Umweltpolitische Bewertung des Reglements von Straßenplanungen

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Umweltpolitische Bewertung des Reglements von Straßenplanungen
Reglements der Straßenplanung in Deutschland aus umweltpolitischer Sicht
Seite 1
Überprüfung der Angemessenheit und Wirkung
von Inhalt und Struktur des Reglements der Straßenplanung
in Deutschland aus umweltpolitischer Sicht
Abschlussbericht
Stand 09.09.2013
Reglements der Straßenplanung in Deutschland aus umweltpolitischer Sicht
Auftraggeber:
Seite 2
Bündnis 90 / Die Grünen
Bundestagsfraktion
Auftragnehmer:
Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
Stadt - Verkehr - Umwelt, SVU Dresden
Inhaber Tobias Schönefeld
Bearbeiter:
Dr.-Ing. Ditmar Hunger
Dipl.-Ing. Tobias Schönefeld
Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
Stadt - Verkehr - Umwelt
Dresden
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Reglements der Straßenplanung in Deutschland aus umweltpolitischer Sicht
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Inhalt
1 VERANLASSUNG UND ZIELSTELLUNG ___________________________________ 8 2 RELEVANTE RICHTLINIEN UND REGELWERKE ____________________________ 8 2.1 FGSV-Regelwerke______________________________________________________8 2.1.1 Entstehungsgeschichte __________________________________________________9 2.1.2 Aufbau der aktuellen Richtliniengeneration __________________________________10 2.2 Straßenverkehrsordnung / zugehörige Verwaltungsvorschrift ________________12 2.3 Weitere Regelwerke, Richtlinien und Rahmenbedingungen __________________12 3 AUSWIRKUNGEN UND ANWENDUNGSPROBLEME _________________________ 13 3.1 Verbindungsfunktion gemäß RIN ________________________________________13 3.2 Verkehrsprognosen ___________________________________________________17 3.3 Kosten-Nutzen-Berechnungen __________________________________________20 3.4 Lärmschutz / Gesundheitsschutz an Bestandsstraßen ______________________24 3.5 Neubau statt Ertüchtigung _____________________________________________27 3.6 Fehlende integrierte Netzplanung / planerische Zielstellungen _______________32 3.7 Städtebauliche Dimensionierung ________________________________________35 3.8 Finanzierung / Fördermittel _____________________________________________38 3.9 Qualitative Bewertung des Verkehrsablaufes ______________________________40 3.10 Auswirkung von Geschwindigkeiten _____________________________________43 3.11 Verbreiterung der Regelquerschnitte _____________________________________47 3.12 Dimensionierung von Anschlussknotenpunkten ___________________________52 3.13 Anwendung / Nutzung von Ermessensspielräumen _________________________58 3.14 Planungsprozess / Interessenkonflikte ___________________________________61 4 ZIELSTELLUNGEN / ZUSAMMENFASSUNG DER HINWEISE __________________ 62 5 ZUSAMMENFASSUNG / FAZIT __________________________________________ 67 6 LITERATURVERZEICHNIS ______________________________________________ 70 Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
Organigramm / Übersicht FGSV-Gremien _________________________________9
Abb. 2:
Planungsablauf / Einordnung wesentlicher Richtlinien _______________________11
Abb. 3:
Verknüpfungsmatrix zur Ableitung der Verkehrswegekategorie Kfz-Verkehr ______12
Abb. 4:
Zielgrößen für die Erreichbarkeit zentraler Orte / zentrale Orte 2004____________14
Abb. 5:
Zentrale sozioökonomische Leitdaten der Bundesverkehrsprognose 2025 _______19
Abb. 6:
Kosten-Nutzen-Komponenten für den Ausbau der B 93n (2.Vorstudie 2005) _____21
Abb. 7:
Regelquerschnitt RQ 15,5 mit wechselseitigen Überholmöglichkeiten___________27
Abb. 8
Parallelverlauf BAB 14 / B 106 südlich von Schwerin________________________29
Abb. 9
Parallelverlauf geplante BAB 14 mit den bestehenden B 189 / B 5 / B 106 _______30
Abb. 10
Variantenvergleich Bad Reichenhall (Kirchholztunnel / Ausbau im Bestand) ______31
Abb. 11
Vergleich Flächenverbrauch (Kirchholztunnel / Optimierung im Bestand) ________32
Abb. 12
Verkehrsprognose zur Ortsumgehung B 87 Bad Kösen / Naumburg ____________33
Abb. 13:
Beispiele für die Notwendigkeit einer städtebaulichen Dimensionierung _________36
Abb. 14:
Städtebaulich integrierte Gestaltung Bahnhofstraße Cottbus (vorher / nachher) ___37
Abb. 15:
Beispiel Leibnitzstraße in Gera _________________________________________38
Abb. 16:
Beispiel Dresden (Bodenbacher Straße, Leipziger Straße) ___________________39
Abb. 17:
typische Tagesganglinie für einen innerstädtischen Straßenabschnitt ___________41
Abb. 18:
Verteilung der Verkehrsbelegung A 8 ____________________________________43
Abb. 19:
Autobahn BAB 8 zwischen Rosenheim und Salzburg im Bestand ______________49
Abb. 20:
BAB 8 Vergleich Bestandquerschnitt / geplanter 6-streifiger Ausbau____________49
Abb. 21:
Vergleich Verkehrsräume für das Begegnen zweier Fahrzeuge _______________51
Abb. 22:
Dimensionierung mehrspuriger Abschnitte innerorts ________________________52
Abb. 23:
Regeleinsatzbereiche von vierarmigen Knotenpunkten ______________________52
Abb. 24
Parallelverlauf B 169 / K 6612 in Höhe Senftenberg ________________________53
Abb. 25
Umgehungstrasse B 112n im Bereich Brieskow-Finkenheerd _________________55
Abb. 26:
Flächenverbrauch Verknüpfung BAB 8 / B 20
(Umbauplanung / bestandsorientierte Alternativlösung) ______________________56
Abb. 27:
Flächenverbrauch Verknüpfung BAB 8 / B 20
Umbauplanung (rot) / bestandsorientierte Alternativlösung (grün) ______________57
Abb. 28:
Einsatzbereiche von Fußgängerüberwegen gemäß R-FGÜ __________________60
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Tabellenverzeichnis
Tab. 1
Verkehrsaufkommen von Straßenbauprojekten (Prognose / Ist-Belegung 2011) __18
Tab. 2
Kostenvergleich von Straßenbauprojekten (Bedarfsplan / genehmigte Kosten) ___23
Tab. 3
Übersicht zu den Lärmgrenzwerten _____________________________________24
Tab. 4
UBA-Empfehlung für Auslöseschwellwerte bei der Lärmaktionsplanung _________25
Tab. 5
Vergleich Querschnitte der RAS-Q 96 mit den aktuellen Regelwerken __________47
Tab. 6
Zielstellungen / Effekte _______________________________________________62
Tab. 7
Zusammenfassung der Hinweise und Anregungen _________________________66
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Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
BAB
Bundesautobahn
BASt
Bundesanstalt für Straßenwesen
BImSchV
Bundesimmissionsschutzverordnung
BMU
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
BMVBS
Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
DIN
Deutsches Institut für Normung
DTV
durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke in Kfz/24h
EAHV
Empfehlung für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen
EAÖ
Empfehlungen für Anlagen des öffentlichen Personennahverkehrs
EFA
Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen
EntflechtG
Entflechtungsgesetz
ERA
Empfehlungen für Radverkehrsanlagen
ESAS
Empfehlungen für das Sicherheitsaudit von Straßen
ESN
Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen
EWS
Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen
FFH
Fauna-Flora-Habitat
FGS
Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen
FGSV
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen
FGÜ
Fußgängerüberwegen
FStrG
Bundesfernstraßengesetz
GVFG
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
HBS
Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen
HOAI
Honorarordnung für Architekten und Ingenieure
Kfz
Kraftfahrzeug
LAI
Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz
OU
Ortsumgehung
ÖPNV
Öffentlicher Personennahverkehr
QSV
Qualitätsstufen des Verkehrsablaufes
RAA
Richtlinien für die Anlage von Autobahnen
RAL
Richtlinien für die Anlage von Landstraße
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RAS-K
Richtlinie für die Anlage von Straßen, Teil: Knotenpunkte
RAS Q
Richtlinie für die Anlage von Straßen, Teil: Querschnitte
RASt
Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen
RIN
Richtlinien für integrierte Netzgestaltung
R-FGÜ
Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen
ROG
Grundsätze der Raumordnung
RQ
Regelquerschnitt
SPNV
Schienenpersonennahverkehr
StufA
Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau
StVO
Straßenverkehrsordnung
SV
Schwerverkehr
Tab.
Tabelle
UBA
Umweltbundesamt
VDE
Verkehrsprojekte Deutsche Einheit
ZTV
Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen
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Veranlassung und Zielstellung
Als Grundlage für die Planung, den Entwurf, die Gestaltung und Bau von Straßenverkehrsanlagen existieren in Deutschland eine Vielzahl miteinander z. T. eng verzahnter
Regelwerke, Richtlinien und Vorschriften. Diese definieren die Grundlagen beginnend
bei der Netzgestaltung, über die Dimensionierung und Gestaltung bis hin zu verkehrsrechtlichen Vorgaben für die Benutzung und den Betrieb.
Im Rahmen der Untersuchungen zur Angemessenheit und Wirkung von Inhalt und
Struktur der Reglements der Straßenplanung in Deutschland aus umweltpolitischer
Sicht sollen die durch die entsprechenden Regelwerke, Richtlinien und Vorschriften
entstehenden Umweltauswirkungen im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
untersucht werden.
Hierzu sollen u. a. anhand konkreter Beispiele die Aus- und Wechselwirkungen der
Regelwerke, Richtlinien etc. auf die Dimensionierung und Gestaltung der Verkehrsanlagen sowie daraus resultierende Probleme, Hemmnisse und Interessenkonflikte dargestellt und erläutert werden. Auch Probleme bei der Anwendung und Umsetzung der
Richtlinien sollen herausgearbeitet und Hinweise zur Anpassung der entsprechenden
Regelungen abgeleitet werden. Neben den umweltpolitischen Auswirkungen werden
hierbei auch die ökonomischen Effekte, wie z. B. hinsichtlich der Senkung von Investitions-, Unterhalts- und Instandhaltungskosten betrachtet.
Die Betrachtungen erfolgen dabei beispielhaft und erheben nicht den Anspruch auf
Vollständigkeit.
2
Relevante Richtlinien und Regelwerke
Für Planung, Entwurf, Bau und Betrieb von Straßen existieren in Deutschland eine
Vielzahl von Richtlinien, Merkblättern, Leitfäden, Hinweisen, Gesetzen, Anweisungen,
Verordnungen, Technischen Prüfvorschriften, Sammlungen etc. Mittlerweile besteht ein
komplettes Richtlinienwerk, welches nahezu alle verkehrsplanerischen sowie verkehrstechnischen Fragestellungen abdeckt. Nachfolgend werden auszugsweise verschiedene wichtige Richtlinien insbesondere für die Planung von Straßenverkehrsanlagen ohne Anspruch auf Vollständigkeit im Gesamtkontext dargestellt.
2.1
FGSV-Regelwerke
Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ist ein gemeinnütziger technisch-wissenschaftlicher Verein, der Fachwissen aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft bündelt und dessen Gremien (siehe Abb. 1) für die Aufstellung und Fortschreibung des Technischen Regelwerks in den Bereichen Straßenbau,
Straßenverkehrstechnik und Verkehrsplanung verantwortlich sind. Diese Regelwerke
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beschreiben den so genannten aktuellen „Stand der Technik“ und bilden vielfach die
Beurteilungsgrundlage bei gerichtlichen Streitfällen.
Abb. 1:
Organigramm / Übersicht FGSV-Gremien
Quelle: FGSV, FGSV-Gremien 2012/2013
Aktuell bestehen, aufbauend auf den in Abb. 1 dargestellten Arbeitsgruppen bzw.
Querschnittsausschüssen, 66 Arbeitsausschüsse mit 147 Arbeitskreisen bzw. Querschnittsausschüssen in den ca. 2.000 Mitglieder ehrenamtlich tätig sind. Bestandteil
sind u. a. 19 Gemeinschaftsausschüsse mit dem Deutschen Institut für Normung
(DIN)1.
2.1.1
Entstehungsgeschichte
Der Ursprung der heutigen FGSV liegt in der Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau (StufA), die am 15. Oktober 1924 in Berlin gegründet wurde und die Schaffung
von geeigneten Fahrwegen für Automobile sowie die Entwicklung von Richtlinien für
den Straßenentwurf zum Ziel hatte. Seit 1983 hat die FGSV ihren heutigen Namen.
Zwischen 1935 und 1982 hieß sie Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen
(FGS). Bereits die Namensgebung verdeutlicht, dass vor allem in den Anfangsjahren
der Automobilverkehr und Straßenbau die Hauptschwerpunkte der Arbeit von StufA /
FGS / FGSV bildeten.
So wurden als erste technische Regelwerke 1926 vorläufige Merkblätter für Oberflächenteerungen und den Bau sowie die Unterhaltung vorn Automobilstraßen aus Beton
veröffentlicht2. Weitere Veröffentlichungen beinhalteten z. B. „Aussichten und Aufga-
1
2
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), FGSV-Gremien 2012/2013
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), FGSV-Bibliographie 1924 bis 2004, S. 5ff.
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ben für den deutschen Straßenbau“ sowie den „Vorentwurf zu einem Kraftwagenstraßennetz Deutschlands – Spitzennetz.“
Insgesamt wird deutlich, dass neben der Schaffung technischer Grundlagen durch die
StufA auch gezielter Einfluss auf der Verkehrspolitik genommen wurde.
Bereits 1927 wurden Richtlinien über die „Einteilung der Wege und ihre Breite“ sowie
für „Regelquerschnitte innerstädtischer Verkehrsstraßen (Entwurf)“ veröffentlicht. Das
erste technische Regelwerk zum Radverkehr wurde im Jahr 1932 mit der „Richtlinie
über die Anlage von Radfahrwegen“ herausgegeben.3
Über die Jahre hat sich die Systematik der Richtlinien und Regelwerke aufgrund von
Ergänzungen und Anpassungen im wieder verändert. Dabei ist zu beachten, dass sich
die Struktur der FGSV einschließlich der erstellten Regelwerke zunehmend allen Verkehrsarten, insbesondere auch dem Fuß- und Fahrradverkehr sowie dem Umweltschutz, der Landschaftsplanung etc. widmet. Ein Überblick zum Aufbau der aktuellen,
neuen Richtliniengeneration ist im nachfolgenden Kapitel 2.1.2 zusammengefasst.
2.1.2
Aufbau der aktuellen Richtliniengeneration
Die FGSV Richtlinien der aktuellen, neuen Generation untergliedern sich in vier Kategorien mit unterschiedlicher Bedeutung:
Regelwerke
regeln entweder, wie technische Sachverhalte geplant oder realisiert werden müssen bzw.
sollen (R 1) oder empfehlen, wie diese geplant oder realisiert werden sollten (R 2).
R 1 Veröffentlichungen umfassen Vertragsgrundlagen (ZTV – Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien, TL – Technische Lieferbedingungen und TP – Technische Prüfvorschriften) sowie Richtlinien. Sie sind stets innerhalb der FGSV abgestimmt.
Sie haben, insbesondere wenn sie als Vertragsbestandteil vereinbart werden sollen, eine
hohe Verbindlichkeit.
R 2 Veröffentlichungen umfassen Merkblätter und Empfehlungen. Sie sind stets innerhalb der
FGSV abgestimmt. Die FGSV empfiehlt ihre Anwendung als Stand der Technik.
Wissens-
zeigen den aktuellen Stand des Wissens auf und erläutern, wie ein technischer Sachver-
dokumente
halt zweckmäßigerweise behandelt werden kann oder schon erfolgreich behandelt worden
ist.
W 1 Veröffentlichungen umfassen Hinweise. Sie sind stets innerhalb der FGSV, jedoch nicht
mit Externen abgestimmt. Sie geben den aktuellen Stand des Wissens innerhalb der zuständigen FGSV-Gremien wieder.
W 2 Veröffentlichungen umfassen Arbeitspapiere. Dabei kann es sich um Zwischenstände bei
der Erarbeitung von weitergehenden Aktivitäten oder um Informations- und Arbeitshilfen
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Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), FGSV-Bibliographie 1924 bis 2004, S. 6f.
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handeln. Sie sind nicht innerhalb der FGSV abgestimmt und geben die Auffassung eines
einzelnen FGSV-Gremiums wieder.4
Die Zusammenhänge zwischen den wichtigsten Richtlinien werden in Abb. 2 dargestellt. Übergeordnet wird mit der Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN) die funktionale Gliederung der Verkehrsnetze für den Kfz-, öffentlichen Personen-, Rad- und
Fußgängerverkehr definiert. Für den Personenverkehr werden darüber hinaus verbindungsbezogene Angebotsqualitäten und Zielgrößen für die mittlere Fahrgeschwindigkeit auf den Netzabschnitten definiert.
Abkürzungsverzeichnis:
RIN
Richtlinien für integrierte Netzgestaltung
EWS
Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen
ESN
Empfehlungen für die Sicherheitsanalyse von Straßennetzen
RAA
Richtlinien für die Anlage von Autobahnen
RAL
Richtlinien für die Anlage von
Landstraßen
RASt
Richtlinien für die Anlage von
Stadtstraßen
ERA
Empfehlungen für Radverkehrsanlagen
EFA
Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen
EAÖ
Empfehlungen für Anlagen des öffentlichen Personennahverkehrs
HBS
Handbuch für die Bemessung von
Straßenverkehrsanlagen
Empfehlungen für das SicherESAS heitsaudit von Straßen
Abb. 2:
Planungsablauf / Einordnung wesentlicher Richtlinien
Quelle: FGSV, Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN 2008), S. 7
4
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), Systematik der FGSV-Regelwerke
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Abb. 3:
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Verknüpfungsmatrix zur Ableitung der Verkehrswegekategorie Kfz-Verkehr
Quelle: FGSV, Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN 2008), S. 15
Die Nachfrageanalyse- und Bedarfsplanung erfolgt auf Grundlage von Untersuchungen
bezüglich der Wirtschaftlichkeit und Verkehrssicherheit. Für den konkreten Straßenentwurf werden in Abhängigkeit der Verbindungsfunktion sowie der Kategoriengruppen
Autobahnen, Landstraßen und Stadtstraßen unter Berücksichtigung der R 1- Richtlinien RAA, RAL und RASt die Parametern für die Dimensionierung, Knotenpunktegestaltung sowie Entwurfsgeschwindigkeiten definiert. Ergänzend zu beachten sind hierbei die vertiefenden Empfehlungen ERA, EFA und EAÖ zur Gestaltung der Verkehrsanlagen für den Fuß- und Radverkehr sowie den ÖPNV. Wesentliche weitere Grundlagen für die Bemessung der Straßenverkehrsanlagen werden durch das HBS vorgegeben.
2.2
Straßenverkehrsordnung / zugehörige Verwaltungsvorschrift
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) ist ein Kernbestandteil des deutschen Straßenverkehrsrechtes. In Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift zur StVO bildet sie für
die Straßenverkehrsbehörden die Grundlage für die Beschilderung sowie für verkehrsorganisatorische Maßnahmen.
Die Ursprünge der StVO gehen zurück bis in das Jahr 1910, wo ein erstes RahmenGesetz über den Kraftverkehr für das Deutsche Reich in Kraft gesetzt wurde. Seitdem
erfolgen regelmäßige Anpassungen, Neufassungen bzw. Novellierungen unter Berücksichtigung aktueller verkehrswissenschaftlicher Erkenntnisse. Die letzte Änderung trat
zum 6. März 2013 in Kraft.
2.3
Weitere Regelwerke, Richtlinien und Rahmenbedingungen
Neben dem Straßenverkehrsrecht und den Regelwerken, Hinweisen und Merkblättern
der FGSV spielen bei der Planung, Entwurf, Bau und Betrieb von Straßen die Aspekte
des Umweltschutzes eine immer wichtigere Rolle. Grundlage sind hierbei insbesondere
die EU-Richtlinien 92/4/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der
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wildlebender Tiere (FFH-Richtlinie), 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung
von Umgebungslärm (EU-Umgebungslärmrichtlinie) und 2008/50/EG über Luftqualität
und saubere Luft für Europa sowie die darauf Bezug nehmenden Regelungen im deutschen Recht.
Weiterhin hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der EU-Lastenteilung
zum Kyoto-Protokoll verpflichtet, im Zeitraum 2008-2012 insgesamt 21 Prozent weniger klimaschädliche Gase zu emittieren als 1990. Darüber hinaus hat Deutschland zugesagt, seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 sogar um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken - und dies unabhängig von den notwendigen Anstrengungen
anderer Staaten.5
Auch das Bundesfernstraßengesetz (FStrG) sowie die Gesetze zur Finanzierung der
Verkehrsanlagen einschließlich der zugehörigen Förderrichtlinien der Länder beeinflussen Planung, Entwurf, Bau und Betrieb von Verkehrsanlagen. Ein sehr wichtiges
Instrument war hierbei das Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der
Verkehrsverhältnisse
der
Gemeinden
(Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz
-
GVFG), welches mittlerweile durch das Gesetz zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG) fortgeschrieben bzw.
modifiziert worden ist. In beiden Gesetzen werden die förderfähigen Vorhaben in Ihren
Grundsätzen definiert.
3
Auswirkungen und Anwendungsprobleme
Nachfolgend werden die Auswirkungen der Regelwerke und Richtlinien auf die Dimensionierung der Verkehrsanlagen sowie daraus resultierende Probleme und Hemmnisse
dargestellt. Weiterhin wird auf Probleme bei der Anwendung eingegangen. Die Betrachtungen erfolgen dabei exemplarisch sowie teilweise anhand konkreter Beispiele
und erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.
3.1
Verbindungsfunktion gemäß RIN
