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YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Theorie als Drehbuch Eine Ansammlung von Zitaten, Gedanken, Bildern und Geschichten. Eine assoziative Bewegung als Stimulierung eigener Ideen. Eine Anregung für weitere Formate und Exkursionen. Wintersemester 2008/2009: Prof. Dr. Stefan Asmus, Marcus Klug M.A. YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Überforderung 1.1 Überforderung/Komplexität ....... 3 1.2 Überforderung/Rationalität ........ 7 1.3 Überforderung/Bewußtsein ........ 8 Kommunikation 1.4 Kommunikation/Übertragung .... 12 1.5 Kommunikation/Ästhetik ............. 14 1.6 Kommunikation/Entwurfslogik .. 16 Selektion 1.7 Selektion/Sinn .................................. 20 1.8 Selektion/Reduktion ...................... 24 1.9 Selektion/Variation ......................... 27 Qualität 1.10 Qualität/Quantität ........................... 32 1.11 Qualität/Wertschöpfung ............... 34 1.12 Qualität/Möglichkeit ...................... 37 Quellennachweis ........................................ 39 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS „Die Geräuschekuppeln maschinellen Tumultierens (...), die weit über die Grenzen der eigentlichen Städte expandieren, setzen sich zum einen als festes Zeichen einer funktionierenden Historie (...). Zum anderen sorgen jene egalisierenden Geräuschekuppeln für das Verschwinden klar getrennter Bezirke; sie annulieren Grenzen und lassen verwischte Großräume zurück.“ (Reinhard Jirgl: Abtrünnig. Roman aus der nervösen Zeit.) 3|4 Exemplarisch Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.1 Überforderung/ Komplexität Ruine, Fragment, Virtualität, Mediale Überformung, Paradoxie, Simultaneität: Das Buch steht in seinem chronologischen Ablauf von Ereignissen – in der Form von Texten und Bildern –, im Gegensatz zu anderen Medien, die sich u.a. durch „Interaktivität“ auszeichnen. Auf der Basis dieser Möglichkeiten erscheint die Entwicklung eines narrativen Rahmens innerhalb des Buches vor den Möglichkeiten der anderen Medien – als „Film in Worten und Bildern“, der zu einem späteren Zeitpunkt durchaus auch für das Internet aufbereitet werden könnte, nachdem ein erstes Buch veröffentlicht wurde. Die Theorieund Bildbeispiele, die wir bisher gesammelt haben – in Form von Einträgen in Zettelkästen, Transkriptionen, Zitaten etc. – stellen dieser Analogie nach zu folgen das Rohmaterial dar, das wir schrittweise bearbeiten werden. Schöpferische Absicht: Die Überforderung wächst stetig an, ob im Alltag, in den Medien oder in der Arbeitswelt. Wie kann man dieser Situation gestalterisch begegnen, wenn die alten Rationalitätsprinzipien nicht mehr richtig greifen wollen: Zweiwertige Logik, erhöhte Flexibilisierung, straffere Organisation etc. Überforderung: Ein Tohuwabohu an Informationen, an Möglichkeiten, an nicht zu bewältigender Komplexität. Die Zunahme an Elementen, die von einem System zusammengehalten werden müssen, wachsen stetig an. Zu den „natürlichen“ Umwelten müssen technische und computerisierte hinzugerechnet werden. Diese zum Teil künstlich erzeugte Komplexität kann aber nicht mehr ohne weiteres auf eine „primitivere“ Stufe der „Evolution“ zurückversetzt werden. Die Konsequenzen wären verheerend: „Postatomar“. „Oasen in der nervösen Zeit“: 1. Der Supermarkt 2. Die Börse 3. Das Rave-Spektakel Wie kann die „Überforderungssituation“ näher beschrieben werden? Säkularisation Übergang von „ewigen“ zu „zeitlichen“ Werten. Ausdifferenzierung der Gesellschaftssysteme: Poltik, Recht, Kunst etc. Damit verbunden: Erhöhte Reflexivität und Spezifikation (Siehe dazu u.a. auch Luh 1984: 577 ff.). Außerdem: „Verlust der Repräsentation einzigrichtiger Ausgangspunkte“ (Luh 1992: 40). „Der Künstler als Erfinder einer neuen Ordnung.“ Francis Bacon in seinem Atelier Veränderter Ordnungsrahmen Ordnung kann nicht mehr als allgemein verbindlich aufgefasst werden, außer als gesetzlicher Rahmen oder Verstoß gegen zivilisatorische Grundprinzipien, u.a. die „Menschenrechte“. Aber selbst diese werden im Krieg oder ökonomisch regelmäßig verletzt (Siehe dazu auch Brock 1986). Aber im Schnitt, in der Selektion der Sequenzen und deren Beziehung untereinander, gilt es zu beachten, dass die Zeit der großen Erzählungen an ein Ende angekommen ist. Im weiteren Verlauf muss man sich daher im Klaren darüber werden, dass es sich z.B. bei den großen Theorieerzählungen von Luhmann und Derrida um vollendete Denkbewegungen handelte, die noch einmal versuchten, eine größere Erzählung im Angesicht ihrer Unmöglichkeit zu denken. Das führt zu der bestürzenden Entdeckung, „dass, wer auf dem Gipfel startet, nur noch durch Abstieg weiterkommt“ (Sloterdijk 2007: 16). Wie kann das Phänomen der „Überforderung“ dramaturgisch eingeführt werden? Das „Split-Screen-Verfahren“ oder die neue Bilderflut Die ersten Seiten des Buches könnten den Grundkonflikt, der von der Überforderung herrührt, durch das Übereinander und Nebeneinander herlaufen von Bildsequenzen illustrieren: Die zu sehenden Bilder stehen sowohl formal als auch inhaltlich für das Verkehrschaos, in dem sich der moderne Gestalter befindet, der sich in diesen Tumulten zurecht finden muss: Szenen von Massenkundgebungen, Konsumaktivitäten, von anonymisierten Arbeitsabteilungen oder gestählten, hochgeputschten Körpern dominieren das Zuviel an Impressionen. Bild und Textinformationen laufen aneinander vorbei, sie besitzen nur noch einen illustrativen Charakter. Hier könnte man die historischen Eckdaten, die auf dieses nervöse Zeitalter hinzulaufen, mit den zunächst querliegenden und übereinander geschichteten Bildsequenzen montieren. Das ist Gestaltungstheorie als „Buch in Filmform“. Exemplarisch „Der Mond ist aufgesplittert“: Vom Naturalismus zur konstruktivistischen Wende Thematisch Narrativ Dramaturgisch Mythologische und mediale Sinnstiftungskrise Die schwindende Autorität von Erzählungen, die einst stellvertretend Sinn stifteten für jene Phänomene, die wir uns verstandesgemäß nicht erklären konnten. Zwar setzen sich diese Erzählungen in den Massenmedien fort, jedoch unter anderen Bedingungen. In den Massenmedien wird bereits eine veränderte Beobachterperspektive eingenommen. Man geht nicht mehr davon aus, dass die Berichterstattung einen allgemein verbindlichen Rahmen erzeugen könnte. Daneben ist auch der multimediale Zugang zu Informationen frappant: Gleichzeitig können Nachrichten aus verschiedenen Quellen abgerufen werden; die Bandbreite reicht dabei von der Tageszeitung und den Nachrichten im Fernsehen zu RSS-Feeds im WWW. Es fügt sich die These eines medialen Übergangszeitalters an: Der Medientheoretiker Volker Grassmuck bezeichnet diese Schwelle als „Beginn der Turing-Galaxie“. Weniger technozentristisch könnte man dieses Zeitalter der „Dämmerung“ auch als „spätaristotelisch“ und „frühkomplex“ bezeichnen (Vgl. Sloterdijk 2001: 10). Erzählen nach dem „Abstieg“ Mit diesem „Abstieg“ ist narrativ eine schwerwiegende Konsequenz verbunden: entweder konstruiert man Theorie nunmehr aus der Perspektive eines „unmündigen“ Ich-Erzählers heraus (als Differenz von Vorstellung, Beobachtung und Vermittlung von Zeichen) oder man entschließt sich dazu, den anderen „unmündigen“ Beobachtern auf ihrem Weg zu folgen: und zwar als Beobachter zweiter Ordnung. Das kann man sich in etwa so vorstellen: Es existiert eine auf mehrere Seiten angelegte Info-Graphik, in der die Eckdaten dargelegt werden, die auf das „nervöse Zeitalter“ hinzulaufen, z.B. die Geburt des modernen Subjektes bei Descartes, die Erfindung der Fotographie, die damit verbundene Entwicklung der abtrakten Kunst, die Herausschälung des Designs aus dem Kunsthandwerk usw. Die Bilder, die diese Informationen bereichern, sind aber keineswegs der Info-Ordnung unterstellt. Sie laufen quer zu ihnen, über sie und in sie hinein; bilden Neben-Stränge aus, überfrachten die chronologisch-angeordnete Info-Strecke mit einer „Bilderflut“. Das passt zu Luhmanns Beobachtungen zum Bewußtsein: „Die Bilder tanzen auf den Worten herum“, leicht abgewandelt: „Die Bilder tanzen auf den Informationen herum“ (Vgl. Luh 1987). Kränkungseffekte Die Anzahl der Kränkungen, die den Eurobewohnern in den vorangelaufenen Jahrhunderten zugefügt worden sind, reichen von der Kopernikanischen über die Darwinistische und Freudsche bis hin zur Quantenmechanik und Ökologie (Siehe dazu Mühlmann 1996: 2 ff.). „Auf breitester Front haben reflektierende Autoren den Habitus angenommen, nicht in eigener Sache über einen Gegenstand zu sprechen und zu schreiben, sondern über andere Autoren zu sprechen und zu schreiben, die zum Gegenstand gesprochen oder geschrieben haben“ (Sloterdijk 2007: 54). Eine dritte Möglichkeit würde darin bestehen, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu variieren. Der Vorteil dieser Alternative liegt darin, auch erzählerisch mit einer bestimmten Perspektive zu brechen. „Systemtaxi“ In unserem Falle muss man hier sicherlich die Gruppenkonstellation erwähnen; „Sytemtaxi“ als einstiger „Kollektiv“-Begriff. Wir alle sind Beobachter zweiter Ordnung; unterscheiden uns in dieser Gemeinsamkeit aber wiederum voneinander. Wenn also von „Wir“ die Rede ist, kann das nur relativ gemeint sein. Mit diesem Bruch sollten wir „kreativ“ umgehen. Vom Chaos zur Anschauung Erst peu à peu wird dieses „Chaos“ gelichtet: „Spotlight“ auf die Akteure und Requisiten, denen wir als Beobachter zweiter Ordnung folgen. Aus der chronologisch verlaufenden Info-Graphik und den kontrastierenden Bilderfluten kristallisieren sich Cluster heraus; Bündel von Knoten. Innerhalb dieser können die Akteure und Requisiten fokussiert werden, ohne dass die Komplexität verloren gehen würde. 5|6 Exemplarisch „200th ANNIVERSARY of DARWINISMS COLLAPSE“: HAPPY BIRTHDAY! „Der Kreationist als Versace-Mannequin und Web-Aktivist“: Adnar Oktar und sein fulminantes Aggrotainment Thematisch Narrativ Dramaturgisch Wir dürfen allerdings bei diesen „Kränkungseffekten“ nicht vergessen, dass sie z.B. von „Kreationisten“ angezweifelt werden. Nicht nur in den USA zweifeln Fundamentalisten u.a. an der Evolutionstheorie, sondern auch in der Türkei. So kämpft z.B. Adnan Oktar seit Jahren gegen den Darwinismus an, weil nichts von dieser Lehre im Koran überliefert ist. Das hat in der Türkei dazu geführt, dass landesweit Internetauftritte verboten worden sind, in denen die Evolutionstheorie propagiert wird. Das empfinde ich als eine interessante Option; wenn gelegentlich von einem „Ich“ die Rede sein sollte, dann ist dieses bereits von der „Gruppendynamik“ beeinflusst. Schnitt. Ich erlaube mir jetzt kurz an dieser Stelle ein Beispiel für einen solchen Knoten aufzuzeigen, auch wenn sich die Spalte „Exemplarisch“ eigentlich auf der linken Seite befindet. Dramaturgische Ausnahmeanschauung :) Gedankenexperimente Fortführung der Kränkungen; insbesondere in den Naturwissenschaften. Die Perspektive eines Beobachters ist relativ. Je nach Blickwinkel verändert sich auch der „Zustand“ eines Objektes in Abhängigkeit zur Beobachtung. Unabhängig von der Beobachterperspektive existieren aber auch Phänomene, die nicht beobachtet werden können. Siehe dazu auch Kants´ „Kritik der reinen Vernunft“ als Vorläufer: Raum, Zeit und Kausalität sind nicht Gegenstände der Wahrnehmung. Schrödinger und Heisenberg spitzen diese Erkenntnis zu: Man weiß nicht, ob die Katze in Schrödingers´ Experiment tot oder lebendig ist. Damit wird die Konstruktion von Wirklichkeit als Gedankenexperiment modellartig hinterfragt. Bei Heisenberg sind es die Bahnen der Atome, die in Wiklichkeit nicht existieren (Vgl. Fischer 2006). Wir schreiben und beobachten zwar alle anders, aber dennoch existiert ein gemeinsamer Rahmen, wo wir uns erzählerisch treffen. Deshalb sollte man auch die Sprache pro Kapitel nicht vereinheitlichen. In der Gemeinsamkeit bleiben die Differenzen bestehen; das nenne ich „modern“. Alles andere wäre „vor-modern“: Der Versuch, Gemeinsamkeiten gewaltsam über die Sprache herzustellen. „Your Communication“ Summa Summarum bedeutet das, dass wir zwar alle Beobachter zweiter Ordnung sind, aber sich je nach Kapitel auch die Sprache und die Darstellungsweise ändern kann, allerdings unter der Voraussetzung, dass ein recht hoher Qualitätsanspruch bewahrt bleibt und der „Your Communication“-Rahmen auch weiterhin von Bedeutung ist: Zentrale Aussagen, die für Gestalter gelten, bündeln. In anschaulicher Form aufbereiten: Gleichrangigkeit von Bild und Text. Der Werkzeugkasten: Neuere Ästhetik und Sytemtheorie. Die zehn Kapitel: dargeboten mit einer einführenden Einleitung, plus weitere Unterscheidungen und Unterscheidungen dieser Unterscheidungen. Das müssen nicht zehn pro Kapitel sein; je nachdem. Wir sehen einerseits Hannes Böhringer als Akteur, andererseits den Bereich der „Requisiten“ angedeutet. Dieser ist vor dem Hintergrund des Kommunikationsbegriffs von Niklas Luhmann zu betrachten. Der Mensch steht nicht mehr im Zentrum der Beobachtung; er steht buchstäblich auf dem Kopf und taucht in „Informationsfluten“ ein, die sein individuelles kognitives Fassungsvermögen bei weitem übersteigern. Kommunikation reproduziert sich an dieser Schnittstelle somit auf ihre eigene eigentümliche Art und Weise. Oder wie Luhmann wahrscheinlich sagen würde: Auch Kommunikation kommuniziert (Vgl. Luh 2000: 41-63). Exemplarisch Turbulente Existenzformen Thematisch Dynamische Fluktuationen In einem vergleichenden Artikel zu den grundlegenden volkswirtschaftlichen Fragestellungen und Hypothesen von Keynes und Schumpeter hat Peter F. Drucker das statische Gleichgewicht in der Wirtschaft angezweifelt. Seine Position gleicht der von Schumpeter: Eine moderne Wirtschaft befindet sich immer in einem dynamischen Ungleichgewicht; sie ist ein System, das ständig wächst und darin an die Biologie erinnert (Drucker 1983). Auch Systemtheoretiker wie Niklas Luhmann sind zu ähnlichen Erkenntnissen gelangt: Systeme unterliegen in ihrer Abhängigkeit von der Umwelt dynamischen Prozessen; sie fluktuieren. Simultan ist mit diesen Erkenntnissen „die Konstanz der Wesensformen und der Elemente“ radikal in Frage gestellt (Luh 1992: 130). Was die Anknüpfung an biologische Modelle anbelangt; siehe vor allem Maturana/Varela zum Begriff der „Autopoiesis“. Weitere Assoziationen: Otto Rössler und die Chaostheorie: „Die Welt ist zwar konsistent, aber in jedem Moment neu.