Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht

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Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht
Jahija Juliette
Juristische Fakultät
Universität Basel
Grosse Masterarbeit
PD Dr. iur. Peter Uebersax
Beginn der Arbeit: 15. Januar 2009
Abgabe-Datum: 15. Juli 2009
II
Inhaltsverzeichnis
I.
Einleitung
1
II.
Die Ehe und ihre migrationsrechtlichen Wirkungen
2
1.
Die Ehe im juristischen Sinn
2
2.
Migrationsrechtliche Wirkungen der Ehe
4
2.1.
Aufenthaltsrechtliche Wirkungen der Ehe
5
2.2.
Bürgerrechtswirkungen der Ehe
7
2.3.
Voraussetzungen für den Eintritt der migrationsrechtlichen
Wirkungen
8
III.
Der Rechtsmissbrauch
9
1.
Die verfassungsrechtliche Grundlage des
Rechtsmissbrauchsverbots
2.
Das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach Art. 2 Abs. 2 ZGB
3.
Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchs im Zivilrecht –
9
11
insbesondere im Eherecht
13
3.1.
Der Begriff der Scheinehe und ihre Schädlichkeit
13
3.2.
Die zivilrechtliche Gültigkeit einer Scheinehe
16
4.
Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots im öffentlichen
Recht
IV.
Der Begriff der Scheinehe beziehungsweise der
rechtsmissbräuchlichen Ehe im Migrationsrecht
1.
17
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht
(„Ausländerrechtsehe“)
1.1.
17
18
Rechtsmissbrauchsvorbehalt im Bundesgesetz über die
Ausländerinnen und Ausländer
18
1.2.
Rechtswirkungen des Rechtsmissbrauchs im Ausländerrecht
20
1.2.1.
Die Ausländerrechtsehe
20
1.2.1.1.
Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das Vorliegen
1.2.1.1.1.
einer Ausländerrechtsehe
20
Der Rechtsmissbrauch durch Eheschluss
21
1.2.1.1.1.1. Die binatonale Ausländerrechtsehe
22
1.2.1.1.1.2. Die Ausländerrechtsehe unter Ausländern
22
1.2.1.1.2.
23
Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine Ehe
III
1.2.1.2.
Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen
einer Ausländerrechtsehe
24
1.2.2.
Die Scheinehe im Freizügigkeitsabkommen
26
1.2.3.
Die Scheinehe unter dem Gesichtspunkt verfassungs- und
menschenrechtlicher Ansprüche
27
1.2.4.
Fälle aus der Praxis
29
2.
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Asylrecht
32
2.1.
Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das Vorliegen
einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Asylrecht
2.2.
32
Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen
einer Scheinehe im Asylrecht
35
2.3.
Fälle aus der Praxis
35
3.
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Einbürgerungsrecht
(„Bürgerrechtsehe“)
3.1.
35
Die frühere Regelung und die heutige Bedeutung des Begriffs
der Bürgerrechtsehe sowie deren Motive
36
3.2.
Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung
38
3.3.
Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bürgerrechtsehe
39
3.4.
Fälle aus der Praxis
41
4.
Das Erkennen einer Scheinehe als praktisches Problem
43
5.
Das Problem der einseitigen Scheinehe
47
V.
Rechtsfolgen der Scheinehe
48
1.
Zivilrechtliche Bestimmungen zur Bekämpfung von Scheinehen
im Ausländerrecht
1.1.
49
Verweigerung der Trauung nach Art. 97a ZGB als präventive
Massnahme
49
1.1.1.
Allgemeines
49
1.1.2.
Praktische Relevanz des Art. 97a ZGB
50
1.2.
Auflösung der Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB
51
1.3.
Entfallen des Kindsverhältnisses ex lege nach Art. 109 Abs. 3
ZGB als Folge der Eheungültigkeit
1.3.1.
1.3.2.
52
Rückwirkende Aufhebung der Vaterschaftsvermutung bei
Ungültigerklärung der Ehe
52
Kritik
53
IV
2.
Strafrechtliche Folgen des AuG
2.1.
Strafe nach Art. 118 Abs. 1 AuG bei Täuschungshandlungen
gegenüber den Behörden
2.2.
54
54
Strafe nach Art. 118 Abs. 2 AuG bei Täuschungshandlungen
zur Umgehung der Aufenthaltsvorschriften
55
2.3.
Strafe nach Art. 118 Abs. 3 AuG
55
3.
Ausländerrechtliche Folgen
56
3.1.
Erlöschen des Anspruchs auf Nachzug des Ehegatten nach
Art. 51 AuG
3.1.1.
56
Erlöschen des ausländerrechtlichen Bewilligungsanspruchs
und Nichtverlängerung der Bewilligung
56
3.1.2.
Widerruf der Bewilligung gemäss Art. 62 und 63 AuG
58
3.2.
Ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG als Folge einer
verweigerten, widerrufenen oder nicht verlängerten Bewilligung
59
4.
Asylrechtliche Folgen
59
4.1.
Erlöschen des Anspruchs auf Familienasyl beziehungsweise
Erlöschen der Möglichkeit auf vorläufige Aufnahme
4.2.
60
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Widerruf des
Asyls gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AsylG
60
4.3.
Wegweisung nach Art. 44ff. AsylG
61
5.
Bürgerrechtliche Folgen
61
5.1.
Nichtigerklärung der (erleichterten) Einbürgerung
61
5.2.
Folgen der Nichtigerklärung
62
VI.
Aktuelle Diskussion weiterer Massnahmen zur Bekämpfung
von Scheinehen
64
1.
Geplante Massnahmen des Nationalrates
64
2.
Würdigung
65
VII.
Fazit
67
V
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XIII
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1950 (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK), SR 0.101
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Parlamentarische Initiative 06.414, eingereicht von LUSTENBERGER RUEDI (Änderung
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Stellungnahme
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des Bürgerrechtsgesetzes: Fristausdehnung für die Nichtigerklärung) vom 30. Januar
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30. September 2007
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durch die Zivilstandsbeamtin oder den Zivilstandsbeamten, Beurkundung von
Ungültigerklärungen, Anerkennung und Eintragung ausländischer Eheschliessungen
und Partnerschaften) vom 5. Dezember 2007
XV
Abkürzungen
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom 1. Juni
1811
Abs.
Absatz/Absätze
a.M.
anderer Meinung
ANAG
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer
vom 26. März 1931 (nicht mehr in Kraft)
Anm.
Anmerkung
Art.
Artikel
AsylG
Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31
Aufl.
Auflage
AuG
Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16.
Dezember 2005, SR 142.20
BaZ
Basler Zeitung
BBl
Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft
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Bemerkungen
BG
Bundesgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18.
August 1996
BGE
Bundesgerichtsentscheid (Amtliche Sammlung)
BüG
Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer
Bürgerrechts vom 29. September 1952 (Bürgerrechtsgesetz), SR
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Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
18. April 1999, SR 101
BVerwGer
Bundesverwaltungsgericht
bzw.
beziehungsweise
CC
Code Civil français vom 21. März 1804
d.h.
das heisst
Diss.
Dissertation
DJS
Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz
E.
Erwägung
EAZW
Eidgenössisches Amt für das Zivilstandswesen
XVI
EFTA
European Free Trade Association/Europäische
Freihandelsassoziation
EG
Europäische Gemeinschaft
EKFF
Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen
EMRK
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten vom 4. November 1974 (Europäische
Menschenrechtskonvention), SR 0.101
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
f., ff.
folgende Seite/Seiten
FamPra.ch
Die Praxis des Familienrechts
Fn.
Fussnote
FZA
Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft
einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni
1999, SR 0.142.112.681
Hrsg.
Herausgeber
i.V.m.
in Verbindung mit
lit.
litera (Buchstabe)
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
Rn.
Randnote
S.
Seite
SFH
Schweizerische Flüchtlingshilfe
SR
Systematische Sammlung des Bundesrechts
u.a.
unter anderem
UNO
United Nations Organisation/Organisation der Vereinten
Nationen
UNO-Pakt II
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom
16. Dezember 1966, SR 0.103.2
vgl.
vergleiche
VZAE
Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit
vom 24. Oktober 2007, SR 142.201
ZEMIS
Zentrales Migrationsinformationssystem
XVII
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR
210
Ziff.
Ziffer
zit.
zitiert
ZZW
Zeitschrift für Zivilstandswesen
1
I.
Einleitung
Zu Beginn dieses Jahres sorgte ein durchaus spektakulärer Fall für Aufsehen.
Die Medien1 berichteten von einer Kosovo-Albanerin, welche im Laufe von elf
Jahren vier Männer aus einem Dorf im Kosovo ehelichte, die teilweise
miteinander verwandt waren. Im Falle der dritten Eheschliessung wurde dem
Ehemann die schweizerische Staatsangehörigkeit, die er durch erleichterte
Einbürgerung erworben hatte, wieder entzogen. Der Grund: Vorliegen einer
Scheinehe. Deren Konsequenz: Nichtigerklärung der Einbürgerung2.
Solche und ähnliche Sachverhalte (womöglich weniger bizarr) sind Thema
langwieriger Diskussionen und beschäftigen die Gesellschaft tagtäglich. Wo
früher hauptsächlich die Bürgerrechtsehe die Aufmerksamkeit der Behörden
und
Gerichte
einforderte,
hat
gegenwärtig
insbesondere
die
rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht an Bedeutung gewonnen. Da die
Thematik des Rechtsmissbrauchs zum Dauerthema geworden ist, entsteht nicht
selten der Eindruck eines gewissen „Generalverdachts“ bei der Behandlung von
binationalen Ehen. Die Beurteilung einer rechtsmissbräuchlichen Ehe erfordert
von den zuständigen Behörden enorm viel Feingefühl und das stete
Bewusstsein, dass sie letztlich über so etwas Privates wie „die Liebe“
entscheiden.
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich einen Einblick in die Thematik des
Rechtsmissbrauchs im Zusammenhang mit migrationsrechtlichen Scheinehen
geben und die gegenwärtige Praxis bezüglich der Bekämpfung von Scheinehen
im Bereich des nationalen Rechts diskutieren. Fragen, die das internationale
Recht betreffen, werden nur am Rande behandelt. Dabei geht es vor allem um
einzelne menschenrechtliche Aspekte, insbesondere um die Anforderungen des
Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention3 in Verbindung mit den
ausländerrechtlichen Nachzugsbestimmungen und die Frage der Vereinbarkeit
des Art. 8 EMRK mit der Konzeption des Rechtsmissbrauchsverbots. Im
Wesentlichen soll aufgezeigt werden, welcher grundlegende Zusammenhang
1
2
3
Vgl. beispielsweise 20 Minuten online vom 21. Januar 2009: Einsehbar unter
http://www.20min.ch/news/schweiz/story/12213941 (zuletzt besucht am 07.06.2009).
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-1157/2006 vom 22. Dezember 2008.
Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
SR 0.101.
2
zwischen der oben genannten menschenrechtlichen Garantie und der Thematik
der ausländerrechtlichen Scheinehe besteht.
Zu Beginn der Arbeit werden die Ehe und ihre migrationsrechtlichen Wirkungen
aufgezeigt. Das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie der Begriff
der Scheinehe sind Thema des darauf folgenden Kapitels. Weitergehend folgt
eine Differenzierung der Scheinehen in den verschiedenen Rechtsgebieten des
Migrationsrechts. Das fünfte Kapitel befasst sich sodann mit den Rechtsfolgen,
insbesondere auch mit den neu in Kraft getretenen Bestimmungen. Schliesslich
werden die aktuelle Diskussion im Hinblick auf die geplanten Massnahmen zur
Bekämpfung von Scheinehen beleuchtet und die vorgesehenen Änderungen
erörtert.
II.
Die Ehe und ihre migrationsrechtlichen
Wirkungen
1.
Die Ehe im juristischen Sinn
Art. 14 der Schweizerischen Bundesverfassung4 garantiert das Recht zur
Eheschliessung. Dies bedeutet, dass jeder mündige Erwachsene die Freiheit
hat, selber zu entscheiden, ob, bzw. wen er heiraten möchte, wobei auch die
Zwangsverheiratung verboten ist5. Dem Bundesgericht zufolge gewährleistet
Art. 14 BV auch die Ehe als Institut. Ihre Bedeutung allerdings hat sich im Laufe
der Zeit erheblich verändert. Die Ausgestaltung des Instituts muss deshalb
immer wieder den gegenwärtigen Wertvorstellungen und der gesellschaftlichen
Realität angepasst und den Erfordernissen von Minoritäten muss Rechnung
getragen werden6. Während die Ehe früher noch Voraussetzung und
Legitimationsbasis für eine sexuelle Verbindung und Kinder war, weist das
Institut heute keinerlei Funktionen mehr zu7. Im BGE 119 II 264 wird die Ehe als
„das auf Dauer angelegte Zusammenleben von Mann und Frau in einer
4
5
6
7
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101.
MÜLLER/SCHEFER, S. 225ff.; RHINOW/SCHEFER, Rn. 1412ff.; BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 1ff.
Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft
gleichgeschlechtlicher Paare wurde für die Bedürfnisse gleichgeschlechtlicher
Gemeinschaften ein eigenes Rechtsinstitut geschaffen. Die Schweiz kennt, im Gegensatz zu
einigen anderen Staaten, die gleichgeschlechtliche Ehe nicht. MÜLLER/SCHEFER, S. 229f.;
BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 9; RHINOW /SCHEFER, Rn. 1417ff.
http://rwiweb.uzh.ch/elt/famr/begruendungehe/de/html/index.html (zuletzt besucht am
05.04.2009).
3
umfassenden Lebensgemeinschaft“ 8 verstanden. In der Ehegemeinschaft ist es
Aufgabe beider Partner zu kooperieren, gemeinsam die Kinder zu betreuen und
einander Treue und Beistand gemäss Art. 159 ZGB9 zu leisten. Dem
Gesetzgeber obliegt nur die verfassungsrechtliche Aufgabe, das Verfahren des
Eheschlusses, die Ausgestaltung der Ehe in Grundzügen und deren Aufhebung
zu regeln. Hingegen unterliegt die konkrete Verteilung der Aufgaben der
Regelungsfreiheit der gleichberechtigten Ehepartner. Aus dem Recht auf Ehe
geht folglich kein entsprechendes eheliches Leitbild hervor. Das Institut der Ehe
nimmt, wie bereits oben erwähnt, keine besonderen Funktionszuweisungen
mehr vor10. Eine Ehe wird heute nicht mehr zwingend als Geschlechts-, Wohnoder
Wirtschaftsgemeinschaft
aufgefasst
und
kann
deshalb
von
den
Ehepartnern frei definiert werden. Das ursprüngliche Eheideal macht einem
persönlich geprägten, lockeren Partnerschaftsverständnis Platz11. Dennoch
bleibt der Ehe ihre staatliche Garantie und Legitimation und ihre Privilegierung
als Verbindung von Mann und Frau gegenüber anderen Lebensformen12
erhalten.
Art. 14 BV13 sowie Art. 12 EMRK14 und Art. 23 UNO-Pakt II15 schützen neben
der
Freiheit
zur
Eheschliessung
und
dem
erwähnten
institutionellen
Gesichtspunkt auch das Recht, eine Familie zu gründen. Art. 8 EMRK spricht
von der „Achtung des Familienlebens“ und schützt wie Art. 13 BV16 und Art. 23
des UNO-Paktes II das Leben in Ehe und Familie. Nebenbei sei bemerkt, dass
die jetzige Verfassung das Recht auf Ehe und Familie und den Anspruch auf
8
9
10
11
12
13
14
15
16
BGE 119 II 264, E. 4b (Gleichgeschlechtliche Partnerschaften).
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210.
http://rwiweb.uzh.ch/elt/famr/wirkungehe/de/html/index.html (zuletzt besucht am
05.04.2009).
Vgl. KELLER, S. 27. Veränderungen im Verständnis des Ehebegriffs waren bereits in den
1980er Jahren ein Thema.
So ist das Institut der Ehe auf traditionelle Paare ausgerichtet. Die Ehefreiheit schützt nach
heute herrschender Auffassung keine gleichgeschlechtlichen Lebensformen. Deshalb
erscheint die Ehe zwischen gemischtgeschlechtlichen bzw. heterogeschlechtlichen Paaren
immer noch als Privilegierung zu anderen Formen des Zusammenlebens.
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden vom Schutzbereich des Rechts auf Achtung
des Privatlebens erfasst. Vgl. dazu BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 2; RHINOW /SCHEFER, Rn.
1417ff.; BGE 119 II 264, E. 3 und 4b sowie BGE 126 II 425.
BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 1ff.
Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
SR 0.101.
Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte, SR
0.103.2.
Vgl. dazu MÜLLER/SCHEFER, S. 234ff. und RHINOW/SCHEFER, Rn. 1358ff.
4
Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert, währenddem die frühere
Bundesverfassung nicht alle diese Bestimmungen kannte und die EMRK somit
die Lücke im nationalen Recht schloss. Schutzbereich des Art. 8 EMRK ist die
tatsächlich gelebte, nahe und echte Lebensgemeinschaft, welche eine gewisse
Konstanz verlangt17. Insofern muss eine qualifizierte Beziehung vorliegen.
Hinweis für eine solche Beziehung kann der gemeinsame Haushalt sein,
welcher nach einer Trennung oder Scheidung nicht mehr besteht18.
Die Begründung der Ehe19 ist im Zivilgesetzbuch geregelt. Die Zivilehe wird
definiert als „die mit rechtlicher Wirksamkeit durch Konsenserklärung der
Brautleute
vor
einem
staatlichen
Beamten
(Standesbeamten,
Zivilstandesbeamten) eingegangene Ehe“20. An die Ehe werden zahlreiche
Rechtsfolgen innerhalb und ausserhalb des Zivilrechts geknüpft. Auf einige
rechtliche Wirkungen, insbesondere im Bereich des Migrationsrechts, wird in
den folgenden Kapiteln dieser Arbeit umfassend eingegangen.
2.
Migrationsrechtliche Wirkungen der Ehe
Eine (Zivil)Ehe zieht nicht nur zivilrechtliche Wirkungen mit sich, sondern
entfaltet je nach Fallkonstellation auch im Gebiet des Migrationsrechts seine
Wirkungen. Die Stellung eines Ausländers in Verbindung mit eherechtlichen
Entscheidungen führt zur Anwendung spezieller Rechtsgrundlagen21.
Das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK und Art. 13/14 BV) garantiert, dass
Familienmitglieder
nicht
durch
Staatsgrenzen
oder
ausländerrechtliche
Bestimmungen getrennt werden22. Dementsprechend nimmt diese Garantie
eine zentrale Bedeutung im schweizerischen Migrationsrecht ein. Für die
Position
17
18
19
20
21
22
einer
ausländischen
Person
ist
der
Bestand
der
Ehe
ein
VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.;
insbesondere auch GRABENWARTER, 204ff.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 428ff..
Vgl. VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74.
Gemeint sind Voraussetzungen, Form und Verfahren der Eheschliessung.
Definition unter https://peter-hug.ch/lexikon/zivilehe (zuletzt besucht am 05.04.2009).
Darunter fallen das AuG, das FZA, das AsylG sowie das BüG.
Ausführlich dazu MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff.; RHINOW/SCHEFER, Rn. 1363ff.; BREITENMOSER
zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 25; BIAGGINI zu Art. 13 BV, Rn. 7; CARONI, S. 278ff.;
GRABENWARTER, S. 212 und 223ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 576ff.; VILLIGER,
EMRK und UNO-Menschenrechtspakte, S. 655; PETERS, S. 165ff.; SCHILLING, S. 95ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 415ff..
5
„konstituierendes Merkmal“23. Sie vermittelt ausländerrechtliche Vorteile.
Bekanntermassen beeinflusst die Ehe mit einem Schweizer oder einem
niedergelassenen bzw. aufenthaltsberechtigten Ausländer den Status des
ausländischen
Ehegatten.
An
die
Ehe
ist
also
regelmässig
eine
ausländerrechtliche Besserstellung gebunden24. Ebenfalls tangiert wird der
Status der gemeinsamen Kinder, was allerdings nicht Thema der Arbeit ist und
deshalb nicht weiter vertieft wird.
Die Anknüpfung an ein solch formales Kriterium der Ehe scheint nicht immer
befriedigend, denn neben der Möglichkeit zum Missbrauch wird auch den
tatsächlichen Verhältnissen zu wenig Rechnung getragen. Auf die Problematik
des Rechtsmissbrauchs wird weiter unten ausführlich eingegangen.
2.1.
Aufenthaltsrechtliche Wirkungen der Ehe
Durch die Ehe mit einem Schweizer Bürger oder einem in der Schweiz
anwesenheitsberechtigtem
Ausländer
kann
auch
der
Status
des
nachzuziehenden Ehegatten beeinflusst werden, sofern dieser nicht einen
originären Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hat25. Bevor
also die eherechtlichen Aufenthaltswirkungen eintreten, muss geprüft werden,
ob dem nachzuziehenden Ehegatten abgesehen von der Ehe eine originäre
Aufenthaltsbewilligung zusteht. Erst wenn dies nicht der Fall ist, kann geprüft
werden, ob dem nachzuziehenden Ehegatten aufgrund der Ehe mit einem
Schweizer bzw. einem anwesenheitsberechtigtem Ausländer ein bestimmter
Aufenthaltstitel erteilt werden muss. Der Vorteil für den nachzuziehenden
Ehegatten liegt also darin, dass diesem, auch wenn kein Anspruch auf eine
originäre Aufenthaltsbewilligung besteht, dennoch, je nach Status des in der
Schweiz lebenden Ehegatten, ein Aufenthaltsstatus zugebilligt wird26. Wird dem
nachzuziehenden Ehegatten der Aufenthalt in der Schweiz verweigert, so muss
diese Entscheidung vor Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV27 standhalten.
Rechtsgrundlage für den Ehegattennachzug bildet das AuG28, sofern keine
anderen
23
24
25
26
27
28
Bestimmungen
des
Bundesrechts
oder
von
der
Schweiz
GÖKSU, S. 4.
GÖKSU, S. 8.
Vgl. GEISER/ BUSSLINGER, Rn. 14.50.
GÖKSU, S. 8.
Weiterführend Kapitel IV.1.2.3.
Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005, SR 142.20.
6
abgeschlossene völkerrechtliche Verträge zur Anwendung gelangen29. Sofern
das
AuG
keine
günstigeren
Bestimmungen
vorsieht,
können
sich
Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EGStaatsangehörige)
gemäss
Art.
2
Abs.
2
AuG
auf
das
Freizügigkeitsabkommen30 und Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der
Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Staatsangehörige) gemäss Art. 2
Abs. 3 AuG auf die Änderung des EFTA-Übereinkommens31 berufen. Des
Weiteren lassen sich auch im Asylgesetz32 und in der Verordnung über
Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit33 Bestimmungen über den Nachzug
bzw. Aufenthalt von Ehegatten finden.
Wie bereits im ersten Abschnitt dieses Kapitels angedeutet, steht dem
nachzuziehenden
Ehegatten
ein
von
Fall
zu
Fall
unterschiedlicher
Aufenthaltsstatus nach der Einreise zu, je nachdem über welchen Status der in
der
Schweiz
lebende
Aufenthaltsbewilligung
Niederlassungsbewilligung
Ehegatte
und
verfügt.
Einen
Anspruch
auf
nach
einem
Anspruch
auf
Erteilung
ordnungsgemässen
eine
einer
und
ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren haben zunächst Ehegatten von
Schweizern
und
Niedergelassenen,
sowie
von
EG-
und
EFTA-
Staatsangehörigen nach Art. 42 und 43 AuG. Erwähnenswert scheint hier, dass
beim Nachzug von Ehepartnern aus einem Drittstaat34 auch für EG- und EFTAStaatsbürger, die in der Schweiz aufenthaltsberechtigt sind, die Bestimmungen
des AuG Anwendung finden, da das Freizügigkeitsabkommen nur bei
rechtmässigem Aufenthalt des nachzuziehenden Ehegatten innerhalb des EURaums
29
30
31
32
33
34
35
zur
Geltung
kommt35.
