Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht
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Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht
Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Migrationsrecht Jahija Juliette Juristische Fakultät Universität Basel Grosse Masterarbeit PD Dr. iur. Peter Uebersax Beginn der Arbeit: 15. Januar 2009 Abgabe-Datum: 15. Juli 2009 II Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 1 II. Die Ehe und ihre migrationsrechtlichen Wirkungen 2 1. Die Ehe im juristischen Sinn 2 2. Migrationsrechtliche Wirkungen der Ehe 4 2.1. Aufenthaltsrechtliche Wirkungen der Ehe 5 2.2. Bürgerrechtswirkungen der Ehe 7 2.3. Voraussetzungen für den Eintritt der migrationsrechtlichen Wirkungen 8 III. Der Rechtsmissbrauch 9 1. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots 2. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach Art. 2 Abs. 2 ZGB 3. Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchs im Zivilrecht – 9 11 insbesondere im Eherecht 13 3.1. Der Begriff der Scheinehe und ihre Schädlichkeit 13 3.2. Die zivilrechtliche Gültigkeit einer Scheinehe 16 4. Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots im öffentlichen Recht IV. Der Begriff der Scheinehe beziehungsweise der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Migrationsrecht 1. 17 Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht („Ausländerrechtsehe“) 1.1. 17 18 Rechtsmissbrauchsvorbehalt im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer 18 1.2. Rechtswirkungen des Rechtsmissbrauchs im Ausländerrecht 20 1.2.1. Die Ausländerrechtsehe 20 1.2.1.1. Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das Vorliegen 1.2.1.1.1. einer Ausländerrechtsehe 20 Der Rechtsmissbrauch durch Eheschluss 21 1.2.1.1.1.1. Die binatonale Ausländerrechtsehe 22 1.2.1.1.1.2. Die Ausländerrechtsehe unter Ausländern 22 1.2.1.1.2. 23 Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine Ehe III 1.2.1.2. Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe 24 1.2.2. Die Scheinehe im Freizügigkeitsabkommen 26 1.2.3. Die Scheinehe unter dem Gesichtspunkt verfassungs- und menschenrechtlicher Ansprüche 27 1.2.4. Fälle aus der Praxis 29 2. Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Asylrecht 32 2.1. Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Asylrecht 2.2. 32 Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen einer Scheinehe im Asylrecht 35 2.3. Fälle aus der Praxis 35 3. Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Einbürgerungsrecht („Bürgerrechtsehe“) 3.1. 35 Die frühere Regelung und die heutige Bedeutung des Begriffs der Bürgerrechtsehe sowie deren Motive 36 3.2. Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung 38 3.3. Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bürgerrechtsehe 39 3.4. Fälle aus der Praxis 41 4. Das Erkennen einer Scheinehe als praktisches Problem 43 5. Das Problem der einseitigen Scheinehe 47 V. Rechtsfolgen der Scheinehe 48 1. Zivilrechtliche Bestimmungen zur Bekämpfung von Scheinehen im Ausländerrecht 1.1. 49 Verweigerung der Trauung nach Art. 97a ZGB als präventive Massnahme 49 1.1.1. Allgemeines 49 1.1.2. Praktische Relevanz des Art. 97a ZGB 50 1.2. Auflösung der Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB 51 1.3. Entfallen des Kindsverhältnisses ex lege nach Art. 109 Abs. 3 ZGB als Folge der Eheungültigkeit 1.3.1. 1.3.2. 52 Rückwirkende Aufhebung der Vaterschaftsvermutung bei Ungültigerklärung der Ehe 52 Kritik 53 IV 2. Strafrechtliche Folgen des AuG 2.1. Strafe nach Art. 118 Abs. 1 AuG bei Täuschungshandlungen gegenüber den Behörden 2.2. 54 54 Strafe nach Art. 118 Abs. 2 AuG bei Täuschungshandlungen zur Umgehung der Aufenthaltsvorschriften 55 2.3. Strafe nach Art. 118 Abs. 3 AuG 55 3. Ausländerrechtliche Folgen 56 3.1. Erlöschen des Anspruchs auf Nachzug des Ehegatten nach Art. 51 AuG 3.1.1. 56 Erlöschen des ausländerrechtlichen Bewilligungsanspruchs und Nichtverlängerung der Bewilligung 56 3.1.2. Widerruf der Bewilligung gemäss Art. 62 und 63 AuG 58 3.2. Ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG als Folge einer verweigerten, widerrufenen oder nicht verlängerten Bewilligung 59 4. Asylrechtliche Folgen 59 4.1. Erlöschen des Anspruchs auf Familienasyl beziehungsweise Erlöschen der Möglichkeit auf vorläufige Aufnahme 4.2. 60 Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Widerruf des Asyls gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AsylG 60 4.3. Wegweisung nach Art. 44ff. AsylG 61 5. Bürgerrechtliche Folgen 61 5.1. Nichtigerklärung der (erleichterten) Einbürgerung 61 5.2. Folgen der Nichtigerklärung 62 VI. Aktuelle Diskussion weiterer Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen 64 1. Geplante Massnahmen des Nationalrates 64 2. Würdigung 65 VII. Fazit 67 V Literaturverzeichnis ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI, Einfluss der völkerrechtlichen Praxis auf das schweizerische Migrationsrecht, in: PETER UEBERSAX/BEAT RUDIN/THOMAS HUGI YAR/ THOMAS GEISER (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von Asyl bis Zivilrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis Band VIII, Basel 2009, § 6, S. 189ff. ALBERTO ACHERMANN/BARBARA VON RÜTTE, Rechtsentwicklungen in der Schweiz, in: ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI/ASTRID EPINEY/W ALTER KÄLIN/MINH SON NGUYEN/PETER UEBERSAX (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Bern 2008, S. 309ff. GIOVANNI BIAGGINI, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Auszüge aus der EMRK, den UNO-Pakten sowie dem BGG, Zürich 2007 DORIS BIANCHI, Die Integration der ausländischen Bevölkerung: Der Integrationsprozess im Lichte des schweizerischen Verfassungsrechts, Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, Zürich 2003 PETER BOLZLI, Kommentierung des Art. 85 AuG, in: MARC SPESCHA/HANSPETER THÜR/ANDREAS ZÜND/PETER BOLZLI, Kommentar Migrationsrecht, Zürich 2008, S. 188ff. STEPHAN BREITENMOSER, Kommentierung des Art. 13 Abs. 1 BV, in: BERNHARD EHRENZELLER/PHILLIPPE MASTRONARDI/RAINER J. SCHWEIZER/KLAUS A. VALLENDER (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf/St. Gallen 2008, S. 310ff. MARTINA CARONI, Die Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Bereich des Ausländer- und Asylrechtes, in: ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI/ ASTRID EPINEY/W ALTER KÄLIN/MINH SON NGUYEN/PETER UEBERSAX (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Bern 2008, S. 265ff. VI SUSANNE DIEKMANN, Familienrechtliche Probleme sogenannter Scheinehen im deutschen Recht unter Einbeziehung des österreichischen und schweizerischen Zivilrechts, Frankfurt am Main 1991 AUGUST EGGER, Über Scheinehen, in: Festgabe FRITZ FLEINER zum siebzigsten Geburtstag am 24. Januar 1937, Zürich 1937, S. 85ff. ASTRID EPINEY/TAMARA CIVITELLA, Zur schweizerischen Rechtsprechung zum Personenfreizügigkeitsabkommen, in: ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI/ASTRID EPINEY/W ALTER KÄLIN/MINH SON NGUYEN/PETER UEBERSAX (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Bern 2008, S. 227ff. ROLAND FANKHAUSER/KATHRIN W ÜSCHER, Die neuen Eheungültigkeitsgründe nach Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes, in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2008, S. 750ff. THOMAS GÄCHTER, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht – Unter besonderer Berücksichtigung des Bundessozialversicherungsrechts, Diss. Zürich/Basel/Genf 2005 THOMAS GEISER/MARC BUSSLINGER, Ausländische Personen als Ehepartner und registrierte Partnerinnen, in: PETER UEBERSAX/BEAT RUDIN/THOMAS HUGI YAR/THOMAS GEISER (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von Asyl bis Zivilrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis Band VIII, Basel 2009, § 14, S. 657ff. TARKAN GÖKSU, Wirkungen von Eheschliessung, Trennung und Eheauflösung auf den ausländerrechtlichen Status von Ehegatten und ihrer Kinder, in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2003, S. 1ff. CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl., München/Basel/Wien 2009 VII ULRICH HÄFELIN/W ALTER HALLER/HELEN KELLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2008 ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2006 YVO HANGARTNER, Kommentierung des Art. 5 BV, in: BERNHARD EHRENZELLER/PHILLIPPE MASTRONARDI/RAINER J. SCHWEIZER/KLAUS A. VALLENDER (Hrsg.), Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf/St. Gallen 2008, S. 99ff. KARL HARTMANN/LAURENT MERZ, Einbürgerung: Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, in: PETER UEBERSAX/BEAT RUDIN/THOMAS HUGI YAR/THOMAS GEISER (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von Asyl bis Zivilrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis Band VIII, Basel 2009, § 12, S. 589ff. HEINRICH HONSELL, Kommentierung des Art. 2 ZGB, in: HEINRICH HONSELL/NEDIM PETER VOGT/THOMAS GEISER, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 3. Aufl., Basel/Genf/München 2006, S. 26ff. JEANNE KELLER, Familienrechts Die – zweckwidrige Verwendung Ausländerrechtsehen, Ehen von Rechtsinstituten des zur Erleichterung des Grundstückerwerbs durch Personen im Ausland, Steuerehen, Steuerscheidungen, Rentenkonkubinate und ähnliche Erscheinungen, Diss. Zürich 1986 PETER KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher Sicht, in: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung, Band 84, Zürich 1983, S. 425ff. PETER MADER, Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung, Wien 1994 VIII SYLVIE MARGUERAT/MINH SON NGUYEN/JEAN ZERMATTEN, Das Ausländergesetz und das revidierte Asylgesetz im Lichte des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, Analyse der Übereinstimmung zwischen den neuen Bundesgesetzen und der internationalen Kinderrechtskonvention, Terre des hommes 2006 HANS MERZ, Kommentierung des Art. 2 ZGB, in: H. BECKER (Hrsg.), Berner Kommentar, Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, Band I, Bern 1962, S. 213ff. TOBIAS D. MEYER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts im Bereich des Ausländer- und Bürgerrechts, in: ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI/ASTRID EPINEY/W ALTER KÄLIN/MINH SON NGUYEN/PETER UEBERSAX (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Bern 2008, S. 129ff. MICHAEL MONTINI in: DANIELA SCHWEGLER, Ehen mit Ausländern unter Generalverdacht (Reportage), in: Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz DJS (Hrsg.), Plädoyer – Das Magazin für Recht und Politik, 3/2005, S. 14f. JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz: im Rahmen der Bundesverfassung, der EMRK und der UNO-Pakte, 4. Aufl., Bern 2008 MARTIN NYFFENEGGER, Rechtsmissbräuche im Zusammenhang mit der Eheschliessung, in: Zeitschrift für Zivilstandswesen (ZZW), Nr. 5, 2001, S. 141ff. ANNE PETERS, Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention: mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Grundgesetz, München 2003 RENÉ RHINOW /MARKUS SCHEFER, Schweizerisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., Basel 2009 RALPH SCHEER, Der Ehegatten- und Familiennachzug von Ausländern – Eine Untersuchung zur Rechtslage nach Völkerrecht, nach Europarecht und nach ausgewählten nationalen Rechtsordnungen, Frankfurt am Main 1994 IX THEODOR SCHILLING, Internationaler Menschenrechtsschutz: universelles und europäisches Recht, Tübingen 2004 MARC SPESCHA, Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (ANAG, AuG, FZA, EMRK) in den Jahren 2007 und 2008 (bis Ende Juli) und zugleich ein Blick auf offene Rechtsfragen, in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2008, S. 843ff. zit. SPESCHA, in: FamPra.ch 2008 MARC SPESCHA, Kommentierung der Art. 42ff. AuG, in: MARC SPESCHA/HANSPETER THÜR/ANDREAS ZÜND/PETER BOLZLI, Kommentar Migrationsrecht, Zürich 2008, S. 95ff. zit. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht MARC SPESCHA, Migrationsabwehr im Fokus der Menschenrechte, Zürich/St. Gallen 2007 zit. SPESCHA, Migrationsabwehr MARC SPESCHA, Migrationsfamilien in prekären ausländerrechtlichen Verhältnissen, in: Familien und Migration, Beiträge zur Lage der Migrationsfamilien und Empfehlungen der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen EKFF, Bern 2002 zit. SPESCHA, in: Familien und Migration WALTER STÖCKLI, Asyl, in: PETER UEBERSAX/BEAT RUDIN/THOMAS HUGI YAR/THOMAS GEISER (Hrsg.), Ausländerrecht, Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von Asyl bis Zivilrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis Band VIII, 2009, § 11, S. 521ff. ESTHER TOPHINKE, Das Grundrecht der Unschuldsvermutung aus historischer Sicht und im Lichte der Praxis des schweizerischen Bundesgerichts, der EMRK-Organe und des UNO-Menschenrechtsausschusses, Bern 2000 X PETER TUOR/BERNHARD SCHNYDER/JÖRG SCHMID, Einleitungstitel: Die Rechtsausübung, in: PETER TUOR/BERNHARD SCHNYDER/JÖRG SCHMID/RUMO-JUNGO ALEXANDRA, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 13. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, S. 53ff. PETER UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts, in: ALBERTO ACHERMANN/MARTINA CARONI/ASTRID EPINEY/WALTER KÄLIN/MINH SON NGUYEN, Jahrbuch für Migrationsrecht 2005/2006, Bern 2006, S. 3ff. HANS VEST, Kommentierung des Art. 32 BV, in: BERNHARD EHRENZELLER/PHILLIPPE MASTRONARDI/RAINER J. SCHWEIZER/KLAUS A. VALLENDER, Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf/St. Gallen 2008, S. 661ff. MARK E. VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, in: BERNHARD EHRENZELLER (Hrsg.), Rechtsentwicklungen im schweizerischen Ausländerrecht, St. Gallen 2004, S. 71ff. zit. VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK MARK E. VILLIGER, EMRK und UNO-Menschenrechtspakte, in: Daniel Thürer/JeanFrançois Aubert/Jörg Paul Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Zürich 2001, S. 647ff. MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Rechtslage, 2. Auflage, Zürich 1999 LUZIUS W ILDHABER/STEPHAN BREITENMOSER, Kommentierung des Art. 8 EMRK, in: Wolfram Karl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln/Berlin/München 1986ff. (Loseblattausgabe; Stand 2004) PETER W YSK, Rechtsmissbrauch und Eherecht, Bielefeld 1994 XI BRUNO ZANGA/CAMILLUS GUHL, Ausländeramt des Kantons St. Gallen, Kommentierte Übersicht der Strafbestimmungen im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Stand: 12.09.2008) ANDREAS ZÜND, Beendigung der ausländerrechtlichen Anwesenheitsberechtigung, in: BERNHARD EHRENZELLER (Hrsg.), Aktuelle Fragen des schweizerischen Ausländerrechts, St. Gallen 2001, S. 127ff. zit. ZÜND, Anwesenheitsberechtigung ANDREAS ZÜND, Kommentierung des Art. 118 AuG, in: MARC SPESCHA/HANSPETER THÜR/ANDREAS ZÜND/PETER BOLZLI, Kommentar Migrationsrecht, Zürich 2008, S. 256f. zit. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht XII Materialien Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA), SR 0.142.112.681 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom 1. Juni 1811 (ABGB) Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31 Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999 (AsylV 1), SR 142.311 Bericht der Expertenkommission zum Entwurf für ein Bundesgesetz für Ausländerinnen und Ausländer vom Juni 2000 Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2008, SR 02.024, BBl 2002, S. 3709ff. Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005 (AuG), SR 142.20 Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts vom 29. September 1952 (Bürgerrechtsgesetz, BüG), SR 141.0 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101 Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18. August 1996 (BGB) Code Civil français vom 21. März 1804 (CC) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNO-Pakt II), SR 0.103.2 XIII Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK), SR 0.101 Parlamentarische Initiative 05.463, eingereicht von BRUNNER TONI (Scheinehen unterbinden) Parlamentarische Initiative 06.414, eingereicht von LUSTENBERGER RUEDI (Änderung des Bürgerrechtsgesetzes: Fristausdehnung für die Nichtigerklärung) Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 Stellungnahme des Bundesrates zur parlamentarischen Initiative 05.463 (Scheinehen unterbinden) vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2481ff. Stellungnahme des Bundesrates zur parlamentarischen Initiative 06.414 (Änderung des Bürgerrechtsgesetzes: Fristausdehnung für die Nichtigerklärung) vom 30. Januar 2008, BBl 2008, 1289f. Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den Parlamentarischen Initiativen „Scheinehen unterbinden“ und „Änderung des Bürgerrechtsgesetzes“ vom 30. September 2007 Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, SR 0.107 Übereinkommen zur Einrichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) in der konsolidierten Fassung des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001, SR 0.632.31 Vernehmlassung des Schweizerischen Verbandes für Zivilstandswesen vom 10. Mai 2007 zu den Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung des Bundesgesetzes vom 16.12.2005 über die Ausländer und der Teilrevision des Asylgesetzes vom 16.12.2005 XIV Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 (VZAE), SR 142.201 Weisungen des Eidgenössischen Amtes für das Zivilstandswesen EAZW, Nr. 10.07.12.01 (Umgehung des Ausländerrechts: Verweigerung der Eheschliessung durch die Zivilstandsbeamtin oder den Zivilstandsbeamten, Beurkundung von Ungültigerklärungen, Anerkennung und Eintragung ausländischer Eheschliessungen und Partnerschaften) vom 5. Dezember 2007 XV Abkürzungen ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom 1. Juni 1811 Abs. Absatz/Absätze a.M. anderer Meinung ANAG Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (nicht mehr in Kraft) Anm. Anmerkung Art. Artikel AsylG Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31 Aufl. Auflage AuG Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005, SR 142.20 BaZ Basler Zeitung BBl Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bem. Bemerkungen BG Bundesgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18. August 1996 BGE Bundesgerichtsentscheid (Amtliche Sammlung) BüG Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts vom 29. September 1952 (Bürgerrechtsgesetz), SR 141.0 BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101 BVerwGer Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise CC Code Civil français vom 21. März 1804 d.h. das heisst Diss. Dissertation DJS Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz E. Erwägung EAZW Eidgenössisches Amt für das Zivilstandswesen XVI EFTA European Free Trade Association/Europäische Freihandelsassoziation EG Europäische Gemeinschaft EKFF Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EMRK Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1974 (Europäische Menschenrechtskonvention), SR 0.101 EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift f., ff. folgende Seite/Seiten FamPra.ch Die Praxis des Familienrechts Fn. Fussnote FZA Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999, SR 0.142.112.681 Hrsg. Herausgeber i.V.m. in Verbindung mit lit. litera (Buchstabe) NZZ Neue Zürcher Zeitung Rn. Randnote S. Seite SFH Schweizerische Flüchtlingshilfe SR Systematische Sammlung des Bundesrechts u.a. unter anderem UNO United Nations Organisation/Organisation der Vereinten Nationen UNO-Pakt II Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966, SR 0.103.2 vgl. vergleiche VZAE Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007, SR 142.201 ZEMIS Zentrales Migrationsinformationssystem XVII ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 Ziff. Ziffer zit. zitiert ZZW Zeitschrift für Zivilstandswesen 1 I. Einleitung Zu Beginn dieses Jahres sorgte ein durchaus spektakulärer Fall für Aufsehen. Die Medien1 berichteten von einer Kosovo-Albanerin, welche im Laufe von elf Jahren vier Männer aus einem Dorf im Kosovo ehelichte, die teilweise miteinander verwandt waren. Im Falle der dritten Eheschliessung wurde dem Ehemann die schweizerische Staatsangehörigkeit, die er durch erleichterte Einbürgerung erworben hatte, wieder entzogen. Der Grund: Vorliegen einer Scheinehe. Deren Konsequenz: Nichtigerklärung der Einbürgerung2. Solche und ähnliche Sachverhalte (womöglich weniger bizarr) sind Thema langwieriger Diskussionen und beschäftigen die Gesellschaft tagtäglich. Wo früher hauptsächlich die Bürgerrechtsehe die Aufmerksamkeit der Behörden und Gerichte einforderte, hat gegenwärtig insbesondere die rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht an Bedeutung gewonnen. Da die Thematik des Rechtsmissbrauchs zum Dauerthema geworden ist, entsteht nicht selten der Eindruck eines gewissen „Generalverdachts“ bei der Behandlung von binationalen Ehen. Die Beurteilung einer rechtsmissbräuchlichen Ehe erfordert von den zuständigen Behörden enorm viel Feingefühl und das stete Bewusstsein, dass sie letztlich über so etwas Privates wie „die Liebe“ entscheiden. Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich einen Einblick in die Thematik des Rechtsmissbrauchs im Zusammenhang mit migrationsrechtlichen Scheinehen geben und die gegenwärtige Praxis bezüglich der Bekämpfung von Scheinehen im Bereich des nationalen Rechts diskutieren. Fragen, die das internationale Recht betreffen, werden nur am Rande behandelt. Dabei geht es vor allem um einzelne menschenrechtliche Aspekte, insbesondere um die Anforderungen des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention3 in Verbindung mit den ausländerrechtlichen Nachzugsbestimmungen und die Frage der Vereinbarkeit des Art. 8 EMRK mit der Konzeption des Rechtsmissbrauchsverbots. Im Wesentlichen soll aufgezeigt werden, welcher grundlegende Zusammenhang 1 2 3 Vgl. beispielsweise 20 Minuten online vom 21. Januar 2009: Einsehbar unter http://www.20min.ch/news/schweiz/story/12213941 (zuletzt besucht am 07.06.2009). Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-1157/2006 vom 22. Dezember 2008. Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101. 2 zwischen der oben genannten menschenrechtlichen Garantie und der Thematik der ausländerrechtlichen Scheinehe besteht. Zu Beginn der Arbeit werden die Ehe und ihre migrationsrechtlichen Wirkungen aufgezeigt. Das allgemeine Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie der Begriff der Scheinehe sind Thema des darauf folgenden Kapitels. Weitergehend folgt eine Differenzierung der Scheinehen in den verschiedenen Rechtsgebieten des Migrationsrechts. Das fünfte Kapitel befasst sich sodann mit den Rechtsfolgen, insbesondere auch mit den neu in Kraft getretenen Bestimmungen. Schliesslich werden die aktuelle Diskussion im Hinblick auf die geplanten Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen beleuchtet und die vorgesehenen Änderungen erörtert. II. Die Ehe und ihre migrationsrechtlichen Wirkungen 1. Die Ehe im juristischen Sinn Art. 14 der Schweizerischen Bundesverfassung4 garantiert das Recht zur Eheschliessung. Dies bedeutet, dass jeder mündige Erwachsene die Freiheit hat, selber zu entscheiden, ob, bzw. wen er heiraten möchte, wobei auch die Zwangsverheiratung verboten ist5. Dem Bundesgericht zufolge gewährleistet Art. 14 BV auch die Ehe als Institut. Ihre Bedeutung allerdings hat sich im Laufe der Zeit erheblich verändert. Die Ausgestaltung des Instituts muss deshalb immer wieder den gegenwärtigen Wertvorstellungen und der gesellschaftlichen Realität angepasst und den Erfordernissen von Minoritäten muss Rechnung getragen werden6. Während die Ehe früher noch Voraussetzung und Legitimationsbasis für eine sexuelle Verbindung und Kinder war, weist das Institut heute keinerlei Funktionen mehr zu7. Im BGE 119 II 264 wird die Ehe als „das auf Dauer angelegte Zusammenleben von Mann und Frau in einer 4 5 6 7 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101. MÜLLER/SCHEFER, S. 225ff.; RHINOW/SCHEFER, Rn. 1412ff.; BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 1ff. Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Paare wurde für die Bedürfnisse gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften ein eigenes Rechtsinstitut geschaffen. Die Schweiz kennt, im Gegensatz zu einigen anderen Staaten, die gleichgeschlechtliche Ehe nicht. MÜLLER/SCHEFER, S. 229f.; BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 9; RHINOW /SCHEFER, Rn. 1417ff. http://rwiweb.uzh.ch/elt/famr/begruendungehe/de/html/index.html (zuletzt besucht am 05.04.2009). 3 umfassenden Lebensgemeinschaft“ 8 verstanden. In der Ehegemeinschaft ist es Aufgabe beider Partner zu kooperieren, gemeinsam die Kinder zu betreuen und einander Treue und Beistand gemäss Art. 159 ZGB9 zu leisten. Dem Gesetzgeber obliegt nur die verfassungsrechtliche Aufgabe, das Verfahren des Eheschlusses, die Ausgestaltung der Ehe in Grundzügen und deren Aufhebung zu regeln. Hingegen unterliegt die konkrete Verteilung der Aufgaben der Regelungsfreiheit der gleichberechtigten Ehepartner. Aus dem Recht auf Ehe geht folglich kein entsprechendes eheliches Leitbild hervor. Das Institut der Ehe nimmt, wie bereits oben erwähnt, keine besonderen Funktionszuweisungen mehr vor10. Eine Ehe wird heute nicht mehr zwingend als Geschlechts-, Wohnoder Wirtschaftsgemeinschaft aufgefasst und kann deshalb von den Ehepartnern frei definiert werden. Das ursprüngliche Eheideal macht einem persönlich geprägten, lockeren Partnerschaftsverständnis Platz11. Dennoch bleibt der Ehe ihre staatliche Garantie und Legitimation und ihre Privilegierung als Verbindung von Mann und Frau gegenüber anderen Lebensformen12 erhalten. Art. 14 BV13 sowie Art. 12 EMRK14 und Art. 23 UNO-Pakt II15 schützen neben der Freiheit zur Eheschliessung und dem erwähnten institutionellen Gesichtspunkt auch das Recht, eine Familie zu gründen. Art. 8 EMRK spricht von der „Achtung des Familienlebens“ und schützt wie Art. 13 BV16 und Art. 23 des UNO-Paktes II das Leben in Ehe und Familie. Nebenbei sei bemerkt, dass die jetzige Verfassung das Recht auf Ehe und Familie und den Anspruch auf 8 9 10 11 12 13 14 15 16 BGE 119 II 264, E. 4b (Gleichgeschlechtliche Partnerschaften). Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210. http://rwiweb.uzh.ch/elt/famr/wirkungehe/de/html/index.html (zuletzt besucht am 05.04.2009). Vgl. KELLER, S. 27. Veränderungen im Verständnis des Ehebegriffs waren bereits in den 1980er Jahren ein Thema. So ist das Institut der Ehe auf traditionelle Paare ausgerichtet. Die Ehefreiheit schützt nach heute herrschender Auffassung keine gleichgeschlechtlichen Lebensformen. Deshalb erscheint die Ehe zwischen gemischtgeschlechtlichen bzw. heterogeschlechtlichen Paaren immer noch als Privilegierung zu anderen Formen des Zusammenlebens. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden vom Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens erfasst. Vgl. dazu BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 2; RHINOW /SCHEFER, Rn. 1417ff.; BGE 119 II 264, E. 3 und 4b sowie BGE 126 II 425. BIAGGINI zu Art. 14 BV, Rn. 1ff. Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101. Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte, SR 0.103.2. Vgl. dazu MÜLLER/SCHEFER, S. 234ff. und RHINOW/SCHEFER, Rn. 1358ff. 4 Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert, währenddem die frühere Bundesverfassung nicht alle diese Bestimmungen kannte und die EMRK somit die Lücke im nationalen Recht schloss. Schutzbereich des Art. 8 EMRK ist die tatsächlich gelebte, nahe und echte Lebensgemeinschaft, welche eine gewisse Konstanz verlangt17. Insofern muss eine qualifizierte Beziehung vorliegen. Hinweis für eine solche Beziehung kann der gemeinsame Haushalt sein, welcher nach einer Trennung oder Scheidung nicht mehr besteht18. Die Begründung der Ehe19 ist im Zivilgesetzbuch geregelt. Die Zivilehe wird definiert als „die mit rechtlicher Wirksamkeit durch Konsenserklärung der Brautleute vor einem staatlichen Beamten (Standesbeamten, Zivilstandesbeamten) eingegangene Ehe“20. An die Ehe werden zahlreiche Rechtsfolgen innerhalb und ausserhalb des Zivilrechts geknüpft. Auf einige rechtliche Wirkungen, insbesondere im Bereich des Migrationsrechts, wird in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit umfassend eingegangen. 2. Migrationsrechtliche Wirkungen der Ehe Eine (Zivil)Ehe zieht nicht nur zivilrechtliche Wirkungen mit sich, sondern entfaltet je nach Fallkonstellation auch im Gebiet des Migrationsrechts seine Wirkungen. Die Stellung eines Ausländers in Verbindung mit eherechtlichen Entscheidungen führt zur Anwendung spezieller Rechtsgrundlagen21. Das Recht auf Familienleben (Art. 8 EMRK und Art. 13/14 BV) garantiert, dass Familienmitglieder nicht durch Staatsgrenzen oder ausländerrechtliche Bestimmungen getrennt werden22. Dementsprechend nimmt diese Garantie eine zentrale Bedeutung im schweizerischen Migrationsrecht ein. Für die Position 17 18 19 20 21 22 einer ausländischen Person ist der Bestand der Ehe ein VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; insbesondere auch GRABENWARTER, 204ff.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 428ff.. Vgl. VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74. Gemeint sind Voraussetzungen, Form und Verfahren der Eheschliessung. Definition unter https://peter-hug.ch/lexikon/zivilehe (zuletzt besucht am 05.04.2009). Darunter fallen das AuG, das FZA, das AsylG sowie das BüG. Ausführlich dazu MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff.; RHINOW/SCHEFER, Rn. 1363ff.; BREITENMOSER zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 25; BIAGGINI zu Art. 13 BV, Rn. 7; CARONI, S. 278ff.; GRABENWARTER, S. 212 und 223ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 576ff.; VILLIGER, EMRK und UNO-Menschenrechtspakte, S. 655; PETERS, S. 165ff.; SCHILLING, S. 95ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 415ff.. 5 „konstituierendes Merkmal“23. Sie vermittelt ausländerrechtliche Vorteile. Bekanntermassen beeinflusst die Ehe mit einem Schweizer oder einem niedergelassenen bzw. aufenthaltsberechtigten Ausländer den Status des ausländischen Ehegatten. An die Ehe ist also regelmässig eine ausländerrechtliche Besserstellung gebunden24. Ebenfalls tangiert wird der Status der gemeinsamen Kinder, was allerdings nicht Thema der Arbeit ist und deshalb nicht weiter vertieft wird. Die Anknüpfung an ein solch formales Kriterium der Ehe scheint nicht immer befriedigend, denn neben der Möglichkeit zum Missbrauch wird auch den tatsächlichen Verhältnissen zu wenig Rechnung getragen. Auf die Problematik des Rechtsmissbrauchs wird weiter unten ausführlich eingegangen. 2.1. Aufenthaltsrechtliche Wirkungen der Ehe Durch die Ehe mit einem Schweizer Bürger oder einem in der Schweiz anwesenheitsberechtigtem Ausländer kann auch der Status des nachzuziehenden Ehegatten beeinflusst werden, sofern dieser nicht einen originären Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hat25. Bevor also die eherechtlichen Aufenthaltswirkungen eintreten, muss geprüft werden, ob dem nachzuziehenden Ehegatten abgesehen von der Ehe eine originäre Aufenthaltsbewilligung zusteht. Erst wenn dies nicht der Fall ist, kann geprüft werden, ob dem nachzuziehenden Ehegatten aufgrund der Ehe mit einem Schweizer bzw. einem anwesenheitsberechtigtem Ausländer ein bestimmter Aufenthaltstitel erteilt werden muss. Der Vorteil für den nachzuziehenden Ehegatten liegt also darin, dass diesem, auch wenn kein Anspruch auf eine originäre Aufenthaltsbewilligung besteht, dennoch, je nach Status des in der Schweiz lebenden Ehegatten, ein Aufenthaltsstatus zugebilligt wird26. Wird dem nachzuziehenden Ehegatten der Aufenthalt in der Schweiz verweigert, so muss diese Entscheidung vor Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV27 standhalten. Rechtsgrundlage für den Ehegattennachzug bildet das AuG28, sofern keine anderen 23 24 25 26 27 28 Bestimmungen des Bundesrechts oder von der Schweiz GÖKSU, S. 4. GÖKSU, S. 8. Vgl. GEISER/ BUSSLINGER, Rn. 14.50. GÖKSU, S. 8. Weiterführend Kapitel IV.1.2.3. Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 16. Dezember 2005, SR 142.20. 