“ Narrativ Dramaturgisch Narrative Variantologie Als da hätten wir noch die „ästhetische Differenz“, die sich auch dramaturgisch niederschlägt. Erzählt wird keine Geschichte, die ohne Wiederholungen, Sprünge, intertextuelle Bezüge und Nebenstränge auskommt. „Die Theorieanlage (und auch deren Darstellung) gleicht eher einem Labyrinth als einer Schnellstraße zum frohen Ende“ (Luh 1984: 14). Im Gegensatz zu „postmodernen“ Erzählungen wird aber nicht pausenlos zwanghaft dekonstruiert, sondern eine Konstruktion verfolgt, die auch ihre mögliche Dekonstruktion im Auge behält. Auf der dramaturgischen Ebene wird demzufolge die klassische Aristotelische Dramenkonzeption in ihrer Dreiteilung in Frage gestellt. Das passt auch gut zu einer „frühkomplexen“ Schwellensituation, in welcher die Einbildungskraft der zweiwertigen Logik „ein Schnippchen schlägt“. Sowohl die Dramenkonzeption als auch die Zweiwertigkeit verweisen bekanntermaßen auf ihren Gründervater Aristoteles und seine logischen Verwandten. Den architektonischen Grundriss bilden aber dennoch jene Komponenten, die man sich von einer mitreißenden Theorieerzählung wünscht: Konflikte zwischen Akteuren und Beobachtungen; Spannungsmomente, die durch Differenzen aufgeladen werden können. 7|8 Exemplarisch Auf den Spuren von Aristoteles: „Die Wahrheit der Wahrheit ist der Wahrheit“ (Meister Bruce) „Germany´s Next Topmodel“: Sei doch so natürlich wie möglich bei größter Künstlichkeit! Entfalteter „Raum-Essayismus“ oder „Lustmarsch durchs Theoriegelände“ Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.2 Überforderung/ Rationalität In einem ersten Schritt wird erzählt, wie das zweiwertige Denken fortan seinen Lauf nahm, um die Abendländer einseitig zu konditionieren. Die nächste Etappe in dieser Konditionierungsgeschichte wäre der Buchdruck und die Verbreitung der Diskurskultur. Das ist ein immer noch waghalsiger Sprung, da diese Geschichte in ihren Zusammenhängen genausogut auch in einer separierten – vielleicht auf zehn Bände angelegten – Sonderedition erscheinen könnte. Da wir aber Gestalter sind, können wir hier glücklicherweise eine Abkürzung wählen, die zumindest graphisch für den Problemzusammenhang sensibilisieren sollte: Schöpferische Absicht: „Das Bewußtsein“, so kann man das bei Luhmann „nachschlagen“, „will ständig unterhalten werden“ (Vgl. Luhmann 1985: 404). Neben der Sprache rücken in dieser Sehnsucht vor allem die Bilder hervor, die in ihren assoziativen Strömen dem Bewußtsein recht nahe stehen. Mit der Computerisierung sind diese Bilderströme jedoch in ihrer Komplexität um ein vielfaches angestiegen, so dass es immer schwieriger wird, die Übersicht darüber zu bewahren. Wir halten es daher für eine große Herausforderung, unsere eigene Denkpraxis auf diese Veränderungen hin zu befragen. Können wir etwa nicht mehr Stand halten mit diesen Entwicklungen, ist unser Geist also hoffnungslos überfordert? Oder benötigen wir einfach andere Strategien und Logikvorstellungen, mit denen wir auf diese Überforderungssituation adäquat reagieren können? „Die systemtheoretische Logik folgt der Logik solcher Geister wie George Spencer Brown und Bertrand Russell. Die ist paradoxal konstituiert und produziert Widersprüche (...) Und das ist auch für Gestalter relevant, ab welchen Grad führe ich Prozesse, die vielleicht doppelsinnig, vielleicht widersprüchlich sind, durchaus noch weiter (...)“ (YC. Transkription 01: 1) Als Gestalter arbeiten wir nicht mit „Wahrheit“, sondern mit „Konstruktion“. „Wahrheit“ erreicht so über Umwege einen ästhetischen Status; weil sie plötzlich „schön“ erscheint, erhaben; unsere Sinne beflügelt. Auch sprachgeschichtlich und philosophisch wurde bereits eine derartige Logik angedacht. Auf Diskurs und eindimensionalen Denkbewegungen folgte ein tänzerischer Ausdruck; man denke dbzgl. nur an Nietzsches „Zarathustra“ – eine der ersten großen Performance-Figuren in der abendländischen Philosophie. Denken wird somit zum Aufführungsmodus erhoben. Bazon Brock knüpft an diese Tradition an; er haucht den „Zarathustra“ quasi Leben ein. Die Überforderungssituation geht von den Bildeindrücken und Objekten aus, die der Denker nunmehr innerhalb des Raumes „essayistisch“ entfaltet (Vgl. Bazon Brock 2008: Gespräch mit Peter Weibel). Gestalter arbeiten zunächst von der gegenü- Wie lässt sich der Disput zwischen Diskurskultur und Bildlogik visualisieren? Der Überhang an Möglichkeiten wird schließlich durch die Computerkultur noch weiter vorangetrieben. Vordenker in dieser Epoche sind u.a. Gotthard Günther und Spencer Brown. In der Logik wird vor diesem Hintergrund eine Art Kehrtwende eingeschlagen, mittels derer Paradoxien und mehrwertige Lösungsansätze nicht mehr länger unbeachtet am Wegesrand ausgelagert werden. Aber auch diese Ansätze „halten“ noch „an einer strikten Entsprechung von Ontologie und Logik“ fest (Günther, dazu Luh 1992: 27) oder sind zu stark „formalistisch-mathematisch“ geprägt (Brown). Resümierend könnte man auch sagen, dass sich die Präsenz einer dritten Grö- Dramaturgisch lässt sich die Frage der Logik nicht von der des Bewußtseins trennen. Ein Theatermovie als „Stream of Conciousness“ Im Rahmen des internationalen Tanzfestivals NRW (07.11. - 30.11.08) lud Pina Bausch bereits zum zweiten Mal – als künstlerische Leiterin – renommierte Künstler aus der ganzen Welt ein. Innerhalb dieses Rahmens wurde auch das Projekt „Ohne Blut“ das erste Mal in Deutschland aufgeführt. Bei diesem Stück der chilenischen Theaterformation „La Troppa“ han- Exemplarisch „Ohne Blut“. Ein Theatermovie Thematisch Narrativ Dramaturgisch berliegenden Seite aus; sie versuchen nicht die Bilder und Objekte als Denkmaterial an sich zu reißen. Sie haben die Bilder und Objekte schon inhaliert, bevor das Denken seinen Lauf nimmt. Während der „Performance-Philosoph“ also noch weiter „denkt“, verwandeln sie den umliegenden Raum bereits in eine andere Gestalt. ße anbahnt, die alles, was zuvor zweiwertig behandelt wurde, aus den Fugen hebt. Durch den dritten Wert werden Grenzmarkierungslinien in ihren geläufigen Konturen verwischt; was zu einer enormen Dynamik führt, die wir nur verhältnismäßig ungenau bestimmen können. delt es sich um einen virtuell-physischen Bastard: Film- und Theaterszenen greifen ineinander, vermischen sich und annulieren bestehende Grenzen. Archäologische Theorieausgrabungen: „Auf den Spuren von Marshall McLuhan würde man sagen, dass die lineare Mentalität, die in der Diskurskultur kulminiert, eine Konsequenz des Buchdrucks ist“ (Sloterdijk/Hans-Jürgen Heinrich 2001: 266). Siehe zu diesem Zusammenhang auch Flusser. Weitere Verweise: Plato und Aristoteles usw. Systemisch versuchen wir aber dennoch diese Zwischenräume näher zu durchleuchten: Was Spencer Brown formalistisch mit seinem Kalkül beschreibt, ist noch nicht die Bildwende, die sich in einer „neuen“ Verhältnisbestimmung offenbart. Der unbekannte Kontinent, der vor uns liegt, ist unser eigenes Bewußtsein. „Prophylaktisch“ wird dieses im 21. Jahrhundert „digital“ erkundet. Erzählt wird die Lebensgeschichte einer Frau, die einst zum Opfer eines Gewaltaktes wurde. Nach fünfzig Jahren begegnen sich Opfer und Täter wieder. Die Darsteller treten bei dem Stück in die filmischen Projektionen und Szenenwechsel ein. Der Zuschauer fühlt sich so relativ nahe emotional ins Geschehen ver-setzt, ohne dass er immer zwischen den digital aufbereiteten Projektionen und dem „realen“ Theatergeschehen differenzieren könnte. Was für die einen schon fast Film ist, „verwischt“ sich für die anderen zum „Hybrid-Drama“. --------------------------------------1.3 Überforderung/ Bewußtsein Maturana: Phylogenetischer Drift, der Gedanken irritiert. Bewußtsein weicht von sprachlichen Codierungen ab. „Code“ stellt somit eine unzureichende Bezeichnung dar, wenn es um Prozesse geht, die sich im Bewußtsein abspielen. Asmus: „Die Eigendimension des Bildes ist durch den Code verdrängt worden; das eigentliche Bildhafte verschleiert die Sprache durch die Begriffsdimension“ (YC Seminar 11.11.2008: „Die Autopoiesis des Bewußtseins“). Auch „zweiwertig“ nehmen wir derzeitig Anteil an einer solchen hybriden Dramenkonstellation. Die Bildabfolgen, die vom Digitalen herrühren, bilden zusätzliche, künstlich hervorgerufene Komplexitäten aus, die in die Darstellungen mit eingehen. Das gilt nicht nur für gestalterische Disziplinen, sondern auch für jene Denkarten, die vorrangig „auf der Bühne“ ablaufen. Mit Bazon Brock: als entfalteter „Raum-Essayismus“. Die neuzeitlichen Digitalsphären stehen demgegenüber für „energetische“ Bildbewegungen, die Objekte zuweilen auch rasend schnell in 9|10 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS „Würden wir uns anstrengen, das eigene Bewußtsein wirklich in seinen Operationen von Gedanken zu Gedanken zu beobachten, würden wir zwar eine eigentümliche Faszination durch Sprache entdecken, aber zugleich auch (...) eine eigentümlich-hintergründige Tiefe der Bewußtseinsaktualität, auf der die Worte wie Schiffchen schwimmen, aneinandergekettet, aber ohne selbst das Bewußtsein zu sein, irgendwie beleuchtet, aber nicht das Licht selbst.