben ein Problem gegeben, und man wisse nicht, ob es überlebe? Ich fuhr aufgeregt nach Winterthur, OK, wenn es eine Totgeburt war, dann musste man das akzeptieren, aber dazwischen lagen viele Möglichkeiten, die ich absolut nicht gebrauchen konnte! Noch war nichts klar, aber schon bald wusste ich mehr, durch die lange Geburtsphase, waren Mutter und Kind völlig am Ende. Und ein Kaiserschnitt, den man aus meiner Sicht hätte machen müssen, war dann nicht mehr durchführbar. Gut war ich nicht dabei, das hät te ein Riesentheater gegeben! Der Kinderarzt Dr. Reinhardt, wurde geholt, er sagte mir, das Spital sei nicht für solche Problemfälle ausgerüstet, man müsse den Säugling ins Kantonsspital Winterthur überführen. Gut, ich hatte keine Wahl! Die Mutter blieb aber im Linthbergspital zurück. Auf der Fahrt ins Spital hörte ich das leise Stönen des Säuglings, jetzt begann ich mit meiner Meditationstechnik, die ich im US College erlernt hatte! Ich visualisierte, dass dieser ganz gesund sein müsse, dass er im Alter von drei Jahren als gesunder Knabe mit uns rund um die Welt fliegen werde! Dass ich keinen Krüppel etc, akzeptiere, und so etwas gar nicht in Frage käme. Es war keine Bitte, sondern ein Befehl! Delia taufte ihn Rey, ich hatte nur einen Namen für ein Mädchen auserwählt, Grace Divina. Eigentlich sollte er aber Ray heissen, aber sie meinte, die Schweizer würden das dann falsch aussprechen, weil die meisten kein Englisch verstanden. 452 453 Rey wurde in einen Brutkasten gelegt, ich durfte ihn dann am nächsten Tag besuchen gehen, allerdings nur aus der Ferne hinter einer Glaswand und mit Masken und Spezialkleidung ausgerüstet, kam ich mir vor wie der Armstrong auf dem Mond. Delia blieb im Spital oben, sie hätte ja doch nicht bei ihm sein können! Ich konnte ihm aber in die Augen sehen, und dann wusste ich Bescheid! Sie leuchteten wie Kerzen in der Dunkelheit! Und damit war mir persönlich bewusst, er war normal und gesund! Aber die Ärzte waren da anderer Ansicht, besonders ein junger Dr. Sulzer, der mir an diesem Samstagmorgen den grössten Unsinn erzählte. „Wir standen irgendwo in einem Gang beim Ausgang und der kleine Arzt begann mich über die allegemeine Situation betreffend meinem Sohn zu informieren, ich erinnere mich nicht mehr an die einzelnen Sätze und Aussagen, die er im Lauf des Vormittags mit ärztlicher Arroganz verbreitete. Vermutlich störte es ihn, dass ich fast einen Kopf grösser war als er. Demzufolge musste er mich eben moralisch kleinkriegen. Ich hatte keine Ahnung, was da alles auf mich zukommen konnte. Sicher war nur, wegen der langwierigen und schwierigen Geburt litt Rey unter Sauerstoffmangel und war statt rötlich-weiss, eher blau und schrie demzufolge nicht! Das konnte schlimme Auswirkungen haben, und der Dr. Sulzer, profilierte sich mit seinem Almanach der vielen Möglichkeiten einer Fehlentwicklung während gut zwei oder drei Stunden. Ich hörte ihm kaum zu und nach einiger Zeit sagte ich zu mir:“Du bist doch ein Riesendummkopf“, sowas sagt man doch bekümmerten Eltern nicht!“ Aber ich behielt es natürlich für mich, denn ich war ganz davon überzeugt, dass der reinen Unsinn verbreitete. Er zählte alle die Varianten auf, vom Vollidioten bis zum Hilfsschüler. Und, dass wir den Sohn, sollte er zu den sehr schweren Fällen zählen, in ein Heim geben könnten. Vermutlich sollte diese Aussage mich beruhigen? Das Gegenteil war aber der 453 454 Fall. Gegen Mittag verabschiedete ich mich von ihm und seinen Schlusssatz habe ich nie vergessen:“Wenn wir etwas Glück haben, dann springt er vielleicht mit sechs Jahren auch im Sandkasten herum!“ Mit einem gewaltigen Zorn auf diesen Kerl im weissen Kittel, fuhr ich nach Effretikon zurück. Der Delia wollte ich über dieses lange Gespräch gar nicht detailliert berichten. Mit dem Druck der Geburtsanzeigen musste ich auch noch eine Woche zuwarten. Einmal mehr wurden meine grossen Vorbehalte gegenüber Ärzten bestätigt. Ich sagte der Delia, wir müssten intensiv meditieren und alles im besten Licht sehen, denn es stehe nicht sehr gut um unseren Sohn. Er müsse aber gesund sein und etwas anderes komme nicht in Frage! Nach einem Monat im Brutkasten durften wir ihn nach Hause nehmen. Und nach sechs Monaten sollte in einem Speziallabor in der UNIKLINIK Zürich, ein EEG Test durchgeführt werden. Und wenn dieser positiv ausfalle, werde er als normal und gesund erklärt, und dann von den IV-Leistungen ausgeschlossen. Zuvor zahlte die Invalidenversicherung die Spitalkosten. Und der Test entsprach meinen Erwartungen und war erfolgreich, wir konnten aufatmen! (Rey besuchte dann die normale Schule, Primar und Sekundarschule, hatte manchmal etwas Probleme mit dem Leistungsdruck, abert er konnte die KV- Lehre absolvieren, wurde Unteroffizier in der Armee. Heiratete und hatte wieder einen Sohn, und zeigte zudem beim Hausausbau, aussergewöhnliche handwerkliche Fähigkeiten). Ich bin überzeugt, dass unsere gemeinsame und fest entschlossene Medidation dabei eine wichtige Rolle spielten! Persönlich habe ich schon in jungen Jahren mit der meditativen Visualisation Ziele erreicht, die ich sonst nicht geschafft hätte. Nur ein Beispiel, als ich zehn jährig war, las ich in einem Magazin, dass in den USA, die 454 455 durchschnittliche Körperlänge beim erwachsenen Mann 180 Zentimeter betrage. Und schon wurde das zu meinem Ziel! Nur waren die erblichen Voraussetzungen gar nicht vorhanden! Mutter war nur etwa 160 cm, Vater knapp 170, Bruder Hans ebenfalls, und in der ganzen Verwandschaft fand sich niemand mit mehr als 172 cm, (Ausnahme war der „Kusin“ Trachsel Ueli, aber der war vom Schlag seines Vaters, und mit dem war ich wiederum nicht verwandt!) Zudem war meine Ernährung während und nach dem Krieg auch nicht gerade optimal für einen langen Körperbau! Also gut, ich hatte wieder keine Chance, das Ziel auch nur annähernd zu erreichen! Mich kümmerten aber alle diese Hindernisse nicht, ich wollte unbedingt mein Ziel erreichen und zwar bis zum 18. Altersjahr. Bereits mit 14 war ich 175 cm und ich musste nur noch 5 cm schaffen. Natürlich mass ich fast jeden Monat einmal nach, und mit 18 war ich dann wirklich 179.7 cm, ohne Schuhe! Und schliesslich wurden es fast auf den Milimeter genau 180 cm! (Bei ärztlichen Messungen war ich dann oft 179 bis 183 gross, was aber eher auf die oberflächliche Messung zurück zu führen war!) Zum Vergleich, Bruder Ernst, welcher fast 10 Jahre jünger war, brachte es kaum auf 170 cm, trotz besserer Nahrungsmittel etc. Ich bin heute überzeugt, dass ich es ohne diese Visualisation nur auf etwa 172 bis 174 cm geschafft hätte! Leider habe ich nicht ausreichend von dieser Technik Gebrauch gemacht. Auf anderen Gebieten, wie etwa im Lotto, hatte ich aber damit keinen Erfolg, es gibt im esoterischen Wissen dafür auch eine Erklärung. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 455 456 Kapitel 17 Wir kaufen ein Haus Von der Bahnhofstrasse in Effretikon, zügelten wir um ins „Im Moos“, dort hatten wir nur eine Zweizimmerwohung, die aber wesentlich billiger war. Rey wurde plötzlich kugelrund, und die Ärzte ordneten an, ihm weniger Essen zu geben, das hatte zur Folge, dass er jede Nacht lange Zeit schrie und wir nicht mehr schlafen konnten, das führte soweit, dass ich ihm einmal sogar ein Pflaster auf den Mund drückte, Delia wurde wütend und entfernte es sogleich mit einem Ruck, das aber tat ihm weh, so, dass er noch lauter wurde, nun ja, ich war auch nicht besonders stolz auf meine Tat! Da sagte uns die italienische Hauswärtin, wir sollten doch nicht auf diese Ärtze hören, sondern tun was der Säugling will! Und wir taten so und hatten das Problem gelöst, die Gefahr mit dem fettwerden war eben nur eine ärztliche Erfindung. Aber die Wohnung war eindeutig zu klein, deshalb mietete ich bei der gemeinützigen Baugenossenschaft eine grosse Dreizimmerwohnung an der Rappenstrasse in Effretikon. Delia ging immer noch bei der Swissair arbeiten, den Rey brachten wir am Morgen in die Kinderkrippe. Schon bald gab es Probleme mit den Nachbarn, ihre Kinder spielten ausgerechnet auf dem Aussengang vor dem Kinderzimmer. Und Rey konnte nicht schlafen. Also vertrieb ich die Kinder und hatte bald den ganzen Stock gegen mich! Aber auch sonst gefiel mir diese soziale Institution nicht, da wurden Pläne verteilt, wann 456 457 man die Treppen, den Eingang oder den Keller zu reinigen hatte. Oder zum ersten August wurde gar vorgeschrieben, dass man Kerzen, Lampions etc. am Balkon aushängen solle! Ich hatte genug von diesem Affentheater und wollte ein Haus kaufen, aber Geld war kaum vorhanden. Ich schaute mich in Effretikon um, aber die wenigen Angebote waren kaum zahlbar! Ich wurde einfach nicht fündig, wieder schien es mir, dass es ein Häuschen, wie ich es mir vorstellte, gar nicht zu kaufen gab. Ich versuchte es einmal anders herum, versandte etwa 20 Briefe an Liegenschaftenagenturen im Raum Zürich/Winterhur. Erst blieb ich ohne jedes Echo, wie bereits bei früheren Versuchen, dann, an einem Abend ruft mich ein Mann aus Winterhur an, er habe möglicherweise das, was ich suche. Am Maurerweg 4, in Winterthur Geiselweid, war ein Reiheneinfamilienhaus zu verkaufen. Am nächsten Tag ging ich es anschauen, es war alt und etwas vernachlässigt, aber ich sah da kein Problem, der Kaufpreis sollte bei 170.000.Franken liegen. Das war schon damals ein niedriger Preis für ein Reihenhaus in der Stadt. Und der Agent sagte mir noch, wie er dazu kam, meinen Brief zu lesen, erst habe er diesen als Werbebrief in den Papierkorb geworfen, dann sei ihm die schöne Briefmarke aufgefallen, er habe den Brief wieder herausgeholt und erst dann gelesen, also das Ganze verdankte ich der Marke! Ich sagte sogleich zu, aber es gab da noch fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Neben dem Agenten war noch ein Liegenschaftenhändler aus Seuzach involviert, dieser pflegte jeweils das Haus bar zu kaufen, und dann weiter zu verkaufen. Und damit er nicht zuviel Steuern zahlen musste, griff er zum Trick mit dem Schwarzgeld. Beurkundet sollten nur 150.000.- werden, den Rest sollte ich als „Teilmöbelierung“ zahlen. Und weil ich nur knapp 20.000.- Franken gespart hatte, musste ich eine Hypothek finden, die genau den Kaufpreis abdeckte. Aber es gab damals, im September 1973, die grosse Ölkrise, 457 458 die Banken gewährten keine Hypotheken, oder wenn, nur noch erste, das hiess, ich hätte etwa 70.000.- Franken bar zahlen müssen! Ich blitzte bei allen Banken ab, nur Kollege Freddy, zeigte sich bereit, mir aus der Patsche zu helfen! Ich fragte den reichen Onkel Otto, aber der hatte hundert Ausreden! Einmal mehr wurde mir bewusst, wie nutzlos Verwandte sein können! Da griff ich zu einer Notlösung, unser neuer Stellvertretender Direktor, Dr. H.J. H. war zuvor Direktor bei der Credit Suisse, ich fragte ihn um eine Unterredung und konnte ihm sogleich mein Problem schildern. „Kein Problem, ich rufe sogleich den Direktor der Filiale Unterstrass an,“ dort hatte ich ein Konto. Er wechselte ein paar Worte mit dem Mann und dann war die Sache gelaufen, ich hatte eine erste und eine zweite Hypothek für den Gesamtbetrag von 150.000.Und, um den Kauf etwas besser darzustelllen, griff ich zu einem Trick, vom Schwarzgeld durfte ich nichts erwähnen, dafür konnte ich einen Ausbau von etwa 50.000.- Franken in Aussicht stellen. Und das war dann mein Eigenkapital! Ich nahm Urlaub auf halbtags, indem ich am Vormittag ins Büro ging und am Nachmittag nach Winterthur, um das Haus zu sanieren. Und das war eine Riesenarbeit, rund einen Monat lang mussten wir noch zuwarten um einzuziehen, dann war es endlich soweit. Mutter sollte im obersten Stock wohnen, das Haus hatte drei Etagen und den Keller. Ich baute dann noch eine Dusche ein, riss die Mauer im Erdgeschoss heraus, um mehr Raum zu kriegen. Auch der Garten verlangte viel Pflege und Arbeit. Delia ging nun nur noch dreimal die Woche arbeiten, wir fanden für Rey eine Tagesmutter, allerdings mussten wir ihn am Morgen immer hinbringen, am Abend brachte uns Frau Ricklin den Rey zurück. Es war aber aus finanzieller Sicht auch keine optmale Lösung, die Tagesmutter und die Transportkosten bis Kloten, kosteten fast gleichviel, was Delia bei der Swissair netto noch verdienen konnte. Wir hatten aber noch 458 459 verschiedene Reisepläne, danach sollte sie bei der Swissair schluss machen! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 18 Reise um die Welt Einmal rund um die Welt reisen, oder besser um die Erde, ich hatte in jungen Jahren Santiago de Chile im Westen und Tokyo Japan im Fernen Osten geschafft, aber dazwischen war noch der riesige pazifische Ozean geblieben. Im Jahre 1975, als Rey gerade einmal zwei Jahre alt war, flogen wir mit ihm auf die Philippinen, alle wollten den Nachwuchs der Delia sehen und betasten! Für Rey wurde es eher eine Horrorreise, und natürlich fing er sich ein Fieber ein, das eben die Kinder kriegen, welche keine Abwehrstoffe gegen die vielen Tropenviren haben. Wir besuchten ein zweites mal Baguio und die dortigen Geistheiler, besonders Placido, aber auch Tony Agpaoa, im Jahre 1971, war er nicht anwesend, dafür gab er uns nun seinen grossen Amerikanerwagen mit Fahrer für einen ganzen Tag umsonst und lud uns zu einer umfangreichen Mahlzeit in einem Chinesenrestaurant ein! Wir wohnten im Pineshotel und waren eigentlich VIP Gäste, das veranlasste der Kollege Rene Wanner, er war damals Manager im Tagatayhotel gewesen, später sollte er das Pines in Baguio übernehmen. Ohne uns zu informieren, verlangte er für uns VIP Service, nach der Rückkehr fragte er etwas komisch, etwa nach dem Service im Hotel, als ich sagte das sei ganz normal gewesen, da verriet er uns dieses Geheimnis, da erinnerte ich mich, 459 460 dass am Abend jeweils das Bettuch etwas zurückgemommen wurde, aber das wird oft so gemacht, auch ohne VIP Service! 1971 durften wir bei der Familie Reyes in Quezon City wohnen, Jess war der Bruder der Fe Wanner, der Frau von Rene. Er führte ein Architekturbüro und war auch Bauunternehmer, aber er träumte von den USA, weil er auf den Philippinen keine Zukunft sah! Ich riet ihm davon ab, leider befolgte er meinen Rat nicht! (Seine sehr hübsche Frau „Finita“ baute einen schweren Autounfall, angeblich war ihr Gesicht verunstaltet, das war die erste Hiobsbotschaft. Dann wanderte die ganze Familien nach Kalifornien aus. Dort ging es eben nicht so einfach zu und her, wie sich der Jess das so gedacht hatte. Er wurde Mitglied einer religiösen Sekte, diese nahm ihm das ganze Vermögen ab! Er war sich an einen gehobenen Lebensstandard gewohnt und war plötzlich ein armer Mann in den USA! Faszit, er erlitt einen Herzinfarkt und blieb bis zum Lebensende im Komma! Er starb im Komma mit etwa 49 Jahren!) Wir flogen schliesslich auch noch nach Zamboanga City, dort wollte Delia ihren Halbbruder treffen. Wir nahmen ein Zimmer im Lantaka Hotel, dort prangten ua. auch die grossen Poster der „Tasadays“, ich bestaunte diese Leute aus der Steinzeit und wurde damit genau gleich betrogen wie die „National Geographic“ und der ganze Rest der Welt.Weil es sich später herausstellte, dass der philippinische Minister für die Urvölker, Manuel Elizalde, alle zum Narren hielt. Die „Tasadays“ waren eine Erfindung von ihm, es waren Leute vom Dorf und sie waren Lehrer, Angestellte, Hausfrauen etc. .Immer, wenn Journalisten kamen, diese durften nur mit Erlaubnis von Elizalde aufkreuzen, und mussten sich Tage zuvor anmelden, bemalten sich diese Leute mit Erde und Kot, und mussten dann in die Höhlen untertauchen, dann, wenn die Weissen kamen, machten sie Affenlaute und lausten sich gegenseitig. Ich war damals Abonnent des „National Geographic“ und bestaunte die Fotos dieser Menschen, die angeblich noch nie 460 461 mit der „Zivilisation“ in Berührung standen! Immerhin gestand er ihnen gute Eigenschaften zu, sie waren Vegetarier und kannten kein Wort für Krieg! Und die Flugzeuge, die oft am Himmel kreuzten, waren Götter, vor denen sie sich sehr fürchteten. Für die Philippinen war es eine gute Werbung, zumindest bis zum Tag der Wahrheit! Unter uns, es war aber auch eine Demonstration, was man von den Philippinen und seiner Bevölkerung erwarten darf! Jetzt, 1975 wohnten wir bei den Wanners in einem Nobelquartier von Manila, die Fe hatte eine Haushälterin, eine hässlichere Person hatte ich dort noch nie gesehen, angeblich war sie von einem Bergstamm, also eine Ureinwohnerin. Ich fragte die Delia, weshalb die Fe eine so hässliche Frau angestellt habe? Sie sagte lachend:“Damit der Rene nicht auf andere Gedanken kommt!“ Aha, darauf wäre ich gar nicht gekommen, aber es war typisch für die Fe, die an der „University of the Philippines“ Journalismus studiert hatte. Über die Fe lernten wir auch den damals bekanntesten Filmstar des Landes kennen, Louis Gonzales, er spielte ua. auch in einem Film den Präsidenten Marcos, ich konnte mich mit ihm gut unterhalten, und als ich den Namen „Elisabeth de Oropesa“ erwähnte, sie war damals die schönste Schauspielerin des Landes, leuchete er auf und fragte mich: „Willst Du sie kennen lernen, kein Problem!“ Also, das wäre mir schon angenehm gewesen, aber sicher nicht in Begleitung meiner Frau! Fe machte uns dann noch bekannt mit einem anderen Filou, einem unehelichen Sohn von Präsident Marcos, Rocky Ablan. Der lud uns gleich in einen Gogoschuppen ein, dort wurde ein Mittagessen mit Tanz geboten, der Rocky bot mir an, am Abend ohne meine Frau mit ihm auszugehen, er werde mir Dinge zeigen, die ich als Touristen nie zu sehen bekäme, unten in Makati! Aber Delia wurde fuchsteufelswild, sie sagte, ich mit meiner offenen Art, werde von Rocky erschossen, er trug immer eine geladene Pistole auf sich, und er hatte in diesem 461 462 Schuppen schon zwei Leute erschossen, ohne Folgen, weil Papi ja der Präsident ist. Als er vernahm, dass wir nach Dumaguete fliegen wollten, anerbot er uns einen Helikopter, aber das war mir dann etwas zuviel, kein Problem, sein Vater habe immer einen für ihn bereit. Als er mir dann noch berichtete, dass er während dem Vietnamkrieg an den Wochenenden nach Saigon flog, dort von den AMIS ein Bombenflugzeug erhielt und dann wahlos Bomben auf die Reisbauern warf, und sich dabei ergötzte, ging bei mir einmal mehr der Vorhang runter! Sein Papa verlieh ihm einen hohen militärischen Rang, schliesslich gilt der Papa als der höchst dekorierte Filippino des zweiten Weltkriegs. Er soll aber gar nie im Krieg gewesen sein, ja, er war nicht einmal Soldat! Ich zahlte lieber selber für meinen Flug, als von einem solchen Halunken abhängig zu sein. Etwas anders waren die Kontakte zur spanischen Oberschicht, der Pate von Rey, Fred Jenny, war viele Jahre Chefkoch im Hilton Manila, er war mit einer Mestizin aus der Magnoliafamilie verheiratet, die Charito, über Fred Jenny, wurden wir dann Gäste bei einem grossen Anlass der Magnolia Familien, diese hiessen Reyes, Muntagner etc, Natürlich wohnten sie in einem Nobelquartier, da konnte man nur mit Sonderbewilligung reinkommen. Die Villa hatte einen Partyraum von mindesten 120 m2, weit über einhundert Leute waren geladen, und was mich erstaunte, es wurde fast nur Spanisch gesprochen! Kein Problem für mich! Einmal mehr konnte ich nur staunen, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Leute ihren Luxus auslebten. Kaum die Hälfte wurde verspeist, der Überfluss war enorm gross! Und was mich aufregte, nur etwa 300 Meter entfernt waren die Mauern und dahinter massenhaft Slums! Krasser konnte die Welt nicht mehr sein. Ich lernte auch die geistige Einstellung dieser Leute gegenüber dem „gemeinen Gesindel“ kennen! Seit Jahrhunderten kannte man auf den Philippinen als oberste Kaste die weisse Rasse, gleichgültig ob Spanier oder Amerikaner, dann folgten die Mestizos, 462 463 welche aus Verbindungen der Spanier mit Einheimischen Frauen hervorgingen. Dabei wurden diese meistens nicht geheiratet sondern als Hausangestellte geschwängert. Die nicht gemischten Filippinos bildeten sodann die absolute Unterklasse. Wobei da noch viele Unterstufen existieren, indem die Bergvölker und Kopfjäger wiederum ausgegrenzt werden, und ganz unten figurieren die Ureinwohner, auch „Negritos“ genannt. Sie sind nicht von der Mongolischen Rasse abstammend, sondern haben eher Verbindung zu den Australnegern. Sie wohnen meistens in Höhlen oder im Urwald, haben sich nie zivilisatorischen Massnahmen untergeordnet und leben heute noch wie vor 40 Millionen Jahren. Nur mit Lendenschurz bekleidet und mit Bogen und Pfeil ausgerüstet. Für zahlreiche Filippinos gelten sie gar nicht als richtige Menschen! Aber in Zamboanga fühlte man sich damals wie im Wilden Westen des achtzehnten Jahrhunderts. Da war Krieg, einmal die Moros gegen die Christen, dann die NPA (Kommunisten) gegen die Regierenden und die Armee und Polizei, und, wie der Bruder der Delia sagte, mussten die Bauern ausserdem noch Schutzgelder an eine Gruppe zahlen, die sich „Barracudas“ nannte, gewöhnliche Banditen. Es war unmöglich einen Taxi zu finden, der es wagte über die Stadtgrenze hinaus zu fahren. Wir wollten das „Baumhaus“ besichtigen, das sich am Stadtrand befand, nur für den doppelten Betrag fand sich schliesslich ein Taxifahrer, der uns dorthin fuhr! Dabei war die Gegend derart friedlich, wir stiegen hinauf und verewigten uns im Buch der Besucher. Nebenan war eine einfache Beiz, und dort tranken wir etwas, ich fühlte mich dabei im Mexiko des Neunzehnten Jahrhundert. Die Leute sprachen den Dialekt „Zabacano“ und der ist fast identisch mit Spanisch! Auf der kleinen Insel, die wir im Meer draussen sahen, war schon seit einem Monat eine japanische Airhostess in der Gefangenschaft einer Moslemgruppe. 