In den Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN) werden mit Verweis auf die
Leitvorstellung des Raumordnungsgesetzes - gleichwertige Lebensverhältnisse in allen
Teilräumen herzustellen - Zielgrößen für die Erreichbarkeit zentraler Orte ausgehend
von den Wohnstandorten und zwischen den einzelnen zentralen Orten als Reisezeiten
definiert. Eine Differenzierung erfolgt ausschließlich hinsichtlich der Bedeutung des
zentralen Ortes (Metropolregion, Ober-, Mittel- bzw. Unterzentrum siehe Abb. 4). Die
regionalen siedlungsstrukturellen Gegebenheiten werden jedoch nicht berücksichtigt.
Dies bedeutet, dass gemäß RIN für eine vergleichbare Verbindungsfunktion (z. B. von
einem Grund- in ein Oberzentrum) im stark verdichteten Ruhrgebiet dieselbe Zielgröße
5
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Kurzinfo Klimaschutz
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für die Erreichbarkeit, wie in peripheren Räumen in Mecklenburg-Vorpommern gilt.
Speziell in den dünnbesiedelten Regionen kann dies dazu führen, dass Verkehrsanlagen entstehen, die durch den tatsächlichen Bedarf (zu erwartende Verkehrsmenge)
nicht bergründet und aufgrund ihrer vermeintlichen Verbindungsfunktion überdimensioniert sind.
Zwar wird im Text der RIN relativiert: „Die Zielgrößen für die Erreichbarkeit geben Hinweise auf mögliche raumordnerische Defizite oder auf Defizite in der Verkehrserschließung, sie stellen aber im Rahmen der Netzgestaltung gemäß dem Konzept der RIN
kein eigenständiges Qualitätskriterium dar.“6
Abb. 4:
Zielgrößen für die Erreichbarkeit zentraler Orte / zentrale Orte 2004
Quelle: FGSV, Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN 2008), S. 10f.
Jedoch wird auch bei der Festlegung der Verbindungsfunktionsstufen, die maßgeblichen Einfluss auf die Dimensionierung haben, lediglich die Einordnung entsprechend
des Systems der zentralen Orte vorgenommen. Der Verknüpfungsbedarf ist jedoch von
verschiedenen anderen Faktoren z. B. Stärke der Verkehrsbeziehung, der Entfernung
oder konkurrierenden Verknüpfungen abhängig.
Zumindest auf den Einfluss der Stärke der Verkehrsbeziehung und Möglichkeiten der
Auf- bzw. Abwertung der Verbindungsfunktion wird im Begleittext zur entsprechenden
Tabelle der RIN hingewiesen. Allerdings werden derartige Möglichkeiten wegen zu unkonkreter Anwendungshinweise und fehlender Verweise in der Übersichtstabelle häufig
nicht angewendet oder überlesen.
6
FGSV, Richtlinien für Integrierte Netzgestaltung, S. 10f.
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Wird eine zu hohe Verbindungsfunktion angesetzt, kann dies auch Auswirkungen auf
den weiteren Planungsprozess haben, da die Verbindungsfunktion eine wichtige Eingangsgröße für die Festlegung der Entwurfsklasse gemäß der Richtlinie für die Anlage
von Landstraßen (RAL 2012) bildet. Mit der Entwurfsklasse werden wiederum grundlegende Gestaltungsmerkmale bezüglich Fahrbahnquerschnitt, Knotenpunktführung, Betrieb (z. B. Kraftfahrstraße), Radien, Kuppenhalbmesser, Höchstlängsneigung, Überholmöglichkeiten etc. definiert. So erfolgt ggf. eine Überdimensionierung. Positiv ist daher inzwischen, dass in der RAL zusätzliche Hinweise und Anhaltswerte bezüglich der
Verkehrsaufkommen enthalten sind, für die eine Ab- bzw. Hochstufung der Entwurfsklasse geprüft werden sollte. Trotz einer deutlicheren klareren Darstellung der Thematik im Vergleich zu den entsprechenden Hinweise in den RIN und der damit verbundenen höheren Verbindlichkeit bleibt abzuwarten, in wie weit speziell die Abstufung der
Entwurfsklasse in der Praxis tatsächlich Anwendung finden wird. Zudem muss eingeschränkt werden, dass gemäß RAL eine Abstufung nur für die Entwurfsklassen I und II
möglich ist, aber für Entwurfsklasse III, also für regionale Verbindungen zwischen
Grund- und Mittelzentren oder zwischen zwei Grundzentren ausgeschlossen wird.
Insgesamt werden gemäß RIN die Verbindungsfunktionsstufen für das Straßennetz
vorrangig auf Basis einer Zeit bzw. geschwindigkeitsbasierenden Bewertung vorgegeben. Somit wird der Indikator Geschwindigkeit als erste maßgebende Bewertungsgröße des Straßenverkehrs angesetzt und andere wesentliche Aspekte wie Verkehrssicherheit, Austauschbeziehungen und Teilhabe sowie Landschaftstypik etc. vernachlässigt.
Zwar wird in den RIN hierzu ausgeführt: „Relevante Kriterien zur Beschreibung der
verbindungsbezogenen Angebotsqualität sind Zeitaufwand, Direktheit, Sicherheit, Kosten, Zuverlässigkeit und Komfort sowie beim öffentlichen Personenverkehr die zeitliche
Verfügbarkeit und beim nichtmotorisierten Verkehr der Kraftaufwand.“7 Bei der Festlegung der Stufen der Angebotsqualität (SAQ) wäre gemäß RIN eine Berücksichtigung
wünschenswert, findet jedoch nicht statt. Ausschlaggebend sind hier lediglich der Zeitaufwand, berechnet aus der Luftliniengeschwindigkeit und dem Reisezeitverhältnis sowie bei einer schlechten Einstufung in diesem Bereich die Direktheit, unter Berücksichtigung von Umwegfaktor und Umsteigehäufigkeit.
Notwendig ist die Entwicklung von Indikatoren, welche die jeweiligen spezifischen
Rahmenbedingungen berücksichtigen und auf eine „angemessene“ Angebotsqualität
abzielen. Auch die Berücksichtigung umwelt- und landschaftsbezogener Planungsziele
ist im Rahmen der Festlegung von Verbindungsfunktionen und Angebotsqualitäten zu
berücksichtigen.
So ist z. B. die Verbindungsfunktion zwischen den Oberzentren Cottbus und Frankfurt
(Oder) nicht vergleichbar mit der zwischen den Oberzentren Erfurt und Jena und erst
7
FGSV, Richtlinien für Integrierte Netzgestaltung, S. 19
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recht nicht mit der zwischen den Oberzentren Dortmund und Bochum8. Dennoch wurde
und wird diese Verbindung (B 97 / B 112) durch das Land Brandenburg im Rahmen der
Umsetzung des sog. „blauen Netzes“ mit hohem finanziellen Aufwand im Sinne der
Verbindungsstufe I ausgebaut. Das Verkehrsaufkommen im Bereich der etwa mittig
zwischen beiden Ortslagen befindlichen Dauerzählstelle Steinsdorf (B 112) lag 2011
bei 4.378 Kfz/24h. Hier wird am Bedarf vorbei in einer schrumpfenden Region mit hohem Aufwand ein über weite Strecken überdimensionierter Verkehrsweg geschaffen
und nicht berücksichtigt, dass beide Städte eine starke Ausrichtung nach Berlin besitzen und der Verkehrsbedarf zwischen den Oberzentren gering ist.
In Teilabschnitten bestehen bezüglich der Qualitätsvorgaben zur Gestaltung von Verkehrsnetzen, Netzabschnitten und Verknüpfungspunkten auch Widersprüche in der
RIN. Einerseits wird ausgeführt: „Veränderungen im Straßennetz durch Neu-, Aus- und
Umbaumaßnahmen sollen in Betracht gezogen werden, wenn
- erhebliche Verkehrsengpässe beseitigt,
- auffällige Sicherheitsdefizite behoben,
- deutliche Belastungen der bebauten Umwelt gemindert
werden sollen.“9 Andererseits wird auf der nachfolgenden Seite formuliert: „Durch die
Verkehrsnetzgestaltung sollen die einzelnen Verbindungen so gestaltet werden, dass –
entsprechend dem raumordnerischen Ziel der guten Erreichbarkeit – für die Netzelemente bestimmte Verkehrsqualitäten realisiert werden können. Daher werden für die
Gestaltung und Bemessung der Netzabschnitte in Abhängigkeit von der jeweiligen Kategorie Zielgrößen [angestrebte Fahrgeschwindigkeiten] für eine angemessen Verkehrsqualität bestimmt.“10 Während im ersten Passus Reisegeschwindigkeiten keine
Rolle spielen, sind sie im zweiten maßgebende Zielstellung.
Weiterhin beschreiben die RIN einleitend, dass Raum- und Siedlungsstrukturen mit
dem Verkehr in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen, gleichwohl
werden diese Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsarten und den Maßnahmenplanungen der RIN als wichtige Planungs- und Entscheidungshilfe ausgeklammert.
Ohne Beachtung der Interdependenzen zwischen den Verkehrsträgern und ohne ökologische und sozial verträgliche Zielvorgaben sowie fehlende Evaluation der Investitionen sind die RIN nicht zeitgemäß und werden dem Anspruch einer integrierten Netzgestaltung nicht gerecht.
Dies wird u. a. im Vergleich mit dem im Jahr 2009 in Kraft getretenen Grundsätze der
Raumordnung deutlich. Im Raumordnungsgesetz (ROG) wird in § 2, Abs. 3 wie folgt
ausgeführt:
8
9
10
Alle Relationen werden jedoch derselben Verbindungsfunktionsstufe I zugeordnet.
FGSV, Richtlinien für Integrierte Netzgestaltung, S. 22
FGSV, Richtlinien für Integrierte Netzgestaltung, S. 23
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„Es sind die räumlichen Voraussetzungen für nachhaltige Mobilität und ein integriertes
Verkehrssystem zu schaffen. Auf eine gute und verkehrssichere Erreichbarkeit der
Teilräume untereinander durch schnellen und reibungslosen Personen- und Güterverkehr ist hinzuwirken. Vor allem in verkehrlich hoch belasteten Räumen und Korridoren
sind die Voraussetzungen zur Verlagerung von Verkehr auf umweltverträglichere Verkehrsträger wie Schiene und Wasserstraße zu verbessern. Raumstrukturen sind so zu
gestalten, dass die Verkehrsbelastung verringert und zusätzlicher Verkehr vermieden
wird.“
Speziell bezüglich der Stichworte „nachhaltige Mobilität“ und „integriertes Verkehrssystem“ besteht für die RIN weiterer Ergänzungs- und Überarbeitungsbedarf.
Der Anspruch der RIN für eine „integrierte Netzgestaltung“ sollte auch Raum lassen für
Unterscheidungen zwischen dem ÖV als Vorrangsystem, als Konkurrenzsystem oder
als Daseinsvorsorge und zugleich die Thematik des Parallelausbaus transparent machen zu können. Unterschiedliche Zielgrößen für Pkw-Verkehr und ÖPNV bei der Erreichbarkeit der Zielorte (siehe Abb. 4) führen in die falsche Richtung, nämlich die priorisierte Orientierung auf den Kfz-Verkehr.
Im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der RIN wird von Gerd Würdemann bereits kurz nach deren Erscheinen 2009 zusammenfassend festgestellt, dass
die RIN „wie beim Vorgängerwerk RAS-N - im Pragmatismus des Alltags nicht den
Herausforderungen an eine ökonomische, sozial gerechte und ökologische Mobilität
gerecht werden kann.“11 Weiterhin führt Würdemann aus, dass Teilhabe durch Erreichbarkeit statt kontinuierlicher Erhöhung der Geschwindigkeiten neue Überlegungen und
Festlegungen mit zeitlichen Ober- und Untergrenzen für Erreichbarkeiten in angepassten Siedlungsstrukturen erfordert und verweist auf die bereits heute guten bzw. teilweise übererfüllte Erreichbarkeiten. So beträgt z. B. die Fahrzeit zur nächsten Autobahnanschlussstelle für 94 % der Bevölkerung weniger als 30 Minuten, 78 % benötigen weniger als 15 Minuten bis zur nächsten Auffahrt.12
3.2
Verkehrsprognosen
Grundlage für jegliche Projekte zur Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruktur bildet
die Prognose des zukünftig zu erwartenden Verkehrsaufkommens. Hierzu werden Modellrechnungen durchgeführt, die neben den bestehenden Verkehrsaufkommen strukturelle und soziodemographische Entwicklungen berücksichtigen. Hinweise zur Durchführung von Verkehrsprognosen werden in den FGSV-Hinweisen zur Verkehrsprognose in straßenverkehrstechnischen Anwendungen zusammengefasst.
Die Ergebnisse der Verkehrsprognosen spielen eine wesentliche Rolle im Rahmen der
Abwägungs- und Entscheidungsabläufe im Planungsprozess. Sie sollen Antworten lie-
11
12
Würdemann, mobilogisch!, Heft 3/2009
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Erreichbarkeit von Autobahnen
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fern zur Notwendigkeit und Verkehrswirksamkeit einer Maßnahme einschließlich wichtiger Eingangsdaten für die Kosten-Nutzen-Berechnung und für die Dimensionierung
der Straßenverkehrsanlage.
Verkehrsprognose
Straßenbauprojekt
Ist-Belegung
Verkehrsaufkom-
Prognose-
2010
men [Kfz/24h]
horizont
[Kfz/24h]
A 20 AK Lübeck bis AS Genin
69.700
2010
41.000
A 20 AS Greifswald bis Dersekow
15.200
2010
11.500
A 20 Pasewalk Nord bis Pasewalk Süd
16.200
2010
9.400
A 38 Göttingen – Halle (Saale)
53.300 wØ
2010
16.400 - 25.000
A 71 Erfurt – Schweinfurt
30.400 wØ
2010
11.500 - 31.300
A 71 Suhl – Sangerhausen
26.700 wØ
2010
15.000 - 24.000
A 73 Suhl-Lichtenfels
26.100 wØ
2010
12.300 - 16.400
B 6n Bad Harzburg (A396) – Bernburg (A14)
30.100 wØ
2010
13.900 - 15.000
B170 Bergstraße Dresden
42.600
2015
26.010 (2011)
B 101 Meißen
15.850
2010
7.068
B184 Dessau – Rosslau
30.500-35.100
2010
19.452 (2005)
S 289 (OU Reichenbach)
13.500 w
2015
5.600 w
w…werktägliche Verkehrsaufkommen (Ansonsten handelt es sich um DTVMo-So)
Ø…Durchschnittswert für längere Streckenabschnitte
Tab. 1
Verkehrsaufkommen von Straßenbauprojekten (Prognose / Ist-Belegung 2011)
Eine realistische Verkehrsprognose ist daher entscheidend für eine nachhaltige Gestaltung und Dimensionierung des Straßennetzes. Beim Vergleich der Verkehrsprognosen
verschiedener bereits realisierter Verkehrsprojekte mit den tatsächlichen Verkehrsaufkommen zeigt sich, dass bei einer Vielzahl von Straßenbauprojekten zu hohe Verkehrsaufkommen prognostiziert worden sind, was zu Fehlinvestitionen sowie zu einer
Überdimensionierung geführt hat. In Tab. 1 werden die Verkehrsmengen für ausgewählte Projekte verglichen.
Die Probleme und Ursachen für die Abweichungen sind vielschichtig. Ein Problem liegt
in einer unrealistischen Einschätzung der Bevölkerungs- und Beschäftigtenzahl sowie
hinsichtlich der Entwicklung der Fahrleistungen. Teilweise wurden und werden Entwicklungsabsichten bzw. Wunschvorstellungen (Schaffung von Wohn- und Gewerbestandorten) in die Verkehrsprognosen integriert, ohne diese in Umfang und Inhalt zu
hinterfragen. Erst in den letzten Jahren ist eine gewisse Berücksichtigung aktueller
wirtschaftlicher (Wirtschaftskriese, Verknappung fossiler Rohstoffe etc.) und soziode-
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Seite 19
mographischer (Überalterung der Bevölkerung etc.) Entwicklungen mit ihren Auswirkungen auf die Verkehrsleistungen erfolgt.
Die aktuelle Verflechtungsprognose des Bundes wurde 2007 veröffentlicht und basiert
auf Analysedaten aus dem Jahre 2004, so dass entsprechende Entwicklungen noch
nicht ausreichend berücksichtigt werden (siehe Abb. 5). Aktuelle Planungen erfolgen
unter Berücksichtigung dieser Verflechtungszahlen, die auch in weiterführende Landes- bzw. Projektprognosen übernommen werden.
Abb. 5:
Zentrale sozioökonomische Leitdaten der Bundesverkehrsprognose 2025
Quelle: BMVBS, Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025, S.2
Entsprechende Differenzen zeigen sich häufig bei kommunalen Verkehrsprognosen.
Im Rahmen der kleinteiligen innerörtlichen Betrachtung erfolgt im Vergleich zum Bunde- bzw. Landemodel lokal eine deutlich stärkere Differenzierung des Verkehrsmodells
unter Verwendung konkreter innerörtlicher Verkehrszählungen und -befragungen. Aus
der Landesplanung sind für den Prognosehorizont in die städtischen Modelle häufig
zusätzliche Durchgangsverkehre zu übernehmen, die sich aus dem Bestand nicht
nachweisen lassen und durch großräumige Verflechtungen begründet werden. Meist
sind jedoch Quell-, Ziel- und Binnenverkehre dominierend. Selbst in schrumpfenden
Regionen ergeben sich Zuschläge aus der Landesplanung.
Gemäß des Entwurfes der Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan 2015
soll zukünftig bei der Priorisierung der Projekte eine weniger starke Fokussierung auf
Zeitvorteile und eine stärkere Konzentration auf die Erhöhung der Effizienz der vorhandenen Infrastruktur sowie die Berücksichtigung der ökologischen Verträglichkeit gelegt
werden. In wie weit diese Ansätze konsequent umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.
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Seite 20
Allgemein wird bei den Prognosen im sog. Prognosenullfall in der Regel auch das Vorhandensein verschiedener anderer Verkehrsprojekte mit berücksichtigt, deren Realisierung in weiter Ferne liegt oder welche teilweise kaum über echte Realisierungschancen
verfügen. Dies kann dazu führen, dass sich die entsprechenden Projekte teilweise gegenseitig begründen, da die jeweils andere Maßnahme als Sowiesomaßnahme im
Nullfall enthalten ist. Auch die Thematik des induzierten Verkehrs sowie einer Erhöhung der Reiseweiten mit ggf. negativen Auswirkungen für andere Netzabschnitte (siehe Kapitel 3.6) wird dadurch nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt.
Grundsätzlich sollte dort wo eine gemeinsame Wirkung angestrebt wird, auch eine zusammenhängende Prognose und verkehrsplanerische Bewertung durchgeführt werden. Bei Projekten ohne gemeinsame Zielstellungen sollte zumindest in einem Berechnungsszenario eine gesonderte Bewertung der Einzelmaßnahme erfolgen.
Zur Vermeidung einer Überlagerung mit den abstrakten und unsicheren Prognoseeffekten ist parallel ein zusätzliches Grundszenario zu empfehlen, welches aufbauend
auf den aktuell bestehenden Verkehrsmengen die Verkehrswirkung der Baumaßnahme
für das Analysejahr berechnet („Analysefall mit Maßnahme“). Prognostische Unsicherheiten würden in diesem Szenario keine Rolle spielen. Die entstehenden Verkehrswerte und Verlagerungseffekte verdeutlichen dementsprechend relativ sicher das Mindestpotenzial der Verkehrsinfrastrukturmaßnahme.
3.3
Kosten-Nutzen-Berechnungen
Speziell beim Neubau von Verkehrswegen spielen Kosten und Nutzen eine entscheidende Rolle bei der Einschätzung der Effektivität und Wirkung einer Maßnahme. Die
generelle Vorgehensweise für Kosten-Nutzen-Untersuchungen in der Verkehrsplanung
wird in den Empfehlungen für Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen an Straßen (EWS)
zusammengefasst. Gemäß EWS werden den Kostenkomponenten (Investitionskosten
und laufende Kosten) die Nutzenkomponenten (Veränderung der Betriebskosten, der
Fahrzeiten, des Unfallgeschehens, der Schadstoffbelastungen, der Klimabelastung,
der Trennwirkung von Straßen, der Flächenverfügbarkeit in bebauten Gebieten) gegenübergestellt.
Als wesentliches Entscheidungskriterium wird auch im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung eine Kosten-Nutzen-Bewertung durchgeführt. Diese beinhaltet folgende
Nutzenkomponenten:
-
Senkung der Beförderungskosten (NB)
-
Erhaltung der Verkehrswege (NW)
-
Erhöhung der Verkehrssicherheit (NS)
-
Verbesserung der Erreichbarkeit (NE)
-
positive räumliche Wirkungen (NR)
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-
Entlastung der Umwelt (NU)
-
Berücksichtigung des induzierten Verkehrs (NI)
-
Verbesserung der Anbindung von See- und Flughäfen (NH) 13
Seite 21
Grundsätzlich ist festzustellen, dass überwiegende Teile des errechneten Nutzens sich
häufig aus Zeitgewinnen generieren, die sich in einer Senkung der Beförderungskosten
(NB) sowie einer Verbesserung der Erreichbarkeit (NE) bei der Nutzenberechnung niederschlagen. Dies verdeutlicht auch die Kosten-Nutzen-Berechnung am Beispiel des
Ausbaus der B 93n (siehe Abb. 6). Alle anderen Nutzenkomponenten liefern vergleichsweise geringe Effekte.
Abb. 6:
Kosten-Nutzen-Komponenten für den Ausbau der B 93n (2.Vorstudie 2005)
Datenquelle:
Prof. Dr.-Ing. Gert Marte, Kommentar zur gesamtwirtschaftlichen
Bewertungsmethodik des Bundesverkehrswegeplans 2003, S 6
Inwiefern die Zeitgewinne im MIV als tatsächlicher Nutzen anzusehen sind, wird von
verschiedenen Verkehrswissenschaftlern hinterfragt, da im Durchschnitt von relativ
konstanten Reisezeitbudgets auszugehen ist. Statt einer Einsparung von Zeit ergibt
sich durch die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse dementsprechend eine Verlängerung der möglichen Fahrtwege, die jedoch zu einer Erhöhung von Verkehrsarbeit,
CO2- und Abgasemissionen und ggf. für Probleme durch höhere Verkehrsaufkommen
in anderen Netzabschnitten sorgt. Darüber hinaus ergeben sich kontraproduktive Wir-
13
Deutscher Bundestag, Bundesverkehrswegeplan 2003, Drucksache 15/2050
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Seite 22
kungen bezüglich einer integrierten Stadt- und Verkehrsentwicklung im Sinne kurzer
Wege mit einem hohen Verkehrsmittelanteil des Umweltverbundes. Durch die Erweiterung des Mobilitätsradius bei gleichem Zeitbudget können sich Konkurrenzsituationen
und eine Schwächung lokaler kleinteiliger Strukturen ergeben. Wird gar deren Existenz
bedroht, entsteht für weitere Bürger die Notwendigkeit längere Wege zurückzulegen,
die dann zumeist nur noch motorisiert möglich sind.
Statt einer Förderung der lokalen Wirtschaft durch die Verbesserung der Anbindung an
ein höherwertiges Zentrum werden häufig Kauf- und Arbeitskraft in dieses abgezogen.
Häufig erfolgt gleichzeitig eine Schwächung parallel verlaufender SPNV- bzw. ÖPNVAngebote. Eine „Analyse der regionalwirtschaftlichen Effekte des Fernstraßenbaus anhand ausgewählter Autobahnprojekte“ durch das Institut für Verkehr und Raum der
Fachhochschule Erfurt kommt 14zu folgenden Ergebnissen:

Im allgemeinen Maßstab ist ein statistischer Zusammenhang zwischen neuer Autobahnverfügbarkeit und über- bzw. unterdurchschnittlicher regionalwirtschaftlicher
Entwicklung für keinen der untersuchten Indikatoren ableitbar.