“ (Niklas Luhmann: Was ist Kommunikation?) Exemplarisch Thematisch „Bewußtsein funktioniert letzlich assoziativ. Sprache ist die Engführung der Kommunikation; das Bewußtsein bedient sich der Sprache als Transportund Strukturmedium“ (YC Seminar 11.11.2008: „Die Autopoiesis des Bewußtseins“). „Studien zur nächsten Gesellschaft“. Jeff Han: „Perceptive Pixel“ In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des iconic turn von großer Bedeutung – als „Wende zum Bild“. Was aus diesem Turn folgen wird, ist höchstwahrscheinlich nicht nur eine Hervorhebung der bildlichen und sinnlichen Logik, sondern auch die Neukonturierung unserer zweiwertigen Kultur, deren wir in „Alteuropa“ noch verhaftet sind. Noch unfähig den Sprung in die Mehrwertigkeit denken zu können, aber bereits ergriffen von einem Möglichkeitenhorizont, der das Licht auf die vor uns liegenden Pixel-Phantasien wirft. „Etwas anderes ist nun allerdings zu verstehen, wie diese ikonische Sinnerzeugung funktioniert. Trotz zweieinhalbtausend Jahren europäischer Wissenschaft blieb dieses Problem seltsam marginalisiert. Erst seit kurzer Zeit wird am Projekt einer `Bildwissenschaft´ gearbeitet, während sich die Sprache seit der Antike einer dauernden diskursiven Erörterung erfreut. Aber diese Lage hat sich zwischenzeitlich entscheidend verändert“ (Boehm 2007: 34). Narrativ Dramaturgisch andere Zusammenhänge überführen. „Raumessayismus“ würde in diesen Sphären nicht mehr dem Versuch gleichkommen, Denken über statische Objekte zu vollziehen. Im Bereich der „Perceptive Pixel“ wird statt dessen aktuell an multidimensionalen Bildszenarien geforscht, die über körperliche Eingriffsmöglichkeiten angesteuert werden und „Bewußtseinsströme“ simulieren. Dramaturgisch kann dieser erzählerische Nebenstrang ebenfalls als eine Art von „Theatermovie“ angesehen werden. Folgt man dieser Metapher, so hat man es mit einem Drama zu tun, in dem die Erinnerung von Phantasien „heimgesucht“ wird, die dem Zukünftigen gewidmet sind. Ein Beobachter durchreist die Vergangenheit und erinnert sich zu einem späteren Zeitpunkt an Aristoteles zurück; wie dieser ihn als Täter des Vorstellungsvermögens beraubte. Die Bühne ist zum einen mit Requisiten aus der vergangenen Theaterepoche bestückt, zum anderen mit digitalen Projektionsflächen versehen. Die Figuren sind ohnmächtig verstrickt in dieses hybride Drama. Neben Nietzsche und Brock tauchen Günther und Brown auf; aber sie reden nicht wirklich miteinander. Das Bühnenbild im Hintergrund stammt von Jeff Han. Es wird vom Publikum per Touchscreen navigiert. „Schwindelerregend und fast fieberartig“, wie ein Zuschauer kurz nach der Premiere bemerken wird. 11|12 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Kommunikation ---------------------------------------- Exemplarisch Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.4 Kommunikation/ Übertragung Ein Gedankenexperiment: Als Beobachter unterwegs in einer Region, in der die Menschen jederzeit an den Gefühlszuständen ihrer Mitmenschen teilhaben, ohne dass sie sich diesen Übertragungsformen widersetzen könnten. Schöpferische Absicht: Bei der Kommunikation handelt es sich nicht um eine „Übertragung“. Wie Menschen als Gestalter ihre Gedanken und Vorstellungen zum Ausdruck bringen, aber auch wie diese durch ihre Umwelten beeinträchtigt werden, ist als Skizze Aufgabe dieses Abschnitts. Wir werden also erfahren, was Kommunikation mit Ästhetik zu tun hat. Warum dieses Verhältnis als „komplex“ bezeichnet werden darf. Und drittens: Weshalb die Logik von Gestaltern nicht mit der einer „rein“ begriffsgestützten verwechselt werden sollte. Kurz: „Entwerfen als Erfindungsprozess“. Eine eigene Logik. Das Sender- und Empfängermodell wurde 1970 von Stuart Hall entwickelt. In diesem Modell wird Kommunikation als Übertragung einer Nachricht von einem Sender zu einem Empfänger definiert. Dieses Modell ist aber zunächst rein technisch angelegt; und zwar im Sinne von Informationskanälen, die Botschaften übermitteln und als solche von einem Empfänger decodiert werden müssen, z.B. über den Empfang von Radiosequenzen. „Verbotene Aufnahmen“: Wenn Empfänger sich dem Rausch der „Übertragung“ hingeben „Die spiritistische Sitzung wäre damit eröffnet“: Dr. Mabuse lädt zum Spiel ein In der Psychologie wurde dieses Modell im Laufe der Zeit weiter ausdifferenziert und auf menschliche Kommunikation angewandt. So ging u.a. Paul Watzlawick davon aus, dass man „nicht nicht kommunizieren kann“, also auch unbewußt und nonverbal. Niklas Luhmann hat dieses Modell in seinen Grundannahmen für obsolet erklärt. Kommunikation funktioniert nicht als „Übertragung“. „Übertragung“ kann nur als eine Metapher angesehen werden, die eine bei weitem zu stark vereinfachte Vorstellung impliziert. In allen sozialen Systemen, wo Kommunikation als Phänomen auftritt, sind wir mit einer Eigendynamik konfrontiert, die als „hochkomplex“ bezeichnet werden darf. „Ähnlich wie Leben und Bewußtsein ist auch Kommunikation eine emergente Realität, ein Sachverhalt sui generis. Sie kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiede- Was anfänglich noch als angenehm empfunden wird, als Bereicherung der Intuition und Empathie, breitet sich immer stärker aus; ja wird geradezu als eine neue Art von „Epidemie“ wahrgenommen, als eine Bedrohung, die irgendwie bekämpft und abgeschüttelt werden muss. Einst hatte ein Theoretiker über diese seltsamen Phänomene geschrieben. Er hieß Heiner Mühlmann und ahnte bereits, dass zwischen gefühlten Übertragungen und künstlich erzeugtem Stress ein Zusammenhang bestehen müsse. Gelesen wurde er allerdings nur kaum; „zuviel Theorie ist ungesund“, dachten sich seine Mitmenschen, bis plötzlich diese „Seuche“ ausbrach. Die Menschen reagierten panisch. Nervöses Zucken, Ratlosigkeit und Hast. Affektkommunikation. Das kannte man schon vorher. Das wurde in jenen Tagen als „normal“ empfunden. Aber die Anteilnahme, die nunmehr nicht mehr abgeschaltet werden konnte, spitzte die allgemeine Situation hochgradig zu. Zu den schon „eingebürgerten“ Schattenseiten zivilisatorischen Daseins kam jetzt auch noch das allgegenwärtige Mitgefühl hinzu. Um besser zu verstehen, warum „Übertragung“ in Bezug auf Kommunikation ein unzureichender Begriff ist, eine Metapher, die nicht greift, macht es Sinn, ein Gedankenexperiment vorzunehmen. Als negative Überhöhung müssen wir uns nur dramaturgisch in die Lage einer Situation hineinversetzten, in der ähnlich wie in dem Roman „Stadt der Blinden“ von José Saramago, eine „Eskalationssituation“ vorherrscht. In einer in ihren Folgen zuerst kaum abzuschätzenden Gestimmtheit werden plötzlich die Gefühlsregungen der anderen Menschen um uns herum zur einer ernsthaften emotionalen Bedrohung. Wir können unsere Anteilnahme einfach nicht mehr ausschalten. Ausgehend von dieser dramatischen Wende steuern wir auf eine Differenz zu, die einen gestalterischen Ausweg aufzeigt. Ein Happy Endig. 13|14 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS „Ohne ästhetisches Kalkül mit der Differenz von Anschauung und Vorstellung (...), ohne die Erfahrung prinzipieller Uneinholbarkeit von Bewußtsein in Kommunikation werden alle Aussagen über die Welt zu beliebigen Metaphern oder Bildern, zu Gleichnissen oder willkürlichen Analogien.“ (Bazon Brock: Der Barbar als Kulturheld) Exemplarisch „Der Zettelkasten als Installation“. Gestaltwahrnehmung auf der Basis ihrer Unterscheidungsmöglichkeiten Thematisch Narrativ nen Selektionen – nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Mißverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information“ (Luh 2000: 45). Noch waren es aber nur wenige, die von den Auswüchsen dieser Übertragungsformen betroffen waren. Aber zunehmend wurden es mehr. Diese Variante des Kommunikationsbegriffs sollte weiter erklärt und durch Theoreme ergänzt werden, welche die Basis für Luhmanns Hypothesen bilden, u.a. die Definition von „Information“ nach Bateson. Ferner könnte die Frage aufgeworfen werden, wie Informationen „Sinn“ vermitteln, was auf die Bedeutungszuweisung und Selektion eines Beobachters verweist. Erst der Beobachter macht aus Daten Informationen. „Dies führt zu einer Kopplung von Information und Sinn, bzw. Gestalt“ (Asmus: Ästhetisches System). Neben der „Information“ ist vor allem der Begriff des „Verstehens“ für Gestalter relevant. Wie „Verstehen“ wiederum von Gestaltern verstanden wird, hängt mit der Ästhetik zusammen. Für Gestalter müssen die Dinge, die sie vermitteln, anschaulich sein – wie ein „gutes“ Bild, das „mehr als tausend Worte sagt.“ Dramaturgisch Das schon fast ins Vergessen geratene Buch von Heiner Mühlmann – „Die Natur der Kulturen“ – wurde so auf Umwegen doch noch zu einem Bestseller. Die Menschen erkannten nämlich, dass Theorie in manchen Zeiten ein probates Mittel darstellen kann, diese außerordentlichen Destabilisierungstendenzen näher zu verstehen. Aber noch fehlte es an einer größeren Initiativbewegung, von der aus diese Erkentnisse auch auf die Eskalationssituation angewandt werden konnten. Es waren schließlich die Gestalter, die einsahen, dass eine nicht einstellbare Anteilnahme genausogut auf Objekte zutreffen könne. Ferner brachten sie den Menschen bei, dass diese „Übertragungsformen“ nicht als Krankheit wahrgenommen werden müssen. Maximale Stresskooperation. Von da an wurde wieder mehr dosiert. Man einigte sich also auf Differenz. Liebe in Momenten ausgeschlossen. --------------------------------------1.5 Kommunikation/ Ästhetik „In der Gestaltung geht es (...) darum, die Dinge und Eindrücke, die in der Welt oder im eigenen Leben gesammelt werden, zum Ausdruck zu bringen. (...) Wie können die Dinge, die Schnitt. Angekommen im Zettelkastenland. Man beobachtet zunächst Niklas Luhmann, wie dieser in der Form eines „Ein MannDenker-Unternehmens“, dem übermäßigen Drang nachkommt, sich über Zettel zu organisieren. Mit noch eigentlich recht „un- „Er wurde geboren, dachte und starb.“ In diesem Moment läuft keine Musik; das wäre schlichtweg zu pathetisch. Letze Woche noch lief ein anderer Film. Der hatte eher weniger mit Theorie zu tun; jedenfalls nicht so direkt. Es ging um David Carson und Neville 15|16 Exemplarisch „Kommando Otl Aicher“: Ästhetische Differenz als Versuch „erzwungener Unmittelbarkeit“. Olympische Spiele 1972 Thematisch Narrativ Dramaturgisch wir aneignen oder herstellen, ihren Wert in der Beziehung zu anderen entfalten?“ (Asmus: Lexikon-Artikel zum Begriff des „Verstehens“). bedarften“ 25 Jahren steht für ihn jedoch bereits fest, dass er sein Leben fortan planen müsse. Auf einen Interviewer, der ihn zu diesen Absichten befragt, wirkt das seltsam befremdlich. Das Leben mit 25 Jahren planen? Wie soll das funktionieren? Auf die uns alle betreffende „Überforderungssituation“ reagiert Luhmann mit dem Stichwort der „Komplexität“. Als Denker reagiert er auf diese Situation mit einem „Masterplan“. Wissen stetig ansammeln, kombinieren usw. Der Zettelkasten als eine „Reduktion zum Aufbau von Komplexität“. „Aber nicht ohne Zufall“, werden Beobachter einwenden. Und auch Luhmann weiß den Zufall bei allen Planungsabsichten, denen er quasi „manieartig“ folgt – Zettel auf Zettel, ein ganzes Denkerleben lang – nicht hoch genug zu würdigen. Brody. Typographisch war damals die Zeit reif für ein größeres Experiment; „Lifestyle und Postmoderne“ und solche Dinge. Leute, die das „Ende der Geschichte“ postulierten. Dabei existierte die „Postmoderne“ eigentlich überhaupt nicht. Ersonnen von Philosophen und untermauert von einigen berühmten Gestaltern. In den 1980iger Jahren vertrat u.a. Neville Brody die Ansicht, man müsse typographisch protestieren – „gegen die überkommenden Formen des Establishements und Identifikationsvorlagen für eine neue, alternative Jugendkultur“ (Khazaeli 2005: 48). Aber da eben „Verstehen“ nicht wie ein „Übertragungsmodell“ funktioniert, können auch Gestalter kein Verstehen im trivialen Sinne „produzieren“. Die Objekte, die sie entwerfen, bilden nur „Brücken“, die vor der Pforte des Bewußtseins halt machen (Prinzip „Black Box“). „Gerade Künstler verweigern sich häufig dem oberflächlichen Wunsch, Verstehen ohne Anstrengung, ohne Reflexion nachkommen zu wollen. Verstehen setzt also auch die Bereitschaft voraus, sich auf den anderen einzulassen, auf die Kunst, die Literatur oder das Design (...) Verstehen ist somit ein wechselseitiges, nicht triviales Verhältnis, in dem wir uns kommunikativ damit zurecht finden müssen, dass wir uns niemals wirklich verstehen werden“ (Asmus: LexikonArtikel zum Begriff des „Verstehens“). „Die eigene Beobachtung bleibt stets ein blinder Fleck“: „Das Schwarze Quadrat“ von Malewitsch Aus ästhetischer Perspektive sind wir mit dem Grundproblem von nicht übertragbaren Gestaltungszusammenhängen konfrontiert. Was wir denken und fühlen, können wir nicht auf direkte Art gestalterisch zum Ausdruck bringen. Es geht also in der neueren Ästhetik um die Sensibilisierung für „intrapsychische Prozesse“, die als solche nicht durch zeichenbedingte „Übersetzungen“ transportiert, wohl aber problematisiert werden können (Vgl. Brock 2002: 427-431). Schnitt. Der Ausgangspunkt ist die Theorie in der Nachkriegssituation. Erlebnisse von Chaos und Kontingenz. Ein Schauspieler miemt Luhmann; wie dieser in amerikanischer Gefangenschaft nach 1945 auf unangenehme Weise überrascht wird; seine Uhr wird ihm vom Arm abgenommen. Außerdem erlebt er physische Gewalt. Die Unterscheidung „gut“ und „böse“ ist ein für alle Mal hinfällig geworden. Wir sehen ein Zitat von Carl Schmitt, das noch für eine Phase steht, in der entschieden für das „Eine von Zweien“ votiert wurde. Luhmann muss stattdessen in amerikanischer Gefangenschaft erleben, dass derartige Enschiedenheiten tragischweise nicht mehr funktionieren. Dramaturgisch knüpfen wir an dieser Stelle an die Situation von Beobachtern an, die auf zweiter Ebene „Cinephile“ sind; die sich Woche für Woche in einem kleinen Programmkino gemeinsam treffen. Themen, die für Gestalter mehr oder weniger von Interesse sein dürften. Nach der Aufführung wird häufig rege diskutiert. Diesmal fällt der dargebotene Film in seiner Machart aber ein wenig „strenger“ aus. Nicht ganz so verspielt und collagiert wie der Beitrag zu Carson und Brody in der Woche zuvor. Ein vielleicht erster Kontakt mit Luhmann. Schwierig. Nicht ohne Anstrengung zu bewerkstelligen. Aber wenn er so erzählt. Im Kino: Wechsel zwischen lautem Gelächter und phasenabhängiger Überforderung. „Kommunikation, die kommuniziert“, „das Leben mit 25 verplant.