Ehegatten
von
Aufenthalts-
oder
Vgl. Art. 2 AuG (Geltungsbereich).
Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
vom 21. Juni 1999, SR 0.142.112.681.
Übereinkommen zur Einrichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) in der
konsolidierten Fassung des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001, SR 0.632.31,
insbesondere Anhang K – Anlage I, wobei die Normen in Anhang K – Anlage I des EFTA
Übereinkommens identisch mit denjenigen des Freizügigkeitsabkommens sind und deshalb
nachfolgend nur auf das Freizügigkeitsabkommen verwiesen wird.
Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31.
Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 (VZAE),
SR 142.201.
Staat, welcher kein Mitgliedstaat der EG oder EFTA ist.
Weitere Ausführungen dazu bei SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1ff. zu Art. 42
AuG und Rn. 1ff. zu Art. 43 AuG. Weiterführend BGE 130 II 1, E. 3.6 (Grundsatzurteil) und
EuGH-Urteil vom 23.09.2003 in der Rechtssache C-109/01, Akrich, sowie EuGH-Urteil vom
7
Kurzaufenthaltsberechtigten
kann
eine
Aufenthalts-
oder
Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt werden (Art. 44 und 45 AuG). Es besteht
demzufolge kein Anspruch darauf. Die Erteilung einer solchen Bewilligung liegt
vielmehr im Ermessen der Migrationsbehörden36, wobei unter anderem immer
die Schranke des Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV beachtet werden muss.
Nebenbei bemerkt gelten die Bestimmungen über den Ehegattennachzug
gemäss Art. 52 AuG sinngemäss auch für gleichgeschlechtliche Paare, die in
eingetragener Partnerschaft leben.
Durch die Ehe mit einem Schweizer oder einem aufenthaltsberechtigtem
Ausländer
kommt
ausländerrechtlicher
Familiennachzugs,
ein
ausländischer
Bestimmungen
allerdings
Ehepartner
zwar
werden
in
dadurch
aufgrund
den
diverser
Genuss
auch
des
zahlreiche
Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet37.
2.2.
Bürgerrechtswirkungen der Ehe
Die Ehe mit einem Schweizer zieht nicht nur ausländerrechtliche Wirkungen mit
sich, sondern hat auch bürgerrechtlich gewisse Vorteile, obwohl damit
keinesfalls mehr der automatische Bürgerrechtserwerb verbunden ist. Dennoch
vermitteln Art. 27 und Art. 28 BüG38 dem ausländischen Ehegatten eines
Schweizer Bürgers nach gewisser Dauer der Ehe und Anwesenheit in der
Schweiz den Anspruch auf erleichterte Einbürgerung. Dem ausländischen
Ehegatten steht also nach einiger Zeit das Schweizer Bürgerrecht zu, sofern die
Voraussetzungen erfüllt sind. Der betroffene Ausländer muss dabei nicht das
ordentliche Einbürgerungsverfahren nach Art. 12 ff. BüG durchlaufen, sondern
kann die Vorteile der Art. 27f. BüG in Anspruch nehmen. Einerseits erfolgt so
der Bürgerrechtserwerb durch die ausländische Person um einiges früher,
andererseits bleibt ihr der enorme zeitliche und bürokratische Aufwand erspart.
Wie das Wort „erleichterte Einbürgerung“ bereits sagt, wird das Verfahren im
Vergleich zum ordentlichen Verfahren enorm erleichtert bzw. verkürzt. Auf die
Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung wird im Kapitel IV detailliert
36
37
38
09.01.2007 in der Rechtssache C-1/05, Jia (EuGRZ 2007, 194ff.) und neu auch EuGH-Urteil
vom 25.07.2008 in der Rechtssache C-127/08, Metock.
Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.52.
Siehe verschiedene Missbrauchskonstellationen in Kapitel IV.
Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer
Bürgerrechts (Bürgerrechtsgesetz), SR 141.0.
8
eingegangen. Folglich wird mit der erleichterten Einbürgerung die betroffene
Person im Vergleich zu anderen Ausländern dahingehend privilegiert, dass die
Wohnsitzverhältnisse enorm gelockert werden und für sie ein Anspruch auf
Einbürgerung besteht39.
2.3.
Voraussetzungen
für
den
Eintritt
der
migrationsrechtlichen Wirkungen
Damit sowohl die aufenthaltsrechtlichen als auch die bürgerrechtlichen
Wirkungen einer Ehe den ausländischen Ehegatten privilegieren, ist die Ehe an
sich zwar notwendige, aber nicht mehr hinreichende Voraussetzung. In der
Lehre40 wird diesbezüglich von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Die
Bestimmungen
Bestehen
einer
Ausländergesetzes41 verlangen
des neuen
Formal-
auch
das
Bestehen
einer
neben
dem
Realbeziehung42.
Regelmässige Voraussetzung ist also der Bestand einer gültigen Ehe. Für eine
solche genügt das Vorliegen eines Konkubinates nicht. Die Bedeutung der
Formalbeziehung im Hinblick auf den Status des ausländischen Ehegatten hat
immer öfter Anlass zur Befürchtung gegeben, dass ausländische Personen eine
Ehe aus migrationsrechtlichen Beweggründen nur zum Schein schliessen, also
eine Scheinehe eingehen43.
Neben dem Bestehen einer gültigen Ehe setzt der Eintritt der entsprechenden
Rechte eine „tatsächlich gelebte eheliche Beziehung und den entsprechenden
Ehewillen“44, eine sogenannte Realbeziehung, voraus. Grundsätzlich verlangt
das
Ausländergesetz
als
Bedingung
des
Nachzugsrechts
ein
Zusammenwohnen der Ehegatten45. Das Erfordernis des tatsächlichen
Zusammenlebens besteht gemäss Art. 49 AuG nur dann nicht, wenn für
getrennte Wohnsitze wichtige Gründe geltend gemacht werden und die
39
40
41
42
43
44
45
GÖKSU, S. 10.
GÖKSU, S. 6.
Art. 42 ff. AuG.
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34f.
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34.
Vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März
2002, SR 02.024, BBl 2002, S. 3709ff.
Art. 42-45 AuG. Das Erfordernis des Zusammenlebens gilt seit der Revision des
Ausländergesetzes auch für Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern (Art. 41 Abs. 1
AuG), es sei denn der nachgezogene Ehegatte ist im Besitze einer dauerhaften
Aufenthaltsbewilligung eines Staates, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen
wurde (Art. 42 Abs. 2 AuG).
9
Familien- bzw. Ehegemeinschaft weiter besteht. Der Ehewille kann trotz
getrennter Wohnorte ohne weiteres fortbestehen46. Obwohl durch diese
zusätzliche Voraussetzung eine Annäherung an das internationale Recht,
sprich Art. 8 EMRK, dessen Schutzgegenstand eine nahe, echte und
tatsächlich gelebte und insofern qualifizierte Beziehung zwischen zwei
Personen47 ist, stattgefunden hat, reicht die Garantie der EMRK dennoch
weiter, da sie auch die nichtehelichen Beziehungen48 schützt49. Auch das BüG
verlangt neben dem Bestand der Ehe für die erleichterte Einbürgerung
beispielsweise in Art. 27 Abs. 1 lit. c, dass eine eheliche Gemeinschaft
tatsächlich
gelebt
wird,
also
eine
Realbeziehung
besteht.
Ziel
des
Gesetzgebers war es, mit dem Grundsatz des Zusammenwohnens der
Ehegatten
bzw.
der
Anforderung
des
gemeinsamen
Wohnsitzes
die
Missbräuche im Rahmen der migrationsrechtlichen Ehen zu bekämpfen50.
III.
Der Rechtmissbrauch
1.
Die
verfassungsrechtliche
Grundlage
des
Rechtsmissbrauchsverbots
Ursprünglich existierte das Verbot des Rechtsmissbrauchs als allgemein
geltendes Rechtsprinzip auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 ZGB, wonach der
offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz findet. Insofern war es
ein
Rechtsinstitut
des
Privatrechts51.
Inzwischen
ist
das
Rechtsmissbrauchsverbot, als Teilgehalt des Grundsatzes von Treu und
46
47
48
49
50
51
Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 49 AuG. Wichtige Gründe für
getrennte Wohnsitze sind gemäss Botschaft (S. 3753) berufliche Gründe, häusliche Gewalt,
ernsthafte eheliche Probleme. Solange die häusliche Trennung nur vorübergehender Natur
ist, muss von einer weiter bestehenden Lebensgemeinschaft ausgegangen werden.
Vgl. GÖKSU, S. 5. Eingehend zum Schutzbereich dieser Bestimmung GRABENWARTER, S.
204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff.
Gemeint sind aussereheliche verschiedengeschlechtliche Beziehungen und homosexuelle
Partnerschaften.
Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34; GÖKSU, in: FamPra.ch 2003, S. 6; GRABENWARTER, S.
204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff.
Vgl. Bericht der Expertenkommission zum Entwurf für ein Bundesgesetz für Ausländerinnen
und Ausländer vom Juni 2000, S. 19ff.
KOTTUSCH, S. 426; UEBERSAX, S. 4.
10
Glauben52, in Art. 5 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung verankert.
Die verfassungsrechtliche Bestimmung verpflichtet staatliche Organe und
Private nach Treu und Glauben zu handeln, was auch die Verpflichtung
umfasst, seine Rechte nicht zu missbrauchen53. Im Gegensatz zu Art. 9 BV54
zwingt das Rechtsmissbrauchsverbot in Art. 5 Abs. 3 BV sowohl Private als
auch staatliche Behörden, ihre Rechte und Pflichten im Sinne des Gesetzes
auszuüben. Dementsprechend findet der Rechtsgrundsatz sowohl unter
Privaten als auch im Verkehr unter staatlichen Organen bzw. Gemeinwesen
unmittelbar
insbesondere
Anwendung55.
die
Das
zweckwidrige
Rechtsmissbrauchsverbot
Verwendung
eines
untersagt
Rechtsinstituts
zur
Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will56.
Allerdings ist der Rechtsmissbrauch nur dann verboten, wenn er offenbar ist,
was bedeutet, dass nur ein „krass stossendes Verhalten“ rechtsmissbräuchlich
ist57. Erst wenn ein schutzwürdiges Interesse gänzlich fehlt, kommt das
Rechtsmissbrauchsverbot zur Anwendung. Für die Wahrnehmung der eigenen
Rechte ist folglich ein „geringfügiges, aber legitimes und zweckkonformes
Interesse“58 ausreichend.
Bei der Figur des Rechtsmissbrauchs handelt es sich Literaturmeinungen59
zufolge
um
einen
Korrekturmechanismus,
der
nicht
schutzwürdige
Rechtsfolgen, die sich bei der Anwendung des Rechts ergeben, verhindert.
Dies
bedeutet,
dass
das
Rechtsmissbrauchsverbot
bei
stossenden
Ergebnissen, die als Folge einer schematischen Anwendung des Gesetzes
entstehen, eine gewisse Einzelfallgerechtigkeit herstellt60.
52
53
54
55
56
57
58
59
60
BGE 110 Ib 332, E. 3a; vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 715 und
HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rn. 824; a.M. GÄCHTER, S. 186 und 304f., der die Auffassung
vertritt, dass das Rechtsmissbrauchsverbot nur in ganz bestimmten Teilaspekten auf die
Verfassung gestützt werden kann und die zweckwidrige Verwendung eines Rechts und die
Gesetzesumgehung ein Problem der Auslegung sind.
UEBERSAX, S. 5.
Art. 9 BV garantiert den grundrechtlichen Schutz auf Wahrung von Treu und Glauben durch
den Staat und vermittelt so einen Anspruch gegen staatliche Behörden. Dazu
HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 627.
HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 717; HANGARTNER zu Art. 5 Abs. 3 BV, Rn. 41f.; BIAGGINI zu
Art. 5 BV, Rn. 24f.
BGE 110 Ib 332, E. 3a; BGE 131 I 166, E. 6.1; BGE 112 II 5, E. 3a; BGE 128 II 145, E. 2.2.
UEBERSAX, S. 6.
UEBERSAX, S. 6.
UEBERSAX, S. 4; MADER, S. 81f.
UEBERSAX, S. 4.
11
Die Verfassung ist also insofern Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots.
Indem Art. 2 Abs. 2 ZGB auch künftig noch zur näheren Definition der
Rechtsfigur herangezogen wird, wird sein Geltungsbereich noch immer sehr
stark von dieser Gesetzesnorm mit beeinflusst61.
2.
Das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach Art. 2
Abs. 2 ZGB
Im
Hinblick
auf
Missbrauchsverbots
die
bei
nicht
der
geringe
Bedeutung
Auslegung
des
des
zivilrechtlichen
verfassungsrechtlichen
Rechtsmissbrauchsverbots, wird das Augenmerk in diesem Kapitel auf Art. 2
Abs. 2 ZGB gerichtet.
Im schweizerischen Recht gibt es keine allgemein anerkannte Definition des
Rechtsmissbrauchs. Und dennoch wird der Rechtsmissbrauch nicht oft als
positivrechtlicher Begriff so ausdrücklich verankert, wie in Art. 2 Abs. 2 des
Schweizerischen Zivilgesetzbuches62. Dementsprechend ergibt sich das Prinzip
des
Rechtsmissbrauchsverbots
in
der
schweizerischen
Rechtsordnung
unmittelbar aus dem geschriebenen Recht. Folglich bildet Art. 2 Abs. 2 ZGB
eine Art „Grundnorm“ des Rechtsmissbrauchsgedankens63. Im ausländischen
Recht64 erfolgt häufig keine solch präzise tatbestandliche Ausformulierung,
weshalb sich oft eine Anzahl von Normen finden lässt, die sich bereits auf
Einzelfälle des Rechtsmissbrauchs beziehen65 66.
Art. 2 Abs. 2 ZGB verlangt, dass dem offenbaren Rechtsmissbrauch der
Rechtsschutz versagt wird. Der Zweck der Norm liegt in der Verhinderung von
Rechtsansprüchen, die nicht dem Schutz der berechtigten Interessen dienen
61
62
63
64
65
66
UEBERSAX, S. 5.
„Der offenbare Missbrauch eines Rechts findet keinen Rechtsschutz“.
MADER, S. 80.
Beispielsweise deutsches Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), französischer Code Civil (CC)
oder auch österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB).
Zwar findet man in § 226 des deutschen BGB die Aussage: „Die Ausübung eines Rechtes ist
unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen“.
Allerdings ist diese Formulierung zu eng und hat deshalb kaum praktische Relevanz.
Dennoch hat sich aus § 242 BGB, der den Grundsatz von Treu und Glauben ausdrücklich
verankert, ein allgemeines (mittelbares) Rechtsmissbrauchsverbot entwickelt, das eine
allgemeine Schrankenfunktion hat. In Frankreich und Österreich fehlen entsprechende
Anordnungen zur missbräuchlichen Rechtsausübung gänzlich. Weiterführend MADER, S.
77ff.
MADER, S. 76f.
12
und deren Befriedigung berechtigte Interessen verletzen würden67. Fehlt also
ein
berechtigtes
Rechtsschutzinteresse,
so
können
auch
keine
68
Rechtsansprüche geltend gemacht werden . Zur Anwendung gelangt Art. 2
Abs.
2
ZGB
bzw.
dessen
Rechtsfolge
in
Fällen,
in
denen
eine
Zweckentfremdung von Rechtsinstituten stattfindet, wo also ein Rechtsinstitut
zu Zwecken verwendet wird, die es nicht schützen will69 bzw. wo ein
„Widerspruch“ bei der Ausübung des Rechts (Rechtsanwendung) „zu
bestimmten Wertungen, die in der Rechtsordnung erkennbar vorhanden sind“,
besteht70. In der Literatur werden derartige Sachverhalte als missbräuchliche
bzw. zweckwidrige Rechtsausübung oder als Institutsmissbrauch bezeichnet71.
Die Lehre vom Rechtsmissbrauch will bei der Anwendung generell abstrakter
Gesetze eine gewisse Einzelfallgerechtigkeit herstellen, indem ungerechte
Ergebnisse
korrigiert
werden.
Die
herrschende
Lehre
spricht
im
Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 ZGB von einer normberichtigenden
Funktion72. Allerdings dürfen sowohl die Kontrolle als auch die Korrektur der
Rechtsausübung nicht unbillig oder ungerecht erfolgen. Der Gesetzgeber trägt
dem dadurch Rechnung, dass der gerichtliche Schutz nur dem offenbaren
Rechtsmissbrauch versagt wird. Der bundesgerichtlichen Rechtssprechung
zufolge muss der Missbrauch „klar zutage liegen“73, was bedeutet, dass er „in
die Augen springend, unzweifelhaft“74 sein muss. Rechtsfolge dieses
offenbaren Rechtsmissbrauchs ist gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB wie bereits oben
erwähnt, dass kein Rechtsschutz gewährt wird.
Anzumerken bleibt, dass Art. 2 Abs. 2 ZGB als privatrechtliche Norm eine
Doppelfunktion innehat und auch im öffentlich-rechtlichen Bereich Anwendung
findet75.
67
68
69
70
71
72
73
74
75
MADER, S. 83f.
BGE 108 II 165, E. 3.
Ausführlich dazu KELLER, S. 1ff.
MADER, S. 83.
HONSELL zu Art. 2 ZGB, Rn. 51.
TUOR/SCHNYDER/SCHMID, S. 57f., Rn. 13.
BGE 98 II 138, E. 3.
TUOR/SCHNYDER/SCHMID, S. 59, Rn. 19.
UEBERSAX, S. 4; vgl. auch Kapitel III.1.
13
3.
Die
Bedeutung
des
Rechtsmissbrauchs
im
Zivilrecht – insbesondere im Eherecht
Wird im Zusammenhang mit dem Eherecht von Missbrauch gesprochen, dann
handelt es sich vordergründig um den Missbrauch der Ehe als Institut. Gemeint
ist damit vor allem die „Scheinehe“76.
3.1.
Der Begriff der Scheinehe und ihre Schädlichkeit
Wer eine Scheinehe oder anders gesagt eine „Ehe zum Schein“ eingeht, der
verfolgt zwar das Ziel einen gültigen Eheschluss zu erreichen, gibt aber
während des Eheschliessungsaktes und danach nur vor, eine tatsächliche
Lebensgemeinschaft gemäss Art. 159 ZGB zu wollen bzw. bereits zu führen77.
Der Schein bezieht sich also nicht auf die Trauung an sich, sondern auf den
Willen der „Ehegatten“, im Hinblick auf die dem Eheschluss folgende eheliche
Gemeinschaft78. Folglich ist die formal korrekt geschlossene Ehe79 vom
übereinstimmenden Willen der Ehepartner80 getragen von Beginn an keine
enge und dauerhafte eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, sondern „das
Institut der Ehe dazu zu benützen, ein zweckfremdes Ziel zu erreichen“81. Dies
würde e contrario bedeuten, dass die Ehe eigentlich nur zu ganz bestimmten
Zwecken geschlossen werden dürfte und die Motive einer Scheinehe
ausserhalb dieser besonderen Zwecke liegen müssten82. Das schweizerische
Recht nennt keine bestimmten Zwecke für eine Eheschliessung, es
unterscheidet nicht zwischen lauteren und unlauteren Motiven für eine Ehe.
Demzufolge ist es erlaubt, eine Ehe einzugehen, um von deren positiven
Wirkungen finanzieller, wirtschaftlicher, religiöser, moralischer oder familiärer
Natur zu profitieren, worunter auch die ausländer-, asyl- und bürgerrechtlichen
Vorteile fallen83. Jedenfalls ist festzuhalten, dass eine Ehe aufgrund
76
77
78
79
80
81
82
83
Vgl. W YSK, S. 112. Diese Begriffsverwendung ist insbesondere im schweizerischen Zivilrecht
nicht unproblematisch und muss relativiert werden, da eine Scheinehe zivilrechtlich gültig ist.
Ausführlich dazu Kapitel III.3.2.
Vgl. W YSK, S. 112.
W YSK, S. 112f.
Die Scheinehe ist eine gültige Ehe mit allen gesetzlich vorgesehenen Rechtswirkungen. BGE
121 III 149, E. 2b.
Zum Problem der einseitigen Scheinehe Kapitel IV.5.
BGE 121 III 149, E. 2a.
Vgl. GÖKSU, S. 18, insbesondere die Diskussion über mögliche Motive für das Eingehen
einer Ehe; UEBERSAX, S. 13.
Insbesondere GÖKSU, S. 18 und GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.39.
14
beispielsweise wirtschaftlicher Interessen, also wegen „Zweck-Interessen
jenseits der reinen Liebe noch nicht rechtsmissbräuchlich“84 wird. Deshalb ist
eine Scheinehe auch nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2
ZGB, denn bisher wird sowohl in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als
auch in der Lehre kein bestimmter Zweck der Ehe beschrieben, weshalb dieses
Institut im Grunde genommen auch nicht zweckentfremdet werden kann.
Allerdings schränkt das Bundesgericht in seiner Praxis regelmässig die
„Zweckneutralität der Ehe“85 ein, indem es verlangt, dass die Ehe nicht einzig
und allein wegen der rechtlich vorteilhaften Wirkungen, sondern auch mit dem
Willen, eine eheliche Gemeinschaft zu begründen, geschlossen wird86. Das
Verfolgen von Zielen, die rechtlich vorteilhafte Wirkungen an den Eheschluss
knüpfen, sind für die rechtliche Qualifikation der Scheinehe nicht relevant, da
diese an den Willen, keine eheliche Gemeinschaft zu führen, knüpft87.
Entscheidendes Kriterium ist demzufolge, abgesehen vom unmittelbaren Motiv,
ob die eheliche Gemeinschaft wirklich gewollt ist oder nicht88. Damit eine
Grenzziehung
zur
Zerrüttung
der
Ehe89
erfolgen
kann,
muss
die
übereinstimmende Ablehnung der Lebensgemeinschaft bereits vor der
Eheschliessung vorliegen90.
Die Motive zur Eingehung einer Scheinehe sind zahlreich. Oftmals sind die
Absichten des einen Ehepartners nicht zugleich die Absichten des anderen
Ehepartners. Im Vordergrund stehen im Rahmen dieser Arbeit die rein
ausländer-, asyl- und bürgerrechtlichen Motivationen91.
Obwohl das ursprüngliche Eheideal beinahe gänzlich an Bedeutung verloren
hat, weil immer häufiger Individualinteressen in den Vordergrund treten, die
Ausgestaltung der Ehe durch die Ehepartner erfolgt und das Institut Ehe kein so
grosses öffentliches Interesse mehr hervorruft, ist dennoch das Bedürfnis nach
der Bekämpfung von Scheinehen gross. Warum eigentlich? Stören wir uns
vielleicht so sehr daran, dass das Rechtsinstitut der Ehe missbraucht und so
84
85
86
87
88
89
90
91
SPESCHA, in: Familien und Migration, S. 59f.
GÖKSU, S. 18.
BGE 121 II 97, E. 3b.
W YSK, S. 113f.
SPESCHA, in: Familien und Migration, 59f.; vgl. auch NYFFENEGGER, S. 142.
Diese kann erst nach Aufnahme der ehelichen Beziehung eintreten.
W YSK, S. 112.
Ausführliche Darstellung hauptsächlich in Kapitel IV. und V.
15
der ursprüngliche Sinn der Ehe vernichtet wird? Diese Fragen lassen sich
grundsätzlich nicht beantworten, ohne dass man der Frage nach der
allgemeinen Schädlichkeit von Scheinehen nachgeht. Insbesondere W YSK hat
grundsätzliche Überlegungen zur Schädlichkeit von Scheinehen in der
Bundesrepublik Deutschland angestellt, welche teilweise auch in der Schweiz
Geltung erlangen92.
