2007_1 Medinfo Risikobewertung

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2007_1 Medinfo Risikobewertung
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Evidenzbasierte Risikobewertung
und ihre Anwendung
Kevin Somerville
DM, FRACP, FRCP
Global Life & Health Underwriting Medical
Consultant, Swiss Re, London
Dieser Artikel basiert auf der Swiss Re
Publikation «Life risk selection at a
fair price: reinforcing the actuarial
basis». Weitere Informationen sind
unter www.swissre.com erhältlich.
In der Lebensversicherung geht es vor
allem darum, dass die Privatversicherer
die Risiken wählen und quantifizieren
können. Damit sind zwei Dinge angesprochen: die Tarifierung von Produkten und die Risikoprüfung (das Underwriting). Aktuare bestimmen die Grundprämie, die der einzelne Antragsteller
bezahlt, indem sie Schadendaten modellieren und Sterblichkeitstrends nach
Alter, Geschlecht und immer mehr nach
der Kategorie Raucher/Nichtraucher
festlegen. Antragsteller, deren Vorgeschichte von schlechter Gesundheit geprägt ist, z.B. einem Herzanfall oder einem ungewöhnlichen Risikofaktor wie
zu hoher Blutdruck oder die einen risikoreichen Beruf oder eine gefährliche
Freizeittätigkeit ausüben, können ein
Risiko in den Versicherten-Pool einbringen, das bedeutend höher ist als das
Standardrisiko der Gruppe. Solche
Risiken werden als erhöht bezeichnet
und unter Umständen muss dafür eine
der Höhe des Risikos angemessene zusätzliche Risikoprämie bezahlt werden.
Diese zusätzlichen Risikobeiträge nennen wir im Versicherungsbereich Ratings. Im Extremfall ist dieses Risiko so
hoch, dass es als nicht versicherbar angesehen wird (in diesem Fall wird der
Antrag abgelehnt oder zurückgestellt).
Die Entscheidung, ob ein Antragsteller
ein Standard-, ein erhöhtes oder ein
nicht versicherbares Risiko mit sich
bringt, wird von einem Risikoprüfer
aufgrund der im LebensversicherungsUnderwriting-Handbuch niedergelegten
Risikoselektionsrichtlinien getroffen.
In den letzten Jahren kamen (Rück-)
Versicherer zunehmend unter Druck,
ihre Entscheidungen bezüglich der Aufnahme oder Ablehnung eines Antragstellers zu rechtfertigen und die Ratings
zu begründen, die sie in ihren Handbüchern empfehlen. Auch schreiben
Rückversicherer zunehmend vertraglich
fest, dass ihre Kunden ihre Ratingricht-
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linien anzuwenden haben. Das Handbuch wird so zu einem wichtigen Teil
des Geschäfts des Kunden und wird
deshalb immer genauer überprüft:
Konsumenten, Interessengruppen und
Aufsichtsbehörden stellen das Recht
auf Underwriting der Branche zunehmend in Frage und verlangen Beweise,
dass dieses Recht Konsumenten nicht
unbillig diskriminiert. Ohne einen formalisierten Ansatz für die Erhebung
von Daten und standardisierte Analysemethoden könnte die Fairness, Genauigkeit und Gültigkeit der Ratings der
(Rück-)Versicherer angezweifelt werden.
Rückversicherers. Darum können die
Qualität und die Ausführlichkeit des
Handbuchs die Wahl des Rückversicherers massgeblich beeinflussen.
Die Richtlinien werden mit Daten aus
der klinischen und der Versicherungsliteratur sowie mit den Ergebnissen
von Analysen von Erfahrungsstudien
erstellt 1. Das Ergebnis ist ein fairer
Risikoklassifizierungsprozess, der alle
involvierten Parteien berücksichtigt,
vor allem aber den Antragsteller und
die Personen, die bereits Mitglied des
Risikopools sind.
1
Als Reaktion darauf überprüfen Rückversicherer wie Swiss Re kontinuierlich
und kritisch ihr aktuelles Risikorating,
damit sie erfahrungsbasierte Ratingrichtlinien (Evidence-Based Rating EBR)
erstellen können, die auf dem neuesten
Stand sind. Ein Risikoprüfer kann diese
zusammen mit seinen Fähigkeiten und
seinem Wissen bedenkenlos einsetzen,
wenn er beurteilen muss, ob ein Rating
nötig ist oder nicht. Die Erstellung eines Underwriting-Handbuchs ist in den
Augen der Erstversicherer ein Kernelement der «Value Proposition» eines
Evidenzbasierte Medizin – ein
Modell für einen evidenzbasierten
Risikobewertungsansatz
«Medline indexiert jährlich über
560 000 neue Artikel, dazu kommen
ungefähr 20 000 neue randomisierte
Studien. Das sind ungefähr 1500 neue
Artikel und 55 neue Studien pro Tag!» 2
1 Siehe Kapitel 3 der Publikation «Life risk selection
at a fair price: reinforcing the actuarial basis», unter
www.swissre.com.
2 Glasziou P, Haynes B. The paths from research to
improved health outcomes. Evidence-Based Medicine,
2005; 10:4 – 7.
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Im Klinikalltag findet die evidenzbasierte Medizin (EBM) immer grössere Verbreitung. EBM wird definiert als:
« . . . der gewissenhafte, gezielte und
kluge Gebrauch der gegenwärtig besten Evidenz für Entscheidungen in der
medizinischen Versorgung individueller
Patienten. EBM bedeutet in der Praxis
die Verbindung individueller klinischer
Erfahrung mit der besten externen klinischen Evidenz aus systematischer
Forschung, die heute verfügbar ist.» 3
Diese Definition, deren Wortlaut wir im
Folgenden leicht verändert haben (kursiv), liefert eine gute Basis, um die Anwendung evidenzbasierter Risikoprüfung zu beschreiben:
Das Underwriting von Lebensversicherungen verlangt: « . .. den gewissenhaften, ausdrücklichen und vernünftigen
Gebrauch der gegenwärtig besten Evidenz für Entscheidungen über das Erkrankungs- und das Sterberisiko. Die
Praxis evidenzbasierter Risikoprüfung
bedeutet die Verbindung von Underwriting-Erfahrung mit der besten klinischen und Versichertenerfahrung aus
systematischer Forschung, die heute
verfügbar ist.»