“ Zettelkasten. Exemplarisch „Zen-Meditation für Philosophen“ oder von der „Austreibung des Wahnsinns aus dem Geiste“ Thematisch Narrativ Dramaturgisch Als „Gründervater“ der neueren Ästhetik ist u.a. Nietzsche zu nennen, weil er ihr im Denken eine stellvertretende Position zugebilligt hat, die jenen Vorstellungen zugute kommt, die sich außerhalb der „Wahrheit“ befinden. Nietzsche hat dieses Wahrheitsproblem also über sprachliche Bilder gefasst, die für eine Sphäre stehen, in der Denken und Wahrnehmen eine nicht einholbare Differenz markieren. Schnitt. Es sind Erinnerungsfotos zu sehen; Deutschland nach 1945 in Schutt und Asche gelegt. Man stellt sich vor, wie vor diesem Hintergrund das Denken weiterlaufen könnte; eingegossen in Theorie. Entweder entscheidet man sich dafür Konsens zu schaffen, wie es z.B. Habermas als Nachkriegsdenker angesonnen hatte, oder man erklärt das „Ganze“ endgültig für passé. Es kann also kein Konsens mehr erzielt werden. Die Künstler halten derartige „Auswüchse“ für „Nonsense“. Die Designer sehen dagegen zumindest ein, dass in der Nüchternheit dieser Theorie und in ihrer formalen und funktionalen Strenge eine Verwandtschaft besteht. Später, wenn die Kriegsereignisse geschildert werden und die „Ruine“ eingeführt, wird klar, wie stark diese historischen Episoden unsere Kultur beeinflußt haben. Unser Denken. Unsere Gestaltung. Schnitt. Auf den Spuren von Hegel. Man könnte auch von einer „vormodernen“ Denksituation sprechen, zumindest wenn man „modern“ auch als „ruinös“ anerkennt; in sich gebrochen. Hegel gehört demnach noch zu den letzen „Geistern“ an, die von Geschichte träumen, die in ihren dialektischen Bewegungen auf die Verabsolutierung des „Geistes“ hinauslaufen. Das Motiv der „ästhetischen Differenz“ erscheint als Antriebsmotor. Ruine. Lücke zwischen Vorstellung und Realität. Zufall und Kontingenz. Und der Zettelkasten? Der scheint insofern für einige Anwesende heute abend eine bemerkenswerte Rolle zu spielen, weil er zur Vernetzung anregt: malen, skizzieren, illustrieren, skribbeln, aufschreiben, filmen usw. Und all diese Aktivitäten noch einmal „hypermedial“ unter einer großen Kuppel vereint. „Wir hören nicht mit den Ohren, sondern mit dem Gehirn; wir sehen nicht mit den Augen, sondern mit dem Gehirn (...) Wir müssen annehmen, dass Nietzsche von diesem Prinzip gehört hatte (...) Die Verrechnung des Prinzips mit anderen erkenntnis- und sprachtheoretischen Einsichten und Auffassungen geriet außer Kontrolle. Die Philosophie wurde in Schwingungen versetzt, von denen sie sich bis heute nicht erholt hat, ja deren Diagnose sie sich bis heute verweigert“ (Baecker 2008: 189). Weitere Analogien: Erkenntnisse der Neuro- und Kognitionsforschung, die in eine ähnliche Richtung tendieren. Singer, Roth usw. Schnitt. Wer einst Zeuge des Krieges wurde und gleichsam das Denken für sich zur Profession erklärte, kann eigentlich nur zu der Erkenntnis gelangen, dass sich in allen großen Systemen unterschwellig Ruinen ausbreiten. Geteiltes Bild. Imaginäre Begegnung Brock/Luhmann. Luhmann adé. Das Kino ist wie leergefegt. Die Besucher wieder zu Hause. Der Computer läuft. Und die Möglichkeiten? Wie werden diese wohl weiter wahrgenommen? --------------------------------------1.6 Kommunikation/ Entwurfslogik „Entwerfen findet in der Welt der Vorstellung statt, in der man anstelle der realen Dinge Ideen und Konzepte erfindet und manipuliert, um den realen Eingriff vorzubereiten. Sie Der Entwurfsprozess, so können wir das u.a. bei Otl Aicher nachlesen, ist ein „komplexes Gebilde geistiger Tätigkeit (...) Er berrechnet und eröffnet Landschaften der Möglichkeiten. Im Entwerfen kommt der Mensch zu sich selbst. Anders bleibt er Ab ins „Auenland, Wohnsitz der Hobbits“. John Ronald Reuel Tolkien – der Schöpfer und Entwerfer dieser Welt – war beides: Professor für „Englische Sprache und Literatur“ und „Phantast“ allererster Güte. Tolkien hat als Wissenschaftler 17|18 Exemplarisch „Utopische Entwursszenarien“: 1. Tatlin: „Monument der Dritten Internationale“ (1920) 2. Speer: „Germania“ (1937) 3. Fuller: „Floating Cloud Structures“ (ca. 1960) Thematisch Narrativ Dramaturgisch (= Planer, Architekten usw.) arbeiten mit Modellen als Mittel zur stellvertretenden Wahrnehmung und Manipulation. Skizzen, Kartonmodell, Diagramme und mathematische Modelle und, als flexibelste von allen, die Sprache, dienen als Medien zur Unterstützung der Vorstellungskraft“ (Rittel 1992: 136). Beamter“ (Aicher 1991: 195). Wir können uns auf der Basis dieses Zitates den Entwurfsprozess als eine Art von Reise vorstellen, ein Trip durch wechselnde Landschaften. Im Luhmannland: verbunden durch den Grundton der Einsamkeit und den ekstatischen Rhythmus der Sprache, der sich hinter den spröden, nüchternen und höchst ironischen Beobachtungen eines „GeistTäters“ verbirgt. Die Idee der „Parallelpoesie“: was nichts anderes bedeutet, als alles noch einmal anders zu sagen. Wie die „eigentümlichhintergründige Tiefe der Bewußtseinsaktualität, auf der die Worte wie Schiffchen schwimmen.“ u.a. die mythologischen Sprachen erforscht, um eine eigene zu erfinden, die er später in seinen „parallelpoetischen“ Erzählungen entfaltete. „Herr der Ringe“. Beim Entwurfsprozess handelt es sich um eine spezifische Form der Logik, die als geistige Tätigkeit über die Sinne und die Wahrnehmung erfahrbar ist. Im Entwurfsmodus werden Denken und gestalterische Praxis aufeinander bezogen, so dass es zu einer Synthese kommt. Methodische Strenge, Phantasie, Erfindungsgabe, Anschauungs- und Selektionsvermögen sind gleichermaßen von Bedeutung. Entwerfen stellt aber keine Theorie dar, sondern eine Art von „Erfindungstätigkeit“ (Vgl. Hammel 1999). Wie kann man über Bestehendes, Gewußtes und Bekanntes hinausgelangen? Wirklich „Neues“ wird zumeist nur in der Konstruktion sichtbar, „denn was nie jemand gesehen, gewusst oder gedacht hat, weil es nicht existierte, wird hier durch geistige Anstrengungen das erste Mal hervorgebracht“ (Leyer 1963: 7). Ohne die ideelle Konstruktion wäre das „Entwerfen als Erfindungsprozess“ schier unmöglich. Im Entwurfsprozess werden Denken und Praxis auf einander „abgestimmt“, was in der Theorie nicht gilt. Luhmann befand sich als Gelehrter auf einer „einsamen Insel“, von der er aus in die weiten Gebirge des Denkens hineinmanövrierte. Seine Beobachtungen bildeten – in der Form von Zetteln – das lose Entwurfsgerüst für eine Theoriearchitektur, die er in drei Jahrzehnten stetig weiter ausbilden sollte. „Theorie der Gesellschaft. Laufzeit: 30 Jahre. Kosten: keine.“ 1984 ist es dann soweit: Der lose Entwurf ist übergegangen in den „Grundriß“. Im Untertitel zu dem Buch „Soziale Systeme“ heißt es deshalb auch: „Grundriß einer allgemeinen Theorie“. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass Luhmann in den Jahren zuvor von einer „Nullserie“ gesprochen hatte. Bevor Luhmann als ordentlicher Professor in Bielefeld lehrte, arbeitete er als Verwaltungsbeamter in Lünbeurg. In Eine der größten Einflüsse war dabei für ihn das „Arts and Crafts Movement“. Tolkien war von Morris und seinen poetischen Visionen derart fasziniert, dass er diese zum Teil auch in seine Geschichten hat mit einfließen lassen – als intertextuelle Bezüge. Von allen möglichen Vergleichen, die „wir als professionelle Touristen im Luhmannland“ (Peter Sloterdijk) ziehen können, ist der Vergleich zwischen der Systemtheorie und dem „Auenland“ sicherlich einer der befremdlichsten, doch zugleich auch der aufschlussreichste. Wird mit diesem doch die dramaturgische Frage eröffnet, wie sich Entwurfsprozesse gestalterisch in Szene setzen lassen, die von „Weltkonstruktionen“ handeln. Während Luhmann eine Welt schöpfte, die bei einem ersten oberflächlichen Blick in ihrer Anmutung eher Wittgensteins Haus für Gretl nahe steht, haben wir es bei den „Weltentwürfen“ von Tolkien mit Landschaften zu tun, die in sich kartographiert und durch zahlreiche Fabelwesen ergänzt, vorliegen. Erst bei einem genaueren Blick werden wir innerhalb dieses „abstrus“ wirkenden Vergleiches bemerken, dass sich hinter der spröden „Theoriearchitek- Exemplarisch „Geist“. „Das Absterben der Madensäcke allein kann es nicht gewesen sein“ (Luther) Thematisch Narrativ Dramaturgisch Was können wir unter dem Begriff des „Geistes“ verstehen? Anlehnung an Otl Aichers Gedanken zur „Logik des Entwurfsprozesses“ war Luhmann zu dieser Zeit „noch kein Mensch, der im Entwerfen zu sich kommt.“ Ein erster Vergleich zwischen dieser Tätigkeit und dem außerordentlichen Drang, Wissen in Zettelkästen „ordentlich“ zu organisieren und zu archivieren, liegt deshalb auf der Hand: die formale Nähe des Verwaltungsbeamten zur Verarbeitungslogik eines Computers. Ähnlich wie auch Heinz von Foerster können wir bei Luhmann die kuriose „Selbstbeobachtung“ entdecken – wie eine Rechenmaschine zu arbeiten – ohne jemals direkt auf eine solche zurückgegriffen zu haben. „Landschaften der Möglichkeiten – avant les lettres – berechnet: „Natürlich ist mein Kopf erforderlich, aber er kann nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden. Insofern arbeite ich wie ein Computer, der ja auch in dem Sinne kreativ sein kann, dass er durch Kombination eingegebener Daten neue Ergebnisse produziert, die nicht voraussehbar waren“ (Luhmann 2000: 28). tur“ von Luhmann ein zweiter „parallelpoetischer Kontintent“ in seinen schemenhaften Andeutungen anbahnt. Es liegt nun an uns, diesen als Gestalter, auch im Hinblick auf eine zur neueren Ästhetik aufgeschlagenen Brücke, bildhaft ins Buch zu „setzen“. „Anscheinend doch, daß jemand in der Lage ist, interessante Verknüpfungen herzustellen und Dinge zusammenzubringen, die durch die Kraft ihrer Verknüpfung eine neue, eine aussagekräftige Gestalt ergeben. Die Form der Verknüpfung wirkt sozusagen katalytisch. Da die Form nichts anderes ist als die Einheit einer Unterscheidung, ist Geist nichts anderes als eine interessante, eine gestaltbringende Unterscheidung“ (Asmus: Ästhetisches System). Diese übergeordneten Zusammenhänge, die zwischen „Geist“ und Gestalt bestehen, können in der Praxis des Entwerfens aber erst dann zu einer Synthese verwandelt werden, wenn das Abstrakte (=der „Geist“ bzw. die Gedanken) im Entwurfsprozess konkretisiert wird. „Wittgenstein als Architekt“ – Das „wilde Leben“ findet woanders statt Ein gutes Beispiel dafür ist Wittgenstein: Als er seiner Schwester Gretl ein Haus im Wald baute, orientierte er sich einseitig an die logische Strenge seines „Tractatus“. Dem Haus fehlte somit der Ausdruck, der „dem Leben zu Eigen ist“. Wittgenstein durfte daher an diesem Experiment erkannt haben, wie wichtig das „wilde Leben“ auch für die eigene „Denk-Praxis“ ist. Er hat daher, um der Meinung Aichers zu folgen, „gelernt, dass das analoge Denken Vorrang vor dem digitalen hat“ (Aicher 1992: 14). Alles, was Luhmann gelesen hat, um es später zu publizieren, wird nach systemischen Kriterien organisiert: Numerierung, Verschlagwortung, Indexierung etc. Da diese Vorgehensweise zu einem erheblichen Teil verwaltungsmäßig formal erfolgt, steht sie somit in einem direkten Bezug zu einer „Maschine auf Papier“. Somit war Luhmann am Ende beides: ein „selbsteingebildeter“ Computer und ein großer Denker. Umgekehrt kann man im „Auenland“ – bei genauerer Beobachtung – genausogut feststellen, dass Tolkien bei aller „Phantasterei“ niemals die „Konsistenz“ seiner fabulierten Welten aus den Augen verloren hat. Frei nach Aicher bedeuet das, dass Tolkien nicht nur unglaublich weite Landschaftsimpressionen und komplexe figürliche Konstellationen in uns wachruft, sondern gelegentlich auch „Erbsen gezählt hat“. 