Im Grunde genommen könnte man sagen, dass der Grund für die Verpönung
der
Scheinehe
und
damit
ihrer
Schädlichkeit
darin
liegt,
dass
sie
93
rechtsmissbräuchlich ist . Jedoch scheint die Erklärung nicht so einfach und
bedarf deshalb genauerer Erläuterung.
Durch
das
Eingehen
einer
Scheinehe
entfällt
der
Wille,
eine
Lebensgemeinschaft zu begründen. Die Ehe verfolgt zwar keine bestimmten
Motive, ist aber dennoch nicht ganz zweckneutral. Mindestens der Wille zur
Begründung einer ehelichen Gemeinschaft muss gegeben sein. Da gerade
dieser bei der Scheinehe nicht vorliegt, ist mit ihr zwingend eine gewisse
Zweckverfehlung oder Zweckentfremdung des ehelichen Rechtsverhältnisses
verbunden94 oder anders formuliert: Es wird ein gewisser ethischer Wert der
Ehe missachtet95. Das Institut der Ehe wird ausschliesslich gebraucht um
beispielsweise in den Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu kommen, um also
einen ganz bestimmten ausländerrechtlichen Vorteil zu erlangen, der einen aus
einer bestimmten Situation herausholt und der einem ohne Eheschliessung
nicht zugestanden hätte. Oftmals wird versucht, mit der Eheschliessung und der
dadurch
eingetretenen
(Neben)Wirkung
eine
Gesetzesumgehung
zu
bewirken96. Ganz allgemein gesprochen wird durch das Eingehen einer
Scheinehe das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse verletzt, denn dieses
duldet keine solchen Ehen97. Begründet wird dies insbesondere mit dem
grundlegenden Interesse der Gesellschaft an einer funktionsfähigen Ehe. Das
Unwerturteil liegt in der hemmungslosen Verfolgung von Eigeninteressen, die
das Rechtsbewusstsein verletzen und das Ansehen der Rechtsordnung
92
93
94
95
96
97
W YSK, S. 128ff.
KOTTUSCH, S. 426.
Vgl. W YSK, S. 128.
KELLER, S. 44. Fraglich ist allerdings in diesem Zusammenhang, inwieweit heute noch der
ethische Wert der Ehe (wenn dieser überhaupt noch Bestand hat) verteidigt und geschützt
werden muss, damit allgemeine Interessen der Gesellschaft gewahrt werden.
MERZ zu Art. 2 ZGB, Rn. 296.
KOTTUSCH, S. 426.
16
aushöhlen98. Der Missbrauch der Eheschliessung steht also nicht im Einklang
mit der Rechtsordnung bzw. dem öffentlichen Interesse und wird aufgrund
dessen nicht geduldet. Folglich verdient er auch keinen Rechtsschutz99. In
Übereinstimmung mit EGGER muss angemerkt werden, dass durch die
Ablehnung der Scheinehe an sich das Recht auf Ehe, als auch die Sicherheit
der eherechtlichen Ordnung nicht im geringsten tangiert sind100. Problematisch
scheinen meines Erachtens eher das Vorgehen der Behörden bei der
Qualifizierung einer Ehe als rechtsmissbräuchlich101 und die aktuell diskutierten
Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen102.
3.2.
Die zivilrechtliche Gültigkeit einer Scheinehe
Eine Scheinehe ist eherechtlich eine gültige Ehe, erlangt also rechtliche
Gültigkeit und zeitigt insofern entsprechende Rechtswirkungen. Auch die
Möglichkeit einer Scheidung besteht grundsätzlich103.
Der Sinn der Ehe besteht nicht darin, eine Lebensgemeinschaft zu begründen,
sondern bestimmte Rechtsfolgen einzuleiten. Mit dem Eheschliessungsakt, der
Heirat, schaffen die Brautleute die Formalbeziehung104, jedoch nicht die
Realbeziehung105. Da eine Lebensgemeinschaft (fast immer) schon vor der
Heirat besteht, können die Brautleute auch keine solche mehr begründen106. Da
heutzutage keine Konkubinatsverbote mehr existieren und das Konkubinat107,
als Form des eheähnlichen Zusammenlebens gesellschaftlich akzeptiert ist,
braucht es die Ehe nicht mehr um eine Lebensgemeinschaft zu begründen.
Folglich ist die Heirat einzig notwendig, um der Lebensgemeinschaft „einen
festen rechtlichen Rahmen zu geben“108.
Die Verwendung des Begriffs der „Scheinehe“ scheint nach den gemachten
Ausführungen
98
aus
zivilrechtlicher
Sicht
nicht
ganz
unproblematisch.
EGGER, S. 109.
Vgl. KOTTUSCH, S. 441.
100
EGGER, Anm. 2, S. 114.
101
Dazu Kapitel IV.4.
102
Dazu Kapitel VI.
103
BGE 121 III 149, E. 2b; vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38; UEBERSAX, S. 22.
104
Zum Begriff der Formalbeziehung Kapitel II.2.3.
105
Zum Begriff der Realbeziehung Kapitel II.2.3.
106
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38.
107
Ausführungen zum Begriff des Konkubinats unter www.konkubinat.ch (zuletzt besucht am
07.04.2009).
108
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38.
99
17
Grundsätzlich liegt gar keine Scheinehe vor, wenn die Ehepartner eine
tatsächliche Lebensgemeinschaft führen, eine Ehe aber aus ausländer-, asyloder bürgerrechtlichen Gründen eingehen. Wie im vorausgehenden Kapitel
ausgeführt, gibt es keine bestimmten Motive für die Schliessung einer Ehe. Es
gehört zu den zulässigen Zwecken der Heirat, sich durch die Ehe
migrationsrechtliche Vorteile zu sichern, sofern der Wille, eine echte eheliche
Gemeinschaft zu gründen, vorhanden ist109.
4.
Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots im
öffentlichen Recht
Insbesondere
GÄCHTER
Rechtsmissbrauchsverbots
betrachtet
im
die
öffentlichen
Bedeutung
Recht
(speziell
des
im
Sozialversicherungsrecht) aus einer anderen Perspektive. Ihm zufolge ist die
zweckwidrige Verwendung eines Rechts sowie die Gesetzesumgehung ein
Auslegungsproblem110, weshalb der Zweck einer Bestimmung bereits bei seiner
Auslegung genügend Beachtung finden muss111. Aufgrund der juristischen
Auslegungsmethodik ist er der Auffassung, dass die Verfassung nur teilweise in
bestimmten Fällen als Grundlage für das Rechtsmissbrauchsverbot heran
gezogen werden kann112. GÄCHTER zufolge ist es also entbehrlich, einen
Zusammenhang zwischen der zweckwidrigen Rechtsverwendung sowie der
Gesetzesumgehung und Art. 5 Abs. 3 BV herzustellen113.
IV.
Der Begriff der Scheinehe beziehungsweise
der
rechtsmissbräuchlichen
Ehe
im
Migrationsrecht
In
diesem
Kapitel
erfolgt
eine
eingehende
Darstellung
der
Scheineheproblematik im schweizerischen Migrationsrecht. Insbesondere in
diesem Rechtsgebiet führt die Thematik der rechtsmissbräuchlichen Ehe zu
109
BGE vom 8. April 2008, 2C.750/2007, E. 2.2.
GÄCHTER, S. 304f.
111
UEBERSAX, S. 6.
112
GÄCHTER, S. 186f.
113
GÄCHTER, S. 305.
110
18
weitreichenden Diskussionen. Mittlerweile bestehen teilweise sehr ausgedehnte
und detaillierte gesetzliche Bestimmungen, welche die Problematik der
rechtsmissbräuchlichen Ehe im Gebiet des Migrationsrechts aufgreifen und
regeln.
Neben der Ausländerrechtsehe bilden auch die rechtsmissbräuchliche Ehe im
Asylrecht sowie die Bürgerrechtsehe Anwendungsfälle des Rechtsmissbrauchs
im Migrationsrecht (Scheinehen des Migrationsrechts). Die Ausführungen zur
Scheineheproblematik erfolgen für das Ausländer-, Asyl- sowie Bürgerrecht in
jeweils getrennten Kapiteln.
1.
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht
(„Ausländerrechtsehe“)
1.1.
Rechtsmissbrauchsvorbehalt im Bundesgesetz über die
Ausländerinnen und Ausländer
Das neue Bundsgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer ist offenkundig
vom Geist der Missbrauchsbekämpfung geprägt. Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2
lit. a stellt alle ehelichen bzw. familiären Nachzugsrechte unter den Vorbehalt
des
Rechtsmissbrauchs.
Die
Nachzugsrechte
erlöschen,
wenn
sie
rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden, namentlich um Vorschriften des
Gesetzes und Ausführungsbestimmungen über Zulassung und den Aufenthalt
zu umgehen. Das bedeutet, dass alle Ansprüche auf Familiennachzug bei
Vorliegen von Rechtsmissbrauch erlöschen. Die Regelung in Art. 51 Abs. 1 lit. a
und Abs. 2 lit. a AuG gilt ausdrücklich für alle Tatbestände des
Familiennachzugs, weshalb keine Analogien notwendig sind. Es handelt sich
hierbei um eine spezialgesetzliche Regelung, wodurch sich der Rückgriff auf
Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 2 Abs. 2 ZGB erübrigt. Dennoch dienen diese
Bestimmungen auch in Zukunft bei der Auslegung des ausländerrechtlichen
Rechtsmissbrauchsverbots nach Art. 51 AuG als Orientierung114.
Ebenfalls vom Rechtsmissbrauchsvorbehalt des AuG miterfasst ist die
Scheinehe115. Folglich wird sie nicht mehr ausdrücklich geregelt. Was den Inhalt
der Bestimmung anbelangt, sind im Wesentlichen keine Änderungen des
114
115
UEBERSAX, S. 24f.
Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG.
19
Rechtsmissbrauchsverbots erfolgt116. Die Gründe, die bereits in Art. 7 und 9
ANAG117
zum
Widerruf
der
Bewilligung
oder
zum
Erlöschen
des
Rechtsanspruchs führten, sind in Art. 51 AuG prinzipiell dieselben118.
Infolgedessen bleiben Praxis und Rechtsprechung zum bisherigen Recht auch
weiterhin anwendbar119. Art. 51 AuG erfasst nur diejenigen Artikel, in denen ein
Anspruch auf Familien- bzw. Ehegattennachzug besteht. Die Erteilung einer
Bewilligung
an
Ehegatten
von
Personen
mit
Aufenthalts-
oder
Kurzaufenthaltsbewilligung liegt gemäss Art. 44 und 45 AuG im behördlichen
Ermessen (Kann-Bestimmung), das allerdings pflichtgemäss, das heisst
rechtsgleich
und
willkürfrei,
ausgeübt
werden
muss,
sofern
die
Voraussetzungen des Zusammenwohnens, der bedarfsgerechten Wohnung
und das Nichtangewiesensein auf Sozialhilfe erfüllt sind120. Insofern fallen diese
Bestimmungen nicht unter den Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs.
Eine durchaus erhebliche Einschränkung in seinem Anwendungsbereich könnte
das Rechtsmissbrauchsverbot durch Art. 50 AuG erfahren. Diese Bestimmung
birgt nicht nur neue Missbrauchsmöglichkeiten121. Da Art. 50 AuG bei Vorliegen
der Voraussetzungen einen Anspruch vermittelt, entfällt zugleich das Interesse
an der Aufrechterhaltung einer Ehe- oder Familiengemeinschaft, nur um einen
Anwesenheitsanspruch geltend zu machen. Dadurch wird die Bedeutung des
Rechtsmissbrauchsverbots wesentlich geschmälert. Insbesondere UEBERSAX
betont, dass sich die Gerichte generell mit neuen Problemen zu befassen
haben und die bis anhin geltende Rechtsmissbrauchspraxis entsprechend den
neuen rechtlichen Normen abgeändert werden muss122.
116
UEBERSAX, S. 25.
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (nicht
mehr in Kraft).
118
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 51 AuG.
119
UEBERSAX, S. 25.
120
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 44 AuG und Rn. 1 zu Art. 45 AuG.
121
SPESCHA zum Problem der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf eine nur noch formell
bestehende Ehe, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 50 AuG.
122
UEBERSAX, S. 25f.
117
20
1.2.
Rechtswirkungen
des
Rechtsmissbrauchs
im
Ausländerrecht
1.2.1.
Die Ausländerrechtsehe
Die Ausländerrechtsehe, die rein ausländerrechtliche Zwecke verfolgt, bildet
den typischen Anwendungsfall von Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht. Mit
der Abschaffung des direkten Erwerbs des schweizerischen Bürgerrechts durch
Heirat mit einem Schweizer Bürger123 wurde die Missbrauchsproblematik im
Rechtsgebiet des Migrationsrechts auf das Ausländerrecht verlagert. Obgleich
kein automatischer Erwerb des Schweizer Bürgerrechts erfolgt, bietet die
Eheschliessung den Ausländern dennoch gewisse ausländerrechtliche Vorteile,
die nachfolgend ausführlich behandelt werden.
1.2.1.1.
Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das
Vorliegen einer Ausländerrechtsehe
Eine Ausländerrechtsehe ist eine Ehe, die nur zum Schein eingegangen124 wird,
um insbesondere dem ausländischen Ehepartner125 ein Anwesenheitsrecht in
der Schweiz zu sichern bzw. seinen ausländerrechtlichen Status zu verändern
und somit die positiven Aspekte des Ehegattennachzugs zu nutzen. Einziger
Zweck der Ausländerrechtsehe ist es also, in den Genuss ausländerrechtlicher
Vorteile zu kommen bzw. ausländerrechtliche Vorschriften zu umgehen126 und
sich eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu verschaffen, ohne dass
eine tatsächliche und dauernde eheliche Gemeinschaft gewollt ist127. Deshalb
wird in der Botschaft neben dem Begriff der „Scheinehe“ auch der Begriff der
„Umgehungsehe“128 verwendet. Die Ausländerrechtsehe wird, als Unterfall einer
missbräuchlichen Ehe des öffentlichen Rechts bzw. Migrationsrechts, vom
Tatbestand des Art. 51 AuG erfasst und demzufolge als rechtsmissbräuchlich
qualifiziert129.
123
Ausführlich dazu Kapitel IV.3.
Ausführlich zum Begriff der Scheinehe Kapitel III.3.1.
125
Nicht selten sind hier u.a. erfolglose Asylbewerber, denen das Asyl durch einen
Nichteintretensentscheid oder eine Gesuchsabweisung verweigert wurde und denen eine
Wegweisung droht, beteiligt. DIEKMANN, S. 174.
126
Botschaft, S. 3795.
127
KOTTUSCH, S. 426, 432 und 444.
128
Botschaft, S. 3795.
129
Ausführlich dazu Kapitel IV.1.1.
124
21
Einerseits kann der Rechtsmissbrauch bereits durch den Eheschluss an sich
vorliegen, andererseits kann er aber auch erst durch die Berufung auf die Ehe
entstehen130.
1.2.1.1.1.
Der Rechtsmissbrauch durch Eheschluss
Wenn bereits der Eheschluss nur aus ausländerrechtlichen Motiven erfolgt,
dann liegt ein vom Gesetz erfasster Rechtsmissbrauchsfall vor. Die
rechtsmissbräuchliche Eheschliessung ist dadurch definiert, dass die Ehe zwar
formell-rechtlich Bestand hat, aber von Beginn an der Ehewille fehlt und auch
keine
wirklich
gelebte
eheliche
Gemeinschaft
besteht131.
Sofern
eine
tatsächliche eheliche Gemeinschaft gewollt ist, macht ein ausländerrechtliches
Heiratsmotiv die Ehe nicht zu einer (missbräuchlichen) Scheinehe132.
GEISER/BUSSLINGER verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der
Realbeziehung133. Unter einer Lebensgemeinschaft versteht man grundsätzlich
„eine umfassende Gemeinschaft, das heisst eine sittlich-affektive und
geschlechtliche
Verbindung
und
andererseits
eine
Wohn-
und
Wirtschaftsgemeinschaft“134. Die einzelnen Elemente haben unterschiedliche
Bedeutung. Deshalb kann es durchaus vorkommen, dass nicht alle genannten
Elemente in einer Ehe vorliegen135. Wie bereits zum Begriff der Ehe
festgehalten, sind die Ehepartner generell frei bei der Ausgestaltung ihrer
Beziehung136. Deshalb kann eine Gemeinschaft mehr oder weniger weit
umfassend sein137.
Angesichts
verschiedener Konstellationen, muss
bei der zum
Schein
eingegangenen Ehe eine Differenzierung erfolgen. Um den Rechtsmissbrauch
durch Eheschluss in den nachfolgenden zwei Kapiteln umfassend darstellen zu
können, bleibt ein kurzer Rückblick auf die migrationsrechtlichen Wirkungen
einer Ehe unausweichlich.
130
Vgl. Botschaft, S. 3795.
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG.
132
Vgl. UEBERSAX, S. 15.
133
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.35; vgl. zum Begriff der Realbeziehung auch Kapitel II.2.3.
134
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40.
135
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40.
136
Vgl. Kapitel II.1.
137
Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40.
131
22
1.2.1.1.1.1.
Die binationale Ausländerrechtsehe
Art. 42 AuG verleiht dem ausländischen Ehegatten einer Schweizerin oder
eines Schweizers den Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung, wenn dieser mit dem schweizerischen Ehegatten
zusammenwohnt138 139. Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen
Aufenthalt von fünf Jahren haben die Ehegatten Anspruch auf Erteilung der
Niederlassungsbewilligung140.
Kein
Anspruch
besteht
allerdings
bei
rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung nach Art. 51 Abs. 1 lit. a, namentlich
um die gesetzlichen Vorschriften und deren Ausführungsbestimmungen über
die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen. Beabsichtigt zumindest ein
Ehegatte bereits im Voraus keine echte Lebensgemeinschaft141, sondern nur in
den Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu gelangen, liegt also eine Ehe bloss
zum Schein vor. Diese wird vom Rechtsmissbrauchsvorbehalt des Art. 51 AuG
miterfasst142. Erforderlich ist also, dass der Ehe bereits im Zeitpunkt des
Eheschlusses kein Ehewille zugrunde liegt. Andere Motive sind irrelevant143. In
der Praxis braucht es für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ehe klare
Indizien144.
1.2.1.1.1.2.
Einen
Die Ausländerrechtsehe unter Ausländern
analogen
Anspruch
Niederlassungsbewilligung
zu
enthält
Art.
Art.
42
43
AuG
AuG
auf
für
AufenthaltsEhegatten
bzw.
von
Niedergelassenen. Auch für sie entfällt der Anspruch analog zu Art. 42 AuG,
wenn kein Wille zur Führung einer echten ehelichen Gemeinschaft vorliegt.
Nutzt man also den Eheschluss einzig, um an eine Aufenthaltsbewilligung zu
138
Zum Erfordernis des Zusammenlebens: Nachgezogene Ehegatten müssen mit ihrem
Ehegatten zusammenwohnen (Art. 42-45). Seit dem 1. Januar 2008 gilt dies nach Art. 42
Abs. 1 AuG auch für Ehegatten von Schweizern, es sei denn, der nachgezogene Ehegatte
ist im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates, mit dem ein
Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde (Art. 42 Abs. 2). Gemäss Art. 49 AuG
besteht das Erfordernis des Zusammenlebens nur dann nicht, wenn für die getrennten
Wohnorte wichtige Gründe geltend gemacht werden und die Familiengemeinschaft weiter
besteht.
139
Art. 42 Abs. 1 AuG.
140
Art. 42 Abs. 3 AuG.
141
Zur Problematik der einseitigen Scheinehe Kapitel IV.5.
142
Zum Rechtsmissbrauchsvorbehalt im AuG Kapitel IV.1.1.; vgl. auch SPESCHA, Kommentar
Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG; vgl. Ausführungen zum alten Recht bei UEBERSAX, S.
9.
143
Vgl. GÖKSU, S. 18.
144
Ausführlich dazu Kapitel IV.1.2.1.2.
23
gelangen, so liegt eine Ausländerrechtsehe vor und das Verhalten an sich gilt
als rechtmissbräuchlich. Genauso wie bei der Ausländerrechtsehe mit
Beteiligung einer Schweizerin oder eines Schweizers, verlangt auch die
Ausländerrechtsehe
unter
Ausländern
offensichtliche
Indizien
für
ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten.
1.2.1.1.2.
Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine Ehe
Neben der rechtsmissbräuchlichen Ehe durch Eheschluss besteht eine weitere
Konstellation der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Ausländerrecht. Auch wenn
ursprünglich keine Scheinehe geschlossen wurde, kann es vorkommen, dass
das Festhalten an einer Ehe dem Rechtsmissbrauchsverbot gemäss Art. 51
AuG widerspricht und daher rechtsmissbräuchlich ist145. Dieser Fall tritt – in
Übereinstimmung mit der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung –
dann ein, wenn sich die ausländische Person im Verfahren um Erteilung einer
fremdenpolizeilichen Anwesenheitsberechtigung auf eine Ehe beruft, die nur
noch formell und ohne Aussicht auf Aufnahme bzw. Wiederaufnahme der
ehelichen Lebensgemeinschaft besteht146. Rechtsmissbräuchlich ist also auch
die Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe, die „mit dem einzigen
Ziel aufrechterhalten wird, die Aufenthaltsbewilligung zu erhalten oder nicht zu
verlieren“147. Ursprünglich kann tatsächlich eine echte Ehe bestanden haben,
welche aber inzwischen gescheitert ist. Damit der Rechtsmissbrauch bejaht
werden kann, muss in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung erfolgen148.
Rechtsmissbrauch darf daher nicht leichthin, allein schon, weil die Ehegatten
nicht mehr zusammenwohnen oder ein Eheschutz- oder Scheidungsverfahren
eingeleitet haben, angenommen werden149. Auch hier bedarf es offensichtlicher
Hinweise. Für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Ehe
genügt das definitive Scheitern der Ehe150. Stellt sich also im Laufe der
Ehejahre heraus, dass die Ehe definitiv gescheitert ist, wäre ein weiteres
Berufen darauf aus migrationsrechtlicher Sicht rechtsmissbräuchlich151. Laut
145
Vgl. UEBERSAX, S. 11f.
BGE 128 II 145, E. 2.2.
147
Botschaft, S. 3795.
148
Botschaft, S. 3795; vgl. auch BGE 128 II 145, E. 2.2.
149
BGE 128 II 145, E. 2.2.
150
BGE 130 II 113, E. 4.2.
151
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56.
146
24
UEBERSAX hat das Bundesgericht das Rechtsmissbrauchskriterium „objektiviert“,
indem die Sicht des ausländischen Ehepartners bezüglich des definitiven
Scheiterns der Ehe keine Rolle mehr spielt, sofern die Ehe objektiv als definitiv
gescheitert anzusehen ist und mit einer Wiederaufnahme objektiv nicht mehr zu
rechnen ist152. In einer Ehe beispielsweise zwischen einem Schweizer und einer
Ausländerin spielt heute – im Gegensatz zu früher – die Haltung des
ausländischen Ehegatten keine Rolle mehr. Ob sich die ausländische Ehefrau
gegen eine Scheidung wehrt und sich um den Weiterbestand der Ehe bemüht
ist nicht von Bedeutung153. Allein objektive Umstände genügen für die Annahme
einer
definitiv
gescheiterten
Ehe.
Auch
wenn
zivilrechtlich
nicht
rechtsmissbräuchliche Rechte im Scheidungsverfahren geltend gemacht
werden,
kann
der
gleiche
Bewilligungsverfahren
Sachverhalt
dennoch
im
ausländerrechtlichen
rechtsmissbräuchlich
sein154.