Die wirtschaftliche Entwicklung ist im regionalen Maßstab vor allem durch die Nähe
zu besonders leistungsstarken Metropolregionen bestimmt. Mit zunehmender Nähe
zum Verdichtungskern nimmt offensichtlich auch die Bedeutung von verfügbaren
Autobahnanschlüssen für die gemeindliche Entwicklung zu.

In den peripheren ländlichen Räumen hat dagegen weder die (relativ geringe) Nähe zu Verdichtungskernen noch die Autobahnverfügbarkeit einen erkennbaren Einfluss auf die regionalwirtschaftliche Entwicklung.

Eine Ausnahme können diese Regionen darstellen, wenn sie – wie im Emsland gezeigt – im „peripheren Mittelpunkt“ mehrerer Metropolregionen liegen und über einen Autobahnanschluss mit diesen Regionen verbunden sind. Diese relative Lagegunst prädestiniert diese Gebiete offensichtlich für distributive Logistikfunktionen
und kann so überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum induzieren.
Es ist daher zu empfehlen, anderen Faktoren einen deutlich höheren Stellenwert bei
der Kosten-Nutzen-Bewertung einzuräumen. Straßenbaumaßnahmen sollten insbesondere dort vorgesehen werden, wo eine tatsächliche Entlastung der Bevölkerung
von den negativen Auswirkungen des Kfz-Verkehrs (Lärm, Luftschadstoffe, Trennwirkungen, Verkehrsunsicherheit, städtebauliche Missstände) erreicht werden kann. Dies
ist insbesondere dort der Fall, wo der Anteil des lediglich durchfahrenden Verkehrs besonders hoch ist. Je größer aber die Stadt ist desto höher ist die Bedeutung von Quell-,
Ziel- und Binnenverkehren. Hier ist eine Entlastungsstraße i. d. R. nur dann sinnvoll,
wenn sie auch große Teile der stadtbezogenen und städtischen Eigenverkehre aufnehmen kann. Besonders wichtig ist der gleichzeitige Rückbau des zu entlastenden
14
FH Erfurt, Berichte des Institut für Verkehr und Raum Band 13 (2013), S. 68
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Straßenabschnittes, der jedoch in der Regel ausbleibt, da er kostenseitig nicht vorgesehen und auch im Rahmen der Kosten-Nutzen-Berechnung nicht berücksichtigt ist.
Daher zeigt sich in solchen Fällen meist auch, dass die prognostizierte Umlegung auf
die Neubautrasse nicht voll eintritt und stattdessen die wesentlich kürzere alte Trasse,
zumindest teilweise, weiter genutzt. Diese Effekte gewinnen mit steigenden Kraftstoffkosten und dem Einsatz von Navigationsgeräten an Bedeutung.
Kosten (Mio. € gerundet)
Bedarfsplanmaßnahme
Differenz
Kosten gemäß genehmigte
Bedarfsplan
Kosten
absolut15
prozentual
B 29 OU Schwäbisch Gmünd
123
230
107
+ 86 %
B 298 OU Mutlangen
10
25
15
+ 150 %
A 70 Knetzgau - Eltmann
25
97
72
+ 288 %
A 71 Schweinfurt – Berkach
277
477
200
+ 72 %
5
19
14
+ 280 %
313
420
107
+ 34 %
7
15
8
+ 114 %
1.003
1.308
305
+ 30 %
A 66 Fulda-Süd – AD Fulda
5
41
36
+ 720 %
B 3 OU Fuldatal / Ihringshausen
5
12
7
+ 140 %
B 42 OU Rüdesheim
24
102
78
+ 325 %
B 84 OU Hünfeld
5
21
16
+ 320 %
B 426 OU Pfungstadt
7
20
13
+ 186 %
B 508 Teil-OU Kreuztal
14
33
19
+ 136 %
B 178 Bundesgrenze D/Pl – Zittau
4
9
5
+ 125 %
B 86 Nordost-OU Riestedt
5
10
5
+ 100 %
B 2 Nordanbindung Gera
10
20
10
+ 100 %
12.360
16.888
4.538
+ 37 %
B 85 Wackersdorf - Schwandorf
A 100 Neukölln - Am Treptower Park
A 24 Hamburg Horn – Landesgrenze HH/SH
A 44 Kassel – Wommen
etc.
Summe Projekte kleine Anfrage 16/11177
Tab. 2
Kostenvergleich von Straßenbauprojekten (Bedarfsplan / genehmigte Kosten)
Quelle: Kleine Anfrage „Transparenz bei Kostensteigerungen von Straßenbauprojekten“
Deutscher Bundestag Drucksache 16/11521
Ein weiteres Problem bildet der durch den Um-, Aus- oder Neubau entstehende induzierte Verkehr. Dieser wird zwar als Faktor NI im Rahmen der Kosten-Nutzen-
15
Die Kostendifferenz bezieht sich auf die Ausgangsdaten (ohne Rundung). Im Vergleich zur Differenz der gerundeten Werte
sind daher Abweichungen möglich. Dies betrifft insbesondere die Gesamtsumme in der letzten Zeile der Tabelle.
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Rechnung berücksichtigt, spiegelt jedoch nicht in ausreichendem Umfang die tatsächlichen Effekte wieder.
Neben der Überschätzung der Nutzen und der Unterschätzung der Umweltfolgen bestehen häufig auch auf der Kostenseite Fehleinschätzungen. Die im Rahmen der Bedarfsermittlung verwendeten Kosten erhöhen sich im Zuge der Planung und Bauausführung. Da die Nutzen jedoch in der Regel konstant bleiben ergibt sich eine schleichende Abnahme der Kosten-Nutzen-Faktoren, die im Extremfall dazu führen kann,
dass ein Projekt letztendlich unwirtschaftlich wird. Beispiele für einen deutlichen Kostenanstieg bei Straßenbaumaßnahmen existieren viele. Einige werden in Tab. 2 zusammengefasst.
Im Ergebnis des aktuellen Kosten-Nutzen-Berechnungsverfahrens erfolgt eine zu starke Priorisierung großräumiger und teuer Neubauvorhaben. Stattdessen wäre vielfach
eine bestandsorientierte Optimierung (siehe Kapitel 3.4) ausreichend um die bestehenden Probleme zu beseitigen. Hierfür ist jedoch eine Loslösung der Nutzenbewertung an Hand von den theoretischen Zeitvorteilen durch die Neubauprojekte, welche
jedoch in Wirklichkeit vielfach induzierte Verkehrsarbeit darstellen, notwendig.
3.4
Lärmschutz / Gesundheitsschutz an Bestandsstraßen
Ein wesentliches Problem im Zuge von innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen bilden, die
durch den Kfz-Verkehr verursachten Lärmbelastungen sowie die daraus resultierenden
gesundheitsschädlichen Wirkungen (Herz-Kreislauf-Krankheiten, Stoffwechselkrankheiten, Diabetes, Herabsetzung der Lern- und Leistungsfähigkeit, Nervosität, Stressreaktionen, Schlafstörungen) bei dauerhafter Exposition.
Lärmwerte in dB(A) mit T...Tag bzw. N ... Nacht
Anlass sowie zugehörige
rechtliche Grundlage
Neubau
von Straßen
16. BImSchV
Lärmsanierung an VLärmSchR
Bundesfernstr.
sonstige Straßen
im Bestand
-
Sondergebiete
reine
Wohngeb.
Kernstadt& allg.
Wohngeb.
Dorf-,
Misch- &
Kerngeb.
Gewerbegeb.
T
N
T
N
T
N
T
N
T
N
57
47
59
49
59
49
64
54
69
59
67*
57*
67*
57*
67*
57*
69*
59*
69*
59*
-
-
-
-
-
-
-
-
-
-
* Freiwillige Leistung des Bundes bei entsprechender Mittelverfügbarkeit.
Tab. 3
Übersicht zu den Lärmgrenzwerten
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Für die Umsetzung von Lärmminderungsmaßnahmen bestehen unterschiedlichste Voraussetzungen (siehe Tab. 3). Während für den Neubau bzw. wesentliche Änderungen
an Straßenverkehrsanlagen im Sinne der Lärmvorsorge die Grenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (16. BImSchV) einzuhalten sind, existieren für bestehende Straßen keine verbindlichen und einklagbaren Lärmgrenzwerte. Für Straßen in
Baulast des Bundes werden über die Lärmsanierung als freiwillige Leistung des Bundes Lärmminderungsmaßnahmen je nach Mittelverfügbarkeit finanziert oder gefördert.
Teilweise existieren weiterführende Lärmsanierungsprogramme auch auf der Ebene
der Länder. Die Grenzwerte für die Lärmsanierung liegen jedoch deutlich über denen
Grenzwerten der 16. BImSchV.
Ebenfalls darunter liegen die von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) sowie von verschiedenen Bundesländern im Rahmen der Lärmaktionsplanung (gemäß EU- Umgebungslärmrichtlinie 2002/49/EG) vorgegebenen Auslöseschwellwerte von 55 dB(A) nachts und 65 dB(A) ganztags. Auch vom Umweltbundesamt (UBA) werden diese Werte als kurzfristiges Handlungsziel zur Vermeidung von
Gesundheitsgefährdungen definiert16. Hinsichtlich der Vermeidung von Belästigungen
sind gemäß UBA mittel- bzw. langfristig deutlich niedrigere Auslösewerte in der Größenordnung der Grenzwerte der 16. BImSchV anzustreben (siehe Tab. 4).
Umwelthandlungsziel
Zeitraum
ganztags Lden
nachts Lnight
Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen
kurzfristig
65 dB(A)
55 dB(A)
Minderung von erheblichen Belästigungen
mittelfristig
60 dB(A)
50 dB(A)
Vermeidung von erheblichen Belästigungen
langfristig
55 dB(A)
45 dB(A)
Tab. 4
UBA-Empfehlung für Auslöseschwellwerte bei der Lärmaktionsplanung
Quelle, UBA, http://www.umweltbundesamt.de/laermprobleme/ulr.html
Aus der aktuellen Gesetzeslage ergibt sich für bestehende Straßen das Problem, dass
lediglich für die am stärksten betroffenen Einwohner eine Umsetzung von Lärmschutzmaßnahmen - zumeist von Lärmschutzfenstern und Lüftern - möglich ist. Einer
nachhaltigen Lösung der bestehenden Lärmprobleme im Hauptstraßennetz wird diese
Regelung nicht gerecht. Sie verhindert diese teilweise sogar regelrecht.
Werden die Lärmsanierungswerte nicht überschritten, ist gemäß Aussage der Baulastträger eine Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen nicht möglich. Als Ausweg wird
hier vielerorts der Neubau einer Entlastungs- oder Umgehungsstraße aufgezeigt, denn
für die Neubautrasse ist Lärmvorsorge gemäß 16. BImSchV vorzusehen. Eine bestandsorientierte Lösung (siehe Kapitel 3.5) bestehender Probleme wird damit von
vornherein konterkariert und stattdessen der Bau z. T. unnötiger Neubautrassen for16
Umweltbundesamt (UBA), Lärm – Umgebungslärmrichtlinie
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ciert. Im Ergebnis ergibt sich daraus häufig eine Art Erpressungssituation pro Neubautrasse oder unveränderte Beibehaltung der Bestandsituation.
Ein Beispiel hierfür bildet der geplante Kirchholztunnel in der Stadt Bad Reichenhall.
Die Loferer Straße (B 20 / B 21), welche durch den Tunnelneubau entlastet werden
soll, stellt bereits eine historisch gewachsene Umgehungstrasse des Kernstadtgebiets
dar (siehe Abb. 10 in Kapitel 3.5). Die Lärmbetroffenheiten überschreiten lediglich
punktuell die Lärmsanierungsgrenzwerte. Ein durchgehender Lärmschutz ist daher
nach aktueller rechtlicher Lage nicht realisierbar. Durch die Anlage von Lärmschutzwänden bzw. -wällen wäre eine deutliche Verbesserung der Lärmsituation technisch
jedoch möglich. Stattdessen wird eine extrem aufwendige und teure Neubautrasse forciert, die allerdings im Zuge der Loferer Straße nur für eine Reduzierung der Verkehrsaufkommen von ca. 23.000 auf ca. 20.000 Kfz/24h sorgt. Ursache sind die hohen Anteile des Quell- und Zielverkehrs. Die Lärm- bzw. auch andere Konflikte werden damit
zwar reduziert, jedoch nicht gelöst (lediglich geringe Verkehrsabnahme / kein Bau von
Lärmschutzeinrichtungen an der Lofer Straße). Deutlich effektiver und kurzfristig ohnehin sinnvoll wäre die Umsetzung von Lärmschutzmaßnahmen an der Bestandstrasse.
Neben deutlich niedrigeren Kosten von ca. 2,5 Mio. € gegenüber Baukosten von ca.
166 Mio. € für den Kirchholztunnel bietet der Lärmschutz entlang der Bestandstrasse
den Vorteil einer zeitnahen Lösung. Mit den bisher verbrauchten Planungsmitteln für
den Tunnel hätten die Lärmschutzwände entlang der Loferer Straße schon längst finanziert sein können.
Es sind gesetzliche Regelungen zu entwickeln, die eine Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen im Zuge bestehender Straßen auch bei einer Unterschreitung der
aktuellen Lärmsanierungswerte ermöglichen. Ziel muss es dabei sein neben einem flächendeckenden Abbau der höchsten Betroffenheiten, in Konfliktbereichen komplexe
und effektive Lärmminderungsmaßnahmen in Orientierung an die Grenzwerte der 16.
BImSchV realisieren zu können.
Hierzu ist die Finanzierung im Straßenbau zu Gunsten des Gesundheitsschutzes anzupassen. Neben dem Straßenverkehr ist dies auch für den Schienenverkehr dringend
erforderlich. Nutzerbezogene Abgaben wie z. B. die Lkw-Maut sollten auch vor Ort für
die Verbesserung der Lebensqualität und die Verminderung der Gesundheitsgefährdungen an den entsprechenden Hauptverkehrswegen genutzt werden können.
Insgesamt
würde
damit
gleichzeitig
den
Zielstellungen
der
EU-
Umgebungslärmrichtlinie Rechnung getragen: „schädliche Auswirkungen, einschließlich Belästigungen, durch Umgebungslärm zu verhindern, ihnen vorzubeugen oder sie
zu mindern“17
17
Europäisches Parlament und Rat: Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, Luxemburg 25.Juni 2002, Artikel 1
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3.5
Seite 27
Neubau statt Ertüchtigung
Wie in den Kapitel 3.1 bis 3.4 bereits herausgearbeitet wurde, sind verschieden Faktoren dafür ausschlaggebend, dass anstatt einer problemorientierten Weiterentwicklung
des Bestandsnetzes häufig auf großräumige Neubaumaßnahmen orientiert wird. Netzfunktionen, zukünftige Verkehrsaufkommen und Nutzen werden überbewertet und führen zu überhöhten Anforderungen an die zu bauende Verkehrsinfrastruktur. Effektive
Lärmschutzmaßnahmen im Bestand sind nicht finanzierbar, da die rechtlichen Grundlagen fehlen.
Als Beispiel können hier verschiedene realisierte und in Planung befindliche Autobahnbzw. Kraftfahrstraßenprojekte dienen, bei denen eine Ertüchtigung und Attraktivierung
bestehender Bundesstraßen z. B. durch die Verbesserung der Überholmöglichkeiten
(Verwendung des Querschnittes RQ 15,5 m mit wechselseitiger Überholspur, siehe
Abb. 7), die Ergänzung von Ortsumgehungen und eine punktuelle Vernetzung ausreichend gewesen wäre bzw. ist.
Für die in Planung befindliche BAB 14 zwischen Magdeburg und Schwerin existieren
entsprechende Vorschläge u. a. von Seiten des BUND. Parallel zur geplanten Autobahn verlaufen im Bestand die Bundesstraßen B 189, B 5 und B 106 mit bereits existierenden Ortsumgehungen für den überwiegenden Teil der größeren Ortschaften im
Trassenverlauf (Stendal, Osterburg, Seehausen, Wittenberge, Perleberg, Karstädt,
Grabow). Lediglich die Stadt Ludwigslust und verschiedene kleinere Ortschaften verfügen derzeit nicht über Ortsumgehungen (siehe Abb. 9). Unter Berücksichtigung der
strukturellen Gegebenheiten (Peripherraum mit sehr geringer Dichte) und der für die
Region prognostizierten Bevölkerungsentwicklung wäre eine Ertüchtigung der bestehenden Bundesstraßen ausreichend.
Abb. 7:
Regelquerschnitt RQ 15,5 mit wechselseitigen Überholmöglichkeiten
Bereits im nördlich bestehenden Abschnitt zwischen BAB 24 und Schwerin verläuft die
BAB 14 auf einer Länge von ca. 12 km in einem Abstand von unter einem Kilometer
parallel zur Bundestraße B 106 (siehe Abb. 8). Eine Bündelung beider Trassen oder
zumindest ein Rückbau der Bundesstraße wäre hier sowohl aus verkehrlichen als auch
aus wirtschaftlichen Erwägungen zwingend geboten gewesen. Auf Grundlage der Da-
Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
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Seite 28
ten der Straßenverkehrszählung 2010 zeigt sich, dass die Autobahn mit 7.200 Kfz/24h
eine geringere Verkehrsbelegung als die von 11.300 Kfz/24h genutzte Bundesstraße
aufweist. Im Ergebnis bestehen zwei unterausgelastete Bundesfernstraßen mit doppeltem Unterhaltungsaufwand.
Derartige Parallelführungen sind auch andernorts, wie z. B. südlich der Anschlussstelle
Bad Gottleuba im Verlauf der BAB 17 zu verzeichnen. Hier verläuft auf einer Länge von
ca. 4 km die Staatstraße S 174 ähnlich parallel zur Autobahn. Parallel zur A 96 verlaufen zwischen den Anschlussstellen Wörthsee und Landsberg Ost auf einer Länge von
ca. 29 km Staats- bzw. Kreisstraßen unmittelbar parallel zur Autobahn.
Weitere Beispiele mit einer deutlichen Unterschreitung der prognostizierten Verkehrsbedeutung und -aufkommen (siehe Tab. 1), für die ein bestandorientierter Ausbau mit
zusätzlichen Überholmöglichkeiten, Ortsumgehungen und Vernetzungen ausreichend
gewesen wäre, sind die B 6n (autobahnartige Nordharzverbindung, DTV zwischen
13.900 und 15.000 Kfz/24h) sowie die A 20 (Ostseeautobahn, DTV zwischen 10.200
und 31.400 Kfz/24h).
Ein wesentliches Problem für den bestandsorientierten Ausbau ist, dass entsprechende Alternativen nicht oder nicht fair in die Bewertung einbezogen werden und durch die
in Kapitel 3.3 erläuterte Fixierung auf Reisezeitvorteile in der Bewertung zu schlecht
abschneiden. Hinzu kamen und kommen politische Zielstellungen hinsichtlich der
Funktion sowie des Ausbaugrades der Trassen (siehe auch Kapitel 3.6).
So wurde von der Bundesregierung bezüglich der Differenzen zwischen Prognose und
Ist-Verkehrszahlen bei den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit (VDE) ausgeführt:
„Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Notwendigkeit des Neubaus von Bundesfernstraßen nicht nur aus der verkehrlichen Bedeutung in Form der zu erwartenden
oder vorhandenen Verkehrsbelastung sowie aus dem gesamtwirtschaftlichen Nutzen
mit dem Nachweis des Nutzen-Kosten-Verhältnisses ergibt. Vielmehr sind u. a. die Aspekte der raumordnerischen Erschließung sowie die Verbesserung der Erreichbarkeit
ebenfalls entscheidungsrelevant. Die damals vorliegenden Erreichbarkeitsmängel wurden mit Hilfe der VDE beseitigt. Darüber hinaus sind die Aspekte der Bündelung der
Verkehre auf einer leistungsfähigen Straße in Verbindung mit einer wesentlichen Entlastung des vorhandenen Straßennetzes und der unmittelbaren Entlastung der Menschen in den Ortsdurchfahrten sowie die Erhöhung der Verkehrssicherheit – Autobahnen haben nachweislich geringere Unfallraten als Landstraßen – ebenso zu berücksichtigen.“18
Zum einen ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass alle hier gesondert nochmals angeführten Faktoren (Erreichbarkeit, Entlastung von Menschen, Verkehrssicherheit etc.) im Rahmen der Kosten-Nutzen-Berechnung berücksichtigt sind (siehe Kapitel
18
Deutscher Bundestag, Antwort auf die kleine Anfrage zur Evaluierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit und weiterer
Vorhaben des Bedarfsplans Straße in Ostdeutschland, Drucksache 17/12140
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Seite 29
3.3) und sich in ihrer Auswirkung wesentlich auf die zu erwartenden Verkehrsaufkommen stützen. Insofern ist die Argumentation hinfällig. Wenn andere Effekte oder Zielstellungen mit der Verkehrsmaßnahme politisch angestrebt werden, sind diese im Planungsprozess konkret darzulegen und nicht durch geschönte Verkehrszahlen, Kostenansätze und Kosten-Nutzen-Verhältnisse in das Abwägungsverfahren einzubeziehen.
Abb. 8
Parallelverlauf BAB 14 / B 106 südlich von Schwerin
Karte:
© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA
http://www.openstreetmap.org/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
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Abb. 9
Seite 30
Parallelverlauf geplante BAB 14 mit den bestehenden B 189 / B 5 / B 106
Kartengrundlage: © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA (bearbeitet)
http://www.openstreetmap.org/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
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Seite 31
Zum anderen sind diese Effekte auch durch einen bestandsorientierten Ausbau i. d. R.
erreichbar. Bezüglich der geringeren Unfallkostenraten von Autobahnen ist festzustellen, dass ein Vergleich mit allen Bundesstraßen und nicht ein gesonderter Vergleich
mit Bundesstraßen gemeint ist, die über wechselseitigen Überholmöglichkeiten verfügen.
Im Rahmen des dreistreifigen Ausbaus der Bundesstraße B 300, welche als Querverbindung zwischen der A 9 bei Ingolstadt und der A 8 bei Augsburg dient, wurde im Bereich des Straßenbauamtes Ingolstadt ein Vorher-Nachher-Vergleich zu dieser Thematik durchgeführt. Die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden ist nach Realisierung der
dreistreifigen Abschnitte um 50 %, die Zahl der Unfälle mit schwerem Personenschaden um 75 % zurückgegangen. Besonders hervorgehoben wird zudem, „dass die Fehler bei Überholvorgängen stark abgenommen haben. Weiterhin hat sich die Reisegeschwindigkeit im Trassenverlauf um 16 % erhöht.“19 Dieses Bespiel zeigt, dass mit der
Ertüchtigung einer bestehenden Bundesstraße auch ohne die Schaffung einer Autobahn wesentliche positive Effekte hinsichtlich einer Erhöhung der Verkehrssicherheit
möglich sind.
Abb. 10
Variantenvergleich Bad Reichenhall (Kirchholztunnel / Ausbau im Bestand)
Kartengrundlage: © OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA (bearbeitet)
http://www.openstreetmap.org/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Dort, wo bereits heute bestandsorientierte Varianten im Rahmen der Abwägung geprüft
werden, erfolgt dies nicht immer unter fairen Bedingungen. So wurde z. B. im Rahmen
19
Oberste Baubehörde im Bayrischen Staatsministerium des Inneren, Verkehrs- und Unfallgeschehen auf Straßen des
überörtlichen Verkehrs in Bayern, Jahresbericht 1998/99.
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Seite 32
des Variantenvergleichs für den Kirchholztunnel in Bad Reichenhall (siehe Abb. 10) für
die bestandsorientierte Alternativvariante ein durchgängig vierstreifiger Ausbau der aktuell zweistreifigen Loferer Straße einschließlich einer Einhausung (Lärmschutz) und
die Verknüpfung zwischen den Bundesstraßen B 20 und B 21 über den sog. Stadtbergtunnel angenommen. Damit erhöhen sich die Kosten für die bestandsorientiere Variante so deutlich, dass die teure Tunnellösung gar nicht mehr so teuer erscheint. Eine tatsächliche Null-Plus-Lösung, d. h. die Schaffung von Lärmschutzeinrichtungen im Zuge
der Loferer Straße und eine aufwandsminimierte Verknüpfung zwischen B 20 und B 21
wurde jedoch nicht untersucht. Gemäß einer eigenen Grobkostenschätzung könnte eine Null-Plus-Lösung mit ca. 10 % der Tunnelkosten auskommen. Letztere hätte vor allem hinsichtlich des Flächenverbrauches extrem deutliche Einsparpotenziale im Vergleich zur Anbindung des Kirchholztunnels (siehe Abb. 11). Dieser wäre allein für die in
Abb. 11 dargestellte Querverbindung zwischen B 20 und B 21 um ca. 85% niedriger.
Abb. 11
Vergleich Flächenverbrauch (Kirchholztunnel / Optimierung im Bestand)
Kartengrundlage: Planfeststellung Kirchholztunnel Bad Reichenhall (bearbeitet)
Insgesamt sollte im Rahmen von Neubauvorhaben immer eine bestandsorientierte Alternative in die Variantenuntersuchungen, jedoch unter fairen Rahmenbedingungen
einbezogen werden. Gleichzeitig ist der Unterhaltungsaufwand parallel führender Trassen sowie die Notwendigkeit und finanzielle Berücksichtigung des Rückbaus von den
zu entlastenden „Alttrassen“ zu berücksichtigen.
3.6
Fehlende integrierte Netzplanung / planerische Zielstellungen
Bei verschiedenen bereits realisierten und geplanten Verkehrsvorhaben (speziell bei
Neubauvorhaben) sind statt Verkehrsengpässen, Sicherheitsdefiziten, Umweltbelastungen etc. einzig der örtliche politische Wille oder bereits weit in die Vergangenheit
zurückreichende Planungsideen ausschlaggebend für die Ableitung eines Bedarfes für
die entsprechenden Trasse. Der tatsächliche Nutzen bzw. die resultierenden Effekte
des Verkehrsweges werden dabei unzureichend berücksichtigt Als Begründung dienen
häufig abstrakte großräumige Verkehre.
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Abb. 12
Seite 33
Verkehrsprognose zur Ortsumgehung B 87 Bad Kösen / Naumburg
Quelle:
PTV AG „B 87 Ortsumgehung Bad Kösen – Naumburg,
Fortschreibung der Verkehrsuntersuchung Prognose 2020“
Ein Beispiel für eine derartige Planung ist die Ortsumgehung Bad Kösen / Naumburg
im Zuge der B 87. Die wesentlichen Belastungen im städtischen Straßennetz sind auf
den Binnen- sowie Quell- und Zielverkehr zurückzuführen. Dies betrifft vor allem die
Verknüpfung zwischen Naumburg und Bad Kösen. Für die 68 Mio. teure Neubautrasse20 einschließlich einer aufwendigen Saalequerung wird abschnittsweise ein Verkehrsaufkommen von lediglich 6.000 Kfz/24h prognostiziert. Die Entlastungswirkung
der bestehenden Ortsdurchfahrten ist gering. Dies wird selbst im Rahmen der Fortschreibung der Verkehrsprognose des Projektes bestätigt: „Die Entlastungswirkung der
Neubaumaßnahme auf die innerstädtischen Bereiche der Städte Bad Kösen und
Naumburg ist gering. Der Grund ist das generell geringe Verlagerungspotenzial in dieser Relation und der […] geringe Anteil von weiträumigem Durchgangsverkehr in beiden Städten.“21 Dennoch wird der Bau der B 87n weiter forciert. Die Maßnahme ist Bestandteil des vordringlichen Bedarfs des Bundesverkehrswegeplans und verdeutlicht
die Problematik der Bedarfsanmeldung durch die Länder („Wunschliste“ / „Gießkannenprinzip“). Maßgebendes Prüfkriterium ist der Kosten-Nutzen-Faktor. Dieser liegt für
die B 87n trotz fehlender Entlastungswirkung bei 2,5. Auf mögliche Ursachen hierfür
wurde bereits in Kapitel 3.3 eingegangen.
20
21
Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage zur Ortsumfahrung B 87 in der mitteldeutschen
Kulturlandschaft Saaletal, Drucksache 17/4965.
PTV AG „B 87 Ortsumgehung Bad Kösen – Naumburg, Fortschreibung der Verkehrsuntersuchung Prognose 2020, S. 13
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Seite 34
Beim Beispiel der B 87 kommt noch hinzu, dass für die zwischen Naumburg und der
BAB 9 liegende Ortschaft Wethau, welche im Gegensatz zur Stadt Naumburg einen
sehr hohen Durchgangsverkehrsanteil aufweist, keine Lösung zur Verkehrsentlastung
geplant wird.
Die Folge der unterausgelasteten und überdimensionierten Verkehrswege ist u. a. eine
Verschiebung des Modal-Split zu Lasten des Umweltverbundes und der Umwelt- bzw.
Klimaschutzziele. Zudem ist die in den Begründungen oft enthaltene Aussage, dass
sich in den vormaligen Ortsdurchfahrten die Lärm- und Schadstoffemissionen erheblich
reduzieren, nicht immer zutreffend. Kritisch zu bewerten sind auch die unnötigen Flächenverbräuche. So wird z. B. das Zerschneiden von land- und forstwirtschaftlichen
Flächen nicht ausreichend gewichtet. Auch die zukünftig schwer finanzierbaren Folgekosten für die Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur spielen kaum eine Rolle.