Die Richtlinien liefern die Evidenz, der
Risikoprüfer die Erfahrung. In der EBM
und in der Erstellung von EBR-Richtlinien muss die Evidenz gesammelt,
analysiert und in verwertbarer Form
dargestellt werden, damit sie der Risikoprüfer oder der Arzt ohne Bedenken
anwenden kann.
Die Menge medizinischer Informationen, auf die man die Ratings stützen
kann, steigt exponentiell. Für den
Risikoprüfer oder den Arzt ist es eine
Herausforderung, diese vorhandenen
Ressourcen zu sammeln, aufzubereiten, zu interpretieren und anzuwenden.
Es ist nicht immer einfach, sicherzustellen, dass Underwriting-Richtlinien aktuell sind. Quellen wie medizinische
Lehrbücher widerspiegeln unter Umständen die aktuelle Lehrmeinung oder
die Praxis nicht oder sind lediglich eine
von vielen Meinungen 4.
Um diese Probleme im Klinikalltag zu
verringern, werden vermehrt systematische Prüfungen durchgeführt, die dazu
dienen, klinische Studien zu sammeln
und zu analysieren. Diese Überprüfungen erlauben die Erstellung eines Bestands an aktuellen Daten, aufgrund
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왔 Grafik 1: Faktoren, die eine Überprüfung von Themen
der evidenzbasierten Risikoprüfung beeinflussen
dessen die Ärzte klinische Entscheidungen treffen können. Solche Besprechungen medizinischer Literatur finden
sich in zahlreichen Publikationen für
Ärzte 5.
Das Wichtigste ist eine regelmässige Überprüfung
der Themen. Welche dies sind, hängt davon ab, wie oft
die entsprechenden Seiten für medizinische Ratings
des Handbuchs benutzt werden (was bei webbasierten
Versionen wie dem Life Guide von Swiss Re einfach
zu ermitteln ist) und welches ihre Bedeutung für die
Morbidität und die Sterblichkeit ist. So werden kardiovaskuläre Risikofaktoren und Diabetes mellitus öfter
überprüft als seltene Krankheiten wie die WilsonKrankheit. Ein Rating wird jedoch eher dann in Frage
gestellt, wenn der Antragsteller glaubt, dass eine
Krankheit keinen oder nur einen begrenzten Anstieg
des Risikos bedeutet. Solche Krankheiten mögen zwar
selten vorkommen, sind jedoch trotzdem wichtig, weil
die Höhe des Risikos missverstanden wird. Manchmal
kommt es vor, dass der Risikoprüfer aufgrund eines
Benutzerfeedbacks eine Überprüfung verlangt. In seltenen Fällen wird der Ansatz der Risikoselektion aufgrund
einer Änderung der Arztmeinungen oder der Einführung
eines neuen ICD-Codes (International Classifiaction
of Diseases) überarbeitet.
Quelle: Swiss Re
3 Sackett D L et al. Evidence-Based Medicine: what
it is and what it isn’t. British Medical Journal, 1996;
312:71 – 2.
4 Sackett D L et al. Evidence-Based Medicine: how
to practice and teach. Evidence-Based Medicine 2nd edition, Churchill Livingstone, London, 2000.
5 Zum Beispiel:
Evidence-Based Medicine (ebm.bmjjournals.com)
Clinical Evidence (www.clinicalevidence.com) und die
Cochrane-Datenbank (www3.interscience.wiley.com).
Grafik 1
Faktoren, die eine Überprüfung von Themen der evidenzbasierten Risikoprüfung
beeinflussen
Antrag zur Überprüfung/Nachforschung
bestehender Ratings
Sterblichkeits- und
Morbiditätsanalyen und
Überprüfungen
왘
Regelmässige
Themen-Review
Evidenzbasierte
Risiko-Datenbank
(Rechtliche) Anfechtung
왗
Wichtige Publikation
publiziert
왔
Underwriting-Handbuch
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Grafik 2
Die systematische Überprüfung von EBRs
Gewichtung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Wahl des Themas
Daten sammeln / Literatur untersuchen
Studie / Datenqualität und Qualität der Informationen bewerten
Ergebnisse analysieren und interpretieren
Hintergrundpapier erstellen mit folgendem Inhalt:
• Methode und detaillierte Analyse
• Auswirkungen der Ergebnisse auf Risikoratings
• Empfehlungen für neue Ratings, sofern nötig
Überprüfung durch zweite Person
Globale interne Peer-Review
• Kritik der Methode und detaillierte Analyse
• Bewertung der Ergebnisse für den lokalen Markt
• Empfehlungen für neue Ratings für lokalen Markt, sofern nötig
Hintergrundpapier fertigstellen
Underwriting-Handbuch ändern wenn nötig
왖 Grafik 2: Die systematische Überprüfung von EBRs
Wenn das Thema gewählt ist, muss der Prüfer die entsprechenden prognostischen Studien bestimmen und
auswählen, eine Morbiditäts- und Sterblichkeitsanalyse
durchführen und ein von einem Fachkollegen überprüftes Dokument erstellen. Zweck dieses Papiers ist die
Entwicklung einer Methode für die Risikoselektion und
die Empfehlung und Begründung eines Ratings, das anschliessend in das Underwriting-Handbuch aufgenommen wird, damit es der Risikoprüfer bei seiner täglichen
Arbeit anwenden kann.
Quelle: Swiss Re
Bei Swiss Re gibt es einen laufenden
Prozess, der, ähnlich dem EBM-Ansatz,
Daten aus der medizinischen und der
Versicherungsliteratur sowie vorhandene Daten von versicherten Personen
(d. h. Erfahrungsdaten) sammelt und
auswertet. Damit versucht man, eine
aktuelle, katalogisierte und intern überprüfte Analyse der lang- und kurzfristigen Prognosen zu Krankheiten und den
damit zusammenhängenden Risikofaktoren zu erhalten. Die daraus abgeleite-
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ten EBR-Richtlinien bilden die Grundlage des Risikoklassifizierungssystems
des Life Guide, dem UnderwritingHandbuch von Swiss Re.