6 abgeschlossene völkerrechtliche Verträge zur Anwendung gelangen29. Sofern das AuG keine günstigeren Bestimmungen vorsieht, können sich Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft (EGStaatsangehörige) gemäss Art. 2 Abs. 2 AuG auf das Freizügigkeitsabkommen30 und Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA-Staatsangehörige) gemäss Art. 2 Abs. 3 AuG auf die Änderung des EFTA-Übereinkommens31 berufen. Des Weiteren lassen sich auch im Asylgesetz32 und in der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit33 Bestimmungen über den Nachzug bzw. Aufenthalt von Ehegatten finden. Wie bereits im ersten Abschnitt dieses Kapitels angedeutet, steht dem nachzuziehenden Ehegatten ein von Fall zu Fall unterschiedlicher Aufenthaltsstatus nach der Einreise zu, je nachdem über welchen Status der in der Schweiz lebende Aufenthaltsbewilligung Niederlassungsbewilligung Ehegatte und verfügt. Einen Anspruch auf nach einem Anspruch auf Erteilung ordnungsgemässen eine einer und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren haben zunächst Ehegatten von Schweizern und Niedergelassenen, sowie von EG- und EFTA- Staatsangehörigen nach Art. 42 und 43 AuG. Erwähnenswert scheint hier, dass beim Nachzug von Ehepartnern aus einem Drittstaat34 auch für EG- und EFTAStaatsbürger, die in der Schweiz aufenthaltsberechtigt sind, die Bestimmungen des AuG Anwendung finden, da das Freizügigkeitsabkommen nur bei rechtmässigem Aufenthalt des nachzuziehenden Ehegatten innerhalb des EURaums 29 30 31 32 33 34 35 zur Geltung kommt35. Ehegatten von Aufenthalts- oder Vgl. Art. 2 AuG (Geltungsbereich). Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999, SR 0.142.112.681. Übereinkommen zur Einrichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) in der konsolidierten Fassung des Vaduzer Abkommens vom 21. Juni 2001, SR 0.632.31, insbesondere Anhang K – Anlage I, wobei die Normen in Anhang K – Anlage I des EFTA Übereinkommens identisch mit denjenigen des Freizügigkeitsabkommens sind und deshalb nachfolgend nur auf das Freizügigkeitsabkommen verwiesen wird. Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG), SR 142.31. Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 (VZAE), SR 142.201. Staat, welcher kein Mitgliedstaat der EG oder EFTA ist. Weitere Ausführungen dazu bei SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1ff. zu Art. 42 AuG und Rn. 1ff. zu Art. 43 AuG. Weiterführend BGE 130 II 1, E. 3.6 (Grundsatzurteil) und EuGH-Urteil vom 23.09.2003 in der Rechtssache C-109/01, Akrich, sowie EuGH-Urteil vom 7 Kurzaufenthaltsberechtigten kann eine Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt werden (Art. 44 und 45 AuG). Es besteht demzufolge kein Anspruch darauf. Die Erteilung einer solchen Bewilligung liegt vielmehr im Ermessen der Migrationsbehörden36, wobei unter anderem immer die Schranke des Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV beachtet werden muss. Nebenbei bemerkt gelten die Bestimmungen über den Ehegattennachzug gemäss Art. 52 AuG sinngemäss auch für gleichgeschlechtliche Paare, die in eingetragener Partnerschaft leben. Durch die Ehe mit einem Schweizer oder einem aufenthaltsberechtigtem Ausländer kommt ausländerrechtlicher Familiennachzugs, ein ausländischer Bestimmungen allerdings Ehepartner zwar werden in dadurch aufgrund den diverser Genuss auch des zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet37. 2.2. Bürgerrechtswirkungen der Ehe Die Ehe mit einem Schweizer zieht nicht nur ausländerrechtliche Wirkungen mit sich, sondern hat auch bürgerrechtlich gewisse Vorteile, obwohl damit keinesfalls mehr der automatische Bürgerrechtserwerb verbunden ist. Dennoch vermitteln Art. 27 und Art. 28 BüG38 dem ausländischen Ehegatten eines Schweizer Bürgers nach gewisser Dauer der Ehe und Anwesenheit in der Schweiz den Anspruch auf erleichterte Einbürgerung. Dem ausländischen Ehegatten steht also nach einiger Zeit das Schweizer Bürgerrecht zu, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Der betroffene Ausländer muss dabei nicht das ordentliche Einbürgerungsverfahren nach Art. 12 ff. BüG durchlaufen, sondern kann die Vorteile der Art. 27f. BüG in Anspruch nehmen. Einerseits erfolgt so der Bürgerrechtserwerb durch die ausländische Person um einiges früher, andererseits bleibt ihr der enorme zeitliche und bürokratische Aufwand erspart. Wie das Wort „erleichterte Einbürgerung“ bereits sagt, wird das Verfahren im Vergleich zum ordentlichen Verfahren enorm erleichtert bzw. verkürzt. Auf die Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung wird im Kapitel IV detailliert 36 37 38 09.01.2007 in der Rechtssache C-1/05, Jia (EuGRZ 2007, 194ff.) und neu auch EuGH-Urteil vom 25.07.2008 in der Rechtssache C-127/08, Metock. Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.52. Siehe verschiedene Missbrauchskonstellationen in Kapitel IV. Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (Bürgerrechtsgesetz), SR 141.0. 8 eingegangen. Folglich wird mit der erleichterten Einbürgerung die betroffene Person im Vergleich zu anderen Ausländern dahingehend privilegiert, dass die Wohnsitzverhältnisse enorm gelockert werden und für sie ein Anspruch auf Einbürgerung besteht39. 2.3. Voraussetzungen für den Eintritt der migrationsrechtlichen Wirkungen Damit sowohl die aufenthaltsrechtlichen als auch die bürgerrechtlichen Wirkungen einer Ehe den ausländischen Ehegatten privilegieren, ist die Ehe an sich zwar notwendige, aber nicht mehr hinreichende Voraussetzung. In der Lehre40 wird diesbezüglich von einem Paradigmenwechsel gesprochen. Die Bestimmungen Bestehen einer Ausländergesetzes41 verlangen des neuen Formal- auch das Bestehen einer neben dem Realbeziehung42. Regelmässige Voraussetzung ist also der Bestand einer gültigen Ehe. Für eine solche genügt das Vorliegen eines Konkubinates nicht. Die Bedeutung der Formalbeziehung im Hinblick auf den Status des ausländischen Ehegatten hat immer öfter Anlass zur Befürchtung gegeben, dass ausländische Personen eine Ehe aus migrationsrechtlichen Beweggründen nur zum Schein schliessen, also eine Scheinehe eingehen43. Neben dem Bestehen einer gültigen Ehe setzt der Eintritt der entsprechenden Rechte eine „tatsächlich gelebte eheliche Beziehung und den entsprechenden Ehewillen“44, eine sogenannte Realbeziehung, voraus. Grundsätzlich verlangt das Ausländergesetz als Bedingung des Nachzugsrechts ein Zusammenwohnen der Ehegatten45. Das Erfordernis des tatsächlichen Zusammenlebens besteht gemäss Art. 49 AuG nur dann nicht, wenn für getrennte Wohnsitze wichtige Gründe geltend gemacht werden und die 39 40 41 42 43 44 45 GÖKSU, S. 10. GÖKSU, S. 6. Art. 42 ff. AuG. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34f. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34. Vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, SR 02.024, BBl 2002, S. 3709ff. Art. 42-45 AuG. Das Erfordernis des Zusammenlebens gilt seit der Revision des Ausländergesetzes auch für Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern (Art. 41 Abs. 1 AuG), es sei denn der nachgezogene Ehegatte ist im Besitze einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde (Art. 42 Abs. 2 AuG). 9 Familien- bzw. Ehegemeinschaft weiter besteht. Der Ehewille kann trotz getrennter Wohnorte ohne weiteres fortbestehen46. Obwohl durch diese zusätzliche Voraussetzung eine Annäherung an das internationale Recht, sprich Art. 8 EMRK, dessen Schutzgegenstand eine nahe, echte und tatsächlich gelebte und insofern qualifizierte Beziehung zwischen zwei Personen47 ist, stattgefunden hat, reicht die Garantie der EMRK dennoch weiter, da sie auch die nichtehelichen Beziehungen48 schützt49. Auch das BüG verlangt neben dem Bestand der Ehe für die erleichterte Einbürgerung beispielsweise in Art. 27 Abs. 1 lit. c, dass eine eheliche Gemeinschaft tatsächlich gelebt wird, also eine Realbeziehung besteht. Ziel des Gesetzgebers war es, mit dem Grundsatz des Zusammenwohnens der Ehegatten bzw. der Anforderung des gemeinsamen Wohnsitzes die Missbräuche im Rahmen der migrationsrechtlichen Ehen zu bekämpfen50. III. Der Rechtmissbrauch 1. Die verfassungsrechtliche Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots Ursprünglich existierte das Verbot des Rechtsmissbrauchs als allgemein geltendes Rechtsprinzip auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 ZGB, wonach der offenbare Missbrauch eines Rechts keinen Rechtsschutz findet. Insofern war es ein Rechtsinstitut des Privatrechts51. Inzwischen ist das Rechtsmissbrauchsverbot, als Teilgehalt des Grundsatzes von Treu und 46 47 48 49 50 51 Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 49 AuG. Wichtige Gründe für getrennte Wohnsitze sind gemäss Botschaft (S. 3753) berufliche Gründe, häusliche Gewalt, ernsthafte eheliche Probleme. Solange die häusliche Trennung nur vorübergehender Natur ist, muss von einer weiter bestehenden Lebensgemeinschaft ausgegangen werden. Vgl. GÖKSU, S. 5. Eingehend zum Schutzbereich dieser Bestimmung GRABENWARTER, S. 204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff. Gemeint sind aussereheliche verschiedengeschlechtliche Beziehungen und homosexuelle Partnerschaften. Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34; GÖKSU, in: FamPra.ch 2003, S. 6; GRABENWARTER, S. 204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff. Vgl. Bericht der Expertenkommission zum Entwurf für ein Bundesgesetz für Ausländerinnen und Ausländer vom Juni 2000, S. 19ff. KOTTUSCH, S. 426; UEBERSAX, S. 4. 10 Glauben52, in Art. 5 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung verankert. Die verfassungsrechtliche Bestimmung verpflichtet staatliche Organe und Private nach Treu und Glauben zu handeln, was auch die Verpflichtung umfasst, seine Rechte nicht zu missbrauchen53. Im Gegensatz zu Art. 9 BV54 zwingt das Rechtsmissbrauchsverbot in Art. 5 Abs. 3 BV sowohl Private als auch staatliche Behörden, ihre Rechte und Pflichten im Sinne des Gesetzes auszuüben. Dementsprechend findet der Rechtsgrundsatz sowohl unter Privaten als auch im Verkehr unter staatlichen Organen bzw. Gemeinwesen unmittelbar insbesondere Anwendung55. die Das zweckwidrige Rechtsmissbrauchsverbot Verwendung eines untersagt Rechtsinstituts zur Verwirklichung von Interessen, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will56. Allerdings ist der Rechtsmissbrauch nur dann verboten, wenn er offenbar ist, was bedeutet, dass nur ein „krass stossendes Verhalten“ rechtsmissbräuchlich ist57. Erst wenn ein schutzwürdiges Interesse gänzlich fehlt, kommt das Rechtsmissbrauchsverbot zur Anwendung. Für die Wahrnehmung der eigenen Rechte ist folglich ein „geringfügiges, aber legitimes und zweckkonformes Interesse“58 ausreichend. Bei der Figur des Rechtsmissbrauchs handelt es sich Literaturmeinungen59 zufolge um einen Korrekturmechanismus, der nicht schutzwürdige Rechtsfolgen, die sich bei der Anwendung des Rechts ergeben, verhindert. Dies bedeutet, dass das Rechtsmissbrauchsverbot bei stossenden Ergebnissen, die als Folge einer schematischen Anwendung des Gesetzes entstehen, eine gewisse Einzelfallgerechtigkeit herstellt60. 