Venedig – Kanäle, Krimis und ein Kommissar
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Venedig – Kanäle, Krimis und ein Kommissar
ITALIEN Kanäle, Brücken, Kirchen, lauschige Ecken im Sestiere San Marco (l. u. o.). Aussicht auf den Canal Grande von der Terrasse des Hotel Gritti Palace. Dogenpalast (o.) und Markuskirche gehören zu den «Musts» in Venedig. Venedig – Kanäle, Krimis und ein Kommissar In der Lagunenstadt lässt sich den Spuren vieler Berühmtheiten folgen. Wir haben uns auf die Wege des Romanhelden von Donna Leon begeben und Venedig auch ganz anders erobert: mit dem Fahrrad. von Inge Jucker und Michael Hutschneker B runetti beschloss, sich im Caffè Paolin einen Espresso zu genehmigen. Die Tische standen noch draussen, aber heute sassen nur Ausländer daran, die sich verzweifelt einzureden versuchten, es sei warm genug für einen Cappuccino im Freien. Vernünftige Leute gingen nach drinnen …» Wie vernünftig ich mich in Venedig verhalten würde, sollte sich noch zeigen. Jedenfalls findet meine Reise Ende Oktober statt. Ich sitze in der Zugkomposition «Canaletto» von Cisalpino und lasse mich in aller Gemütlichkeit von Zürich in die Lagunenstadt fahren. Commissario Brunetti, der Krimiheld von Schriftstellerin Donna Leon, und die Bordküche versüssen mir die nicht ganz achtstündige Fahrt. Commissario Brunettis weltberühmte Arbeitsorte Um den Spuren Brunettis zu folgen, ist die Jahreszeit genau die richtige: Nebel hängt beinahe mystisch anmutend über den Kanälen der Stadt und verschleiert gnädig bröckelnde Fassaden. Als ich an der Questura vorbeischlendere, deutet nichts darauf hin, dass dieses Gebäude in der halben Welt als Brunettis Arbeitsplatz bekannt ist. Immerhin werden Donna Leons Krimis in 20 Sprachen übersetzt – nur nicht ins Italienische. «Ich will nicht, dass man glaubt, ich masse mir an, über mein Gastland zu urteilen», erklärt die in Venedig lebende Autorin aus Amerika. In der Questura entdeckt man auch keine Polizisten mehr, denn die sind längst umgezogen. Selbstverständlich muss ich mir auch das Theater La Venice ansehen – hier haucht Dirigent Wellauer sein Leben aus –, die Hotels Fenice und Gritti, die im gleichen Krimi vorkommen, und Fotos: Michael Hutscneker (3), Heinz Jucker (3), Gritti ALTERNATIVPROGRAMM PER FAHRRAD Es ist die schier unendliche Liste an Sehenswürdigkeiten, welche jedem Venedig-Besucher selbst die allerletzte Minute aus dem «Fahrplan» presst. Und trotzdem oder gerade deshalb könnte doch ein Alternativprogramm ins Auge gefasst werden. Wie wäre es mit einer Fahrradtour? Nein, selbstverständlich nicht im Stadtzentrum mit seinen tausenden von Treppenstufen und schmalen Gassen. Bestens geeignet für eine beschauliche Erkundungsfahrt sind die Inseln Lido und Pellestrina. Nahe der Vaporetto-Haltestelle «Lido» den Drahtesel gefasst, die Hauptstrasse «Gran Viale S.M. Elisabetta» bis ans Ende und dann südwärts am «Piazzale Casinò» vorbei geradelt, und schon passieren wir den Golfplatz Alberoni. Das ist kein Witz: In Venedig kann man auch Golf spielen! Weiter geht die Fahrt bis an den untersten Zipfel der Insel. Die kurze Überfahrt mit der Fähre eignet sich zum Entspannen der Ober- 22 rb Eine rege genutzte Fähre verbindet die Inseln Lido und Pellestrina (r.). Dank Kartenstudiums (r. M.). findet man die Bar da Anna (g. r.) und das Restaurant da Nane in San Pietro. schenkel ebenso wie zur Einstimmung auf die Insel Pellestrina. Nur wenige Minuten vom hektischen Venedig entfernt, scheint das Leben fast still zu stehen. Hier prägt das naturverbundene Leben den Alltag, und die noch auf der Insel verbliebenen Bewohner verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit dem Fischfang oder pendeln zur Arbeit in die Stadt. Weil sich selbst in den kleinen