Ein breit angelegtes Lebens- und Krankenversicherungs-Underwriting-Handbuch wie der Life Guide enthält über
400 medizinische Themen sowie Ratingrichtlinien für eine breite Palette von
Lebensversicherungsprodukten. Diese
Richtlinien systematisch zu überprüfen
ist eine gigantische Aufgabe, bei der
Prioritäten gesetzt werden müssen. Die
Faktoren, die bestimmen, wie eine systematische Überprüfung der Themen
durchgeführt wird, sind in Grafik 1 dargestellt.
Die Entwicklung von Richtlinien
für die evidenzbasierte Risikobewertung
Eine systematische Überprüfung läuft,
wie Grafik 2 zeigt, in Stufen ab. In den
folgenden Abschnitten beschreiben wir
die wichtigsten Aspekte dieses systematischen Prozesses.
webbasierten Underwriting-Handbuchs,
die vom fraglichen Rating handeln, konsultiert werden, ebenso die Wichtigkeit
des Inhalts dieser Seiten für die
Sterblichkeit oder Morbidität. Nimmt
man beispielsweise den Gebrauch des
Life Guide auf dem britischen Markt,
zeigen Analysen der Rating-Seiten,
dass die Mortalitätsratings am meisten
abgefragt und dass die kardiovaskulären Risikofaktoren, Diabetes mellitus,
Leberfunktionstests und Ratings für
Brustkrebs, in dieser Reihenfolge, am
meisten benutzt werden. Der regionale
Hintergrund hat hier jedoch einen grossen Einfluss. So stehen in Ostasien
zwar ebenfalls die Seiten mit kardiovaskulären Risiken an erster Stelle, ist aber
gefolgt von Hepatitis B.
2
2.1 Wahl des Themas
Das wichtigste Kriterium bei der Wahl
des Themas ist, wie oft die Seiten des
Bei der systematischen regulären Überprüfung werden die am meisten abgefragten Ratings prioritär behandelt.
Weil sie so wichtig sind, werden sie
überprüft, bevor weniger übliche Themen angepackt werden. Wie wir jedoch
bereits in Grafik 1 gesehen haben, kann
die Themenpriorisierung auch angepasst werden, etwa wenn eine Anfrage
einer Kundengesellschaft eingeht, deren Ratings von Versicherungsnehmern
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in Frage gestellt werden und daher prioritär behandelt werden.
2.2 Daten sammeln und evaluieren
Die Hauptverantwortung für die Überprüfung liegt bei einem Risikoprüfer
oder bei einem Chief Medical Officer,
der für diese Arbeit ausgebildet ist. Bei
einem umfassenden Thema, ist ein kleines Team da, das ihn bei der Aufgabe
unterstützt. Die Überprüfung von koronaren Herzkrankheiten beispielsweise
ist eine grosse Herausforderung, da die
Klassifizierung der prognostischen Faktoren für das Underwriting komplex ist:
sie hängt ab von der Ausbreitung der
Krankheit in den koronaren Arterien,
dem Alter des Antragstellers, dem Grad
der Schädigung des Herzens (sofern
gegeben), der Art der invasiven und
nicht invasiven Behandlung sowie dem
Vorhandensein und der Ausprägung
der kardiovaskulären Risikofaktoren
(Lipide, Rauchen, Hypertonie, Diabetes
und familiäre Krankengeschichte).
Die wichtigste Aufgabe besteht darin,
die relevanten Informationen zu bestimmen, die zur Entwicklung eines
Versicherungsrisiko-Modells verwendet werden können. In der EBM-Lite-
ratur finden wir einige ausgezeichnete
Beschreibungen der Prozesse, nach denen die Durchführung 6, 7, 8 oder die kritische Analyse 9 einer systematischen
Überprüfung abläuft. Diese können von
den (Rück-)Versicherern so angepasst
werden, dass sie entsprechende medizinische Artikel mit prognostischen
Informationen und dem Follow-up einer
grossen Zahl von Personen zu finden
erlauben. Die medizinischen Informationen werden im Allgemeinen über
webbasierte medizinische Literaturdatenbanken wie Medline und Embase
gesammelt; diese verfügen über standardisierte Suchkriterien für Studien
über Krankheitseffekte.
In der EBM geniessen randomisierte,
kontrollierte, Doppelblindstudien die
grösste Akzeptanz und Glaubwürdigkeit, da solche Studien systematische
Fehler reduzieren. Die Patientenauswahl bei dieser Art von Studien bringt
oft Vorteile für die Analyse von Versicherungsrisiken mit sich, da die Teilnehmer homogener und gesünder sind
als der Durchschnittspatient, der an der
entsprechenden Krankheit leidet (sie
widerspiegeln die relative Gesundheit
von Antragstellern im Vergleich zur
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Bevölkerung). Wenn Studien auch noch
einen langfristigen Follow-up der Teilnehmer beinhalten, sind sie für EBRÜberprüfungen besonders wertvoll –
auch wenn die Daten der Ereignishäufigkeit 10 (Sterblichkeitsraten, Häufigkeit von Krankheit oder Behinderung) in versicherungsrelevante Daten
weiterverarbeitet werden müssen, beispielsweise in Verhältnisse von Sterblichkeitsraten, die für die Entwicklung
von Ratingrichtlinien verwendet werden 11.
Die andere wichtige und wohl nützlichste Informationsquelle sind Daten
über Versicherte oder Berichte über
die Erfahrungen der Versicherungsbranche, welche die Entwicklung der
versicherten Personen untersuchen.
Selbst wenn sie sehr wertvoll sind,
haben auch die Erfahrungsstudien der
Versicherungsbranche ihre Grenzen. In
ihnen finden sich keine Folgedaten
über die Personen, deren Antrag abgelehnt wurde, weil ihr Risiko als zu hoch
eingeschätzt wurde, oder über Antragsteller, die Offerten für eine Deckung
zu erhöhten Prämien abgelehnt hatten.