Dementsprechend ist ausländerrechtlich eigentlich irrelevant, ob zivilrechtlich
eine
Scheinehe
besteht
oder
nicht.
Durch
die
bundesgerichtliche
Rechtsprechung wird der Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots
enorm ausgeweitet, obwohl – wie oben erwähnt – auch hier Rechtsmissbrauch
nicht ohne das Vorliegen klarer Indizien angenommen werden darf155.
1.2.1.2.
Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das
Vorliegen einer Ausländerrechtsehe
Das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Ausländerrecht und somit
das Fehlen einer echten Lebensgemeinschaft sowie die rechtsmissbräuchliche
Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe entziehen sich in der Regel
dem direkten Beweis156 und können deshalb meist nur durch Indizien
nachgewiesen werden. Dem Bundesgericht zufolge bedarf es klarer Hinweise,
die auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten schliessen lassen157. In der Regel
152
UEBERSAX, S. 11f.
UEBERSAX, S. 11f.
154
BGE 128 II 145, E. 2.2. Grundsätzlich bedeutet dies, dass im Zivil- und Ausländerrecht,
jeweils unterschiedliche Rechtsmissbrauchspraxen gelten, was aufgrund des Widerspruchs
zum Gebot der Widerspruchsfreiheit und Einheit der Rechtsordnung nicht unproblematisch
ist. Ausführliche Diskussion und kritische Anmerkung zur uneinheitlichen Verwendung des
Rechtsmissbrauchsbegriffs bei SPESCHA, Migrationsabwehr, S. 69ff.
155
Vgl. UEBERSAX, S. 12.
156
Aus juristischer Sicht stellt der Wille einer Person eine innere Tatsache dar, die nicht direkt
und objektiv nachweisbar ist. NYFFENEGGER, S. 142.
157
BGE vom 31. August 2006, 2A.245/2006, E. 2.2 und 2.3.
153
25
genügt dabei das Vorhandensein eines einzigen Anhaltspunktes nicht.
Richtigerweise wird regelmässig eine Kombination verschiedener Indizien,
sowie das Fehlen von Hinweisen für eine wirklich gelebte Beziehung
verlangt158.
Namhafte
Anhaltspunkte159
für
eine
rechtsmissbräuchliche
Ehe
im
Ausländerrecht lassen sich laut Bundesgericht in einer dem Ausländer
drohenden
Wegweisung
erblicken,
etwa
weil
er
ohne
Heirat
keine
Aufenthaltsbewilligung erhalten hätte oder sie ihm nicht verlängert worden
wäre. Des Weiteren sprechen sodann die Umstände, dass sich die Ehegatten
erst kurz vor der Heirat kennen gelernt haben und sie nichts oder kaum etwas
voneinander wissen für das Vorliegen einer Scheinehe, sowie insbesondere die
Tatsache, dass die Ehegatten gar nie eine Wohngemeinschaft aufgenommen
haben. Das Gleiche gilt, wenn für die Heirat eine Bezahlung vereinbart wurde.
Ebenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im
Ausländerrecht kann der beträchtliche Altersunterschied zwischen den
Ehegatten sein und die Tatsache, dass schon bei der Heirat der eine Partner
ein festes Verhältnis mit einer Drittperson hatte. Auch wenn die Ehegatten
während einer gewissen Zeit zusammenlebten und intime Beziehungen
unterhielten, kann dennoch eine Scheinehe nicht automatisch ausgeschlossen
werden, denn ein solches Verhalten kann auch nur vorgespielt sein160. Und
selbst wenn ein Zusammenleben nur vorgespielt sein kann darf andererseits,
auch bei Vorliegen mehrerer Indizien, nicht leichthin auf Rechtsmissbrauch
geschlossen werden, denn eine Ausländerrechtsehe liegt nicht schon allein
deshalb vor, weil die Ehe geschlossen wurde, um dem ausländischen Partner
eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu verschaffen161. Auf die
ausländerrechtlichen Motive kommt es nicht an, sofern der Ehewille, eine
eheliche Gemeinschaft zu führen, vorhanden ist162.
158
Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG.
Vgl. etwa BGE 128 II 145, E. 3.1; BGE 122 II 289, E. 2b.
160
BGE 122 II 289, E. 2b, mit Hinweisen.
161
Diskussion zum Problem des Erkennens einer Scheinehe in der Praxis und diesbezügliche
Kritik in Kapitel IV.4.
162
Vgl. UEBERSAX, S. 10; SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG;
NYFFENEGGER, S. 142.
159
26
1.2.2.
Die Scheinehe im Freizügigkeitsabkommen
Selbstverständlich betrifft die Scheineheproblematik nicht nur binationale Ehen
zwischen
Schweizern
und
Ausländern
oder
Ehen
zwischen
Anwesenheitsberechtigten und Ausländern. Scheinehen können auch mit
Beteiligung einer EU-Bürgerin bzw. eines EU-Bürgers geschlossen werden,
weshalb es sinnvoll scheint, den Rechtsmissbrauch auch im Rahmen des
Staatsvertragsrechts zu thematisieren.
In Art. 3 Anhang I FZA wird der Ehegatten- bzw. Familiennachzug durch EUBürgerinnen und -Bürger geregelt, vorausgesetzt der Ehegatte bzw. die
Familienangehörigen
werden
aus
einem
EU-Land
nachgezogen163.
Insbesondere Abs. 1 und Abs. 2 lit. a dieser Bestimmung vermittelt den vom
Freizügigkeitsabkommen erfassten Personen das Recht, unter den bestimmten
Voraussetzungen des Freizügigkeitsabkommens und dessen Rechtsfolgen,
ihren Ehegatten nachzuziehen. Damit besteht für den nachzuziehenden
Ehegatten ein Anspruch auf Anwesenheitsberechtigung. Die diesbezügliche
Praxis des Bundesgerichts164 bei der Auslegung des Art. 3 Anhang I FZA wird
vor allem von EPINEY/CIVITELLA kritisiert. Die fehlende Dogmatik in der
Übernahme der EuGH-Rechtsprechung führe zu Rechtsunsicherheit165. Auch
im Hinblick auf das neuere Urteil Metock166, in dem der EuGH seine Praxis zu
Akrich aufgibt167, bleibt unklar, ob auch das Bundesgericht seine bisherige
Rechtsprechung168 ändern wird169.
163
Im BGE 130 II 1(E. 3.6) entschied das BGer, dass Art. 3 Anhang I FZA nur dann zur
Anwendung komme, wenn sich der nachzuziehende Ehegatte, welcher
Drittstaatsangehöriger sei, bereits rechtmässig in einem EU-Mitgliedstaat aufhalte, d.h. legal
dort lebt. Dabei stützte sich das BGer auf das EuGH-Urteil vom 23. September 2003 in der
Rechtssache C-109/01, Akrich, gemäss welchem kein gefestigtes Aufenthaltsrecht in einem
Vertragsstaat, sondern nur der rechtmässige Aufenthalt im Zeitpunkt der Abwanderung
vorausgesetzt wird. Das Urteil Akrich wurde in einem weiteren Urteil des EuGH (Urteil vom
9. Januar 2007, Rechtssache C-1/05, Jia) bezüglich des Kriteriums des rechtmässigen
Aufenthalts relativiert. Sodann genügte dem EuGH zufolge die rechtmässige Einreise.
Allerdings übernahm das Bundesgericht die relativierte Rechtsprechung des EuGH nicht, mit
den Argumenten, dass die Bedeutung von Jia nicht klar sei und es sich dabei um neue, nicht
bindende Rechtsprechung handle. Des Weiteren argumentierte das BGer, dass die
Übernahme der Jia-Rechtsprechung zu einer Diskriminierung der Schweizerinnen und
Schweizer führen würde (wegen Art. 42 Abs. 2 AuG). Detaillierte Ausführungen dazu bei
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4f. zu Art. 3 Anhang I FZA; ACHERMANN/CARONI,
Rn. 6.52f.; MEYER, S. 141ff.; EPINEY/CIVITELLA, S. 233ff.; SPESCHA, in: FamPra.ch 2008, S.
846ff.
164
Vgl. Fn. 159.
165
EPINEY/CIVITELLA, S. 236f.
166
Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, Rechtssache C-127/08.
167
Das bedeutet, dass der rechtmässige Aufenthalt des nachzuziehenden Ehegatten
(Drittstaatsangehöriger) eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat, laut EuGH für
27
Obwohl
der
Gesetzgeber
das
Rechtsmissbrauchsverbot
im
Freizügigkeitsabkommen nirgends explizit erwähnt, hat das Bundesgericht in
BGE 130 II 113170 mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung diesbezüglich
entschieden, dass das Rechtsmissbrauchsverbot auch bei der Anwendung des
Freizügigkeitsabkommens Geltung erlangt bzw. auch EU-Staatsangehörigen
bei Schliessung einer Scheinehe jeglicher rechtlicher Schutz versagt wird.
Rechtsmissbräuchlich ist die Berufung auf eine Ehe dem Bundesgericht zufolge
also dann, wenn sie nur noch formell Bestand hat und eine Trennung von
gewisser Dauer vorliegt, sodass eine Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einer
ehelichen Lebensgemeinschaft aussichtslos erscheint171
172
. Demzufolge
bestehen die familiären Nachzugs- bzw. Anwesenheitsrechte im Rahmen des
Freizügigkeitsabkommens
analog
denjenigen
des
AuG
nur
unter
der
Voraussetzung, dass sie nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden, also
keine Scheinehe vorliegt173. Für das Freizügigkeitsabkommen sind die zur
Ausländerrechtsehe ausgeführten Grundsätze gemäss Art. 51 AuG im gleichen
Sinne anwendbar174.
1.2.3.
Die Scheinehe unter dem Gesichtspunkt verfassungs- und
menschenrechtlicher Ansprüche
Das Thema der rechtsmissbräuchlichen Ehe ist so weitreichend, dass auch
Bestimmungen der Bundesverfassung und der Menschenrechtskonvention
diskutiert werden müssen. Relevant sind hauptsächlich Art. 13 BV und Art. 8
die Einreise nicht mehr durch die Mitgliedstaaten vorausgesetzt werden darf. Urteil des
EuGH vom 25. Juli 2008, Rechtssache C-127/08, Ziff. 80; vgl. auch ACHERMANN/CARONI, Rn.
6.54.
168
Vgl. Fn. 159.
169
ACHERMANN/CARONI, Rn. 6.54.
170
E. 9 und 10; bestätigt im BGE vom 3. Juni 2004, 2A.557/2002, E. 5.
171
Vgl. u.a. BGE vom 5. Mai 2006, 2A.89/2006; BGE vom 14. September 2005, 2A.131/2005;
BGE vom 23. März 2007, 2A.725/2006.
172
Kritisch EPINEY/CIVITELLA, S. 237f. Sie sind der Meinung, dass das BGer die Tragweite des
Rechtsmissbrauchs überschätzt, weil die Eheleute „im Falle einer nicht bestehenden
Wohngemeinschaft […] überzeugende Gründe für das Fehlen einer solchen“ anführen
müssen, auch wenn die Ehe ursprünglich nicht das Ziel hatte eine
Anwesenheitsberechtigung zu erlangen. Sie betonen, dass der EuGH nur dann von
Rechtsmissbrauch spricht, „wenn über relevante Tatsachen getäuscht wird, während im
Falle des Aufenthaltsrechts aufgrund einer Ehe das Vorliegen bzw. Weiterbestehen
derselben grundsätzlich entscheidend sein muss“.
173
Vgl. UEBERSAX, S. 12f.
174
Zur sinngemässen Anwendung der Grundsätze des alten Rechts (Art. 7 ANAG) UEBERSAX,
S. 12f.
28
EMRK (aber auch Art. 14 BV und Art. 12 EMRK), denen vor allem bei
ausländerrechtlichen Nachzugsbestimmungen eine gewichtige Bedeutung
zukommt, da diese je nachdem eine Trennung von Eheleuten durch
Ausweisung einer Person oder Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu
verhindern vermögen175.
Diese verfassungs- und menschenrechtlichen Bestimmungen schützen zwar
das eheliche Zusammenleben und garantieren einen Anspruch auf Achtung des
Familienlebens176, enthalten aber kein ausdrückliches Verbot bezüglich
Scheinehen. Da jedoch Art. 8 EMRK und Art. 13 BV nur das effektive, sprich
nur das intakte und tatsächlich gelebte Familien- bzw. Eheleben schützen, wird
das Schliessen einer Scheinehe oder die rechtsmissbräuchlich angerufene Ehe
erst gar nicht vom Schutzbereich dieser Bestimmungen erfasst177. Liegt eine
Scheinehe vor, ist das Erfordernis der qualifizierten Beziehung nicht erfüllt, da
keine nahe und echte Lebensgemeinschaft tatsächlich gelebt wird178. Wer also
eine Scheinehe eingeht oder sich auf eine solche beruft, dem bleibt der Schutz
der verfassungs- und menschenrechtlichen Garantien versagt. Daneben ist das
Rechtsmissbrauchsverbot, als Teilgehalt des Grundsatzes von Treu und
Glauben, explizit als allgemein geltendes Rechtsprinzip in Art. 5 Abs. 3 BV
verankert179 und muss demzufolge bei der Auslegung der Bundesverfassung
stets Beachtung finden. Aus den Ausführungen wird ersichtlich, dass der
Einsatz des Rechtsmissbrauchsverbots prinzipiell mit den Grundsätzen der
Schweizerischen
Bundesverfassung
sowie
der
Europäischen
Menschenrechtskonvention vereinbar ist180.
175
Vgl. insbesondere MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff. und RHINOW/SCHEFER, Rn. 1363ff.;
BREITENMOSER zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 25; BIAGGINI zu Art. 13 BV, Rn. 7; CARONI, S. 278ff.;
GRABENWARTER, S. 212 und 223ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 576ff.; VILLIGER,
EMRK und UNO-Menschenrechtspakte, S. 655; PETERS, S. 165ff.; SCHILLING, S. 95ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 415ff.; BGE 118 Ib 145, E. 4.1.
176
Eingehend zum Schutzbereich dieser Bestimmungen MÜLLER/SCHEFER, S. 234ff. und
RHINOW/SCHEFER, Rn. 1358ff.; BREITENMOSER zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 23ff.; BIAGGINI zu
Art. 13 BV, Rn. 6f.; zum Schutzbereich des Art. 8 EMRK insbesondere GRABENWARTER, S.
204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.;
W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff.
177
BGE 118 Ib 145, E. 4.2; BGE 120 Ib 16, E. 3a; vgl. auch MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff.
178
VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74.
179
Detaillierte Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot in Kapitel
III.1.
180
Vgl. auch UEBERSAX, S. 13.
29
1.2.4.
Fälle aus der Praxis
Urteil des Bundesgerichts 2C-435/2007 vom 10. März 2008, in: FamPra.ch
2008, S. 584ff.
Sachverhalt:
Das Ausländeramt des Kantons Schaffhausen lehnte das Gesuch der aus
Mazedonien stammenden X, die über eine Niederlassungsbewilligung verfügte,
um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an deren Ehemann Y ab. Dieser
stammte ebenfalls aus Mazedonien und verfügte bereits ein Jahr vor der Heirat
mit X über eine Aufenthaltsbewilligung, welche jedoch widerrufen worden war.
Auch der Rekurs an den Regierungsrat sowie die Beschwerde an das
kantonale Obergericht blieben erfolglos. Die kantonalen Behörden und das
kantonale Obergericht waren zum übereinstimmenden Ergebnis gelangt, dass
die
Ehe
nicht
in
erster
Linie
eingegangen
worden
sei,
um
eine
Lebensgemeinschaft zu begründen, sondern um dem Ehemann in der Schweiz
ein
Anwesenheitsrecht
zu
verschaffen,
was
eine
Umgehung
der
ausländerrechtlichen Vorschriften darstelle. X. erhob daraufhin Beschwerde
beim BGer. Die Beschwerde wurde gutgeheissen.
Schlussfolgerungen und Bemerkungen:
Auf den ersten Blick scheinen die Entscheidungen der kantonalen Behörde und
des kantonalen Gerichts nachvollziehbar und durchaus richtig. Sie gingen
davon aus, dass der Ehemann seine Frau (Beschwerdeführerin) nur geehelicht
hatte, um ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu erhalten und folglich eine
Ausländerrechtsehe vorlag.
Zu
diesem Schluss
kamen
sie,
weil
die
Aufenthaltsbewilligung des Ehemannes ein Jahr zuvor widerrufen wurde.
Weitere Hinweise für eine Scheinehe stellten die Umstände des Kennenlernens
bzw. die kurze Dauer der Bekanntschaft, die kurze Zeit zwischen Scheidung
und Wiederverheiratung, die mangelnden Kontakte sowie die mangelnden
Kenntnisse des Lebenslaufes des Partners dar. Der Ehegatte hatte seine
jetzige Frau (Beschwerdeführerin) in Mazedonien kennen gelernt und sich mit
ihr verlobt, bevor er von seiner Ex-Frau geschieden war. Geheiratet hat er sie
dann zwanzig Tage nach der Scheidung von seiner Ex-Frau, nachdem er sie
nur einmal für einige Tage in Mazedonien gesehen hatte.
Das BGer allerdings betrachtete den Sachverhalt etwas umfassender und
erwog,
dass
eine
Scheinehe
nicht
bereits
dann
vorliege,
wenn
30
ausländerrechtliche Motive für den Eheschluss mitentscheidend waren.
Zusätzlich sei der Wille zur Führung einer gemeinsamen Lebensgemeinschaft
erforderlich. Dieser könne bei der gegebenen Sachlage, bei der eine lebendige
Beziehung bzw. deren Tragfähigkeit noch nicht unter Beweis gestellt werden
konnte und das Zusammenleben der Ehegatten noch gar nicht möglich war,
nicht von Vornherein ausgeschlossen werden. In seinen Erwägungen verlangte
das BGer, dass die jeweiligen Indizien immer im Zusammenhang mit dem
kulturellen Hintergrund der Ehegatten beurteilt werden. Ein Anwesenheitsrecht
müsse erteilt werden, wenn es den Ehegatten bis anhin unmöglich war,
zusammen zu leben und eine Lebensgemeinschaft zu führen mit dem Risiko,
dass sich doch eine Scheinehe herausstellt und die Bewilligung widerrufen
werden muss.
Meines Erachtens hat das BGer in diesem Entscheid durchaus korrekt
entschieden und auf die Umstände des Einzelfalles verwiesen. Würde eine
Bewilligung verweigert, bevor ein Zusammenwohnen überhaupt erfolgen und
der Gegenbeweis einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft durch die Ehegatten
erbracht
werden
konnte,
so
würde
dies
möglicherweise
eine
Grundrechtsverletzung darstellen181. Es muss in Kauf genommen werden, dass
sich eine Ehe aufgrund nachträglicher Verhaltensweisen der Ehepartner als
rechtsmissbräuchlich heraus stellt. Deutlich wird ebenfalls, dass die vom BGer
entwickelten Kriterien nur Indizien sind, die keinen definitiven Schluss über das
Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Ausländerrechtsehe zulassen, solange
noch die Möglichkeit besteht, dass der tatsächliche Ehewille vorliegt. Aus dem
Urteil geht hervor, dass eine Ehe im Hinblick auf den Ehewillen zwar auf den
ersten Blick durchaus verdächtig wirken, aber bei Betrachtung des gesamten
Kontextes schliesslich doch nachvollziehbar sein kann.
Urteil des Bundesgerichts 2A.308/2003 vom 9. Mai 2003, in: FamPra.ch 2003,
S. 868ff.
Sachverhalt:
Der jugoslawische Staatsangehörige X. heiratete am 25. März 1984 in seiner
Heimat eine Landsfrau, mit welcher er zwei Kinder hatte. Die Ehe wurde
schliesslich 1991 geschieden. Eine Woche später heiratete X. die Mutter seiner
181
Ausführliche Diskussion zu dieser Problematik in Kapitel IV.4.
31
vormaligen Ehefrau (seine Schwiegermutter), welche in der Schweiz die
Niederlassungsbewilligung hatte. In der Folge reiste er in die Schweiz ein und
erhielt eine Aufenthaltsbewilligung. Diese Ehe wurde abermals im Oktober 1996
geschieden. Daraufhin ehelichte X. 1998 erneut seine erste Ehefrau und stellte
ein Gesuch um Familiennachzug. Das Gesuch um Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung wurde abgelehnt und auf das Familiennachzugsgesuch
wurde nicht eingetreten.
Schlussfolgerungen und Bemerkungen:
Das BGer geht in diesem bizarren Fall von Rechtsmissbrauch aus. X. sei die
Ehe mit seiner früheren und auch wieder späteren Schwiegermutter nur
eingegangen, um die fremdenpolizeilichen Vorschriften zu umgehen und eine
Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz zu erlangen. Auch wenn die Ehe
ursprünglich nicht allein aus ausländerrechtlichen Gründen geschlossen wurde,
sei dennoch die Berufung auf diese unter den gegebenen Umständen
rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass die Ehe genau fünf Jahre
aufrechterhalten wurde, um die rechtliche Stellung des Beschwerdeführers zu
verbessern,
indem
er
Niederlassungsbewilligung
Familiennachzug erhielt
nach
dieser
Zeit
kam182
(und
dadurch
in
den
einen
Besitz
Anspruch
der
auf
183
) und die ausserordentliche Tatsache, dass die
eigene Schwiegermutter und dann wieder die frühere Ehefrau geehelicht wurde,
dränge den Schluss auf, der Beschwerdeführer sei mit seiner zweiten Ehefrau
eine Scheinehe eingegangen.
Ähnlich verstrickt wie der eingangs erläuterte Fall der Schweizerin, welche vier
Kosovoalbaner ehelichte, ist auch dieser Fall. Die Indizienlage ist vorliegend
derart
ausserordentlich,
offensichtlich
und
die
dass
das
Annahme
Vorliegen
einer
von
Rechtsmissbrauch
Ausländerrechtsehe
durchaus
gerechtfertigt ist. Leider bestehen neben solch eindeutigen Fällen von
Rechtsmissbrauch auch zahlreiche Sachverhalte, die alles andere als
offensichtlich sind und deshalb den Beteiligten nicht selten Unrecht getan
wird184.
182
Früher: Art. 17 Abs. 2 ANAG, heute: Art. 43 Abs. 2 AuG.
Früher: Art. 17 Abs. 1 ANAG, heute: Art. 43 Abs. 1 AuG.
184
Vgl. zur Problematik des Erkennens einer Scheinehe Kapitel IV.4.
183
32
2.
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Asylrecht
2.1.
Motive zur Eingehung und Voraussetzungen für das
Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Asylrecht
Nicht nur im Ausländerrecht werden Scheinehen geschlossen. Auch im
Asylrecht besteht die Gefahr des Rechtmissbrauchs. Bevor auf die einzelnen
Konstellationen der asylrechtlichen Scheinehe eingegangen wird, muss vorab
kurz erläutert werden, welche Wirkungen das Asyl nach sich zieht.
Nach Art. 2 Abs. 2 AsylG umfasst das Asyl den Schutz und die Rechtsstellung,
die
Personen
aufgrund
ihrer
Flüchtlingseigenschaft
gewährt
werden,
einschliesslich des Rechts auf Anwesenheit in der Schweiz. Unmittelbar mit
dem Asyl verbunden ist also ein Anwesenheitsrecht, welches durch die
Möglichkeit
der
Familienzusammenführung
bzw.
des
Familienasyls
insbesondere für die Kernfamilie185 an Attraktivität gewinnt. Das Familienasyl
hat den Vorteil, dass dem nicht asylgesuchsstellenden Ehegatten, der die
Flüchtlingseigenschaft gerade nicht erfüllt (ansonsten könnte er ja das
individuelle
Asyl
beantragen),
die
Möglichkeit
eröffnet
wird,
in
die
Flüchtlingseigenschaft und ins Asyl des asylgesuchsstellenden Ehegatten
einbezogen zu werden186. Die nahen Angehörigen eines anerkannten
Flüchtlings (Person, die Asyl erhält) werden demnach ins Familienasyl
einbezogen, sofern sie sich bereits in der Schweiz befinden. Einreisen
allerdings dürfen sie nur, wenn die Familie durch die Flucht getrennt wurde187,
was jedoch im Grunde genommen keine Rolle spielt, da Personen, die Asyl
erhalten, einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung188 und damit auf
Familiennachzug nach Art. 8 EMRK und Art. 13 BV haben189. Der sich im
Ausland befindende Ehegatte hat daher selbst dann, wenn die Familie nicht
durch die Flucht getrennt wurde, einen Anspruch auf Bewilligung bzw.