Gleichzeitig erfolgt teilweise durch die entsprechenden Alternativrouten auch eine Verlagerung von Verkehrsströmen von den Autobahnen auf das Bundes- und Landesstraßennetz, mit negativen Folgen für die Anwohner im Zuge von Ortsdurchfahrten ohne
Ortsumgehung. Eine entsprechende Verkehrsverlagerung in das nachgeordnete Netz
kann nicht Zielstellung einer nachhaltigen und intergierten Verkehrsnetzentwicklung
sein. Die Bündelung des Fernverkehrs (insbesondere des Güterverkehrs) im Autobahnnetz sollte hierbei die oberste Prämisse bilden.
Die Umsetzung von Ortsumgehungen macht daher nur dort Sinn, wo lokal eine deutliche Entlastung im Sinne von Gesundheitsschutz, Erhöhung der Verkehrssicherheit und
zur Reduzierung von Umweltbelastungen erreicht werden kann. Dies ist in der Regel
der Fall, wenn ein großer Anteil lediglich durchfahrender Verkehrsströme zu verzeichnen ist. Ob es sich dabei um lokale oder weiträumige Durchgangsverkehre handelt ist
zweitrangig. Bei größeren Städten und Ortschaften machen Entlastungstrassen nur
dann Sinn, wenn eine Bündelung der Verkehrsfunktionen, d. h. eine parallele Verlagerung von Quell-, Ziel- und Binnenverkehren, erfolgt und eine maximale Entlastung der
Alttrasse erreicht wird. In beiden Fällen ist ein Rückbau der zu entlastenden Ortsdurchfahrten bzw. Straßenverbindungen einschließlich einer Erhöhung der Durchfahrtswiderstände (bis hin zur Abbindung) im Sinne einer zukunftsfähigen Verkehrsentwicklungsstrategie zwingend notwendig.
Häufig wird stadt- und verkehrsplanerisch auf die vermeintliche Entlastungswirkung
durch großräumige Umgehungstrassen gewartet, dabei lassen sich verschiedene negative Auswirkungen des Kfz-Verkehrs bereits durch Maßnahmen im Bestand kurzfristig reduzieren. Eingriffsmöglichkeiten bestehen dabei in der Regel beim Geschwindigkeitsniveau, der kurzfristigen Markierung z. B. von Radverkehrsanlagen („Pinsel und
Farbe“), der Schaffung zusätzlicher Querungsmöglichkeiten für Fußgänger sowie bei
der punktuellen oder komplexen Umgestaltung der Straßenräume.
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Bei verschiedenen Planungen müssen auch die grundsätzlichen planerischen Zielstellungen hinterfragt werden. So wird z. B. die BAB 143 westlich von Halle / Saale u. a.
wie folgt begründet: „Mit der Vervollständigung der „Mitteldeutschen Schleife“ wird die
planerische Zielstellung verbunden, den überörtlichen Verkehr im Ballungsraum Halle /
Leipzig möglichst gleichmäßig zu verteilen.“22 Diese Zielstellung wiederspricht sowohl
der Bündelungsstrategie der Lärmminderung, als auch einer wirtschaftlichen Entwicklung des Straßennetzes, zumal sowohl die bestehende Nord-Süd-Verbindung im Zuge
der BAB 9, als auch die BAB 14 weitere Leistungsfähigkeitsreserven aufweisen.
3.7
Städtebauliche Dimensionierung
Bei der Planung und beim Bau von Stadtstraßen sowie im Zuge von Ortsdurchfahrten
sind die zur Verfügung stehenden Flächen häufig stark begrenzt. Weiterhin sind innerorts wesentlich höhere Nutzungsanforderungen für den Fuß- und Radverkehr, den
ÖPNV sowie durch angrenzende Bebauungsstrukturen vorhanden, die im Rahmen des
Entwurfes zu berücksichtigen sind.
In der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) wird hierzu einleitend richtig
festgehalten: „Planung und Entwurf von Stadtstraßen müssen sich an Zielstellungen
orientieren, die sich aus der Bewohnbarkeit und Funktionsfähigkeit der Städte und
Gemeinden ergeben und eine ausgewogene Berücksichtigung aller Nutzungsansprüche an den Straßenraum verfolgen. Dabei wird es vielfach – vor allem in Innenstädten
– notwendig sein die Menge des motorisierten Individualverkehrs oder zumindest die
Ansprüche an Geschwindigkeit und Komfort zu reduzieren und den Fußgänger- und
Radverkehr sowie den öffentlichen Personenverkehr zu fördern.“23
Neben einem geführten Entwurf mittels sogenannter typischer Entwurfssituationen wird
in der RASt als zweiter „individueller“ Entwurfsvorgang, die städtebauliche Bemessung unter Beachtung der individuellen Ziele, Nutzungsansprüche und Entwurfsvorgaben vorgegeben. Ziel ist dabei eine „Straßenraumgestaltung vom Rand aus“. Auf Basis
der Ermittlung der erforderlichen Seitenraumbreite (Empfehlung Aufteilung Fahrbahn
Seitenraum im Verhältnis 30 : 40 : 30) ergibt sich die städtebaulich mögliche Fahrbahnbreite, welche anschließend mit der verkehrlich notwendigen Fahrbahnbreite abzugleichen und abzuwägen ist.
In der Praxis wird der städtebauliche Entwurf teilweise nicht, nicht richtig oder unter falschen Vorzeichen angewendet. Statt der vorgesehenen Bemessung von außen nach
innen wurde und wird, ausgehend von den tatsächlichen oder vermeintlichen Erfordernissen des motorisierten Verkehrs von innen nach außen dimensioniert. Die Breite der
Seitenräume resultiert in diesem Fall aus den verbleibenden Restflächen und wird den
Nutzungsanforderungen der angrenzenden Bebauung sowie des Fuß- und Radver-
22
23
PTV AG, BAB A 143 AD Halle-Nord bis AD Halle-Süd VKE 4224, Verkehrsplanerische Untersuchung, S. 7
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen, Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) S. 15
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kehrs sowie ÖPNV i. d. R. nicht gerecht. Häufig existieren keine oder unzureichende
Angebote für den Radverkehr. Gehwege zwängen sich unter- oder mindestmassig zwischen Fahrbahn und Bebauung. Für den ÖPNV stehen keine ausreichenden und qualitativ ansprechenden Warteflächen zur Verfügung. Hinzu kommt teilweise auch, dass
früher vorhandene Baupflanzungen entfallen.
Die unzureichenden Angebote für den Umweltverbund wirken sich nicht nur lokal durch
Einbußen bei der Verkehrs- und Querungssicherheit, durch Trennwirkungen und Nutzungseinschränkungen aus, sondern sind auch gesamtstädtisch hinsichtlich der Veränderung der Verkehrsmittelwahl zu Gunsten des Umweltverbundes kontraproduktiv.
Hinzu kommt, dass die städtebaulich unangemessenen, großzügigen Flächen für den
Kfz-Verkehr verkehrsinduzierend und durch die fehlende optische Gliederung bzw.
Fassung des Straßenraumes häufig geschwindigkeitserhöhend wirken. Dadurch werden die ohnehin bestehende Luftschadstoff- und Lärmprobleme weiter verschärft.
Für die Anwohner ergeben sich zusätzliche Einschränkungen bezüglich Wohn- und
Aufenthaltsqualität und eine Verstärkung der gesundheitsschädlichen Auswirkungen
durch den motorisierten Individualverkehr. Auch hinsichtlich der Vermietbarkeit, Leerstand, Verfall der angrenzenden Bebauung sowie der sozialen Segregation sind deutliche Unterschiede zwischen städtebaulich integriert und Kfz-orientiert gestalteten Straßenräumen festzustellen.
In Abb. 13 werden einige innerstädtische Straßenzüge (jeweils Bundesstraßen) dargestellt, für die eine städtebauliche Dimensionierung einschließlich einer Reduzierung der
Ansprüche des MIV an den Straßenraum notwendig ist.
Abb. 13:
Beispiele für die Notwendigkeit einer städtebaulichen Dimensionierung
Jedoch ist eine Überwindung von über Jahre gewachsenen Strukturen sowohl verkehrsplanerisch als auch politisch schwierig, da keine konkreten Handlungszwänge
durch die Richtlinien bestehen und Einschränkungen für den MIV vielerorts aufgrund
der übergeordneten Bedeutung der Straßenzüge weggewogen werden (siehe Kapitel
3.1). Zudem ist auch die Finanzierung entsprechender Um- und Rückbaumaßnahmen
schwierig, da eine Förderung in der Regel auf eine Verbesserung der Verkehrsverhält-
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Seite 37
nisse abzielt (z. B. entsprechend § 3 GVFG). Diese Zielstellungen wurden und werden
zum einen leider häufig ausschließlich auf den Kfz-Verkehr und nicht auf die gesamten
Mobilitätsbedürfnisse in einem innerstädtischen Straßenzug bezogen. Zum anderen
werden andere Aspekte wie Umweltwirkungen, Gesundheitsgefährdungen der Anwohner sowie Einschränkungen der angrenzenden Nutzungen nicht ausreichend berücksichtigt. Eine Reduzierung Fahrspuren oder Angebotsqualität für den Kfz-Verkehr
schließt häufig eine Finanzierung aus den üblichen Quellen aus.
Die Realisierung von integrierten Umgestaltungs- und Rückbaumaßnahmen ist daher
heute zumeist nur mit Mitteln aus dem Städtebau- bzw. Umweltbereich möglich. Ein
Beispiel bildet die Bahnhofstraße in Cottbus (siehe Abb. 14), wo aufgrund erheblicher
Probleme hinsichtlich der Einhaltung der Luftschadstoffgrenzwerte, gefördert durch das
Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg,
eine städtebaulich integrierte Umgestaltung des Straßenraumes erfolgt ist. Der Fahrbahnquerschnitt wurde von 4 auf 2 Fahrspuren reduziert, Teile des Kfz-Verkehrs aus
dem Konfliktbereich herausverlagert und die historische Alleebepflanzung revitalisiert.
Dabei wird die Straßenbahn nicht separiert, sondern innerhalb der 2 Kfz-Fahrspuren
geführt. Zudem wurden die Trennwirkungen für den Fußgängerverkehr erheblich reduziert und die Bedingungen für den Radverkehr verbessert, auch wenn hier zu Gunsten
des Städtebaus Kompromisse erfolgt sind. Einen wesentlichen Kernbaustein für die
Gewährleistung einer stadtverträglichen Abwicklung des Kfz-Verkehrs bildete die Berücksichtigung von Tempo 30 als Planungsprämisse.
Abb. 14:
Städtebaulich integrierte Gestaltung Bahnhofstraße Cottbus (vorher / nachher)
Insgesamt zeigt sich, dass die Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen die geeigneten Grundlagen für eine stadtverträgliche, städtebaulich integrierte und alle Verkehrsarten berücksichtigenden Straßenraumgestaltung bietet. Bereits in der übergeordneten
Richtlinie zur integrierten Netzplanung auf entsprechende Gestaltungsanforderungen
hingewiesen: „Straßen innerhalb bebauter Gebiete dienen neben der Verbindung von
innergemeindlichen Zentralitäten auch der Erschließung bzw. dem Aufenthalt. Deshalb
sollen die umfeldbezogenen Wirkungen des motorisierten Verkehrs durch eine gute
städtebauliche Einpassung soweit wie möglich gemildert werden. Da Straßen innerhalb
bebauter Gebiete gemeinsam von motorisierten und nicht motorisierten Verkehren ge-
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nutzt werden, sind Maßnahmen erforderlich, welche die Verträglichkeit der Verkehrsteilnehmer fördern.“24
Probleme bestehen vor allem in der praktischen Umsetzung sowie bei der Abwägung
zwischen Flüssigkeit und Leichtigkeit des Kfz-Verkehrs und den sonstigen Nutzungsanforderungen. In der Zukunft ist hier eine Neuabwägung zugunsten der Belange des
Umwelt- und Gesundheitsschutzes, der städtebaulichen Integration sowie der Förderung des Umweltverbundes erforderlich.
Parallel müssen die Anreize, insbesondere Förderinstrumente, für entsprechende Gestaltungslösungen im Sinne der städtebaulichen Dimensionierung geschaffen und die
Umsetzung der in den Regelwerken formulierten Zielstellungen im Rahmen der Planung evaluiert werden.
3.8
Finanzierung / Fördermittel
Neben den eigentlichen verkehrsplanerischen Richtlinien und Hinweise spielen bei der
Planung und Gestaltung von Verkehrsanlagen auch Richtlinien, Erlasse und Rahmenbedingungen von Förderprogrammen sowie deren Auslegung eine wesentliche Rolle.
Durch die teilweise sektorale Ausrichtung der Förderprogramme entstehen vor allem
innerorts z. T. Widersprüche zur integrierten Planungsstrategie.
Abb. 15:
Beispiel Leibnitzstraße in Gera
So war beispielsweise die Formulierung zur ÖPNV-Förderung bezüglich des Straßenbahnverkehrs im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) zu starr und wurde
von einigen Bundesländern auch so angewendet. Es entstanden gesonderte Gleiskörper in Straßenabschnitten, wo diese verkehrlich nicht begründet sind und zudem städtebauliche Strukturen in keiner Weise berücksichtigen. Ein Extrembeispiel bildet, die
2006 / 07 im Zuge des Stadtbahnprogramms in der Stadt Gera umgebaute Leibnitzstraße. Trotz eines Verkehrsaufkommens von lediglich ca. 3.500 Kfz/24h wurde hier
die Straßenbahntrasse einseitig separiert (siehe Abb. 15). Hierfür wurden die Gehweg-
24
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen, Richtlinie für Integrierte Netzgestaltung, S. 22
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breiten auf Mindestmaße reduziert. Für eine Begrünung sowie die Einordnung von Flächen für den ruhenden Verkehr verbleibt so kein Platz.
Auch im Zuge von Hauptverkehrsstraßen widerspricht teilweise die erfolgte Separierung des Straßenbahnverkehrs den Vorgaben der städtebaulichen Bemessung gemäß
RASt (siehe Kapitel 3.8). So erfolgte z. B. im Zuge der Bodenbacher Straße und
Leipziger Straße in Dresden eine unzureichende Berücksichtigung des Radverkehrs
(siehe Abb. 16). Abschnittsweise mussten in der Bodenbacher Straße aus Platzmangel
die Radverkehrsanlagen unterbrochen werden. Dies führt zu erheblichen Konflikten
zwischen Rad- und Kfz-Verkehr. In der Leipziger Straße wurde im Rahmen einer Neuplanung ein gemeinsamer Rad- und Gehweg vorgesehen, welcher die Anforderungen
einer modernen Radverkehrsförderung nicht erfüllt und zusätzlich durch Einbauten sowie Großpflasterabschnitte an Einmündungen eingeschränkt ist. Auch die Querungsbreiten und daraus resultierende Trennwirkungen für den Fußverkehr sind durch die
Trennung von Straßenbahn- und Kfz-Verkehr deutlich höher. Im Falle der Leipziger
Straße kommt hinzu, dass keine harte bauliche Trennung vorgesehen wurde. Der „gesonderte Gleiskörper“ darf also mitgenutzt werden. Durch die entstehenden Überholmöglichkeiten werden ein diskontinuierlicher Verkehrsfluss provoziert und die Fußgängerqerungsbedingungen weiter eingeschränkt. Jedoch war diese quasi-4-streifige
Variante politisch gewollt und zeigt, dass durchaus Interpretationsspielraum bei der
Anwendung der Fördergesetzgebung bestand.
Abb. 16:
Beispiel Dresden (Bodenbacher Straße, Leipziger Straße)
Wie bereits in Kapitel 3.7 erläutert, bildet die Verknüpfung der Förderfähigkeit mit der
Zielstellung der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse (z. B. entsprechend § 3
GVFG) ein weiteres Problem. Ursache ist, dass diese Zielstellung zumeist nicht integriert auf alle Verkehrsmittel sowie auf die städtebauliche-räumlichen Funktionen der
Straße, sondern ausschließlich auf die Verkehrsverhältnisse des Kfz-Verkehrs bezogen wird.
Hier ist zukünftig eine verstärkte Berücksichtigung des intergierten Gestaltungsgedankens sowie der Aspekte des Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschutzes erforderlich.
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Statt in Abhängigkeit von den Vorgaben der Förderrichtlinie sollte dabei die eigentliche
Gestaltung ausschließliche durch die örtlichen Gegebenheiten bestimmt werden. Die
Förderrichtlinien sollten lediglich die Zielstellungen und grundsätzlichen Rahmenbedingungen definieren. Zukünftig muss es dabei auch möglich sein zu Lasten des KfzVerkehrs eine Umgestaltung oder einen Rückbau von Verkehrsanlagen, die aus der
Zeit der autogerechten Stadt stammen, zu fördern.
Förderprogramme, die ausschließlich eine Oberflächensanierung beinhalten, sind hierbei zumeist nicht zielführend. So sind z. B. im Rahmen des Konjunkturpaketes mit dem
Ziel des Lärmschutzes teilweise überbreite Kfz-Fahrbahn mit neuen Fahrbahnbelägen
versehen worden, ohne dass eine Anpassung des Fahrbahnquerschnittes vorgenommen wurde. Durch den Austausch von Pflaster in Asphalt ist es zwar leiser geworden,
die Effekte des ebeneren Fahrbahnbelages wurden jedoch durch die überbreiten
Querschnitte und das daraus resultierende höhere Geschwindigkeitsniveau zum Teil
gleich wieder aufgezehrt.
Entsprechende Beispiele zeigen, dass auch unter Berücksichtigung der knapper werdenden Haushaltsmittel zukünftig ein gezielterer und sparsamerer Einsatz der Gelder
mit Fokus auf die Erhaltung und die integrierte Weiterqualifizierung des Bestandsnetzes erfolgen muss. Die aktuelle Praxis der sektoralen Finanzierung mit, von höherer
Stelle zufließenden Fördergeldern ohne Bezug zu den hierfür erforderlichen Abgaben
vor Ort, ist dabei zukünftig zu hinterfragen. So zeigt z. B. die Nahverkehrsabgabe in
Frankreich auf, welche befruchtenden Effekte durch lokale Förderstrukturen möglich
sind.
3.9
Qualitative Bewertung des Verkehrsablaufes
Auf Grundlage des Handbuches für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen
(HBS) werden anhand standardisierter Verfahren die Kapazität der Straßenverkehrsanlagen sowie die Qualitätsstufen des Verkehrsablaufes (QSV) aus verkehrstechnischer
Sicht bewertet. Die einzelnen Qualitätsstufen werden dabei wie folgt beschrieben25:
Stufe A
Die Verkehrsteilnehmer werden äußerst selten von anderen beeinflusst. Sie
besitzen die gewünschte Bewegungsfreiheit in dem Umfang, wie sie auf der
Verkehrsanlage zugelassen ist. Der Verkehrsfluss ist frei.
Stufe B
Die Anwesenheit andere Verkehrsteilnehmer macht sich bemerkbar, bewirkt
aber eine nur geringe Beeinträchtigung des Einzelnen. Der Verkehrsfluss ist
nahezu frei.
Stufe C
Die individuelle Bewegungsmöglichkeit hängt vielfach vom Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer ab. Die Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer
25
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen, Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen, S.2-12
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ist spürbar eingeschränkt. Der Verkehrszustand ist stabil.
Stufe D
Der Verkehrsablauf ist gekennzeichnet durch hohe Belastungen, die zu deutlichen Beeinträchtigungen in der Bewegungsfreiheit der Verkehrsteilnehmer
führen. Interaktionen zwischen ihnen finden nahezu ständig statt. Der Verkehrszustand ist noch stabil.
Stufe E
Es treten ständige gegenseitige Behinderungen zwischen den Verkehrsteilnehmern auf. Bewegungsfreiheit ist nur in sehr geringem Umfang gegeben.
Geringfügige Verschlechterungen der Einflussgrößen können zum Zusammenbruch des Verkehrsflusses führen. Der Verkehr bewegt sich im Bereich
zwischen Stabilität und Instabilität Die Kapazität wird erreicht.
Stufe F
Die Nachfrage ist größer als die Kapazität. Die Verkehrsanlage ist überlastet.
Darüber hinaus wird im HBS erläutert: „Diese Art der Qualitätsbeschreibung kann der
Politik und der Öffentlichkeit verständlich vermittelt werden. Die Zusammenfassung in
Stufen verdeutlicht die verkehrlichen Zielvorstellungen, die z. B. mit der Planung von
Netzergänzungen, dem Ausbau von Straßen und Knotenpunkten, der Bevorrechtigung
des öffentlichen Personennahverkehrs sowie der Steuerung und Beeinflussung von
Verkehrsströmen verfolgt werden.“26
Durch die Qualitätsstufen ergibt sich verkehrsplanerisch tatsächlich eine gute Vergleichbarkeit des Verkehrszustandes verschiedener Verkehrsanlagen. Jedoch birgt das
Notensystem auch gewisse Nachteile bezüglich der Interpretation.
Abb. 17:
26
typische Tagesganglinie für einen innerstädtischen Straßenabschnitt
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen, Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen, S. 1-4
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Ergibt sich für einen Straßenabschnitt oder für alle Ströme eines Knotenpunktes eine
„gute“ qualitative Bewertung z. B. mit QSV A oder B so ist diese Verkehrsanlage de
facto überdimensioniert, es sei denn sie verfügt bereits über den niedrigst möglichen
Ausbaustandard und es existieren keine parallelen Alternativangebote. Denn grundsätzlich erfolgt die Bewertung des Verkehrszustandes für die Spitzenstunde. Dies bedeutet, dass über die größten Teile des Tagesverlaufs, in denen zumeist deutlich geringere Verkehrsbelegungen zu verzeichnen sind eine Unterauslastung (siehe Abb.
13). Ist bereits für die Spitzenstunde eine „gute“ Qualität zu verzeichnen, sind die Anlagen für die Neben- und Schachverkehrszeiten wesentlich zu großzügig ausgelegt.
Das Erreichen von QSV A kann daher nicht das Ziel einer nachhaltigen Verkehrsplanung sein. Ziel muss es sein, das Verkehrsnetz so zu gestalten, dass es effektiv genutzt wird. Hierfür ist eine hohe Auslastung in den Spitzenstunden ein Indiz. Im Einzelfall kann es dabei auch sinnvoll sein, Überlastungen bewusst in Kauf zu nehmen bzw.
Engpässe einzuplanen.
In der Stadt Greiz erfolgte z. B. im Dezember 2012 die Aufhebung der Einbahnstraßenregelung in der Mastallstraße (L 2.344). Die Leistungsfähigkeitsberechnungen ergaben, dass das Linkseinbiegen aus der angrenzenden Einmündung Obere Silberstraße
nicht leistungsfähig möglich ist. Dennoch wurde die Maßnahme ohne zusätzliche Begleitmaßnahmen nach längerer Diskussion umgesetzt. Die prognostizierte Überlastung
des Knotenpunktes ist nicht eingetreten. Stattdessen haben sich die Verkehrsaufkommen im Zuge der Oberen Silberstraße von ca. 7.300 Kfz/24h auf ca. 5.600 Kfz/24h reduziert, da von den Verkehrsteilnehmern in den Hauptverkehrszeiten offensichtlich andere Fahrtrouten gewählt werden und teilweise eine Reduzierung von Kfz-Fahrten
stattgefunden hat.
Im Autobahnnetz ergeben sich nicht nur tageszeitliche Schwankungen der Verkehrsaufkommen sondern zum Teil auch an einzelnen Tagen besondere Verkehrsspitzen. In
Abb. 18 wird dies für die A 8 exemplarisch dargestellt. Besonders hohe Verkehrsmengen sind hier an Ferientagen durch den Urlaubsverkehr nach und von Österreich und
Italien zu verzeichnen. Allerdings betreffen die tatsächlichen Spitzenverkehrsbelegungen auch hier nur wenige Stunden des Jahres.
Der u. a. wegen der Urlaubsspitzenverkehre geplante durchgängig 6-streifige Ausbau
der A 8 vom Inntaldreieck bis zur Bundesgrenze ist daher zu hinterfragen. Zumal die
Verkehrsbelegungen zur österreichischen Grenze hin abnehmen. Für solche Abschnitte ist stattdessen die Anwendung einer dynamischen Standstreifenfreigabe sowie von
Geschwindigkeitsbegrenzungen im Sinne einer angemessene, kostengünstige und
landschaftsschonende Dimensionierung der Autobahn effektiver (siehe auch Kapitel
3.11). Ein Problem bei einem derartigen bestandsorientierten Ausbau bildet jedoch die
Schaffung adäquater Lärmschutzeinrichtungen (siehe Kapitel 3.4).
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Diese Beispiele zeigen, dass solange, wie keine dauerhaften Überlastungen mit besonders negativen Auswirkungen insbesondere auf die innerstädtische Luftschadstoffsituation erfolgen, eine hohe Verkehrsauslastung im Sinne einer effektiven Nutzung der Infrastruktur verkehrsplanerisch unproblematisch ist.
Abb. 18:
Verteilung der Verkehrsbelegung A 8
Hierbei sind auch die aus dem Netzzusammenhang entstehenden Selbstregulierungsmöglichkeiten durch veränderte Verkehrswege bzw. eine veränderte Verkehrsmittelwahl zu bedenken. Denn gering ausgelastete Straßenverkehrsanlagen mit „guter“ Qualitätsstufe für den Verkehrsablauf wirken sich auch negativ auf die Nutzung des Umweltverbundes aus und sind damit auch im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungs- und Klimaschutzstrategie kontraproduktiv.
Auf derartige Aspekte ist bei der Bewertung von Leistungsfähigkeitsberechnungen hinzuweisen.
3.10
Auswirkung von Geschwindigkeiten
Die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten sind für verschiedene Aspekte des Fahrverhaltens von maßgebender Bedeutung. Darüber hinaus hat auch die Gestaltung und
Dimensionierung der Verkehrsanlagen einen wesentlichen Einfluss auf das tatsächliche Geschwindigkeitsniveau sowie umgekehrt genauso die zulässige Geschwindigkeit
auf die Dimensionierung.
Vom Wissenschaftlichen Beirat des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird hierzu ausgeführt: „die Zeit für die Gefahrenkognition und angemessene Reaktion sinkt sowohl auf Seiten der Fahrzeugführer wie der anderen Verkehrsteilneh-
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mer. Damit steigen die Unfallrisiken und vor allem die Unfallfolgen mit der Wucht des
Aufpralls exponentiell an. Für jeden Straßentyp werden vor allem die einzuhaltenden
Geschwindigkeitsbereiche, ausgehend von den jeweiligen Entwurfselementen, Nutzungs- und Konfliktkonstellationen des Straßenraumes festgelegt. Die besondere Bedeutung der Geschwindigkeit für die Unfallwahrscheinlichkeit und die Unfallschwere
hat in fast allen entwickelten Ländern der Welt zu deutlicheren Geschwindigkeitsbegrenzungen als in Deutschland geführt.“27 Weiterhin wird ausgeführt: „Zu hohe Geschwindigkeiten werden häufig durch früher nach fahrdynamischen Gesichtspunkten
optimierte Ausbaustandards noch immer ermöglicht und gefördert.“28
Im Jahr 2012 waren ca. 20 % der Unfälle mit Personenschaden ursächlich auf eine unangepasste Geschwindigkeit zurückzuführen.29 Geschwindigkeitsübertretungen waren
damit Unfallursache Nummer eins. Drüber hinaus stehen weitere Unfallursachen (ungenügender Sicherheitsabstand, Überholen etc.) eng im Zusammenhang mit dem Geschwindigkeitsniveau.
Bei der Anpassung und Überarbeitung der Regelwerke sowie bei der Begründung von
Aus-, Um- und Neubauvorhaben steht das Thema Verkehrssicherheit häufig an erster
Stelle. Es wird nach baulichen und technischen Lösungen gesucht, um Unfälle und
Konflikte zu vermeiden. Regulatorische Maßnahmen (Geschwindigkeitsbegrenzung
und -überwachung, Verschärfung der Sanktionen) spielen eine untergeordnete Rolle,
bilden jedoch eine wesentliche Grundlage für die Verbesserung der Verkehrssicherheit
sowie zur Verminderung weiterer durch den Kfz-Verkehr verursachter Probleme und
Konflikte.
So hat das Fehlen einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung im Zuge der deutschen Autobahnen nicht nur Auswirkungen auf die Unfallsituation, den Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen, sondern wirkt sich bis in die deutschen Städte und
Gemeinden hinein aus:

Die Fahrzeugtechnik und -sicherheit einschließlich der Reifen ist auf die hohen Geschwindigkeiten ausgelegt. Für den innerstädtischen Bereich sind die Fahrzeuge
schwerer und höher motorisiert als eigentlich notwendig, was zu erhöhtem Luftschadstoffausstoß und einer Verschärfung der negativen Gesundheitsfolgen durch
den Kfz-Verkehr führt. Hinsichtlich der Reifen müssen harte Gummimischungen
verwendet werden, um die Haltbarkeit bei hohen Geschwindigkeiten zu gewährleisten. Diese wirken sich innerstädtisch lärmerhöhend aus.

Die hohen Geschwindigkeiten und die daraus teilweise resultierenden unstetige
Fahrweise sorgen für einen erhöhten Ausstoß von Luftschadstoffen im Zuge der
27
28
29
Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Sicherheit zuerst – Möglichkeiten
zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland, S. 15
Ebd. S. 20
Statistisches Bundesamt, Fachserie 8 Reihe 7, Verkehr – Verkehrsunfälle Januar 2013, S. 33
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Autobahnen. Dieser fließt wiederum in die städtische bzw. großräumige Hintergrundbelastung der Luftschadstoffimmissionen ein und verstärkt die innerstädtischen Luftschadstoffprobleme, wie auch im Bereich ohnehin kritischer Hot Spots.