Äusserst wichtig ist ausserdem eine
kritische Beurteilung der Kriterien, die
bestimmen, was in die Studie aufgenommen wird. Dies gilt für alle systematischen Überprüfungen von Daten 12.
So kann beispielsweise ein Lebensversicherungsportefeuille, das einem
Rückversicherer vorgelegt wurde, verzerrt sein, weil diese Vorlagen üblicherweise Anträge auf hohe Versicherungssummen oder komplexe Fälle sind, sodass das Verhältnis von Sterblichkeitsraten höher sein kann als für alle Versicherten mit der gleichen Krankheit 13.
16 Egger M et al. How important are comprehensive
literature searches and the assessment of trial quality
in systematic reviews? Empirische Studie. Health
Technology Assessment, 2003; 7:1–76.
17 Royle P, Milne R. Literature searching for randomized controlled trials used in Cochrane reviews: rapid
versus exhaustive searches. International Journal of
Technology Assessment and Health Care, 2003;
19:591– 603.
18 www.cebm.net/toolbox.asp.
19 Greenhalgh T. How to read a paper: Papers that
summarise other papers (systematic reviews and metaanalyses). British Medical Journal, 1997; 315:672 – 5.
10 Für weitere Informationen zu den Prämiensätzen,
s. Kapitel 4 der Publikation «Life risk selection at a
fair price: reinforcing the actuarial basis», unter
www.swissre.com.
11 S. 2.3 unten.
12 Greenhalgh (siehe Fussnote 9).
13 Siehe auch Abschnitt 3 für ein echtes Beispiel dieser
Art von Verzerrung.
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Grafik 3
Die Hierarchie von EBR-Informationen
Gewichtung
1 Begründung, basierend auf Branchen- und klinischen Erfahrungen
2 Systematische Überprüfung und Sterblichkeitsanalyse von
sorgfältig durchgeführten Kohortenstudien
3 Systematische Überprüfung und Sterblichkeitsanalyse von
sorgfältig durchgeführten Fall-Kontroll-Studien
4 Analyse einer einzelnen, gross angelegten randomisierten
Kontrollstudie oder Beobachtungsstudie
5 Meinung eines internen Expertenkomitées des (Rück-)Versicherers
6 Meinung des Chief Underwriter des (Rück-)Versicherers
7 Marktpraxis
8 Meinung des Chief Medical Officer des (Rück-)Versicherers
9 Meinung eines einzelnen Underwriters
왖 Grafik 3: Die Hierarchie von EBR-Informationen
Informationen können objektiv, subjektiv oder eine
Mischung aus beidem sein. Breit angelegte Erfahrungsstudien mit Versicherten sind die verlässlichste
Informationsquelle, obwohl sie eine kritische Überprüfung der Studienkriterien und der Analysemethoden
erfordern. Je tiefer man in der Hierarchie absteigt,
desto kleiner wird die Anzahl vorhandener objektiver
Informationen, während die Entscheidungsfindung
immer subjektiver wird. Schliesslich müssen Entscheidungen aufgrund beschränkter Informationen getroffen
werden, und es bedarf unter Umständen eines einvernehmlich getroffenen Urteils. Entscheidungen können
durch das, was der Markt akzeptiert, beeinflusst
werden, ebenso durch die Risikophilosophie und die
Risikoneigung der Gesellschaft (konservativ oder
liberal).
Quelle: Swiss Re
Die persönliche Erfahrung eines Risikoprüfers oder Chief Medical Officer ist
von beschränktem Wert, denn auch sie
kann verzerrt sein. Diese Verzerrungen
sollen durch systematische Überprüfungen reduziert werden 14. Beispiele
für solche Verzerrungen sind ein enges
und begrenztes Spektrum der Risiken
sowie eine «subjektive Rückschau», die
dazu führt, dass im Zusammenhang mit
einer Krankheit die negativen Erfahrungen, an die man sich am ehesten erinnert, zu sehr verallgemeinert werden.
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Als Antwort auf diese Einschränkungen
hat EBM eine Evidenzhierarchie entwickelt, die als Massstab für das Gewicht
der Informationen gilt, die für oder gegen eine spezifische Behandlung sprechen 15. Im Allgemeinen liefern randomisierte Studien die besten Informationen
und die Meinung von Expertenkomitees
die schlechtesten. Grafik 3 zeigt, dass
eine ähnliche Prognosehierarchie für
EBR-Zwecke erstellt werden kann,
wobei die sichersten Informationen
aus Erfahrungsstudien von Gruppen
von Versicherten, den so genannten
Kohorten stammen. Kohortenstudien
auf Versicherungs- oder klinischer
Basis sind besonders nützlich, da sie
mit bereits zu Beginn festgelegten objektiven Endpunkten – beispielsweise
Tod oder ein klar definiertes Ereignis –
geplant wurden.
Zum Schluss sei noch angemerkt, dass
es viel Zeit braucht, die massgeblichen
Studien zu finden. Die Suchkriterien
dürfen weder zu allgemein (viele unnütze Studien werden gefunden), noch
zu spezifisch (möglicherweise nützliche
Studien werden nicht gefunden) gehalten sein. Die Verwendung von Zusammenfassungen für diesen Prozess kann
irreführend sein, da sie oft falsche
Daten enthalten 16.
2.3 Analyse und Interpretation
von Ergebnissen
In einem nächsten Schritt werden die
Ereignisraten dieser Kohorten miteinander verglichen, sodass entweder eine
absolute oder eine relative Differenz
herausgefiltert werden kann. Diese
wird entweder als Verhältnis von Sterblichkeitsraten ausgedrückt oder, wenn
der Endpunkt die Häufigkeit einer
Krankheit oder Behinderung ist, als
relatives Risiko (weitere Informationen
s. Kasten, Seite 44). Die Unterschiede
zwischen den Raten können zur Quantifizierung der Risikounterschiede zwischen den Risiken mit und denen ohne
Krankheit verwendet werden.
14 Savoie I et al. Beyond Medline: reducing bias
through extended systematic review search. International Journal of Technology Assessment and Health
Care, 2003; 19:168 – 78.
15 Diese veröffentlichten Ansätze wurden durch die
US Preventive Service Task Force
(ahcpr.gov/clinic/epcsums/strengthsum.htm) überprüft.