Anwesenheit und mithin Einreise; er steht aber insofern nicht unter dem Schutz
des Asylrechts. Diese Fallkonstellation wird vom Ausländerrecht erfasst. Das
185
Zur Kernfamilie gehören insbesondere Ehegatten, eingetragene Partner und Partnerinnen,
minderjährige Kinder. Daneben werden ebenfalls weitere Angehörige, sofern besondere
Gründe vorliegen, und in der Schweiz geborene Kinder ins Familienasyl miteinbezogen. Vgl.
dazu Art. 51 Abs. 1-3 AsylG.
186
Art. 51 AsylG und Art. 37 der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999,
SR 142.311 i.V.m. Art. 3 AsylG.
187
Art. 51 Abs. 4 AsylG.
188
Art. 60 Abs. 1 AsylG.
189
Vgl. diesbezüglich die „Reneja-Praxis“ des Bundesgerichts im BGE 109 Ib 183.
33
bedeutet, dass eine Ehe zwischen einem anerkannten Flüchtling und einer sich
im Ausland befindenden Person, die mit dem einzigen Ziel geschlossen wird,
dem sich im Ausland befindenden Ehegatten eine Aufenthaltsbewilligung zu
verschaffen,
als
rechtsmissbräuchliche
Ehe
des
Ausländerrechts
zu
qualifizieren ist. Wird diesbezüglich eine Scheinehe festgestellt, entfällt auch
der Schutz des Art. 8 EMRK und Art. 13 BV, da diese Bestimmungen nur eine
qualifizierte,
sprich
echte
und
tatsächlich
gelebte
Lebensgemeinschaft
190
schützen
.
Nach dem bisher Festgehaltenen kann festgestellt werden, dass der Status des
anerkannten Flüchtlings ein bevorzugter ist191, da mit ihm zahlreiche Rechte
und Vorteile gemäss Art. 58 ff. AsylG verbunden werden und demzufolge auch
hier der Rechtsmissbrauch Einzug gefunden hat. Die rechtsmissbräuchliche
Ehe zwischen einer Person, die als Flüchtling anerkannt wurde und damit über
ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt und einer Person, die über kein
solches
Recht
verfügt,
nichtaufenthaltsberechtigten
wird
zum
Ehegatten
Zwecke
entweder
geschlossen,
durch
dem
Einbezug
ins
Familienasyl – bei Aufenthalt des nichtanwesenheitsberechtigten Ehegatten in
der Schweiz – oder durch den Familiennachzug – bei Aufenthalt des
nichtanwesenheitsberechtigten Ehegatten im Ausland – das Asyl bzw. die
Einreise und damit folglich eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu
verschaffen.
Des Weiteren besteht im Asylrecht bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen
(vorläufige Aufnahme erfolgloser Asylbewerber mit Flüchtlingseigenschaft), die
Möglichkeit der Familienzusammenführung nach drei Jahren192, sofern die im
betreffenden Artikel genannten Voraussetzungen vorliegen. Diese Möglichkeit
kann Anlass zu rechtsmissbräuchlichem Handeln geben. Und zwar aufgrund
der Tatsache, dass die Gutheissung des Familiennachzugs den Einbezug des
nachgezogenen
Ehegatten
in
die
vorläufige
Aufnahme
und
in
die
Flüchtlingsanerkennung des Gesuchsstellers (so genannter derivativer Erwerb
der Flüchtlingseigenschaft193) zur Folge hat194. Das heisst, dass der
nachgezogene Ehegatte genauso wie der bereits vorläufig aufgenommene
190
Siehe dazu die Ausführungen zu Kapitel IV.1.2.3.
STÖCKLI, Rn. 11.46.
192
Art. 85 Abs. 7 AuG.
193
Vgl. Art. 74 Abs. 5 VZAE i.V.m. Art. 37 AsylV 1.
194
BOLZLI, Rn. 17 zu Art. 85 Abs. 7 AuG.
191
34
Flüchtling ebenfalls vorläufig aufgenommen wird und die Flüchtlingseigenschaft
seines Ehegatten erhält.
Neben den oben genannten Fällen, in denen eine asylrechtliche Scheinehe
vorliegen kann, muss meines Erachtens eine dritte Fallkonstellation diskutiert
werden. Fraglich ist, ob eine Ehe mit einem Asylbewerber bzw. Asylsuchenden
ebenfalls
rechtsmissbräuchlich
geschlossen
werden
kann.
Damit
Rechtsmissbrauch vorliegen kann, muss ein Recht auf Familienasyl oder
Familiennachzug bestehen, welches missbraucht werden kann. Da der
Asylbewerber nur eine Aufenthaltsberechtigung bis zum Abschluss der
Asylverfahrens195 hat und es diesbezüglich keine gesetzliche Grundlage für
eine Familienzusammenführung gibt, welche die Möglichkeit des Familienasyls
eröffnen würde196, ist insofern bei der Ehe mit einem Asylsuchenden keine
Missbrauchsgefahr angezeigt.
Zusammenfassend ausgedrückt handelt es sich bei der im Asylrecht
geschlossenen rechtsmissbräuchlichen Ehe um eine zum Schein geschlossene
Ehe, insbesondere zur Erlangung des Asyls und des damit unmittelbar
verbundenen Anspruchs auf eine Aufenthaltsbewilligung oder der Erlangung
der vorläufigen Aufnahme, die eine Anwesenheitsberechtigung nach sich zieht.
Ihr Zweck beschränkt sich folglich auf den Genuss asylrechtlicher Vorteile und
die Umgehung asylrechtlicher Vorschriften. Verfolgt wird einzig der Einbezug in
die
Flüchtlingseigenschaft
des
Ehepartners,
um
so
an
eine
Aufenthaltsbewilligung oder zumindest an einen „F-Ausweis“ (bei vorläufiger
Aufnahme) zu gelangen. Rechtsmissbräuchliches Handeln wird diesbezüglich
erst
relevant,
wenn
der
nicht
gesuchstellende
Ehepartner
die
Flüchtlingseigenschaft in eigener Person nicht erfüllt, denn erst dann wird er
von seinem bereits als Flüchtling anerkannten oder vorläufig aufgenommenen
Ehepartner profitieren können. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass
eine Scheinehe nur vorliegt, sofern die Ehe einzig mit dem Zweck geschlossen
wird, asylrechtliche Bestimmungen zu umgehen.
Analog zur Ausländerrechtsehe kann auch bei der rechtsmissbräuchlichen Ehe
im Asylrecht Rechtsmissbrauch bereits bei der Eheschliessung vorliegen –
wenn der Wille zur Führung einer echten Lebensgemeinschaft fehlt – oder aber
195
196
Art. 42 AsylG.
Ein Familienzusammenschluss erfolgt nur, wenn die Familie bzw. die Ehegatten durch die
Flucht getrennt wurden.
35
erst durch die Berufung auf die Ehe – nämlich beim Festhalten an einer Ehe die
nur noch formell-rechtlich Bestand hat – entstehen. Diesbezüglich verweise ich
auf die Ausführungen zur Ausländerrechtsehe197.
2.2.
Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das
Vorliegen einer Scheinehe im Asylrecht
Entsprechend den Ausführungen zur Ausländerrechtsehe verlangt auch das
Asylrecht offensichtliche Indizien für eine Scheinehe. Die Ausführungen zu den
Kriterien einer Ausländerrechtsehe erlangen analog auch im Asylrecht Geltung.
Deshalb kann auch hier auf die Ausländerrechtsehe verwiesen werden198.
2.3.
Fälle aus der Praxis
Gerade im Asylrecht, einem so weit gefassten und eigentlich sehr aktuellen
Rechtsbereich, lassen sich keine praktischen Fälle zum vorliegenden Thema
finden199. Den Scheinehen wird konkret in diesem Bereich weitaus weniger oder
geradezu keine Bedeutung beigemessen. Dennoch darf dadurch keinesfalls der
Schluss gezogen werden, es lägen gegenwärtig keine asylrechtlichen
Scheinehen vor. Je weniger Bedeutung ihnen beigemessen wird, desto eher
kann die Gefahr bestehen, dass solche Ehen eingegangen werden.
Andererseits kann man zum Schluss kommen, dass ausländer- und
bürgerrechtliche Scheinehen weitaus rentabler sind als rechtsmissbräuchliche
Ehen im Asylrecht, was zur Folge hat, dass asylrechtliche Scheinehen weniger
häufig geschlossen werden und somit auch weniger häufig aufgedeckt werden.
Die gegenwärtige Situation kann allerdings zur Folge haben, dass künftig
vermehrt versucht wird, über das Asylrecht an ein Anwesenheitsrecht zu
gelangen, da stets nur von der Bekämpfung der Scheinehen im Ausländer- und
Einbürgerungsrecht die Rede ist.
3.
Die
rechtsmissbräuchliche
Ehe
im
Einbürgerungsrecht („Bürgerrechtsehe“)
Damit der Bereich des Migrationsrechts vollständig abgedeckt ist, muss
schliesslich noch auf die Scheinehe im Einbürgerungsrecht eingegangen
197
Kapitel IV.1.2.1.1.1. und 1.2.1.1.2.
Kapitel IV.1.2.1.2.
199
Auch dem Bundesamt für Migration sind keine entsprechenden Fälle bekannt.
198
36
werden. Obwohl seit der Abschaffung der Bürgerrechtsehe im ursprünglichen
Sinn die Ausländerrechtsehe den typischen Anwendungsfall einer Scheinehe
darstellt, darf dennoch der Bereich des Einbürgerungsrechts bei der
Missbrauchsdiskussion nicht gänzlich untergraben werden. Auch wenn die
Bürgerrechtsehe in ihrer ursprünglichen Bedeutung im Sinne des Art. 120 Ziff. 4
ZGB nicht mehr existiert, hat die Ehe mit einer Schweizerin bzw. einem
Schweizer dennoch Vorzüge, welche einen Anreiz für eine Scheinehe
darstellen und deshalb nach wie vor in der Praxis im Zusammenhang mit der
Einbürgerung Missbräuche festzustellen sind.
3.1.
Die frühere Regelung und die heutige Bedeutung des
Begriffs der Bürgerrechtsehe sowie deren Motive
Im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung des Begriffs der Bürgerrechtsehe
aufgrund geänderter Gesetzesbestimmungen gewandelt und an Bedeutung
verloren. Obwohl die Bürgerrechtsehe im eigentlichen Sinn nicht mehr existiert,
wird in der vorliegenden Arbeit dennoch der Begriff der Bürgerrechtsehe
verwendet,
was
eine
Auseinandersetzung mit
der heutigen und
der
ursprünglichen Bedeutung dieses Begriffs voraussetzt.
Die frühere Bundesverfassung200 bestimmte in Art. 54 Abs. 4, dass die Frau
durch den Abschluss der Ehe das Heimatrecht des Mannes erwirbt, was für
binationale Ehen bedeutete, dass eine Ausländerin durch die Heirat mit einem
Schweizer automatisch in den Genuss des Schweizer Bürgerrechts kam.
Allerdings funktionierte der automatische Bürgerrechtserwerb nur, wenn ein
Schweizer eine Ausländerin heiratete und nicht im umgekehrten Fall, wenn eine
Schweizerin einen Ausländer ehelichte. Nicht selten gab dies Anlass zur
Schliessung einer Scheinehe. Eine Scheinehe bzw. Bürgerrechtsehe lag
allerdings erst vor, wenn einzig die Übertragung des Bürgerrechts und folglich
die
Umgehung
der
Einbürgerungsvorschriften
zur
Erlangung
eines
Aufenthaltsrechts bezweckt wurden201.
Durch
die
Abschaffung
des
direkten
Erwerbs
der
schweizerischen
Staatsangehörigkeit allein durch Eheschliessung in der Volksabstimmung vom
4. Dezember 1983 und schliesslich der Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom
200
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (nicht mehr in
Kraft).
201
Ausführliche rechtsgeschichtliche Darstellung der ursprünglichen Bürgerrechtsehe bei
KELLER, S. 4ff.
37
23. März 1990 (und der Aufhebung des Art. 120 Ziff. 4 ZGB202)203, hat das
Institut der Ehe den Reiz als Mittel zur Erlangung des Schweizer Bürgerrechts
etwas verloren204. Zwar besteht nach wie vor die Möglichkeit gemäss Art. 27
BüG das schweizerische Bürgerrecht erleichtert zu erwerben, jedoch muss sich
der ausländische Ehepartner zuerst eine bestimmte Zeit in der Schweiz
aufhalten oder aufgehalten haben sowie eine gewisse Zeit mit dem
schweizerischen Ehegatten verheiratet sein205. Erst bei Vorliegen gewisser
Voraussetzungen erhält der ausländische Ehepartner also die schweizerische
Staatsangehörigkeit. Insofern wurden die Vorschriften für den Erwerb der
schweizerischen Staatsangehörigkeit verschärft, was auch für den Missbrauch
der Ehe im Einbürgerungsrecht Konsequenzen hatte, denn nun hat der
Missbrauch der Ehe zur Erlangung des Bürgerrechts nicht mehr den
automatischen
Bürgerrechtserwerb
Rechtsmissbrauch
im
Bereich
des
zur
Folge.
Und
Einbürgerungsrechts
dennoch
nicht
kann
gänzlich
ausgeschlossen werden. Eine Bürgerrechtsehe wird einzig mit dem Ziel
geschlossen, die bürgerrechtlichen Vorschriften zu umgehen und so an das
schweizerische Bürgerrecht zu gelangen, ohne eine echte Lebensgemeinschaft
begründen zu wollen. Nicht zuletzt können, wie in Kapitel II.2.2. bereits
ausgeführt, mittels der erleichterten Einbürgerung die Bestimmungen der
ordentlichen Einbürgerung umgangen und so über ein vereinfachtes Verfahren
das Schweizer Bürgerrecht erlangt werden206. Die erleichtere Einbürgerung liegt
in der ausschliesslichen Kompetenz des Bundes und zeichnet sich durch ein –
im Vergleich zur ordentlichen Einbürgerung – deutlich rascheres Verfahren
aus207. Des Weiteren profitiert der Ausländer bei der erleichterten Einbürgerung,
von den Vorteilen betreffend die gelockerten Wohnsitzverhältnisse208 sowie
vom unmittelbaren Erwerb der schweizerischen Staatsangehörigkeit, während
das Kantons- und Gemeindebürgerrecht nur davon abgeleitet sind209. Folglich
202
Gemäss diesem Artikel hat der Eheschluss zwecks Bürgerrechtserwerbs einen
Ehenichtigkeitsgrund dargestellt.
203
Aus Platzgründen kann in dieser Arbeit keine detaillierte rechtsgeschichtliche Darstellung der
Bürgerrechtsehe erfolgen.
204
KELLER, S. 4ff.
205
Ausführlich dazu Kapitel IV.3.2.
206
Im ordentlichen Einbürgerungsverfahren besteht auch bei Vorliegen der verlangten
Voraussetzungen kein Anspruch auf Einbürgerung.
207
BIANCHI, S. 173.
208
GÖKSU, S. 10.
209
Art. 27 Abs. 2 BüG.
38
erscheint die Eheschliessung zwischen einer Schweizer Bürgerin bzw. einem
Schweizer Bürger einerseits und einer Ausländerin bzw. einem Ausländer
andererseits auch bürgerrechtlich von Vorteil, da sie bei Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen einen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung vermittelt210.
Die Schliessung einer Bürgerrechtsehe „rentiert“ durchaus. Die oben genannten
Vorteile, die eine erleichterte Einbürgerung mit sich bringt, sind Anlass für den
ausländischen Ehepartner, eine Bürgerrechtsehe einzugehen.
Aus den vorhergehenden Ausführungen wird deutlich, dass der Unterschied
zwischen
dem
ursprünglichen
und
heutigen
Bürgerrechtsehebegriff
insbesondere darin liegt, dass gegenwärtig zwar ein erleichterter211, aber kein
automatischer Bürgerrechtserwerb allein durch Heirat erfolgt und früher mittels
einer Bürgerrechtsehe zugleich ein Anwesenheitsrecht angestrebt wurde,
welches heute durch die Eingehung einer Ausländerrechtsehe bezweckt wird.
3.2.
Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung
Aufgrund der praktischen Relevanz der erleichterten Einbürgerung für den
ausländischen Ehegatten im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsehe scheint
es angebracht, kurz deren Voraussetzungen zu erläutern.
Das Gesetz nennt in Art. 26 BüG für die erleichterte Einbürgerung die
generellen Anforderungen an die Integration, die da wären: Integration in der
Schweiz,
Beachtung
der
schweizerischen
Rechtsordnung
und
keine
Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz. Dieser Artikel
gilt sowohl für in der Schweiz als auch im Ausland lebende Ehegatten bzw.
Bewerber212.
Zusätzlich
nennt
das
Gesetz
in
Art.
27
BüG
weitere
Voraussetzungen für die in der Schweiz wohnhaften Ehegatten und in Art. 28
BüG weitere Voraussetzungen für die ausserhalb der Schweiz wohnhaften
Ehegatten, die allerdings in Verbindung mit der Bürgerrechtsehe wahrscheinlich
geringere praktische Bedeutung haben.
Art. 27 BüG vermittelt dem Ausländer nach der Eheschliessung mit einem
Schweizer Bürger das Recht, ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung zu
stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gelebt hat, seit einem Jahr
210
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47.
Es entsteht ein Anspruch auf erleichterte Einbürgerung bei Vorliegen bestimmter
Voraussetzungen. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47.
212
Art. 26 Abs. 2 BüG.
211
39
hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer
Bürger lebt. Hingegen verlangt Art. 28 BüG, dass der Gesuchssteller seit sechs
Jahren in der ehelichen Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt und mit
der Schweiz eng verbunden ist. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit sind
insbesondere Art. 27 lit. c und Art. 28 lit. a BüG erwähnenswert, da diese
Bestimmungen
eine
„eheliche
Gemeinschaft“
von
gewisser
Dauer
voraussetzen, die bei der Bürgerrechtsehe gerade nicht vorliegt. In diesen
Litera
liegt
demzufolge
auch
die
Missbrauchsgefahr der erleichterten
Einbürgerung.
3.3.
Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bürgerrechtsehe
Wie bei der Ausländerrechtsehe handelt es sich auch bei der Bürgerrechtsehe
um eine zum Schein geschlossene Ehe. Folglich wird vorausgesetzt, dass der
Ehe bereits im Zeitpunkt der Eheschliessung kein Ehewille zugrunde liegt bzw.
der gemeinsame Wille zu einer stabilen Lebensgemeinschaft fehlt und somit
keine echte eheliche Gemeinschaft beabsichtigt und gelebt wird. Wobei es sich
hierbei im Grunde genommen von Beginn an um eine Ausländerrechtsehe
handelt mit dem Zweck, eine Anwesenheitsberechtigung zu erwerben213
214
.
Demzufolge kann hier ergänzend auf die Ausführungen zur Ausländerrechtsehe
verwiesen werden215.
Rechtsmissbräuchlich (und im Einbürgerungsrecht von Bedeutung) ist, in
Anlehnung
an
die
bundesgerichtliche
Rechtsprechung
zum
rechtsmissbräuchlichen Festhalten an einer nur noch formell bestehenden Ehe
im Rahmen des AuG216, insbesondere die Berufung auf eine Ehe, die „zunächst
zwar harmonisch verlief“, bei welcher jedoch „im Zeitpunkt der Einbürgerung217
aber schon der Wille zur Scheidung bestand“218 und welche daher nur aufrecht
213
Es sei denn der ausländische Ehegatte verfüge bereits über eine Anwesenheitsberechtigung
in der Schweiz und ziele nur auf den Erwerb des Schweizer Passes ab.
214
Die Ehe wird dann einige Jahre formell aufrechterhalten, um schliesslich noch die
schweizerische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Somit wandelt sich die Ausländerrechtsehe
– im Laufe der Zeit und aufgrund des verfolgten Zwecks – in eine Bürgerrechtsehe. Die
bereits rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe wird aufrechterhalten, um an das Schweizer
Bürgerrecht zu gelangen.
215
Kapitel IV.1.2.1.1.1.
216
Vgl. dazu BGE 130 II 113, E. 4.2; BGE 128 II 145, E. 2; BGE 127 II 49, E. 5a.
217
Es kann sich hierbei auch um den Zeitpunkt der Einreichung des Einbürgerungsgesuchs
handeln.
218
HARTMANN/MERZ, Rn. 12.60. Die Autoren nennen diese Fallkonstellation im Zusammenhang
mit den Gründen für die Nichtigerklärung einer Einbürgerung.
40
erhalten wird, um einen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung zu haben219
und folglich unter erleichterten Bedingungen das schweizerische Bürgerrecht zu
erhalten. Damit eine Bürgerrechtsehe vorliegt, muss die Berufung auf die Ehe
im
Zeitpunkt
der
Gesuchseinreichung
und/oder
während
der
Einbürgerungsverfügung rechtsmissbräuchlich sein. Für den Rechtsmissbrauch
braucht es auch hier begründete Hinweise, die auf einen fehlenden Ehewillen
schliessen lassen.
Im Einbürgerungsrecht hat eigentlich nur die zweite Missbrauchskonstellation,
also die Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe, Bedeutung, da
beim ersten Fall von Beginn an eine Ausländerrechtsehe vorliegt und der
Sachverhalt diesbezüglich unter das Ausländerrecht subsumiert wird, es sei
denn, ein Ausländer verfüge bereits über ein Anwesenheitsrecht und gehe eine
Ehe nur ein, um nach einigen Jahren das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten220,
ohne dass ihm die Wegweisung oder Sonstiges droht. Das bedeutet allerdings,
dass
bereits
von
Anfang
an
der
Wille
zur
Führung
einer
echten
Lebensgemeinschaft fehlt und die formelle Ehe dann mindestens über drei
Jahre221
lang
aufrechterhalten
werden
müsste,
damit
die
erleichterte
Einbürgerung erwirkt werden könnte. Aufgrund dessen sind diese Fälle kaum
von praktischer Relevanz. In Anbetracht des mehr oder weniger bedeutenden
Vorteils, welchen der Betroffene durch den Schweizer Pass erhalten würde,
birgt diese rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise ein deutlich zu hohes Risiko.
Verfügt
jemand
über ein
Anwesenheitsrecht,
dann
braucht er keine
schweizerische Staatsbürgerschaft um in der Schweiz leben zu können. Und
darum geht es ja letztlich bei der hier interessierenden rechtsmissbräuchlichen
Ehe im Migrationsrecht.
219
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47.
Man könnte sich vorstellen, dass er mit dem Schweizer Pass beispielsweise den Anspruch
auf die politischen Rechte anstrebt oder sich allenfalls beim Reisen im Ausland Vorteile
verschaffen will, weil er womöglich als Schweizer keine Visa für bestimmte Staaten
bräuchte.
221
Denn Art. 27 BüG setzt voraus, dass der Ausländer mindestens drei Jahre in ehelicher
Gemeinschaft mit dem schweizerischen Ehegatten gelebt hat.
220
41
3.4.