463 464 Interessant war auch die Einstellung der christlichen Einwohner, nur ein toter Muslim war ein guter Muslim! Auch das erinnerte mich wieder an den Wilden Westen! Wo aber ein toter Indianer ein guter Indianer war, die Geschichte wiederholt sich eben immer wieder! Zamboanga war aber nicht der Ort für einen ruhigen Urlaub, wir waren froh, als wir wieder in den Norden zurück fliegen konnte. Sowohl 1975 wie auch 1976, machten wir fast die genau gleiche Reise auf den Philippinen, im 76 jedoch etwas kürzer, weil wir statt zurück, nun weiter fliegen wollten, um den Globus! Am Abend verliessen wir Manila via Guam in Richtung Honolulu. Es wurde ein endlos langer Flug, kaum zu glauben, was da noch für Distanzen dazwischen lagen! Obwohl wir am Sonntagabend wegflogen, landeten wir in Pearl City(Honolulu) am Sonntagmorgen! Als Knabe träumte ich stets von Hawaii, besonders von den angeblich hübschen Frauen! Was ich dann auf dem Flughafen antraf, war eher ein leichter Schock für mich! Da sassen doch diese „Schönen“ alten, fetten Weiber auf den Bänken herum, trugen Blumengirlanden um die Hälse und versuchten diese den ankommenden Fluggästen zu verkaufen. Jede dieser Matronen wog sicher weit über 100 Kilogramm! Wenn da ein Mann noch nicht impotent war, dann musste er es nach dem Anblick dieser „Sumoringerfrauen“ sicher gleich werden! Am Flughafen war ein Informationsbüro für die Vermittlung von Hotelzimmern. Sehr gut, ich stellte mich an und die freundliche Japanerin nannte uns immer die Vorzüge des jeweiligen Hotels, und wenn wir ein Zimmer wollten, war keines erhältlich, ausgebucht! Das Theater dauerte mehr als eine Stunde, dann sagte ich der freundlichen Dame, wir würden auf die Preisungen verzichten, sie solle doch erst einmal fragen, ob noch ein Zimmer frei ist! Sie verstand und dann ging es schneller, die liebe Frau bot sich sogar an, uns notfalls bei sich aufzunehmen, aber schliesslich fand sie doch ein Zimmer im 464 465 Outrigger Hotel, aber nur für eine Nacht. Danach wollte sie uns in einem japansichen Hotel unterbringen. Wir planten eine Woche nach Maui zu fliegen, aber daraus wurde nichts, Rey hatte nach dem ersten Tag plötzlich über 42 Grad Fieber! Der Filippinoarzt sagte, er habe auf den Philippinen einen Virus eingefangen! Wir sollten darum eine gute Woche rechnen, bis er wieder gesund erklärt werden könne. Ich rannte am Abend durch die Gassen um Tabletten zu kaufen, ich muss mich vermutlich in ein Rotlichtviertel verlaufen haben, denn da standen Frauen aller Rassen herum und alle wollten mich verführen, eine sagte wörtlich:“Ich habe heute noch nichts Warmes im Bauch gehabt“! Mir war aber absolut nicht darum, hier einen Zwischenhalt zu machen, der gesundheitliche Zustand von Rey war alarmierend! Schliesslich fand ich eine Apotheke und eilte dann mit allen den Pillen ins Hotel zurück. Tags zuvor beteiligten wir uns an einem Ausflug in den Hafen (Pearl Harbour) dort zeigte man uns die Reste eines von den Japanern versenkten Kriegsschiffes, der „SS Arizona“, bekanntlich wurde Pearl Harbour am 6. Dezember 1941, von japanischen Flugzeugen angegriffen und dabei wurden zahlreiche Schiffe versenkt! Ich wollte aber auch die „Hulashow“ sehen, ich ging alleine, weil Delia beim Rey bleiben wollte. Der Zutritt war kostenlos, allerdings wurde der Anlass jeden Tag von der Firma Kodak organisiert. Ich wollte mit Super-8, filmen, kam etwas spät an, die Leute scheinen ganz verrückt auf diesen Anlass zu sein, und kommen schon eine Stunde früher. Also, der bewaffnete Wächter wollte mich nicht mehr hereinlassen, ich ging die Mauer entlang nach oben, um von dort zu filmen, aber das wollten die Uniformierten nicht dulden, als ich nicht weg wollte, zog doch dieser den Colt Revolver und bedrohte mich damit! Seltsame Methoden, ich ging dann weiter unten einfach in die Menge hinein, konnte aber von dort nur wenig sehen. Und da waren sie wieder, diese uralten Weiber mit ihren Hularöcken und den Ukulelen! 465 466 Und man konnte staunen, die älteste von ihnen, war schon seit 1938 dabei! Eigentlich war das Ganze zum Kotzen, amerikanische Subkultur primitivster Art! Und wegen diesem Unsinn wollte mich der Polizist gleich erschiessen. Eher frustriert lief ich dann die Strecke zum Hotel zurück, Delia hatte wahrlich nicht viel verpasst, und mit dem Rey dorthin gehen wäre noch fraglicher gewesen, die Masse der Zuschauer hätte ihn ja erdrückt! Also Hawaii wurde für mich eher zum Alptraum, durchkommerzialisiert, wie ich vernahm, wird dasselbe auch von den anderen polynesischen Inseln gemeldet. Ein weiterer Grund, meinen Südseetraum endgültig zu begraben! Für Rey war diese Weltreise alles andere als ein Vergnügen, und es ist an sich unsinnig, mit Kleinkindern sowas zu unternehmen! Aber wir hatten unsere Gründe dazu, einmal war es pflicht, den vielen Verwandten den Nachwuchs zu zeigen, sodann hatten wir beschlossen, dass Delia nun doch endgültig bei der Swissair aufgibt! Von Honolulu aus flogen wir nach Los Angeles, dort wurden wir von Verwandten abgeholt, mir war nie ganz klar wie sich diese Verwandschaftsgrade zusammensetzten, es war ja auch unwichtig. Wir landeten im Hollywoodquartier, eine der Tanten führte eine Kinderkrippe, dabei viel mir auf, dass die Kinder einfach am frühen Morgen von ihren Müttern deponiert wurden, bis dann rund 20 Kinder den Raum füllten. Die ganz kleinen wurden in einen Gatter getan, die andern sassen auf den Sofas oder auf dem Boden herum. Manche hatten eine triefende Nase, aber die Tante kümmerte sich kaum darum, als die Kinder am Mittag wieder abgeholt wurden, trugen die meisten immer noch ihre Mäntel und Schuhe und den Schnuller im Mund. Diese Art Kinderbetreuung schien aber durchwegs akzeptiert zu sein. Wir wurden zu einem pompösen Seafoodessen in Santa Monika eingeladen. Noch nie ass ich soviele Riesenlobster wie dort, mit übervollem Magen ging ich dann mit dem Rey zu einem Park mit zahlreichen Atraktionen. Ich stieg ohne 466 467 nachzufragen, in ein Gefährt ein, den Rey auf meinem Schoss, und kaum war ich festgeschnallt, fuhr das Ungeheuer an! Wir wurden wie Bälle durch die Luft geschleudert, ich musste den Rey fest halten, denn das Fahrzeug stieg weit nach oben gegen Himmel! Immerzu wurden wir hin und zurück gerüttelt! Rey schrie so laut, dass selbst Delia ihn hören konnte, aber sie wusste nicht woher die Schreie kamen! Ich verfluchte den Augenblick, in dem ich dieses Fahrzeug bestieg, sehnte mich danach, dass dieser Horrortrip endlich ein Ende finden würde. Mein Magen drehte sich bereits im Kreis herum! Endlich hielten wir an, ich rannte instinktiv in jene Richtung, in der ich die Toiletten vermutete, und erreichte sie gerade noch im richtigen Augenblick, die gesamte Langustenmahlzeit endete in der WC-Schüssel! Rey fragte, ob ich verrückt sei, da musste ich ihm zustimmen, nie wieder, würde ich auf ein Gefährt steigen, ohne mich zuvor zu vergewissern, um was es sich dabei wirklich handelt! Englisch ist eben nicht US-Amerikanisch, und schon gar nicht kalifornisch, das musste ich erfahren, als ich telefonisch ein Taxi bestellen wollte, ich rief die Nummer an und sagte langsam, ich sei ein Tourist aus Europa und möchte ein Taxi an die fragliche Strasse bestellen, aber der Kerl am anderen Ende antwortete nur etwa mit“ookmersannsnnnen“ peng, der Hörer war wieder aufgelegt. Ich wurde zornig und sagte zu unseren Gastgebern:“Haben die hier keinen Anstand, ich habe kein Wort verstanden!“ Dann rief ich nochmals an, sagte langsam auf Englisch meine Adresse und dass ich ein Taxi möchte. Wieder dieselbe Antwort! Aber kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, stand draussen eine Taxe, und als wir fortfuhren, kam gleich nochmals eine Taxe! Das war eben auch Kalifornien. Aber wie soll man sich als Tourist in nur wenigen Tagen an diesen Dialekt anpassen? Wir besuchten auch Diseyland in Annaheim, das war ein Riesenerlebnis für Rey und eine 467 468 kleine Entschädigung für ihn und alle die Strapazen die er ausstehen musste. Aber sonst blieben mir von dieser Weltreise verschwindend wenige in Erinnerungen. Den Grund dafür sehe ich in der Normalität einer solchen Reise mit Kind und Kegel, man ist nur in guten Hotels, ist nie allein, und gerät dadurch auch viel seltener in abenteuerliche Situationen, wie das bei meinen Reisen in jungen Jahren der Fall war! Von LA flogen wir weiter nach San Francisco, das war dann aber eine grosse Überraschung für mich, obwohl im gleichen Bundesstaat, war diese Stadt ganz anders als LA, beinahe wie eine englische Stadt, hügelig, windig, mit Chinatown, der Golden Gate Brücke, die wir auf einer geführten Rundfahrt durchfuhren, mit uns war auch die Tante Laling aus Chicago dabei. Weiss nicht mehr, weshalb die uns dort empfing? Gemeinsam flogen wir sodann weiter nach Chicago. Je mehr wir uns dem Osten näherten, desto kälter wurde es, es war das Frühjahr 1976, aber in Chicago wars bitter kalt. Wir gingen die grossen Seen besichtigen, ansonsten erinnere ich mich nur noch an einen kleinen Zwischenfall, den der Rey in einem Warenhaus hatte. Delia und Laling schauten sich die Waren an, ich wartete mit Rey nebenan, da kamen zwei sehr dicke Negerinnen mit einem kleinen Mädchen, das ebenfalls etwa dreijährig war. Das Mädchen hatte einen kugelrunden Kopf und runde Augen, es war schokoladenbrau, es saugte am Daumen und schaute den Rey an, dieser schaute es an, als handelte es sich um ein Gespenst vor ihm, plötzlich schupfte er die Kleine weg und sagte:“I dont like you!“ Glücklicherweise waren die beiden dicken Frauen so sehr in ihren Gesprächen vertieft, dass sie den Vorfall nicht mitbekamen. Sonst hätten die wohl noch angenommen, unser Sohn sei von uns so trainiert worden! Das war natürlich nicht der Fall, vielmehr sah er vermutlich erstmals richtige Schwarze? 468 469 Mit New York kam dann die letzte Station unserer Weltreise. Wir machten eine Busreise durch die Stadt, spezielle Erinnerungen sind mir aber davon nicht geblieben! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 19 Wir gründen ein Reisebüro Unsere Tagesmutter war wütend, als wir ihr beibringen mussten, dass sie den Rey ab Frühjahr 76, nicht mehr betreuen konnte. Aber wir hatten keine andere Wahl, und es musste einfach sein! Frau A.R. konnte keine eigenen Kinder kriegen, und weil ich mich bereits im Jahr 1973 unterbinden liess, konnte ich verständlicherweise auch nicht einspringen, sollte es vielleicht beim Mann liegen! Das Ehepaar besorgte sich dann gleich zwei Mädchen aus Südindien. Grundsätzlich muss man bei solchen „Verpflanzungen“ immer ein grosses Fragezeichen setzen! Oft geht es gar nicht um das Kind, sondern um persönliche und egoistisch motivierter Ziele! Der gebildete Mensch kann solche „Triebe“ durchwegs mit Alternativmassnahmen kompensieren! Delia war nun ganztägig zu Hause und hatte mehr Zeit für den Rey. Anfänglich war gar kein richtiges Reisebüro 469 470 geplant, sondern wir wollten unter dem Namen „Philswiss Travel Club“ eher Reisen nach den Philippinen organisieren, sowie günstige Flugreisen nur nach dorthin anbieten. Wir gründeten den Club und hatten auch Statuten, dabei waren alle automatisch Mitglieder, wenn sie irgend einen Kontakt zu den Philippinen hatten, also eine Frau von dort geheiratet hatten, oder es sich um eine der immer zahlreicher werdenden Krankenschwester von dort handelte. etc. Vorerst galt es, günstige Flugtickets zu kaufen, und die waren in der Schweiz kaum erhältlich. Es gab zwar einen Brocker mit Namen SOF Travel, aber der ging um das Jahr 1975 schon einmal in Konkurs. Es gelang uns dann, in München Flugscheine der Egypt.Air zu relativ niedrigen Preisen einzukaufen. Wenn wir etwa 50.- Franken draufschlugen, konnten wir die Flüge nach Manila für 1750.- bis 1850.- anbieten, das war rund 400.- bis 500.Franken günstiger als die billigsten Angebote von Danzas Reisen. Für ein Ehepaar mit kleinem Budget konnte das fast 1000.Franken ausmachen! Aber die Leute trauten uns nicht, Filippinos schon gar nicht, so hatten wir im ersten Jahr, 1976 von April bis Dezember zwar viel Arbeit aber kaum eine Buchung zu verzeichnen, das Resultat war mehr als lausig! Ich denke, mehr als drei Flugscheine waren es nicht, also ein Aufwand von weit mehr als 1000.- Franken und einen Bruttoertrag von Fr. 140.- . Was solls, wir machten weiter, das heisst ich machte weiter, denn Delia hatte da kaum eine Meinung. Sie wollte zwar auch viel Geld verdienen, aber erst musste sie lernen, ein Geschäft optimal zu organisieren, ich versuchte während Jahren krampfhaft sie diesbezüglich einzuschulen, aber einfacher hätte ich einer Bergziege das Velofahren beibringen können! Sie hat es nie gelernt. Im Jahr 1976 wollten wir mehr erreichen, ich stellte eine Liste mit Adressen auf, die ich jeweils in Zürich aus dem Tagblatt herausnotierte, wenn eine Heiratsanzeige mit 470 471 einer Filippina ausgeschrieben wurde, aber auch von Krankenschwestern erhielten wir Adressen, und sogar die philippinische Botschaft gewährte uns Anschriften für den Club. Ich verfasste ein Club-Bulletin und sandte dieses an alle potentiellen Kunden, dabei war auch ein Angebote für Billigflüge nach Manila. Inzwischen hatten wir Kontakte nach London, von dort kamen die ersten „Low cost tickets“ anfangs der Siebzigerjahre. Wir verkauften immer mehr Flugscheine, allerdings war unsere Marge derart niedrig, dass wir keinen Gewinn erzielen konnten, wir konnten immerhin die Unkosten voll decken. Im Jahre 1979, trennten wir den Club vom Reisebüro, das Geschäft wurde als „Delia Baehler BTS Reisen“, im Handelsregister als Einzelfirma eingetragen. Wir mussten nun eine richtige Buchhaltung führen und da kamen mir meine Kenntnisse zu gute. Wir kauften einen Comodore Computer und diesen konnte ich zumindest für die Buchhaltung gut einsetzen. Wir beschafften uns auch einen der ersten Telefaxe zu einem horrenden Preis, einen Telex, Kopiergeräte, sowie alle Ausrüstungen die ein Reisebüro benötigt. Erst in Uster, dann ab 1981 in Volketswil, belegten wir zwei bis drei der Zimmer als Büroräume. Wir kauften Flugscheine in ganz Europa ein, aber immer mehr auch von Brockern in der Schweiz. In einem Konkursfall in Hamburg, verloren wir dabei eine fünfstellige Summe! Das war hart fürs Geschäft, aber wir machten weiter. Inwzischen fungierte ich als Präsident der GmbH, oder Ltd.Co. die wir etwa ab 1985 führten, vorher änderten wir die Firma noch in „Bioesoterisches Reisebüro“ was oft mit erotisch verwechselt und darum wieder geändert wurde. Delia umschrieb sich als Manager oder Direktorin, wir beschäftigten noch ein bis zwei Teilzeitangestellte, besonders während den Ferien wars wichtig, jemanden im Büro zu wissen. In den besten Jahren (1990/91),erreichten wir einen Umsatz von 1.3 repektive 1.4 Millionen Franken. Danach fiel unsere Ehe auseinnander und damit ging auch der Umsatz jedes Jahr zurück. Und auch der Gewinn blieb aus, Delia 471 472 musste nur noch für den Zahltag der Angestellten arbeiten, ich führte nur noch die Buchhaltung, musste zusehen, wie die einst blühende Firma jedes Jahr tiefer in die roten Zahlen fuhr! Ein Fehler war auch, das Büro ins Zentrum Volketswil zu verlegen, die Mieten und Unkosten verschlangen zuviel Geld! Als es mir zuviel wurde, handelte ich von mir aus, das Büro wurde gekündigt, die Angestellte entlassen, und fortan sollte Delia das Geschäft wieder zu Hause weiterführen. Schliesslich löste ich auch die GmbH auf, was immerhin fast drei oder vier Jahre beanspruchte! Delia sollte die „BTS Reisen“ als Einzelfirma ohne Handelsregistereintrag weiter führen, das ist in diesem Fall durchaus legal, weil sie den nötigen Umsatz für einen obligatorischen Eintrag gar nicht erreichte, damit war ich auch von der obligatorischen Buchführungspflicht entbunden. Seit nun 12 Jahren führt sie das Ganze auf kleinster Flamme, ihre Kunden sind praktisch nur Filippinas. Dabei habe ich ihr gesagt, sie müsse unbedingt zwei grosse Behälter führen, einer für die Auslagen und einen für die Einnahmen. Sollten die Steuern einmal anklopfen, werde ich die Belege aufaddieren und ich bin überzeugt, sie wird kaum einen Gewinn ausweisen können. Allein schon die Räumlichkeiten und das Geschäftsauto, sowie die vielen Geräte, etc. fressen den Gewinn mehr als auf! Dass ich solange Buchhaltung studiert habe, wurde mir somit doch noch nützlich! Und selbst die kritischen Leute von der AHV, konnten meine Buchhaltung nicht beanstanden! Für mich war aber die ganze Reisebürogeschichte lediglich eine Kompensation für den beruflichen Kollaps von früher. Es verhalf mir, meine Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, und dass man ohne Eigenkapital eine Firma gründen und damit erfolgreich werden kann, das konnte ich so beweisen. Nur wollte ich ganz andere Dimensionen erreichen, wir standen 1976 etwa gleich auf wie der Globetrotter Travel, dieser expandierte 472 473 in die ganze Schweiz, sein Bulletin wurde immer professioneller, während wir gehen an Ort machten. Grund dafür: Ich machte alles nebenberuflich, konnte mich für diese Aufgabe nicht freimachen, lange Zeit überlegte ich, ob ich bei der holden OSEC künden sollte? Aber wegen meinen gesundheitlichen Problemen, verzichtete ich dann doch darauf. Und ich weiss heute, damit hätte ich mich völlig aufgerieben! Und Delia war nun einmal nicht die Person, die sowas hätte managen können. Sie schrieb stundenlang an einer Offerte herum, wenn ich abends nach Hause kam, sass ich praktisch jeden Abend bis 22 Uhr im Büro und erledigte pendente Aufträge. Auch an den Samstagen und oft sogar Sonntagen, verbrachte ich die meiste Zeit im Büro der Delia. Ich hatte viel Spass an dieser Arbeit und darum wurde es vermutlich nur ein positiver Stress? Besonders interessierten mich Rund um die Welt Kalkulationen, da diese weder die Delia noch die Angestellte befriedigend lösend konnten, war ich derjenige, dem diese Aufgabe zuviel. Ab 1989 absolvierte Rey seine KV-Reisebürolehre bei uns, ich hatte dafür gute Gründe, seine Belastbarkeitsprobleme von der Geburt her, waren nur mir bekannt, ich wollte aber kein Risiko eingehen, darum bereitete ich mich schon Jahre zuvor darauf vor, gründete die Firma, absolvierte den KVLehrmeisterkurs, etc. und alles ging mit rechten Dingen zu und her. Nur ein kleiner Schöheitsfehler war schon noch vorhanden, ich als der Lehrmeister, war nur an den Randstunden im Büro, ich instruierte aber Delia und die Angestelten, dass, sollten die Lehrlingsexperten aufkreuzen, ich, der Lehrmeister, gerade in Zürich an einer Sitzung sei! Und das traf dann auch tatsächlich so ein, und ging ebenfalls problemlos über die Bühne. Rey bestand die Lehrabschlussprüfung, dann musste er sich selber bewähren, wichtig war einfach einmal die Ausbildung. Bei der OSEC wurde oft gemunkelt, ich würde nebenbei noch eine Firma betreiben, das war nicht ganz richtig, ich 473 474 fungierte nur als Präsident, Delia war die Managerin. Dass ich die meiste Arbeit verrichtete war dabei unwichtig. Zudem hatte ich bei meinem Kollegen Fritz H. noch drei weitere Verwaltungsratssitze inne. Davon wussten die aber nichts! Der Verwaltungsrat war ein gewisser Dr. R.B. von Wattenwil. Und bei der OSEC arbeitete ein R.B. als Beauftragter, Manager, Leiter, etc. aber ohne Titel. Bei der BTS Travel Ltd, ein Direktor ehrenamtlich! Insgesamt viel Arbeit, aber wenig finanzieller Rücklauf. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 20 Ein neues Haus Im Februar 1968, verkaufte ich meinen Opel Record für rund Fr. 900.- nach Kreuzlingen TG. Ich hatte verschiedene Gründe dafür, einmal war es mein Desinteresse am Strassenverkehr, der Verkehr wurde immer dichter und man konnte kaum noch irgendwo in der Stadt Zürich parkieren. Jede Fahrt in die Stadt wurde zum Alptraum, keine Parkplätze, keine Parkhäuser, überall diese blauen Zonen! 1956, als ich im Kanton Thurgau die Autofahrschule absolvierte, war es noch herrlich auf den Strassen, ich erinnere mich, dass ich von Weinfelden bis Frauenfeld fahren konnte, ohne dass mir ein Auto entgegenkam! Später dann, hatte ich immer welche Autos hinter mir, das störte mich ausserordentlich, ich fühlte mich unfrei und bedrängt! Aber es kam noch schlimmer, einmal, ich fuhr um Mitternacht gedankenabwesend von Frauenfeld nach Märstetten, vor Felben ist eine schnurgerade Strasse, ich 474 475 fuhr etwa mit 100 Stundenkilometern und wollte einen „Schleicher“ links überholen, ich sah weit vorne zwei gelbe Lichter, damals waren diese noch zugelassen, sie täuschten aber sehr auf die Distanz, indem man dachte, sie befänden sich viel weiter weg! Ich befand mich auf der linken Seite und hatte diese Lichter plötzlich direkt vor mir! Also ich fuhr gegen Hundert und der vermutlich auch? Jetzt erwachte ich aus meinen Gedanken, aber es schien schon zu spät, eine Frontalkollision und damit das sichere Ende für beide Fahrer war gewiss! Rechts neben mir war der „Schleicher“, aber ich riss das Steuer brüsk nach rechts und fuhr dann dem „Schleicher“ fast am Heck aufs Heck. Der mit den gelben Lichtern brauste ohne Abzubremsen an mir vorbei, aber mein Opel bockte wie ein Rodeopferd, ich riss das Steuer sogleich wieder nach links herum, der andere war vorbei, wie ein Stier unter dem Tuch des Toreros, und der „Schleicher“ etwas weiter vor mir, ich sah nur noch ab und zu die weiss-schwarz gestreiften Markierungen an den beiden Strassenrändern und kam schliesslich quer auf der Strasse zum Stillstand! Die beiden andern Fahrzeuge waren verschwunden, und ich befand mich alleine mit zitterden Händen im Auto. Die Sitze waren zu den Windschutzscheiben katapultiert worden und die Holzharasse im Kofferraum war hin. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich ohne einen Kratzer davonkam. Vor Aufregung konnte ich kaum einschlafen. Es gab damals weder Sicherheitsgurten noch Airbags, dafür überlebte kaum jemand solche Zusammenstösse. Dann kamen noch zwei weniger gravierende Vorfälle, beide Male fuhr ich gedenkenabwesend auf eine stehende Kollonne zu und konnte jeweils nur mit einer Vollbremsung einen Unfall verhindern. Diese, sowie die Überzeugung, dass Autos nur die Luft verpesten, veranlassten mich dann, fortan im Leben auf ein Auto möglichst zu verzichten! Meine Abneigung gegen Autos, wurden dann auch zum Problem mit meinen späteren Ehefrauen. Aber ich bevorzugte ein eigenes Haus mehr als ein Fahrzeug, zudem 475 476 lagen beide kostenmässig nicht ganz in unserem Budget. Das heisst, ohne die teuren Reisen auf die Philippinen und dergleichen, wäre natürlich ein Auto schon noch drin gelegen! Ich suchte darum auch immer nach einer Wohnlage, die mir erlaubte, mit der Eisenbahn nach Zürich, an die Arbeit zu fahren.Bei einer Mietwohnung war das weiter kein grosses Problem, bei einem Hauskauf jedoch schon viel eher, denn jeder Kilometer näher zur Stadt, wurde entsprechend aufwändiger. Unser Häuschen in Winterhur war da eher bescheiden und doch schon recht alt. Delia träumte von einem neuen Haus und wir machten uns daran, Angebote zu studieren. Ein freistehendes Haus lag jedoch nicht im Bereich unserer Finanzen, ein Neubau war nicht unter einer Million Franken zu haben, und liess sich ein Haus darunter bauen, dann musste man sicher mit einem Auto an den Arbeitsplatz fahren! Im Jahre 1979, lasen wir von einem Projekt in Uster, Im Switzergut, dort plante ein kleiner GU eine Überbauung von etwa 21 Reiheneinfamilienhäusern, dabei waren immer nur drei Häuser zusammen und jedes Haus hatte unglaublich viel Raum! Voll ausgebauter Keller, Parterre, einen ersten Stock und einen Dachstock. Letzteren konnte man selber ausbauen, und jede Etage hatte um die 65 m2 Wohnraum. Wir kauften ein Haus ab Plan für den Festpreis von 315.000.- Franken, ohne Garage, die benötigten wir nicht! Aber inkl. Land und alle Kosten. Dazu aufzahlen mussten wir nur noch für die Dachfenster, sowie für den Umbau der Küche. Der Verkauf des alten Hauses war wegen dem „Schwarzgeld“ etwas mühsam, es kamen viele Interessenten, einer unterschrieb sogleich einen Vorvertrag, die andern gingen nach Hause, und am Montag stornierte der den Vertrag, weil seine Frau „Stunk“ machte! Wir mussten wieder neu beginnen, und fanden schliesslich einen Architekten, der sich mit den Konditionen einverstanden erklärte. Aber mehr als 20.000.- Franken verdienten wir am Deal nicht. Aber mit dem bereits amortisierten Betrag, schafften wir es problemlos, die 20% Anzahlung in Uster zu 476 477 leisten. Der Bezug in Uster verzögerte sich um ein paar Monate, und wir waren heilfroh, dass der neue Eigentümer in Winterhur, nicht termingemäss einziehen wollte. Anfang 1980 konnten wir schliesslich umziehen, mit den üblichen Baumängeln etc., das Reisebüro siedelten wir im ersten Stock an, die Lage dafür war sicher nicht optimal. An sich war das Ganze ein sehr gelungener Kauf, aber dann kam der grosse Schock! Die GU war insolvent geworden und die Handwerker meldeten ihre Pfandrechte an! Das Ganze wurde ein Fressen für die Anwälte, ich hatte noch eine Restschuld von 11.000.- Franken zu leisten, andererseits aber Handwerkerpfandrechte in doppelter oder dreifacher Höhe eingetragen! Eine Firma zog sich zurück und es verblieben mir nur noch die 11.000.- übrig, es konnte somit nicht viel geschehen, aber die Nachlassverwaltung nahm Jahre in Anspruch. Stolz sagte Delia ihrer Kollegin in Sirnach, eine Frau Ritter, sie besitze nun ein neues Haus, da fragte die Frau R. ob es ein freistehendes sei oder ein Block, beim Wort Block war die Delia wieder einmal beleidigt und beschwerte sich bei mir, dass sie auch ein freistehendes Haus wolle, weil die reiche Frau R. diese dumme Bemerkung machte. Dazu kam dann noch die Nachbarin, Frau D. Als sie ihr sagte, ihr Traum sei ein Winkelhaus mit einem Schwimmbad. Klar, dass ich fortan keine Ruhe mehr hatte. Dann geschah noch dieser dumme Unfall, Mutter war auf Besuch, Sonntagmittag gingen wir Spazieren, da blieb der Hausschlüssel drinnen stecken und Mutter liess die Tür zuschnappen! Wir konnten nicht mehr öffnen, als wir zurück kamen, schlug ich die Kellerscheibe ein und wollte das Fenster öffnen, aber ich hatte vermutlich nicht alles Glas rausgenommen, der Fensterrahmen fiel auf mein rechtes Handgelenk und zerschnitt die Sehne, das Blut spritzte nur so nach oben. Der Nachbar zur rechten Seite, legte sofort ein Tuch um mein Handgelenk und fuhr mich ins Spital Uster. 477 478 Dort wurde das Ganze genäht und ich konnte das Spital wieder verlassen. Aber für Delia war das der Anfang vom Ende in diesem Haus! §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 21 Das richtige Haus Für unser Reisebüro waren wir in Uster an einer recht ungünstigen Lage. Der Fussweg zum Bahnhof Uster war zwar auch nicht ideal, aber wohl noch das kleinere Übel. Delia wollte unter allen Umständen ein freistehendes Haus besitzen, davon 50% als ihr Eigentum eingetragen haben. Aber da gab es grosse Schwierigkeiten, einmal Bauland in einer guten Lage und zu einem vernünftigen Preis zu finden, das war fast unmöglich, sodann der Preis, ein neues Haus, freistehend in der Agglomeration von Zürich, war unter einer Million nicht zu schaffen. Delia ging auf die Suche nach Bauland, es war beinahe aussichtslos, entweder zu abgelegen oder dann horrend teuer! Ich schrieb auch an die Gemeinde von Effretikon-Illnau, aber auch die konnten oder wollten nichts anbieten. Da kam uns der Zufall entgegen, die Firma Göhner, hatte in Mönchaltorf eine permanente Ausstellung für Fertighäuser aus Deutschland, und wer ein Haus ab Fundament kaufte, konnte auch Bauland dazu kriegen! Die meisten Angebote, wie Möchaltorf selber, kamen für uns nicht in Frage, aber es gab da noch ein Stück Land in Volketswil Hegnau. Und das lag genau in 10 Kilometer Entfernung vom Paradeplatz in Zürich und war auch nur 10 Km vom Flughafen Kloten entfernt. Bis zum Bahnhof von Schwerzenbach waren es ebenfalls nur rund zehn Minuten zu Fuss. 478 479 Das konnte durchaus hinhauen, und ich war nun auch begeistert von diesem Angebot. Das Land reichte für neun freistehende Häuser, vier Parzellen waren schon vergeben, entlang der Autobahn wollten wir auch nicht, somit blieb nur noch eine Parzelle unten in der Wiese, dort graste ein Pony und wir sagten dem Herrn Benz:“dort wo das Pony grast, das wollen wir.“ Es gab dann noch ein Problem, weil Delia unbedingt ein Winkelhaus wollte, meinten die Göhnerleute vorerst, das Haus wäre zu gross für die Parzelle von 654 m2! Gut, wir stellten ein Ultimatum, wenn das Haus nicht reinpasst, dann kaufen wir nicht! Und siehe da, es ging nahezu auf den Zentimeter genau! Das zweite Problem war die Finanzierung, weil wir erst noch das Haus in Uster verkaufen mussten, war unser Geldvorrat noch gar nicht im Detail bekannt. Wir hatten rund 25.000.- Franken für eine Reise auf die Philippinen gespart, daraus wurde nichts, aber mit dem Erlös aus Uster und allen Erspanissen, konnten wir mit rund 120 bis 140 Tausend Franken rechnen. Das Bauland kostete allein um die 150.000.- plus Strassenanteil, der Pauschalkaufvertrag für das Haus inkl. Fundament sollte etwa bei 230 Tausend liegen. Der V.,Direktor der SC Filiale Uster, rief mich an, ich müsste doch den Baukredit über ihn machen. Leider sagte ich zu, was sich später als Nachteil erwies. Wenn somit das ganze Haus auf 400.000.zu stehen kam, waren wir mit unseren 30% gut dabei! Aber ich hatte noch nie ein Haus gebaut, diesmal als Bauherr sollte ich es erleben! Vorerst musste das alte Haus verkauft werden, und wieder, 1981, herrschte eine allgemeine Kreditsperre von Seiten der Banken. Erschwerend kam noch hinzu, dass wir ein Handwerkerpfand auf der Liegenschaft hatten. Allerdings wurde der fragliche Betrag durch eine Bankgarantie meinerseits sichergestellt. So, dass dem Käufer keinerlei Schaden entstehen konnte, nur waren die meisten Leute derart schlecht informiert, dass sie dabei ein rotes Tuch sahen und kalte Füsse kriegten Der Auflauf war gross, als wir an einem Samstagvormittag 479 480 zur Besichtigung einluden, alle wollten kaufen und sogleich am Montag auf ihre Bank gehen. Aber niemand meldete sich danach! Doch, da war einer, so ein schmieriger Kerl aus M. der Unterzeichnete einen Vorvertrag und sollte innert einer bestimmten Frist eine Anzahlung leisten, aber das tat er nicht, sondern wurde sehr frech und arrogant, indem er von mir eine Entschädigung für das Handwerkerpfand verlangte, dass ich ihm eine Bankgarantie geben wollte, ignorierte er, er drohte sogar mit seinem Anwalt, was für solche schmierige Leute ja normal ist. Ich drohte ihm dann meinerseits mit einer Schadenersatzklage wegen grobem Unfug und unnötiger Umtriebe! Schliesslich beantwortete ich die Einschreibbriefe dieses Idioten nicht mehr und hörte auch nie mehr etwas von ihm. Ich schrieb das Haus neu aus und erhöhte den Preis um 20.000.- auf 390.000.- Franken. Häuser von dieser Grösse konnte man bis 700.000.- Franken verkaufen, aber unseres hatte kaum Land und darum war es von Anfang an billig! Es meldete sich nur ein ernsthafter Interesent, der hatte eine Familie mit vier Kindern und wollte selber ein Haus bauen, er hatte somit bereits die Kreditzusage seiner Bank! Wegen der Kreditsperre, wurde dann aber das andere Projekt nicht ausgeführt, und er befand, dass unser Haus genau seinen Ansprüchen und Vorstellungen entspricht. Und er begriff auch sogleich das Vorgehen mit dem Pfand und war mit meiner Garantie mehr als zufrieden! Diese Familie F. erwies sich dann als wahrer Glücksfall, ich hätte keine besseren Käufer finden können! Und da sie zwanzig Jahrer später immer noch dort wohnten bewies, dass ich ihnen ein gutes Objekt verkauft habe. Den Dachstock hatte ich damals selber schon ausgebaut, als ich einmal den Nachlassvertrag studieren ging, es waren an die 12 bis 14 Bundesordner, erkannte ich erst jetzt, dass die Stadt Uster den Einbau der grossen Dachfenster gar nie bewilligte. Aber sie sind immer noch dort! 480 481 In Volketswil wurde den ganzen Sommer hindurch gebaut, erst musste das Land trocken gelegt werden. Etwa im Oktober sollten wir einziehen können, aber es wurde genau der 21. Dezember 1981! Und während der ganzen Bauperiode erhielt ich im Schnitt jeden zweiten Tag eine Rechnung die etwas mit der Bauerei zu tun hatte! Der Baukredit von 350.000.- war längst aufgebraucht, und die Haare, welche noch nicht weiss waren, wurden es im Laufe des Sommers. Ich führte einen ständigen Mehrfrontenkrieg, einmal mit der Firma Göhner, die den Preis überschritt, dann mit der SC Bank, die sich weigerte den Baukredit zu erhöhen, mit dem dummen Hinweis, der Kostenvoranschlag wäre massgebend! Dann mit der Telefondirektion, die erst in sechs Monaten neue Leitungen erstellen wollte, dann mit der Flurgenossenschaft, welche keine Entschädigung für die Trockenlegung leisten wollte. Dann mit der Gemeinde wegen der Baubewilligung, welche keine asymmetrischen Fenster erlaubte, mit dem Gesundheistsamt, das ausführte, das Haus müsse vor dem Bezug ein paar Monate austrocknen, und , und, ! Es war die Idee der Delia, für die Mutter eine Einliegerwohnung zu erstellen, obwohl uns diese bereits in Effretikon, in Winterthur und dann in Uster den Rücken kehrte und davonlief, besonders wenn es darum ging dem Rey zu schauen. Und ich wusste schon im voraus, es würde sich einmal mehr wiederholen. Aber die Delia war eben auch stur und einsichtslos, verglich alles mit den Philippinen. Als die Kosten bis gegen Fr. 550.000.- anstiegen, stoppte ich alle weiteren Aufträge, den Aussenumbau, den Dachausbau, die Heizung im Dachgeschoss, etc. dafür bestellte ich Baumaterialien für ein paar Tausend Franken, dann begann für mich Akkordarbeit und Frondienst! Während meine Nachbarn bereits im Januar bei der ZKB ihre Baukredite in Hypotheken umwandeln konnten, blieb die SC stur bei 9% Bauzinsen bis Juni 1982. Begründung, die Bauarbeiten wären noch nicht ganz abgeschlossen. Da 481 482 wurde ich aber sehr zornig, ich kündigte den Kredit per sofort und ging zur ZKB. Ich verlangte aber noch die Zinsdifferenz zurück, die ich so verlor! Erst wurde ich einfach abgewiesen, dann schrieb ich den obersten Herrn der SC, drohte mit Konsequenzen und den Medien etc. Da wurde sie gesprächiger, ich erhielt eine Einladung zu einer Aussprache an der Nüschelerstrasse. Dort empfing mich ein Direktor Schlauri, zuständig f+r besondere Streitfälle der mich erst mit Drohungen kleinkriegen wollte, aber das ging gründlich daneben, ich blieb hart und forderte den Betrag den sie mir geraubt hatten, so nannte ich ihr Vorgehen. Wir diskutierten lange hin und her, ich merkte, der hatte einen Auftrag, aber einen Kompromiss musste er sicher eigehen können! Ich machte ihn und wir fanden dann schnell einen Weg, den beide Parteien gutheissen konnten. Die SC zahlte mir rund 3000.zurück. An anderen Fronten focht ich ähnliche Zahlen aus, so etwa gegen die Göhner AG, hoffnungslos war der Krieg gegen den Spross, dort musste ich Beweise erbringen, dass es nicht so war und das hätte mich noch mehr Geld gekostet, so liess ich diesen Halsabschneider gewähren und zahlte 33.000.Franken für nichts, das heisst für etwas Erde und Kies im Garten. Schliesslich verblieben uns dann noch Hypotheken von ca. 450.000.- Franken, diese reduzierte ich auf 375.000.Um sie dann später wieder bis auf 425.000.- aufstocken zu müssen. Bei einem Marktwert von ca. 980.000.- bis ca. 1.4 Millionen, ist dies aber ein verträglicher Posten. Auf dem Höhepunkt der Liegenschaftenpreise, in den Jahren 1988 bis 92, lag der damalige Verkehrswert um die 1.2 bis 1.4 Millionen Franken. Doch darüber in einem anderen Kapitel. Natürlich musste auch ein Schwimmbad gebaut werden, gegen meinen Willen, nachdem alle Anwohner zugestimmt hatten, erhielten wir die Baubewilligung und ich konnte mit dem Aushub beginnen. §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ 482 483 Kapitel 22 Nochmals auf die Philippinen Wenn man verheiratet ist, berufstätig und von den täglichen Aufgaben völlig aufgesogen wird, vergeht die Zeit fast ohne Merkmale, man ist dann plötzlich fünf, zehn, fünfzehn und mehr Jahre verheiratet, ohne, dass man noch etwas von dieser „schönen“ Zeit weiss! Man fragt sich später: „Was habe ich in diesen 30 Jahren überhaupt gemacht?“ Fünf Tage die Woche schuftete man im Geschäft, oft sah ich meinen Sohn nur an den Wochenenden, dann, an den Sonntagen ging man in den nahen Wald spazieren und die gute Luft einatmen. Kaum wieder zu Hause, standen Arbeiten am Haus, im Garten oder wie bei uns im Reisebüro an. Grundsätzlich stand ich während all den Jahren in einem Dauerstress, ich hatte stets Arbeit für 24 Stunden, aber es blieben täglich nur deren 12 bis 14 Stunden dafür übrig. Superkluge werden sagen, da mache man eben etwas falsch! Das ist mir später auch klar geworden, wenn man aber eine Frau hat, die über grosse finanzielle Ambitionen verfügt, ist man nun einmal immer auf der Suche nach dem grossen Geld. Und Frauen aus armen Ländern, sind fast immer geldgeil veranlagt, die Regel von der Ausnahme mag es auch geben? Im Gegensatz zu jenen in den industrialisierten Ländern, kennen sie die Grenzen nicht, weil sie sich gewohnt sind, dass es fortan immer nur aufwärts geht! Ich muss zwar betonen, dass ich selber eine ähnliche Laufbahn hinter mir hatte, jedoch war ich genügsamer veranlagt. 483 484 Ab dem Jahr 1983, wurden die Umsätze des Reisebüros immer besser, und wir konnten uns bereits aufwändige Studienreisen leisten. Seit 1976 waren wir nie mehr auf den Philippinen, inzwischen starb auch der Vater von Delia, auch der Grossvater war nicht mehr unter den Lebenden. Über den Philswiss Club kam ein U.Z. auf uns zu, der wollte unbedingt eine Frau aus den Philippinen heiraten, er machte ein Inserat in einer Zeitung in Manila und erhielt eine menge Post. Schliesslich hatte er noch zwei geeignete Frauen zur Wahl, beide wollten ihn schliesslich heiraten, eine hatte einen Bachelor Abschluss. Da rief er mich an einem Sonntagmorgen an und fragte: „welche soll ich nun heiraten?“ Da er etwas von einem Deppenimage zeigte, schlug ich ihm vor, die Nichtakademikerin zu heiraten. Dann ersuchte er mit uns nach den Philippinen zu fliegen. Es wurde eine lustige Reise und er war heilfroh mit Leuten reisen zu können, die das Land schon etwas kannten. Wir fuhren mit dem TGV von Lausanne nach Paris, Gare de Lyon, schon im Zug erfuhr er dann einen Anschiss von mir, er vergass einen seiner Koffer im anderen Wagen. Fortan überwachte ich ihn wie einen Rekruten im Militär. Er hatte keine andere Wahl als meine Anordnungen zu befolgen. In Manila logierten wir im Dakota Mansion, der UZ wollte sich ins Nachtleben stürzen, aber der Rey vermaselte ihm das ganz schön, er sagte ihm:“wenn du ausgehts sage ich das deiner Braut“. Sie wartete in Cebu City auf ihn. In Cebu angekommen, trafen sich die beiden Heiratskandidaten das aller erste Mal. Wir liessen sie etwas alleine und wollten sie erst wieder auf dem Zivilstandsamt von Cebu treffen. Dort wollten wir dann die Heiratsvorbereitungen organisieren, aber es gab ein Problem, der Heiratsfähigkeitsausweis fehlte, diesen sollte er von der Botschaft anfordern, aber das konnte Wochen in Anspruch nehmen! Und wir hatten nur drei Wochen Urlaub gebucht. 484 485 Wir diskutierten hin und her, ohne Erfolg, da erinnerte ich mich, dass man auf den Philippinen mit Geld sehr viel bewegen konnte! Ich fragte den Beamten, ob es keine Ausweichmöglichkeiten gebe? Er schaute mich etwas seltsam an, ich glaubte diesen Blick von früher zu kennen! Ich sagte dem UZ:“du musst ihm etwas schmieren!“ Dieser in aller Lautstärke auf Schweizerdeutsch:“Wieviel?“ Ich hielt ihn an leiser zu reden, denn alle andern Beamten schauten jetzt zu uns hinüber. Er nahm erst hundert Pesos aus dem Geldbeutel, aber ich sagte ihm sogleich, dass das nich genüge, ich glaube er reichte dann 500.-oder Tausend Pesos, die ich dann in einem Papierumschlag sanft über den Tisch schob. , Der Beamte lächelte, zeigte mir dann einen Absatz im Gesetzbuch, wonach eine Trauung trotzdem stattfinden könne, wenn das Dokument fehle und die Botschaft es nicht liefere! Ja, genau das erwartete ich von ihm und ich lobte ihn in den höchsten Tönen, dass er ein sehr fähiger Beamter ist!Er sagte nur noch, die beiden könnten schon am nächsten Tag heiraten! Der UZ wollte uns als Trauzeugen, aber wir flogen am nächsten Morgen nach Dumaguete und das Paar wollte auf unsere Rückkehr warten. Als wir jedoch nach gut einer Woche zurück kamen, waren die bereits verheiratet, angeblich habe man ihnen gesagt, sie müssten schon am darauffolgenden Tag die Ehe schliessen. Und sie hielt nach 25 Jahren immer noch an! Der Rückflug verlief auch nicht schlecht, jedoch hatten wir wohl etwas Glück, denn nach Dubai begann das Flugzeug plötzlich zu hüpfen und zu „husten“, der UZ sass weiter vorne und sagte später, riesige Flammen seien aus einem Triebwerk geschossen! Das Triebwerk wurde abgestellt, und wir flogen problemlos bis nach Zürich weiter. Wir hatten einen Fluggast ab Paris mit diesem Flugzeug, (wegen Vorschriften, durfte man damals in Zürich nicht zusteigen sondern nur aussteigen). Dieser flog dann eine ganze Woche durch Europa, weil das Flugzeug immer wieder repariert 485 486 werden musste, die Triebwerke waren hin! (Philippine Airlines). §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§ Kapitel 23 Auf dem Kriegspfad Unser Reisebüro kannte schon von anbeginn die Feindseligkeiten und Schmierenparolen der Konkurrenz. Wir hatten noch kaum Flugscheine verkauft, als uns bereits ein zweiseitiger Drohbrief vom Amt für Luftverkehr aus Bern erreichte. Darin wurde uns vorgeworfen, dass wir Flugtickets unter den in der Schweiz genehmigten Preisen nach Manila anbieten! Da waren sie bei mir an der richtigen Adresse, ich konterte scharf zurück, beschuldigte sie mafioser Methoden und übler Machenschaften, weil sie den armen Clubmitgliedern zuviel Geld aus ihren Taschen zogen, wenn diese einmal nach Hause fliegen wollten. Das war im Jahr 1976, die Korean Air flog neu von Zürich via Manila nach Seoul. Wir konnten die Flugscheine in London sehr günstig einkaufen, mit Abflug ab Zürich kosteten diese rund fünfhundert Franken weniger als bei Danzas. Und weil verschiedene Krankenschwester ihre Flüge bei Danzas stornierten und zu uns kamen, war auch klar, wer da in Bern den schwarzen Peter spielte. Die grosse Firma wollte den kleinen Verein auslöschen! 