16 Gøtzsche PC. Believability of relative risks and odds
ratios in abstracts: cross sectional study. British Medical
Journal, 2006; 333:231– 4.
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Absolute Ratendifferenzen versus
relatives Risiko
Die zusätzliche Sterblichkeit kann
als absolute Ratendifferenz («flat
extra») oder als Prozentsatz der
Baseline (Sterblichkeitsrate oder
relative Risikorate) ausgedrückt
werden.
Absolute Ratendifferenz
Wenn die Sterblichkeitsrate von
Versicherten mit der Erkrankung x,
3 auf 1000 pro Jahr beträgt und
diejenige gesunder Versicherter 1
auf 1000 pro Jahr, dann beträgt
die Übersterblichkeitsrate der an
Krankheit x erkrankten Versicherten
2 auf 1000 pro Jahr.
Verhältnis von Sterblichkeitsraten
Wenn die Sterblichkeitsrate der an
Krankheit x leidenden Versicherten
3 auf 1000 pro Jahr beträgt und diejenige der gesunden Versicherten 1
auf 1000 pro Jahr, dann beträgt das
Verhältnis der Sterblichkeitsraten 3
(oder 300%). Die Übersterblichkeit
beträgt 200%.
Die Überprüfung der Informationen und
der Vergleich der Ereignishäufigkeit der
einzelnen Gruppen kann zu einigen
Schwierigkeiten führen:
• Verfälschungsfaktoren («Confounder») 17 können unter Umständen
nicht identifiziert oder nicht in die
Analyse aufgenommen werden. Ein
erhöhter Blutdruck hat beispielsweise einen erheblichen Einfluss auf
die schädlichen Auswirkungen von
Übergewicht auf das Herz-KreislaufSystem 18; eine Studie, die keine
Unterteilung nach dem Blutdruck
vornimmt, kann das Risiko im Zusammenhang mit Übergewicht bei
Personen mit normalem Blutdruck
überschätzen.
• Die Daten müssen normalerweise
weiterverarbeitet werden, um Sterblichkeitsraten oder Ereignishäufigkeiten abzuleiten. Überlebensraten
werden in der Regel öfter veröffentlicht als Sterblichkeitsraten. Da die
Sterblichkeit die Grundlage für die
Berechnung von Lebensversicherungsprämien bildet, muss sie aus
veröffentlichten
Überlebensdaten
oder -kurven abgeleitet werden.
• Innerhalb der Gruppe mit einer Erkrankung oder einem Risikofaktor
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
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könnte es eine limitierte Unterteilung
geben. In Publikationen können kontinuierliche Variablen wie Cholesterin
in grosse Gruppen wie Quartilen oder
Quintilen eingeteilt werden, während
bei den meisten Versicherungsarten
nur 5 bis 10% der Antragsteller als
erhöhtes Risiko angesehen werden.
• Studien sind oft heterogen und ihre
Ergebnisse nur schwer miteinander in
Einklang zu bringen. Die Konfidenzintervalle können gross sein, und
auch wenn objektive Ein- und Ausschlusskriterien angewendet werden,
ist oft ein Urteil nötig.
• Oft sind für seltene Krankheiten nur
sehr wenige Daten verfügbar, oder
man stützt sich zu sehr auf einen
grossen Datensatz. Auch hier könnte
ein Urteil erforderlich sein, um das
Risiko am besten abzuschätzen.
• Das Sterblichkeitsmuster (oder die
Häufigkeit von Krankheit/Invalidität)
kann sich über die Zeit verändern,
und die Studie unterteilt womöglich
nicht die ganze Periode in individuelle Zeitabschnitte (Intervallanalyse),
sodass die Sterblichkeitstrends über
die Beobachtungszeit bestimmt werden können. Viele Krankheiten wie
Krebs oder Schlaganfall haben eine
hohe kurzfristige Sterblichkeit, die
dazu führen kann, dass ein Antragsteller während der ersten Monate oder Jahre nach der Diagnose
nicht versicherbar ist. In vielen Fällen
sinkt jedoch das zusätzliche Sterberisiko danach auf ein versicherbares
Niveau, im Allgemeinen jedoch zu
höheren Prämien.
Nachdem die Daten gesammelt und
analysiert wurden, müssen sie in angemessene Risikoschätzungen für das
Versicherungsrisiko-Rating umgewandelt werden. Dabei wird das durchschnittliche Sterblichkeits- (oder Krankheits-/Invalidiäts-)risiko innerhalb des
standardmässigen Versichertenpools
berücksichtigt. Um diesen Prozess zu
vereinfachen, wurden in der Versicherungsmedizinliteratur 19 Richtlinien für
17 Für eine detaillierte Übersicht der Verfälschungseffekte: s. Kapitel 4 der Publikation «Life risk selection
at a fair price: reinforcing the actuarial basis», unter
www.swissre.com.
18 Asia Pacific Cohort Studies Collaboration, Body
mass index and cardiovascular disease in the AsiaPacific Region an overview of 33 cohorts involving
310 000 participants. International Journal of Epidemiology, 2004; 33:1– 8.
19 Pokorski R. Mortality methodology and analysis.
Journal of Insurance Medicine, 1998; 20:20 – 45.
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die Sterblichkeitsanalyse veröffentlicht
und die American Academy of Insurance Medicine bietet einen Kurs an,
der die Methoden der Sterblichkeitsanalyse lehrt. Es gibt weitere Quellen,
die Critical Illness und Invalidität abdecken.