52 53 54 55 56 57 58 59 60 BGE 110 Ib 332, E. 3a; vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 715 und HÄFELIN/HALLER/KELLER, Rn. 824; a.M. GÄCHTER, S. 186 und 304f., der die Auffassung vertritt, dass das Rechtsmissbrauchsverbot nur in ganz bestimmten Teilaspekten auf die Verfassung gestützt werden kann und die zweckwidrige Verwendung eines Rechts und die Gesetzesumgehung ein Problem der Auslegung sind. UEBERSAX, S. 5. Art. 9 BV garantiert den grundrechtlichen Schutz auf Wahrung von Treu und Glauben durch den Staat und vermittelt so einen Anspruch gegen staatliche Behörden. Dazu HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 627. HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rn. 717; HANGARTNER zu Art. 5 Abs. 3 BV, Rn. 41f.; BIAGGINI zu Art. 5 BV, Rn. 24f. BGE 110 Ib 332, E. 3a; BGE 131 I 166, E. 6.1; BGE 112 II 5, E. 3a; BGE 128 II 145, E. 2.2. UEBERSAX, S. 6. UEBERSAX, S. 6. UEBERSAX, S. 4; MADER, S. 81f. UEBERSAX, S. 4. 11 Die Verfassung ist also insofern Grundlage des Rechtsmissbrauchsverbots. Indem Art. 2 Abs. 2 ZGB auch künftig noch zur näheren Definition der Rechtsfigur herangezogen wird, wird sein Geltungsbereich noch immer sehr stark von dieser Gesetzesnorm mit beeinflusst61. 2. Das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach Art. 2 Abs. 2 ZGB Im Hinblick auf Missbrauchsverbots die bei nicht der geringe Bedeutung Auslegung des des zivilrechtlichen verfassungsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots, wird das Augenmerk in diesem Kapitel auf Art. 2 Abs. 2 ZGB gerichtet. Im schweizerischen Recht gibt es keine allgemein anerkannte Definition des Rechtsmissbrauchs. Und dennoch wird der Rechtsmissbrauch nicht oft als positivrechtlicher Begriff so ausdrücklich verankert, wie in Art. 2 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches62. Dementsprechend ergibt sich das Prinzip des Rechtsmissbrauchsverbots in der schweizerischen Rechtsordnung unmittelbar aus dem geschriebenen Recht. Folglich bildet Art. 2 Abs. 2 ZGB eine Art „Grundnorm“ des Rechtsmissbrauchsgedankens63. Im ausländischen Recht64 erfolgt häufig keine solch präzise tatbestandliche Ausformulierung, weshalb sich oft eine Anzahl von Normen finden lässt, die sich bereits auf Einzelfälle des Rechtsmissbrauchs beziehen65 66. Art. 2 Abs. 2 ZGB verlangt, dass dem offenbaren Rechtsmissbrauch der Rechtsschutz versagt wird. Der Zweck der Norm liegt in der Verhinderung von Rechtsansprüchen, die nicht dem Schutz der berechtigten Interessen dienen 61 62 63 64 65 66 UEBERSAX, S. 5. „Der offenbare Missbrauch eines Rechts findet keinen Rechtsschutz“. MADER, S. 80. Beispielsweise deutsches Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), französischer Code Civil (CC) oder auch österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB). Zwar findet man in § 226 des deutschen BGB die Aussage: „Die Ausübung eines Rechtes ist unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen“. Allerdings ist diese Formulierung zu eng und hat deshalb kaum praktische Relevanz. Dennoch hat sich aus § 242 BGB, der den Grundsatz von Treu und Glauben ausdrücklich verankert, ein allgemeines (mittelbares) Rechtsmissbrauchsverbot entwickelt, das eine allgemeine Schrankenfunktion hat. In Frankreich und Österreich fehlen entsprechende Anordnungen zur missbräuchlichen Rechtsausübung gänzlich. Weiterführend MADER, S. 77ff. MADER, S. 76f. 12 und deren Befriedigung berechtigte Interessen verletzen würden67. Fehlt also ein berechtigtes Rechtsschutzinteresse, so können auch keine 68 Rechtsansprüche geltend gemacht werden . Zur Anwendung gelangt Art. 2 Abs. 2 ZGB bzw. dessen Rechtsfolge in Fällen, in denen eine Zweckentfremdung von Rechtsinstituten stattfindet, wo also ein Rechtsinstitut zu Zwecken verwendet wird, die es nicht schützen will69 bzw. wo ein „Widerspruch“ bei der Ausübung des Rechts (Rechtsanwendung) „zu bestimmten Wertungen, die in der Rechtsordnung erkennbar vorhanden sind“, besteht70. In der Literatur werden derartige Sachverhalte als missbräuchliche bzw. zweckwidrige Rechtsausübung oder als Institutsmissbrauch bezeichnet71. Die Lehre vom Rechtsmissbrauch will bei der Anwendung generell abstrakter Gesetze eine gewisse Einzelfallgerechtigkeit herstellen, indem ungerechte Ergebnisse korrigiert werden. Die herrschende Lehre spricht im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 ZGB von einer normberichtigenden Funktion72. Allerdings dürfen sowohl die Kontrolle als auch die Korrektur der Rechtsausübung nicht unbillig oder ungerecht erfolgen. Der Gesetzgeber trägt dem dadurch Rechnung, dass der gerichtliche Schutz nur dem offenbaren Rechtsmissbrauch versagt wird. Der bundesgerichtlichen Rechtssprechung zufolge muss der Missbrauch „klar zutage liegen“73, was bedeutet, dass er „in die Augen springend, unzweifelhaft“74 sein muss. Rechtsfolge dieses offenbaren Rechtsmissbrauchs ist gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB wie bereits oben erwähnt, dass kein Rechtsschutz gewährt wird. Anzumerken bleibt, dass Art. 2 Abs. 2 ZGB als privatrechtliche Norm eine Doppelfunktion innehat und auch im öffentlich-rechtlichen Bereich Anwendung findet75. 67 68 69 70 71 72 73 74 75 MADER, S. 83f. BGE 108 II 165, E. 3. Ausführlich dazu KELLER, S. 1ff. MADER, S. 83. HONSELL zu Art. 2 ZGB, Rn. 51. TUOR/SCHNYDER/SCHMID, S. 57f., Rn. 13. BGE 98 II 138, E. 3. TUOR/SCHNYDER/SCHMID, S. 59, Rn. 19. UEBERSAX, S. 4; vgl. auch Kapitel III.1. 13 3. Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchs im Zivilrecht – insbesondere im Eherecht Wird im Zusammenhang mit dem Eherecht von Missbrauch gesprochen, dann handelt es sich vordergründig um den Missbrauch der Ehe als Institut. Gemeint ist damit vor allem die „Scheinehe“76. 3.1. Der Begriff der Scheinehe und ihre Schädlichkeit Wer eine Scheinehe oder anders gesagt eine „Ehe zum Schein“ eingeht, der verfolgt zwar das Ziel einen gültigen Eheschluss zu erreichen, gibt aber während des Eheschliessungsaktes und danach nur vor, eine tatsächliche Lebensgemeinschaft gemäss Art. 159 ZGB zu wollen bzw. bereits zu führen77. Der Schein bezieht sich also nicht auf die Trauung an sich, sondern auf den Willen der „Ehegatten“, im Hinblick auf die dem Eheschluss folgende eheliche Gemeinschaft78. Folglich ist die formal korrekt geschlossene Ehe79 vom übereinstimmenden Willen der Ehepartner80 getragen von Beginn an keine enge und dauerhafte eheliche Lebensgemeinschaft zu führen, sondern „das Institut der Ehe dazu zu benützen, ein zweckfremdes Ziel zu erreichen“81. Dies würde e contrario bedeuten, dass die Ehe eigentlich nur zu ganz bestimmten Zwecken geschlossen werden dürfte und die Motive einer Scheinehe ausserhalb dieser besonderen Zwecke liegen müssten82. Das schweizerische Recht nennt keine bestimmten Zwecke für eine Eheschliessung, es unterscheidet nicht zwischen lauteren und unlauteren Motiven für eine Ehe. Demzufolge ist es erlaubt, eine Ehe einzugehen, um von deren positiven Wirkungen finanzieller, wirtschaftlicher, religiöser, moralischer oder familiärer Natur zu profitieren, worunter auch die ausländer-, asyl- und bürgerrechtlichen Vorteile fallen83. Jedenfalls ist festzuhalten, dass eine Ehe aufgrund 76 77 78 79 80 81 82 83 Vgl. W YSK, S. 112. Diese Begriffsverwendung ist insbesondere im schweizerischen Zivilrecht nicht unproblematisch und muss relativiert werden, da eine Scheinehe zivilrechtlich gültig ist. Ausführlich dazu Kapitel III.3.2. Vgl. W YSK, S. 112. W YSK, S. 112f. Die Scheinehe ist eine gültige Ehe mit allen gesetzlich vorgesehenen Rechtswirkungen. BGE 121 III 149, E. 2b. Zum Problem der einseitigen Scheinehe Kapitel IV.5. BGE 121 III 149, E. 2a. Vgl. GÖKSU, S. 18, insbesondere die Diskussion über mögliche Motive für das Eingehen einer Ehe; UEBERSAX, S. 13. Insbesondere GÖKSU, S. 18 und GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.39. 14 beispielsweise wirtschaftlicher Interessen, also wegen „Zweck-Interessen jenseits der reinen Liebe noch nicht rechtsmissbräuchlich“84 wird. Deshalb ist eine Scheinehe auch nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB, denn bisher wird sowohl in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als auch in der Lehre kein bestimmter Zweck der Ehe beschrieben, weshalb dieses Institut im Grunde genommen auch nicht zweckentfremdet werden kann. Allerdings schränkt das Bundesgericht in seiner Praxis regelmässig die „Zweckneutralität der Ehe“85 ein, indem es verlangt, dass die Ehe nicht einzig und allein wegen der rechtlich vorteilhaften Wirkungen, sondern auch mit dem Willen, eine eheliche Gemeinschaft zu begründen, geschlossen wird86. Das Verfolgen von Zielen, die rechtlich vorteilhafte Wirkungen an den Eheschluss knüpfen, sind für die rechtliche Qualifikation der Scheinehe nicht relevant, da diese an den Willen, keine eheliche Gemeinschaft zu führen, knüpft87. Entscheidendes Kriterium ist demzufolge, abgesehen vom unmittelbaren Motiv, ob die eheliche Gemeinschaft wirklich gewollt ist oder nicht88. Damit eine Grenzziehung zur Zerrüttung der Ehe89 erfolgen kann, muss die übereinstimmende Ablehnung der Lebensgemeinschaft bereits vor der Eheschliessung vorliegen90. Die Motive zur Eingehung einer Scheinehe sind zahlreich. Oftmals sind die Absichten des einen Ehepartners nicht zugleich die Absichten des anderen Ehepartners. Im Vordergrund stehen im Rahmen dieser Arbeit die rein ausländer-, asyl- und bürgerrechtlichen Motivationen91. Obwohl das ursprüngliche Eheideal beinahe gänzlich an Bedeutung verloren hat, weil immer häufiger Individualinteressen in den Vordergrund treten, die Ausgestaltung der Ehe durch die Ehepartner erfolgt und das Institut Ehe kein so grosses öffentliches Interesse mehr hervorruft, ist dennoch das Bedürfnis nach der Bekämpfung von Scheinehen gross. Warum eigentlich? Stören wir uns vielleicht so sehr daran, dass das Rechtsinstitut der Ehe missbraucht und so 84 85 86 87 88 89 90 91 SPESCHA, in: Familien und Migration, S. 59f. GÖKSU, S. 18. BGE 121 II 97, E. 3b. W YSK, S. 113f. SPESCHA, in: Familien und Migration, 59f.; vgl. auch NYFFENEGGER, S. 142. Diese kann erst nach Aufnahme der ehelichen Beziehung eintreten. W YSK, S. 112. Ausführliche Darstellung hauptsächlich in Kapitel IV. und V. 15 der ursprüngliche Sinn der Ehe vernichtet wird? Diese Fragen lassen sich grundsätzlich nicht beantworten, ohne dass man der Frage nach der allgemeinen Schädlichkeit von Scheinehen nachgeht. Insbesondere W YSK hat grundsätzliche Überlegungen zur Schädlichkeit von Scheinehen in der Bundesrepublik Deutschland angestellt, welche teilweise auch in der Schweiz Geltung erlangen92. Im Grunde genommen könnte man sagen, dass der Grund für die Verpönung der Scheinehe und damit ihrer Schädlichkeit darin liegt, dass sie 93 rechtsmissbräuchlich ist . Jedoch scheint die Erklärung nicht so einfach und bedarf deshalb genauerer Erläuterung. Durch das Eingehen einer Scheinehe entfällt der Wille, eine Lebensgemeinschaft zu begründen. Die Ehe verfolgt zwar keine bestimmten Motive, ist aber dennoch nicht ganz zweckneutral. Mindestens der Wille zur Begründung einer ehelichen Gemeinschaft muss gegeben sein. Da gerade dieser bei der Scheinehe nicht vorliegt, ist mit ihr zwingend eine gewisse Zweckverfehlung oder Zweckentfremdung des ehelichen Rechtsverhältnisses verbunden94 oder anders formuliert: Es wird ein gewisser ethischer Wert der Ehe missachtet95. Das Institut der Ehe wird ausschliesslich gebraucht um beispielsweise in den Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu kommen, um also einen ganz bestimmten ausländerrechtlichen Vorteil zu erlangen, der einen aus einer bestimmten Situation herausholt und der einem ohne Eheschliessung nicht zugestanden hätte. Oftmals wird versucht, mit der Eheschliessung und der dadurch eingetretenen (Neben)Wirkung eine Gesetzesumgehung zu bewirken96. Ganz allgemein gesprochen wird durch das Eingehen einer Scheinehe das Gemeinwohl bzw. das öffentliche Interesse verletzt, denn dieses duldet keine solchen Ehen97. Begründet wird dies insbesondere mit dem grundlegenden Interesse der Gesellschaft an einer funktionsfähigen Ehe. Das Unwerturteil liegt in der hemmungslosen Verfolgung von Eigeninteressen, die das Rechtsbewusstsein verletzen und das Ansehen der Rechtsordnung 92 93 94 95 96 97 W YSK, S. 128ff. KOTTUSCH, S. 426. Vgl. W YSK, S. 128. KELLER, S. 44. Fraglich ist allerdings in diesem Zusammenhang, inwieweit heute noch der ethische Wert der Ehe (wenn dieser überhaupt noch Bestand hat) verteidigt und geschützt werden muss, damit allgemeine Interessen der Gesellschaft gewahrt werden. MERZ zu Art. 2 ZGB, Rn. 296. KOTTUSCH, S. 426. 