486 487 Aber der Kleinkrieg dauerte an, und solange wir nur ein Verein waren, wollten uns die neu enstandenen Brockerfirmen in der Schweiz auch nicht direkt beliefern. Mit Westminster Travel in London bezogen wir während Jahren Flugscheine, und wir sahen diese Leute nie, aber wir hatten mit ihnen nie Verluste zu verzeichnen. Nur einmal, da gingen die Flugscheine auf der Post verloren, und wir mussten Ersatz verlangen. Das führte dann zu einigen Problemen. Aber grundsätzlich arbeiteten die Leute dort vorbildlich und wir waren auch stets gute Zahler. Ab 1979 waren wir dann auch im Handelsregister eingetragen und konnten offiziell als Reisebüro auftreten. Wir bezogen unsere Flugscheine von fast allen Brokern in der Schweiz und Westeuropa, von Milano bis Hamburg, und von Wien bis London. Zwei andere Filippinas, welche sich als Reisebüro etablierten, begannen gezielt mit Mobbing und Falschmeldungen gegen uns zu agieren, das führte bis zu Drohbriefen mit Bombendrohungen im Text! Aufgabe von gefälschten Inseraten im Tagesanzeiger, darin wurden bewusst viel zu tiefe Preise nach Manila angeboten und der Direktor der PAL, ein E.R. kam prompt auf uns zu. Der Tagesanzeiger verzichtete immerhin auf die Zahlung, weil grober Unfug, ja, eine strafbare Handlung vorlag! Ich traf den PAL Manager im Hotel Zürich, er zeigte sich kompromissbereit, indem er uns Zugang zu den Brockerpreisen versprach. Aber das war gelogen, er wollte mich nur ruhig stimmen. Dabei liess ich ihn wissen, dass ich sehr ungemütlich werden könnte, sollte er sich erlauben, mich über den „Tisch zu ziehen“ und unsere Büro zu verarschen! Und er tat es, indem er einem Kollegen und Gemüsehändler aus seinem Dorf , Flugscheine gab, zu Preisen, die wir nicht erhielten! Ich stellte eine Falle, zwar war mir bekannt, dass Tonbandaufnahmen vor Gericht nur zugelassen sind, wenn die andere Seite zuvor das OK, gegeben hat! 487 488 Das war aber in diesem Fall unmöglich, ich stellte mich als Fluggast beim Gemüsehändler vor, dieser prahlte glattweg, von seinen besonderen Beziehungen zum PAL Manager. Genau das wollte ich haben, ich kontaktierte die Redaktion des Reisebüromagazins. Ein Journalist kam mich in Zürich besuchen. Er nahm von der Story Kenntnis und brachte dann eine Doppelseite sowie die Titelseite mit dem PAL Flugzeug. Das schlug ein wie eine Bombe! Der Manager eilte zu seinem Anwalt, und dieser wiederum sandte mir seine üblichen Drohbriefe. Ich machte damals noch einen Fehler, der mir ernsthafte Probleme hätte einfahren können. Ich schrieb einen sehr agressiven Brief an die Generaldirektion der Philippine Airline in Manila! Beschuldige ihren Manager krimineller Machenschafte und verlangte seine Absetzung. Das alles wäre soweit nicht schlimm gewesen, hätte ich es nicht auf dem Geschäftspapier der OSEC geschrieben. Natürlich startete der Manager einen Frontalangriff, sowohl gegen mich, wie auch auf die OSEC . Ich musste vortraben, ja, ich hätte den Brief in der Mittagspause geschrieben und kein neutrales Papier gefunden, das war sachlich richtig aber doch eine eine Ausrede. Soweit so gut, aber dadurch wurde auch noch die OSEC mitangeklagt, ich sass in einer Zwickmühle wie schon lange nicht mehr, da war nun wirklich etwas schief gelaufen. Mit einem Schönwetterbrief distanzierte sich die OSEC von meiner Firma, nahm meine Angaben ebenso als Ausrede, danach beschränkte sich der Manager auf mich, indem er mich beschuldigte, ich würde seine Existenz ruinieren! Ich blieb natürlich keine Antworten schuldig, beschuldigte meinerseits den Manager des Betruges und der Scharlatanerie. Nach ein paar Wochen versandete das Ganze ohne irgend ein Resultat. Der Manager verzichtete angesichts der vielen Beweise gegen ihn, auf ein Gerichtsverfahren gegen uns. Und ich machte geltend, dass ich noch sehr schwerwiegende Beweise habe, die ihn sogar hinter Gitter bringen könnten, 488 489 das war nur Bluff, aber anscheinend wirksam, denn nichts ist gefährlicher, als ein unbekannter Feind! Ein anderer ewiger Feind von uns war die holde Swissair! Mit dieser waren wir schon von Anfang an, bis zu ihrem unrühmlichen Ende, immer im Clinch geblieben. Die Swissair belieferte grundsätzlich nur IATA Reisebüros, von den vielen Reisebüros in der Schweiz, waren aber höchstens 30% IATA Mitglieder, kleine Firmen konnten schlichtweg die Aufnahmebedingungen nicht erfüllen. Meistens verkauften wir Graumarkt Flugscheine, da erhielten wir vom Grossisten bis 14% Kommission, in der Regel gaben wir die Hälfte der Provision den Kunden weiter und konnten so günstiger anbieten. Normalpreistickets mussten wir bei einem IATA Büro einkaufen, das gab oft nur 2 bis 5% Kommission, darum war es dann unmöglich diese noch günstiger abzugeben. Dabei stellten wir fest, dass viele Kunden, diese Flugscheine beim Kuoni etc. kauften, wenn sie bei uns gleichviel zu zahlen hatten! Eine Mentalität, die mir oft zu denken gab! Delia hatte die Angewohnheit, potentielle Kunden, oder auch bestehende Kundschaft, zu einer Mahlzeit einzuladen, in den allermeisten Fällen waren es Schweiz-Philippinen Paare. Die Mehrheit verhielt sich anständig, aber es gab da doch einige, die sich von ihrer übelsten Seite her zeigten. Ein Paar aus dem Zürcher Oberland, das wir schon lange kannten, das aber nie bei uns buchte, lud Delia zu einer reichhaltigen Mahlzeit ein. Das Paar griff tüchtig zu und ass königlich, mit Nachspeise etc. Wer nun aber denkt, zum Dank dafür, habe der Mann bei uns gebucht, irrt sich! Von einem Bekannten erfuhren wir, dass der Kerl seine Tickets anderswo kaufte und sogar noch mehr zahlen musste. Als ihn der Bekannte fragte, weshalb er nicht bei BTS gebucht habe, soll der doch tatsächlich folgendes gesagt haben: „Also, weshalb soll ich bei denen buchen, wer ein derart teures Haus hat, benötigt doch kein Geld!“ $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 489 490 Kapitel 24 50 Jahre alt Das Jahr 1988, war nicht nur das Todesjahr meiner Mutter, dreissig Jahre KV-Mitgliedschaft mit dem Veteranendiplom, sowie 30 Jahre kaufmännische Tätigkeit, sondern auch noch mein 50. Geburtstag! Seit ich den Job bei der OSEC versah und verheiratet war, schien mein Leben nur noch schablonenhaft zu verlaufen, ohne viel Abwechslung, täglich die Fahrt mit der S-Bahn Zürich und zurück, dann die Fusswege zum Bahnhof, einmal ging ich den Weg der Strasse entlang, am Abend jedoch über den Steg des Chimlibaches und den Einfamilienhäusern vorbei, um dann die Ackerstrasse von hinten zu erreichen, so ergab das doch etwas Veränderung in den grauen Alltag. In Zürich, weil am frühen Morgen noch nicht ganz wach, nahm ich den Weg über die Bahnhofbrücke, dann die Stampfenbachstrasse hinauf, am Abend jedoch, da wagte ich es über den Steg der Sihl und zum Platzspitzareal. Als noch die Drogenszene war, prüfte ich zuvor immer, ob der Steg voller Süchtiger war, denn die hatten auch noch grosse Hunde bei sich. Und oftmals zog ich es vor, doch lieber den Umweg über die Bahnhofbrücke zu nehmen. Aber es gab auch Momente, da ging ich einfach entschlossen an den vielen jungen Leute am Boden kauernd vorbei. Und ich blieb immer unbehellicht, sowohl von den Hunden wie auch von den Drogensüchtigen. Und weil Delia mit der Arbeit im Reisebüro nie vorankam, hiess es für mich nach dem Nachtessen noch die wichtigsten 490 491 Anfragen zu erledigen, Tarife zu berechnen, etc. Ich machte auch die Werbung und den Newsletter für den „Philswiss Club“, wer bei uns einen Flug buchte, wurde automatisch Mitglied und musste keine Beiträge entrichten. Dieses Vorgehen war wohl die einzig richtige und gangbare Lösung, denn die Disziplin unter der Kundschaft liess mehr als zu wünschen übrig. Ein Ausflug auf die Insel Mainau mit Schiff-Fahrt auf dem Bodensee, wurde mit einem Anmeldetermin ausgeschrieben, aber keine einzige feste Anmeldung war bis Meldeschluss zu verzeichen, dafür dann ein zwei Tage vor dem Ausflug! Das Gleiche war der Fall zum Europa-Park, zum Mini-Swiss nach Melide, nach Engelberg, nach andern Destinationen, bis ich dann endgültig genug hatte und so um 1989 den Bettel hinschmiss. Während Jahren hatten wir, der „Philwiss-Club“, meistens beim Seebad in Greifensse, einen „Picknick-Tag“ im Programm. Und wenn da gegen 120 Leute kamen, war das Badeareal voll besetzt! Ich wunderte mich lange, weshalb die Behörden nie Einsprache erhoben, denn die Einheimischen hatten jeweils keinen Platz mehr, aber vermutlich wussten sie gar nicht, wer das organisiert hatte? Dann war da noch der grosse Garten ums Haus, den ich nur rudimentär bearbeiten konnte. Das arbeitsaufwändige Schwimmbecken hatte ich schon vorher zugeschüttet. So gegen 21 Uhr machte ich in der Regel auch Feierabend, schaute noch Fernsehen, denn zu mehr war ich nicht mehr fähig! Mit 50 zählt man aber im Westen auch schon zum alten Eisen, wie es so schön heisst. Und ich musste zugeben, meine beruflichen Ziele hatte ich bei weitem nicht erreicht! In diesem Alter rutschte der Karrieremensch vom Manager zum Direktor und darüber hinaus! Und ich rutschte immer auf dem gleichen Sessel herum, klar, wollte ich Karriere machen, war ich eindeutig bei einer dafür untauglichen Firma und hatte den falschen Job gewählt. 491 492 Aber das wusste ich ja bereits 1969, als ich diese Stelle antrat, wegen meiner gesundheitlichen Probleme riet mir der Oberarzt in Frauenfeld, eine leichtere Arbeit zu übernehmen. Und diesen Rat befolgte ich fast zwangsläufig, wenn auch widerwillig! Im Lauf der Jahre versuchte ich es mehrmals mit einem besser bezahlten Job, zog meine Kandidatur aber meistens vorzeitig zurück, weil sich immer dann die Probleme häuften, nervöse Magenkrämpfe, hoher Blutdruck, wenns um die Wurst ging! Dann erinnerte ich mich an die Worte von Dr. Beck in Zürich:“Mit ihrem Bludruck werden sie höchstens 37 Jahrer alt!“ Ich war damals 32 und er gab mir noch fünf Jahre! Also, musste ich aus einer Zwanslage das Beste daraus machen! Ich hatte eine interessante Arbeit, den weltweiten Bezugsquellennachweis der Schweizer Exportproduktion, empfing Leute aus der ganzen Welt, erhielt Telefonanrufe in allen möglichen Sprachen, schriftliche Anfragen und auch die Problemfälle der Botschaften, Konsulate und Handelskammern. Die Arbeit war sicher genau nach meinem Gusto und gefiel mir auch sehr gut, weniger gut gefielen mir die andern Mitarbeiter, nur allzuoft wurden da „Ladenhüter“ angestellt, erfolglose Juristen, gefeuerte Manager, gesundheitlich Angeschlagene wie ich, „trockene“ Alkoholiker, die es aber noch gar nicht waren. Aber auch Kader von bankrotten Firmen, die oft am Konkurs der Firma mitschuldig waren und dann bei uns mit der grossen Kelle anrühren wollten, so musste ich einmal einem solchen „Könner“ direkt sagen, dass ich von Einem, der bereits beruflich derart versagt hat, keine Ratschläge entgegen nehmen wolle. Dass dieser mich danach nicht mochte liegt auf der Hand. Unsere Abteilung konnte kaum Einnahmen verzeichnen, darum galten wir auch entsprechend wenig in der Organisation OSEC. Ich nannte sie sarkastisch:“Organisation sexuell entgleister Chaoten“, in Wirklichkeit hiess sie aber:“Office Suisse d’Expansion Commercial“. Deutsch:“Schweizerische Zentrale für 492 493 Handelsförderung“, Englisch:“Swiss office for trade promotion“. Weil aber unsere Welschen Kollegen in Lausanne, nur mit Samthanschuhen angefasst werden durften, mussten wir aus Rücksicht die französische Version verwenden. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 25 Genug von Kreuzfahrten Unsere Ehe war nur noch eine Interessengemeinschaft, oder besser noch: eine GmbH. Aber damit Sohn, Haus und Geschäft zusammen blieben, erschien es mir durchaus logisch, einfach so weiter zu leben. So, wie das heutezutage schon fast Usanz ist, man hat sich nichts mehr zu sagen und findet sich damit ab. Delia pflegte seit den ersten Tagen oft zu fragen:“Wirst du mich nie verlassen?“ Und meine Antwort war immer gleich:“Natürlich nicht“. Etwa nach 15 Ehejahren wurde diese Frage kaum noch gestellt. Da ich grundsätzlich meine Versprechungen immer einhalte, galt das auch für die Ehe. Irgendwie würde ich schon einen Weg finden, um innerhalb der Ehe meine Freiheiten zu haben. Das taten ja andere Eheleute auch, er flog mit dem Kegelklub nach Santo Domingo, sie mit dem Frauenclub nach Kenya. Delia war seit Jahren ganz wild auf Kreuzfahrten, anfänglich war das noch interessant, weil man so viele Ziele ansteuern konnte. Aber ihr Interesse galt mehr dem Leben 493 494 an Bord, diese grenzenlose Fresserei, die inhaltslosen Anlässe an den Abenden, die Flirterei mit der Besatzung. Einige Male spielte ich auch mit, meistens war ich dann der Clown, natürlich endete das immer mit einem Riesengelächter. Bald aber hatte ich genug von diesen hirnlosen Shows, ich verkroch mich ins Kino und genoss als einziger Gast irgend einen Film, das war dann für mich die Lebensqualität der Kreuzfahrt. Oder ich zog mich zurück in die Bibliothek, traf dort auf 85jährige Engländerinnen und führte mit diesen interessante und kluge Gespräche. So auch mit einer Lady, die sich während dem 2. Weltkrieg in London bei BBC als Radiosprechering betätigte. Das war natürlich Musik für einen verhinderten Geschichtsforscher, und wir unterhielten uns stundenlang, wie die BBC die Meldungen der französischen Partisanen verbreitete, die Landung in der Normandie, die Schlachten in aller Welt und wie damals die Stimmung in London war. Als die damals junge Frau nachts nach Hause ging, habe sie oftmals auf der Strasse in Deckung gehen müssen, wenn etwa deutsche Bomber angriffen oder V1 und V2 Raketen heranheulten. Ja, das war Geschichte „Life“ und da die Frauen schon über 80 waren, hatte ich auch von Seiten der Delia keine Probleme damit! Ich genoss die Ruhe im Kino oder in der Bibliothek, während oben auf Deck der Teufel los war, laute Musik, Geschrei wie in einem Affengehege. Delia beschwerte sich bei mir, was für ein langweiliger Kerl ich doch wäre, der es vorziehe einen Film anzuschauen oder mit alten Weibern über einen Krieg zu plaudern der ja noch vor ihrer Geburt stattfand. Ja, unsere Interessen waren sehr unterschiedlich, ich wollte zu Fuss durch die Wälder wandern, sie aber in einem abgasstinkenden Auto durchs Land rasen. Nein, ein Auto kaufen, das wollte ich nicht, wozu auch? Schliesslich verkaufte ich im Februar 1968 meinen Opel in der Absicht, nie mehr ein Auto zu kaufen. Zudem schlug ich mich damals mit der Gründung einer Umweltschutzpartei herum, und da musste ich als Vorbild 494 495 dabei sein. Weil sich auf meine Inserate aber nur eine Person meldete und das erst noch ein Kollege, der meine Postfach Nummer kannte, liess ich es beim Vorhaben und gründete dann die „Europäische Föderalistische Partei“ des Kantons Zürich. Delia hatte kein Verständnis für derartige Anliegen, schliesslich hatten die anderen Filippinas auch ein Auto, darum musste sie auch eines haben! Für diese Zwängerei fehlte mir aber die Einsicht. Sie meinte, die andern würden ja doch auch keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen, weshalb also nur sie und ich? Wir wurden darin nie einig, zu weit auseinander waren unsere Positionen! Es kam der Tag, an dem ich ihr sagte, sie solle alleine auf Kreuzfahren gehen, denn es gab Fälle, da legte ich während einer Kreuzfahrt von 15 Tagen, ganze 15 Kilo an Gewicht zu! Die Wage zeigte jeweils weit über die 100 Kilo hinaus, das war eher Frust als Lust am Anlass! Zudem war das sinnloser Massentourismus, was mich auf längere Zeit kaum befriedigen konnte. Lieber fuhr ich mit einem Frachtschiff über die Meere, das taten wir einmal ab Barcelona mit einem alten Schiff. Zehn Tage bis zu den Kanaren und auf die diversen Inseln dort, dann wieder zurück, das war ganz nach meinem Gusto. Aber Delia vermisste eben den ganzen Tam Tam, konnte nicht schlafen, weil sie immer dachte, das knarrige Schiff falle auseinander. OK; wir einigten uns dann soweit, dass sie alleine auf die Kreuzfahrten gehen solle, ich durfte dafür alleine nach Manila fliegen. Dass das auch nicht gut gehen konnte, liegt schon fast auf der bekannten Hand. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 495 496 Kapitel 26 Fernost und China Das Reisebüro hatte eine gute Seite, alle unsere Studienreisen, die wir auf Kosten der Firma durchführen konnten, wurde auch von diesem finanziert. Und es war absolut legal, auch aus steuerlicher Sicht, denn Delia und ich mussten uns die Länder erst anschauen, die wir andern Leuten anboten. Und wenn Rey auch davon Nutzen zog, dann war das wiederum in Ordnung, denn er sollte ja die kaufmännische Lehre in unserem Büro absolvieren. Nach dem Tod von Mutter konnten wir auch wieder längere Auslandreisen unternehmen, für Juni 1989 planten wir eine sehr ausgedehnte Reise nach dem Fernen Osten und dazu eine Chinareise. Kostenmässig war das die teuerste aller Reisen, mehr als 30.000.00 Franken, genau weiss ich das auch nicht mehr! Wir flogen nach Möglichkeit mit der Singapur Airline, weil diese uns am meisten Rabatt gewährte, zudem aber auch einen vorzüglichen Service bot. Wir flogen bis nach Singapur, dort gabs eine Stadtbesichtigung und einen Ausflug auf die Sentosa Insel. Eine andere Reise ging nach Johor Bharu, in Südmalaysia. Dann flogen wir von Singapur nach Osaka, Japan, die Hotelpreise waren exorbitant hoch, da hiess es möglichst schnell weiter reisen! Wir gingen zum Bahnhof um die Bahntickets nach Tokyo für den nächsten Tag zu lösen. Rey blieb im Hotel, wollte angeblich schlafen, als wir aber zurück kamen, hörten wir ein eindeutiges Stöhnen im Zimmer, er schaute sich einen harten Pornofilm an. In Japan gehört das, wie die Bibel bei uns, in jedes Hotelzimmer. Aber wir stellten das sogleich ab und gingen danach auswärts essen. 496 497 Als wir am nächsten Tag auscheckten, sagte der Mann, wir hätten noch einen Film geschaut, das koste etwas mehr. Ich erklärte ihm den Fall und er liess das sogleich weg. Gespannt warteten wir auf dem Bahnhof von Osaka auf die Einfahrt des bekannten Shinkansen Zuges. Und er kam pünktlich, wir standen an der Wagen Nummer, wo wir einsteigen sollten. Er hielt fast auf den Zentimeter genau dort an, und wir konnten problemlos einsteigen, nach zwei Minuten fuhr er weiter nach Kioto. Die Fahrt verlief fast lautlos und alles schien bestens zu funktionieren, wiederum auf die Minute genau trafen wir in Tokyo ein. Wir mieteten gleich im Bahnhofhotel unser Zimmer, im Untergeschoss waren zahlreiche Restaurants und man konnte dort zu günstigen Preisen gut speisen. Seit meinem letzten Besuch in Tokyo waren immerhin 24 Jahre vergangen, die Stadt war einfach noch viel grösser und wuchtiger als damals. Zum Flughafen konnte man mit dem Zug fahren, am Schalter wollte man uns keine Tickets verkaufen, es wurde auf die Ticketautomaten verwiesen, aber da war alles nur auf Japanisch geschrieben. Ich ging wieder zurück und reklamierte, aber es nützte nichts, wir sollten die Tickets am Automaten beziehen! Da erinnerte ich mich an eine Eintragung im Polyglott-Reiseführer, da hiess es, man solle einfach das billigste Ticket nehmen und einsteigen. Das taten wir dann auch und fuhren zu einem sehr günstigen Preis zum Airport. Ohne Ticket kann man nicht einsteigen, weil die Sperren das verhindern. Von Tokyo flogen wir nach Taipei, Taiwan, bei der Passkontrolle erhielt ich von der kleinen Chinesin einen Anschiss, ich hatte beim Visaantrag auf meinem Formular irrtümlich das Geburtsdatum von Rey eingetragen:“Your are not 16 years old“ zischte sie mich böse an, ich lachte und entschuldigte mich. Die Hotelpreise waren hier etwas christlicher als in Japan, dass zum Beipiel Spanisch in Fernost nicht zählt, erlebte ich dann im Hotelrestaurant, zwei argentinische Geschäftsleute wollten etwas bestellen, aber man konnte sie einfach nicht 497 498 verstehen, da half ich aus und sie waren hoch erfreut, dass hier doch noch jemand ihre Sprache konnte.Ein geführter Ausflug brachte uns nach Wulai, tief in den Bergen von Thaiwan, wo wir einer Tanzdarbietung der „Eingeborenen“ beiwohnen durften. Die Ureinwohner auf Thaiwan stammen aus dem polynesischen Raum. Der Flug bis Hongkong war von kurzer Dauer, wir wohnten in einem fünfsterne Hotel, allerdings mit der üblichen Ermässigung für Reisefachleute. In der Regel erhielt man bei den teuren Hotels 50% Rabatt, der Aufenthalt war dann immer noch teuer genug. Von einem lokalen Reisebüro hatten wir eine komplete Chinarundreise gebucht. Das war so wesentlich billiger als etwa in Europa zu buchen. Anfangs Juni war das Tianmen „Massaker“ in Peking, noch wussten wir zwei Wochen danach nicht sicher, ob wir die Reise antreten konnten? Es ging, wir konnten wie geplant losfliegen, erst nach Shanghai, dann nach Peking, Xian, Guilin, Kanton und wieder nach Hongkong. Wir waren fast die einzigen westlichen Touristen im Land, es herrschte eine bedrückende Stimmung. Auf dem Tianmen Platz wurden laufend Leute von Polizei und Militär abgeführt, In Kanton kauften wir diverse Möbel ein, Fracht und Zoll via Genua, machten fast soviel aus, wie die Möbel selber. Die meisten grossen Hotelblöcke waren leer, in Peking röstete man unsere Toasts mit einer Kerze! In Guilin fielen uns die vielen hübschen Verkäuferinnen in den fast leeren Warenhäusern auf. Noch konnten wir nicht ahnen, dass Rey 13 Jahre später just eine Frau aus Guilin heiraten würde. In Singapur machten wir noch einen Abstecher nach Kuala Lumpur, dann gings wieder Richtung Europa, wir hatten nach fast einem Monat Reisen genug. Und für mich waren alle diese Komfortreisen nur ein Hauch von dem, was ich früher als Einzelreisender erlebte. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 498 499 Kapitel 27 Ägypten Um das Jahr 1990 war eine Ägyptenreise geplant, noch ahnte ich nicht, dass es unsere allerletzte im Familienkreis sein sollte. Vielmehr dachte ich, wir hätten nun eine neue Form von Partnerschaft für unsere Ehe gefunden. Mein letzter Besuch in Ägypten ging auf das Jahr 1963 zurück, seither waren immerhin 27 Jahre verstrichen. Delia und Rey waren zudem noch nie dort, und alle freuten sich auf diese Bildungsreise. Der Flug führte uns erst nach Hugharda am Roten Meer, wir wurden von einem Minibus abgeholt und durch die Felsenwüste nach Luxor gefahren, eine gänzlich unbewohnte, gebirgige Landschaft, wie leicht hätte man uns da überfallen können, aber es geschah nichts und wir erreichten Luxor heil. Wir hatten uns im Hotel, in dem man uns hinbrachte, schon fast eingerichtet, als der Reiseleiter kam und meldete, man habe uns ins falsche Hotel geführt. Das „richtige“ Hotel war nur unweit davon entfernt, als wir unsere Sachen auspackten, bemerkten wir, dass wir unsere Nachtwäsche im ersten Hotel unter den Kopfkissen vergessen hatten! Also musste man zurück und das noch abholen, ich raste durch die Nacht von Luxor und war schon bald wieder mit der vergessenen Wäsche zurück. Das war nun wirklich unnötiger Urlaubsstress schon zu Beginn! 