Eine der Herausforderungen bei der
Umwandlung von Daten in Ratings sind
die Risiken, die als kontinuierliche
Variablen auftreten – Blutdruck oder
Cholesterin zum Beispiel. Bei Krankheiten wie Schlaganfall oder Brustkrebs werden für die Entscheidung, ob
ein Risiko erhöht ist oder innerhalb der
Standard-Risikogruppe liegt, die Sterblichkeitsraten der Personen im Standard-Risikopool mit denjenigen, die erkrankt sind, verglichen – für erfahrene
Fachleute ist dies ein relativ unkomplizierter Vorgang, sofern verlässliche
Daten verfügbar sind. Bei kontinuierlichen Variablen gibt es jedoch keinen
klar definierten Wert, über dem ein
Risiko als erhöht gilt. Dadurch wird es
schwierig zu bestimmen, wo die Grenze
zwischen normalem und erhöhtem
Risiko liegt. So wird beispielsweise die
Schwelle für das Rating solcher Risiken
– erhöhter Blutdruck und Cholesterin –
durch verschiedene Faktoren beeinflusst:
• Die Form der Risikokurve (z. B. wie
stark erhöht sich das Sterbeoder Erkrankungsrisiko, wenn sich
der Blutdruck erhöht?).
• Die Verteilung der Blutdruckund Cholesterinwerte unter den
Antragstellern.
• Die Verteilung der Sterblichkeit
im Standardrisiko-Pool.
Obwohl die Tarifierung auf der gesamten erwarteten Schadenserfahrung im
Standardrisiko-Pool beruht, werden
einige Antragsteller ein unterdurchschnittliches Sterberisiko aufweisen
(beispielsweise aufgrund eines tiefen
Blutdrucks oder tiefer Cholesterinwerte), während andere ein höheres
Risiko aufweisen (beispielsweise aufgrund eines hohen Blutdrucks oder
hoher Cholesterinwerte). Dies wird in
Grafik 4 dargestellt. Hier erlaubt es
die Verteilung, ein zusätzliches Sterberisiko von 25% oder sogar 50% des
durchschnittlichen Standard-Sterberisikos in den Standardrisiko-Pool aufzunehmen. Eine Quersubventionierung
innerhalb des Standardrisiko-Pools ist
hingegen wegen des Wettbewerbs-
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Grafik 4
Verteilung des Sterberisikos unter den Antragstellern für eine Lebensversicherung
Standard (tarifierte Sterblichkeit)
Erhöht
Abgelehnt
18%
16%
14%
12%
10%
왔
8%
6%
4%
2%
0%
Niedrig
Erwartete Sterblichkeitsrate
drucks und wegen der Unfairness gegenüber Personen mit einem niedrigeren Risiko nicht haltbar. Zudem würde
eine Erweiterung des StandardrisikoPools die Grundprämie auf ein Niveau
heben, welches finanziell weniger gut
gestellte
Personen
ausschliessen
könnte.
Hoch
왘
왖 Grafik 4: Verteilung des Sterberisikos unter
den Antragstellern für eine Lebensversicherung
Innerhalb der Standardrisikogruppe (schattierter
Bereich) gibt es eine Bandbreite an Sterberisiken,
die vom Ausmass der Sterberisiko-Faktoren der
Personen im Versicherungspool abhängt. So haben
die Versicherten beispielsweise unterschiedliche
Lebensstile – einige Personen weisen vermutlich sehr
tiefe kardiovaskuläre Risikofaktoren auf. Dadurch entsteht ein gewisser Grad an Quersubventionierung
innerhalb des Standardrisiko-Pools. Die Personen mit
einem niedrigeren Sterberisiko zahlen dieselbe Grundprämie (der Durchschnitt wird mit einem Pfeil dargestellt) wie die Personen mit einem höheren Sterberisiko.
Die Grenze zwischen Standard- und erhöhtem Risiko
hängt von der durchschnittlichen Sterblichkeit innerhalb der Standardgruppe ab sowie vom Verlauf der
Sterblichkeitsverteilung.
Quelle: Swiss Re
(hypothetische Daten zu Illustrationszwecken)
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
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2.4 Peer Review und Anpassung
der Ratingrichtlinien
Nach ihrer Fertigstellung werden die
Analysen in ein systematisches ReviewDokument eingetragen, wobei die
Risikoschätzungen in Ratingempfehlungen, mit denen der Risikoprüfer
arbeiten kann, umgewandelt werden.
Innerhalb von Swiss Re werden die
Ergebnisse zuerst von Fachkollegen im
EBR-Team und dann global überprüft,
bevor die Aufnahme der Ratings in den
Life Guide beschlossen wird. Anhand
der Ratings für Übergewicht stellen wir
im nächsten Abschnitt den Prozess bei
Swiss Re vor.
3
Ratings für Übergewicht –
ein Beispiel für die Umsetzung
von EBR
Das Interesse am Körperbau als Sterberisikofaktor für die Versicherung geht
auf das Jahr 1903 zurück. Nachfolgende
Analysen von Daten versicherter Personen haben gezeigt, dass die Sterblichkeit parallel zur Abweichung vom
Durchschnittsgewicht (abhängend von
der Körpergrösse) wächst. Vor allem die
Körperbau-Studie aus dem Jahr 1979
verdient Beachtung 20. Sie umfasste 4,5
Millionen Versicherte, die während bis
왘 Grafik 5: Relatives Sterberisiko nach BMI,
aus verschiedenen Studien übernommen
und angepasst; Männer, Altersbandbreite
30 bis 65 Jahre
Die Studien zeigen insgesamt breit gefächerte Risikoschätzungen. Alle zeigen jedoch, dass sich mit einem
erhöhten BMI das Sterberisiko entlang einer J-förmigen
Kurve erhöht. Die meisten dieser Studien berücksichtigen Verfälschungsfaktoren wie Rauchen oder Krankheit,
doch die Variablen sind nicht in allen Studien die gleichen. Es wurden mathematische Ansätze wie MetaAnalysen entwickelt, um Studien wie diese zu verschmelzen und eine Gesamtschätzung des Risikos zu unternehmen. Diese Instrumente haben jedoch einen beschränkten Nutzen, wenn die Studien stark voneinander
abweichen. Es gibt keine einzelne Methode, die bei so
verschiedenen Studien die relativen Risiken mathematisch in eine einzige Risikoschätzung umwandeln kann.
Quellen
• Bender – Bender R et al. Assessment of excess
mortality in obesity. American Journal of
Epidemiology, 1998; 147:42 – 8
• Calle Nichtraucher, keine Krankheit – s. Fussnote 22
• Calle Raucher, keine Krankheit – s. Fussnote 22
• Alameda County, vollständig kontrolliert –
Alameda Study: Daten aus Allison D B et al. Annual
Deaths Attributable to Obesity in the United States.