16 aushöhlen98. Der Missbrauch der Eheschliessung steht also nicht im Einklang mit der Rechtsordnung bzw. dem öffentlichen Interesse und wird aufgrund dessen nicht geduldet. Folglich verdient er auch keinen Rechtsschutz99. In Übereinstimmung mit EGGER muss angemerkt werden, dass durch die Ablehnung der Scheinehe an sich das Recht auf Ehe, als auch die Sicherheit der eherechtlichen Ordnung nicht im geringsten tangiert sind100. Problematisch scheinen meines Erachtens eher das Vorgehen der Behörden bei der Qualifizierung einer Ehe als rechtsmissbräuchlich101 und die aktuell diskutierten Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen102. 3.2. Die zivilrechtliche Gültigkeit einer Scheinehe Eine Scheinehe ist eherechtlich eine gültige Ehe, erlangt also rechtliche Gültigkeit und zeitigt insofern entsprechende Rechtswirkungen. Auch die Möglichkeit einer Scheidung besteht grundsätzlich103. Der Sinn der Ehe besteht nicht darin, eine Lebensgemeinschaft zu begründen, sondern bestimmte Rechtsfolgen einzuleiten. Mit dem Eheschliessungsakt, der Heirat, schaffen die Brautleute die Formalbeziehung104, jedoch nicht die Realbeziehung105. Da eine Lebensgemeinschaft (fast immer) schon vor der Heirat besteht, können die Brautleute auch keine solche mehr begründen106. Da heutzutage keine Konkubinatsverbote mehr existieren und das Konkubinat107, als Form des eheähnlichen Zusammenlebens gesellschaftlich akzeptiert ist, braucht es die Ehe nicht mehr um eine Lebensgemeinschaft zu begründen. Folglich ist die Heirat einzig notwendig, um der Lebensgemeinschaft „einen festen rechtlichen Rahmen zu geben“108. Die Verwendung des Begriffs der „Scheinehe“ scheint nach den gemachten Ausführungen 98 aus zivilrechtlicher Sicht nicht ganz unproblematisch. EGGER, S. 109. Vgl. KOTTUSCH, S. 441. 100 EGGER, Anm. 2, S. 114. 101 Dazu Kapitel IV.4. 102 Dazu Kapitel VI. 103 BGE 121 III 149, E. 2b; vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38; UEBERSAX, S. 22. 104 Zum Begriff der Formalbeziehung Kapitel II.2.3. 105 Zum Begriff der Realbeziehung Kapitel II.2.3. 106 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38. 107 Ausführungen zum Begriff des Konkubinats unter www.konkubinat.ch (zuletzt besucht am 07.04.2009). 108 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.38. 99 17 Grundsätzlich liegt gar keine Scheinehe vor, wenn die Ehepartner eine tatsächliche Lebensgemeinschaft führen, eine Ehe aber aus ausländer-, asyloder bürgerrechtlichen Gründen eingehen. Wie im vorausgehenden Kapitel ausgeführt, gibt es keine bestimmten Motive für die Schliessung einer Ehe. Es gehört zu den zulässigen Zwecken der Heirat, sich durch die Ehe migrationsrechtliche Vorteile zu sichern, sofern der Wille, eine echte eheliche Gemeinschaft zu gründen, vorhanden ist109. 4. Die Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots im öffentlichen Recht Insbesondere GÄCHTER Rechtsmissbrauchsverbots betrachtet im die öffentlichen Bedeutung Recht (speziell des im Sozialversicherungsrecht) aus einer anderen Perspektive. Ihm zufolge ist die zweckwidrige Verwendung eines Rechts sowie die Gesetzesumgehung ein Auslegungsproblem110, weshalb der Zweck einer Bestimmung bereits bei seiner Auslegung genügend Beachtung finden muss111. Aufgrund der juristischen Auslegungsmethodik ist er der Auffassung, dass die Verfassung nur teilweise in bestimmten Fällen als Grundlage für das Rechtsmissbrauchsverbot heran gezogen werden kann112. GÄCHTER zufolge ist es also entbehrlich, einen Zusammenhang zwischen der zweckwidrigen Rechtsverwendung sowie der Gesetzesumgehung und Art. 5 Abs. 3 BV herzustellen113. IV. Der Begriff der Scheinehe beziehungsweise der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Migrationsrecht In diesem Kapitel erfolgt eine eingehende Darstellung der Scheineheproblematik im schweizerischen Migrationsrecht. Insbesondere in diesem Rechtsgebiet führt die Thematik der rechtsmissbräuchlichen Ehe zu 109 BGE vom 8. April 2008, 2C.750/2007, E. 2.2. GÄCHTER, S. 304f. 111 UEBERSAX, S. 6. 112 GÄCHTER, S. 186f. 113 GÄCHTER, S. 305. 110 18 weitreichenden Diskussionen. Mittlerweile bestehen teilweise sehr ausgedehnte und detaillierte gesetzliche Bestimmungen, welche die Problematik der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Gebiet des Migrationsrechts aufgreifen und regeln. Neben der Ausländerrechtsehe bilden auch die rechtsmissbräuchliche Ehe im Asylrecht sowie die Bürgerrechtsehe Anwendungsfälle des Rechtsmissbrauchs im Migrationsrecht (Scheinehen des Migrationsrechts). Die Ausführungen zur Scheineheproblematik erfolgen für das Ausländer-, Asyl- sowie Bürgerrecht in jeweils getrennten Kapiteln. 1. Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht („Ausländerrechtsehe“) 1.1. Rechtsmissbrauchsvorbehalt im Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer Das neue Bundsgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer ist offenkundig vom Geist der Missbrauchsbekämpfung geprägt. Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a stellt alle ehelichen bzw. familiären Nachzugsrechte unter den Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs. Die Nachzugsrechte erlöschen, wenn sie rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden, namentlich um Vorschriften des Gesetzes und Ausführungsbestimmungen über Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen. Das bedeutet, dass alle Ansprüche auf Familiennachzug bei Vorliegen von Rechtsmissbrauch erlöschen. Die Regelung in Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a AuG gilt ausdrücklich für alle Tatbestände des Familiennachzugs, weshalb keine Analogien notwendig sind. Es handelt sich hierbei um eine spezialgesetzliche Regelung, wodurch sich der Rückgriff auf Art. 5 Abs. 3 BV und Art. 2 Abs. 2 ZGB erübrigt. Dennoch dienen diese Bestimmungen auch in Zukunft bei der Auslegung des ausländerrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots nach Art. 51 AuG als Orientierung114. Ebenfalls vom Rechtsmissbrauchsvorbehalt des AuG miterfasst ist die Scheinehe115. Folglich wird sie nicht mehr ausdrücklich geregelt. Was den Inhalt der Bestimmung anbelangt, sind im Wesentlichen keine Änderungen des 114 115 UEBERSAX, S. 24f. Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG. 19 Rechtsmissbrauchsverbots erfolgt116. Die Gründe, die bereits in Art. 7 und 9 ANAG117 zum Widerruf der Bewilligung oder zum Erlöschen des Rechtsanspruchs führten, sind in Art. 51 AuG prinzipiell dieselben118. Infolgedessen bleiben Praxis und Rechtsprechung zum bisherigen Recht auch weiterhin anwendbar119. Art. 51 AuG erfasst nur diejenigen Artikel, in denen ein Anspruch auf Familien- bzw. Ehegattennachzug besteht. Die Erteilung einer Bewilligung an Ehegatten von Personen mit Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung liegt gemäss Art. 44 und 45 AuG im behördlichen Ermessen (Kann-Bestimmung), das allerdings pflichtgemäss, das heisst rechtsgleich und willkürfrei, ausgeübt werden muss, sofern die Voraussetzungen des Zusammenwohnens, der bedarfsgerechten Wohnung und das Nichtangewiesensein auf Sozialhilfe erfüllt sind120. Insofern fallen diese Bestimmungen nicht unter den Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs. Eine durchaus erhebliche Einschränkung in seinem Anwendungsbereich könnte das Rechtsmissbrauchsverbot durch Art. 50 AuG erfahren. Diese Bestimmung birgt nicht nur neue Missbrauchsmöglichkeiten121. Da Art. 50 AuG bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Anspruch vermittelt, entfällt zugleich das Interesse an der Aufrechterhaltung einer Ehe- oder Familiengemeinschaft, nur um einen Anwesenheitsanspruch geltend zu machen. Dadurch wird die Bedeutung des Rechtsmissbrauchsverbots wesentlich geschmälert. Insbesondere UEBERSAX betont, dass sich die Gerichte generell mit neuen Problemen zu befassen haben und die bis anhin geltende Rechtsmissbrauchspraxis entsprechend den neuen rechtlichen Normen abgeändert werden muss122. 116 UEBERSAX, S. 25. Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (nicht mehr in Kraft). 118 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 51 AuG. 119 UEBERSAX, S. 25. 120 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 44 AuG und Rn. 1 zu Art. 45 AuG. 121 SPESCHA zum Problem der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 50 AuG. 122 UEBERSAX, S. 25f. 117 20 1.2. Rechtswirkungen des Rechtsmissbrauchs im Ausländerrecht 1.2.1. Die Ausländerrechtsehe Die Ausländerrechtsehe, die rein ausländerrechtliche Zwecke verfolgt, bildet den typischen Anwendungsfall von Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht. Mit der Abschaffung des direkten Erwerbs des schweizerischen Bürgerrechts durch Heirat mit einem Schweizer Bürger123 wurde die Missbrauchsproblematik im Rechtsgebiet des Migrationsrechts auf das Ausländerrecht verlagert. Obgleich kein automatischer Erwerb des Schweizer Bürgerrechts erfolgt, bietet die Eheschliessung den Ausländern dennoch gewisse ausländerrechtliche Vorteile, die nachfolgend ausführlich behandelt werden. 