19|20 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Selektion ---------------------------------------- Exemplarisch „Reine Faktizität in ihrer minimalsten Darstellung“. Donal Judd: „Untitled“ (1969) Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.7 Selektion/Sinn Würde man „Sinn“ als „Erlebnisform“ charakterisieren, so würde das wohl am ehesten auf so etwas wie einen längeren Aufenthalt in einem „Irrgarten“ oder „Dschungel“ hinauslaufen. In beiden Fällen könnte man aber nur im Augenblick – beim Durchstreifen – eine folgenreiche Entscheidung treffen. Wir wären also vor die Wahl gestellt: Wie jetzt weiter fortschreiten? Welcher Weg soll nunmehr eingeschlagen werden? Einfach stehenbleiben wäre jedenfalls die schlechteste Alternative. Wir wären also auf eine sehr direkte Art und Weise mit dem Problem der Selektion konfrontiert. Aber selbst wenn wir diese Entscheidung nicht treffen müssten, wären doch trotzdem auch überdies „Irrgarten“ und „Dschungel“ existent. Weitere Gänge, Pflanzen und Tiere würden erscheinen und wieder verschwinden, unabhängig davon, ob wir uns in diesem Umfeld noch fortbewegen wollen oder nicht. Schöpferische Absicht: „Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten“ (Luhmann 1984: 93). Jede Form der Selektion, gleich welcher Art, kann somit niemals in sich abgeschlossen sein. Als Gestalter fragen wir uns, wie man mit dem Verhältnis von Einfachheit und Komplexität umgehen kann. „Der einfachste Weg zur Einfachheit führt über durchdachtes Weglassen“ (John Maeda 2007: 1). Aber auch dieser Weg kann schnell in eine Sackgasse führen, weil wir plötzlich erkennen, das „Weglassen“ nicht immer die beste Lösung darstellt. Reduktionismus kann sich gewissermaßen auch als „Tod“ erweisen. Ein Objekt, das zu „sterril“ und „leblos“ wirkt. Zuwenig „Emotionen“ versprüht. Ein wesentlich anspruchsvollerer Weg führt von der Reduktion zur Variation. Dieser Weg Weg verlangt uns wesentlich mehr ab; müssen wir doch das Verhältnis zwischen Einfachheit und Komplexität immer wieder aufs neue überdenken. Dieser Weg schließt Möglichkeiten nicht aus, sondern führt sie bis zu einer gewissen Grenze mit. Genau darin liegt auch die große gestalterische Herausforderung. „Bewußtsein“ kennt keinen Namen und auch kein Medium. „Bewußtsein“ ist ein Fluss, ein alles fortreißender Strom, der von anderen Systemen nur operativ oder strukturell angedeutet oder aufgegriffen werden kann, ohne dass es je möglich wäre, dass diese Systeme das „Bewußtsein“ in seiner überbordenden Komplexität „abbilden“ könnten. Auch „Sinn“ schließt an diese Art von Komplexität an. Für Niklas Luhmann ist „Sinn“ die „Gesamtheit der vom sinnhaft intendierten Gegenstand ausgehenden Verweisungen“, die ständig „aktualisiert“ werden müssen (Luh 1984: 93-94). Unter „Sinn“ versteht Luhmann etwas anderes als wir gemeinhin im Alltag annehmen. Im Alltag ist „Sinn“ an Handlungen und Subjekte gebunden, die etwas für „sinnvoll“ oder „unsinnig“ erklären. Wir sagen dann z.B.: „Deine Reaktion war absolut sinnvoll“ und meinen damit, dass jemand „richtig“ reagiert hätte. „Sinn als Überschuss“. „Die Sendung ohne Namen“ (2002 - 2007) Für Luhmann ist „Sinn“ eine wesentlich abstraktere Bezugsgröße. „Sinnhaftes Handeln“ geht damit weit über das alltägliche Verständnis dieses Begriffes hinaus, indem „der Handelnde seinen subjektiv gemeinten Sinn auf das Verhalten eines anderen bezieht“ (Asmus: Ästhetisches System). Aus ideeller Perspektive schließt „Sinn“ an eine „geistige“ Bewegung an, die sich auch im Entwurfsprozess vollzieht; „Sinn- Dieses Bild kann in gewisser Hinsicht auch auf andere Umfelder bezogen werden. Als Analogie fällt es uns in diesem Zusammenhang einfach leichter, zu verstehen, was Luhmann mit dem Begriff des „Sinns“ im Schilde geführt haben könnte. Da wäre z.B. der Maler und Minimalist Donald Judd, der alles Zufällige aus dem „Sinn“ auschließen wollte. Er hatte also seine Auswahl getroffen, eine, die buchstäblich „reine Faktizität“ beim Betrachter hervorrufen sollte. Dabei vergaß er jedoch, dass Malerei, auch wenn sie gelegentlich „ohne Titel“ Der Berliner Künstler Holger Lipmann bezeichnet das als „matter of substraction“: „nicht nur Reduktion der Form, sondern vor allem was hinter den verschiedenen Lebenssituationen als wertvoll entdeckt wird“; also Veränderung und Dynamik inbegriffen. 21|22 Exemplarisch Thematisch Narrativ produktionen hängen von den perzeptiven, motivationalen, operativen und kognitiven Präferenzen ab, die in der verbalen Sprache und anderen Sinnsystemen verankert sind“ (Transfer 2007: 56). auskommt, niemals „frei“ von Zufällen existieren kann. „Sinn“ schließt immer weitere Möglichkeiten der Unterscheidung mit ein, die im Augenblick einer bereits getroffenen und manifestierten Auswahl, über ein einzelnes Werk hinausgehen. Demzufolge wäre die „Minimal Art“ von Judd nur eine Form der Unterscheidung, die weitere mit impliziert. Z.B. jene Kunstwerke, die an diese Machart erinnern oder von dieser abweichen. Aber diese „Sinnsysteme“, die z.B. in der Sprache als Strukturmedium erscheinen, aktualisieren den „Sinn“ nur in einer „unaufhebbaren Vorläufigkeit“. „Das Problem, das sich jetzt stellt, ist das der Selbstüberforderung des Erlebens durch andere Möglichkeiten. Die Problematik dieser Selbstüberforderung hat nach Luhmann die Doppelstruktur von Komplexität und Kontingenz. Die Komplexität wird im Erleben konstituiert und bleibt erhalten, dadurch entsteht die Selbstüberforderung des Erlebens, weil andere Möglichkeiten nie ausgeschaltet, sondern immer nur vorläufig neutralisiert werden“ (Asmus: Ästhetisches System). „Im Niemandsland“. Bilder von Jeff Wall: 1. „A Sudden Gust of Wind (After Hokusai)“ (1993) 2. „After ‚Invisible Man‘ by Ralph Ellison, the Prologue“ (1999 - 2000) 3. „A View From a Nightclub“ (2007) 4. „Milk“ (1984) 5. „After ‚Spring Snow‘ by Yukio Mishima“ (2000 - 2005) Vor diesem Hintergrund kann „Sinn“ – in der Möglichkeit der Selektion – als ein Phänomen gedeutet werden, das weit über Handlungen und Subjekte hinausragt und ähnlich wie auch „Bewußtsein“ und „Kommunikation“ ein komplexes „Eigendasein“ fristet. Man kann daher in Anspielung auf Bazon Brock sagen, dass „Sinn“ für ein Problembewußtsein steht, das zwar in einer aktuell getroffenen Auswahl für Gestalter verbindlich sein, nicht aber gleichsam allgemeingültig als Lösungsansatz akzeptiert werden kann. „Sinn“ spielt somit stark auf die Dynamik von „Bewußtseinsvorgängen“ an, die permanent fortlaufen und alternative Verzweigungen aufzeigen. Evolutionär hat so vermutlich ein Transformationsprozess stattgefunden, der uns zunehmend von statischen Zusammenhängen hin zu dynamischen führt. Kunsttheoretiker, wie z.B. Gottfried Boehm, beziehen sich dennoch immer noch auf Bilder, die diese „Dynamik“ nicht medial als Problem aufgreifen. Obwohl kein Medium „Bewußtsein“ oder „Sinn“ „abbilden“ kann, existieren doch spezifische Formen der Bild- und Tonverarbeitung, die dieser Dynamik wesentlich mehr entsprechen. Beispiel: „Die Sendung ohne Namen“. Assoziativ wird an die Doppelstruktur von „Sinn“ angeknüpft: Einerseits als Selektionsangebot, andererseits als fortlaufender Sinnüberschuss. Das geschieht in der Form von rasanten Schnittabfolgen; und zwar unter erhöhtem Selektionsdruck. Dramaturgisch YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS „Im Zuge eines einzigen Erlebnisses ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Einfachheit und Komplexität zu finden, ist schwierig. Eine Situation herzustellen, in der die Unterschiede sich gegenseitig nicht auslöschen, sondern verstärken, ist eine Art raffinierte Kunst, über die ich mir noch nicht ganz im Klaren bin.“ (John Maeda: Laws of Simplicity.) 23|24 Exemplarisch John Maeda: „Laws of Simplicity“. „Wahrzeichen des Reduktionismus“ Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.8 Selektion/Reduktion Was bedeutet es, im 21. Jahrhundert von „Reduktion“ zu sprechen? Kritiker von Luhmann haben immer eingewendet, dass er „konservativ“ und „unkritisch“ gewesen sei. Je länger man allerdings das „Luhmannland“ als professioneller Tourist bereist, desto mehr fällt einem auf, dass kaum ein anderer Theoriedesigner so kritisch wie er gewesen ist. Von Luhmann lernen wir bei aller „Ironie“ und „Trockenheit“, unsere Unterscheidungsfähigkeit permanent auf die Probe zu stellen. Als Dramaturg führt diese Lehre zu der Einsicht, jedes Stück auf seine unmarkierten Unterscheidungsseiten hin zu überprüfen. Im Falle der „Reduktion“ fragen wir uns systemisch, von welchen weiteren Unterscheidungen jemand ausgeht, der z.B. von „Simplicity“ spricht. Darüberhinaus ist es lohnenswert, die „Zwischentöne“ dieser Unterscheidungen im Zusammenhang zu ihrer Inszenierung zu betrachten. „Systemtheoretische Ästhetik“. „Infosmog“; „das Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag: Die Informationsflut steigert unsere Lebensqualität nicht mehr, sondern statt dessen Streß, Ratlosigkeit und sogar Unwissenheit“ (Shenk 1998: 11). Das ist die eine Seite unserer Überforderung. Wo wir bereits im Leben nicht mehr mitkommen, in der Arbeitswelt und in unseren Beziehungen, die eigentlich Intensität und Hinwendung von uns verlangen, steigt der Überhang im Digitalen noch mal kräftig an. Man kann daher von einer Verdoppelung der Überforderung sprechen. Die eine findet im Analogen statt, während die andere mit unseren „logischen“ Vorstellungen bricht. Nicht mehr die Chronologie eines Buches. Das Nacheinander von Ereignissen, das „Geschichtsbewußtsein“ buchstabiert. „Geschichte ist eine Funktion des Schreibens und des sich im Schreiben ausdrückenden Bewußtseins“ (Flusser 1987: 13). Im Internet greift diese Logik nicht mehr. Wäre das Internet ein Buch, so würde es einer unendlichen Erzählung gleichen, die in tausende von Richtungen weht und das Nacheinander von „Ereignissen“ in der „Gleichzeitigkeit“ auflöst. „Weil die Daten nicht haften, weil die Zeit nicht als historische Sequenz, sondern wie im Fantasy-Roman (...) vorliegt“ (Theweleit 2007: 6). Diese Situation schreit nach radikalen Gegenmaßnahmen, um noch irgendwie das Gestalten zu kultivieren. Berechtigterweise fragen wir uns, wie wir z.B. durch Reduktion mehr Zeit gewinnen können. Wie wir den Eindruck von Einfachheit auslösen, der häufig mit „Zeitersparnis“ gleichgesetzt wird. Als Unternehmer spricht man von „Operation Controlling“. Ein Tätigkeit im Optimalfall, z.B. von fünf auf eine Minute zu vermindern. Zu dieser Herausforderung, die im „Zeit-Managment“ besteht, kommt der Überhang an weiteren Möglichkeiten hinzu. Während man also auf der einen Seite Zeit „gespart“ hat, kann man auf der anderen Seite diese „eingesparte“ Zeit dazu nutzen, bereits an der nächsten Sache weiter zu arbeiten, die auf der „Prioritätenskala“ vorweg einen niedrigeren Rang eingenommen hatte. Irgendwie scheint aber keine Grenze mehr darin zu bestehen; die einzelnen Tätigkeiten verschieben sich nur oder „Projekte“ werden für abgeschlossen erklärt. Weitere kommen hinzu, ohne dass ein prinzipielles Ende in greifbarer Nähe rücken würde. Nur eines ist sicher gewiss, das sich nicht weiter aufschieben lässt: unser eigenes. Was also nun „unternehmen“? Ein Leben ohne Arbeit wäre jedenfalls genauso öde und fad wie das „Ersticken in nicht mehr enden wollenden Terminen“. Was können wir in solchen Momenten von anderen Persönlichkeiten lernen, die sich wie wir in diesem „Dickicht“ aufhalten? Mit „Simplicity“ sprechen wir nun von John Maeda. Maeda hat zehn Gesetze aufgestellt, die für den Versuch stehen, Einfachheit und Komplexität in ihrem Zusammenspiel zu denken. Zu dieser Beziehung gehört für Maeda auch die Tätigkeit des Organisierens, der Faktor Zeit, Lernen, Unterscheiden, Kontextbildung usw. Das ist für uns als Gestalter von größter Bedeutung. Der Leitspruch „Keep it simple“ ist z.B. ein Grundprinzip vieler Designer. Aber „simpel“ um jeden Preis? Ohne Anstrengung, ohne Umwege, ohne hier und da auch einmal unbequem zu sein? 25|26 Exemplarisch „Klar, dass irgendwann einmal die Ideen ausgehen.“ Zombies im Apple-Store in San Francisco Thematisch Narrativ Dramaturgisch „Utopie Arbeit“: Zwischen Erschöpfung und Zukunftsmusik Um Probleme zu veranschaulichen, ist es erforderlich, andere Kontexte auszublenden. „Ausblenden“ bedeutet aber nicht, sie einfach wegzulassen. Die Formel löst einen faden Beigeschmack aus. Denn alles, was wir als Gestalter „weglassen“, kann sich auf andere Art wieder bemerkbar machen. Vor der Erarbeitung eines Entwurfs, Konzeptes, einer Anwendung oder eines Formates, steht die Frage, wie das „kreative“ Umfeld beschaffen sein muss, um Ideen überhaupt entfalten zu können. In diesem Umfeld können wir uns ganz auf unsere Arbeit als Gestalter konzentrieren, aber bereits in diesem Ansinnen fällt uns vermutlich auf, dass andere Prozesse darauf massiv einwirken können. Nicht nur im Internet laufen Prozesse parallel, sondern auch während der Arbeit und sogar vermehrt in unserer Privatssphäre. Das lässt sich natürlich nicht pauschalisieren und ist freilich auch nicht im identischen Sinne auf andere Kulturen übertragbar. Wir sprechen also hier von der europäischen Kultur oder von der „Achse“ Europa-USA. Und wir sprechen außerdem von Gestaltern, für die der Umgang mit Computern eine „Selbstverständlichkeit“ darstellt. Ferner sprechen wir über Menschen, die überwiegend in einer Großstadt arbeiten und damit mit einer anderen Situation konfrontiert sind, als wenn sie von den Alpen aus ihre Aufträge abwickeln würden. Wie ist es also um das „kreative Umfeld“ bestellt? Da wäre z.B. der Denker und Kunstwissenschaftler Hannes Böhringer. Auch er ist wie wir ständig „in Eile, in Verzug“. Wir schlagen einen Ratgeber auf: „Laws of Simplicity“ von John Maeda, der am MIT in den USA als ordentlicher Professor lehrt. In einer ersten Regel spricht er von dem Weg, im Zweifelsfall einfach etwas weg zu lassen. Maeda tritt also auf die Bühne. TED: Technology, Entertainment, Design. Bei TED handelt es sich um eine Konferenz, bei der international renommierte Persönlichkeiten in 18 Minuten ihre jeweiligen Themen und Ideen vorstellen. Maeda eröffnet seinen Vortrag mit einem Verweis auf die Buch-Reihe „Dummies“. Komplexe Inhalte, möglichst „einfach“ verpackt. Auf Technologie bezogen: „Are we really that `dumb´, when it comes to technology?