Journal of the American Medical Association, 1999;
282:1530 – 8
• Durazo-Arvizu, keine Krankheit – Durazo-Arvizu R
et al. Mortality and optimal body mass index in
a sample of the US population. American Journal
of Epidemiology, 1998; 147:739 – 49
• 1979 build/BP study – s. Fussnote 20
• Peeters – s. Fussnote 24
• Swiss Re – s. Fussnote 23
20 Körperbaustudie 1979, publiziert von der New York
Society of Actuaries und der Association of Life Insurance Medical Directors of America, 1980.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
49
Grafik 5
Relatives Sterberisiko nach BMI (Body Mass Index)
4,5%
4%
3,5%
3%
2,5%
2%
1,5%
1%
0,5%
0%
16 – 18
19 – 21
22 – 24
25 – 27
28 – 30
31 – 33
34 – 36
BMI (Body Mass Index)
Swiss Re
Peeters
1979 Körperbau/BP-Studie
Durazo-Arvizu, keine Krankheit
37 – 39
40 – 42
43 – 45
Alameda County, vollständig kontrolliert
Calle Raucher, keine Krankheit
Calle Nichtraucher, keine Krankheit
Bender
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
50
zu 22 Jahren begleitet wurden. Nach
der Studie von 1979 wurden Grössenund Gewichtstabellen – die von den
Risikoprüfern für die Risikoeinschätzung benutzt wurden – in der medizinischen Literatur durch den Body Mass
Index (BMI) als einzige Messgrösse für
den Körperbau ersetzt. Den BMI misst
man, indem man das Gewicht in
Kilogramm durch die (Grösse in m) 2
teilt. Dem BMI ist Widerstand erwachsen, weil er als Messwert für das intraabdominale Fett (der wichtigste
Faktor für kardiovaskuläre und Krebssterblichkeitsrisiken im Zusammenhang mit Übergewicht) nicht sehr genau ist. Es ist möglich, dass der BMI
dereinst durch den Taillenumfang oder
den Taille-Hüfte-Quotienten ersetzt
wird 21, zurzeit bleibt er jedoch das am
weitesten verbreitete Mass für den
Körperbau in der medizinischen Praxis.
Die meisten klinischen Studien, die mit
dem BMI arbeiten, haben gezeigt, dass
sich für übergewichtige Personen das
gesamte Sterberisiko parallel zum BMI
erhöht. Die wichtigste Studie dazu ist
die American Cancer Study 22. Diese
zeigt, dass im Vergleich zu einem normalen Körperbau (BMI zwischen 22 und
24) ein erhöhter BMI mit einem erhöhten Sterberisiko einhergeht. Grafik 5
liefert eine Zusammenstellung des relativen Sterberisikos für Männer zwischen 30 und 65 Jahren aus einigen der
wichtigsten klinischen und Versicherungsstudien.
Es ist nicht einfach, aus den Ergebnissen solcher Studien eine faire, zusammenfassende Schätzung des Sterberisikos bei zunehmendem Übergewicht abzuleiten. Dazu benötigt man
ein gutes Urteilsvermögen und übereinstimmende Meinungen. Die auffallendsten Merkmale von Grafik 5 sind
die hohen Hazard Ratios der Studie von
Swiss Re bei rückversicherten Männern
sowie die abweichenden Risikoschätzungen zwischen den einzelnen Studien. Damit die Grafik jedoch einfach
zu lesen ist, haben wir die Konfidenzgrenzen von 95% um die Hazard Ratios
nicht abgebildet. Wenn wir sie ins Bild
21 Yusuf S et al. Obesity and the risk of myocardial infarction in 27 000 participants from 52 countries: a casecontrol study. Lancet, 2005; 366:1640 – 9.
22 Calle E, Thun M, Petrelli J, Rodriguez C, Heath C.
Body mass index and mortality in a prospective cohort
of US adults. New England Journal of Medicine, 1999;
341:1097 – 105.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
51
Grafik 6
Bestimmung der Grenze zu Personen mit erhöhtem Risiko
30%
25%
20%
15%
10%
5%
0%
16 –17 18 –19 20–21 22– 23 24– 25 26– 27 28– 29 30–31 32–33 34–35 36–37 38–39
BMI (Body Mass Index)
Schweizer Männer
Sterberisiko
40+
95. Perzentil
97,5. Perzentil
왖 Grafik 6: Bestimmung der Grenze zu Personen
mit erhöhtem Risiko
Die Verteilung des BMI bei rückversicherten Schweizer
Männern im Alter zwischen 35 und 54 wird mit dem
relativen Sterberisiko derselben Population verglichen.
Abgebildet sind das 95. und das 97,5. Perzentil.
Bezugspunkt für die Hazard Ratio (d. h. eine Hazard
Ratio von 1) ist ein BMI von 22 bis 23, der das tiefste
Risiko widerspiegelt; die Hazard Ratio für einen BMI
von 34 bis 35 beträgt 4,0).
Quelle: Swiss Re (basierend auf Daten der Standorte
Fort Wayne und Zürich)
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
52
aufgenommen hätten, würde die Grafik
zeigen, dass sich die Studien stark
überlappen. Obwohl die Swiss ReStudie 23 höhere Hazard Ratios feststellte, decken sich ihre Konfidenzintervalle von 95% mit den Risikoschätzungen der klinischen Studien.
Insgesamt liegen die besten Risikoschätzungen nahe an denjenigen der
American Cancer Study and Peeters et
al 24; andere Studien zu Lebensversicherungsportefeuilles stimmen ebenfalls mit den Risikoschätzungen dieser
klinischen Studien überein 25.