Teilweise bestehen auch beim Durchfahren besiedelter Bereiche keine Geschwindigkeitsbegrenzungen. Dadurch entstehen unnötige Lärmbelastungen für die Anwohner, durch eine erhöhte Eindringtiefe der Belästigungen durch den Autobahnverkehr in die Siedlungsstrukturen und zusätzliche Pegelspitzen. Problematisch ist
zudem, dass der Lärm der Autobahnen lediglich an Hand der Richtgeschwindigkeit
von 130 km/h berechnet wird.
Bezüglich der Verbesserung der Verkehrssicherheit durch Geschwindigkeitsherabsetzung wurde, beauftragt durch den Landesbetrieb Straßenwesen Brandenburg, eine
Vorher-Nachher-Untersuchung für die BAB 24 zwischen den Autobahndreiecken Havelland und Wittstock (Dosse) durchgeführt. Die Zahl der Unfälle mit Personenschaden
und schwerwiegendem Sachschaden hat sich nach der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h etwa halbiert. Die Zahl der verunglückten Personen
sank sogar um ca. 57 %.30
Durch die geringeren Differenzen bezüglich der Zielgeschwindigkeiten zwischen den
Verkehrsteilnehmern und die daraus resultierende verstetigte Fahrweise ist davon auszugehen, dass auch der Verkehrsfluss verbessert und die Durchlassfähigkeit der Autobahn erhöht wird. Gleichzeitig sinken die Anforderungen an die Trassierung und Dimensionierung des Autobahnquerschnittes (siehe auch Kapitel 3.11).
Auf Abschnitten, in denen die Autobahn in geringem Abstand unmittelbar durch bebautes Gebiet führt, sind weitergehende Geschwindigkeitsbegrenzungen (Tempo 100 / 80
oder Tempo 60 für Lkw) insbesondere nachts zwingend erforderlich, um eine ausreichenden Gesundheitsschutz der Anwohner zu gewährleisten. Hemmnisse für die Umsetzung derartiger Maßnahmen bilden häufig die zu hohen Eingriffswerte der Lärmschutz-Richtlinie-StV sowie eine Prioritätensetzung zu Gunsten des fließenden Verkehrs im Rahmen der Abwägung durch die zuständigen Behörden. Im Rahmen der
Einzelfallentscheidung müsste jedoch verstärkt der besonders hohen Lästigkeit des
Autobahnlärms aufgrund von weitreichender Flächenverlärmung, fehlenden Lärmpausen und besonders störender Pegelspitzen Rechnung getragen werden.
Auch in den Städten scheitert eine Umsetzung von Geschwindigkeitsbegrenzungen im
Zuge von Hauptverkehrsstraßen häufig an den für die Anordnung zuständigen Behörden. Prinzipiell besteht gemäß § 45 StVO die Möglichkeit, Geschwindigkeitsbegrenzung aus Lärmschutzgründen auch auf Hauptverkehrsstraßen anzuordnen.
Gemäß Lärmschutz-Richtlinie-StV, welche als Orientierungshilfe zur Entscheidung
über straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen für die zuständigen Behörden dienen soll,
30
Schlothauer & Wauer, Auswirkungen eines allgemeinen Tempolimits im Land Brandenburg
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ist die Grenze des zumutbaren Verkehrslärms nicht durch gesetzlich bestimmte
Grenzwerte festgelegt, sondern ist im Einzelfall zu klären. Straßenverkehrsrechtliche
Lärmschutzmaßnahmen kommen insbesondere in Betracht, wenn der vom Straßenverkehr herrührende Beurteilungspegel am Immissionsort eine der folgenden Richtwerte überschreitet:
In reinen und allgemeinen Wohngebieten, Kleinsiedlungsgebieten sowie an Krankenhäusern, Schulen, Kur- und Altenheimen
70 dB(A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags)
60 dB(A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts)
In Kern-, Dorf- und Mischgebieten
72 dB(A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags)
62 dB(A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts)
In Gewerbegebieten
75 dB(A) zwischen 6.00 und 22.00 Uhr (tags)
65 dB(A) zwischen 22.00 und 6.00 Uhr (nachts) 31
Insgesamt ist jedoch u. a. gestützt durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 1986 (Urteil 7 C 76/84), die Schutzbedürftigkeit nicht nach einem
abstrakt festgelegten Lärmpegel festzulegen, sondern hat sich nach den Umständen
des jeweiligen Einzelfalles zu richten. Werden die o. g. Werte überschritten, wird im Urteil festgehalten, „dass in derartigen Fällen sich das Ermessen der Behörde zu einer
Pflicht zum Einschreiten verdichten kann; es bedeutet also nicht, dass geringere
Lärmeinwirkungen straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen ausschlössen.“
Eine entsprechende Anwendung erfolgt jedoch kaum. Stattdessen werden, wenn überhaupt, verkehrsrechtliche Maßnahmen größtenteils lediglich dort umgesetzt, wo die in
der Lärmschutz-Richtlinie-StV genannten Lärmwerte überschritten werden. Die verwendeten Mittelungspegel bilden jedoch im Einzelfall, wie z. B. im Zuge der Autobahnen die tatsächliche Lärmbetroffenheit nicht ausreichend ab. Im Sinne des Gesundheitsschutzes ist eine Veränderung des Umgangs mit Lärmminderungsmaßnahmen im
Zuge von bestehenden Straßen dringend erforderlich (siehe auch Kapitel 3.4).
Ein weiteres Problem bildet auf den Autobahnen die nahezu durchgehende Überschreitung (ca. 10 km/h) der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h durch den
Schwerverkehr. Dadurch entstehen zusätzliche Lärmbelastungen gerade durch die lautesten und störendsten Fahrzeuge. Entsprechende Geschwindigkeitsübertretungen
werden nur selten kontrolliert bzw. geahndet. Wichtig wäre daher die Schaffung der
rechtlichen Voraussetzungen für streckenbezogene Geschwindigkeitskontrollen (sec31
BMVBS, Richtlinie für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm (LärmschutzRichtlinien-StV, S. 768
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tion control). Vor allem in den Hauptkonfliktbereichen könnte so ein angemessenes
Geschwindigkeitsniveau gewährleistet werden.
3.11
Verbreiterung der Regelquerschnitte
Mit der Einführung der neuen Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA) 2008
sowie für die Anlage von Landstraßen (RAL) 2012 wird die bis dato gültige Richtlinie
für die Anlage von Straßen, Teil: Querschnitte (RAS-Q 96) vollständig ersetzt. Beim
Vergleich zwischen dem alten und den neuen Regelwerken werden verschiedene Veränderungen deutlich, die u. a. zu einer Verbreiterung der Regelquerschnitte führen
(siehe Tab. 5).
Querschnitt
RAS Q 96
RAA / RAL
Veränderung
Autobahn 8-streifig
-
RQ 43,5
neue Entwurfsklasse
Autobahn 8-streifig
-
RQ 38,5
neue Entwurfsklasse Stadtautobahn
Autobahn 6-streifig
RQ 35,5
RQ 36
0,50 m breiterer Mittelstreifen
Autobahn 6-streifig
RQ 33
-
Autobahn 6-streifig
-
RQ 31,5
neue Entwurfsklasse Stadtautobahn
Autobahn 4-streifig
RQ 29,5
RQ 31
0,50 m breiterer Mittelstreifen /
0,50 m breitere Standstreifen
Autobahn 4-streifig
-
RQ 28
neue Entwurfsklasse
autobahnartige Straße
Autobahn 4-streifig
RQ 26
-
Autobahn 4-streifig
-
RQ 25
neue Entwurfsklasse Stadtautobahn
Kraftfahrstraße 4-streifig
RQ 20
RQ 21
0,50 m breiterer Mittelstreifen
Kraftfahrstraße 3-streifig
RQ 15,5
RQ 15,5
Außerortsstraße 3-streifig
-
RQ 15
neue Entwurfsklasse
Außerortsstraße 2 (3)-streifig
-
RQ 11,5 (+)
neue Entwurfsklasse
Außerortsstraße 2-streifig
RQ 10,5
RQ 11
0,25 m breitere Randstreifen
Außerortsstraße 2-streifig
RQ 9,5
(RQ 10)
0,25 m breitere Randstreifen
Außerortsstraße 2-streifig
-
RQ 9
neue Entwurfsklasse
Außerortsstraße 2-streifig
RQ 7,5
-
Tab. 5
Vergleich Querschnitte der RAS-Q 96 mit den aktuellen Regelwerken
Bisher existierende reduzierte Querschnitte mit Fahrstreifenbreiten von 3,50 m statt
3,75 m, wie der 6-streifige Autobahnquerschnitt RQ 33 oder der 4-streifige Autobahnquerschnitt RQ 26 wurden gestrichen. Bezogen auf diese Querschnitte ergeben sich
mit dem neuen Regelwerk Verbreiterungen von 3 bzw. 4 m. Dadurch ergibt sich ein
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zusätzlicher Flächenverbrauch von ca. 9,2 % bei 6-streifigen und ca. 19,2 % bei 4streifigen Autobahnabschnitten, welcher sich in ähnlicher Größenordnung auch auf die
erforderlichen Bau- und Instandhaltungskosten auswirken wird. Parallel wurden ebenfalls die Breiten der Regelquerschnitte mit einer Fahrstreifenbreite von 3,75 m jeweils
nochmals um 0,50 m erhöht.32
Das geringere Querschnittsbreiten prinzipiell möglich sind, zeigen die neu eingeführten
Regelquerschnitte RQ 31,5 und RQ 25 für Stadtautobahnen, welche die bisher niedrigsten Autobahnregelquerschnittsbreiten sogar nochmals unterschreiten. Für die
Überholspuren wurden hier Fahrstreifenbreiten von 3,25 m angesetzt.
Als eine wesentliche Ursache für die Verbreiterung der Querschnitte sind das in
Deutschland bestehende Geschwindigkeitsniveau sowie das Fehlen eines generellen
Tempolimits auf Autobahnen anzusehen (siehe Kapitel 43). Das Beispiel der Stadtautobahnen zeigt, dass bei geringeren Geschwindigkeiten auch eine verträgliche Dimensionierung und Trassierung mit geringerem Flächenverbrauch möglich wären.
Viele negative Wirkungen von Autobahnen (Flächenlärmquelle, Zerstörung des Landschaftsbildes etc.) werden durch die überbreite Dimensionierung deutlich verstärkt.
Sowohl hinsichtlich des Querschnittes als auch bezüglich der Trassierung zeigen verschiedene bestehende Autobahnen, dass eine wesentlich verträglichere Einordnung in
das Landschaftsbild mit geringeren Querschnittsbreiten deutlich besser möglich ist
(siehe Abb. 19). Auch wenn derartige Trassen, z. B. wegen des Fehlens von Standstreifen, heute nicht mehr zeitgemäß sind, sollten bei deren Ausbau eine sensible Umgestaltung und die Übertragung des Minimierungsprinzips auf Neubaustrecken erfolgen. Dies findet jedoch bedingt durch die Regelwerke sowie politische Zielstellungen,
meistens nicht statt.
Als negatives Beispiel kann die Autobahn BAB 8 zwischen Rosenheim und Salzburg
dienen. Im Rahmen des 6-streifigen Ausbaus ist hier eine Querschnittsverbreiterung
von bisher 17,00 m auf zukünftig 36,00 m vorgesehen (siehe Abb. 20). Die Flächeninanspruchnahme durch die Autobahn wird sich damit mehr als verdoppeln. Hinzu
kommt, dass anders als früher häufig parallel weitere Flächen zum „Schutz“ der Autobahn beräumt und z. B. von Bäumen befreit werden, so dass die durch die Autobahn
entstehende Schneise um ein vielfaches breiter ist.
Wie bereits in Kapitel 3.8 erläutert und in Abb. 18 dargestellt, beschränkt sich der Bedarf für einen 6-streifigen Querschnitt im Zuge der BAB 8 südlich vom Dreieck Inntal
auf kurze Zeitabschnitte im Jahr und nimmt in Richtung Bundesgrenze ohnehin kontinuierlich ab. Daher wäre als Alternative ein Ausbau mit dem Regelquerschnitt RQ 29,5
gemäß RAS-Q sowie eine temporäre Standstreifenfreigabe ausreichend. Im Vergleich
zum geplanten Ausbau würden sich damit keine nennenswerten Einschränkungen be32
Auch der für autobahnartige Bundesstraßen vorgesehene Regelquerschnitt RQ 28 ist zu großzügig dimensioniert. Wird der
Querschnitt RQ 20 um Standstreifen ergänzt, ergäbe sich eine Querschnittsbreite von lediglich 25 m.
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züglich der Kapazität der Autobahn ergeben. Der Flächenbedarf wäre jedoch um ca.
15 - 18 % geringer.
Abb. 19:
Autobahn BAB 8 zwischen Rosenheim und Salzburg im Bestand
Abb. 20:
BAB 8 Vergleich Bestandquerschnitt / geplanter 6-streifiger Ausbau
Die Thematik der Standstreifenfreigabe wird jedoch im Zusammenhang mit den Regelquerschnitten nicht thematisiert, da sie aktuell lediglich als Maßnahme zur kurzfristigen
Erhöhung der Kapazität bestehender Straßen und nicht als allgemeines Planungsinstrument angesehen wird.
Zudem ist es ein Trugschluss davon auszugehen, dass sich mit breiteren Straßen
Probleme beheben lassen, die aus hohen Geschwindigkeiten resultieren. Vielmehr
wird durch die Verbreiterung und großzügigere Trassierung der Straßen ein erhöhtes
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Geschwindigkeitsniveau zusätzlich befördert. Speziell auf Landstraßen ist dies im Außerortsbereich ein Problem. Unangepasste Geschwindigkeiten bilden hier eine der
Hauptunfallursachen.
Auch für den Bereich der Landstraßen sind mit der Einführung der RAL Veränderungen
erfolgt (siehe Tab. 5). Nunmehr gibt es vier Entwurfsklassen, die sich an der Netzfunktion gemäß RIN orientieren. Auf die Konflikte bei der Festlegung der Verbindungsfunktionsstufen gemäß RIN wurde bereits in Kapitel 3.1 eingegangen. Für Entwurfsklasse I
ist ausschließlich der 3-streifige Querschnitt RQ 15,5 vorgesehen. Punktuell kann es
jedoch erforderlich sein, auch im Zuge derartiger Verbindungen aufgrund von Zwangspunkten 2-streifige Abschnitte auszuweisen. Die 2-streifigen sind nochmals etwas breiter geworden und als schmalster Querschnitt wird der RQ 9 in Entwurfsklasse 4 angeboten. Der bisher zur Verfügung stehende RQ 7,5 ist in der RAL nicht mehr enthalten.
Für die Verbindung zwischen jeglicher Gemeinde bzw. zu jeglichem Gemeindeteil wäre
dementsprechend eine Querschnittsbreite von 9 m vorzusehen. Dies wird der geringen
Verkehrsbedeutung vieler dieser Verbindungen nicht gerecht. Hier ist zwingend eine
zusätzliche Entwurfsklasse erforderlich, die neben dem alten RQ 7,5 auch einen einstreifigen Querschnitt mit Ausweichstellen als Regellösung beinhaltet.
Insgesamt ist es bezüglich der Landesstraßen nicht zielführend zu versuchen, die Dimensionierung an das Fehlverhalten der Verkehrsteilnehmer (insbesondere unangepasste Geschwindigkeiten) anzupassen. Durch einen großzügigere Querschnittsgestaltung und Dimensionierung wird das eigentliche Problem nicht gelöst. Richtig wäre in
erster Linie, die Gewährleistung eines angemessenen Geschwindigkeitsniveaus durch
eine Verstärkung der Kontrollen sowie eine Erhöhung des Strafmaßes.
Innerorts wird durch die RASt für Hauptverkehrsstraßen eine Fahrspurbreite von
3,25 m definiert, von welcher lediglich bei der Markierung von Schutztreifen nach oben
(3,75 m) und der Führung neben Radstreifen nach unten (3,00 m) abzuweichen ist.
Leider werden auch 7 Jahre nach der Einführung der RASt weiterhin teilweise größere
Fahrspurbreiten - vor allem bei der Markierung von Schutztreifen - in der Planungspraxis vorgesehen. Diese Überdimensionierung sorgt für unnötigen Flächenverbrauch,
größere Querungsbreiten und durch den optischen breiteren Straßenraumeindruck für
ein potenziell höheres Geschwindigkeitsniveau mit negativen Auswirkungen bezüglich
Lärm, Abgasen und Verkehrssicherheit.
Bei der städtebaulichen Dimensionierung (siehe auch Kapitel 3.7) sind alternativ zu
den festen Breitenvorgaben für die Fahrstreifen die in der RASt enthaltenen Verkehrsräume beim Begegnen, Nebeneinander- und Vorbeifahren für die verschiedenen Bemessungsfahrzeuge von hoher Bedeutung im Rahmen der Abwägung zwischen städtebaulichen und verkehrlichen Aspekten. Im Vergleich zur Vorgängerrichtlinie, den
Empfehlungen für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV) zeigt sich, dass für
den Bemessungsfall mit eingeschränkten Bewegungsspielräumen (bei niedrigen Ge-
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schwindigkeiten) die Breite der erforderlichen Verkehrsräume zugenommen hat (siehe
Abb. 21). Statt wie vorher 0,125 m ist nunmehr für Lkw jeweils ein Bewegungsspielraum von 0,20 m und für Pkw von 0,15 m vorzusehen.
RASt 2006
(…) Klammerwerte für eingeschränkte Bewegungsspielräume33
EAHV 1993
für eingeschränkte Bewegungsspielräume34
Abb. 21:
Vergleich Verkehrsräume für das Begegnen zweier Fahrzeuge
Dies sorgt ebenfalls für eine breitere Dimensionierung von Verkehrsanlagen, da z. B.
die früher üblichen Fahrbahnbreiten mit 4,75 m und 5,50 m nun nicht mehr angewendet werden sollen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass derartige Querschnitte i. d. R.
ohnehin nur für Straßen mit geringen Verkehrsbelegungen und ohne Verbindungsfunktion in Betracht kommen. Die Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Begegnungsfalles ist
sehr gering und erfolgt in der Regel unter gegenseitiger Rücksichtnahme bzw. Halten
eines Fahrzeuges am Fahrbahnrand. Durch die Verbreiterung des Mindestquerschnittes ergibt sich für die Regelnutzung durch Pkw eine größere Freizügigkeit, die sich
häufig im Geschwindigkeitsniveau niederschlägt und die in diesen Bereichen zumeist
vorherrschende Verkehrsberuhigung konterkariert.
Auch bei der Dimensionierung mehrspuriger innerstädtischer Verkehrsanlagen erfolgt
häufig eine Dimensionierung für einen eher theoretischen Extremfall (siehe Abb. 22),
dem Nebeneinanderfahren von Lkw auf allen Spuren. Im Regelfall erfolgt jedoch überwiegend eine Nutzung durch Pkw. Für diese Nutzung ergibt sich ein deutlich geringerer
Breitenbedarf. Eine effektive Lösung für diese Problematik bilden überbreite Mischspuren, die durch den Pkw-Verkehr nebeneinander genutzt werden können. Lediglich bei
33
34
FGSV, Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen, S. 27
FGSV, Empfehlung für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV), S. 26
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der in den maßgebenden Spitzenstunden seltenen Lkw-Nutzung ergibt sich eine Fahrspurreduktion.
Abb. 22:
3.12
Dimensionierung mehrspuriger Abschnitte innerorts
Dimensionierung von Anschlussknotenpunkten
Auch bezüglich der Knotenpunkte wurde die bis dato gültige Richtlinie für die Anlage
von Straßen, Teil: Knotenpunkte (RAS-K) für den Außerortsbereich durch die neuen
Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA) und für die Anlage von Landstraßen
(RAL) ersetzt.
Abb. 23:
Regeleinsatzbereiche von vierarmigen Knotenpunkten
Quelle: FGSV, RAL 2012
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Insgesamt ist dabei eine verstärkte Tendenz zu niveaufreien und teilniveaufreien Knotenpunktlösungen zu verzeichnen. Diese Entwicklung ist zum einen auf das höhere
Verkehrssicherheitsniveau derartiger Lösungen zu zurückzuführen, liegt jedoch zum
anderen auch an den aus der RIN resultierenden Verbindungsfunktionen. Nicht Berücksichtigt werden dabei jedoch Flächenverbrauch, Umwege für den Kfz-Verkehr, insbesondere auch für den öffentlichen Busverkehr, Trennwirkungen und Umwege für den
Fuß- und Radverkehr.
Wie aus Abb. 23 deutlich wird, ist für den Schnittpunkt zweier aufeinandertreffender
Straßen der Entwurfsklasse 1 ein Kleeblatt wie bei der Verknüpfung zweier Autobahnen die Regellösung. Der Anschluss an jede andere untergeordnete Straße hat teilniveaufrei zu erfolgen. Eine Anbindung von Straßen der Entwurfsklasse 4 ist nicht vorgesehen. Auch für Entwurfsklasse 2 wird eine entsprechende Einbindung nicht empfohlen.
Bei den Straßen der Entwurfsklasse 4 handelt es sich funktionell gemäß RIN um Straßen zwischen zwei Gemeinden / Gemeindeteilen oder zwischen einer Gemeinde und
ihrem Grundzentrum. In der Praxis ist zudem zu beobachten, dass aus Kostengründen
(u. a. wegen der hohen Ausbaustandards) oder im Sinne einer Reduzierung der Widerstände im Zuge der übergeordneten Straße auch auf eine Anbindung weiterer Straßen verzichtet wird.
Abb. 24
Parallelverlauf B 169 / K 6612 in Höhe Senftenberg
Karte:
© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA
http://www.openstreetmap.org/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Erfolgt eine entsprechende kleinteilige Anbindung nicht, ergeben sich verschiedene
negative Effekte. Wie das Beispiel von B 169 und K 6612 in Höhe Senftenberg zeigt