“ Technologie flößt uns „Ehrfurcht“ ein; als ob uns eine „fremde“ Macht „bevölkern“ würde, die wir nicht richtig verstehen. Wie früher in der Schule: Sobald der Lehrer Zahlen und Formeln an die Tafel schrieb, wirkten einige sofort gehemmt und resignierten. Der Ansatz von Maeda geht zunächst auf; die Neugierde, von einem „Spezialisten“ vermittelt zu bekommen, wie man die Dinge im Alltag einfacher halten kann, mit etwas Organisation, technischem Verständnis und designerischem Know-how. Mit Leichtigkeit und Witz führt uns Maeda also vor, wie zwischen „kompliziert“ und „einfach“ ein Wechselverhältnis besteht, wie Technik im Alltag auch der Einfachheit dienen kann. Und wie Ideen zu dieser Vereinfachung beitragen. So weit, so gut. Aber alles, was Maeda auch ausführt, bleibt an der Oberfläche verhaften. „Amerikanische Coolness“ und „europäisches Tiefschürfen“. Der alte Streit neu aufgeflackert. Man wünscht sich einen zweiten Redner, der Maedas´ selbstgefällige Ausführungen ironisch flankiert. Bei Hannes Böhringer erweist sich diese Option als eine zugespitzte. Böhringer redet nicht mehr von einzelnen „designten“ Objekten. Z.B. von einem DVD-Player oder einem iPhone, wie bei Maeda. Das ist nur die eine Seite der Ökonomie: die der Objekte, die uns für Momente befriedigt, weil wir auf sie recht intuitiv zugreifen können, ohne eine Anleitung studieren zu müssen. Unnötig Zeit zu verplämpern. Oder weil sie uns in ihrer Optik gefallen, uns visuell stimulieren; zu einem „Status“ verhelfen. Uns mit „Prestige“ ausstatten. Die zugespitzte andere Seite geht nicht von den Objekten aus. Sie betrifft unser eigenes Leben als Gestalter im „Zustand der Dämmerung“. Gegen das ständige Aufschieben der passenden Momente, gegen die Hoffnung auf das Kommende, setzt Böhringer die Reife, den Mut, der mit der Unbekümmertheit einher geht. Was darin „weggelassen“ wird, sind die Versprechungen irgend welcher Moden, Diskurse; der Wahn des völlig maßlosen Konsums. Erst im Abstand, im Anschluss an die Erkenntnis, eigentlich gar nichts verpasst zu Exemplarisch „Unternehme Dich selbst!“ Die „Zukunft der Arbeit“ hat bereits begonnen „Mythos Multitasking“. „Gleichzeitigkeit“ als „künstlerischer Offenbarungsakt“ Thematisch Narrativ Dramaturgisch Es existieren verschiedene Mythen, die wir in Zukunft kritischer beäugen sollten. haben, dämmert die Einsicht. Auch das: eine Form der Reduktion. „Kreativität verlangt nach Menschen mit Selbstorganisation.“ Ein bißchen erinnert das an Unternehmertum. Aber dieses Unternehmen funktioniert anders als jene Managmentstrategien, die Arbeit nach „Sitzungsund Zeitplänen“ straffen wollen. „Rituale und Hierarchien, Mehrheitsmeinungen und Hausordnungen – schlussendlich alles, was den Laden der `Gehemmten´ so zusammenhält“ (Lotter 2007: 59). Für Wolf Lotter sind die „Gehemmten“ Menschen, die an feste, statische Organisationsprinzipien glauben und diese so weit wie möglich aufrecht erhalten wollen. Die „Zukunft“ scheint da eine ganz andere Musik anzustimmen. Wir müssen uns als Gestalter überlegen, wie wir uns auf der Basis von dynamischen und häufig nicht mehr kalkulierbaren Situationen behaupten können. Und wie wir mit einer digitalen Logik zurecht kommen können, die Prozesse in eine „Gleichzeitigkeit“ überführt, die außerhalb unserer eigenen Natur verläuft. Wir sind an sich nicht „multitaskingfähig“. Auch so ein Mythos (Vgl. Merschmann 2007). Von wesentlicher Bedeutung scheint es daher zu sein, das „Wesen“ der Arbeit noch einmal grundlegend zu überdenken. Sei es Ideen als „Ware“ zu behandeln, Kopf- gegen Fleißarbeit auszuspielen, oder sich dem Wahnsinn bedingungslos auszuliefern, jegliche Grenzen zwischen „privat“ und „öffentlich“ freiwillig aufheben zu wollen. „Vorsicht vor Sicherheit! Sie geht auf Kosten der Freiheit. Die braucht Mut. Der aber kommt mit der Unbekümmertheit. Die alten Philosophen hatten recht, sie sagten: Kummer und Begierde tyrannisieren die Menschen. Der Mutige liebt das Leben, aber hängt nicht an ihm um jeden Preis. Er wagt etwas, er riskiert zu scheitern. Der Mutige ist immer ein einzelner. Aber er hat sein Herz wieder gefunden. Der Mutige ist beherzt“ (Böhringer 2008: 134). Vielleicht so eine Person wie Hannes Böhringer; angenommen er wäre einer der „21 wichtigsten Menschen des 21. Jahrhunderts“ (Esquire). Die unmarkierte Seite der Unterscheidung: Maeda spricht von „Simplicity“ und zeigt Szenen aus der MTV-Staffel „The Simple Life“. Paris Hilton und Nicole Richie, die das „wahre Leben“ meistern, z.B. die schweißtreibende Arbeit auf einem Bauernhof, das Melken von Kühen usw. „Das hat mit Einfachheit wohl kaum zu tun.“ Maeda amüsiert sich und wir lachen mit. Zwei verwöhnte Gören, für die „Einfachheit“ nur Mittel zum Zweck ist. Abenteuer Bauernhof, der richtige Kick zur richtigen Zeit, steinreich mit den Gummistiefeln in die Scheiße. Und Maeda? Ist auch nicht weit davon entfernt, mit seiner „Simplicity“Show die falsche Ausfahrt gewählt zu haben. Vielleicht ohne es zu ahnen in Richtung Hilton und Co. 27|28 Exemplarisch Michel-Edouard Leclerc – „Frankreichs Aktionskünstler unter den Einzelhändlern“ Thematisch Narrativ 1.9 Selektion/Variation Geschichten, die das Leben schreibt. Eine davon hat sich erst vor kurzem ereignet. Es geht um so einen recht unauffälligen Typ. Klein, etwas gedrungen und korpulent. Mit schiefen Zähnen. Geboren in Bristol, England. Sohn von einer Supermarktkassiererin und einem Busfahrer. Sein Name Paul Potts. Besondere Kennzeichen: Sein ausgeprägtes Gesangstalent. Und dann auch noch Oper. Die Königsklasse. Da passt die Statur wieder. Der Traum: Einmal auf der Bühne zu stehen und das massenhaft erschienene Publikum mit betörendem Gesang zu verzaubern. Aber erst einmal scheinen die Zeichen nicht auf Glück zu stehen, obwohl Paul mehrfach an Wettbewerben teilnimmt. Das ungewöhnliche Debüt folgt 1999: während eines KaraokeWettbewerbs, verkleidet als Luciano Pavarotti. Zu dieser Zeit arbeitet Paul u.a. als Regalauffüller in einem Supermarkt und zuletzt als HandyVerkäufer. 2003 wird schließlich ein Blinddarmbruch diagnostiziert. Während dieser Behandlung noch ein gutartiger Tumor. Und – als ob das nicht schon genug der Tragik wäre – stürzt Paul auch noch kurze Zeit später von seinem Fahrrad und bricht sich das Schlüsselbein. Mein Gott denken wir uns, was für ein Pechvogel. Aber die Geschichte ist brilliant. Der beinahe am Alltag zerbrochene Anti-Held, der von heute auf morgen zum gefeierten Operntenor avanciert. „Britain’s Got Talent“ – Paul singt Nessun dorma von Puccini und mehr als dreizehn Millionen Zuschauer alleine in Variation ist das Bindeglied zwischen Reduktion und Möglichheit; die schmale und riskante Gradwanderung zwischen Innovation und Kontingenz. Die Vorbedingung für eine Entfaltung gestalterischer Substanz im „Totalraum der Möglichkeiten“. Der Weg von vorgebenen Lösungsansätzen zu einer veränderten Perspektive. Denken in Varianten entspricht einer Haltung, die sich nicht vor Utopien scheut. Die über den Tellerrand hinausschaut, um zu sehen, was sonst noch existiert, und wie man von diesem „Sonst noch“ angefixt werden kann. „Entwurf“, „Erfindung“ und „Qualität“ sind Phänomene, die in eine ähnliche Kerbe schlagen. Auch sie stehen für Versuche, etwas anders machen zu wollen, einen alternativen Vergleichshorizont aufzuwerfen, der uns für weitere, manchmal auch abwegig erscheinende Ideen sensibilisiert. „Das Prinzip Spaß“: Zusammenführung von E-Commerce und Unterhaltung am Beispiel des Online-Unternehmens Zappos Zwischen 250 Sorten Shampoo und 60 Providern auswählen zu können, hat jedenfalls nichts mit Variantenreichtum zu tun. Wie auch bei der Einfachheit steht die Variation für eine Haltung, die auf Umwegen eine bereits getroffene Unterscheidung in den Mögkeitenhorizont zurückwirft oder in Abrede stellt. Ein altes Rezept, das nicht mehr greift. Der Mut, sich ein neues auszudenken. Andere Wege einzuschlagen. Mehr und weniger zugleich. Dramaturgisch Exemplarisch „Das YouTube-Phänomen Paul Potts“: Vom Handyverkäufer zum Startenor. Ein Glücksfall für die Telekom „Das Ende kann auch komisch sein.“ Beckett im Schauspiel Stuttgart Thematisch Narrativ Dramaturgisch Nur Blinde empfinden ein Angebot, in dem wir z.B. zwischen 50 verschiedenen Milchprodukten eine Auswahl treffen können, als eine Bereicherung. Großbritanien schauen zu und sind ergriffen; bekommen zum Teil Gänsehaut vor der Mattscheibe. Angenommen Paul Potts wäre Murphy oder eine andere Figur aus einem Stück von Beckett, so wäre die Oper nur eine Fiktion geblieben; ein riskantes und entkräftendes Gedankenspiel, das darin bestanden hätte, sich z.B. vorzustellen, wie es wäre in die Rolle von Pavarotti zu schlüpfen. Oder über Nacht als Mariah Callas zur Welt zu kommen. Das wären Hirngespinste, die alle Möglichkeiten, die prinzipiell vorstellbar wären, zusätzlich noch um eine irreale Note anreichern würden. Der Verweisungshorizont von Wirklichkeit und Möglichkeit und die Differerenz, die sich in der Lücke zu einer gespenstischen Lähmung ausbreiten kann. Ins Irreale abdriftet, wo die Phantasie alle weiteren Möglichkeiten überwuchert. Vor dieser Blindheit sind aber auch wir nicht gefeit. Aber hinterfragen können wir sie schon. Was horten und sammeln wir nicht alles für Dinge. Was kaufen wir nicht alles ein, um es später wieder wegzuwerfen. Verfallsdatum überschritten. In einem Interview erzählt der Theoretiker Boris Groys von seinen Erfahrungen an einer Universität für Design. Wie Design zunehmend utopisch und künstlerisch wahrgenommen wird. Er sieht die Projekte seiner Studenten, „wie sie einen schönen Traum hervorrufen können, indem sie passende Schlafbedingungen schaffen (...) Es handelt sich nicht mehr nur um die Arbeit am funktionalen Objekt, sondern um die Gestaltung von Events, um die Herstellung bestimmter Seelenzustände oder politischer Situationen“ (Groys/ Doze 2008: 172). Der Schriftsteller, Dramatiker und Poet Samuel Beckett hat diese Varianten in ihrer letzten Konsequenz durchdacht – als „Endspiel“ –, um uns davor zu bewahren, am Möglichkeitenhorizont zu zerbrechen. Ermüdung und Erschöpfung, die von einer geistigen Umnachtung umtrieben werden, die weitere Handlungen als völlig abwegig erscheinen lassen. Beraubter Antrieb. Ausbleibende Gestalt. Die Pforte zur Praxis versperrt. Das Original von Puccini in nur wenigen Minuten als Kondensat dargeboten; Momente höchster psychischer und emotionaler Aufladung. Kaum jemand kann sich dieser Pathosformel entziehen. Sie greift unmittelbar und entrückt die Hörer in eine andere außeralltägliche, magische Emosphäre. Diese paar Minuten werden von der Telekom noch unterboten. Der Spot liegt in einer 120-SekundenVersion für das Kino und in einer 89-SekundenVersion für das Fernsehen vor. Das Original Video, das auf YouTube für eine anhaltende Potts-Euphorie in Deutschland sorgt, wird von der Telekom geschickt für das eigene Marketing benutzt. Die Variante: Vermehrt auf das Internet als Kommunikationskanal zu setzen. Als Gestalter können wir aus dieser Geschichte und deren Vermarktung mehrere Dinge ableiten. Für die Telekom führte diese Geschichte quasi aus einem Zufall heraus zu der Möglichkeit, eine Zielgruppe zu erreichen, die vielfach im Netz unterwegs ist. In Deutschland verbreitete sich die PottsEuphorie vor allem über die Kanäle von YouTube. Die Geschichte passt absolut zu diesem Medium: nahe am Leben, alles andere als perfekt; der erfüllte Traum eines fast Gescheiterten. In der Kampagne wird dieses Motiv und der dazugehörige musikalische Pathos in aller Perfektion auf die Potts steht auf der Bühne bei „Britain’s Got Talent“, aber er singt nicht. Er begnügt sich mit der Vorstellung, singen zu können. Im Kopf ist er schon unzählig oft vor großem Publikum aufgetreten. In verschiedenen Ländern und an unterschiedlichen Orten. Aber je weiter er sich in diese Möglichkeiten hineinsteigert, ohne jemals eine von ihnen praktisch ergriffen zu haben, desto mehr vermischen sich diese Variationen mit absurden Szenarien und aberwitzigen Verwandlungsvisionen. Die Metamorphose: Potts in der Gestalt von