Fischerdörfern San Pietro in Volta, Portosecco oder dem unumgänglich ist die Piazza San Marco. Der Platz wird sogar um diese Jahreszeit von Touristen geradezu überschwemmt, vom Wasser, das aus den Gullis gurgelt gar nicht zu reden. Auch wenn die vielen Reisenden von den Veneziern freundlich empfangen werden, hört man sie dennoch häufig klagen, sie würden in einem riesigen Museum wohnen, das zu viele Besucher hat. Das ist – zumindest im Sommer – nicht zu bestreiten, denn Venedig ist an Einzigartigkeit nicht zu überbieten: angefangen beim ungewöhnlichen Bauplan der Stadt und der Verkehrssituation bis zur Anhäufung historischer Gebäude, die alle sehenswert sind und entsprechend frequentiert werden. Cappuccino und Gelati Zwei, drei Gassen abseits des Markusplatzes herrscht wieder die Ruhe einer «verschlafenen Provinzstadt, die nach neun oder zehn Uhr abends buchstäblich aufhört zu existieren», wie sich Brunetti ausdrückt. Ich überlege mir, was wohl schöner ist: Venedig im Sommer oder im Winter? Vielleicht ist der Frühling die beste Jahreszeit, solange sich die Touristenströme noch in Grenzen halten und das Wetter trotzdem schon sommerlich ist? Doch eigentlich ist Venedig immer eine Reise wert … Nach dem ausgedehnten Bummel durch Venedigs Gassen TIPPS Anreise Am bequemsten reist man per Bahn: Morgens in der Schweiz einsteigen und nachmittags in Venedig ankommen. Die Hin- und Rückfahrt mit dem Cisalpino kostet CHF 215.– (2. Kl.), CHF 146.– (2. Kl. Halbtax) und CHF 87.– (2. Kl. GA). Beste Reisezeit Venedig ist eine Ganzjahresdestination, in der jede Jahreszeit ihren Reiz hat. Sogar der Winter. Man muss sich nur entsprechend wind- und regenfest kleiden. Hotels Hotel Flora, San Marco (195–360 CHF pro DZ): Das familiäre DreiSterne-Hotel mit Garten im Innenhof befindet sich nur wenige Schritte vom Markusplatz entfernt (Tel. +39/041/520 58 44, www.hotel-venedig.hotelflora.it). © SGN ITALIEN Stefano, San Marco, 2962 (FR geschlossen); Trattoria Andri, Via Lepanto, 21, Lido (MO/DI geschlossen); Ristorante Da Nane, 282, S. Pietro in Volta (MO geschlossen). Hungaria Palace Hotel, Lido (ab 291 CHF pro DZ): Das Vier-SterneHaus im Neo-Renaissance-Stil liegt nur fünf Minuten von der Anlegestelle der Boote entfernt, die den Lido mit Venedigs Stadtzentrum verbinden (Tel. +39/041/242 00 60, www.hotelhungaria.com). Restaurants Osteria Oliva Nera, Castello, 3471/18 (erreichbar ab Vaporetto-Station S. Zaccaria, MI geschlossen); Sacro e Profano, San Polo, 502 (Osteria in der Nähe der RialtoBrücke); Vini da Gigio, Cannaregio, 3628/A (kleine, gemütliche Bar, MO geschlossen); Caffè Paolin, Campo Santo Buchtipps Brunettis 13. Fall, «Beweise, dass es böse ist» von Donna Leon erscheint im Juni 2005 (ISBN 3-257-06474-8, CHF 34.90). «Venedig» von Polyglott on tour (ISBN 3-493-58228-5, CHF 14.70). Veranstalter Frantour, Zürich (Tel. 044 448 28 00, www.frantour.ch); Railtour, Bern (Tel. 031 378 01 01, www.railtour.ch); FTI, Basel (Tel. 061 325 15 05, www.fti.ch). Infos ENIT, Italienisches Fremdenverkehrsamt, Zürich (Tel. 043 466 40 40, www.enit.it). ist es Zeit für einen Cappuccino – natürlich im Caffè Paolin, das auch für seine Gelati bekannt ist. Und weil sich die Sonne zeigt, beschliesse ich – ganz Touristin – draussen Platz zu nehmen. Brunetti hin oder her … INTERNETTIPPS www.turismovenezia.it www.cisalpino.com Hauptort Pellestrina der motorisierte Verkehr in engen Grenzen und ebenso engen Gassen hält, macht das stressfreie Erkunden per Velo erst richtig Spass. Venedig auf dem Drahtesel: eine ideale Alternative – auch für «Wiederholungstäter» –, die Stadt von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Das geht prima mit dem eigenen Velo, denn der Cisalpino «Canaletto» führt ein spezielles Fahrradabteil. rb 23