499 500 Am ersten Tag führte uns der Reiseleiter ins Tal der Könige, sicher etwas vom eindrücklichsten jeder Ägyptenreise. Beim Hatchesouptempel hielt uns der Reiseleiter einen langen Vortrag über die Geschichte dieses Gebäudes. Damals herrschte eine durchwegs friedliche Stimmung, Kameltreiber führten die Touristen durch das grosse Tal. In allen Ecken standen Gruppen von Touristen, welche mehr oder weniger aufmerksam den Ausführungen der Führer zuhörten. Man hatte so eine Art von Gefühl, wie es damals vor etwa 5000 Jahren wohl sein mochte und war dementsprechend tief beindruckt. Etwa 12 Jahre später, wurden genau dort rund hundert Touristen von Terroristen erschossen oder verletzt! Die vielen Tempel in Luxor waren eine weitere Wucht, dabei zeigte uns der Leiter anhand der Steinornamente, dass es schon damals Pornographie gab!Luxor hat auch viele riesengrosse Minarette, und als die Sonne blutigrot am Horizont verschwand, riefen die zahlreichen Muezzine mit Lautsprechern verstärkt zum Gebet auf. Für uns „Ungläubige“ hörte sich das an, als würden die Ärmsten ohne Narkose kastriert! Aber unser Leiter konnte uns diese Befürchtungen ausreden. So weit ich mich erinnere, flogen wir dann nach Assuan weiter, natürlich musste man den neuen Standort von „Abu Simbel“ sehen, am wenisten Überraschung bot der Nasser Staudamm, der war allen bereits bestens aus den Medien bekannt. Von Assuan aus begann die Reise nach Kairo, zwei aus unserer Gruppe durften fliegen, die andern waren auf dem Zug gebucht. Ein Zuger und Rey wurden dann zum Flug zugelassen, wir andern mussten mit dem langsamen Zug fahren. Die zwei konnten in Kairo in einem Fünfsternehotel genüsslich schlafen, während wir in den ungemütlichen Sitzen der Eisenbahn eingeklemmt waren, und am nächsten Morgen stand der Zug mehrere Stunden etwa 50 Kilometer vor Kairo. Am Nachmittag waren wir dann auch im Hotel. Die Pyramiden und das Ägypten Museum waren dann für mich eher Routine, hatte ich doch diese Stätten damals sehr 500 501 gründlich angeschaut. Zu den Pyramiden ging ich zu Fuss, und im Museum verbrachte ich den ganzen Tag. Allein sieht man nun einmal mehr als in einer Gruppe, und man kann sich viel besser in die mamalige Zeit hineindenken. Die Gruppe stört mit den verschiedenen Auren, zudem wird man andauernd von Sprüchen und Witzen abgelenkt. Das ist für einen wie ich, der sich sehr intensiv und tief mit der Geschichte befasst, wenig interessant, eher oberflächlich wie das nun einmal heute Usanz geworden ist! Die meisten Leute sind aber mit solchen „Bildungsreisen“ zufrieden und sind dann zumindest ausgewiesene „Ägyptologen“! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 28 Geschafft! Delia kam aus ärmsten Verhältnissen, als Halbwaise war sie nur geduldet und musste ihr Studium an der FEATI University in Manila, mit einem Nebenjob als Kassierin in einem Chinesen Restaurant finanzieren. Sie kam 1970, mit 2 Koffern und 2 US Dollars in die Schweiz! Und ich war nicht viel besser dran, 1958 gab ich alle meine Ersparnisse für die Heilung meiner Schwester Klara aus, dann, bis 1970, half ich den Brüdern Ernst und Hans mit Geld aus, dem Hans für einen Autokauf, dem Ernst damit er endlich eine Berufslehre abschliessen konnte. Ab 1963 kamen dann die grossen Reisen und das kostete auch Geld! Mein Spanienjahr war zudem ein finanzieller Flopp, ich verbrauchte dort vielmehr als ich einnehmen konnte. Der Einfachflug Manila-Zürich kostete damals ganze 3.200.Franken. Und als Delia ankam, hatte ich gerade noch Fr. 2000.- Barvermögen und sonst rein nichts mehr! Man kann ruhig behaupten, dass wir beide im Jahr 1970, damals auf 501 502 dem Nullpunkt, wieder neu begannen. Während ich keinerlei Ambitionen hatte, sprach Delia schon bald von einer Million als Vermögen, sei es als Haus, Auto, Bargeld oder sonstwie, als ein Lebensziel. Das war nicht nach meinem Gusto, dachte ich doch, wenn eine aus armen Kreisen komme, sei das kein Thema. Aber die andern Filipinas in der Schweiz machten uns das Leben schwer, ständig war die Rede vom grossen Haus, Luxusauto, etc. Für mich war das Unsinn, denn ich konnte ja keine Karriere mehr einschlagen, nachdem mir die Ärtzte dies untersagten. Ich erklärte das der Delia, aber ihre Antwort war ganz anderer Natur:“Dann werde ich eben arbeiten gehen“ meinte sie selbstbewusst. Und vier Wochen später konnte sie bereits bei der Swissair eintreten. Ich erklärte ihr dann, dass wir auch ohne meine Karriere eine Million schaffen könnten. Am meisten holten wir mit den Häusern heraus, 1973 das Reihenhaus in Winterhur, dann 1979 das neue Reihenhaus in Uster, und schliesslich 1981 das freistehende Winkelhaus in Volketswil. Und nach gut 20 Jahren konnte ich ihr eine Aufstellung zeigen, wonach wir zusammen, mit dem Haus abzüglich der Hypothek, mit dem Reisebüro, welches damals einen Umsatz von 1.3 Millionen im Jahr erbrachte, sowie allen unseren Barersparnissen, wir auf satte 1.550.000.- Franken Gesamtvermögen kamen! Aber Delia hatte da eine seltsame Vorstellung von einer Million, sie sagte, das Geld müsste ich ihr doch auf den Tisch legen können, also auf einem Haufen. Es gelang mir nur halbwegs, sie davon zu überzeugen, dass ein Haus eben auch zum Vermögen zählt, und auch das Reisebüro einen Marktwert aufweise, den man aber nur schätzen konnte. Aber selbst ohne Beizug des Reisebüros, wäre die Millionengrenze weit überschritten gewesen. Sie meinte, nur die Zahlen auf dem Bankonto würden effektiv zählen! Es war fast hoffnungslos sie zu überzeugen, erst als ich ihr sagte, dann müssten wir eben das Haus und das Reisebüro 502 503 verkaufen, dann könnte ich den Geldhaufen auf den Tisch legen, aber soweit wollte sie nun doch nicht gehen, denn das Haus war ihr Statussymbol. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 29 Mein Flug nach Manila Unsere Ehe war nur noch eine GmbH, genau so wie die Firma BTS GmbH! Delia ging nur noch auf Kreuzfahrten, und ich durfte oder musste annehmen, dass sie dort auf neue Freier stiess! Sie schwärmte immer vom holländischen Tourdirektor, welcher immer nur Spass machte! Eines Tages schlug sie mir vor, doch einmal alleine nach Manila zu fliegen um dort das Nachtleben im Mabini zu studieren. Erst fand ich den Vorschlag leicht daneben, doch dann, nachdem ich die reale Situation zu evaluieren begann, gefallen daran fand. Also buchte ich drei Wochen, zwei in Manila und noch eine in Pattaya, Thailand, welches ich auch nur vom Hörensagen her kannte, weil ich im März 1966 keine Fahrtgelegenheit von Bangkok dorthin finden konnte. Nach mehr als 20 Ehejahren, bereiste ich die Welt nun wieder wie ein Grünschnabel, alles, was ich früher wusste war vergessen, ich kannte nur noch die heile Welt im eigenen Haus. So unterliess ich sämtliche Vorsichtsregeln, die ich 30 Jahre zuvor als selbstverständlich befolgte. Schon nach 2 Tagen geriet ich in Manila in eine Touristenfalle übelster Sorte! Wie sich das im Einzelnen abspielte, hielt ich im Buch „Flucht aus Manila“ fest. Vier Tage nach meiner Ankunft war ich bereits wieder am 503 504 Airport von Manila, diesmal auf der Flucht vor möglichen Verfolgern. Erst in Hongkong konnte ich wieder frei aufatmen, in Pattaya erholte ich mich dann eine volle Woche im damals noch neuen Royal Garden Resort. Flog dann in die Schweiz zurück, dort malte ich die Hausfassade neu. Das Geld, das ich dadurch einsparen konnte, ergab ungefähr den Betrag, den ich den Banditen geben musste! So blieb mein Urlaubsbudget mehr oder weniger ausgeglichen. Es war sicher eine harte Lektion aber doch noch glimpflich abgelaufen, was ich auf meine Kooperationsbereitschaft mit den Gangstern zurück führe, sie wollten Geld und mir ging es darum, möglichst wenig zu geben. Dazu musste ich recht kaltblütig argumentieren, diese davon überzeugen, dass mein Vorschlag ihnen am meisten einbringe. Sie gingen auch darauf ein und liessen mich frei, dann aber fand ich es doch angebracht zu flüchten, denn Philippinos melken die gleiche Kuh gerne mehrmals! Dieses Horrorerlebnis hatte auch seine guten Seiten, fortan überdachte ich eine Aktion lieber dreimal, wenn ich auf Reisen war. Natürlich kann man trotz grösster Vorsicht immer noch in eine Falle geraten, aber es wird eher unwahrscheinlicher. Delia verstand die Geschichte vermutlich falsch, sie verbreitete plötzlich, ich hätte in Manila eine Polizeibusse zahlen müssen, was natürlich nicht richtig war. Auch deshalb hielt ich es für angebrachter, die Story in Buchform festzuhalten. Dafür halten mich ein paar Leser nun für einen Paedophilen, aber ich bin immer noch der Ansicht, dass das Mädchen von damals, wie von ihr behauptet, 19 war! Aber das kann ich vermutlich nie genau abklären. Wenn man im www. Central Luzon corruption.com, sucht, erfährt man, wie solche Geburtsscheine gefälscht werden und wie Touristen betrogen und erpresst werden! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 504 505 Kapitel 30 Schockmeldung! Mir war schon lange bewusst, dass Delia etwas im Schilde führte. Ich rechnete aber nicht mit einer Scheidung, denn seit mehr als 20 Jahren fragte sie mich sporadisch:“Wirst du mich nie verlassen?“ Und ich antwortete immer gleich:“Natürlich nicht!“Es war an einem gewöhnlichen Abend während dem Nachtessen, als sie mich plötzlich mit dem folgenden Satz überraschte:“Ich möchte mich von dir scheiden lassen!“ Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben und fragte nach:“Was hast du da soeben gesagt, ich glaube, ich habe dich falsch verstanden“. Aber sie wiederholte den Satz und nun wurde mir bewusst, dass sie es auch so meinte. Ich verstand im ersten Augenblick rein nichts, argumentierte wegen ihrer Zukunft und dem gemeinsamen Vermögen, das nun dahinschmelzen wird. Sie gestand mir dann, sie habe mich auf den Kreuzfahrten betrogen und habe dadurch ein schlechtes Gewissen, sie könne mir nicht mehr in die Augen schauen und dergleichen. Zudem habe sie vor, einen sehr reichen griechischen Reeder zu heiraten, sie gebe mir dann auch eine Million davon, wenn ich für die Scheidung zustimme! Einmal mehr musste ich wegen ihrer Naivität lachen, ob sie wirklich sowas glaube, natürlich möge ich ihr die Millionen gönnen, aber ich glaube nun einmal nicht an dieses Märchen! Ich befand mich in einer Art von Trancezustand und glaubte zu träumen. Sagte ihr, sie solle sich diesen Schritt doch noch gut überlegen, denn der sei nicht problemlos. Ich war dann eine ganze Woche lang wie in einem Delirium, oder wie ein Zombie, mein Kollege im Büro bemerkte meine Veränderung, sagte aber nichts. 505 506 Nach einigen Tagen begann in mir ein totales Umdenken, ich stellte mir die Frage, weshalb das so schlimm sein sollte, zudem sei sie nicht meine persönliches Eigentum und jeder Mensch sollte tun und lassen können was ihm beliebt. Dass eine Scheidung nicht das Ende bedeutete und neue Perspektiven eröffne. Und diese innerliche Umprogrammierung wirkte wie eine Bombe, ich fühlte mich plötzlich erleichtert und munter. Am Abend sagte ich der Delia ich wäre nun mit eine friedlichen Scheidung einverstanden, wir würden einfach alles zur Hälfte teilen, denn zu Beginn der Ehe hatten wir beide nichts. Zudem gebe sie mir nach der Heirat mit dem reichen Reeder eine Million, und sollte sie später in finanzielle Nöte geraten, werde ich ihr nach meinen Möglichkeiten ebenfalls helfen. Aber all das sollte nicht in eine Scheidungskonvention kommen, sondern eine mündliche Abmachung bleiben! Ferner sei unser Verhältnis fortan wie Bruder und Schwester. Ein Punkt, der mir weniger gut gefiel, war ihre Zusicherung, sie wolle für mich weiterhin kochen, bis ich eine andere Frau habe. Der Gerichtspräsident forderte sie auf, doch so etwa 2500 Franken Alimente zu beantragen, doch das lehnten wir beide rundwegs ab, wir hätten das bereits geregelt und wollten keine gerichtliche Verfügung dazu haben! Schliesslich willigte der sture Kerl ein und nach 20 Minuten waren wir geschieden. Anschliessend gingen wir ins nahe Kaffee um dort das Weitere zu besprechen. Weil Rey erst 19 war, erhielt ich für ihn noch das Sorgerecht für 9 Monate zugesprochen. Ordnung muss schliesslich sein! Aber vorläufig änderte sich bei uns rein nichts, das Familienleben ging nach der Scheidung gleich weiter wie zuvor. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 506 507 Kapitel 31 Ich soll wieder heiraten Mit der Scheidung reduzierte sich mein Gesamtvermögen um 50%, das war soweit in Ordnung, hatten wir doch am Anfang beide keinerlei Vermögen. Das Reisebüro ging logischerweise ganz auf Delia über. Wir erstellten dazu eine Mischrechnung, zudem wollte ich ihr auch danach noch die Buchhaltung führen, weil sie davon keine Ahnung hatte. Und damit ihr Geschäftskredit nicht dahinschmolz, verschwieg sie ihren Bekannten und Kundinnen die Scheidung. Selbst die Patin von Rey wusste nichts davon, so hatten wir oft gemeinsame Mahlzeiten und die geladenen Gäste hatten keine Ahnung, dass wir geschieden waren. Wir mieteten im Zentrum Volketswil ein Büro, dieses lag allerdings an einer sehr schlechten Lage. Und es kam wie es kommen musste, mit den schwindenden Einahmen konnte Delia gerade noch ihre Angestellte und den Mietzins zahlen, später legte sie gar noch Geld aus ihren Ersparnissen drauf. Meine Mitarbeit beschränkte sich nur noch auf die Buchhaltung, die ich meistens an Samstagen oder Sonntagen vornehmen konnte. Im Haus belegte Delia nun den hinteren Hausteil, welcher früher für meine Mutter bestimmt war, ich blieb im Hauptteil des Hauses. Aber sie konnte es nicht lassen, täglich für mich zu kochen, obwohl ich das gar nicht wünschte! 507 508 Sie war eben nicht davon abzubringen, genausowenig, wie mit ihren täglichen Sprüchen, wann ich endlich eine andere Frau suchen werde. Ich war nicht in Eile und schon gar nicht überzeugt, ob sich das lohnen würde. Lieber wollte ich alleine bleiben, aber nein, sie stellte das wie einen Untergang dar. Also begann ich mich etwas umzusehen, erst im Inland, dann im nahen Ausland, wie Deutschland und Oesterreich. Als Esoteriker suchte ich durch ein Inserat in der Esotera, wurde aber von diesen Angeboten bitter entäuscht. Da ging es primär wirklich nur um materielle Dinge! All den Blödsinn aufzählen wäre Zeitverschwendung! An sich war nur eine einzige Frau auf meiner spirituellen Linie, aber das Foto schreckte mich brutal ab, die sah aus wie eine hundertjährige Indianerin! Und statt erotische Gefühle auszulösen, erinnerte sie mich an Häuptling Sitting Bull von den Sioux Indianern! Ich sandte ihre Bewerbung zurück mit dem Hinweis, ich hätte mich bereits anderweitig verpflichtet. Delia wollte mir eine entfernte Verwandte andrehen, nur sah die aus wie eine vom „Planet der Affen“. Also auch da keine Liebe auf den ersten Blick! Ich mochte es nicht, wenn Delia da noch mitsuchte, und ich hatte es auch satt, jeden Tag hören zu müssen, ich solle mir doch endlich eine Hausfrau zulegen. Ich griff dann zu anderen Aktionen, einmal liess ich in einer malayischen Zeitung, die allerdings in Singapur gedruckt werden musste, weil in Malaysia Partnergesuche verboten waren, ein Inserat laufen. Dann auch noch in der „International Herald Tribune“, was folgenschwere Konsequenzen zeitigte, wie im nächsten Kapitel ersichtlich wird. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 508 509 Kapitel 32 Ein folgenschweres Inserat Mein Inserat in Malaysia war von der Quantität her ein voller Erfolg! Ich erhielt nicht weniger als 57 Angebote, davon waren rund ein Dutzend von Filippinas, die dort als Hausangestellte engagiert waren. Weitere 15 Briefe stammten von muslimischen Frauen, dann noch wenige Inderinnen und der grosse Rest von chinesisch stämmigen Frauen, die alle nur eines wollten, raus aus dem muslimischen Land! Ich wollte etwa 12 Adressen „warm“ behalten und schickte den andern eine Absage. Von meinem Inserat in der „Herald Tribune“, ergaben sich weniger als 10 Angebote. Alle stammten von Filippinas in Europa, eine war in Helsinki, Hausangestellte, diese machte mir von allen noch den besten Eindruck, dann waren da noch welche in Italien (Rom), eine andere war aus Paris. Und die aus Paris sah eher aus wie ein Panzerknacker, ihr Gesicht war hart und dominannt, aber sie beeindruckte mit ihren Sprachkenntnissen! Zudem bemerkte sie, dass sie schon früher in der Schweiz war. Meine Intuition sagte mir aber ganz klar:“Hände weg!“, auf die Intuition war fast immer Verlass! Auch bei meiner Entführung in Manila, sagte die Intuition deutlich:“Das ist eine Falle“. Aber die Neugierde war nun einmal dominannter. Im Fall von dieser Aida in Paris, wars genau gleich, ich sagte ab und klebte den Umschlag zu. Da regte sich in mir eine Stimme, die sagte:“es 509 510 ist doch so, dass alle ein Anrecht auf meine Adressen haben“. Also öffnete ich den Umschlag nochmals und legte meine Visitenkarte in den Umschlag, die Absage blieb aber drin. Schon nach zwei Tagen hatte ich die Aida am Telephon, und sie verstand es vortrefflich, mein Interese zu wecken. Am nächsten Wochenende war ich bereits unterwegs nach Paris, auf der Fahrt las und beantwortete ich die vielen Briefe. Aida holte mich am Gare de l´Est ab, und wieder sagte meine Intuition:“Halt dich weg“. Aida schwatzte den ganzen Abend wie ein Wasserfall, ihre Laufbahn war imponierend, erst auf der Philippinischen Botschaft in Rom, dann vier Jahre bei Agnieli (Fiat), zwei Jahre bei Baron de Rothschild in Paris und vier oder sechs Jahre beim Prinzen Agha Khan in Genf. Und weil sie sich mit der Prinzessin von A.Khan besser verstand als mit ihm, musste sie nach dessen Scheidung auch gehen. Und nun war sie Betreuerin von Liegenschaften eines steinreichen Parisers und musste dessen Sohn füttern. Sie nahm mich mit in eine der luxuriösen Wohnungen, teure Gemälde und Teppiche in Hülle und Fülle, es war der reinste Luxus. Nur der Herr Sohn durfte dort wohnen, er war aber meistens weg, wo, das wusste die Aida auch nicht. Aida wohnte in einer kleinen Absteige, nebenan sei eine Afrikanerin, und die habe oft stundenlange Orgasmen! Nun, diese Nacht machte ich durch, und Aida durfte sich endlich erkenntlich zeigen, sie wusste, die Negerin würde sicher nicht reklamieren. Ich hielt mich mit einer Doppelflasche Kola fitt, hielt bis in die Morgenstunden durch. Mit einer Taxe fuhr ich dann zum Gare de l’Est in die Schweiz zurück. Ich ging dann noch etwa zweimal nach Paris. Und immer lief es nach dem gleichen Muster ab. Aida verstand es mich zu begeistern, ich war irgendwie wie behext! Jeden Abend rief sie an und das Gespräch dauerte oft bis zwei Stunden. Wir beschlossen dann, dass sie von Mitte Juli bis Mitte August zu mir kommt, damit wir einen 510 511 Probemonat einschalten können. Einen ganzen Monat lang trieben wir es jeden Tag wie die Zwanzigjährigen. Es gab da aber noch ein Problem, Aida war auf den Philippinen immer noch verheiratet, hatte dort drei Kinder und einem Mann! Eine Heirat in der Schweiz war daher kaum möglich, darum planten wir andere Wege. In Santo Domingo organisierte ich eine Fernscheidung für sie, und heiraten konnten wir ja in Las Vegas, das war einmal etwas Anderes! Als Aida bei uns in Schwerzenbach eintraf, begann sogleich ein fürchterlicher Sturm mit Gewitterregen. Es war offensichtlich, dass da etwas klemmen musste! Und der Reineclaudebaum im Garten war ganz entwurzelt! Es war, zusammen mit der Intuition, ein weiterer Wink an mich, dass ich mich da in ein ungutes Abenteuer einlasse. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 33 Heirat in Las Vegas Mir wurde während der Probezeit durchaus bewusst, dass diese Aida für mich eine Nummer zu gross war! Da sie aber den Haushalt gut führte und auch daneben keinen Anlass zu grösseren Klagen gab, sah ich mit veranlasst, die Heiratsvorbereitungen voranzutreiben. Zudem hatte ich sie im Haus und konnte sie nicht einfach wegweisen. Es gab aber schon noch einige Unklarheiten, da war dieser ExFreund in Genf, ein angeblich reicher Kanadier, den sie Mr. Winn nannte, dann ein Monsieur Didier, angeblich auch ein Angestellter bei der reichen Familie, dieser aber wäre oberschwul, und daher für mich keine Konkurrenz! Sodann sagte sie eines Tages, Frau Agneli habe sie aus St.Moritz 511 512 angerufen, ob sie sechs Monate bei ihr den Haushalt führen könnte? Schliesslich war noch ihre Tochter Elisabeth in Genf, und für sie wollte sie auch noch aufkommen. Ich hatte plötzlich eine nervöse Emsigkeit um mich, und sie kochte statt für zwei Personen für eine ganze Gruppe. Ich legte innert wenigen Wochen viele Kilos zu! Wir buchten unsere Flugscheine bis nach Los Angeles, dort wollte die Aida eine Verwandte oder Bekannte besuchen. Eine Tante war regelmässige Spielerin in Las Vegas, sie wollte mit uns fliegen, bot uns zugleich im Queens Hotel für zwei Nächte ein Gratiszimmer an, als regelmässige Kundin, erhielt sie vom Hotel stets Bonusse. Mit ihr kam noch eine Mrs. Metro, (Filippina) sie war die Witwe eines reichen Autoimporteurs in Kalifornien. Wir flogen mit der Südwest Airlines für einen Minipreis, diese kennt keine reservierten Sitze, für jeden Flug werden einfach soviele Tickets verkauft, wie Sitze vorhanden sind. In Las Vegas gibt es zwei Varianten zum Heiraten, eine ist nur zivilstandsamtlich, die andere ist in weiss und in einer Kapelle. Da wir beide schon einmal verheiratet waren, wählten wir die Variante Zivilstandsamt. Dafür wollten wir am folgenden Vormittag hingehen, erst mussten wir abklären, wo sich dieses Büro befand. Las Vegas ist eine Spielerstadt, das beginnt bereits am Flughafen, wo sich in den Hallen dutzende von einarmigen Banditen befinden. Das Queens war gleichzeitig eine Spielbank, man musste nur nach unten fahren und landete direkt im grossen Kasino. Auch das Frühstück hatten wir gratis, die Tante gab uns ihre Voucher. Allerdings, hatte ich schon nach einem Tag genug von diesem Geschmack! Zu dritt, Aida, Frau Metro und ich gingen wir zu Fuss bis zum fraglichen Gebäude, zuvor mussten wir in einem kleineren Haus noch die Anmeldeformulare abholen. 512 513 Im Büro wurden wir sehr freundlich empfangen, auch Witze wurden laut, das förderte die Stimmung! Eine Dame half uns beim ausfüllen der Formulare, Frau Metro war die Trauzeugin, vor uns wurden noch zwei Pärchen getraut, und nach rund 20 Minuten waren wir dran. Der Mann, in den mittleren Jahren, machte Scherze und als er den Namen Metro hörte, da horchte er auf. Ich wusste damals nicht weshalb, erst später wurde mir bewusst, dass bei der MGM Filmgesellschaft, der erste Mann „Metro“ hiess! Nach rund 15 Minuten war die Sache überstanden und kostete mich etwa 105.- Franken. Die Urkunde ging an das Schweizer Konsulat in San Francisco, und von dort nach Bern. Wir besuchten am Nachmittag noch eine ehemalige Hausangestellte von Frau Metro, eine Filippina, die nun mit einem AMI verheiratet war. Das Paar lebte ausserhalb der Stadt in einer Einfamilienhaussiedlung. Ein Bungalow war damals für ca. 125.000.