(siehe Abb. 24), verläuft teilweise die untergeordnete parallel zur übergeordneten Straße. Wäre an beiden Schnittpunkten eine Anbindung erfolgt, hätten ca. 2 km Straße gespart werden können. Allerdings hätte hierzu die Möglichkeit bestehen müssen, auf ei-
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nen teilniveaufreien Anschluss zu verzichten. Angesichts des 3-streifigen Ausbaucharakters der Umgehungsstraße als Kraftfahrstraße ist dies jedoch schwierig. Außerdem
müsste ggf. eine Alternative für den landwirtschaftlichen Verkehr vorgehalten werden.
Dies zeigt nochmals, welche Schwierigkeiten die Übertragung der Autobahnphilosophie des ungestörten Verkehrsflusses auf die Landstraßen mit sich bringt.
Der generelle Ausschluss von untergeordneten Anbindungen z. B. einzelner entlegener
Gebäude oder Gehöfte sowie kleiner Straßenverbindungen für die EKL 1 und 2 kann
nicht zielführend sein. Zumindest Lösungen, die ein Rechtsausbiegen bzw. Rechtseinbiegen ermöglichen, sollten vorgesehen werden können. Für das Linksabbiegen wäre
zu prüfen, ob die in Schweden praktizierte Lösung, mit indirektem Abbiegen (nach
rechts Ausfahren und anschließend Kreuzen) praktikabel ist. Hierzu ist jedoch der angestrebte autobahnartige Ausbaustandard zu überdenken und ggf. das Element zweistreifiger Abschnitte für EKL 1 zu ergänzen. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit ist dies
bei 3-streifigen Querschnitten unproblematisch, da ohnehin durch die wechselnde Zuordnung der Überholspur abschnittsweise nur ein Fahrstreifen pro Richtung existiert.
Zurückkommend auf das Beispiel B 169 und K 6612 (siehe Abb. 24) wäre unabhängig
davon jedoch zumindest eine Einbindung der Kreisstraße im Bereich der Querung der
Bundesstraße sinnvoll gewesen, um die Entlastungswirkung der Umgehungsstraße für
die Stadt Senftenberg zu maximieren und neben dem Durchgangsverkehr auch weitere
Quell- und Zielverkehre aus dem Stadtgebiet heraus zu verlagern.
Auch beim Neubau der Bundestraße B 112n im Bereich der Ortslage BrieskowFinkenheerd südlich der Stadt Frankfurt (Oder) werden die möglichen Entlastungspotenziale der Neubautrasse nicht genutzt (siehe Abb. 25). Hinzu kommen, weitere durch
den vorgesehen Ausbaustandard bedingte, Konflikte. Eigentlich entspricht der geplante
Trassenverlauf einer nachhaltigen und sinnvollen Entlastungsstrategie. Die Bundesstraße soll aus dem Ortskern heraus verlagert und zukünftig parallel zur Eisenbahnstrecke geführt werden. Damit erfolgt eine Bündelung von Lärmquellen. Allerdings wird
den angrenzenden Nutzungen und Siedlungsstrukturen nicht Rechnung getragen. Die
Neubautrasse soll auch in diesem Bereich der Trassierung und Dimensionierung der
nördlich und südlich angrenzenden Außerortsbereiche folgend als Tempo 100-Straße
mit 3-streifigem Querschnitt und ohne Anbindung an das örtliche und regionale Straßennetz durchgeführt werden.
Begründet wird dies mit der überregionalen Bedeutung (Verbindungsfunktion) der
Straße. Diese überlagert sich jedoch hier mit regionalen und lokalen Funktionen. Zudem ist eine ortsverträgliche Einordnung der Trasse mit reduziertem Querschnitt- und
Geschwindigkeitsniveau erforderlich, um die negativen Auswirkungen des KfzVerkehrs zu minimieren. Bezogen auf die Gesamtfahrstrecke fällt es nicht ins Gewicht,
auf einem ca. 2 km langen Abschnitt beidseitig nicht überholen zu können und etwas
langsamer fahren zu müssen.
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Abb. 25
Seite 55
Umgehungstrasse B 112n im Bereich Brieskow-Finkenheerd
Karte:
© OpenStreetMap und Mitwirkende, CC-BY-SA
http://www.openstreetmap.org/ bzw. http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Entsprechend angepasste Lösungen werden dabei mit der Begründung verneint, dass
eine einheitliche und wiedererkennbare Gestaltung erfolgen sollte. Derartige Zielstellungen sind prinzipiell nicht verkehrt, sollten jedoch nicht als Dogma gesehen und zu
starr ausgelegt werden. Das Ingenieursprinzip sollte auch bei Planung und Entwurf von
Landstraßen Anwendung finden. Hierzu ist es erforderlich, dass neben den Regellösungen auch für besondere Gegebenheiten sinnvolle Gestaltungslösungen in den
Richtlinien mit aufgezeigt werden.
Im Falle der B 112n in Brieskow-Finkenheerd (siehe Abb. 25) kommt hinzu, dass auf
eine Anbindung der von Westen kommenden L 373 aus Kostengründen verzichtet
wurde. Damit besteht auch für die südlich von Brieskow-Finkenheerd liegenden Ort-
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Seite 56
schaften Wiesenau und Ziltendorf die erste sinnvolle Anbindung auf die Bundesstraße
erst nördlich der Ortslage. Die Bündelungsfunktion der Neubautrasse wird so gänzlich
konterkariert, da die entsprechenden Verkehre weiterhin die bestehende Ortsdurchfahrt B 112alt nutzen müssen und hier auch zukünftig für Lärm, Verkehrsunsicherheit
und Trennwirkungen sorgen. Statt einer Entlastung entsteht so für die Ortslage
Brieskow-Finkenheerd eine Doppelbelastung durch zukünftig zwei Hauptverkehrsstraßen.
Grundsätzliches Problem bilden dabei u. a. die Qualitätsvorgaben der Regelwerke hinsichtlich des Anschlusses zwischen den einzelnen Straßenverbindungen. Flächensparende Lösungen z. B. durch Kreisverkehre, Turbokreisverkehre etc. werden mit dem
Verweis auf einen ungestörten Verkehrsfluss und die Verbindungsfunktion (RIN) im
Zuge der durchgehenden Relationen ausgeschlossen. Hierbei wird nicht berücksichtigt,
dass an derartigen Schnittunkten ohnehin ein hoher Teil abzweigender und einmündender Verkehrsströme existiert. Auch Lösungen mit Parallelrampen sind im Regelwerk für Landstraßen nicht enthalten.
Abb. 26:
Flächenverbrauch Verknüpfung BAB 8 / B 20
(Umbauplanung / bestandsorientierte Alternativlösung)
Die Folgen hinsichtlich der Flächeninanspruchnahme durch zu hohe Zielvorgaben beim
Anschluss lassen sich am Beispiel des Anschlusses zwischen BAB 8 und B 20 sowie
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Seite 57
zwischen B 20 und St 2103 in Piding verdeutlichen. Der bestehende Anschluss kommt
mit einem minimalen Flächenverbrach aus. Der Anschlusskreisverkehr an die B 20 ist
hoch ausgelastet, sorgt aber flexibel für eine ausreichende Verkehrsqualität aller Ströme. Mit dem nunmehr geplanten Ausbau der Autobahnanschlussstelle als Vollanschluss (Kleeblatt) ist ein immenser zusätzlicher Flächenbedarf verbunden (siehe Abb.
26). Gleichzeitig wird das unmittelbar östlich angrenzende Gewerbegebiet abgebunden
und wäre zukünftig nur über Umwege unter Nutzung des südlichen Knotenpunktes mit
der St 2103 erreichbar. Auch der Knotenpunkt mit der Staatsstraße wird durch den geplanten teilniveaufreien Ausbau stark aufgeweitet. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass
etwa 3 km östlich eine zusätzliche Autobahnanschlussstelle an die B 21 geplant ist.
Statt des Vollanschlusses sollte bei der Verknüpfung zwischen BAB 8 und B 20 sowie
zur Anbindung der St 2103 eine flächensparende bestandsorientierte Lösung vorgesehen werden, welche auch die örtlichen Verknüpfungsnotwendigkeiten zu den Gewerbestandorten (direkte Zufahrt zur Autobahn) und des Fuß- und Radverkehrs berücksichtigt (siehe Abb. 27). Im Vergleich zur geplanten Kleeblattlösung beansprucht diese
lediglich ca. 17,5 % der Fläche (siehe Abb. 26). Neben dem geringeren Flächenverbrauch ergeben sich auch deutlich geringere Investitions- und Unterhaltungskosten.
Abb. 27:
Flächenverbrauch Verknüpfung BAB 8 / B 20
Umbauplanung (rot) / bestandsorientierte Alternativlösung (grün)
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Für flächensparende bestandsorientierte Lösungen sind die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Es ist unverständlich, dass der Einsatz von Kreisverkehren an
Schnittpunkten der EKL 2 nicht möglich sein soll (siehe Abb. 23), wo gerade diese Lösung vielerorts in Deutschland am Schnittpunkt von Bundesstraßen und auch im Ausland erfolgreich praktiziert wird. Auch die generelle Tendenz einer Signalisierung bzw.
Anlage von Kreisverkehren bei allen Kreuzungen im Zuge der EKL 2 und 3, auch bei
der Einbindung untergeordneter Straßenverbindungen sorgt für eine Überregulierung
und unnötige Kosten.
Es kann nicht Ziel sein die Verantwortung der Verkehrsteilnehmer durch immer weiterführende Regelungen mittels aufwendiger baulicher Gestaltung und verkehrstechnischer Lösungen reduzieren zu wollen. Damit werden das eigenverantwortliche und vorausschauende Fahren sowie § 1 Abs. 1. der StVO („Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme“) konterkariert und
die Probleme in den Ortslagen und Städten weiter verschärft, da die Verkehrsteilnehmer die Nutzungsansprüche aus dem Außerorts- auf den Innerortsbereich übertragen.
Gleiches gilt auch für den Autobahnbereich. Hier ist zunehmend auch an den Knotenpunkten eine Durchdringung der Planungsphilosophie hin zu einer immer stärkeren
fahrdynamischen Gestaltung, welche hohe Geschwindigkeiten bei den Abbiegevorgängen ermöglicht, zu beobachten. So bildet das sogenannte halbe Kleeblatt die einzig
empfohlene Regellösung für Anschlussstellen an Autobahnen der Entwurfskategorie 1.
Die Anwendung platzsparender Parallelrampen, die im Übrigen in den letzten Jahren
an verschiedenen Stellen des Autobahnausbaus erfolgte, ist lediglich für Stadtautobahnen vorgesehen. Neben dem zusätzlichen Flächenverbrauch wird auch dadurch
die Eigenverantwortlichkeit der Verkehrsteilnehmer reduziert.
3.13
Anwendung / Nutzung von Ermessensspielräumen
Wie bereits punktuell angesprochen, ergeben sich vielfach auch Konflikte aus der Anwendung der bestehenden Regelwerke, Richtlinien und gesetzlichen Grundlagen. Dies
ist vor allem dort der Fall, wo neue wissenschaftliche Erkenntnisse und daraus resultierend veränderte Prioritäten, Regelungen und Vorgaben zur Anwendung empfohlen
werden. Ein Kernproblem ist dabei, dass verkehrsrechtliche Regelungen in der StVO
aktuellen Entwicklungen häufig hinterherhinken. Gleiches gilt z. B. auch für die Berücksichtigung neuer innovativer Oberbauformen in den entsprechenden Regelwerken und
Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV).
So ist z. B. der seit 2008 angewendete lärmarme sog. „Düsseldorfer Asphalt“35 keine
Standardbauweise gemäß ZTV-Asphalt. Bei der Anwendung und Erprobung des Asphaltes erschwert dies die Ausschreibungs- und Gewährleistungsbedingungen. Bereits
35
LOA 5 D - klassischer Splitmastixasphalt mit optimierter Korngrößenverteilung, einem kleinen Größtkorn, modifizierten Bindemitteln und einer lärmtechnisch optimierten konkaven Oberflächenstruktur
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für die ebenfalls lärmarmen offenporigen Asphalte war ein sehr langer Zeitraum erforderlich, um diese in den entsprechenden Regelwerken zu verankern.
Auf der anderen Seite sind teilweise auch bei den Straßenverkehrsbehörden und Tiefbauämtern Vorbehalte gegenüber verschieden innovativen Markierungs-, Beschilderungs- und Gestaltungslösungen vorhanden.
In einigen Orten erfolgt weiterhin auch bei Neuplanungen nahezu ausschließlich eine
Führung des Radverkehrs auf Radwegen sowie Rad-/Gehwegen, obschon eine fahrbahnseitige Führung des Radverkehrs auf Radstreifen nachweislich sicherer ist. Radschutzstreifen werden neben vollwertigen Fahrspuren eingesetzt, obschon sie eigentlich Teil der Kfz-Fahrbahn sein sollen. Auch die Freigabe von Einbahnstraßen oder die
Aufhebung der Benutzungspflicht nicht mehr zeitgemäßer Radverkehrsanlagen muss
immer noch hart erkämpft werden. Die Realisierung entsprechender Maßnahmen im
Sinne einer Umsetzung der aktuellen StVO erfolgt häufig nicht von allein aus durch die
zuständigen Behörden.
Gerade in Fällen, wo Ermessenspielräume bestehen, werden diese häufig zu Gunsten
des Kfz-Verkehrs ausgelegt. Dies betrifft vor allem Geschwindigkeitsbeschränkungen
im Hauptnetz zur Vermeidung erheblicher Gesundheitsgefährdungen durch Lärm (siehe hierzu auch Kapitel 3.4 und 3.10), aber auch verschiedene weitere Detailprobleme.
So werden beispielsweise einzelner Formulierungen, welche den Ermessensspielraum
der Behörde aufzeigen, schlichtweg ignoriert und starr nach den jeweiligen Regelempfehlungen gehandelt.
Ein Beispiel bildet die verkehrsrechtliche Anordnung von Fußgängerüberwegen (FGÜ).
Hierzu wird in der Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen
(R-FGÜ) ausgeführt: „Außerhalb des für FGÜ möglichen / empfohlenen Einsatzbereiches können FGÜ in begründeten Ausnahmefällen angeordnet werden.“36 Eine Anordnung unter Bezug auf diesen Passus des Regelwerkes findet jedoch kaum statt. Speziell für den Sonderfall von FGÜ am Kreisverkehr ist diese Ausnahmefallregelung jedoch wichtig. In vielen Bundesländern wurde die Anwendungsnotwendigkeit von FGÜ
an innerörtlichen mittlerweile durch spezielle Erlasse präzisiert. Jedoch bestehen vereinzelt weiterhin Probleme bei der Anwendung, da unter Verwendung der Mengenkriterien der R-FGÜ (siehe Abb. 28) nur in einzelnen Knotenpunktarmen FGÜ vorgesehen
werden. Aufgrund der ansonsten vielen Verkehrsteilnehmern nicht bekannten Verkehrsregelung an Kreisverkehren ohne FGÜ37 ist jedoch in allen Knotenpunktarmen eine derartige Regelung notwendig.
36
37
Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen, Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ)
Ohne FGÜ ist bei der Zufahrt in den Kreisverkehr der Kfz- gegenüber dem Fußverkehr bevorrechtigt, während bei der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr die Fußgänger gegenüber dem Kfz-Verkehr den Vortritt genießen.
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Wesentlich eindeutiger sind die generellen Empfehlungen des Merkblattes für die Anlage von Kreisverkehrsplätzen - „innerhalb bebauter Gebiete sollten die Überquerungsstellen als FGÜ ausgebildet werden.“ - sowie im ADAC Praxisleitfaden der Kreisverkehr - „Wegen der unklaren Vorfahrtregelung an den Querungsstellen sollten grundsätzlich in allen Zufahrten FGÜ angelegt werden“.
Abb. 28:
Einsatzbereiche von Fußgängerüberwegen gemäß R-FGÜ
Auch ergänzende Hinweise, wie z. B. die Möglichkeiten der Auf- bzw. Abwertung der
Verbindungsfunktionsstufen gemäß RIN (siehe Kapitel 3.1), geraten aufgrund fehlender Hinweise unmittelbar in den zugehörigen Tabellen und Darstellungen zu den Regellösung häufig in Vergessenheit oder kommen aus anderen Gründen (z. B. politischen Vorgaben) nicht zur Anwendung.
Auf bestehende Ermessenspielräume ist daher verstärkt und klar erkennbar hinzuweisen. Darüber hinaus ist die Information und Fortbildung der Mitarbeiter der zuständigen
Behörden bezüglich aktueller Entwicklungen, Richtlinien, Gesetze, Ermessenspielräume etc. zu verbessern und eine unabhängige Evaluation von Maßnahmen nicht ausschließlich auf Verkehrssicherheitsaspekte bezogen vorzusehen. Eine wichtige Rolle
spielen hierbei die übergeordneten Landesbehörden, über die jedoch aktuell leider
auch politische Interessen, teilweise mit kontraproduktiver Einflussnahme, eine Rolle
spielen.
So wurde z. B. die Stadt Jena vom Landesverwaltungsamt des Landes Thüringen aufgefordert, die aus Gründen des Lärmschutzes im Zuge verschiedener Bundesstraßen
vorgesehene Tempo 30-Beschilderung für den Nachtzeitraum, wieder zu entfernen. Im
Rahmen eines Einspruches der Stadt Jena hat sich jedoch letztendlich herausgestellt,
dass deren Vorgehen (Tempo-30-Beschilderung) rechtens war.
Zudem sind für verschiedene weitere Instrumente der Verkehrsplanung, z. B. City-Maut
oder Section Control die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Anwendung entsprechender Maßnahmen ermöglichen.
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3.14
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Planungsprozess / Interessenkonflikte
Die Höhe der Planungshonorare im Verkehrsplanungs- und Straßenbauwesen wird auf
Grundlage der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) festgelegt. Dies
bildet ein verbindliches Preisrecht für die Planungsleistungen. Maßgebenden Ausgangspunkt bilden dabei in der Regel die geschätzten bzw. tatsächlichen „anrechenbaren“ Baukosten der jeweils geplanten Baumaßnahmen.
Hieraus ergeben sich Interessenskonflikte, die eine Planung sparsamer und ressourcenschonender, ökologisch und sozial verträglicher sowie nutzerfreundlicher Verkehrsanlagen nicht unbedingt befördern. Einsparungen sowie innovative Lösungen, die zudem hohen planerischen Aufwand und Einsatz bedingen, werden nicht honoriert, sondern schlagen sich im Gegenteil sogar honorarmindernd nieder.
Eine flächendeckende Veränderung im Sinne einer integrierten und nachhaltigen Planungsphilosophie kann daher nur erfolgreich sein, wenn andere Wege zur Bestimmung
der Planungshonorare gefunden oder für entsprechende Kosteneinsparungen honorarseitig Anreize geschaffen werden.
Diese Interessenkonflikte reichen dabei bis in den Bereich der Regelwerkerstellung
hinein. Die Ermittlung des aktuellen Standes der Technik erfolgt zu großen Teilen
durch die FGSV. Deren Mitglieder sind Vertreter aus Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Bezüglich der Dimensionierung von Straßenverkehrsanlagen spielen auch
hier verschiedene Lobbyinteressen eine Rolle. Diese sind weder für alle Mitglieder zu
verallgemeinern noch gänzlich von der Hand zu weisen.
Positiv ist, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten alle Verkehrsarten, insbesondere auch der Fuß- und Fahrradverkehr, der Umweltschutz sowie die Landschaftsplanung bei der FGSV eine stärkere Rolle bekommen haben. Inwieweit eine noch umfangreichere Einbindung von Interessenvertretern aus Raumentwicklung und Umweltbereich sinnvoll ist, muss diskutiert werden. Gleiches gilt für die Bundesanstalt für
Straßenwesen (BASt), deren Umweltbereich ebenfalls ausgebaut werden sollte.
Ziel muss eine stärkere Vernetzung der einzelnen Teilaspekte Verkehrsplanung, Verkehrstechnik, Ingenieurbau und Umweltschutz vom Planungsbeginn an sein. Satt der
sektoralen Betrachtung und Planung einzelner Teilabschnitte und Teilfachgebiete ist
ein frühzeitiger integrierter / komplexer Planungsansatz erforderlich. Ausschließlich
technische Lösungen vernachlässigen die erforderliche menschliche Verhaltenskomponente, den Respekt vor der Natur und die ökologischen Grenzen. Die vor allem bei
Großprojekten zu beobachtende „Heilung“ von Konflikten z. B. durch zusätzliche Maßnahmen im Umweltschutz zum Ende der Planung ist nicht zielführend. Da liegt es
manchmal nicht fern, anstatt von Ausgleich herstellen, von Ablass leisten zu sprechen.
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Zielstellungen / Zusammenfassung der Hinweise
In der nachfolgenden Tab. 6 werden die wesentlichen Zielstellungen und Effekte hinsichtlich einer nachhaltigen und integrierten Planung und Dimensionierung von Verkehrsanlagen im Sinne der Hinweise in Kapitel 3 zusammengefasst. Zu berücksichtigen ist dabei, dass zwischen den einzelnen Themenfeldern vielfältige Wechselbeziehungen bestehen.
Themenfeld
Zielstellungen / Effekte
Ökologie