1.2.1.1. Motive zur Schliessung und Voraussetzungen für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe Eine Ausländerrechtsehe ist eine Ehe, die nur zum Schein eingegangen124 wird, um insbesondere dem ausländischen Ehepartner125 ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu sichern bzw. seinen ausländerrechtlichen Status zu verändern und somit die positiven Aspekte des Ehegattennachzugs zu nutzen. Einziger Zweck der Ausländerrechtsehe ist es also, in den Genuss ausländerrechtlicher Vorteile zu kommen bzw. ausländerrechtliche Vorschriften zu umgehen126 und sich eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu verschaffen, ohne dass eine tatsächliche und dauernde eheliche Gemeinschaft gewollt ist127. Deshalb wird in der Botschaft neben dem Begriff der „Scheinehe“ auch der Begriff der „Umgehungsehe“128 verwendet. Die Ausländerrechtsehe wird, als Unterfall einer missbräuchlichen Ehe des öffentlichen Rechts bzw. Migrationsrechts, vom Tatbestand des Art. 51 AuG erfasst und demzufolge als rechtsmissbräuchlich qualifiziert129. 123 Ausführlich dazu Kapitel IV.3. Ausführlich zum Begriff der Scheinehe Kapitel III.3.1. 125 Nicht selten sind hier u.a. erfolglose Asylbewerber, denen das Asyl durch einen Nichteintretensentscheid oder eine Gesuchsabweisung verweigert wurde und denen eine Wegweisung droht, beteiligt. DIEKMANN, S. 174. 126 Botschaft, S. 3795. 127 KOTTUSCH, S. 426, 432 und 444. 128 Botschaft, S. 3795. 129 Ausführlich dazu Kapitel IV.1.1. 124 21 Einerseits kann der Rechtsmissbrauch bereits durch den Eheschluss an sich vorliegen, andererseits kann er aber auch erst durch die Berufung auf die Ehe entstehen130. 1.2.1.1.1. Der Rechtsmissbrauch durch Eheschluss Wenn bereits der Eheschluss nur aus ausländerrechtlichen Motiven erfolgt, dann liegt ein vom Gesetz erfasster Rechtsmissbrauchsfall vor. Die rechtsmissbräuchliche Eheschliessung ist dadurch definiert, dass die Ehe zwar formell-rechtlich Bestand hat, aber von Beginn an der Ehewille fehlt und auch keine wirklich gelebte eheliche Gemeinschaft besteht131. Sofern eine tatsächliche eheliche Gemeinschaft gewollt ist, macht ein ausländerrechtliches Heiratsmotiv die Ehe nicht zu einer (missbräuchlichen) Scheinehe132. GEISER/BUSSLINGER verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff der Realbeziehung133. Unter einer Lebensgemeinschaft versteht man grundsätzlich „eine umfassende Gemeinschaft, das heisst eine sittlich-affektive und geschlechtliche Verbindung und andererseits eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft“134. Die einzelnen Elemente haben unterschiedliche Bedeutung. Deshalb kann es durchaus vorkommen, dass nicht alle genannten Elemente in einer Ehe vorliegen135. Wie bereits zum Begriff der Ehe festgehalten, sind die Ehepartner generell frei bei der Ausgestaltung ihrer Beziehung136. Deshalb kann eine Gemeinschaft mehr oder weniger weit umfassend sein137. Angesichts verschiedener Konstellationen, muss bei der zum Schein eingegangenen Ehe eine Differenzierung erfolgen. Um den Rechtsmissbrauch durch Eheschluss in den nachfolgenden zwei Kapiteln umfassend darstellen zu können, bleibt ein kurzer Rückblick auf die migrationsrechtlichen Wirkungen einer Ehe unausweichlich. 130 Vgl. Botschaft, S. 3795. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG. 132 Vgl. UEBERSAX, S. 15. 133 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.35; vgl. zum Begriff der Realbeziehung auch Kapitel II.2.3. 134 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40. 135 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40. 136 Vgl. Kapitel II.1. 137 Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.40. 131 22 1.2.1.1.1.1. Die binationale Ausländerrechtsehe Art. 42 AuG verleiht dem ausländischen Ehegatten einer Schweizerin oder eines Schweizers den Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn dieser mit dem schweizerischen Ehegatten zusammenwohnt138 139. Nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren haben die Ehegatten Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung140. Kein Anspruch besteht allerdings bei rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung nach Art. 51 Abs. 1 lit. a, namentlich um die gesetzlichen Vorschriften und deren Ausführungsbestimmungen über die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen. Beabsichtigt zumindest ein Ehegatte bereits im Voraus keine echte Lebensgemeinschaft141, sondern nur in den Besitz einer Aufenthaltsbewilligung zu gelangen, liegt also eine Ehe bloss zum Schein vor. Diese wird vom Rechtsmissbrauchsvorbehalt des Art. 51 AuG miterfasst142. Erforderlich ist also, dass der Ehe bereits im Zeitpunkt des Eheschlusses kein Ehewille zugrunde liegt. Andere Motive sind irrelevant143. In der Praxis braucht es für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Ehe klare Indizien144. 1.2.1.1.1.2. Einen Die Ausländerrechtsehe unter Ausländern analogen Anspruch Niederlassungsbewilligung zu enthält Art. Art. 42 43 AuG AuG auf für AufenthaltsEhegatten bzw. von Niedergelassenen. Auch für sie entfällt der Anspruch analog zu Art. 42 AuG, wenn kein Wille zur Führung einer echten ehelichen Gemeinschaft vorliegt. Nutzt man also den Eheschluss einzig, um an eine Aufenthaltsbewilligung zu 138 Zum Erfordernis des Zusammenlebens: Nachgezogene Ehegatten müssen mit ihrem Ehegatten zusammenwohnen (Art. 42-45). Seit dem 1. Januar 2008 gilt dies nach Art. 42 Abs. 1 AuG auch für Ehegatten von Schweizern, es sei denn, der nachgezogene Ehegatte ist im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde (Art. 42 Abs. 2). Gemäss Art. 49 AuG besteht das Erfordernis des Zusammenlebens nur dann nicht, wenn für die getrennten Wohnorte wichtige Gründe geltend gemacht werden und die Familiengemeinschaft weiter besteht. 139 Art. 42 Abs. 1 AuG. 140 Art. 42 Abs. 3 AuG. 141 Zur Problematik der einseitigen Scheinehe Kapitel IV.5. 142 Zum Rechtsmissbrauchsvorbehalt im AuG Kapitel IV.1.1.; vgl. auch SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG; vgl. Ausführungen zum alten Recht bei UEBERSAX, S. 9. 143 Vgl. GÖKSU, S. 18. 144 Ausführlich dazu Kapitel IV.1.2.1.2. 23 gelangen, so liegt eine Ausländerrechtsehe vor und das Verhalten an sich gilt als rechtmissbräuchlich. Genauso wie bei der Ausländerrechtsehe mit Beteiligung einer Schweizerin oder eines Schweizers, verlangt auch die Ausländerrechtsehe unter Ausländern offensichtliche Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. 1.2.1.1.2. Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine Ehe Neben der rechtsmissbräuchlichen Ehe durch Eheschluss besteht eine weitere Konstellation der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Ausländerrecht. Auch wenn ursprünglich keine Scheinehe geschlossen wurde, kann es vorkommen, dass das Festhalten an einer Ehe dem Rechtsmissbrauchsverbot gemäss Art. 51 AuG widerspricht und daher rechtsmissbräuchlich ist145. Dieser Fall tritt – in Übereinstimmung mit der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung – dann ein, wenn sich die ausländische Person im Verfahren um Erteilung einer fremdenpolizeilichen Anwesenheitsberechtigung auf eine Ehe beruft, die nur noch formell und ohne Aussicht auf Aufnahme bzw. Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft besteht146. Rechtsmissbräuchlich ist also auch die Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe, die „mit dem einzigen Ziel aufrechterhalten wird, die Aufenthaltsbewilligung zu erhalten oder nicht zu verlieren“147. Ursprünglich kann tatsächlich eine echte Ehe bestanden haben, welche aber inzwischen gescheitert ist. Damit der Rechtsmissbrauch bejaht werden kann, muss in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung erfolgen148. Rechtsmissbrauch darf daher nicht leichthin, allein schon, weil die Ehegatten nicht mehr zusammenwohnen oder ein Eheschutz- oder Scheidungsverfahren eingeleitet haben, angenommen werden149. Auch hier bedarf es offensichtlicher Hinweise. Für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Berufung auf die Ehe genügt das definitive Scheitern der Ehe150. Stellt sich also im Laufe der Ehejahre heraus, dass die Ehe definitiv gescheitert ist, wäre ein weiteres Berufen darauf aus migrationsrechtlicher Sicht rechtsmissbräuchlich151. Laut 145 Vgl. UEBERSAX, S. 11f. BGE 128 II 145, E. 2.2. 147 Botschaft, S. 3795. 148 Botschaft, S. 3795; vgl. auch BGE 128 II 145, E. 2.2. 149 BGE 128 II 145, E. 2.2. 150 BGE 130 II 113, E. 4.2. 151 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56. 146 24 UEBERSAX hat das Bundesgericht das Rechtsmissbrauchskriterium „objektiviert“, indem die Sicht des ausländischen Ehepartners bezüglich des definitiven Scheiterns der Ehe keine Rolle mehr spielt, sofern die Ehe objektiv als definitiv gescheitert anzusehen ist und mit einer Wiederaufnahme objektiv nicht mehr zu rechnen ist152. In einer Ehe beispielsweise zwischen einem Schweizer und einer Ausländerin spielt heute – im Gegensatz zu früher – die Haltung des ausländischen Ehegatten keine Rolle mehr. Ob sich die ausländische Ehefrau gegen eine Scheidung wehrt und sich um den Weiterbestand der Ehe bemüht ist nicht von Bedeutung153. Allein objektive Umstände genügen für die Annahme einer definitiv gescheiterten Ehe. Auch wenn zivilrechtlich nicht rechtsmissbräuchliche Rechte im Scheidungsverfahren geltend gemacht werden, kann der gleiche Bewilligungsverfahren Sachverhalt dennoch im ausländerrechtlichen rechtsmissbräuchlich sein154. Dementsprechend ist ausländerrechtlich eigentlich irrelevant, ob zivilrechtlich eine Scheinehe besteht oder nicht. Durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird der Anwendungsbereich des Rechtsmissbrauchsverbots enorm ausgeweitet, obwohl – wie oben erwähnt – auch hier Rechtsmissbrauch nicht ohne das Vorliegen klarer Indizien angenommen werden darf155. 1.2.1.2. Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe Das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Ausländerrecht und somit das Fehlen einer echten Lebensgemeinschaft sowie die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe entziehen sich in der Regel dem direkten Beweis156 und können deshalb meist nur durch Indizien nachgewiesen werden. Dem Bundesgericht zufolge bedarf es klarer Hinweise, die auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten schliessen lassen157. In der Regel 152 UEBERSAX, S. 11f. UEBERSAX, S. 11f. 154 BGE 128 II 145, E. 2.2. Grundsätzlich bedeutet dies, dass im Zivil- und Ausländerrecht, jeweils unterschiedliche Rechtsmissbrauchspraxen gelten, was aufgrund des Widerspruchs zum Gebot der Widerspruchsfreiheit und Einheit der Rechtsordnung nicht unproblematisch ist. Ausführliche Diskussion und kritische Anmerkung zur uneinheitlichen Verwendung des Rechtsmissbrauchsbegriffs bei SPESCHA, Migrationsabwehr, S. 69ff. 155 Vgl. UEBERSAX, S. 12. 156 Aus juristischer Sicht stellt der Wille einer Person eine innere Tatsache dar, die nicht direkt und objektiv nachweisbar ist. NYFFENEGGER, S. 142. 157 BGE vom 31. August 2006, 2A.245/2006, E. 2.2 und 2.3. 