- USD zu haben. Und ich machte ernsthafte Pläne, ob ich später nicht doch einmal meinen Ruhestand in diesem Spielerparadies verbringen sollte? Muss allerdings erwähnen, dass gleich hinter der Siedlung die Wüste Nevada war und grün Seltenheitswert hatte! Gegen Abend trafen wir uns wieder im Kasino, ich ging um 22 Uhr schlafen, Aida wollte weiter spielen. Kurz nach Mitternacht ging die Türe krachend auf, Aida kam stock besoffen ins Zimmer und hatte einen Kessel voller Gewinnmünzen drin! Am folgenden Tag verlor sie den grossen Gewinn wieder! Wir blieben noch ein paar Tage in Los Angeles, flogen dann als verheiratetes Paar in die Schweiz zurück. Dabei bemerkte ich schon, wie sich die Aida immer dreister benahm, jetzt, da sie verheiratet war, kamen die Ansprüche schon viel klarer zum Vorschein. Und von den erotischen Highlights, blieben nur noch die Erinnerungen, mir wars plötzlich nicht mehr darum. Ja, die Zerrüttung begann bereits eine halbe Stunde nach der Trauung, als sie bemerkte, sie habe mich nun in der Zange 513 514 und wenn ich nicht nach ihrer Geige tanze, würde mich das sehr teuer zu stehen kommen! Ich überlegte damals ernsthaft, ob ich nicht doch ins Büro zurück gehen sollte und das Ganze als ungültig erklären sollte? Aber das wäre vermutlich nicht einfach gewesen, darum liess ich es beim Vorhaben! Ich hatte mir da etwas eingebrockt, und das musste ich nun ausbaden! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 34 Keine gemeinsamen Interessen! Unsere Ehe war bereits eine Stunde nach der Trauung im Eimer! Statt erotischer Gefühle, erweckte die Aida in mir den Eindruck eines stampfenden Flusspferdes. Natürlich bemerkte sie meinen tiefen Fall im Bereich der Gefühle, aber das war doch bei den meisten Paaren irgendeinmal Usanz, bei den einen bereits auf der Hochzeitsreise, bei andern nach dem ersten kind, und bei vielen erst viel später. Dann gibt es noch jene Anpasser, die sich an die Umstände gewöhnt haben und sich vor jeder Veränderung fürchten wie vor dem Tod. Die Aida schwärmte mir vor, dass sie ausser Sprachen, eben auch gerne viel lese und reise, aber auch das Wandern gehöre zu ihren Prioritäten. Ich musste bald einmal feststellen, dass sich ihre Belesenheit und Allgemeinbildung auf die oberen Zehntausend und deren Lotterleben 514 515 beschränkte! Die Sprachen waren für sie nur ein Statussymbol, damit konnte sie „Bildung“ vortäuschen! Und ihre Wanderfreude reduzierte sich auf einen Ausflug auf den Uetliberg, rund 10 Jahre zuvor. Gingen wir zusammen wandern, verstand sie es, entweder mit sehr kleinen Schritten, langsam voranzukommen oder dann einfach wieder still zu stehen. Ich erklärte ihr, dass das nicht die Art von Fussmärschen ist, an die ich gewöhnt war. Sie begründete das dann mit den Agnelis, die, wenn sie die Onassis auf Besuch hatten auch so im Privatpark herumliefen. Ich quittierte das als „Bullshit“ das mich nicht interessiere! Es ging dann jeweils in diesem Ton weiter, statt Lust am Wandern wurde das zur Frust! Aida wollte unbedingt noch ein Riesenfest aufziehen, eine Art von Hochzeitsessen in der Schweiz. Sie lud wildfremde Leute ein, so auch den Manager und seine Frau von der Swissair Boston, obwohl sie wusste, dass ich keine Menschenansammlungen mochte, mussten es gegen 50 Leute sein. Von meiner Seite war nur der Kusin Ulrich eingeladen, und natürlich Sohn Rey und Delia. Es musste der gleiche Wein serviert werden, wie er bei den Agnelis konsumiert wurde. Aida kaufte ein, als ginge es darum eine ganze Armee zu verpflegen. Dazu hatte sie nun sogar ihren eigenen Wagen aus Genf geholt, einen roten Mitshubishi. Obwohl unser Wohnzimmer mit rund 50 m2 recht gross war, konnten wir die Gäste trotzdem nicht alle dort verpflegen, also baute ich im Garten Tische mit etwa 45 Stühlen auf. Ich hatte an meinem Tisch noch einen Stuhl für Ueli reserviert, da wollte die Lisabeth, die Tochter der Aida dort sitzen, als ich ihr sagte, der Platz sei reserviert, machte die einen Riesenkrach, natürlich war ich dann der Bösewicht! Mir war dieses Schaufressen äusserst unangenehm, unpersönlich und kalt! Danach meinte die Aida, es wäre fast wie bei den Agnelis gewesen, nur eben mit zehnmal weniger Gästen! Und ich sagte ihr, dass eine solche Fressorgie das erste und letzte Mal stattgefunden habe. Nach diesem Anlass 515 516 waren die Optionen nochmals gesunken, allerdings war immer noch abgemacht, dass wir gegen Ende Oktober zusammen auf die Philippinen fliegen. Nach einigen dummen Fragen aus Bern, wurde dann auch unsere Ehe rechtsgültig eingetragen. Mir wäre es damals auch recht gewesen, wäre die Ehe als ungültig eingestuft worden. Immerhin wurde vom zuständigen Amt argumentiert, Filippinas könnten gar nicht geschieden werden! Weil Aida aber schon lange im Ausland weilte, wurden beide Augen zugedrückt. Ich erkundigte mich weiter bei der philippinischen Botschaft in Bern, von dort erhielt ich eine Warnung, ich solle nicht mit der Aida auf die Inseln fliegen, weil diese dort noch immer als verheiratet gelte! Zudem wusste ihr Mann nichts von der erneuten Heirat, sie meinte aber, der würde mich nicht umbringen! Ich hatte aber plötzlich keine Lust mehr hinzufliegen, ihre Umgansart wurde täglich bösartiger. Darum flog ich stattdessen nach Thailand und nach Vietnam, Aida hatte noch einen Flugschein nach Manila. Damit sie ihr Gesicht nicht verlor, verbreitete sie dann das Gerücht, ich würde mich vor der Polizei dort fürchten, da mir dies aber sehr gelegen kam, machte ich das Spiel für einmal mit. Ich verprach ihr einen echten Goldring mit Diamanten, dafür fuhr ich speziell nach Chanthaburi , an der kambodschanischen Grenze. Als ich ihr den Ring überreichte, meinte sie geringschätzig, das sei doch eine Fälschung, ich hatte aber ein Zertifikat dazu! Aida begann immer mehr zu provozieren, nichts war gut genug, auch beim Fernsehen, hatten wir gegenteilige Ansichten, darum versprach ich ihr auf Weihnachten einen eigenen Fernseher, ich nannte auch das Budget: um die 500.Franken! Sie zeigte sich einverstanden, also liefen wir einmal mehr in das nahe Interdiscount, 8 Minuten zu Fuss. Unterwegs wieder die üblichen Sticheleien, bei den Agnelis habe sie per Helikopter einkaufen können, und den Schal, den sie da trage, der sei ein Geschenk der Jaqueline Onassis 516 517 gewesen. All das war mir scheissegal, ich kam bereits leicht geladen im Geschäft an, Aida steuerte sofort auf einen Fernseher zu:“Ich will den da“, und zeigte auf einen Sony für 2500.- Franken, ich erinnerte sie an mein Versprechen und ihr Einverständnis, aber sie wurde wieder ausfällig, sie wolle Qualität. Da platzte mir aber der Kragen:“Ich bin doch nicht der Agha Khan“, rief ich laut durch den Laden! Die Aida verlor erneut ihr Gesicht und rannte wütend davon, ich hatte 500.- Franken gespart! Getrennt liefen wir nach Hause, die Aida verschwand dann jeweils wieder ein paar Tage nach Genf. Angeblich besuchte sie Bekannte, mir war aber bekannt, dass sie ihren Freund Winn, aufsuchte! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 35 Die Luft ist draussen! Die Eiszeit war angebrochen, Aida trieb sich in Genf herum, angeblich bei ihrer Tochter, aber auch bei ihrem alten Freund, dem Edward Winn, von dem sie sagte er habe Millionen und wollte sie heiraten, aber er hätte seltsame Sexpraktiken, die sie mir nicht erklären könne, darum wolle sie nicht bei ihm sein! Ich konnte nie erfahren, was das für Praktiken waren, schloss aber aus ihren Ausführungen, dass es sich um Anal- oder Fäkalverkehr handelte. Einen Teil des Monats Januar vebrachte sie noch bei mir, dann, gegen Mitte des Monats, erhielt ich abends einen 517 518 seltsamen Telephonanruf, Aida war abwesend, und eine männliche Person wollte wissen, ab wann die Wohnung in Zürich gemietet werde? Ich wusste rein nichts davon und sagte dem Anrufer, dass ich keine Wohnung suche und er vermutlich eine falsche Nummer anrief! Ich hatte aber die leise Vermutung, dass Aida dahinter war! Als sie kam, informierte ich sie über den Anruf, aber sie tat so, als ginge sie das nichts an. Aida brachte nicht weniger als 54 grosse Kartonboxen ins Haus, sie erinnerte mich an eine Prinzessin auf reisen, oder an Karl den Kühnen vor der Schlacht bei Murten. Zwei drittel des Dachstudios waren mit Kleidern belegt, es sah aus, als hätten wir da ein Kleidergeschäft ohne Kundschaft eingerichtet. Dafür hatte sie ihre schlechten Vorbilder, Jacqueline Onassis, vormals Kennedy, Baronin de Rotschild, Frau Agneli und Prinzessin Agha Khan. Und Leute von Rang mussten nun einmal Partylöwen sein, einer wie ich, der Parties mied, wie der Teufel das Weihwasser, war in ihrer Welt eben ein absoluter Niemand! Dass alle diese skrupellosen Elemente reich wurden, weil sie hauptsächlich die arbeitende Bevölkerung ausbeuteten, dazu reichte ihr Horizont nicht aus um da einen Zusammenhang zu erkennen. Für sie war das einfach gottgegeben, oder schicksalsbedingt, und weil sie diesen Zeitgenossen den Hintern abtrocknen durfte, fühlte sie sich zumindest bedingt dazugehörig. Natürlich konnte sie auch meine Geringschätzung diesen Primaten gegenüber nicht gutieren, und wenn ich bemerkte, dass diese auf der Toilette noch mehr stinken als Proletarier, weil sie das bessere Fleisch erhalten, kriegte sie einen feuerroten Kopf! Aida war dabei, ein Geschäft für Heilmassagen aufzuziehen, ich finanzierte ihr die ganze Ausrüstung! Zuvor hatte sie eine Stelle in Dübendorf, bei einem Ehepaar, das sich eben auf solche Massagen spezialisiert hatten. Aber die Aida verkrachte sich schon nach wenigen Tagen mit ihrer Chefin. Ja, unsere „Ehe“ existierte nur noch auf dem Papier. 518 519 Wir hatten keine gemeinsamen Interessen, nicht einmal bei den Mahlzeiten, und wir hatten uns auch nichts mehr zu sagen, wie es so schön heisst. Am 31. Januar 1993, zog die Aida ohne Vorankündigung aus. Sie machte mir aber doch noch einen Vorschlag, den ich im Nachhinein gar nicht so schlecht fand, für 500.- Franken im Monat halte sie meine Wohnung sauber und wasche die Kleider. Zudem könnte ich sie auch in Oerlikon besuchen kommen wenn ich Lust dazu habe. Ich lehnte ab, eine Zustimmung hätte mir damals viel Ungemach erspart, das konnte ich aber zu jenem Zeitpunkt noch nicht wissen! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 36 Die Urahnen Es gab da einen dunklen Punkt im Stammbaum, angeblich soll der Grossvater meines Vaters um das Jahr 1869 in die USA ausgewandert sein, dabei soll er Frau und ein Kind zurückgelassen haben, jedoch ein Vermögen von rund 55.000.- Goldfranken mitgenommen haben! Mit dem versprochenen Nachzug von Frau und Sohn klappte es aber nicht. Diese hörten nie mehr etwas von ihm und verarmten danach. Nach andern Quellen soll er aber nach Russland oder sogar Südamerika gereist sein? Und wenn Vater betrunken war, erzählte er immer die Geschichte vom Grossvater, der mit viel Geld nach Texas gereist sei und dort in einer Postkutsche ausgeraubt wurde. Und das Geld habe später gesichert werden können und sei an die Wohngemeinde Köniz gesandt worden. Aber niemand 519 520 forschte weiter danach, darum ging ich der Sache mitte der Achzigerjahre einmal selber nach, also das mit dem Geld an die Gemeinde war ein Witz, hingegen wurde ich in OhioUSA, fündig. Am Heimatort war der Grossvater als 65jähriger, im Dorf Sardis, Provinz Monroe, in Ohio, im Jahr 1894 gestorben. Aus Sardis erhielt ich gegen Zahlung von USD 2.- eine Fotokopie aus dem Totenregister von damals. Und siehe da, der Tote war erst 36 jährig! Ob ein Schreibfehler vorlag, konnte nach so langer Zeit nicht mehr festgestellt werden, ich musste an dieser Stelle meine Abklaerungen einstellen. Etwa sechs Jahre später erhielt ich aus Entre Rios Argentinien, einen Brief von einem Juan Baehler, Advokat, dieser hatte meine Adresse im Archiv der Coopertive von Entre Rios gefunden, als ich einen Brief dieser Gesellschaft beantwortete. Das Datum des Briefes lag aber viele Jahre zurück und der Juan wollte wissen, ob ich immer noch bei der OSEC in Stellung war? Ich konnte ihm dies bestätigen, worauf er mich dann privat anschrieb und einen interessanten Stammbau zustellte. Danach stammten gegen 1500 Baehlers in Argentinien von einem Einwanderer namens Juan B. ab. Einer soll sogar ein General unter Peron gewesen sein, ein anderer Botschafter. Und was besonders auffiel, dieser Juan war ebenfalls im Juni 1829 geboren worden, also im gleichen Monat wie mein Urgrossvater. Er soll mit viel Geld angereist sein, und ein Sohn wäre nach den USA ausgewandert! Da klingelten meine Ohren, man musste nur noch das Geburtsdatum dieses Juan B. herauskriegen, war das ebenfalls am 25. Juni , dann handelte es sich sicher um den gleichen Mann! Aber seltsam, so gut diese Leute in Argentinien dokumentiert waren, genau das Geburtsdatum wussten sie nicht! Ich dachte an einen Trick, liess in Bern abklären, ob damals ein oder zwei Reisepässe an einen Johannes B. geboren 25. Juni 1829, ausgestellt wurden ? Aber das Suchpech blieb mir treu, ich erhielt die Mitteilung, dass kein Pass auf einen solchen Namen ausgestellt wurde, 520 521 mit dem Hinweis, viele wären damals ohne Pass ausgewandert. Ich meldete meine Erkenntnisse den Argentiniern und erntete nur Tadel, was mir einfalle zu schreiben, der Juan habe Geld von seiner Familie unterschlagen. Damit war der Kontakt unterbrochen! Alles deutete aber darauf hin, dass der Juan B. mit einer anderen Frau verheiratet war und nach Argentinien auswanderte. In der Zeit zwischen 1850 und 1869 konnte nicht eruiert werden, wo in der Schweiz er sich aufhielt, vermutlich war er bereits drüben und kam zurück, um sich die reiche Bauerntochter der Familie Spycher zu ehelichen und ihr ein Kind zu schenken, dann verkaufte er ohne ihr Mitwissen den Hof und verschwand angeblich in die USA! Dass ausgerechnet sein Geburtsdatum unbekannt bleibt, ist wohl kein Zufall, und der Tote in Ohio war vermutlich sein ältester Sohn, der dann ganz einfach als sein Vater eingetragen wurde! Tote sprechen ja nicht! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 37 Neue Pläne Die Verbindung mit Aida war in jeder Beziehung ein Flopp, wir hatten ganz einfach keine gemeinsamen Interessen vorzuweisen, und diejenigen, die sie anfänglich nannte, waren schlichtweg falsch. Natürlich lag da der Fehler auch bei mir, ich hatt eine völlig differenzierte Lebensauffassung. Meine langjährigen Studien der Parapsychologie und des humanen Sozialismus, machten aus mir einen andern Menschen, mit einer Lebensphilosophie, die nun einmal Leute mit einer Standardbildung nicht nachvollziehen konnten. Dazu gehörte auch der Umgang mit materiellen 521 522 Dingen, sicher verachtete ich das Geld auch nicht, war aber der Ansicht, dass, wenn man genügend zum Leben hat und noch ein wenig für Notfälle zurück gelegt hat, man durchaus glücklich und zufrieden Leben konnte. Aber genau an diesem Punkt begannen die Schwierigkeiten bei allen meinen Partnerinnen. Wenn man natürlich glaubt, man wäre ein besserer Mensch, wenn man ein Auto fährt, und dazu noch ein Luxusmodell, dann ist aus meiner Sicht solchen Menschen einfach nicht zu helfen! Die haben nicht erkannt, dass eine Zivilisation mit solchen Prioritäten keine Zukunft haben kann! Die ganze Protzgesellschaft erinnert sehr an eine Affenherde, aber auch an andere Spezien aus der Tierwelt. Dabei glaubt der Mensch doch ernsthaft, über dem Tier zu stehen, das dürfte sich leider nur noch auf die Sprache beschränken! Mir war daher schon lange vorher bewusst geworden, dass ich eher eine Nadel in einem Heuhaufen finden könnte, als eine Partnerin mit denselben Prioritäten! Aber die Delia, die ja für mich kochte, pochte laufend, ich sollte eben die richtige Frau finden, dabei wusste sie selber, dass eine, die zu mir passte, kaum auffindbar war. Der Aida liess ich noch sechs Monate Zeit, um zurück zu kommen, danach wolle ich sie nicht mehr im Haus sehen. Sie ging zudem ihrem Heilmasssage Business nach, hatte kaum Zeit meine Wohnung in Ordnung zu halten, worauf ich das Abkommen aufkündigte. Jetzt reaktivierte ich meine Adressen aus Malaysia wieder, dazu kam noch eine aus Hongkong, von einer Dorothy Kwan, ihre Adresse fand ich damals in einem holländischen Pen Pal Heft, schrieb ihr noch bevor ich die Aida besuchte, musste aber dann auch melden, dass ich mich inzwischen wieder verheiratet hatte. Diese D. Kwan war viel eher eine Fata Morgana, sie erinnerte mich an die bekannte Filmschauspielerin Nancy Kwan, (bekannt vom Film:“The world of Suzy Wong“) ebenfalls aus Hongkong! In Wirklichkeit bestand keinerlei Verbindung und Verwandschaft, aber ich war schon immer etwas romantisch veranlagt und sah in Gedanken immer die Schauspielerin 522 523 Kwan vor mir. Ich schrieb an etwa sieben der verbliebenen Frauen in Malaysia, sie alle waren immer noch ledig und bereit, auszuwandern. Bis auf eine Muslimin in Penang, waren alle gebürtige Chinesinnen. Es begann ein neues, nicht minder seltsames Abenteuer! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 38 Auf Brautschau in Fernost Vom materiellen Standpunkt aus war es ein unsinniges Vorhaben, nach zwei gescheiterten Ehen noch eine dritte zu riskieren! So gesehen sollte man gar nicht erst heiraten, auch nicht das erste Mal, denn das bedeutet in der Regel einen einschneidenden Vermögensverlust! Weil ich aber nie speziell dem Geld nacheilte, war das für mich einfach ein weiteres Risiko, mein verbliebenes Vermögen auch noch los zu werden. Noch war ich ja mit der Aida gesetzlich verheiratet, aber ich sah keinerlei Möglichkeit für eine erneute Zweisamkeit. Deshalb ging ich ohne Bedenken daran, einen Ersatz für sie zu suchen, und ich organisierte Termine in den Städten Kuala Lumpur, Kota Bharu und Penang. In Kuala Lumpur waren es anfänglich drei Frauen, eine weitere wartete in Kota Bharu, und zwei in Penang. Ende Oktober flog ich mit der Air India via Bombay und Dehli nach Hongkong, dort hatte ich mit der Dorothy einen Termin, aber auch mit dem Jacques Humair, der mit seiner Marcha aus Brasilien angeflogen kam. Ich plante, erst einmal diese sieben Frauen kurz kennen zu lernen, dann zurück zu fliegen um mich zu entscheiden. Aber erstens kommt es anders anders und zweitens als man denkt! In Bombay logierte ich in einem Fünfsternehotel der Air India, 523 524 hatte aber den Eindruck, da wären sicher vier Sterne zuviel auf dem Angebot gestanden! Schrieb dann auch einen Beschwerdebrief, den ich vor der Abreise übergab, erhielt dann prompt nach sechs Monaten ein Entschuldigungsschreiben, ich dürfte eben Indien nicht mit europäischen Massstäben messen. Als ich aus dem Hotel wollte, war da eine derart grosse Menschenmasse draussen, dass ich vorerst wieder ins sichere Gehege des Hotels zurück flüchtete! Dann erinnerte ich mich, dass ich ja 28 Jahre zuvor ebenfalls in dieser Stadt umherlief und überlebte! Ich fasste etwas Mut und schaffte es dann in die Massen unter zu tauchen. Dorothy wartete am Flughafen auf mich, sie trug eine rote Windjacke damit ich sie aus der Masse der wartenden Leute sogleich erkennen könnte. Ich hatte in einer Art von Billighotel oder Jugendherberge ein kleines Zimmer für weit über 100.- Franken gebucht. Aber es war nicht nur teuer, sondern man wurde auch unfreundlich bedient, als ich fragte, wo ich das Frühstück erhalte, wurde ich kaltschnäuzig zurechtgewiesen, das stehe doch im Zimmer angeschlagen. Dorothy kam mich abholen und lud mich mit ein paar ihrer Freundinnen zum Mittagessen ein. Dann kam der Jacque mit Marcha, auch sie mussten mit einer teuren Unterkunft vorlieb nehmen. Einen Tag hatten wir für einen Ausflug nach Maccao reserviert, ich kannte diese Stadt nach bald 30 Jahren auch nicht mehr. Alles war verbaut und ein emsiger Verkehr beherrschte die Strassen. Vom Hafen bis in die Stadt nur Spielkasinos, nichts war mehr wie früher! Der Marcha schien nichts zu gefallen, das Essen mochte sie nicht und die Leute anscheinend auch nicht, so musste eben der Jacque als Prellbock hinhalten. Wenig später trennten sie sich dann für immer. Mir gefiel aber dieses Maccao auch nicht mehr, und ich war froh, als ich Hongkong endlich wieder hinter mir lassen konnte. Aber da war plötzlich ein Problem aufgetaucht, Dorothy wollte mit mir nach Malaysia fliegen! Ich erklärte ihr, dass ich dann aber etwelche 524 525 Schwierigkeiten haben könnte, wenn ich mit ihr die andern Frauen begutachtete. Schliesslich willigte ich ein, denn sie hing an mir wie ein Rucksack und ich konnte sie kaum einfach loswerden! Der Abflug fiel buchstäblich ins Wasser, statt am Nachmittag, flogen wir erst spät nachts nach Kuala Lumpur, ein Flugzeug der China Air, stürzte bei der Landung ins Meer. Aber schliesslich schafften wir es doch noch, in Kuala Lumpur hatten wir ein Fünfsternehotel. Ich telephonierte einer der Ladies, diese kam prompt ins Hotel und verzog natürlich ihr Gesicht, als die Dorothy an meiner Seite so tat, als wären wir auf Honymoonreise. Das war echt gemein von ihr, aber was wollte ich tun? Bereits schien sich abzuzeichnen, dass wir vermutlich zusammen blieben. Die zweite Dame erhielt meinen Brief nicht und war nicht in der Lage kurzfristig anzureisen. Der Brief wurde dann tatsächlich als „Unzustellbar“ in die Schweiz retourniert. In Penang war der Treff mit der Frau aus Alor Setar wieder gleich verlaufen, dafür sorgte die Dorothy. Die zweite Kandidatin liess ich aus, nur noch jene in Kota Bharu wollte ich treffen. Diese holte uns mit ihrem Auto ab und reagierte auch nicht wie die andern, sie freute sich auf den Besuch und führte uns in der Gegend herum. Auch zu einem buddhistischen Tempel gleich am Fluss zu Thailand. Sie kannte den Mönch dort persönlich und wir wurden durch die Anlagen geführt. „Dort drüben sind sie viel freier als wir hier“ und deutete auf die thailändische Seite hinüber. Der nächste Morgen wurde zu einem verhängnisvollen Moment, seit Kuala Lumpur, trug ich die Augenmedizin in meiner Tasche mit mir. Ich dachte gar nicht daran, dass diese ja bis auf 42 Grad erhitzt wurden. Zwar spürte ich beim eintropfen ein leichtes „Brennen“, aber an jedem Tag, kurz nachdem ich die Tropfen verpasst hatte, da war mein linkes Auge plötzlich blind! Ich hoffte, dass sich das wieder regeln werde, aber nein, es blieb dunkel! 