Fälle aus der Praxis
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-3912/2008 vom 8. Juni 2009222
Sachverhalt:
Der aus Brasilien stammende Beschwerdeführer kam 1996 als Tourist in die
Schweiz und heiratete 1997 eine Schweizerin. Im Mai 2003 wurde der
Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert, nachdem die Ehegatten eine
gemeinsame Erklärung abgegeben hatten, dass sie in einer gemeinsamen
ehelichen
Gemeinschaft
zusammenleben
und
keine
Trennungs-
oder
Scheidungsabsichten bestehen. Bereits acht Monate später wurde die
Scheidung eingereicht. Im August 2004 wurde die Ehe geschieden. Die
Vorinstanz erklärte die erleichterte Einbürgerung für nichtig. Die dagegen
erhobene Beschwerde wurde vom BVerwGer abgewiesen.
Schlussfolgerungen und Bemerkungen:
Das BVerwGer erwog, dass die Ehegatten im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht
in einer intakten Ehe lebten. Hinweise für diese Annahme sahen die Richter
darin, dass bereits kurze Zeit nach der Einbürgerung das Scheidungsbegehren
eingereicht
wurde
und
beide
Ehepartner Polizeijournalen
zufolge
der
Prostitution nachgingen. Bei angekündigten polizeilichen Wohnungsbesuchen
konnte die Ehefrau nie angetroffen werden. Zudem wurde nachgewiesen, dass
der Beschwerdeführer bereits zwei Wochen nach Erlangung des Schweizer
Bürgerrechts im homosexuellen Dienstleistungsmilieu tätig war. Des Weiteren
lebte er seit 2005 in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. All diese
Elemente
führten
schliesslich
zur
Annahme,
dass
im
Zeitpunkt
der
Einbürgerung keine intakte Ehe mehr bestand, sofern diese überhaupt jemals
bestanden hatte.
Im vorliegenden Fall hat das BVerwGer aufgrund der offensichtlichen
Indizienlage (insbesondere Anbieten von homosexuellen Dienstleistungen und
Prostitution)
entschieden
und
eine
Scheinehe
angenommen,
welche
schliesslich zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führte.
222
Einsehbar unter http://www.bundesverwaltungsgericht.ch/index/entscheide/jurisdictiondatenbank/jurisdiction-recht-urteile-aza.htm (zuletzt besucht am 23.06.2009).
Entsprechender Artikel zum Urteil auch in der Basler Zeitung (BaZ), „Brasilianer wird
ausgebürgert – Schweizer Pass erschlichen“, 19. Juni 2005, S. 5.
42
Urteil des Bundesgerichts 128 II 97
Sachverhalt:
Der 1958 in der Türkei geborene Beschwerdeführer G. heiratete die F., welche
ihm acht Kinder gebar. 1989 ersuchte er in der Schweiz um Asyl. Sein Gesuch
wurde abgewiesen und auf den November 1992 sollte die Wegweisung
stattfinden. Bereits im Juli 1992 liess er sich von F. scheiden und heiratete im
September 1992 die 34 Jahre ältere Schweizerin B. Im Dezember 1996 wurde
G. erleichtert eingebürgert, nachdem die Ehegatten erklärt hatten, dass sie eine
tatsächliche Ehe lebten und keine Trennungs- oder Scheidungsabsichten
bestünden. Am 21. November 1997 wurde der Familiennachzug der Kinder aus
erster Ehe bewilligt. Im Februar wurde die Ehe auf Begehren der Ehefrau B.
geschieden. G. wurde fürsorgeabhängig und ehelichte im Mai 1998 erneut
seine erste Ehefrau. Die Einbürgerung wurde für nichtig erklärt. Die
Beschwerde des G. wurde vom BGer abgewiesen.
Schlussfolgerungen und Bemerkungen:
Das BGer stützte sich bei seiner Argumentation auf den Ereignisablauf. Die
Scheidung des G. von seiner türkischen Frau, mit der er immerhin acht Kinder
gezeugt hatte und die darauf folgende überhastete Heirat mit der 34 Jahre
älteren B. erfolgten kurz vor der absehbaren Wegweisung. Das BGer erwog,
dass die Ehe seitens des G. als fiktiv zu gelten habe, da er diese solange
aufrecht erhalten hatte, bis die formellen Voraussetzungen für die erleichterte
Einbürgerung vorlagen. Kurze Zeit nach der Einreise der Kinder wurde die Ehe
geschieden und G. ehelichte erneut seine erste Frau.
Das BGer geht in diesem Fall von einem, zumindest auf Seiten des
Beschwerdeführers, vorliegenden Rechtsmissbrauch aus. Obwohl B. die
Scheidung
eingeleitet
hat,
sind
die
vorliegenden
Indizien
genügend
schwerwiegend, um eine Scheinehe anzunehmen und die Einbürgerung in der
Folge für nichtig zu erklären. Der vorliegende Sachverhalt, bei dem eine Heirat
nach negativem Asylentscheid erfolgte, stellt einen typischen Fall einer
rechtsmissbräuchlichen Ehe dar. Vorliegend wird die bereits zu Beginn
rechtsmissbräuchlich
geschlossene
Ehe
(Ausländerrechtsehe)
solange
aufrechterhalten, bis das Schweizer Bürgerrecht erlangt wird, sodass
sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden.
43
4.
Das Erkennen einer Scheinehe als praktisches
Problem
Bei der Betrachtung des Missbrauchs im Migrationsrecht in der Praxis fällt auf,
dass sich zwar auf der einen Seite teilweise klare Missbrauchsfälle
herausgebildet haben, auf der anderen Seite allerdings Scheinehen nur unter
sehr erschwerten Bedingungen zu erkennen sind. Um einen durchaus
typischen Fall handelt es sich beispielsweise beim Ausländer, der sich von
seiner ausländischen Frau scheiden lässt, kurz darauf eine Schweizerin oder
Niedergelassene ehelicht, sich von ihr scheiden lässt, sobald er die
Niederlassungsbewilligung erworben hat und schliesslich kurz darauf wieder
seine damalige Frau heiratet, um diese und allenfalls die gemeinsamen Kinder
nachzuziehen223. Solch einen Fall als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren
scheint durchaus sinnvoll und rechtlich angebracht. Wann aber kann bei einem
nicht so eindeutigen Fall von Rechtsmissbrauch gesprochen werden? In der
Mehrheit der Fälle lässt sich der Rechtsmissbrauch nicht so einfach beweisen,
da auch bei Vorliegen mehrerer Indizien Scheinehen mit grosser Zurückhaltung
angenommen und eine exzessive Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots
vermieden werden sollten. Eine Ehe wird grösstenteils im Privaten gelebt und
nicht in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, was den Nachweis einer
rechtsmissbräuchlichen Ehe erschwert. Enorm schwierig ist der Nachweis
insbesondere dann, wenn zwar gewisse Indizien für das Vorliegen von
Rechtsmissbrauch sprechen, aber dennoch eine formell bestehende Ehe
vorliegt und das Zusammenleben der Ehegatten224 nachgewiesen wurde. Das
Vorliegen einer Scheinehe bzw. das missbräuchliche Festhalten an einer Ehe
sind dem direkten Beweis entzogen225 und können deshalb grundsätzlich nur
durch ein Geständnis eines Beteiligten, dass eine Scheinehe vorliege, eindeutig
belegt werden, sofern es sich nicht um eine Rachebehauptung oder
Falschaussage handelt226.
Oft wird bereits bei Vorliegen eines einzigen Indizes, wie beispielsweise einem
grossen Altersunterschied zwischen schweizerischem und ausländischem
223
BGE vom 29. Juni 2001, 2A.69/2001.
Nach der Konzeption des neuen Ausländergesetzes wird für das Eintreten
ausländerrechtlicher Wirkungen nicht nur das formelle Bestehen der Ehe, sondern auch das
Zusammenwohnen der Ehegatten vorausgesetzt.
225
Vgl. etwa BGE 122 II 289, E. 2b.
226
Vgl. UEBERSAX, S. 12; NYFFENEGGER, S. 142.
224
44
Partner der Gedanke geweckt, es handle sich um eine Scheinehe. Obwohl es
zwar klare Hinweise für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten braucht, darf
dennoch – auch bei Vorliegen mehrerer eindeutiger Hinweise – nicht
unmittelbar auf Rechtsmissbrauch geschlossen werden, sofern nicht eindeutig
der Wille zur echten Lebensgemeinschaft ausgeschlossen werden kann227. Die
Hinweise müssen zwar differenziert untersucht werden, spielen aber, sofern der
Ehewille besteht, keine Rolle. Wie aber soll grundsätzlich der bestehende oder
eben nicht bestehende Ehewille durch die zuständigen Behörden beurteilt
werden? Darin liegt meiner Ansicht nach die Hauptproblematik beim Erkennen
einer Scheinehe.
Andererseits ist festzuhalten, dass eine Ehe nur dann als Scheinehe gilt, wenn
sie einzig und allein ausländer-, asyl- oder bürgerrechtliche Zwecke verfolgt.
Nur in einem solchen Fall entfällt der Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung, der
Einbezug ins Asyl oder der Anspruch auf erleichterte Einbürgerung. Im
schweizerischen Recht finden sich keine besonderen Motive für die
Eheschliessung, weshalb diese unterschiedlicher Natur sein können228. Auch
wenn die Sicherung des Aufenthalts kausal für die Eheschliessung war, muss
selbst dann nicht zwingend eine Scheinehe vorliegen229. Wird also ein
migrationsrechtliches Motiv verfolgt, ist aber dennoch eine echte eheliche
Gemeinschaft gewollt, liegt keine rechtsmissbräuchliche Ehe vor und die
entsprechenden Rechtsfolgen können folglich nicht verweigert werden230. Geht
beispielsweise ein Paar eine Ehe ein, um gemeinsam in der Schweiz leben zu
können, hätten sie sich aber bei Fehlen ausländerrechtlicher Hindernisse nicht
geehelicht, sondern ihre Beziehung wie bis anhin weitergeführt, dann liegt keine
Scheinehe vor. Solange nicht ausschliesslich migrationsrechtliche Motive
verfolgt werden, kann keine Scheinehe begründet werden. In Folge dieser
Schwierigkeiten wird automatisch der Beweis einer Scheinehe erschwert. Nicht
selten wird diese Problematik von den zuständigen Behörden im Eheverfahren
ausser Acht gelassen und vorschnell eine rechtsmissbräuchliche Ehe
angenommen.
Es
entsteht
sogar
der
Eindruck
eines
gewissen
Generalverdachts, indem verdächtige Ehen über einen Kamm geschert werden.
227
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG.
Siehe dazu Kapitel III.3.1.
229
GÖKSU, S. 19.
230
Ausführlich dazu Kapitel III.3.1.; vgl. auch GÖKSU, S. 18 und UEBERSAX, S. 13.
228
45
Vor allem die Praxis des Kantons Thurgau, der bei der Bekämpfung von
rechtsmissbräuchlichen Ehen am härtesten durchgreift, grenzt beinahe schon
an „Beamtenwillkür“, wenn bereits bei einem Altersunterschied von sieben
Jahren
ein
Verdacht
auf
Scheinehe
besteht231.
Regelmässige
Hausdurchsuchungen bei ausländisch-schweizerischen Ehen sind an der
Tagesordnung, genau so indiskrete Fragen zur Beischlafhäufigkeit und
Verhütungspraxis der Paare232. Stimmen die Antworten der Ehepartner nicht
überein und bestehen mehrere Widersprüche, so erhärtet sich der Verdacht
einer Scheinehe. Diese Vorgehensweise der thurgauischen Behörden verletzt
meines Erachtens die Privatsphäre und greift somit in das Privatleben der
Ehegatten ein. Vor allem die gestellten Fragen sind nicht verhältnismässig.
Deshalb erstaunt es auch nicht, dass in den letzten zehn Jahren beinahe jedes
dritte (32 Prozent) Rekursverfahren zum Thema Scheinehen im Kanton
Thurgau vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissen wurde233. Ein weiteres
praktisches Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Behörden
bereits eine Scheinehe annehmen, ohne dass der Nachweis einer echten Ehe
erbracht werden konnte, weil der eine Ehegatte in der Schweiz und der andere
im Ausland lebt234. Diese behördliche Vorgehensweise ist nicht nachvollziehbar.
Das
eheliche
Zusammenwohnen
ist
insbesondere
im
Ausländerrecht
Voraussetzung für die familiären Nachzugsrechte und soll der Verhinderung
von Scheinehen dienen. Aber in dieser Konstellation läuft die Bedingung völlig
ins Leere, denn den Ehegatten wird es von Amtes wegen verunmöglicht,
zusammen zu leben235 und ihre Ehe nachzuweisen. Die Behörde geht von einer
Scheinehe aus, ohne dass die Ehegatten sie vom Gegenteil überzeugen
konnten. Eigentlich sind die Ehegatten verheiratet, aber dennoch irgendwie
231
Kritisiert wurde das Vorgehen der thurgauischen Behörden bei der Scheinehebekämpfung
insbesondere in der Sendung des Schweizer Fernsehens „Reporter: Eheschein/Scheinehe –
Was Paare im Kanton Thurgau erleben“ vom 3. Juni 2009. Ein Artikel zur Sendung findet
sich im Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009:
Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009).
232
Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009:
Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009).
233
Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009:
Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009).
234
Vgl. den auf S. 29f. beschriebenen Fall.
235
Teilweise wird den Ehegatten das Zusammenleben erst nach einigen Jahren ermöglicht.
46
(von Amtes wegen) getrennt. Fraglich ist in der Folge, ob durch die verweigerte
Einreise des ausländischen Ehegatten das Recht auf Ehe verletzt wird.
Im Weiteren spielt hierbei auch das Gebot der Unschuldsvermutung eine
durchaus wichtige Rolle. Die Praxis der Behörden muss bei der Bekämpfung
von Scheinehen die Unschuldsvermutung beachten, was in Anbetracht der
oben beschriebenen Vorgehensweisen der Behörden zweifelhaft ist. Das Gebot
der Unschuldvermutung236 bedeutet, dass Beschuldigte bis zum Nachweis ihrer
Schuld als unschuldig betrachtet werden müssen und nicht vorverurteilt werden
dürfen237. Wenn allerdings bereits die Einreise des ausländischen Ehegatten
verweigert bzw. das Zusammenleben der Ehegatten verunmöglicht wird, folglich
der Gegenbeweises des bestehenden Ehewillens nicht erbracht werden darf,
wird meines Erachtens, bevor eine Scheinehe endgültig nachgewiesen wurde,
ein gewisses rechtsmissbräuchliches Handeln unterstellt und die betreffende
Person in gewisser Weise als Schuldige behandelt, wodurch das Gebot der
Unschuldsvermutung zumindest im weitesten Sinne tangiert wird.
Insbesondere in der Literatur238 zum alten Recht wurde das behördliche
Vorgehen in Bezug auf die Missbrauchspraxis bemängelt und ein bedachter
Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot gewünscht, sodass die Prüfung
des Rechtsmissbrauchs nicht systematisch, sondern ausnahmsweise nur in
speziellen
Fällen
erfolgt.
Es
muss
einem
bewusst
sein,
dass
das
Rechtsmissbrauchsverbot stets ein „rechtlicher Notbehelf“ und damit die
Ausnahme bleiben muss239. So schrieb bereits SCHEER in Bezug auf die
rechtsmissbräuchliche Ehe in der Bundesrepublik Deutschland, dass die
generelle Vermutung, eine gemischt-nationale Ehe sei eine Scheinehe,
unzulässig sei240.
Grundsätzlich ist bei der Qualifizierung einer Ehe als Scheinehe Zurückhaltung
geboten, da diese mit etlichen Begriffsschwierigkeiten und Beweisproblemen
verbunden ist. Meines Erachtens darf man nicht vergessen, dass die Liebe
keine Grenzen hat und deshalb durchaus etwa zwischen einer älteren Frau und
einem jüngeren Mann eine Liebesheirat vorliegen kann, die nicht einzig und
allein migrationsrechtlich motiviert ist. Generell ist es aber für die Gesellschaft
236
Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 14 Ziff. 2 UNO-Pakt II.
Ausführlich dazu VEST, S. 664ff. und TOPHINKE, S. 103ff. und 363ff.
238
UEBERSAX, S. 27f.
239
UEBERSAX, S. 27f.
240
SCHEER, S. 289.
237
47
schwierig, Ehen zu akzeptieren, die nicht tagtäglich geschlossen werden und
deshalb nicht der Gewohnheit entsprechen. So beginnt man vorschnell an
solchen Ehen zu zweifeln und kommt zum Ergebnis, dass ihnen etwas
Rechtswidriges anhaften muss. Dieser gesellschaftliche Grundgedanke färbt
verständlicherweise auch auf die zuständigen Behörden und die gerichtlichen
Instanzen ab. Wichtig ist, dass die Hinweise auf eine rechtsmissbräuchliche
Ehe einer unabhängigen und differenzierten Untersuchung standhalten, denn
nur bei einer klaren Ausgangslage kann Aussicht auf Erfolg bestehen241.
5.
Das Problem der einseitigen Scheinehe
Die Ehepartner einer Scheinehe können beide bösgläubig sein242, das heisst,
dass beide Ehegatten eine Scheinehe eingehen wollen. Die Scheinehe ist in
diesem Fall vom übereinstimmenden Willen der Ehegatten getragen. Die
rechtsmissbräuchliche Eheschliessung erfolgt im gegenseitigen Einverständnis
der Eheleute. Beide Seiten sind sich bewusst, dass der einzige Zweck der Ehe
nur die Erlangung ausländer-, asyl- oder bürgerrechtlicher Vorteile ist.
Allerdings sind nicht immer beide Ehepartner bösgläubig. Es gibt auch Fälle, in
denen der in der Schweiz lebende Ehegatte von einer tatsächlichen Ehe
ausgeht und demzufolge in gutem Glauben handelt243. Fraglich ist, ob es für
das Vorliegen einer Scheinehe ausreicht, wenn nur der eine Ehepartner
migrationsrechtliche
Zwecke
verfolgt,
während
der
andere
Ehepartner
tatsächlich verliebt ist und deshalb eine echte Lebensgemeinschaft begründen
will. In der Lehre finden sich diesbezüglich unterschiedliche Antworten.
KOTTUSCH zufolge ist es rechtlich unerheblich, dass der eine Ehepartner in
gutem Glauben handelt, weil begriffsnotwendig alle Ausländer, welche sich mit
einer Scheinehe in der Schweiz migrationsrechtliche Vorteile verschaffen
wollen, bösgläubig sind244. Nach GÖKSU ist ungeklärt, ob der Wille zur
Scheinehe bei beiden Ehepartnern vorliegen muss oder ob es ausreicht, wenn
nur der eine Ehegatte die Schliessung einer Scheinehe verfolgt245. In BGE 127
241
Vgl. dazu NYFFENEGGER, S. 142f.
KOTTUSCH, S. 432.
243
KOTTUSCH, S. 432.
244
KOTTUSCH, S. 432.
245
GÖKSU, S. 19.
242
48
II 49246 wertet das Bundesgericht die Aussage des Ehemannes, seine Frau
habe ihn nur zwecks Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung geheiratet, als
Hinweis auf eine Scheinehe. Somit genügt dem Bundesgericht zufolge
einseitige Bösgläubigkeit für das Vorliegen einer Scheinehe247. Meines
Erachtens sollte es für die Qualifikation einer Ehe als rechtsmissbräuchlich
genügen, wenn der Ehegatte, welcher migrationsrechtliche Vorteile anstrebt,
keinen Willen zur Eingehung einer echten Lebensgemeinschaft hat, denn nur
so kann Rechtsmissbrauch konsequent verhindert werden. Verlangt man, dass
beidseitig böser Glaube vorliegen muss, würde der bösgläubige Ehegatte,
sobald sich der ansässige Ehepartner in ihn verliebt und sie eine Ehe eingehen,
von dieser Situation profitieren können. Diesbezüglich folge ich der Meinung
von KOTTUSCH und bin der Ansicht, dass der gute Glaube eines Ehepartners
rechtlich
keine
Rolle
migrationsrechtliche
spielen
Zwecke
darf,
verfolgt,
denn
der
handelt
Ehepartner,
seinerseits
so
welcher
oder
so
missbräuchlich, ob sein Ehegatte nun gutgläubig ist oder nicht. Die
Gutgläubigkeit seines Ehegatten darf ihm keinesfalls zugute kommen.
Anzumerken bleibt allerdings, dass der Nachweis einer Scheinehe, bei der nur
einseitig eine wirkliche Ehe gewollt ist, in der Praxis beinahe unmöglich sein
wird, denn schon das Vorliegen einer zweiseitigen Scheinehe ist – wie im
vorangehenden
Kapitel
aufgezeigt
–
mit
zahlreichen
Schwierigkeiten
verbunden.
V.
Rechtsfolgen der Scheinehe
Wird eine Scheinehe geschlossen, so wie sie in den vorangehenden Kapiteln
beschrieben wurde – sei es im Ausländer-, Asyl- oder Einbürgerungsrecht – so
bleibt dieser Rechtsmissbrauch nicht folgenlos. In diesem Kapitel werden die
verschiedenen
Rechtsfolgen
einer
rechtsmissbräuchlichen
Ehe
im
Migrationsrecht aufgefächert und diskutiert, wobei deutlich werden soll, welche
rechtlichen Instrumentarien zur Bekämpfung von Scheinehen zur Verfügung
stehen.
246
247
E. 4b.
Einseitige Bösgläubigkeit genügte dem BGer ebenfalls in dem auf S. 41f. geschilderten Fall.
49
1.
Zivilrechtliche Bestimmungen zur Bekämpfung
von Scheinehen im Ausländerrecht
Dem Missbrauch im Migrationsrecht wird unter anderem mit zivilrechtlichen
Bestimmungen begegnet, welche in den nachfolgenden Kapiteln behandelt
werden.
1.1
Verweigerung der Trauung nach Art. 97a ZGB als
präventive Massnahme
1.1.1.
Allgemeines
Das neue Ausländergesetz hat auch im Bereich des Eheschliessungsrechts zu
Neuerungen geführt. Dazu gehört unter anderem Art. 97a ZGB. In dieser
Bestimmung geht es nicht um eine Rechtsfolge der Scheinehe, sondern um
eine Massnahme zur Verhinderung einer solchen bereits im Zeitpunkt der
Eheschliessung, sodass erst gar keine Scheinehe eingegangen werden kann.
Art. 97a ZGB bemächtigt die Zivilstandesbeamten und –beamtinnen bei
offensichtlichem
Vorliegen
einer
Ausländerrechtsehe,
die
Trauung
zu
verweigern. Hierbei geht es um die Verweigerung der Eheschliessung im
Rahmen des Vorbereitungsverfahrens248, da bereits auf das Gesuch nicht
eingegangen werden muss. Der Lehre zufolge kann die Verweigerung auch erst
bei der eigentlichen Trauungshandlung erfolgen249 und ist somit nicht auf das
Vorbereitungsverfahren beschränkt. Von dieser Bestimmung werden nur Paare
erfasst, die eine Scheinehe eingehen, also keine echte Lebensgemeinschaft
wollen und ausschliesslich ausländerrechtlich motivierte Ziele verfolgen bzw.
die Umgehung ausländerrechtlicher Bestimmungen verfolgen250. Der Entscheid,
eine Eheschliessung zu verweigern, liegt allein beim Zivilstandesbeamten, der
bei Vermutung einer Scheinehe nach Art. 97a Abs. 2 ZGB bei anderen
Behörden oder Drittpersonen wie beispielsweise beim Arbeitgeber, Nachbarn,
Arzt oder bei der Fremdenpolizei Auskünfte einholen kann. Für die
Verweigerungsmöglichkeit reichen vage Verdachtsmomente nicht aus. Hier
begegnet uns wieder das Erfordernis des offenbaren Missbrauchs. Das
bedeutet, dass nur bei Vorliegen begründeter Hinweise, die den zweifelsfreien
248
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 752.