Reduzierung von Lärm, Luftschadstoffen

Verbesserung der CO2-Bilanz

Reduzierung von Flächenversieglung / Flächenverbrauch

Minimierung der Zerschneidung von Natur- und Erholungsräumen

Senkung von Investitionskosten

Reduzierung von Unterhalts- und Instandhaltungskosten

Reduzierung externer Kosten

effektive Auslastung bestehender Infrastruktur

Reduzierung der Anforderungen an die Fahrzeugtechnik

Einsatz innovativer Instrumente zur Lösung von Verkehrsproblemen

Stärkung des Umweltverbundes

Bündelung des Verkehrs im Hauptnetz
Stadt- und Sied-

Reduzierung von Trennwirkungen
lungsentwicklung

Erhaltung kleinteiliger Strukturen

Förderung kurzer Wege

Reduzierung von Gesundheitsgefährdungen für Bewohner

Erhöhung der Stadt-, Wohn- und Aufenthaltsqualität

geringerer Flächenverbrauch durch ruhenden Verkehr
Ökonomie
Technik
Verkehr
Tab. 6
Zielstellungen / Effekte
Die daraus abgeleiteten Hinweise zu den Regelwerken und Richtlinien sowie deren
Anwendung in Bezug auf die Dimensionierung der Verkehrsanlagen werden ebenfalls
tabellarisch in Tab. 7 nochmals zusammengefasst. Hierbei sei nochmals darauf verwiesen, dass die Betrachtungen beispielhaft erfolgt sind und nicht den Anspruch auf
Vollständigkeit erheben.
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Problem / Richtlinie / Kapitel
Hinweis
RIN
Festlegung Verbindungsfunktionsstufe ausschließlich an Hand zentraler Orte
3.1
RIN
Zeit bzw. geschwindigkeitsbasierende Bewertung
3.1
RAL
Abstufung Entwurfsklasse III nicht vorgesehen
3.1
Prognose BVWP
zu hohe Annahmen bei
der prognostischen Entwicklung der Verkehrsaufkommen
3.2
Bedarfsanmeldung
BVWP
Wunschliste durch die
Länder
3.6
Verkehrsprognosen
parallel Berücksichtigung
anderer Maßnahmen
3.2
Verkehrsprognosen
unsichere Prognoseannahmen
3.2
Kosten-Nutzen
Nutzen fast ausschließlich aus Zeitgewinnen
Kosten-Nutzen
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Seite 63
Anregung
-
gleiche Verbindungsstufe für stark
verdichtete und peripheren Räume
Raum- und Siedlungsentwicklung stärker berücksichtigen
-
tatsächlicher Bedarf und regionale
Besonderheiten nicht berücksichtigt
-
einseitige Betrachtung
-
Förderung des Kfz-Verkehrs
-
höhere Zeitwerte für ÖPNV
-
ggf. Überdimensionierung bei zu geringer Verkehrsbedeutung
-
zu starre Reglung
-
fehlende Berücksichtigung aktueller
Entwicklungen (Demographie, Energiekosten etc.)
-
Übertragung auf Objektprognosen
-
fehlende integrierte Netzbetrachtung
Integrierte Netzplanung
-
Umsetzung von Projekten mit geringer Verkehrswirksamkeit
-
Schaffung von Konflikten in anderen
Netzabschnitten
Bündelung im BABNetz statt Bundesstraßenalternativen
auf zeit- / geschwindigkeitsbasierte Bewertung verzichten,
Wechselwirkungen integrieren
flexiblere Handhabung
nach tatsächlicher Verkehrsbedeutung
Verwendung realistischer Prognoseannahmen
Ortsumgehungen nur
wo verkehrlich sinnvoll
-
gegenseitige Begründung der Maßnahmen (induzierter Verkehr)
-
Umsetzung teilweise nicht absehbar
-
zu hohe Verkehrszuwächse für den
Prognosenullfall
-
Überdeckung der eigentlichen Effekte
3.3
-
3.3
-
statt Nutzen entstehen lediglich länanderen Faktoren stärgere Fahrtwege (konstantes tägliches ker Wichten (LoslöReisezeitbudget)
sung von theoretischen
Zeitvorteilen)
induzierten Verkehr &
keine ausreichende Berücksichtigung
Kosten Rückbau Alt-
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Planfall nur mit der zu
planenden Maßnahme
betrachten
Analysefall mit Maßnahme rechnen
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Problem / Richtlinie / Kapitel
Hinweis
Induzierter Verkehr
3.4
Lärm
zu hohe Werte für die
Lärmsanierung
3.4
Integrierte Planung
Ausbau im Bestand
3.5
RASt
Nichtanwendung städtebauliche Dimensionierung
Finanzierung
Rückbaumaßnahmen
Anregung
des induzierten Verkehrs
Lärm
keine Grenzwerte für bestehende Straßen
3.7
3.8
trasse berücksichtigen
-
Aufhebung der positiven Effekte
-
keine nachhaltige Lösung der bestehenden Lärmprobleme im Hauptstraßennetz möglich
-
Verhinderung bestandsorientierter
Lösungen
-
Priorisierung von Neubaumaßnahmen (Lärmschutz verpflichtend)
-
Orientierung auf kostenintensive
Neubauprojekte
-
Vergleich mit Ausbau im Bestand unter z. T. unfairen Voraussetzungen
-
Dimensionierung von innen nach außen / Anwendung zu breiter Kfzfahrspuren
-
unzureichende Verkehrsanlagen für
Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV
-
städtebaulich kontraproduktiv
-
geschwindigkeitserhöhende Effekte
-
Förderziel: häufig Verbesserung der
Verkehrsverhältnisse
-
Reduzierung Fahrspuren oder Angebotsqualität für den Kfz-Verkehr damit förderschädlich
-
wenig Fördermittel für Rückbau
Seite 64
Lärmsanierungsgrenzwerte absenken bzw.
Instrumente schaffen
die nachhaltige Lösungen ermöglichen
Finanzierung zu Gunsten Gesundheitsschutz
anpassen
bei Neubauvorhaben
bestandsorientierte Alternative fair prüfen
Neuabwägung zugunsten Umwelt- & Gesundheitsschutz, städtebauliche Integration
und Umweltverbund erforderlich
Verbesserung der Verkehrsverhältnisse aller
Verkehrsarten
Schaffung von Förderinstrumenten für städtebauliche Dimensionierung
Finanzierung
sektorale Finanzierung
3.8
-
Fördermittel von höherer Stelle sorgen für Finanzierung ohne Bezug zu
den lokalen Abgaben
lokale Finanzierungsstrukturen entwickeln
HBS
Bewertung der Qualitätsstufen
3.9
-
Bewertung für die Spitzenstunden
-
„gute“ qualitative Bewertung bedeutet daher ggf. Unterauslastung /
Überdimensionierung
hohe Auslastungen als
Indiz für effektive Auslastung des Verkehrsnetzes ansehen
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Problem / Richtlinie / Kapitel
HBS
zeitlich beschränkte Spitzenverkehre
Verkehrssicherheit
Umgang mit dem Thema
Geschwindigkeit
Lärm
Gesundheitsschutz an
Hauptverkehrsstraßen
RAA / RAL
Regelquerschnitte
RAL
Regelquerschnitte
RASt
Hinweis
3.9
3.10
3.10
3.11
3.11
3.11
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3.12
Anregung
Nutzung innovativer
Planungsinstrumente
(z. B. Standstreifenfreigabe)
-
Überdimensionierung bei Auslegung
der Verkehrsanlagen auf kurze zeitlich beschränkte Spitzenverkehre
-
Beispiel Urlaubsverkehre auf BAB
-
Priorisierung baulicher und technischer Lösungen gegenüber regulatorische Maßnahmen
Geschwindigkeitskontrollen und Sanktionen erhöhen
-
Auswirkungen auf Unfallsituation,
Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen,
Fahrzeugtechnik, Luftschadstoffhintergrundbelastung, Lärmsituation
Einführung Tempolimit
auf BAB
-
unzureichende Anwendung von Ermessensspielräumen gemäß § 45
StVO (Geschwindigkeitsbegrenzung)
-
Mittelungspegel bilden Lästigkeit des
Autobahnlärms nicht ausreichend ab
Veränderung Umgang
mit Lärmminderungsmaßnahmen zum Gesundheitsschutz
-
Geschwindigkeitsübertretungen im
Lkw-Verkehr werden kaum geahndet
-
Verbreiterung der Regelquerschnitte
im Vergleich zur Vorgängerrichtlinie
-
Erhöhung negativer Effekte (Flächenverbrauch, Lärm, Geschwindigkeiten, etc.)
Tempo 100 / 80 oder
Tempo 60 für Lkw in
bebauten Gebieten
Schaffung rechtliche
Voraussetzungen für
section control
Minimierungs- bzw. Ingenieursprinzip anwenden
Geschwindigkeiten reduzieren (BAB)
-
schmalster Querschnitt zukünftig
RQ 9 (RQ 7,5 nicht mehr enthalten)
-
Überdimensionierung bei minimaler
Verkehrsbedeutung
zusätzliche Entwurfsklasse mit RQ 7,5 und
einstreifigem Querschnitt mit Ausweichstellen
-
Verbreiterung Raumbedarf bei eingeschränkten Bewegungsspielräume
Anpassung der Regelungen prüfen
-
breitere Mindestquerschnitte
-
Tendenz zu niveaufreien und teilniveaufreien Knotenpunktlösungen
-
einseitige Betrachtung von Verkehrs-
Bewegungsspielräum
RAA / RAL
Dimensionierung Knotenpunkte
Seite 65
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kleinteilige Anbindungen und flächensparende Lösungen
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Problem / Richtlinie / Kapitel
Hinweis
Anregung
sicherheitsgewinnen
RAL
Knotenpunkte
3.12
Seite 66
-
erhöhter Flächenverbrauch, Umwege, Trennwirkungen etc.
-
teilweise Wegfall sinnvoller Anbindungen
-
Reduzierung der Entlastungswirkungen
(Kreisverkehr, Turbokreisverkehr, Parallelrampen etc.) ermöglichen
Entwurfs- und Ausbaustandards reduzieren
Eigenverantwortung
der Verkehrsteilnehmer
erhalten
RAA
Knotenpunkte
3.12
-
Parallelrampen für Autobahnen der
Entwurfsklasse 1 nicht vorgesehen
Anwendung
Ermessensspielräume
3.13
-
verkehrsrechtliche Regelung hinkt
aktuellen Entwicklungen hinterher
klarer auf Ermessensspielräume hinweisen
-
Vorbehalte gegenüber innovativen
Lösungen
-
Auslegung Ermessensspielräume zu
stark zu Gunsten des Kfz-Verkehrs
Informationen verbessern & politische Einflussnahme minimieren
Planungsprozess
Interessenkonflikte
Planungsprozess
Interessenkonflikte
Tab. 7
3.14
3.14
-
fehlende rechtliche Voraussetzung
für innovative Maßnahmen (CityMaut, Section Control)
-
Honorare in Abhängigkeit von der
Bausumme
-
keine Anreize für Kosteneinsparungen
-
teilweise Lobbyinteressen bei Erarbeitung der Richtlinien
-
weitere Potenziale für Berücksichtigung Umweltaspekte
rechtliche Voraussetzungen schaffen
Andere Wege zur Honorarbestimmung oder
Anreize für Kosteneinsparungen schaffen
Stärkung der Umweltbereiche bei Richtlinienerarbeitung
integrierter / komplexer
Planungsansatz
Zusammenfassung der Hinweise und Anregungen
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Zusammenfassung / Fazit
Für Planung, Entwurf, Bau und Betrieb von Straßen existieren in Deutschland eine
Vielzahl von Richtlinien, Merkblättern, Leitfäden, Hinweisen, Gesetzen, Anweisungen,
Verordnungen, Technischen Prüfvorschriften, Sammlungen etc. Mittlerweile besteht ein
komplettes Richtlinienwerk, welches nahezu alle verkehrsplanerischen sowie verkehrstechnischen Fragestellungen abdeckt.
Insbesondere für den Innerortsbereich beinhalten die aktuellen Regelwerke und Richtlinien eigentlich alle notwendigen Werkzeuge für eine städtebauliche angemessene
Dimensionierung und Straßenraumgestaltung unter Berücksichtigung aller Verkehrsarten sowie der Aspekte des Umwelt- und Gesundheitsschutzes. Teilweise unzureichend
ist jedoch die praktische Umsetzung der entsprechenden Regelungen. Hinzu kommen
speziell im Hauptstraßennetz Hemmnisse durch eine weiterhin zu starke sektorale Priorisierung der Belange des Kfz-Verkehrs im Rahmen der Abwägung ökologischer Aspekte, ökonomischer Austauschprozesse, sozialer Teilhabechancen und verkehrsorganisatorischer bzw. gestalterischer Maßnahmen.
Außerorts ergeben sich durch die stark von Zeitgewinnen und Fahrgeschwindigkeiten
dominierte Bewertung bei Kosten-Nutzen-Berechnungen, bei der Bedarfsplanung und
bei der Festlegung von Verbindungsfunktionen (RIN) teilweise unangemessene und
überdimensionierte Verkehrsanlagen. Hier sind zukünftig verstärkt Wechselwirkungen
zwischen Raum- und Siedlungsentwicklung, regionale Besonderheiten sowie umweltund landschaftsbezogenen Planungsziele im Sinne einer „angemessene“ Angebotsqualität sowie einer tatsächlich integrierten Netzplanung zu berücksichtigen.
Statt teurer Neubauvorhaben sind vielerorts die notwendigen Verbesserungen zur Beseitigung erheblicher Verkehrsengpässe, Behebung auffälliger Sicherheitsdefizite und
Minderung deutlicher Belastungen der bebauten Umwelt auch und teilweise besser
durch eine kleinteilige und bestandsorientierte Optimierung der Verkehrsnetze zu erreichen.
Neubautrassen sollten nur dort entstehen, wo ein tatsächlicher Nutzen vor Ort entsteht.
Hierzu ist eine Loslösung von den theoretischen Zeitvorteilen bei der Bewertung des
Nutzens von Straßenverkehrsprojekten erforderlich. Effektiv sind Neubauvorhaben i. d.
R. lediglich dort, wo tatsächlich hohe Durchgangsverkehrsanteile bestehen. In jedem
Fall sollte der Rückbau der zu entlastenden Alt-Trasse kostenseitig mit berücksichtigt
und im Rahmen des Neubaus finanziert werden.
Auch der Ansatz, bestehende Verkehrssicherheitsprobleme vorrangig baulich bzw.
technisch durch immer weiterführende Regelungen und fahrdynamische Gestaltungsvorgaben lösen zu wollen, ist zu hinterfragen. Dabei muss auch beachtet werden, dass
viele historisch gewachsene, standortbezogen individuell gestaltete und dabei flächen-
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Seite 68
und kostensparende Verkehrslösungen häufig bestens funktionieren, obwohl sie nach
heutigem Standard nicht mehr richtlinienkonform sind.
Das gute Funktionieren findet auch deshalb statt, weil die Straßenbenutzer z. B. die
standortbezogenen Trassierungs- und Dimensionierungsansätze mehr oder weniger
bewusst erkennen und akzeptieren, vor allem aber den im deutschen Straßenverkehrsrecht verankerten Grundsatz des eigenverantwortlichen und vorausschauenden Fahrens gemäß § 1 StVO anwenden.
Dieses Verhalten wird hingegen bei der regelkonformen und zumeist großzügigen Dimensionierung von Fahrbahnquerschnitten und Anschlussknotenpunkten weniger eingefordert, wie auch die Aspekte Flächenverbrauch, Umwege für den Kfz-Verkehr,
Trennwirkungen und Umwege für den Fuß- und Radverkehr etc. nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Eine wesentliche Wechselbeziehung besteht dabei zum richtlinienbedingt angestrebten
relativ hohen Geschwindigkeitsniveau, was durch die unzureichende Überwachung
und Sanktionierung bestehender Verkehrsregeln noch unterstützt wird. Sowohl zur Reduzierung negativer Umweltwirkungen durch den Kfz-Verkehr, als auch wegen verschiedener verkehrlicher Vorteile, wie geringeren Unfallhäufigkeiten, besserem Verkehrsfluss etc. ist die Einführung standortbezogener spezifischer Geschwindigkeitsfestlegungen einschließlich einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen
Autobahnen überfällig.
Abschließend ist festzustellen, dass bei einer Betrachtung des aktuellen Reglements
für Planung, Entwurf, Bau und Betrieb von Straßen verschiedene Ansatzpunkte zur
Optimierung bestehen.
Wichtige Handlungsebenen bilden dabei die Weiterentwicklung der Richtlinien im Sinne einer noch stärken Berücksichtigung der Auswirkungen von Verkehr auf Mensch,
Umwelt und Natur sowie der komplexen Wechselwirkungen zwischen verkehrlichen,
ökologischen, ökonomischen, technischen sowie stadt- und siedlungsstrukturellen Aspekten. Dies gilt insbesondere für den Außerortsbereich sowie für die Anwendung geltender Richtlinien innerorts.
Darüber hinaus sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine zukunftsorientierte
Verkehrsplanung zu schaffen. Neben verkehrsrechtlichen Vorgaben (z. B. Einführung
eines Tempolimits auf Autobahnen), Änderungen bezüglich des Lärmschutzes, einer
alternativen Bestimmung der Planungshonorare etc. bildet die Prioritätensetzung bei
der Finanzierung / Förderung von Verkehrsanlagen ein wesentliches Steuerinstrument.
Eine weitere wichtige Handlungsebene liegt im Anwendungs- und Umsetzungsbereich
bezüglich der Nutzung von Handlungsspielräumen sowie einer Berücksichtigung der
lokalen Besonderheiten und einer ressourcenschonenden Dimensionierung der Verkehrsanlagen. Neben regelmäßigen Informationen zu aktuellen Entwicklungen ist hier-
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bei auch eine fachliche Begleitung bzw. ein Monitoring im Rahmen des Planungsprozesses erforderlich, welches neben der Verkehrssicherheit auch ökologiosche und
ökonomische Aspekte beinhaltet.
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6
Seite 70
Literaturverzeichnis
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der Kreisverkehr, München 2005
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BUNDESINSTITUT FÜR BAU-, STADT- UND RAUMFORSCHUNG (BBSR), Wie weit ist es
zur nächsten Autobahn? Neue Erreichbarkeitsanalyse des BBSR,
http://www.bbsr.bund.de/cln_032/nn_1051708/BBSR/DE/Raumbeobachtung/
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__node.html?__nnn=true [letzter Zugriff: 02.07.2013]
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Gemeinden, 18. März 1971 (BGBl. I S. 239) mit letzter Änderung vom 5. April
2011(BGBl. I S. 554, 555 f.)
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BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV) vom 12. Juni 1990 (BGBI. I S. 1036), geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 19. September 2006 (BGBI. I S. 2146)
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BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND: RAUMORDNUNGSGESETZ VOM 22. DEZEMBER
2008 (BGBL. I S. 2986), DAS ZULETZT DURCH ARTIKEL 9 DES GESETZES VOM 31. JULI 2009 (BGBL. I S. 2585) GEÄNDERT WORDEN IST
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(BMU), Kurzinfo Klimaschutz, http://www.bmu.de/themen/klima-energie/
klimaschutz/kurzinfo/ [letzter Zugriff: 14.05.2013]
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Prognose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen 2025, München/Freiburg, 14.11.2007
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BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG (BMVBS):
Grundkonzeption für den Bundesverkehrswegeplan 2015, Entwurf
[9]
BUNDESMINISTERIUM FÜR VERKEHR, BAU UND STADTENTWICKLUNG (BMVBS): Richtlinie für straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor
Lärm (Lärmschutz-Richtlinien-StV), Bonn, 23.11.2007
[10] DEUTSCHER BUNDESTAG, Antwort auf die kleine Anfrage zur Evaluierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit und weiterer Vorhaben des Bedarfsplans Straße
in Ostdeutschland, Drucksache 17/12140, 01.02.2013
[11] DEUTSCHER BUNDESTAG, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage zur
Ortsumfahrung B 87 in der mitteldeutschen Kulturlandschaft Saaletal, Drucksache 17/4965, 01.03.2011
[12] DEUTSCHER BUNDESTAG, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage zur
Transparenz bei Kostensteigerungen von Straßenbauprojekten, Drucksache
16/11521, 23.12.2008
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Seite 71
[13] DEUTSCHER BUNDESTAG, Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Bundesverkehrswegeplan 2003, Drucksache 15/2050, 17.11.2003
[14] EUROPÄISCHEN PARLAMENTES UND RATES: Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, Luxemburg, 25. Juni 2002,
[15] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Empfehlung für die Anlage von Hauptverkehrsstraßen (EAHV), Ausgabe 1993
[16] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinie für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ), Ausgabe 2002
[17] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehrsplätzen, Ausgabe 2006
[18] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): FGSVBibliographie 1924 bis 2004, Köln: FGSV-Verlag GmbH, 2004
[19] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV), FGSVGremien 2012/2013, http://www.fgsv.de/organigramm.html [letzter Zugriff:
14.05.2013]
[20] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen (HBS), Ausgabe 2001
[21] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA), Ausgabe 2008
[22] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinien für die Anlage von Landstraßen (RAL), Ausgabe 2012
[23] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), Köln: FGSV-Verlag GmbH, Ausgabe 2006
[24] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinie für die Anlage von Straßen, Teil: Knotenpunkte (RAS-K), Ausgabe 1996
[25] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinie für die Anlage von Straßen, Teil: Querschnitte (RAS-Q 96), Ausgabe 1996
[26] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Richtlinie für integrierte Netzgestaltung (RIN), Köln: FGSV-Verlag GmbH, Ausgabe
2008
[27] FORSCHUNGSGESELLSCHAFT FÜR STRAßEN- UND VERKEHRSWESEN (FGSV): Systematik der FGSV-Regelwerke, http://www.fgsv.de/rw_systematik.html [letzter
Zugriff: 14.05.2013]
[28] PROF. GATHER, MATHIAS, KOSOK PHILIPP, FACHHOCHSCHULE ERFURT, INSTITUT
FÜR VERKEHR UND RAUM, Analyse der regionalwirtschaftlichen Effekte des Fernstraßenbaus anhand ausgewählter Autobahnprojekte, Band 13 (2013) der Berichte des Instituts Verkehr und Raum, Erfurt, 21.03.2013
Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
Stadt - Verkehr - Umwelt
Dresden
SVU
Reglements der Straßenplanung in Deutschland aus umweltpolitischer Sicht
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[29] PROF. MARTE, GERT, Kommentar zur gesamtwirtschaftlichen Bewertungsmethodik des Bundesverkehrswegeplans 2003, Bremen, 29.11.2008
[30] OBERSTE BAUBEHÖRDE IM BAYRISCHEN STAATSMINISTERIUM DES INNEREN: Verkehrs- und Unfallgeschehen auf Straßen des überörtlichen Verkehrs in Bayern,
Jahresbericht 1998/99
[31] PTV PLANUNG TRANSPORT VERKEHR AG:: B 87 Ortsumgehung Bad Kösen –
Naumburg, Fortschreibung der Verkehrsuntersuchung Prognose 2020
[32] PTV PLANUNG TRANSPORT VERKEHR AG: BAB A 143 AD Halle-Nord bis AD HalleSüd VKE 4224, Verkehrsplanerische Untersuchung
[33] SCHLOTHAUER & WAUER: Auswirkungen eines allgemeinen Tempolimits im Land
Brandenburg, Landesbetrieb für Straßenwesens Brandenburg [Hrsg.]
[34] STATISTISCHES BUNDESAMT: Fachserie 8 Reihe 7, Verkehr – Verkehrsunfälle Januar 2013
[35] UMWELTBUNDESAMT (UBA): Lärm – Umgebungslärmrichtlinie
http://www.umweltbundesamt.de/laermprobleme/ulr.html [letzter Zugriff:
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[36] WISSENSCHAFTLICHEN BEIRAT BEIM BUNDESMINISTER FÜR VERKEHR, BAU UND
STADTENTWICKLUNG: Sicherheit zuerst – Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland, Berlin, 21.07.2010
[37] WÜRDEMANN, GERD: Richtlinien integrierte Netzgestaltung RIN 2008: Kritische
Auseinandersetzung mit den Netzgestaltung, mobilogisch!, Heft 3/2009
Planungsbüro Dr.-Ing. Ditmar Hunger
Stadt - Verkehr - Umwelt
Dresden
SVU