525 526 Dorothy machte dann noch eine Bemerkung, die mich etwas störte, sie wolle keinen“ Krüppel“heiraten! Sie flog zurück nach Hongkong und ich weiter nach Bangkok. Ich wollte noch 10 Tage in Pattaya verbringen. Das Auge blieb dunkel und ich musste mich bereits mit dieser Tatsache abfinden, hoffte aber immer noch, es handle ich um eine korrigierbare Störung. Im Tip Sandwich traf ich einen Deutschen aus Frankfurt, er hiess Rudy und war immer in Begleitung einer jungen hübschen Lady. Als er zurück flog, sagte er mir, seine Freundin gehe jetzt nach Hause und arbeite nie mehr an einer Bar, er werde dann wieder kommen und sie eventuell heiraten. In der Tat waren sie ein lustiges Paar, er um die 45 und sie 23. Tränen flossen, als sie sich bei der Bar in der „Soi Postoffice“ verabschiedeten. Die Lady war ganz nass von den Tränen, kaum war der Minibus weg, kommt sie zu mir und sagt:“Du heisst ja auch Rudy, ich gehe jetzt mit dir“. OK, sie war recht hübsch und ich mochte sie ja auch gut. Ich liess sie an der Bar zurück und ging in mein Hotelzimmer. Kaum war ich dort angekommen, rief die Dorothy aus Hongkong an, sie komme am nächsten Tag angeflogen! Aus war der Traum mit der Lady! $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 39 Zweite Heirat in Las Vegas Der Aida hatte ich eine Frist von 6 Monaten gesetzt, falls sie wieder zu mir zurück kehren wollte. Aber sie hielt sich vornehm in Schweigen, und ich war sicher, dass sie kaum 526 527 Anstalten dazu machen würde. Hingegen erhielt ich ab und zu anonyme Telephonanrufe, das heisst, auf der anderen Seite sprach niemand und hängte einfach auf! Sie wollte vermutlich so herauskriegen, ob ich immer noch allein lebte. Dorothy hatte sich mit ihrem Chef bei der Deutschen Bank in Hongkong verkracht und ihren Job aufgekündigt. Sie wollte möglichts bald in die Schweiz fliegen und heiraten. Nun standen uns da aber noch etwelche Hindernisse im Weg. Einmal war ich immer noch mit der Aida legal Verheiratet, sodann konnte die Dorothy nur in der Schweiz verbleiben, wenn sie mit einem Schweizer verheiratet war! Die Aida sagte mit einmal, der Prinz Agha Khan habe seiner Ex Frau 7 Millionen Dollar Abfindung zahlen müssen, und sie, die Aida würde das auch so sehen, wenn ich mich von ihr scheiden lassen würde. Nun hatte ich nicht einmal eine Million, aber das Wenige, das mir nach der Scheidung mit Delia noch blieb, wollte ich nicht aufs Spiel setzen. Weil ich mir auch in den Kopf setzte, die Dorothy zu ehelichen, begann ich ein Spiel, das mir ganz ordentliche Schwierigkeiten einbrachte Erst liess ich mich vom gleichen Anwalt in AnnaheimKalifornien, der die Aida von ihrem Mann geschieden hatte, ebenfalls über Santo Domingo scheiden. Das ging an sich problemlos, allerdings unterlief mir ein Formfehler, der sich dann später unheilvoll auswirkte! Weil das Ganze über die USA ablief, wurde die Urkunde nur vom amerikanischen Konsulat in Santo Domingo beglaubigt. Ich war der Ansicht, das würde genügen, weil auch bei der Aida die Schweizer Behörden dieses Dokument anerkannten, aber jeder Fall ist bekanntlich anders. Dorothy war etwas misstrauisch über meine rasche Scheidung, hatte aber keine andere Wahl, als mit gutem Willen mitzumachen. Wir hatten einen etwas verrückten Plan, sie flog von Hongkong über den Pacific nach Las Vegas, ich flog über den Atlantic bis dorthin. Und unsere Flüge kamen praktisch zur selben Zeit in Las Vegas an. Es war abgemacht, dasjenige das zuerst eintreffe, sollte beim Ausgang warten. Kurz vor der Landung in Vegas, 527 528 sackte das Flugzeug mit der Nase voran ruckartig nach unten! Ich dachte sogleich, muss das jetzt sein, so kurz vor der Heirat noch abstürzen! Aber das Flugzeug fing sich wieder auf und wir landeten fast pünktlich in Vegas. Dorothy wartete bereits am Ausgang auf mich, gut 20 Minuten war sie vor mir angekommen. Wir wohnten im „Golden Nugget“ Hotel, ein altes vornehmes Hotel mit sehr grossen Zimmern. Dorothy wollte in weiss heiraten, es war ihre erste Ehe im Alter von knapp 40 Jahren. Ich sagte zu, hatte ich doch das erste Mal nur eine Zivilheirat genossen, wollte ich erfahren, wie sich so eine komplette Kapellenheirat abwickelte? Wir wählten das „Little White Chapel“ am Streep. Dort hatten bereits Grössen wir Frank Sinatra und John Holmes geheiratet. Das ganze Paket sollte um die 700.- US Dollar kosten. Dabei waren eingeschlossen: die Miete meines Tuxedos, das Brautkleid, die Fahrt vom Hotel zur Kirche, die Trauung und die Urkunden, ein Geschenk, eine Videokassette mit der Zeremonie,die Trauzeugen und der Pfarrer, die Rückfahrt ins Hotel sowie auch die Lieferung der ganzen Ausrüstung in unsere Unterkunft. Am Nachmittag gings zur Anprobe in ein Geschäft, das uns genannt wurde, in wenigen Minuten waren mein Smoking, Hemd, Handschuhe und Hut bereitgestellt. Aber die Dorothy benötigte den ganzen Nachmittag bis ihr weisses Brautkleid endlich ihren Vorstellungen entsprach. Einmal war der lange „Schweif“ zu kurz dann wieder viel zu lang! Mir gefielt das ganze Theater nicht, aber da man ja nicht jeden Tag heiratet, machte ich den Zauber mit. Die Angestellten waren sehr geduldig und freundlich, was mir wieder die ganze Zeit in Vegas beeindruckte, Freundlichkeit gehört in Vegas einfach zum Geschäft. Und die Amis bringen auch die nötige Naivität mit um in dieser Stadt zu leben. Zusammen mit Pattaya, gehoert Vegas nicht umsonst zur zweiten „Fun City“ auf dieser Erde. Dann kam der Tag der Wahrheit, Dorothy und ich zogen uns die schmucken Kleider über, die uns tags zuvor ins Hotel geliefert wurden. 528 529 Noch nie zuvor kleidete ich mich so ein, und als ich in den Spiegel schaute, erkannte ich mich kaum noch. „Kleider machen Leute“, heisst doch der Spruch, der, so glaube ich, von G.Keller stammt? Dorothy murgste lange an ihrem weissen Brautkleid herum, dann endlich schaffte sie es auch, sie sah aus wie eine 19jährige Jungfrau. Als wir in der Hotellobby eintrafen, hagelte es nur so von Glückwünschen von wildfremden Leuten. Eine wirklich aufstellende Art, Stimmung zu schaffen, wir schwebten wie auf Wolken getragen. Draussen kam unsere Limousine angefahren, ein „long car“, ein elend langes Auto, vorne der schwarze Fahrer mit Zylinderhut. Man konnte an etwa fünf Türen einsteigen, ich ging einfach hin und öffnete eine Autotür, da schrieb schon die Dorothy:“no, the driver is doing that job!“. Dieser stieg aus und öffnete dann die richtigen Türen für uns. Und schon fuhren wir los ins „Little white chapel“. Dort wurde alles perfekt abgewickelt, am Autoschalter wurde gerade noch ein eiliges Pärchen getraut, und vor uns hatte soeben ein mexikanisches Paar das JAWORT abgegeben. Diese hatten ihre Trauzeugen aus Mexiko mitgenommen, unsere standen bereit, habe aber keine Ahnung mehr, wer das war? In der Kapelle wurde die Hochzeitsmusik mit markannter Lautstärke abgespielt, während wir feierlich Einzug hielten, natürlich wurde auch gefilmt wie sich das gehört. Dann erfolgte die Trauung, von welcher ich kaum noch etwas weiss, danach wurde das obligate Geschenk überreicht, die Heiratsurkunde und die Videokassette. Dann fuhr uns der „long car“ wieder zurück ins Hotel, und dort wieder die feierlichen Gratulationen der Leute, die gerade in der Hotelhalle weilten. Ganz spontan und fröhlich, und wir hatten den Eindruck, dass wir zwei nicht allein waren, sondern eine ganze Hundertschaft an der Hochzeit teilnahm. Ich war glücklich, als ich in unserem riesen Zimmer verschwinden und den Frack wieder ausziehen konnte! 529 530 Die Dorothy hingegen, die fühlte sich vermutlich wie die Lady „DI“, und wäre am liebsten in der Lobby geblieben. Von Las Vegas flogen wir weiter nach Atlanta, und von dort nach Orlando in Florida, zwei Tage Disneyworld genügte, ich hatte bei der Delia noch eine Kreuzfahrt nach den Bahamas für uns gebucht, so wenisgtens hatte ich das in Erinnerung. Am Flughafen von Miami, trafen wir dann Passagiere, die auf eine Kreuzfahrt nach Mexiko wollten. Nur wir wollten auf die Bahamas, da schlug die Dorothy vor, ich sollte doch einmal unsere Tickets nachprüfen. Ich schaute recht blöde drein, auch wir hatten Mexiko gebucht. Irgendwie unterliess es die Delia, mich zu informieren, dass ich nicht auf die Bahamas fahre, sondern eben nach Cancun oder Cozumel. Auf dem Schiff die üblichen Blödeleien zur Unterhaltung, so waren unter anderen die Hochzeitspaare immer im Mittelpunkt, ständig wurde für diese irgend etwas veranstaltet. So gewannen wir am Schlussabend noch eine Riesentorte, die wir dann ganz einfach in der Kabine liegen liessen. Aber ich war sowieso wieder einige Kilos mehr und darum war das kein grosser Verlust. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 40 Nach dem Mauerfall Der Mauerfall in Berlin veränderte nicht nur die politische Weltkarte, auch die Arbeitswelt veränderte sich dadurch sehr markant negativ und zu Ungunsten der arbeitenden 530 531 Menschen. Während der Zeit mit dem Kommunismus herrschte eine ernsthafte Konkurrenz zum Kapitalismus! Dies, obwohl die Theorien von Marx und Engels nie befolgt oder gelebt wurden, lediglich oft zitiert! Die Leute, welche die proletarischen Revolutionen veranlassten und durchzogen, hatten kaum das Format für eine humane Realisation dieser Thesen. Statt echten Sozialismus zu fördern, wählten sie den bequemeren Weg über die Diktatur der Partei. Weltfremde Bürokraten hatten das Sagen und mussten versagen, darum musste diese Version von Kommunismus scheitern. Das bedeutet aber nicht, dass die sogenannte „freie Marktwirtschaft“, lediglich eine zeitgemässere Umschreibung für den Kapitalismus, irgendwie besser wäre, im Gegenteil, es gibt keine destruktivere und menschenfeindlichere Wirtschaftsform! Zwar bringt uns dieses System kurzfristig materielle Vorteile, zumindest für einen kleinen Teil der Menschheit. Andererseits brachte sie uns neue Formen von Sklaverei, sowie einen Rückfall ins Dschungelleben! Vom Humansozialismus zu:“Fressen und gefressen werden!“ Der Stärkere beutet den Schwächeren aus, der Dümmere sucht einen noch Dümmeren, der Freche geiselt den Scheuen, der Reiche beutet den Armen aus, der Schmarotzer den Edlen, kleine Minderheiten raffen unglaubliche Summen an Vermögen zusammen, Geldbeträge, die sie nicht einmal in hundert Leben verbrauchen könnten. Und statt Verachtung zu kassieren, werden solche Elemente in den Medien noch hoch gelobt. Und dieses ungesunde System funktioniert nur, weil die Menschen das Materielle in den Vordergrund stellen. Und seit dem Mauerfall wurde auch die Arbeitswelt wieder barbarischer und unmenschlicher. Mit den Arbeitnehmern wird wie mit einer Manipuliermasse umgegangen, einige Kriminelle kassieren Millionen und entlassen dann einfach ein paar tausend Arbeiter, damit die Firma wieder im Lot steht! Mobbing und Psychoterror wird zur Arbeitsusanz, diese Agitationen erfolgen meistens in 531 532 einer Mogelpackung etwa wie:“wir verlangen mehr Leistung und Produktivität, wer zuwenig Einsatz zeigt, wird entlassen!“ Und wie seit Urzeiten, finden sich immer genügend „Schleimkriecher“ und Leute mit einer „Braunen Zunge“ die sich als Handlanger der Sklaventreiber für die Ausbeuter hergeben. Der Mensch lässt sich nun einmal manipulieren und dressieren wie die Hunde. Und wehe, wenn da einer nicht spurt, der ist dann eben ein „Querschläger“ „Intrigant“ etc. So erlebte auch ich die Arbeitswelt in vollen Zügen. Da gab es fast alle Tierarten wie: Löwen, Tiger, Füchse, Stinktiere, Chamäleone, Aasgeier, Katzen, Spatzen, Finken (auch charakterliche Schmutzfinken) etc., aber auch Zwerge, Kobolde und Zombis. Wie beim Militär, auf Reisen oder eben bei der Arbeit, kann man sich die Leute nicht aussuchen, mit denen man gerne zusammenarbeiten möchte. Da war einmal dieses sogenannte „Mitarbeitergespräch“, das eine Einbahnstrasse war, von oben nach unten. Noten wurden erteilt von Leuten, denen ich die Kompetenz dazu absprechen musste. Ich verlangte eine offene Aussprache von „Mann zu Mann“ und nicht eine Abfuhr von einem unfähigen Vorgetzten! Natürlich erhielt ich nie eine Antwort auf meinen Vorschlag und meine Person wurde ganz einfach ausgelassen, was mir auch recht war! Man kann sicher mit kleinen Kindern eine solche Benotung vornehmen, aber nicht mit erwachsenen Leuten. Eine Aussprache über die Karriere, die Entlöhnung etc., ist sicher von Vorteil, ein schulmeisterliches Examenblatt aber doch eher eine Erniedrigung! Nun war ich aber fast immer der einzige Opponent in der Firma, die andern zogen die Anpassung vor und so scheint eben die Mehrheit der Arbeitnehmer zu sein. Eine Herde Schafe ohne eigene Meinung, die sich bis zum Abgrund führen lässt! Ich sass immer auf einer Art von Abschussrampe im Betrieb, darum sammelte ich stets Material, das ich notfalls 532 533 gegen die Direktion losschiessen konnte. Am Schluss, nach 28 Jahren, hatte ich einen dicken Bundesordner voller Belege, am letzten Arbeitstag entsorgte ich diesen feierlich! Da waren Beweise, z.B. Verschwendung von Bundesgeldern, bis hin zu rassistischen Äusserungen an Sitzungen. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 41 Es läuft nicht wie geplant! Nach unserer Rückkehr aus den USA, sollte der normale Alltag wieder beginnen. Die Heiratsurkunde lag beim Schweizer Generalkonsulat in San Francisco, ich konnte annehmen, dass alles bestens abläuft und machte dabei einen Fehler, der möglicherweise den Ausschlag gab für das Schlamassel, indem ich mich nach kurzer Zeit befand. Ich wollte fairerweise die Aida von meinen gemachten Schritten informieren, indem ich ihr eine Kopie der Scheidungsurkunde zustellte. Einmal musste sie es ja doch erfahren, sofern sie nicht bereits davon Wind bekam? Dorothy suchte inzwischen eine Anstellung und fand auch eine recht gut bezahlte Stelle als Sekretärin bei einer amerikanischen Firma im Flughafen Kloten. Alles war provisorisch, weil unsere Ehe in der Schweiz noch nicht amtlich registriert war. Endlich trafen die Unterlagen vom Generalkonsulat in San Francisco in Bern ein, aber da fehlte etwas, die Scheidungsurkunde war nur von den USA Behörden beglaubigt, nicht aber von der Schweizer Botschaft in Santo Domingo! Das konnte ins „Auge“ gehen, den nun musste ich diese Urkunde mit Express Post nach Santo Domingo senden, und das Konsulat sollte das OK geben und diese eiligst nach Bern senden! 533 534 Aber inzwischen erhielt ich vom Bezirksgericht Zürich, eine Vorladung auf Mitte Juni 1994, Thema:“In Sachen getrennt Leben für das Ehepaar B.-M.“ , Aida hiess zuvor „Mateo“, das war der Name ihres Ehemannes auf den Philippinen. Vertreten war sie von einem Anwalt namens „Gontensweiler“. Noch war ich zuversichtlich, dachte ich doch, weil sie davonlief, die Schuld liege eindeutig bei ihr und das Ganze könnte höchstens eine Formsache bleiben. Zudem hatte ich eine Rechtsschutzversicherung für zivile Prozesse und war der irrigen Ansicht, diese würde den Fall schon übernehmen, sollte ich Schwierigkeiten kriegen! Aber das war alles nur eine „Fata Morgana“, ich war auf dem besten Weg in eine juristische Sackgasse zu rasen! Und nun begann sich alles gegen mich zu wenden, mein Expressbrief kam einfach in Santo Domingo nicht an, obwohl eingeschrieben, die spanischsprechende Konsulin, welche ich fast täglich telefonisch ansprach, gab sich jede Mühe, aber sie sagte mir, leider würden gerade Expressbriefe oft bis sechs Monate auf der Post liegen bleiben! Das hörte sich bitter an, sollte das nun ausgerechnet bei meinem Fall so sein, dann war ich geliefert! Ohne eine beglaubigte Scheidungsurkunde an den Gerichtstermin, nein, das musste ich unbedingt vermeiden! Ich ersuchte um Fristerstreckung, mit der Begründung, meine Papiere wären noch nicht eingetroffen, aber ich erhielt eine brutale Absage, wie ich später erfahren konnte, einzig darum, weil ich keinen Anwalt hatte! Ich ahnte das Allerschlimmste auf mich zukommen, nur ein Wunder aus Santo Domingo konnte mich noch retten! Aber das Wunder blieb aus, der Brief war noch immer nicht eingetroffen, zudem sagte mir die Frau Konsulin, die Scheidung werde erst beglaubigt, wenn sie während einer Zeit von vier Wochen im Anzeiger von Santo Domingo publiziert war. Das war eine neue Hiobsbotschaft, unter diesen Bedingungen konnte ich noch Monate warten, das Wasser stand mir schon am Hals! Der Gerichtstermin kam immer näher und näher! 534 535 Kapitel 42 Die Katastrophe Wegen den fehlenden Dokumenten hatte ich schon einige Bedenken, was die bevorstehende Gerichtsverhandlung anbetraf. Aber ich ging trotzdem gelassen an diese Sitzung, beim Stauffacher wartete ich vor der verschlossene Haustür zum Gericht. Draussen sah ich die Aida mit ihrem Anwalt umherlaufen, intensiv diskutierend und manchmal zu mir hinschauend. Etwa fünf Minuten vor dem Termin, erkannte ich, dass man, um die Türe öffnen zu können, ganz oben links einen Knopf drücken musste, eine an sich ausgefallene Technik, denn wer das nicht wusste, stand einfach draussen vor der Tür. Ich schaffte es noch zur Zeit im richtigen Stock einzutreffen und mich zu melden. Schon wurde ich in einen grossen Saal gewiesen, vorne sassen Richter und Personal, rechts davor die Aida und ihr Anwalt, und mir wurde hinten beim Eingang ein Platz zugewiesen. Protokolle wurden verlesen, ich hörte nur teilweise zu, aber schon jetzt war mir klar geworden, hier gab es nur einen Schuldigen, und der war ich! Der Anwalt las seitenlange Anklagepunkte gegen mich vor, dass mir hören und staunen verging! Ich wurde mit Vorwürfen überschwemmt, die ich bei dieser Gelegenheit zum aller ertsen Mal vernahm, etwa, dass die Aida ausgezogen sei, weil meine Ex-Partnerin, die Delia im andern Hausteil lebte, und ich würde diese immer noch lieben, da kam ich aber ins Staunen, davon hatte ich keine Ahnung gehabt. Und ich hätte die Aida ständig erniedrigt, weil ich mich über ihre früherern Arbeitgeber lustig machte. Es war erstaunlich, was wir in den knapp 90 Tagen, die wir zusammen verbrachten für Partnerprobleme gehabt haben sollen. Ich dachte, der Anwalt müsse nun einmal sämtliche 535 536 Register aus der Kotgrube anbringen, hoffte, der Richter werde dann schon neutraler sein und auch noch ein paar entlastende Punkte zu meinen Gunsten finden. Schliesslich hatte ich ja meinen Standpunkt klar und sachlich zuvor schriftlich eingereicht. Aber da hatte ich mich ganz grob geirrt, was dann der Richter in einer Art von Amoklauf vortrug, das hörte sich für mich geradezu vernichtend an! Da war der Anwalt im Vergleich gerade einmal sanft und lieb. Der Richter liess keinen guten Faden an mir, also, ein internationaler Heiratsschwindler, ein übler Bigamist dem man Einhalt gebieten müsse, einer, der schon zwei Monate nach der Trauung in Vietnam herumgehurt habe, (was völlig falsch war, wenn schon, dann in Thailand!), einer, der bereits anlässich des Hochzeitsessen, die Tochter der Braut aufs Übelste beleidigt habe, ein Sadist, welcher von der armen Frau verlangt habe, auf den Uetliberg zu laufen. Es hagelte nur so von Vorwürfen, ich glaubte mich in einem Albtraum, vernahm die Worte des verrückten Richters nur wie von weit weg. Ich erinnere mich nicht, ob das Laudatio eine Stunde oder mehr dauerte, ich weiss nur noch, dass gegen Mittag, er noch von saftigen Alimenten sprach, die man diesem Betrüger auferlegen müsse. Dann endlich schloss der Richter und fragte mich dann, ob ich da noch etwas hinzu zu fügen hätte? Ich sagte nur, ich könne dazu nicht Stellung nehmen, da ich das meiste zum ersten Mal gehört hätte, mehr brachte ich nicht heraus! Ich war noch so froh aus diesem Raum verschwinden zu können, auf dem Weg nach Hause dachte ich, ob die wohl wirklich meinen Fall behandelten oder ob da ein Irrtum vorliegen könnte? Es war das allererste Mal, dass ich vor einem Richter sass, zudem noch in einer Zivilstanssache, aber ich hatte den Eindruck, ich hätte mindesten einige Leute umgebracht und wäre ein Schwerstkrimineller. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ 536 537 Kapitel 43 Kampf gegen Windmühlen Als ich dann das Gerichtsurteil zugestellt erhielt, ich hatte bereits eine Phobie gegen diese Brieffarbe, war der Scherbenhaufen komplet! Meine Scheidung in Santo Domingo wurde mangels Unterlagen als ungültig erklärt, die Ehe mit Dorothy in Las Vegas ebenfalls, da noch nicht amtlich registriert, der Aida wurde zugestanden getrennt von mir leben zu können, dafür musste ich ihr monatlich Alimente von rund Fr. 2.800.- zahlen. Gegen diesen Entscheid konnte ich innert einer Frist beim Obergericht des Kantons Zürich, Rekurs einreichen. Und es kam noch besser, meine Rechtsschutzversicherung zahlte 200.Franken und verwies auf das Kleingedruckte, wonach zivile Prozesse nicht bezahlt werden! Sie empfahlen mir aber vier ihrer „Vertrauensanwälte“, mit denen ich unbedingt Kontakt aufnehmen sollte. Aber wir standen kurz vor den Sommerferien, und drei von ihnen waren bereits abwesend oder dabei zu gehen. Die Katastrophe war nun voll eingetroffen, ich lag buchstäblich in der Scheisse! Nur einer der vier Anwälte war da, ein Dr.P. im Kreis zwei, ich machte einen Termin ab und suchte ihn auf. Dass der nicht gerade der hellste war, stellte ich schon beim ersten Treff fest, wenn er aber von meiner Versicherung einen Heiligenschein verpasst erhielt, musste ich mich wohl täuschen! 537 538 Ich schätzte ihn um die dreissig Jahre, eher introvertiert, aber das musste ja noch kein Versager sein. Zudem hatte ich keinerlei Erfahrung mit Anwälten, mein Kollege Fritz pflegte aber zu sagen, es gebe drei Gaunerberufe, alle fingen mit dem Buchstaben A an: Apotheker, Aerzte und Anwälte. Und wenn einer sich Dr.iur. nannte, musste er ja immerhin eine bestimmte Zeit in den Paragraphenfäkalien herumgewühlt haben, damit er seinen Dr.Titel erhielt. Also, ich erklärte ihm meinen Fall dreimal, denn zweimal spurte er nicht, was ich auf Grund seiner dummen Antworten erkennen konnte. Ich fragte ihn dann direkt, ob er überhaupt ein Anwalt sei und schon einmal einen Fall gehabt habe? Er lief rot an und zeigte auf die Buchreihe hinter ihm: Ja, sehen Sie diese Bücher, das ist unsere Rechtssprechnung!