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 753.
250
Ausführlich zur Scheinehe im Ausländerrecht Kapitel III.3.1. und IV.1.2.1.1.; zu den
Voraussetzungen des Art. 97a ZGB auch GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.12.
249
50
Schluss auf Rechtsmissbrauch zulassen, eine Scheinehe angenommen und die
Trauung in der Folge verweigert werden darf251.
Folgt man dem Wortlaut des Art. 97a ZGB, kann der Eheschluss auch bei
Vorliegen einer einseitigen Scheinehe verweigert werden. Dies ist allerdings in
der Literatur nicht ganz unumstritten. FANKHAUSER/W ÜSCHER plädieren in
Anlehnung an die Botschaft des Bundesrates nur beim Vorliegen zweiseitiger
Scheinehen für die Anwendbarkeit der Bestimmung252.
1.1.2.
Praktische Relevanz des Art. 97a ZGB
Ziel dieser Bestimmung ist es, den Scheinehen bereits beim Zivilstandesamt die
nötige Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, um diese so früh wie möglich zu
verhindern bzw. erst gar nicht entstehen zu lassen. Problematisch ist allerdings,
dass es eher selten möglich ist, vor Eheschluss sämtliche Zweifel am Vorliegen
einer Scheinehe auszuräumen253, insbesondere wenn die Ehewilligen noch
kaum oder gar nicht zusammen gelebt haben, weil es ihnen rechtlich verwehrt
wurde. Des Weiteren ist es schon schwierig, eine Ausländerrechtsehe im
Nachhinein zu beweisen, sodass diese neue Bestimmung eine enorme
Herausforderung für die involvierten Zivilstandesbeamten darstellt, da hier die
Scheinehe bereits im Voraus belegt werden muss und dies kaum definitiv
möglich
ist254.
Der
Zivilstandesbeamte
darf
seine
Mitwirkung
am
Vorbereitungsverfahren nicht verweigern, sofern noch „Restzweifel in Bezug auf
das Vorliegen einer Scheinehe oder Scheinpartnerschaft“255 gegeben sind. Im
Zweifelsfalle muss die Ehe – nach dem Grundsatz in dubio pro matrimonio –
aufgrund von Art. 14 BV und Art. 12 EMRK geschlossen werden256. Sie darf
251
Zur Notwendigkeit offensichtlicher Indizien ausführlich Kapitel IV.1.2.1.2.; vgl. auch
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.12.
252
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 753ff.
253
Vgl. Bem. von FANKHAUSER ROLAND zum BGE vom 10. März 2008, 2C_435/2007, in:
INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts,
2008, S. 588f.
254
Vgl. BGE vom 10. März 2008, 2C_435/2007, E. 2.2., in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA
BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2008, S. 585f.
255
Weisungen des Eidgenössischen Amtes für das Zivilstandswesen EAZW, Nr. 10.07.12.01
(Umgehung des Ausländerrechts: Verweigerung der Eheschliessung durch die
Zivilstandsbeamtin oder den Zivilstandsbeamten, Beurkundung von Ungültigerklärungen,
Anerkennung und Eintragung ausländischer Eheschliessungen und Partnerschaften) vom 5.
Dezember 2007, S. 7.
256
Vgl. MONTINI, S. 15; UEBERSAX, S. 26.
51
demzufolge nur verweigert werden, wenn der Rechtsmissbrauch „eindeutig
feststeht und belegt ist“257.
Meines Erachtens trägt die Regelung in Art. 97a ZGB nur wenig zur
Vermeidung von Scheinehen bei. Obwohl sie vielleicht eine gewisse
Signalwirkung innehat, können Personen, die zur Eingehung einer Scheinehe
bereit sind, nicht dadurch abgeschreckt werden, dass ihr Vorhaben bereits vor
der Trauung aufgedeckt werden könnte. Des Weiteren ist ihre praktische
Relevanz dadurch eingeschränkt, dass ein Zivilstandesbeamte, der zwar das
Gefühl hat, es liege eine Ausländerrechtsehe vor, die Ehe (zu Recht) eher
vollziehen wird, als dass er sich auf sein Gefühl verlässt und sie verweigert. Der
Grund hierfür ist die Tatsache, dass die Feststellung einer Scheinehe für den
zuständigen Zivilstandesbeamten eine nicht unbedeutende Schwierigkeit
darstellt. Im Zweifelsfall muss er den Ehewillen der Verlobten beurteilen258,
wobei er unter gewissem Druck steht, Fehlentscheidungen zu vermeiden259.
Zudem wird, aufgrund der Möglichkeit eine Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB
ungültig zu erklären, der Anwendungsbereich des Art. 97a ZGB weiter
eingeschränkt.
1.2.
Auflösung der Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB
Wird im Ausländerrecht dennoch eine Scheinehe geschlossen, so stellt dies
nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB neu einen unbefristeten Ungültigkeitsgrund dar. Diese
Bestimmung entspricht sinngemäss dem früheren Art. 120 Ziff. 4 ZGB. Die Ehe
wird ungültig erklärt, wenn keine wirkliche Lebensgemeinschaft, sondern die
Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften gewollt ist. Erwähnenswert scheint
hier die Tatsache, dass diese unbefristete Ungültigerklärung im Grunde
genommen im Widerspruch zu Art. 41 BüG steht, der eine Nichtigerklärung der
257
UEBERSAX, S. 26.
SPESCHA , Migrationsabwehr, S. 75.
259
Erwähnenswert ist in dieser Hinsicht die Tatsache, dass gerade diejenigen – bereits vor
Inkrafttreten der Bestimmung – eine ablehnende Haltung zeigten, die die hauptsächliche
Verantwortung bei der Durchsetzung übernehmen, nämlich die Zivilstandsbeamtinnen und –
beamten. Sie seien „absolut nicht geneigt“ einer solchen Regelung „gerecht zu werden“, da
es nicht Aufgabe der Trauungsbeamtin bzw. des Trauungsbeamten sei, polizeiliche
Aufgaben zu übernehmen. Vgl. Vernehmlassung des Schweizerischen Verbandes für
Zivilstandswesen vom 10. Mai 2007 zu den Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung des
BG vom 16.12.2005 über die Ausländer und der Teilrevision des Asylgesetzes vom
16.12.2005: Einsehbar unter http://www.zivilstandswesen.ch/content-n21-sD.html (zuletzt
besucht am 11.06.2009).
258
52
Ehe innerhalb von fünf Jahren vorsieht260. Deshalb spricht die Lehre im
Zusammenhang mit Art. 105 Ziff. 4 ZGB von einer Wertsystemwidrigkeit261.
Art. 105 Ziff. 4 ZGB ist der Lehre zufolge, entgegen seinem Wortlaut, nur auf
zweiseitige Scheinehen anwendbar. Einseitige Scheinehen sollen gemäss Art.
115 ZGB geschieden werden262.
Fraglich bleibt, ob das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer Ehe allein aus
ausländerrechtlich motivierten Zwecken in den Anwendungsbereich dieser
Bestimmung fällt. In Anlehnung an die parlamentarische Beratung lehnen
FANKHAUSER/W ÜSCHER die Anwendung des Art. 105 Ziff. 4 ZGB richtigerweise
ab, wenn eine Ehe, die ursprünglich wirklich gewollt war, nachträglich nur noch
aufgrund ausländerrechtlicher Motive aufrechterhalten wird263.
Was die praktische Bedeutung dieser Bestimmung anbelangt, so hat sich
bereits die Botschaft des Bundesrates für eine eher beträchtliche Zahl von
Ungültigerklärungen und damit eine eher geringe praktische Relevanz
ausgesprochen264.
1.3.
Entfallen des Kindsverhältnisses ex lege nach Art. 109
Abs. 3 ZGB als Folge der Eheungültigkeit
1.3.1.
Rückwirkende Aufhebung der Vaterschaftsvermutung bei
Ungültigerklärung der Ehe
In der Regel wirkt die Ungültigerklärung der Ehe nicht zurück. Einzige
Ausnahme
ist
die
Ex-lege-Aufhebung
des
Kindsverhältnisses
bei
Ungültigerklärung der Ehe gestützt auf Art. 105 Ziff. 4 ZGB. Wird ein Kind
während einer Scheinehe geboren, so entfällt die Vaterschaftsvermutung von
Gesetzes wegen rückwirkend, wenn diese Ehe (die nur dazu diente, die
Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und
Ausländern zu umgehen) für ungültig erklärt wird. In der Botschaft finden sich
dafür folgende Gründe: „Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung kann
davon ausgegangen werden, dass Kinder, die während einer Scheinehe
geboren werden, nicht von den beiden Ehegatten abstammen und der
Ehemann auch nicht die soziale und gesellschaftliche Rolle des Kindsvaters
260
Siehe dazu Kapitel V.5.1.
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 760f.
262
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 761.
263
FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 761f.
264
Botschaft, S. 3756.
261
53
übernimmt. Die vorgeschlagene Lösung ermöglicht es, die tatsächliche
biologische und soziale Abstammung des Kindes wiederherzustellen, und
vermeidet zudem den Erwerb des Bürgerrechts gestützt auf eine in diesem Fall
nicht gerechtfertigte, gesetzliche Vaterschaftsvermutung. Für den seltenen Fall,
dass das Kind tatsächlich vom Ehemann abstammt, kann das Kindesverhältnis
nachträglich ohne weiteres durch die Anerkennung (Art. 260 Abs. 1 ZGB) oder
durch eine Vaterschaftsklage (Art. 261 ZGB) begründet werden“ 265. Auch wenn
die Vaterschaft ohne Zweifel nachgewiesen wurde, kann die Rechtsfolge des
Art. 109 Abs. 3 ZGB nicht abgewendet werden.
1.3.2.
Kritik
Von Seiten der Lehre ist Art. 109 Abs. 3 ZGB sehr umstritten. Unter anderem
wird kritisiert, dass die Bestimmung nicht im Einklang mit der UNOKinderrechtskonvention266 steht267. Die Sanktion trifft bei Vorliegen einer
Ausländerrechtsehe unmittelbar das unschuldige Kind, welches sozusagen die
Konsequenzen der Scheinehe seiner Eltern trägt, denn dieses wird zuerst
seiner väterlichen Abstammung beraubt268 (je nachdem wird es auch aus einer
gefestigten Vater-Kind-Beziehung gerissen) und muss dann womöglich auch
noch auf Vaterschaft klagen, anstelle des rechtsmissbräuchlich handelnden
Vaters269. Die Folgen einer Scheinehe sollten nicht das unschuldige Kind
treffen, da der Rechtsmissbrauch alleine durch seine Eltern begangen wurde
und deshalb auch sie dafür die Verantwortung tragen bzw. bestraft werden
sollten270. Somit scheint zweifelhaft, dass diese Regelung dem Kindeswohl bzw.
-interesse
überhaupt irgendwelche
Bedeutung zumisst271.
Obwohl das
Interesse des Kindeswohls insbesondere im Kindesrecht eine vorrangige
Stellung innehat, legt der Gesetzgeber in diesem Fall mehr Wert auf die
Missbrauchsargumentation, weil allein der Umstand der Ausländerrechtsehe
entscheidend ist. Meines Erachtens dürfte im Grunde genommen nichts über
dem Wohle des Kindes stehen. In jedem Fall aber sollten die Folgen des
265
Botschaft, S. 3839.
Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107.
267
MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 35ff.
268
MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37f.
269
UEBERSAX, S. 26.
270
MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37f.
271
Vgl. UEBERSAX, S. 26; MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37.
266
54
Rechtsmissbrauchs stets die an der Scheinehe beteiligten Personen, also die
Erwachsenen treffen.
2.
Strafrechtliche Folgen des AuG
In Art. 118 AuG hat der Gesetzgeber einen neuen Täuschungstatbestand
verankert und damit im Ausländerrecht eine gesetzliche Lücke geschlossen.
Bevor diese Bestimmung mit dem neuen Ausländergesetz in Kraft trat, war
weder das Schliessen noch die Vermittlung einer rechtsmissbräuchlichen Ehe
unter Strafe gestellt. Somit hat diese zentrale Bestimmung hauptsächlich zum
Ziel, die Schliessung und Förderung von Scheinehen zu bekämpfen272.
2.1.
Strafe
nach
Art.
118
Abs.
1
AuG
bei
Täuschungshandlungen gegenüber den Behörden
Insbesondere im Ausländerrecht müssen sich die Behören häufig auf die
Aussagen der Gesuchssteller verlassen und sind deshalb auf wahrheitsgetreue
Angaben angewiesen, da sie die Angaben ohne Mitwirkung der Gesuchssteller
nicht oder nur mit sehr grossem Aufwand ermitteln können273. Diesbezügliche
Täuschungshandlungen werden unter anderem häufig im Zusammenhang mit
Scheinehen festgestellt274.
Der erste Absatz des Art. 118 AuG sanktioniert Täuschungshandlungen
gegenüber den Behörden. Dabei kann es sich um falsche Angaben (aktives
Tun) oder aber um das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (Unterlassung)
handeln. Vorausgesetzt wird allerdings, dass die täuschende Handlung zur
Bewilligungserteilung geführt hat oder dazu, dass die Bewilligung nicht
entzogen
wurde275.
Der
bundesrätlichen
Botschaft
zufolge
muss
das
276
täuschende Verhalten für die Aufenthaltsregelung kausal gewesen sein
. Art.
118 Abs. 1 AuG ist erfüllt, „wenn aufgrund einer Scheinehe um eine Bewilligung
ersucht und der Ehewille nur vorgespiegelt bzw. der fehlende Ehewille
272
Botschaft, S. 3833.
Art. 90 AuG verpflichtet Ausländerinnen und Ausländer sowie am Verfahren beteiligte Dritte
an der Feststellung des für die Anwendung des AuG massgebenden Sachverhalts
mitzuwirken und nach Art. 90 lit. a zutreffende und vollständige Aussagen über die für die
Regelung wesentlichen Tatsachen zu machen.
274
Botschaft, S. 3834.
275
Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG; ZANGA/GUHL, Kapitel II.3.
276
Botschaft, 3834.
273
55
verschwiegen wird“277. Ebenfalls vom Tatbestand erfasst werden täuschende
Handlungen, die das Ziel verfolgen, den Entzug einer Bewilligung zu
verhindern278, so beispielsweise des Festhalten an einer definitiv gescheiterten
Ehe. Daneben sind weitere Täuschungshandlungen strafbar, die allerdings im
Rahmen dieser Arbeit nicht interessieren.
Die Täuschungshandlungen gemäss Art. 118 Abs. 1 AuG werden mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert.
2.2.
Strafe
nach
Art.
Täuschungshandlungen
118
Abs.
zur
2
AuG
Umgehung
bei
der
Aufenthaltsvorschriften
Abs. 2 des Art. 118 AuG bezieht sich auf Personen279, die eine Scheinehe
eingehen, um einer Ausländerin oder einem Ausländer ein Anwesenheitsrecht
zu verschaffen. Ebenfalls vom Tatbestand erfasst werden die Vermittlung,
Förderung und Ermöglichung einer Scheinehe. Dabei reicht schon die Absicht
zur Umgehung der Aufenthaltsbestimmungen aus, sodass nicht einmal der
Versuch unternommen worden sein muss, eine Bewilligung zu erhalten. Der
Tatbestand erfasst Handlungen, die weit vorher getätigt werden, als die
Täuschungshandlungen zum Erschleichen einer Bewilligung nach Abs. 1280.
Nicht von der Rechtsfolge des Abs. 2 erfasst ist der Ausländer selbst, der
mittels einer rechtsmissbräuchlichen Ehe eine Anwesenheitsberechtigung
erlangen will. Er wird erst straffällig, wenn er die Voraussetzungen nach Abs. 1
erfüllt281.
Die Tathandlung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
sanktioniert282.
2.3.
Strafe nach Art. 118 Abs. 3 AuG
Abs. 3 regelt den qualifizierten Tatbestand des Handelns in unrechtmässiger
Bereicherungsabsicht oder für Organisationen. Damit sollen etwa die Vermittler
277
ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG.
Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG und ZANGA/GUHL, Kapitel II.3.
und 3.2.
279
Dies können Schweizerinnen bzw. Schweizer oder Ausländerinnen bzw. Ausländer sein.
280
ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 118 AuG.
281
ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 118 AuG.
282
Art. 118 Abs. 2 AuG.
278
56
von Scheinehen oder Personen, die gegen Entgelt eine solche Ehe eingehen,
schärfer bestraft werden283. Das Strafmass fällt in diesem Fall entsprechend
höher aus284.
3.
Ausländerrechtliche Folgen
Eine Ausländerrechtsehe bzw. das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer
Ehe hat nicht nur zivil- und strafrechtliche Konsequenzen, sondern zieht auch
ausländerrechtliche Folgen nach sich, welche in den nachfolgenden Kapiteln
ausführlich behandelt werden.
3.1
Erlöschen des Anspruchs auf Nachzug des Ehegatten
nach Art. 51 AuG
Gemäss Art. 51 AuG erlischt der Anspruch auf Erteilung und Verlängerung
einer
Bewilligung
zum
einen,
wenn
der
Nachzugsanspruch
rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird. Zum anderen erlischt der Anspruch
auf Bewilligungserteilung und -verlängerung auch dann, wenn eine erteilte
Bewilligung widerrufen wird.
3.1.1.
Erlöschen
des
Bewilligungsanspruchs
ausländerrechtlichen
und
Nichtverlängerung
der
Bewilligung
Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a AuG haben zur Folge, dass unter anderem
die Nachzugsrechte des Ehegatten nach Art. 42 und 43 AuG erlöschen, wenn
die Ansprüche „rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden, namentlich um
die Vorschriften dieses Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen über
Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen“. Folglich geht bei Vorliegen einer
Scheinehe der Rechtsanspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 42 und 43
AuG
unter285.
Der
Lehre
zufolge
gilt
dies
analog
auch
für
Aufenthaltbewilligungen gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen oder das
EFTA-Übereinkommen286. Der Bewilligungsanspruch des Ehegatten entfällt
oder
283
anders
formuliert,
die
Erteilung
der
Aufenthalts-
bzw.
Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 118 AuG i.V.m. Rn. 7 zu Art. 116 AuG.
Vgl. Art. 118 Abs. 3 AuG.
285
Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56.
286
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56.
284
57
Niederlassungsbewilligung wird verweigert, wenn eine Scheinehe bezweckt
wird. Würde bereits die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden, so hätte dies
zur Folge, dass „die Familienzusammenführung bzw. ein weiterer Verbleib in
der Schweiz verwehrt würde“287.
Wird eine nachträgliche Berufung auf die Ehe als rechtsmissbräuchlich
qualifiziert, so führt dies zum Dahinfallen einer allfälligen Bewilligung bzw. zur
Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung oder zum Untergang des
Anspruchs auf eine Niederlassungsbewilligung288. Zu beachten ist hierbei, dass
anders als beim Anspruch auf Einbürgerung, welcher eine intakte Ehe
voraussetzt, der Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung und
der Anspruch auf Niederlassungsbewilligung solange besteht, bis die Ehe nicht
als definitiv gescheitert289 anzusehen ist290. Vorausgesetzt wird demzufolge
keine intakte Ehe. Die Rechtsansprüche entfallen erst, wenn die Ehe definitiv
gescheitert ist, weil erst dann Rechtsmissbrauch vorliegt. Diese Unterscheidung
zwischen dem Ausländer- und Einbürgerungsrecht muss meiner Ansicht nach
kritisch
betrachtet
werden.
Obwohl
es
in
beiden
Fällen
um
die
rechtsmissbräuchliche Ehe und deren Folgen im Zusammenhang mit
bestimmten Rechtsansprüchen geht, wird diesbezüglich eine Differenzierung
vorgenommen. Meines Erachtens sollten die Ansprüche in beiden Fällen unter
den gleichen Voraussetzungen eintreten bzw. entfallen.
Auch wenn eine Scheinehe bzw. die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine
in Wirklichkeit gescheiterte Ehe zum Dahinfallen der Rechtsansprüche geführt
hat, muss in diesem Falle immer noch Art. 50 AuG beachtet werden, da der
nachgezogene Ehegatte unter Umständen auch nach der Auflösung der
Ehegemeinschaft einen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der
Aufenthaltsbewilligung hat. Unter anderem muss die Ehe zumindest drei Jahre
bestanden haben. Natürlich sind hier die Scheinehejahre ausgenommen,
weshalb auf den Zeitpunkt des definitiven Scheiterns der Ehe abzustellen ist291.
287
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 51 AuG.
Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56.
289
Zum Begriff des „definitiven Scheiterns“ siehe Kapitel IV.1.2.1.1.2.
290
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 8 zu Art. 51 AuG.
291
Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 50 AuG.
288
58
3.1.2.
Widerruf der Bewilligung gemäss Art. 62 und 63 AuG
Der Bewilligungsanspruch eines gestützt auf das AuG nachgezogenen
Ehegatten erlöscht auch bei Widerruf (Art. 62 und 63) gemäss Art. 51 Abs. 1 lit.
b und Abs. 2 lit. b. So kann bei Vorliegen einer Ausländerrechtsehe eine
Aufenthaltsbewilligung
gemäss
Art.
62
AuG
und
eine
Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 63 AuG292 widerrufen werden. Wird
eine Bewilligung widerrufen, so bedeutet dies, „dass die mit der Bewilligung
eingeräumte Rechtsstellung mit der Rechtskraft eines Widerrufsentscheides
endet und eine ordentliche Wegweisung (Art. 66)“293 angeordnet werden kann.
Bedeutend im Rahmen dieser Arbeit ist Litera a des Art. 62 AuG. Dieser besagt,
dass Bewilligungen widerrufen werden können, wenn die ausländische Person
oder ihr Vertreter „im Bewilligungsverfahren falsche Angaben macht oder
wesentliche Tatsachen verschwiegen hat“. Dieser Tatbestand deckt sich mit
dem bisherigen Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG. Auch wenn nicht mehr vom
„wissentlichen Verschweigen“ wesentlicher Tatsachen die Rede ist und die
Bewilligung nicht mehr ausdrücklich „erschlichen“ worden sein muss, setzt der
Widerrufsgrund dennoch eine Täuschungsabsicht voraus. Insofern handelt es
sich nur um eine redaktionelle Abweichung vom bisherigen Wortlaut294.
Verlangt wird für die Annahme eines Widerrufsgrundes, dass die Behörden bei
der Bewilligungserteilung oder -verlängerung die ursprünglich falschen oder
unvollständigen
Angaben
als
massgeblich
betrachteten,
oder
über
entscheidwesentliche Sachverhaltselemente getäuscht wurden295. Im Falle
einer
Scheinehe
kann
ohne
weiteres
von
einer
Täuschungsabsicht
ausgegangen werden, da der Ehewille nur vorgespiegelt bzw. der fehlende
Ehewille verschwiegen wird296. Eine auf diesem Wege erschlichene Bewilligung
stellt zweifelsfrei einen Widerrufsgrund gemäss Art. 62 lit. a und Art. 63 Abs. 1
lit. a AuG dar.
292
Es handelt sich hierbei um eine systematische Vereinfachung, da die neue Möglichkeit des
Widerrufs von Niederlassungsbewilligungen die frühere Ausweisung gemäss Art. 10 ANAG
ersetzt, welche ohnehin nur noch bei Personen mit Niederlassungsbewilligung zur
Anwendung gelangte. Botschaft, S. 3809.
293
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 62 AuG.
294
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 62 AuG.
295
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 62 AuG.
296
BGE 112 Ib 161; vgl. auch ZÜND, Anwesenheitsberechtigung, S. 141f.
59
3.2.
Ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG als Folge einer
verweigerten,
widerrufenen
oder
nicht
verlängerten
Bewilligung
Wird eine Bewilligung nicht erteilt, nicht verlängert oder widerrufen, so folgt
darauf die ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG. Die Wegweisung ist
förmlich zu verfügen297. Sie ergeht als Entfernungsmassnahme gegen
ausländische Personen, die eine Bewilligung besassen oder mindestens mit
einem förmlichen Gesuch um eine Bewilligung ersucht haben298. Sie ist also
regelmässige Folge einer verweigerten, nicht verlängerten oder widerrufenen
Bewilligung. Zu erwähnen bleibt, dass die ordentliche Wegweisung unter
Umständen auch auf die Nichtigerklärung eines Einbürgerungsgesuches folgen
kann,
sofern
kein
Rechtsanspruch
auf
Niederlassungs-
oder
Aufenthaltsbewilligung besteht299.
Im Vergleich zum früheren Recht werden die betroffenen Personen von den
kantonalen Behörden unmittelbar aus der Schweiz und nicht nur aus dem
Kantonsgebiet weggewiesen300.
Weil keine intakte Beziehung mehr gelebt wird, bleibt dem weggewiesenen
Ehegatten die Berufung auf Art. 8 EMRK verwehrt301. Sind aus dieser Ehe
allerdings Kinder hervorgegangen und kann der Ehegatte nachweisen, dass zu
diesen Kindern eine tatsächliche und intensive Beziehung gepflegt wird, so
stellt dies einen Sonderfall dar, welcher die Berufung auf Art. 8 EMRK
ermöglicht302.
4.
Asylrechtliche Folgen
Die asylrechtlichen Folgen ähneln stark denjenigen des Ausländerrechts. So
wie im Ausländerrecht der Anspruch auf Familiennachzug entfällt, entfällt im
Asylrecht
der
Anspruch
auf
Gewährung
des
Familienasyls.
Die
Flüchtlingseigenschaft wird aberkannt und das Asyl widerrufen. Ferner kommt
es zur Wegweisung.
297
Botschaft, S. 3813. Es muss eine beschwerdefähige Verfügung erlassen werden.
Botschaft, S. 3813. Vgl. zum Begriff der Wegweisung auch ZÜND,
Anwesenheitsberechtigung, S. 167.
299
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 66 AuG.
300
Botschaft, S. 3813.
301
Ausführungen dazu in Kapitel IV.1.2.3.
302
NYFFENEGGER, S. 144.
298
60
4.1.
Erlöschen
des
Anspruchs
auf
Familienasyl
beziehungsweise Erlöschen der Möglichkeit auf vorläufige
Aufnahme
Wird eine asylrechtliche Scheinehe geschlossen oder wird rechtsmissbräuchlich
an
einer
Ehe
festgehalten,
hat
dies
zur
Folge,
dass
der
nichtanwesenheitsberechtigte, sich in der Schweiz befindende Ehepartner nicht
ins Asyl des anwesenheitsberechtigten Ehegatten miteinbezogen und ihm die
Aufenthaltsberechtigung verweigert wird.
Im anderen Fall wird der nachzuziehende Ehegatte von der Möglichkeit der
Familienzusammenführung nach drei Jahren der vorläufigen Aufnahme des in
der Schweiz anwesenden Ehegatten ausgeschlossen. Der sich im Ausland
befindende Ehegatte wird demzufolge nicht in die vorläufige Aufnahme seines
Ehepartners miteinbezogen und erhält auch keinen F-Ausweis.
4.2.
Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Widerruf
des Asyls gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AsylG
Sowohl im Falle des Familienasyls, bei der der sich in der Schweiz befindende,
aber nicht über die Flüchtlingseigenschaft verfügende Ehegatte ins Asyl seines
Ehegatte miteinbezogen wird, als auch im Falle der vorläufigen Aufnahme, bei
der nach drei Jahren der sich im Ausland befindende Ehegatte nachgezogen
werden kann und die Flüchtlingseigenschaft seines Ehepartners erhält, folgt auf
eine Scheinehe bzw. auf das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer Ehe
regelmässig
die
Aberkennung
der
derivativ
erworbenen
Flüchtlingseigenschaft303 oder der Widerruf des Asyls304. Das Bundesamt für
Migration widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft nach Art.
63 Abs. 1 lit. a AsylG, „wenn die ausländische Person das Asyl oder die
Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher
Tatsachen erschlichen hat.“ Die Tatbestandsvoraussetzungen sind dieselben
wie jene in Art. 62 und 63 AuG. Die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft
oder der Widerruf müssen „erschlichen“ worden sein, was bedeutet, dass bei
der betroffenen Person Täuschungsabsicht vorliegen muss305. Bei Vorliegen
einer Scheinehe ist der Tatbestand des Art. 61 Abs. 1 lit. a AsylG regelmässig
303
Im Falle des Einbezugs in die vorläufige Aufnahme des Ehegatten.
Im Falle des Einbezugs ins Familienasyl.
305
Diesbezüglich kann auf die Ausführungen in Kapitel V.3.1.2. verwiesen werden.
304
61
erfüllt, da die Scheinehe gezwungenermassen das Verschweigen des
fehlenden Ehewillens voraussetzt.
4.3.
Wegweisung nach Art. 44ff. AsylG
Parallel zum Ausländergesetz besteht auch im Asylrecht die Möglichkeit der
Wegweisung. Entfällt die Asylmöglichkeit bzw. wird die Flüchtlingseigenschaft
aberkannt, weil eine asylrechtliche Scheinehe vorliegt, erfolgt nach Art. 44
AsylG die Wegweisung des ins Familienasyl oder in die vorläufige Aufnahme
einbezogenen Ehepartners. Ob die Wegweisung vollzogen werden kann ist
eine andere Frage, die vom Vorliegen allfälliger
Wegweisungshindernisse
abhängt und im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt wird.
5.
Bürgerrechtliche Folgen
Auch im Einbürgerungsrecht lassen sich Bestimmungen finden, welche zur
Anwendung gelangen, wenn eine Scheinehe eingegangen wird, die den Zweck
der erleichterten Einbürgerung verfolgt.
5.1.
Nichtigerklärung der (erleichterten) Einbürgerung
In Art. 41 BüG findet sich die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Danach kann
eine Einbürgerung innert fünf Jahren für nichtig erklärt werden, „wenn sie durch
falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen
worden ist“. Für die Nichtigerklärung genügt ein blosses Fehlen der
Einbürgerungsvoraussetzungen nicht. Vielmehr muss die Einbürgerung, wie
bereits beim Widerruf der Bewilligung im Ausländerrecht und der Aberkennung
der Flüchtlingseigenschaft bzw. dem Widerruf des Asyls im Asylrecht
„erschlichen“, das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten
erwirkt worden sein306.
Um durch erleichterte Einbürgerung das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten,
kommt es darauf an, dass im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung
und der Einbürgerungsverfügung die Ehe tatsächlich gelebt wird307. Anders als
306
BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1. Der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
zufolge ist Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands nicht erforderlich.
Immerhin ist notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die
Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es
unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren.
307
U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1; vgl. auch HARTMANN/MERZ, Rn. 12.58.
62
im Ausländerrecht, wo das definitive Scheitern der Ehe vorausgesetzt wird,
damit der Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und der
Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung untergeht bzw. die Ehe als
rechtsmissbräuchlich qualifiziert wird, setzt das Einbürgerungsrecht eine intakte
Ehe während der Einbürgerung voraus, damit ein Anspruch auf Einbürgerung
besteht308. Der Ehegatte, der das Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellt,
muss bestätigen können, dass tatsächlich eine intakte eheliche Beziehung
gelebt wird309. Nicht nur das Fehlen des gemeinsamen Ehewillens bereits bei
Eheschliessung stellt einen Grund für die Nichtigerklärung der erleichterten
Einbürgerung dar. Auch eine Ehe, die zunächst tatsächlich gelebt wurde, an der
aber im Zeitpunkt der Einbürgerung festgehalten wird, obwohl schon der Wille
zur Scheidung besteht, kann zur Nichtigerklärung führen. Stellt die Behörde
nach gewisser Zeit fest, dass unwahre Angaben gemacht oder Tatsachen
verheimlicht wurden – also eine rechtsmissbräuchliche Ehe vorliegt – kann sie
die Einbürgerung innerhalb von fünf Jahren für nichtig erklären310. Es ist
Aufgabe der Behörden, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine
Nichtigerklärung,
also
das
Bestehen
einer
Scheinehe
bzw.
das
rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer nur noch formell bestehenden Ehe
nachzuweisen311.
5.2.
Folgen der Nichtigerklärung
Wird die erleichterte Einbürgerung für nichtig erklärt, bedeutet dies für den
eingebürgerten Schweizer, dass er seine Staatsbürgerschaft wieder verliert312.
Umstritten ist, ob die Nichtigerklärung ex tunc (auf den Zeitpunkt der
Einbürgerung zurück) oder ex nunc (erst für die Zukunft) wirkt313.
Aus
der
Nichtigerklärung
automatisch
wieder
die
einer
erleichterten
Erlangung
der
Einbürgerung
früheren
folgt
nicht
fremdenpolizeilichen
Bewilligung. Der Betroffene kommt weder automatisch in den Besitz der
Aufenthalts-, noch automatisch in den Besitz der Niederlassungsbewilligung.
308
Diesbezügliche Kritik in Kapitel V.3.1.1.; SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 8 zu Art.
51 AuG.
309
NYFFENEGGER, S. 146.
310
U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1.
311
U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1.
312
NYFFENEGGER, S. 146.
313
HARTMANN/MERZ, Rn. 12.62.
63
Vielmehr muss die zuständige Behörde aufgrund der neuen Sachlage die
Situation beurteilen und über ein allfälliges Anwesenheitsrecht oder eine
Wegweisung entscheiden314. Wenn es darauf ankommt, nach einer inzwischen
aufgelösten
Ehe
einen
selbständigen
Anspruch
des
Betroffenen
auf
Anwesenheit nach Art. 42 Abs. 3, Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 AuG zu beurteilen,
müssen nicht die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung oder deren
Nichtigerklärung beachtet werden, sondern diejenigen im Zeitpunkt, in dem das
selbständige Anwesenheitsrecht nach den oben erwähnten Bestimmungen
entstanden ist315. Es kommt also darauf an, ob im Zeitpunkt, wo das
selbstständige Anwesenheitsrecht entsteht, die Ehe tatsächlich gelebt wird oder
ob der Ehewille nur vorgespiegelt ist. Jede andere Lösung wäre verfehlt.
Sofern
kein
Rechtsanspruch
Niederlassungsbewilligung
besteht
auf
oder
eine
im
Aufenthalts-
Rahmen
des
oder
behördlichen
Ermessens keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, kann die ordentliche
Wegweisung verfügt werden316. Besteht allerdings ein Rechtsanspruch auf die
Aufenthalts-
oder
Neubeurteilung
nur
Niederlassungsbewilligung,
verweigert
werden,
so
wenn
darf
die
behördliche
ein
Widerrufs-
oder
Ausweisungsgrund gemäss Art. 62, 63 oder 68 AuG vorliegt. Der Lehre zufolge
ist fraglich, ob das Erschleichen der Einbürgerung allein das Vorliegen eines
Widerrufsgrundes gemäss Art. 62 oder 63 AuG rechtfertigt und sich demzufolge
eine Neubeurteilung erübrigt317. In Übereinstimmung mit HARTMANN/MERZ halte
ich
die
Verweigerung
der
(Wieder-)Erteilung
einer
Bewilligung
für
unverhältnismässig, sofern das Verhalten des Betroffenen zu keinen weiteren
Klagen Anlass gegeben hat318.
314
Vgl. dazu BGE vom 14. November 2005, 2A.431/2005, E. 1.1.2; BGE vom 6. September
2005, 2A.221/2005, E. 1.
315
HARTMANN/MERZ, Rn. 12.63.
316
SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 66 AuG.
317
HARTMANN/MERZ, Rn. 12.65.
318
HARTMANN/MERZ, in: Ausländerrecht 2009, Rn. 12.65.
64
VI.
Aktuelle Diskussion weiterer Massnahmen
zur Bekämpfung von Scheinehen
1.
Geplante Massnahmen des Nationalrates
Die Politik scheint, trotz zahlreicher Massnahmen, nicht ganz von der Wirkung
der
neuen
strafrechtlichen
Bestimmungen
des
AuG
und
der
neuen
generalpräventiven Regelungen des ZGB überzeugt zu sein. Sie will nun noch
einen Schritt weiter gehen und ausländerrechtlich (als auch bürgerrechtlich)
motivierte Ehen durch weitere Massnahmen unterbinden. Die vorgeschlagenen
Änderungen beruhen auf den parlamentarischen Initiativen von TONI BRUNNER
und RUEDI LUSTENBERGER319 und betreffen eine Teilrevision des ZGB und des
PartG, sowie eine Änderung des BüG320. Inhalt dieser Forderungen ist, dass die
Heirat bzw. eingetragene Partnerschaft321 in der Schweiz für eine ausländische
Person nur möglich sein soll, wenn sie die Rechtmässigkeit ihres Aufenthalts
durch eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein gültiges Visum nachweisen
kann. Von den ausländischen Brautleuten kann also im Vorbereitungsverfahren
der Nachweis einer polizeilichen Bewilligung bzw. eines rechtmässigen
Aufenthalts verlangt werden. Folglich bedeutet dies, dass eine Person mit
ausländischer Staatsangehörigkeit ihren Aufenthalt regeln muss, bevor sie in
der
Schweiz
eine
Ehe
eingehen
kann322.
Zudem
sollen
die
Zivilstandesbeamtinnen und -beamten der zuständigen Ausländerbehörde die
Identität jener Personen mitteilen, die ihren rechtmässigen Aufenthalt im
Rahmen des ehelichen Vorbereitungsverfahrens nicht nachweisen können323.
Des Weiteren sollen sie Zugriff auf das Zentrale Migrationsinformationssystem
(ZEMIS) erhalten324. Wie Nationalrat BRUNNER in der Frühjahrssession 2009
betonte, sollen sich dadurch insbesondere abgewiesene Asylsuchende und
illegal anwesende Ausländer, die in ihre Heimat zurückkehren müssten, nicht
319
Parlamentarische Initiative 05.463, eingereicht von BRUNNER TONI (Scheinehen unterbinden)
sowie Parlamentarische Initiative 06.414, eingereicht von LUSTENBERGER RUEDI (zur
Änderung des Bürgerrechtsgesetzes: Fristausdehnung für die Nichtigerklärung).
320
Medienmitteilung des Sekretariats der Staatspolitischen Kommissionen (Staatspolitische
Kommission des Nationalrates) vom 2. Juli 2007: Einsehbar unter
http://www.parlament.ch/d/mm/2007/Seiten/mm_2007-07-02_058_01.aspx (zuletzt besucht
am 10.06.2009); Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 30. Januar 2008, BBl
2008, S. 1290.
321
Die Forderungen gelten gleichsam auch für die eingetragene Partnerschaft.
322
Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482.
323
Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482.
324
Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482.
65
mehr einer Ausreise entziehen können. Mit der Änderung würde eine Lücke im
bisherigen Ausländerrecht geschlossen, indem dieses einheitliche Verfahren
widersprüchliches Verhalten von Zivilstandesämtern und Ausländerbehörden
verhindert. In der Folge gäbe es auch keine Unklarheiten mehr in der Frage,
wie Zivilstandesbeamtinnen- bzw. -beamten vorgehen müssen, wenn sich
heiratswillige Personen während des ehelichen Vorbereitungsverfahrens
rechtswidrig in der Schweiz aufhielten325. Diskutiert wird ausserdem eine
Fristverlängerung zur Nichtigerklärung der Einbürgerung von fünf auf acht
Jahre326. Die vorgeschlagene Änderung soll es möglich machen, eine
Sanktionierung eindeutiger Missbrauchsfälle auch nach Ablauf der heute
geltenden Fünfjahresfrist vorzunehmen.
Sowohl die Initiative BRUNNER als auch die Initiative LUSTENBERGER fanden
durchaus positiven Anklang. Die Vorlagen der Staatspolitischen Kommission
(SPK) des Nationalrates wurden verabschiedet327. Die Gesetzesentwürfe
werden nun in den beiden Räten beraten.
2.
Würdigung
Betrachtet man das revidierte Ausländergesetz, so habe ich grundsätzlich den
Eindruck, dass die neuen Massnahmen bzw. Sanktionsinstrumente, die der
Bekämpfung von Scheinehen dienen sollen, durchaus ausreichend sind, um
das verfolgte Ziel zu erreichen. Meines Erachtens beinhaltet zum einen das
ZGB genügend präventive Mittel328 und Bestimmungen329, die der Verhinderung
von rechtsmissbräuchlichen Ehen dienen. Und zum anderen besteht neu die
Möglichkeit, auch strafrechtlich gegen eine Scheinehe vorzugehen. Nicht zu
vergessen ist die Anforderung an die Ehegatten, grundsätzlich zusammen zu
leben330, welche ebenfalls der Verhinderung von Missbräuchen dienen soll331.
325
BRUNNER TONI zu 05.463, in: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Die
Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat, Frühjahrssession des Nationalrates, 3.
Sitzung vom 4. März 2009: Einsehbar unter
http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4807/290457/d_n_4807_290457_290589.htm?Disp
layTextOid=290590 (zuletzt besucht am 10.06.2009).
326
Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 30. Januar 2008 zu 06.414, BBl 2008, S. 1290.
327
Vgl. ACHERMANN/VON RÜTTE, S. 323f.
328
Vgl. dazu Kapitel V.1.1. Obwohl ich an der praktischen Relevanz des Art. 97a ZGB zweifle,
sollten dennoch zuerst die vorhandenen Mittel ausgeschöpft oder wenigstens unter Beweis
gestellt werden, bevor bereits wieder neue Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden.
329
Vgl. dazu vor allem Kapitel V.1.2.
330
Art. 42-45 AuG.
66
Problematisch ist meines Erachtens insbesondere die Vereinbarkeit mit Art. 14
BV sowie Art. 8 und 12 EMRK. Wie eingangs diskutiert, umfasst die Ehefreiheit
das Recht zu entscheiden, ob und wen man heiraten möchte332. Dieses Recht
steht auch Personen zu, die kein rechtmässiges Anwesenheitsrecht besitzen.
Durch eine neue Bestimmung, welche den Nachweis eines Aufenthaltsrechts
verlangt, wird das Grundrecht der Ehefreiheit klar eingeschränkt, da es
Heiratswilligen in der Schweiz versagt wird, sich zu ehelichen, wenn sie keine
rechtmässige Bewilligung nachweisen können. Damit wird das Recht auf
Eheschliessung „unmittelbar von einer polizeilichen Bewilligung abhängig
gemacht“333 und im Ergebnis die rechtliche Stellung heiratswilliger Personen
erschwert. Mit der diskutierten Bestimmung würde von Gesetzes wegen indirekt
davon ausgegangen werden, dass die Heiratswilligen bei Nichtvorliegen eines
rechtmässigen Aufenthalts eine Scheinehe schliessen334. Die Schweizerische
Flüchtlingshilfe
spricht
in
diesem
Zusammenhang
sogar
von
einer
„Regelvermutung“335. Das Schlussfolgern auf eine rechtsmissbräuchliche Ehe
ist wegen des Verbots der Unschuldsvermutung nicht unproblematisch. Wie an
mehreren Stellen der Arbeit betont wurde, kann eine Ehe durchaus auch
migrationsrechtliche Zwecke verfolgen, ohne rechtsmissbräuchlich zu sein336.
Natürlich
darf
der
Schutzbereich
eines
Grundrechts
unter
gewissen
Voraussetzungen bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt werden337.
Dennoch bin ich der Auffassung, dass die diskutierte Bestimmung eindeutig zu
weit gehen würde und deshalb unverhältnismässig ist. Entgegen der
bundesrätlichen Meinung338 halte ich die Bestimmung mit der Verfassung und
der EMRK für unvereinbar. Die neue Regelung wird notwendigerweise auch
Ehen treffen, die gerade nicht rechtsmissbräuchlich sind. Obwohl insbesondere
331
Vgl. Kapitel II.2.3.
Kapitel II.1.
333
GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.15.
334
Ähnlich die Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den
Parlamentarischen Initiativen „Scheinehen unterbinden“ und „Änderung des
Bürgerrechtsgesetzes“ vom 30. September 2007, S. 3.
335
Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den Parlamentarischen
Initiativen „Scheinehen unterbinden“ und „Änderung des Bürgerrechtsgesetzes“ vom 30.
September 2007, S. 3f.
336
Nämlich dann, wenn ein Paar nach langjähriger Beziehung heiratet, weil dem einen Partner
die Wegweisung droht.
337
Die Einschränkungen dürfen nur soweit erfolgen, als sie noch verhältnismässig sind, was ich
allerdings im Bezug auf die diskutierte Bestimmung stark bezweifle.
338
Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2483.
332
67
in
der
Lehre
vermehrt
angestrebt
wird,
dass
die
Beurteilung
von
Rechtsmissbrauch ausnahmsweise erfolgt339, trägt die Neuregelung meiner
Meinung nach eher zu einer Systematisierung bei der Feststellung von
Scheinehen bei.
Was
die
zweite
Revision
betreffend
die
Fristverlängerung
für
die
Nichtigerklärung einer Einbürgerung anbelangt, frage ich mich, inwiefern ein
Missbrauchsfall, der nicht innerhalb von fünf Jahren nach erleichterter
Einbürgerung festgestellt wurde, nach acht Jahren festgestellt werden kann.
Daher glaube ich kaum, dass die Bestimmung den erwünschten Effekt der
Missbrauchsbekämpfung mit sich bringen wird. Zudem muss der erleichtert
Eingebürgerte in einem Zeitraum von acht Jahren nach der Einbürgerung mit
behördlichen Beobachtungen und Kontrollen rechnen, was eine enorme
Belastung und einen unverhältnismässigen Eingriff in die Privatsphäre
des
340
Betroffenen bedeuten kann
VII.
.
Fazit
Scheinehen sind in der heutigen Gesellschaft ein Dauerthema, welches nicht
unterschätzt werden darf und dem es mit geeigneten Mitteln zu begegnen gilt.
Bei der vorliegenden Thematik handelt es sich um eine ausgesprochen heikle
Angelegenheit, die eine stete Differenzierung von Fall zu Fall erfordert. Das
Eheleben
wird
durch
verfassungs-
und
menschenrechtliche
Garantien
geschützt, welche in der Folge Zurückhaltung bei der Annahme von
Rechtsmissbrauch fordern. Das bedeutet, dass eine rechtsmissbräuchliche Ehe
nur ausnahmsweise und in ausserordentlichen Fällen angenommen werden
darf, sofern der Ehewille tatsächlich fehlt und das missbräuchliche Handeln
nachgewiesen wurde. Wie aufgezeigt, ist dies alles andere als einfach. Und
dennoch ist es wichtig, die individuelle Lebensgestaltung zu respektieren und
darauf zu achten, dass der Missbrauchsgedanke nicht überhand nimmt. Die
zahlreich diskutierten Rechtsfolgen, welche der Bekämpfung von Scheinehen
dienen, lassen zur Genüge erkennen, dass Scheinehen nicht toleriert werden,
was in Anbetracht der Aktualität des Themas auch richtig ist. Allerdings scheint
339
340
Vgl. Kapitel IV.4.
So auch die Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den
Parlamentarischen Initiativen vom 30. September 2007, S. 5.
68
die Einführung noch strengerer Bekämpfungsinstrumentarien341 – da bereits die
2008
neu
eingeführten
Massnahmen
unter
der
Forderung
der
Missbrauchsbekämpfung entstanden sind – im Hinblick auf die Folgen, nämlich
einer immer geringeren Möglichkeit zur Differenzierung, nicht unbedingt
wünschenswert.
341
Insbesondere das Erfordernis des rechtmässigen Aufenthalts bei Heirat in der Schweiz.