Pavarotti oder eingetaucht in den Gesangskörper von Mariah Callas. Was im geistigen Entwurf nicht zum Ende gerinnt; 29|30 Exemplarisch „Verbeugung vor einem großen Werk“. Bono in Dublin Thematisch Narrativ Dramaturgisch „So gibt beispielsweise Becketts Romanfigur Molloy keinem ihrer sechzehn Kieselsteine den Vorzug (...) Und Murphy kann sich an der bloßen Vorstellung entzücken, seine Handvoll Kekse möglicherweise essen zu können. Die magere Wirklichkeit (fünf Kekse) verblaßt vor der Überfülle an Varianten, dies tun zu können (einhundertzwanzig verschiedene Wege, sie in eine Reihenfolge zu bringen)“ (Kammerer 2008: 55). Spitze getrieben. Nahe am Leben, höchst emotional, aber zugleich perfekt in Szene gesetzt; ein dramaturgisches Meisterwerk. zu einem Klumpen, der die Möglichkeiten zu einer Gestalt ausformt, verwandelt sich erst in der Konkretion zu einer ergreifbaren Alternative. Entwurf und Praxis. Gedanke und Handlung. Neben Utopie und „Endspiel“ kann man die Varianten auch auf die Räume beziehen, in denen man sich als Gestalter aufhält. Der Kontext, der für eine Landschaft steht, in der gewisse Zwänge abgelegt und Phantasien bereichert werden können. Der französische Experimentator Michel Foucault hat diese Räume einmal als „Heterotopien“ bezeichnet. Als „die vollkommen anderen Räume“ (Foucault 2005: 11). „Reservate der Auslassung und Erregung“. Das Liquidrom in Berlin Man kann diese „Räume“ auch als Orte charakterisieren, die Reservate der Auslassung und Erregung darstellen. Räume, die uns auf andere Ideen bringen. „Inseln“, die wir im Alltag aufsuchen können, um Abstand vor der Gefahr einer „leeren“ Betriebsamkeit zu gewinnen. „Die Entspannung, die man erlebt, wenn man es sich auf der heimischen Couch gemütlich macht, wird an einen halböffentlichen Ort der Wirtschaft transferiert, einen Dritten Ort“ (Mikunda 2002: 186). Potts steht auf der Bühne. Die Schweißperlen laufen ihm über die Stirn. Kurz aufflackernde Gedankenblitze, die zum Teil von Ohnmacht zeugen. Bin ich in diesem Moment dazu befähigt, Nessum dorma anzustimmen? Die Angst, versagen zu können. Die Freiheit, nicht singen zu müssen; die Bühne kurz vor der Darbietung wieder zu verlassen. Darüber zu sinnieren, wie es wohl gewesen sein mag, wenn die Arie geschmettert worden wäre. Wenn der Gestaltungsakt erst einmal einsetzt – die musikalische Betätigung –, sind die Gedanken außer Kraft gesetzt. Die Stimme fließt. Der Körper ergreift das Zepter. Potts fängt an zu singen; Millionen von Zuschauern nehmen emotional daran anteil. Es ist der Zufall, die Gelegenheit, nach all den vorgelaufenen Passagen und Einschnitten, die Chance wahrzunehmen. Im Hintergrund ist Luhmann als Souffleur zu vernehmen. Eine Biographie: Ansammlung von Zufällen. Aber auch Talent. Wille zur Gestaltung. Auch das Kontinuierliche daran: die Sensibilität für Zufälle. Die Disziplin aufzubringen und abzuwarten, bis der Moment gekommen ist, um am Zopf gepackt zu werden. Nessum dorma. YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Qualität ---------------------------------------- 31|32 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS „Nachdem er diese Vision einer qualitätslosen Welt heraufbeschworen hatte, entdeckte er daran schon bald Ähnlichkeiten mit einer Anzahl Gesellschaftsformen, von denen er gelesen hatte. Das antike Sparta fiel ihm ein (...) Aldous Huxleys Schöne neue Welt und George Orwells 1984. Er erinnerte sich auch an Menschen aus seinem eigenen Leben, die diese qualitätslose Welt gutgeheißen hätten (...) Bei ihnen musste man für alles Gründe und Pläne und Lösungen haben.“ (Robert M. Pirsig: Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten) Exemplarisch „Alles läuft auf einen Punkt hinaus.“ Pietro Perugiono: Petrus übergibt den Schlüssel (1480 - 1482) „Menschen als Forschungsobjekte“. Leonardos anatomische Studien, um 1510 „Protokollierung der Empfindungen“. James Ayscough: „A Short Account of the Eye and Nature of Vision“ (1757) Thematisch Narrativ Dramaturgisch 1.10 Qualität/ Quantität Züge beobachten oder Motorrad fahren. Pirsig ist Philosoph, aber auch technisch bewandert. Er fährt nicht nur gerne Motorrad, sondern weiß dieses Vehikel auch zu warten. Die Bastler-Schule. Friedrich Kittler tritt auf und besucht ihn. Im Leben hat diese Begegnung allerdings nie stattgefunden. Das soll uns hier aber nicht weiter beirren. Kittler ererzählt von Lötkolben und Kondensatoren, die zu Jugendzeiten durch das Wohnzimmer flogen. Zerlegen und aufbauen. Überschwengliche Begeisterung. Es funktioniert. Die Technik und ihre Systematik. Mit Qualität hat das insofern zu tun, als dass auch in diesem Metier zuweilen von einer Welt der Möglichkeiten gesprochen wird. Die Dramaturgie stellt eine Variante zur Erzählung von Pirsig dar – „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten.“ Eine Mischung aus Roman, Autobiographie und Philosophie. In einer fiktiven Begegnung trifft Pirsig auf Friedrich Kittler und Gotthard Günther. Diese Begegnungen werden abrupt unterbrochen durch ein Intervention zwischen Alexander Kluge und Niklas Luhmann. Auch hier vermischen sich Erzählung mit philosophischen Dialogen, Phantasie und gedanklichen Spekulationen. Im Mittelpunkt der Reise steht die Frage nach der „Qualität“. „Ebenso wie die Kunst ist Design ein auf hohe Qualität ausgerichtetes Bemühen. Weil der Weg dorthin, aber auch die Rezeption dieser Leistung stark von subjektiven Momenten abhängt, muss eine Referenz auf unbestreitbare Faktizitäten in dieser Hinsicht ersetzt werden durch die Referenz auf Beziehungen, Differenzen und Semantiken. Qualität ist nicht empirisch messbar und kann nicht auf analytischem Weg erschlossen werden. Qualität erfordert Umwege, Hingabe, kairos und philia. Eine Welt ohne Qualität wäre möglich, aber öde und nicht lebenswert. Qualität ist der Weg, etwas besser machen zu wollen, sich in den Prozess zu begeben, ohne an Strukturen zu verhaften“ (Asmus: Lexikon-Artikel zum Begriff der „Qualität“). Von dem Phänomen der „Qualität“ geht also eine Komplexität aus, die nie gänzlich durchdrungen werden kann. Qualität steht im Gegensatz zur Wahrnehmung von Dingen in der Welt, die statisch erscheinen. Zwar kann Gestaltung hinsichtlich ihrer „Beurteilung“ auf gewisse Rahmenbedingungen und Gestaltkriterien zurückgeführt werden, z.B. Ordnungsaufbau im Raster oder Farbgebungsverfahren, nicht aber in ihrer sinnlichen Wirkungsweise analytisch bestimmt werden. Die Analyse führt immer nur bis zu jener Grenze, an der es nicht mehr ausreicht, lediglich den Blick auf die einzelnen Computernerds tauschen sich gegenseitig aus. BitLeistung und Prozessorkraft. Das schnelle Bündeln, Abspeichern und Versenden von Informationen. Statt Motorräder zu fahren und zu warten, werden eigene Regeln über Rechenanlagen aufgestellt. Irgendwann erklingen auf diese Art wohlmöglich Harmonizer, die menschliche Stimmen imitieren. Romantisch ist das nur bedingt. Aber witzig schon. Kittler ist wieder verschwunden. Pirsig ganz konzentriert; fast schon meditativ versunken. Er hat keine Lust mehr, weitere technische Handbücher und Bedienungsanleitungen zu verfassen. Motorrad zu fahren ist nicht vergleichbar mit der Wartung. Die erfordert zwar technisches Verständnis, Schöpferische Absicht: Qualität stellt bei Pirsig eine vorsprachliche Dimension dar, die sich an der „Vorderkante“ der Zeit abspielt. Im Moment des Erkennens steht noch keine Einteilung oder Abgrenzung. Somit lässt sich Pirsigs Qualitätsbegriff auch ästhetisch umdeuten, und zwar im Sinne einer Differenz, die Gestaltungsprozesse nicht statisch, sondern dynamisch beschreibt. Das hat er sicherlich mit Gotthard Günther und Spencer Brown gemeinsam, die ebenfalls für sich eine klassische logische Zweiteilung ablehnen, wenn auch stark ontologisch (Günther) und formalistisch (Brown) geprägt. Die Gestaltungsdimension wird in solchen Fällen jedoch weitgehend ausgeklammert. Eine finale Begegnung soll daher phänomenologisch eingefärbt sein: Qualität als Form der Kommunikation, die auch Leib, Raum und Gefühle beinhaltet. 33|34 Exemplarisch „Qualität steht für sich selbst.“ Das alltägliche Verständnis von den statischen Dingen Thematisch Narrativ Objekte zu richten (Vgl. dazu: Begriff der „Emergenz“). Nicht die Unterscheidung zwischen „Subjekt“ und „Objekt“ steht im Vordergrund, sondern die Unterscheidung zwischen „Statik“ und „Dynamik“. Deshalb ist es auch nicht möglich, z.B. durch statistische Verfahren und strenge empirische Methoden, diese Wirkunsgmechanismen auf quantitative Art vermessen zu wollen. bereitet aber bei weitem nicht so viel sinnliche Freude wie das Durchqueren schier endloser Prärie. In diesen Weiten zeichnet sich auch der Flug des Denkens ab. Nicht über den Wolken, wie bei Luhmann, sondern rasant über Asphalt, zusammen mit seinem Sohn. „Alle Evolution, also auch das Leben drängt dazu, die statische Struktur auszuweiten und größere Flexibilität (...) gegenüber statischen Mächten der Natur zu erlangen“ (Asmus: Zettelkasteneintrag zu Pirsig). Auch der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Robert M. Pirsig hat in seinem Buch „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten“ (1974) bezüglich der Qualität von einem Phänomen gesprochen, das viel weiter reicht als wir gemeinhin im Alltag annehmen. Pirsig spricht von einem „Ereignis“, das nicht als abgegrenztes Untersuchungsobjekt beobachtet werden kann. Alles, was wir in der Welt begrifflich und verstandesgemäß ergründen, ist für Pirsig nachträglich gegenüber dem „Qualitätsbewußtsein“. „Auch Informationen können schön sein.“ Design und die Aura der Elastizität Stark vorstrukturierte Formen der Erfahrung, wie sie u.a. in naturwissenschaftlichen Modellbildungen vorkommen, können somit niemals außerhalb ihrer Konstruktion von Bedeutung sein – „höchstens innerhalb der Beweisführung vor Gericht“ (Roszak: 1986: 145). Die psychotische Phase ist endlich überwunden, die bis zur traumatischen Elektrokrampftherapie andauerte. Man schreibt das Jahr 1968. Jetzt kann endlich wieder das Denken an allen Ecken und Kanten sprießen. Urlaub in „Rhizomcountry“. Von den Griechen kennt Pirsig das zweiwertige Denken: Der Dualismus bei Platon und Aristoteles; die grobe Trennung von Ding und Mensch. Diese hat sich bei Pirsig irgendwie in letzter Zeit seltsam verschoben. Motorradfahren mit Gotthard Günther. Auch so ein Besessener. Zwischen 0 und 1 begegnen sie einander zum ersten Mal. Leicht zeitversetzt. Wie auch Pirsig ist Günther davon überzeugt, dass es nicht mehr ausreicht, das „Sein“ nach logischen Gesetzen zu verorten. Günthers Vermutung: Wir haben es mit einer ausgeschlossenen dritten Größe zu tun. Und wie er so von seiner Vermutung erzählt, blitzt es in seinen Augen auf. „Sieh es einmal so“, sagt er zu Pirsig, „ständig unterscheiden wir zwischen Sein und Nichtsein. Damit hinken wir aber der Evolution mächtig hinterher. Was wir brauchen ist mehr Dynamik.“ Dramaturgisch Exemplarisch Thematisch Narrativ 1.11 Qualität/ Wertschöpfung Pirsig ist zuhöchst erfreut. Was Günther da so freimütig erzählt, hat auch viel mit seiner eigenen Erfahrung gemeinsam. Abgesehen von Hegel und der deutschen Begriffsgläubigkeit. Das absolute Wissen und der Geist, der über die Geschichte zu sich selbst finden wird. „Mumpitz“, denkt er sich. Da ist er wieder ganz Amerikaner. Aber jedem Freund das Seine. Üblicherweise erwartet das Publikum, wenn die Wertedebatte einsetzt, dass man z.B. moralisch argumentiert, indem man z.B. zwischen „gut“ und „böse“ unterscheidet. In einem Gespräch mit Alexander Kluge sollte Luhmann einmal an einem Beispiel verdeutlichen, wie er unterscheiden würde, wenn von „Bestialität“ gesprochen wird. „Vor der Bewegung ist nach der Bewegung“. Muybridges Reihenaufnahmen neu interpretiert Was wäre die Differenz? „Ich würde vermuten Humanität, wenn man die normale Sprache kopieren will. Aber zugleich, wenn jemand von Bestialität spricht, kann man vermuten, dass er in Wirklichkeit human gewertet werden möchte und dass seine Motive auf der anderen Seite liegen“ (Hagen 2004: 66). Auch „Werte“ sind keine statischen Größen. Sie verändern sich mit der Zeit. Je nach Kultur und Zeit erleben bestimmte Werte eine Renaissance, während andere scheinbar verschwinden. Fasst man die Werte als Form einer Unterscheidung, so lässt sich jeder Wert von einem anderen unterscheiden. Da es sich aber bei Luhmann um eine mehrwertige Form der Unterscheidung handelt, wird zugleich auch immer gefragt, welche Motive auf der anderen Seite der Unterscheidung bestehen. Wir können demzufolge vermuten, dass z.B. Konzerne wie E.ON, die für „Öko-Energie“ werben, eine andere Absicht ver- Ganz abrupt bleiben Günther und Pirsig mit ihren Motorrädern im Niemandsland stehen. Zwischen 0 und 1. Ein Zug ist vor ihnen zu erblicken. Mit unzählig vielen Güterwagons bestückt. Günther ertappt sich beim Zählen; aber der Zug ist einfach schneller. Er kommt nicht mit. Sie führen ihre eingeschlagene Konversation fort. Pirsig wendet sich dabei für kurze Zeit von der Logik ab. Mehrwertig findet er zwar schön, aber nicht so ontologisch wie sein deutscher Kollege. Das bringt ihn zurück zu seiner Vorstellung von Qualität. „Ein wenig Metaphysik ist aber auch mit im Spiel“, muss er schließlich vor Günther eingestehen. Philosophen unter sich. „Qualität. Schau nur auf den Zug. Wir schauen uns die einzelnen Wagons an und denken unweigerlich an ein seltsames Foto. Vielleicht jemand aus der Familie, der leidenschaftlich gerne Züge fotographiert. Aber das Foto hat eigentlich nichts zu tun mit den Zügen. Da ähneln sich Foto und Denken in gewisser Weise. Der Glaube, die Realität identisch abbilden zu können.