Im Zusammenhang mit den Risiken, die
vielen kontinuierlichen Risikofaktoren
zugeschrieben werden, gibt es keinen
sicheren Schwellenwert, bei der das
Sterberisiko für den Standard-Risikopool zu gross wird. Die Risikokurven
zeigen einen exponentiellen Anstieg
des Risikos bei erhöhtem BMI, wenn
jedoch potenzielle Verfälschungsfaktoren wie Blutdruck oder Glukoseintoleranz korrigiert werden, schwächt
sich das Risiko ab. Wann ein Risiko
erhöht ist, bestimmt die Form der
Risikokurve sowie die durchschnittliche
Sterblichkeit innerhalb des StandardRisikopools und die Verteilung des BMI
innerhalb der Antragsteller. Wenn es
das Ziel ist, 95% der Antragsteller
in den Standard-Risikopool aufzunehmen, liegt der Schwellenwert für den
BMI, bei der erhöhte Prämien berechnet werden, über dem 95. BMI-Perzentil der gesamten Gruppe (s. Grafik 6).
Wenn auch noch ethnische Unterschiede berücksichtigt werden, ist
die Verteilung des BMI noch komplexer. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) 26 empfiehlt die Anwendung unterschiedlicher Standards für ethnische Gruppen in Ost- und Südasien.
Die Verteilung des BMI in diesen
Populationen verschiebt sich nach
links. Dies hat zur Folge, dass der
durchschnittliche alters- und geschlechtskontrollierte BMI in den meisten Teilen Asiens tiefer ist als in
der eher kaukasischen Bevölkerung
Europas und Nordamerikas.
Wie aber haben wir uns für den Ansatz
für das Übergewichtsrisiko im Life
Guide entschieden? Da die aktuellen
Standard-/erhöhten BMI-Schwellenwerte die Grösse der StandardrisikoGruppe bestimmen, die bereits tarifiert
wurde, entschieden wir uns dafür, die
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
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Grenze zwischen Standard- und erhöhtem Risiko praktisch unverändert zu
lassen. Jedoch beschlossen wir höhere
Prämien für mittleres und starkes
Übergewicht 27, wie dies die klinischen
Studien nahelegen. Da Swiss Re die
abdominale Fettleibigkeit als den besseren Anhaltspunkt für das Sterberisiko als den BMI bewertet, wurde in
die Ratingrichtlinien eine Gutschrift für
einen normalen Taillenumfang aufgenommen. Ausserdem gibt es eine
Gutschrift für normalen Blutdruck.
Wenn der Taillenumfang also normal
ist, werden die Ratings für leichtes
Übergewicht (BMI 30 – 34,9) gesenkt.
Weder der Taillenumfang noch der
Taillen-Hüft-Quotient wurden übernommen, da diese Werte nicht regelmässig gemessen werden und es nur
begrenzte langfristige Follow-up-Daten
gibt, die als Grundlage für Risikoeinschätzungen dienen könnten. Ausserdem sorgte ein verbessertes Verständnis des Einflusses von Übergewicht auf das Krebsrisiko 28 dafür,
dass Swiss Re die Körperbau-Ratings
für Critical-Illness-Deckungen verfeinern konnte. Wie von der WHO empfohlen, werden für Süd- und Ostasien unterschiedliche Normen verwendet.
4 Schlussfolgerungen
Der Prozess der evidenzbasierten
Risikoprüfung verlangt einen gut ausgebildeten Risikoprüfer und verlässliche, aktuelle, vollständig gesicherte
und intern überprüfte Richtlinien, die
für eine faire Risikoeinschätzung geeignet sind. Ohne einen formalisierten
Ansatz für die Erhebung von Daten
und standardisierte Analysemethoden
könnte die Fairness, Genauigkeit und
23 Baldinger B et al. Cardiovascular risk factors, BMI
and mortality in a cohort of Swiss males (1976 – 2001)
with high-sum-assured life insurance cover. Journal of
Insurance Medicine, 2006; 38:44 – 53 (Daten für Männer
zwischen 35 und 54 Jahren wurden von den Autoren zur
Verfügung gestellt).
24 Peeters A, Barendregt JJ, Willekens F, Mackenbach
JP, Al Mamun A, Bonneux L; NEDCOM, the Netherlands
Epidemiology and Demography Compression of Morbidity Research Group. Obesity in adulthood and its consequences for life expectancy: a life-table analysis.
Annals of International Medicine, 2003; 38:24 – 32.
25 Murali N and Ivanovic B, Body mass index and mortality in an insured population. Journal of Insurance
Medicine, 2001; 33. 321– 8; Somerville KW, Chapter 18
’Build’, in Brackenridge’s Medical Selection of Life Risks,
Brackenridge R D C, Croxson R S, Mackenzie B R Eds, fifth
edition, Palgrave Macmillan, London, 2006; 251– 270.
26 WHO Fachberatung. Appropriate body mass index
for Asian populations and its implications for policy and
intervention strategies. Lancet, 2004; 363:157– 63.
27 Mittleres Übergewicht bedeutet einen BMI zwischen
35 und 39,9, schweres oder krankhaftes Übergewicht
einen BMI ≥40.
28 Calle E, Kaaks R. Overweight, obesity and cancer:
epidemiological evidence and proposed mechanisms.
Nature Reviews, 2004; 4:579 – 90.
ASA SVV Medinfo 2007/1 Der Arzt und die Lebensversicherung
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Gültigkeit der Ratings der (Rück-)Versicherer in Frage gestellt werden.
Die Anwendung von verlässlichen, evidenzbasierten Ratingrichtlinien bildet
die Grundlage für die Risikoeinschätzung durch Lebensversicherungs-Risikoprüfer. Diese Richtlinien beeinflussen den Entscheidungsfindungsprozess jedoch nicht allein. Der Markt und
die Kultur der Region, in der die Privatversicherung verkauft wird, die Annahmen der Aktuare für die Tarifierung
des Sterbe- und Erkrankungsrisikos sowie das Zusammenspiel zwischen der
Erschwinglichkeit und der Zusammensetzung des Standard-Versichertenpools haben alle einen Einfluss auf die
Entscheidung des Risikoprüfers. Auch
wenn der Wettbewerb unter den Privatversicherern eine befreiende Wirkung
hat, so bildet die Anwendung von
evidenzbasierten Ratingrichtlinien eine
gute Grundlage, erhöhte Risiken richtig
einzuschätzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Policeninhaber
nicht benachteiligt werden und dass die
Schadenserfahrung des Versicherers
seinen Erwartungen entspricht.
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