“Damit wollte er mir vermutlich beibringen, er kenne sich da aus! Beim dritten Anlauf schien er dann doch mehr verstanden zu haben und kam auf den seltsamen Vorschlag, ich sollte doch nach Santo Domingo fliegen und die Urkunden holen, weil im Gerichtsprotokoll stand, ich sei gar nicht dort gewesen bei der Scheidung. Ich musste ihm dann beibringen, dass das bestenfalls eine Bieridee sei. Obwohl er sich Scheidungsanwalt nannte, hatte er keine Ahnung, wie sich diese internationalen Fälle abwickelten. Ich traute dem Kerl nicht, musste aber schnell handeln, weil die Frist am Obergericht ablief, also schlug er vor, dort Rekurs einzureichen. Natürlich dachte er auch an sein Honorar und gab mir einen Einzahlungsschein für den Betrag von 5000.- Franken, das blieb auch seine einzige Stärke bis zum Schluss! Er konnte es nicht lassen, mit jedem Schreiben auch noch eine Honorarabrechnung zu senden. Zusammen mit den Gerichtskosten, ergaben sich im Lauf der Zeit gute Fr. 120.000.Für Spannung war gesorgt, nun kam auch noch die Fremdenpolizei und wollte Dorothy ausweisen. Auch diesen Fall übergab ich meinem Anwalt, da war er weniger 538 539 überfordert. Immerhin verhalfen mir die Sommerferien zu einer Verschnaufpause. Ich führte einen Mehrfrontenkrieg, einmal mit dem Amt dür Zivilstansfragen in Bern, die ständig fragten, wann endlich die Urkunde aus Santo Domingo eintreffe, aber die blieb einfach auf der Post verschwunden, dann waren da die Vorbereitungen für das Obergericht, ein Termin war auf den Herbst vorgesehen. Ich befand mich in einer sehr misslichen Situation, in einer wahren Zwickmühle, aus der es keinen vernünftigen Ausweg gab. Ich prüfte unzählige Varianten, kam aber auf kein brauchbares Resultat, denn ich war nun in Zürich festgenagelt. Der Anwalt schlug vor, nebst dem Obergericht, gleichzeitig erneut eine Scheidungsklage beim Bezirksgericht Uster, einzureichen. Das führte über die Friedensrichterin, welche wir dann im Lauf der folgenden neun Jahre noch zweimal aufsuchen mussten. Und jedes mal sagte sie:“Aber ihr seid doch schon einmal da gewesen!“ $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 44 Endlich eingetroffen! Nach allen diesen Hiobsbotschaften, erhielt ich endlich eine positive Meldung aus Santo Domingo, mein Expressbrief war nach Monaten endlich bei der Schweizer Botschaft eingetroffen. Ich befürchtete jedoch, dass dies den negativen Ablauf meines Falles nicht mehr retten konnte. Aber es war der letzte Strohhalm an dem ich mich klammern konnte. Die Frau Konsulin, eine Dominikanerin, 539 540 gab sich die grösste Mühe, sie veranlasste sogleich die erforderliche Anzeige in der Zeitung, wobei die Kosten grosszügigerweise vom Konsulat übernommen wurden. Dann konnte sie die Urkunde beglaubigen und nach Bern weiter leiten, dort jedoch versteckten sie sich in Schweigen, rief ich an, war die zuständige Person nie anwesend! Als ich dann endlich doch jemanden sprechen konnte, hiess es lapidar, ja das Dokument sei eingetroffen, aber es gebe da ein schwebendes Urteil aus Zürich! Das wars also, der Kreis des Unheils war geschlossen, nun konnten die dort argumentieren, sie müssten vorerst ein definitves Gerichtsurteil abwarten! Ich kämpfte fortan gegen Windmühlen und das ohne grosse Chancen. Ich war auf dem besten Weg schachmatt erklärt zu werden. Anfangs November war der Termin beim Obergericht, mein Anwalt erklärte lediglich, dass wir beim Bezirksgericht Uster eine erneute Scheidungsklage eingereicht hätten, immerhin wurden dann die Alimente von fast 3000.- auf etwa 700.monatlich herabgesetzt. Beim Obergericht herrschte auch eine andere Stimmung, da wurde ich nicht mehr wie ein Schwerstkrimineller behandelt. In der Folge musste dann die Aida ihre teure Luxuswohnung in Oerlikon, gegen eine wesentlich günstigere tauschen. Nur wenige Tage danach war der Termin in Uster fällig. An diese Verhandlungen erinnere ich mich weniger, es ging auch zivilisierter zu als damals beim Bezirksgericht Zürich. Zudem war ich nun der Kläger und die Aida die Beklagte, wie das damals hiess. Beide Parteien boten ihre Zeugen auf, dabei wollte die Aida auch unsere Nachbarin Frau Poli aufbieten, aber diese kannte die Aida gar nicht, doch die Aida beharrte darauf, dass Frau Poli aussage, sie, die Aida habe im Garten gearbeitet! Habe nie mitbekommen, was das bei einer Scheidung soll? Frau Poli wehrte sich gegen das Aufgebot, aber laut Gesetzt, musste sie vorsprechen, ansonsten die Polizei sie festnehmen konnte, dabei war sie selber die Frau des örtlichen Polizeichefs. Frau Poli ging hin und sagte nur aus, sie habe 540 541 diese Person noch nie gesehen. Aida hatte mühe Zeugen zu finden, es gab ja nichts zu beweisen, ich hingegen, bot eine ganze Anzahl auf. Im Nachhinein waren diese jedoch eher wie Boomerangs für mich und keine Zeugen wären besser gewesen. Da war der Erich, er hielt dem Gericht einen Monolog über das Hurenwesen im Kreis vier, seine Gutsprache für mich, hörte sich dermassen parteiisch an, dass das Gericht befand, ich hätte ihn bestochen! Dann die Anita, seine Frau, sie beklagte sich beim Gericht nur über ihren Mann, den Erich, das Gericht wies sie zurück, weil sie mich gar nicht erwähnte. Dann kam die Delia, die über die Hexe Aida wetterte und keinen guten Faden an ihr liess, das Gericht nannte ihre Aussagen subjektiv einseitig. Sohn Rey, wusste auch nicht so richtig was er sagen sollte, auch sein Auftritt war für mich nutzlos wie alle andern auch! Diese Zeugenbefragung dauerte allein gegen ein halbes Jahr, dann wurde alles wieder vertagt, und der Anwalt der Aida vestand es, die Termine x-mal verschieben zu lassen. Das gehörte wohl zur Taktik, aber ich hatte mich langsam an dieses Leben gewöhnt und baute meinen eigenen Schlachtplan auf. Wer zuletzt lacht, lacht am besten, wurde zu meinem Slogan. Mein massiv geschrumpftes Vermögen verschrieb ich dem Sohn. Das Haus, respektive meinen Anteil, vermachte ich dem Sohn als Erbvorbezug. Ich hatte nach vier Jahren Prozessieren einfach nichts mehr! Nach mehreren Sitzungen in Uster, wurde dann entschieden, die Scheidungsklage wegen Zerrüttung abgewiesen, es war die Idee meines Anwaltes auf völlige Zerrüttung zu plädieren, aber dasGericht sah das anders, wer nur gerade einmal ein paar Wochen zusammen lebte, könne gar nicht zerrüttet sein! Mein Anwalt schämte sich und kam auf die erneute Idee, es doch in Santo Domingo zu versuchen, nun ja, das Honorar hatte er bezogen! Aber ich war nun auch nicht mehr in Eile, Dorothy schaffte es, mit der Hilfe einer Anwältin, doch bleiben zu können. 541 542 Zudem waren die Beziehungen zwischen ihr und mir auch nicht mehr wie früher. Besonders bezuglich Intimleben hatte ich etwas andere Vorstellungen, wenn ich einmal in Stimmung war, dann hiess es, aber erst um 20.30, sie müsse noch die Tagesbuchhaltung machen, ok, ich war dann um diese Zeit bereit im Schlafzimmer, aber sie grübelte immer noch am PC herum, und wenn ich rief, hiess es vom Büro her:“in etwa 20 Minuten, ich habe noch eine Differenz von 20 Rappen“. Um 21 Uhr immer noch nicht da, dann endlich, wenn ich frustriert war, kam sie doch noch und sagte ungeduldig:“aber schnell, um 21.30 ist der „Laden“ geschlossen!“ Ich wurde natürlich wütend und wollte diese Spiele nicht mehr mitmachen, dazu kamen noch die Ausraster wegen den Spinnen und Ameisen. Wenn sie so einem Haustier begegnete, gegann sie derart laut zu schreien, dass die Umgebung dachte, sie werde von mir umgebracht! Wir hatten eigentlich nur einen gemeinsamen Nenner, und das war der schwarze Kater Timo. (Siehe:Timo der schwarze Kater).Fortan arbeitete die Zeit für mich, und als ich mich mit 59 vorzeitig pensionieren liess, erhielt ich wegen dem Ehestand gesamthaft etwas mehr Geld, obwohl ich noch Alimente zahlen musste. Ich war deshalb nicht interessiert, diesen Zustand rasch ändern zu wollen, das aber wusste die Aida nicht. Der Anwalt zog dann den Gerichtsentscheid wieder vors Obergericht. Meine veränderte Wirtschaftslage, veranlasste dann, dass seine Rechnung und jene des Gerichts von der Staatskasse übernommen wurde. Bald aber entliess ich ihn wegen Unfähigkeit, sistierte den Fall beim Obergericht und unternahm nichts mehr. Später erfuhr ich, dass er nun Wirtschaftsanwalt wurde, weil er sämtliche Scheidungsprozesse verlor. Ich denke, bei der Müllabfuhr würde er besser abschneiden! 542 543 Ich blieb somit weiterhin mit der Aida verheiratet und plante erst ab dem Jahr 2003 erneut auf Scheidung zu klagen. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 45 Vorzeitig pensioniert Ich war nur noch halbherzig bei meiner Arbeit, ein Halbschuh von einem Vorgesetzten, ein neuer Direktor, den man bei der Swissair abgeschoben hatte, angeheuerte IT Spezialisten, welche es bestens verstanden, möglichst viel Unruhe in den Betrieb zu bringen, Mobbing wurde in allen Formen praktiziert. Zudem machte mir meine Sehkraft zu schaffen, mit dem linken Auge war rein nichts mehr zu sehen und beim rechten machte sich ein Graustar bemerkbar. Mit der Dorothy wars mehr oder weniger auch aus, weil aber meine Ehe nicht registriert war, musste ich mich auch nicht scheiden lassen. Seit 1991 verbrachte ich nun meine Langzeitferien in Pattaya. Meistens nahm ich die sechs Wochen von Dezember bis Januar, wobei sich mit den Feiertagen übers Neujahr gegen sieben Wochen ergaben. Der Rückflug wurde immer mehr zur Qual, besonders, weil ich in der kalten Jahreszeit immer über starke Knochenschmerzen an den Gliedern verspürte. Mit 57, also im Jahre 1995, versuchte ich in einen ersten Versuch um eine vorzeitige Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen. Aber ich machte vermutlich 543 544 einen Fehler bei der Untersuchung, wahrheitsgetreu sagte ich, wieviel ich mit meinem rechten Auge noch sehen konnte. Die Antwort vom ärztlichen Dienst der Bundeskasse war dann auch entsprechend, ich könne durchaus noch genug sehen um meine Arbeit auszuführen! Dabei war das schon fast sarkastisch, weil ich nach wenigen Stunden am Bildschirm einfach nichts mehr sah! Besonders nach der Verabreichung der Augenmedizin. Im Januar 1997, ich kam einmal mehr völlig frustriert aus Pattaya zurück, war dann im Büro alles anders, ich war im Organigramm gar nicht mehr aufgeführt, als ich den Direktor zur Rede stellte, brachte der allerlei Ausreden vor, wie, es wäre ja nur eine Übergangslösung und ich würde bis zu meiner vorzeitigen Pensionierung genau die selbe Arbeit ausführen. Natürlich akzeptierte ich solchen Scheiss nicht, stieg ihm nochmals auf die Bude, wonach wir uns dann mit netten Worten unter der Gürtellinie beglückten, wobei ich betonen muss, dass er damit angefangen hatte, indem er mich „Hinterfützig“ nannte! Ich erklärte ihm dann, dass ich am allerliebsten gleich aufhöhren wollte, weil ich ja doch kaum noch sehen könne! Und nachdem er wohl dachte, einen, der ihm derart die Meinung sagte, würde er am besten auch gleich loswerden, sonst könnte er noch mehr hören, sagte er zu meiner Überraschung:“Gut, ich helfe Ihnen dabei, ich schreibe sogleich nach Bern,“ rief seine Sekretärin, aber die war vermutlich gerade an einer anderen Sitzung? Aber er versprach mir, die Sache selber in die Hand zu nehmen und noch am gleichen Tag zu agieren. Ich kam selten einmal so glücklich ins Büro zurück, wie an diesem Morgen. Ich traute aber der Sache nicht so recht, denn der Kerl war eine wahre Blindschleiche. Aber er hielt sein Wort, jedoch waren da noch andere Instanzen zu überwinden! Da war wieder dieser Augentest, und diesmal sah ich kaum etwas, aber man wollte noch nicht zusagen, noch mussten Abklärungen gemacht werden, so rief eine Person an, und fragte, ob eventuell eine Halbtagsarbeit in Frage käme? 544 545 Ich antwortete umgehend:“Also, was denken Sie eigentlich, wenn ich ganztags kaum etwas sehe, dann ist das halbtags auch so!“ Die Person war sprachlos und dann kamen keine seltsamen Fragen mehr auf. Ich muss natürlich betonen, dass auch meine Arbeit teilweise pendent blieb, ich erledigte nur noch die aller wichtigsten Anfragen, so konnte ich das gute Auge schonen. Und dann kam die erlösende Mitteilung, ich konnte mich ab dem 1. August 1997 in den vorzeigigen Ruhestand begeben. Und weil das aus gesundheitlichen Gründen erfolgte, war laut Statuten auch keine Rentenkürzung vorgesehen. Weil ich nun weniger Einkommen hatte, fragte ich die Dorothy, ob sie bereit sei, etwas an die hohen Hauskosten zu leisten, diese aber flippte aus und argumentierte, sie wäre doch mit mir verheiratet und schliesslich zahle die Delia auch nichts! Sie suchte sich dann eine Vierzimmerwohnung in der Nähe, die sie dann dreimal mehr kostete, als was ich von ihr wollte. Aber mir konnte es nur recht sein, ich wurde dadurch auch unabhängiger, konnte das Haus meinem Sohn überschreiben und er zog dann später dort ein. Der Abschied im Geschäft vollzog sich sehr nüchtern, ich wollte keinen Tam-Tam, am liebsten gar nichts. Im oberen Kader war man froh, einen Querulanten los zu sein, mein Artikel in der Hauszeitung hatte sie alle schockiert, als ich schrieb, den Wasserkopf in Lausanne, mit rund 40 bis 50 Personen, könnte man problemlos auflösen, niemand würde etwas bemerken oder vermissen, stempelte mich in Lausanne zur „Persona non grata“, zum, Bösewicht. Das schrieb ich um das Jahr 1987-88, und zehn Jahre später wurde dann das Ganze eben doch aufgelöst. Als ich die Meldung im Radio vernahm, machte sich bei mir doch eine leichte Genugtuung breit! Zwar wurde die Hauszeizung auch in Bern gelesen, ich denke jedoch, dass es nicht mein Artikel war, welcher den Ausschlag für die Schliessung gab, weil auch andere Leute zum gleichen Ergebnis kamen, dass es sich dort eher um eine Arbeitsbeschaffungszentrale handelte und weniger um eine schweizerische 545 546 Handelszentrale. Der damalige Direktor, verstand es bestens, immer wieder neue Abteilungen zu kreieren, die sich dann gegenseitig emporonanierten, darum interpretierte ich unseren Kürzel “OSEC“ wie folgt:“ Organisation Sexuell Entgleister Chaoten“. Allein schon diese sarkastische Bemerkung stempelte mich zum internen Unmenschen. Der Abschied von dieser Organisation, besonders aber vom obereren Kader, (ich war ja beim unteren Kader) wurde dadurch auch unproblematisch für mich. Ich kann sagen, die Sympathien, respektive Antipathien, waren gegenseitig. Ich hatte absolut keine Mühe, mich materiell und spirituell von der OSEC los zu lösen. Hingegen musste ich mich daran gewöhnen, am Morgen nicht mehr den Wecker zu richten. Und während den ersten Monaten war mir beim Aufwachen nicht klar, ob ich nun wirklich im Ruhestand war, oder ich das eventuell nur geträumt hatte? $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Kapitel 46 Rentner in Thailand Alles ging etwas schnell, noch konnte ich mich mit dem Titel „Rentner“ nicht so richtig identifizieren, aber langsam konnte ich mich mit diesem Zustand abfinden. Es war schon eine tiefgreifende Umstellung, nach mehr als 40 Jahren Arbeit einfach davon befreit zu sein, das heisst, man durfte leben ohne dafür arbeiten zu müssen! Das können ja bekanntlich nur sehr wenige Leute, denen es vergönnt war, 546 547 reiche Eltern zu haben! Für mich war aber seit vielen Jahren klar, dass ich meinen Lebensabend nicht in der feuchten, kalten Schweiz verbringen wollte. Als ich noch mit der Delia verheiratet war, liebäugelte ich natürlich mit den Philippinen. Aber das war dann plötzlich nicht mehr die allereinzige Destination, die sich mir offenbarte. Ich machte richtige Vergleichsstudien, unter Berücksichtigung aller wichtigen Punkte wie: Lebenskosten, Klima, Distanz zur Schweiz, Sprachen, Aufenthaltsmöglichkeiten,(Visum etc.), Religion des Landes, Mentalität der Leute, etc. Dabei war das Tessin die am nächsten gelegene Destination, Hawaii die am entferntesten gelegen! Auch Kalifornien und Florida waren dabei, ferner Mexiko (Acapulco), Santo Domingo, Brasilien, die Kanarischen Inseln, und auch die Costa Blanca und Costa del Sol. In Südostasien waren es Thailand und die Philippinen. Kambodscha und Malaysia waren damals noch nicht aktuell, trotzdem blieben mir gegen 12 Destinationen zum abklären und auswählen. Gegen den Schluss, blieben noch drei Destinationen, Thailand, Philippinen und Brasilien. Brasilien schied aus, weil dort Winter ist, wenn wir Sommer haben, und ich wollte ja die Sommermonate, wenn irgendwie möglich, jeweils in der Schweiz verbringen. Thailand und die Philippinen erbrachten die gleiche Punktzahl, nun musste ich abwägen, in Thailand gab es wesentlich mehr günstige Angebote an Studios und Wohnungen, war aber auch die Gesundheitsversorgung markant besser, besonders in Pattaya und Bangkok, aber auch das Essen war in Thailand ungleich besser als auf den Philippinen. Auch der Buddhismus war mir symphatischer als die katholische Kirche auf den Philippinen. Hinderlich fand ich lediglich die Sprache, die so anders war und die ich einfach nie richtig erlernen konnte. Auf den Philippinnen war das Leben noch etwas billiger, aber auch anspruchsloser, dafür war die Sprache Tagalog und Englisch fast eine Einladung! 547 548 Englisch sprachen die meistens Leute, und selbst Tagalog konnte man in kurzer Zeit problemlos lernen. Wer nun aber behauptet, ich hätte mich wegen den Thaifrauen (oder den Frauen aus dem Isaan) schliesslich für Thailand entschieden, liegt falsch, diesbezüglich fand ich zu den Philippinen am wenisgten Unterschiede! In Thailand wiederum, prüfte ich besonders zwei Destinationen, einmal das eher verufene Pattaya (wobei dieser Ruf auch schon früher völlig zu unrecht bestand, und später nur noch geschichtlich aufrecht erhalten wurde, denn dann müssten auch Orte wie Chiang Mai, Phuket, Bangkok etc. den genau gleichen Ruf haben), dann noch Chiang Mai im Norden. Im Jahr 1995, verbrachte ich einen ganzen Monat in Chiang Mai, in den Wintermonaten kann es recht kühle werden, aber sonst ist es auch angenehm und preiswert. Hingegen fehlte mir das Meer, ich pflege zwar nicht im Meer zu baden, aber ich mag es am Meer entlang zu wandern und die frische Meeresluft zu geniessen. Phuket kannte ich nicht, aber die Informationen darüber klangen eher nach Hochpreisdestination. Koh Samui kam nicht in Frage, weil ich nicht auf einer Insel leben wollte, zudem waren diese beiden Destinationen auch viel weiter vom Flughafen Bangkok entfernt. So entschied ich mich schliesslich für das Sündenbabel Pattaya, 1997, mein erstes Langzeitjahr, verbrachte ich noch im „New Firehouse“ , früher „Holidaycorner“, in Südpattaya. Dort verbrachte ich meinen Urlaub von 1992 bis 1996, und leider verwahrloste das Hotel immer mehr, die Preise aber stiegen trotzdem an. (Gut 10 Jahre später wurde das Hotel abgebrochen!) Ich suchte laufend nach Studios und Langzeitwohnangeboten, dafür lief ich oft bis nach Nordpattaya und Jomtien, und bis hinauf zur Sukhumvitstrasse, es war immer gleich, je weiter weg vom Zentrum, umso billiger die Unterkunft. Weil ich aber kein 548 549 Fahrzeug lenken wollte, kam für mich einzig eine zentrale Lage in betracht. Erst mietete ich während dreier Monate ein Zimmer im „Apex Hotel“ an der Second Road, dann im „Hotel Skawbeach“, wo die Preise sehr atraktiv waren und die Zimmer aussergewöhnlich gross. Aber die chinesische Familie dort war wenig flexibel für Langzeitangebote, so zog ich nach rund zwei Jahren wieder aus. Schon mehrmals pilgerte ich zum nahen „Diana Estate“ Komplex, aber jedes Mal hiess es dort, es gebe keine freien Condos. Im Februar 2000, als ich beschloss, im Skawbeach auszuziehen, ging ich nochmals ins Diana hinauf, ich lief dort in irgend ein Büro und erkundigte mich, ob es möglich sei, auf den ersten November ein Condo zu buchen? Der kleine Chef dort sagte nur: „kein Problem, Sie müssen aber sogleich eine Monatsmiete anzahlen“. Ich sagte:“Kein Problem, ich bringe gleich das Geld!“ Als ich dann am ersten November einzog, erhielt ich ein Condo im 8. Stock oben. Ein Studio von rund 30 m2, mit Kochgelegenheit. Und es gefiel mir dort derart gut, dass ich das Studio drei Monate später kaufte. Der Preis war damals relativ niedrig und ich bereute den Kauf nie. Natürlich war das nur für eine Person gut, aber ich wollte ja fortan alleine wohnen. Lieber zahlte ich einer Frau ein zweites Studio, damit ich meine Freiheiten behalten konnte. Payttaya bietet zudem ungleich viele Sport und Ausflugsmöglichkeiten, wie kaum ein anderer Ort weltweit. Golfen, Schiessen, Tauchen, Wassersport, Hochseefischen, Reiten, etc. aber auch vorgelagerte Inseln, ein Elephantenpark, Tigerzoo, Krokodilfarm, Mini Siam, Nong Nough Garten. Aber auch viele grosse Einkaufszentren, und nicht zu vergessen, eine Riesenauswahl an Restaurants von fast allen Ländern der Welt. Leider ist der Strassenverkehr seit jeher chaotisch, sind die Trottoirs oft mit grossen Löchern bestückt, gibt es für den Fussgänger kaum eine Möglichkeit, die Strassen gefahrlos überqueren zu können! Auch damit muss man sich abfinden können und das Beste daraus machen! Wer sich ständig darüber aufregt, sollte 549 550 besser das Land wieder verlassen, denn ändern können wir es nicht von uns aus. $$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ Ende Teil 4 NB:Natürlich könnte man da noch einen Teil 5 folgen lassen, aber einmal im Ruhestand, reduziert sich der tägliche Lebenskampf auf belanglose Dinge und ist längst nicht mehr derart interessant wie die Jahre zuvor! Persönlich bin ich der Ansicht, dass die ersten 10 Jahre am meisten interessieren, dann die Zeit von 10 bis 20, gefolgt von Teil 3, und Teil vier bereits langweiliger ist, (Heirat).Band 5 wäre von 01.01.1999 bis und mit 31.12.2028. Doch darüber entscheidet eher Lord Buddha! Zusammenfassung: 550 551 Teil 1: 01.09.1938 bis 31.08.1948 Teil 2: 01.09.1948 bis 31.08.1958 Teil 3: 01.09.1958 bis 31.12.1968 Teil 4: 01.01.1969 bis 31.12.1998 Kapitel Seiten Teil 1 : 72 132 Teil 2 : 78 155 Teil 3 : 30 105 Teil 4 : 46 160 ________________________ Total : 226 552 ===================== 551 552 552 553 553