“ Dramaturgisch 35|36 Exemplarisch „Der Betrachter als Navigator im Netz“: Popart analog und angesteuert. Beispiel: WebAuftritt Museum Brandhorst in München Thematisch Narrativ folgen, als sie vordergründig angeben. Die Unterscheidung „umweltverträglich“ oder „umweltfeindlich“ müsste vor diesem Hintergrund weiter unterschieden werden. Da die Mode derzeitig auf „Öko-Energie“ steht, verändern auch Energiekonzerne ihre Politik, um z.B. ihr Image aufzupolieren. Langfristig gesehen kann sich dieser Trend aber nur dann positiv auswirken, wenn sich die Kosten der Produktion mit „erhöhtem“ Umweltbewußtsein vertragen. „Das Sein“, bemerkt Günther. Auch in seinem zweiten Buch – „Lila – oder ein Versuch über Moral“ – beschäftigt sich Robert M. Pirsig mit den gesellschaftlichen Auswirkungen eines statischen Weltbildes. Am Beispiel der Viktorianischen Gesellschaft beschreibt er, wie stark eine Ideologie, die auf äußere Facetten ausgerichtet ist, sich selbst in ihrer Weiterentwicklung behindern kann. Gutes, situiertes Benehmen und ein dazugehöriges erharbenes und elaboriertes Auftreten galten den Viktorianern als höchstes Gut. Wobei, man ahnt es wahrscheinlich schon, diese Wertehaltung schlussendlich in ihr Gegenteil umschlagen musste: also zur Farce verkam. Wir können dieses Beispiel auch als ein bildhaftes Gleichnis auslegen, das für die gefährliche Bequemlichkeit steht, lieber Ideologien in Kauf nehmen zu wollen als mehr Dynamik einzufordern. Dieses Problem betrifft uns gerade auch in unserer Rolle als Gestalter. Boris Groys hat in seinem „Von mir aus. Jedenfalls verläuft unser Denken ganz statisch wie das Foto. Das ist eine klassische Denkweise. Mit Qualität meine ich aber etwas anderes. Romantisches Wissen. Die Perspektive ist nicht mehr auf die einzelnen Wagons gerichtet, sondern auf die Bewegung verschoben. Deshalb macht es auch keinen Sinn zu zählen. Es sei denn die Zahlen würden in manchen Fällen für etwas anderes stehen (...) Und nun nimm Gleis, Zug und Bewegung zusammen. Das Bewußtsein für Qualität ereignet sich noch vor der festgelegten Perspektive auf die einzelnen Wagons.“ „Warum?“ entgegnet Günther in einem freundlichen Ton, obwohl er die Antwort schon längst zu wissen glaubt. „Nun ja, unsere Wahrnehmung ist einfach viel zu langsam. Die Einteilung in Wagons, die Zerlegung in einzelne Komponenten, kurz gesagt der Drang zur Analyse, findet erst im Nachhinein statt. Die treibende Kraft bleibt aber die Dynamik. Das entspricht der Qualität auf einer höheren Ebene. Der Beobachter muss sich von der Vorderkante des Zuges entfernen, um das Ereignis wahrzunehmen. Denn in diesem Moment kann noch keine Einteilung stattfinden. Dieser Prozess läuft jeder Einteilung voraus.“ Schnitt. Gespräch über Werte. Der redselige Filmer und Denker Kluge Dramaturgisch Exemplarisch „Die Umwertung aller Werte“: Das Rotkäppchen-Motiv als trojanische Vorlage Thematisch Narrativ Buch „Über das Neue“ bzgl. der Innovation von einer „Umwertung der Werte“ (siehe dazu auch Nietzsche) gesprochen. Das Bewußtsein für Qualität hängt gerade auch im Design mit dieser „Umwertung“ zusammen. interviewt den großen Soziologen Luhmann. „Die Abwertung der bestehenden kulturellen Werte ist ein notwendiger Aspekt des innovativen Gestus – genauso wie die Aufwertung des Profanen. Jede einzelne Innovation folgt aber darüber hinaus der ökonomischen Logik der Kultur selbst. In diesem Sinne ist jede Innovation eine Verkörperung dieser Logik, die die entsprechenden kulturellen Kriterien erfüllen soll. Falls eine Innovation erfolgreich wird, d.h. falls sie diese Logik konsequent umsetzt, wird sie in die kulturellen Archive aufgenommen“ (Groys 2004: 63). „Die Abwertung bestehender kultureller Werte“ sollte freilich nicht mit einem Zerstörungsgestus oder dem Hochmut gleichgesetzt werden, „auch die größten Leistungen zeitnaher Vorgänger als historisch längst überholt betrachten zu müssen“ (Brock 2001: 3). Qualität zielt auf den Anspruch ab, etwas besser machen zu wollen, ohne sich an starren Strukturen zu orientieren. Qualität wird zwar von uns mit Werten verbunden, diese können aber nicht von Dauer verbindlich sein. Es sei denn wir sprechen über solche, die sich innerhalb einer Kultur als relativ konstant erwiesen haben bzw. als Muster wahrgenommen werden. Schon in der Zeit verschieben sich unsere Wertvorstellungen. Das Differential dazu stammt aus der Romantik, „das ist Novalis“, sagt Luhmann. „Die Gegenwart als Bruchpunkt.“ Schnitt. „Laws of Form“. Luhmann am Telefon. Gespräch mit dem Mathematiker Spencer Brown. Er hat ihn einmal angerufen, für eine halbe Stunde. Aber es scheint völlig abwegig zu sein, das Kalkül von Brown am Telefon erklärt zu bekommen. Man stelle sich das vor: Ein Güterwagen, der durch einen Tunnel fährt, ist am Ende nicht mehr derselbe. Auch im Gespräch mit Alexander Kluge erwähnt Luhmann dieses absonderliche Beispiel. Kluge will es wissen. Der Mathematiker Brown hat ein entscheidendes Problem erkannt. Man muss zwei Zustände des Güterwagens bezeichnen. Problem der Form. Während Brown zählt, bezeichnet er. Aber dieses Bezeichnen kann nicht zweiwertig erfolgen, weil der Güterwagen am Ende, wenn er durch den Tunnel durchgestiegen ist, einen anderen Zustand erreicht haben wird. Der Mathematiker muss lernen, mit der Zeit zu rechnen. Erinnerung an Pirsig. Qualität ist ein Ereignis, das noch vor einer festgelegten Perspektive stattfindet. Zählen alleine kann daher keine Lösung sein. Das Kalkül benötigt Zeit; weitere Unterscheidungen, die das Bezeichnen variieren. Dramaturgisch 37|38 Exemplarisch „Ein Jahr Urlaub vom Leben“. „Der Mann ohne Eigenschaften“: Eine extreme Lektüreerfahrung Thematisch Narrativ 1.12 Qualität/ Möglichkeit Die Geschichte könnte auf einem Symposium fortgeführt werden. Bei Robert Musil – im „Mann ohne Eigenschaften“ – findet sich der bemerkenswerte Satz, „dass nur eine Frage des Denkens wirklich lohne, und das sei die des rechten Lebens“ (Musil 1957: 263). Diese Frage wird aber von Musil auf der Folie eines Möglichkeitenhorizontes skizziert, die Menschen in ihrer IchKonstruktion ad absurdum führt. So plant Ulrich „ein Jahr Urlaub vom Leben zu nehmen“ (263), um sich über Verhältnisse klar zu werden, die sein individuelles Fassungsvermögen bei weitem übersteigern. Legt man heutige Lebensumstände zugrunde, die für Gestalter innerhalb westlicher Metropolen vielfach gelten, so werden wir uns unter Umständen wie Ulrich fragen, wohin uns dieses Leben ohne Besinnungspausen – mit all seinen multiplen Echos von Geräuschen, Informationen und medialen Ereignissen – treiben könnte. Als Gestalter sind wir sensibel genug, diese Probleme wie „atmosphärische Verstimmungen“ wahrnehmen zu können. Man kann deshalb auch behaupten, dass diese „Verstimmungen“ – positiv umgewendet – gestalterische Impulse in uns auslösen können. Wir wissen also, dass wir Stellung zu diesen Problemen beziehen müssen. Dazu ist eine Haltung oder Maxime hilfreich, die trotz Unübersichtlichkeit für eine Orientierung stehen könnte. „Einen guten Abend zusammen. Ich begrüße Sie. Wilfried Bauer mein Name. Wir haben heute die besondere Gelegenheit genutzt, uns die Frage zu stellen – gemeinsam mit Gestaltern –, wie Wahrnehmung auch als Kommunikation der Sinne und des Körpers beschrieben werden kann. Der Film, den sie im Vorfeld sahen, wirft dbzgl. einige bemerkenswerte Fragen auf, die bei Pirsig in das Feld des Qualitätsbewußtseins münden. Für Künstler und Designer ist dieses Feld mit praktischen und sinnlichen Erwägungen verbunden, welche die Art der Aufbereitung, der Gestaltgebung von Material betreffen. Nehmen Sie nur das Beispiel des Tastsinns. Wie das Sehen und das Hören, so hat auch das Tasten spezifische Chancen leiblicher Kommunikation.“ Ein Typograph meldet sich zu Wort: „Das Beispiel des Tastsinns berührt uns auch in der Buchgestaltung. Bei höherwertigen Printprodukten fragen wir uns nicht nur, wie Bild und Schrift im Zusammenspiel auf den Betrachter wirken, sondern wie daneben auch das Papier beschaffen sein muss, wenn es ertastet und errochen werden soll.“ Nachdem bereits ein wenig Zeit verstrichen ist, nehmen die Symposiumsteilnehmer noch einmal genauer Bezug auf die Inhalte, die im vorgeführten Film angesprochen wurden. Überraschenderweise befindet sich unter den Dramaturgisch Exemplarisch „Forscher im Höhenrausch künstlicher Intelligenzen“. Die Fußballweltmeisterschaften der Roboter Thematisch Narrativ Es ist der Weg, der en passant auch über viele Umwege und zusätzliche Anstrengungen, dem Verhältnis von Einfachheit und Komplexität gewidmet ist. Beteiligten auch ein Informationsdesigner, der sich in einer Studie ausgiebig mit Günther beschäftigt hat und aus dieser Lehre einige praktische Erkenntnisse gezogen hat. Da er seine Graphiken im Internet streut und kaum noch in Büchern und Magazinen publiziert, weiß er einiges über die sinnlichen Qualitäten von immateriellen Dingen zu berichten, die z.B. im Internet vermehrt beobachtet werden können. Es liegt uns aber in unserem Buch fern, Einfachheit mit Trivialität verwechseln zu wollen. Oder die Dinge unnötig zu verkomplizieren, wo sie doch an sich auch einfach sein können, als wir gelegentlich im Abschweifen unserer Gedanken annehmen wollen. Ohne Anstrengung, Willen und Energie ist dieser Weg jedoch nicht zu bestreiten. Aber auch nicht ohne Ruhe, Auslassung, Unbekümmertheit und Unterlassen. Verstand, Körper, Raum und Emotionen bilden eine Art von Pendel im „Meer der Möglichkeiten“, das es gilt immer wieder von neuem auszubalancieren. Sich sammeln, weiter gestalten, intensiv leben. „Nicht Phänomenologie, sondern Phantomologie“. Der Kybernaut Stanislav Lem „Die Kunst ist eine unter den Richtungen menschlicher Tätigkeit, die dazu dienen, die Menschen ein haltbares Verhältnis zu ihrer Betroffenheit finden zu lassen (...) Erregende, verwirrende und beirrende Eindrücke, Ansprüche oder Atmosphären packen oder beherrschen die Menschen so, dass sie sich erst wieder fassen müssen, um in labilem Gleichgewicht auf dem Seil über einem Abgrund – nach Nietzsche der Mensch – ihr Leben führen zu können“ (Schmitz 1998: 91). „Günther sah im kybernetischen Informationsbegriff eine Aufhebung der klassischen Zweiteilung am Werke. Information ist nämlich weder Energie noch Materie und somit eine dritte Größe zwischen Subjektivität und Objektivität.“ Bauer unterbricht ihn: „Die Kybernetik war eine Vision, die einfach nur die große Utopie der Weltbemächtigung durch Technik und Steuerung ausbauen wollte. Ihr Traum war der einer grenzenlosen technischen Aneignung von Natur. Später musste man sich dann eingestehen, u.a. am Beispiel der künstlichen Intelligenzforschung, wie vermessen dieser kühne Traum doch eigentlich gewesen ist: Die Maschine als menschliches Wesen.“ „Dennoch kommen wir nicht umhin, mit Computern zu arbeiten. Der Leib und die Gefühle sind an diesen Prozessen auf eine andere Art beteiligt. Phänomenologie wäre somit auch eine Frage der Computerisierung und ihrer Folgen.“ Dramaturgisch 39|40 YOUR COMMUNICATION: GESTALTUNG ZWISCHEN THEORIE UND PRAXIS Quellennachweis Buch-, Zeitschriften und Magazinquellen Aicher, Otl (1992), Analog und Digital. Berlin: Ernst. —, (1991), Die Welt als Entwurf. Berlin: Ernst. Beckett, Samuel (1996), Quadrat. Stücke für das Fernsehen. Mit einem Essay von Gilles Deleuze. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. —, (1994), Murphy. Roman. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag. Baecker, Dirk (2008), Nie wieder Vernunft. Kleinere Beiträge zur Sozialkunde. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme. —, (2007), Studien zur nächsten Gesellschaft. 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