153 25 genügt dabei das Vorhandensein eines einzigen Anhaltspunktes nicht. Richtigerweise wird regelmässig eine Kombination verschiedener Indizien, sowie das Fehlen von Hinweisen für eine wirklich gelebte Beziehung verlangt158. Namhafte Anhaltspunkte159 für eine rechtsmissbräuchliche Ehe im Ausländerrecht lassen sich laut Bundesgericht in einer dem Ausländer drohenden Wegweisung erblicken, etwa weil er ohne Heirat keine Aufenthaltsbewilligung erhalten hätte oder sie ihm nicht verlängert worden wäre. Des Weiteren sprechen sodann die Umstände, dass sich die Ehegatten erst kurz vor der Heirat kennen gelernt haben und sie nichts oder kaum etwas voneinander wissen für das Vorliegen einer Scheinehe, sowie insbesondere die Tatsache, dass die Ehegatten gar nie eine Wohngemeinschaft aufgenommen haben. Das Gleiche gilt, wenn für die Heirat eine Bezahlung vereinbart wurde. Ebenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Ausländerrecht kann der beträchtliche Altersunterschied zwischen den Ehegatten sein und die Tatsache, dass schon bei der Heirat der eine Partner ein festes Verhältnis mit einer Drittperson hatte. Auch wenn die Ehegatten während einer gewissen Zeit zusammenlebten und intime Beziehungen unterhielten, kann dennoch eine Scheinehe nicht automatisch ausgeschlossen werden, denn ein solches Verhalten kann auch nur vorgespielt sein160. Und selbst wenn ein Zusammenleben nur vorgespielt sein kann darf andererseits, auch bei Vorliegen mehrerer Indizien, nicht leichthin auf Rechtsmissbrauch geschlossen werden, denn eine Ausländerrechtsehe liegt nicht schon allein deshalb vor, weil die Ehe geschlossen wurde, um dem ausländischen Partner eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu verschaffen161. Auf die ausländerrechtlichen Motive kommt es nicht an, sofern der Ehewille, eine eheliche Gemeinschaft zu führen, vorhanden ist162. 158 Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG. Vgl. etwa BGE 128 II 145, E. 3.1; BGE 122 II 289, E. 2b. 160 BGE 122 II 289, E. 2b, mit Hinweisen. 161 Diskussion zum Problem des Erkennens einer Scheinehe in der Praxis und diesbezügliche Kritik in Kapitel IV.4. 162 Vgl. UEBERSAX, S. 10; SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG; NYFFENEGGER, S. 142. 159 26 1.2.2. Die Scheinehe im Freizügigkeitsabkommen Selbstverständlich betrifft die Scheineheproblematik nicht nur binationale Ehen zwischen Schweizern und Ausländern oder Ehen zwischen Anwesenheitsberechtigten und Ausländern. Scheinehen können auch mit Beteiligung einer EU-Bürgerin bzw. eines EU-Bürgers geschlossen werden, weshalb es sinnvoll scheint, den Rechtsmissbrauch auch im Rahmen des Staatsvertragsrechts zu thematisieren. In Art. 3 Anhang I FZA wird der Ehegatten- bzw. Familiennachzug durch EUBürgerinnen und -Bürger geregelt, vorausgesetzt der Ehegatte bzw. die Familienangehörigen werden aus einem EU-Land nachgezogen163. Insbesondere Abs. 1 und Abs. 2 lit. a dieser Bestimmung vermittelt den vom Freizügigkeitsabkommen erfassten Personen das Recht, unter den bestimmten Voraussetzungen des Freizügigkeitsabkommens und dessen Rechtsfolgen, ihren Ehegatten nachzuziehen. Damit besteht für den nachzuziehenden Ehegatten ein Anspruch auf Anwesenheitsberechtigung. Die diesbezügliche Praxis des Bundesgerichts164 bei der Auslegung des Art. 3 Anhang I FZA wird vor allem von EPINEY/CIVITELLA kritisiert. Die fehlende Dogmatik in der Übernahme der EuGH-Rechtsprechung führe zu Rechtsunsicherheit165. Auch im Hinblick auf das neuere Urteil Metock166, in dem der EuGH seine Praxis zu Akrich aufgibt167, bleibt unklar, ob auch das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung168 ändern wird169. 163 Im BGE 130 II 1(E. 3.6) entschied das BGer, dass Art. 3 Anhang I FZA nur dann zur Anwendung komme, wenn sich der nachzuziehende Ehegatte, welcher Drittstaatsangehöriger sei, bereits rechtmässig in einem EU-Mitgliedstaat aufhalte, d.h. legal dort lebt. Dabei stützte sich das BGer auf das EuGH-Urteil vom 23. September 2003 in der Rechtssache C-109/01, Akrich, gemäss welchem kein gefestigtes Aufenthaltsrecht in einem Vertragsstaat, sondern nur der rechtmässige Aufenthalt im Zeitpunkt der Abwanderung vorausgesetzt wird. Das Urteil Akrich wurde in einem weiteren Urteil des EuGH (Urteil vom 9. Januar 2007, Rechtssache C-1/05, Jia) bezüglich des Kriteriums des rechtmässigen Aufenthalts relativiert. Sodann genügte dem EuGH zufolge die rechtmässige Einreise. Allerdings übernahm das Bundesgericht die relativierte Rechtsprechung des EuGH nicht, mit den Argumenten, dass die Bedeutung von Jia nicht klar sei und es sich dabei um neue, nicht bindende Rechtsprechung handle. Des Weiteren argumentierte das BGer, dass die Übernahme der Jia-Rechtsprechung zu einer Diskriminierung der Schweizerinnen und Schweizer führen würde (wegen Art. 42 Abs. 2 AuG). Detaillierte Ausführungen dazu bei SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4f. zu Art. 3 Anhang I FZA; ACHERMANN/CARONI, Rn. 6.52f.; MEYER, S. 141ff.; EPINEY/CIVITELLA, S. 233ff.; SPESCHA, in: FamPra.ch 2008, S. 846ff. 164 Vgl. Fn. 159. 165 EPINEY/CIVITELLA, S. 236f. 166 Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, Rechtssache C-127/08. 167 Das bedeutet, dass der rechtmässige Aufenthalt des nachzuziehenden Ehegatten (Drittstaatsangehöriger) eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat, laut EuGH für 27 Obwohl der Gesetzgeber das Rechtsmissbrauchsverbot im Freizügigkeitsabkommen nirgends explizit erwähnt, hat das Bundesgericht in BGE 130 II 113170 mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung diesbezüglich entschieden, dass das Rechtsmissbrauchsverbot auch bei der Anwendung des Freizügigkeitsabkommens Geltung erlangt bzw. auch EU-Staatsangehörigen bei Schliessung einer Scheinehe jeglicher rechtlicher Schutz versagt wird. Rechtsmissbräuchlich ist die Berufung auf eine Ehe dem Bundesgericht zufolge also dann, wenn sie nur noch formell Bestand hat und eine Trennung von gewisser Dauer vorliegt, sodass eine Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft aussichtslos erscheint171 172 . Demzufolge bestehen die familiären Nachzugs- bzw. Anwesenheitsrechte im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens analog denjenigen des AuG nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden, also keine Scheinehe vorliegt173. Für das Freizügigkeitsabkommen sind die zur Ausländerrechtsehe ausgeführten Grundsätze gemäss Art. 51 AuG im gleichen Sinne anwendbar174. 1.2.3. Die Scheinehe unter dem Gesichtspunkt verfassungs- und menschenrechtlicher Ansprüche Das Thema der rechtsmissbräuchlichen Ehe ist so weitreichend, dass auch Bestimmungen der Bundesverfassung und der Menschenrechtskonvention diskutiert werden müssen. Relevant sind hauptsächlich Art. 13 BV und Art. 8 die Einreise nicht mehr durch die Mitgliedstaaten vorausgesetzt werden darf. Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, Rechtssache C-127/08, Ziff. 80; vgl. auch ACHERMANN/CARONI, Rn. 6.54. 168 Vgl. Fn. 159. 169 ACHERMANN/CARONI, Rn. 6.54. 170 E. 9 und 10; bestätigt im BGE vom 3. Juni 2004, 2A.557/2002, E. 5. 171 Vgl. u.a. BGE vom 5. Mai 2006, 2A.89/2006; BGE vom 14. September 2005, 2A.131/2005; BGE vom 23. März 2007, 2A.725/2006. 172 Kritisch EPINEY/CIVITELLA, S. 237f. Sie sind der Meinung, dass das BGer die Tragweite des Rechtsmissbrauchs überschätzt, weil die Eheleute „im Falle einer nicht bestehenden Wohngemeinschaft […] überzeugende Gründe für das Fehlen einer solchen“ anführen müssen, auch wenn die Ehe ursprünglich nicht das Ziel hatte eine Anwesenheitsberechtigung zu erlangen. Sie betonen, dass der EuGH nur dann von Rechtsmissbrauch spricht, „wenn über relevante Tatsachen getäuscht wird, während im Falle des Aufenthaltsrechts aufgrund einer Ehe das Vorliegen bzw. Weiterbestehen derselben grundsätzlich entscheidend sein muss“. 173 Vgl. UEBERSAX, S. 12f. 174 Zur sinngemässen Anwendung der Grundsätze des alten Rechts (Art. 7 ANAG) UEBERSAX, S. 12f. 28 EMRK (aber auch Art. 14 BV und Art. 12 EMRK), denen vor allem bei ausländerrechtlichen Nachzugsbestimmungen eine gewichtige Bedeutung zukommt, da diese je nachdem eine Trennung von Eheleuten durch Ausweisung einer Person oder Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu verhindern vermögen175. Diese verfassungs- und menschenrechtlichen Bestimmungen schützen zwar das eheliche Zusammenleben und garantieren einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens176, enthalten aber kein ausdrückliches Verbot bezüglich Scheinehen. Da jedoch Art. 8 EMRK und Art. 13 BV nur das effektive, sprich nur das intakte und tatsächlich gelebte Familien- bzw. Eheleben schützen, wird das Schliessen einer Scheinehe oder die rechtsmissbräuchlich angerufene Ehe erst gar nicht vom Schutzbereich dieser Bestimmungen erfasst177. Liegt eine Scheinehe vor, ist das Erfordernis der qualifizierten Beziehung nicht erfüllt, da keine nahe und echte Lebensgemeinschaft tatsächlich gelebt wird178. Wer also eine Scheinehe eingeht oder sich auf eine solche beruft, dem bleibt der Schutz der verfassungs- und menschenrechtlichen Garantien versagt. Daneben ist das Rechtsmissbrauchsverbot, als Teilgehalt des Grundsatzes von Treu und Glauben, explizit als allgemein geltendes Rechtsprinzip in Art. 5 Abs. 3 BV verankert179 und muss demzufolge bei der Auslegung der Bundesverfassung stets Beachtung finden. Aus den Ausführungen wird ersichtlich, dass der Einsatz des Rechtsmissbrauchsverbots prinzipiell mit den Grundsätzen der Schweizerischen Bundesverfassung sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist180. 175 Vgl. insbesondere MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff. und RHINOW/SCHEFER, Rn. 1363ff.; BREITENMOSER zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 25; BIAGGINI zu Art. 13 BV, Rn. 7; CARONI, S. 278ff.; GRABENWARTER, S. 212 und 223ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 576ff.; VILLIGER, EMRK und UNO-Menschenrechtspakte, S. 655; PETERS, S. 165ff.; SCHILLING, S. 95ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 415ff.; BGE 118 Ib 145, E. 4.1. 176 Eingehend zum Schutzbereich dieser Bestimmungen MÜLLER/SCHEFER, S. 234ff. und RHINOW/SCHEFER, Rn. 1358ff.; BREITENMOSER zu Art. 13 Abs. 1 BV, Rn. 23ff.; BIAGGINI zu Art. 13 BV, Rn. 6f.; zum Schutzbereich des Art. 8 EMRK insbesondere GRABENWARTER, S. 204ff.; VILLIGER, Handbuch der EMRK, Rn. 570f.; PETERS, S. 162f.; SCHILLING, S. 92ff.; W ILDHABER/BREITENMOSER zu Art. 8 EMRK, Rn. 338ff. 177 BGE 118 Ib 145, E. 4.2; BGE 120 Ib 16, E. 3a; vgl. auch MÜLLER/SCHEFER, S. 241ff. 178 VILLIGER, Ausländerrecht und EMRK, S. 74. 179 Detaillierte Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbot in Kapitel III.1. 180 Vgl. auch UEBERSAX, S. 13. 29 1.2.4. Fälle aus der Praxis Urteil des Bundesgerichts 2C-435/2007 vom 10. März 2008, in: FamPra.ch 2008, S. 584ff. Sachverhalt: Das Ausländeramt des Kantons Schaffhausen lehnte das Gesuch der aus Mazedonien stammenden X, die über eine Niederlassungsbewilligung verfügte, um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an deren Ehemann Y ab. Dieser stammte ebenfalls aus Mazedonien und verfügte bereits ein Jahr vor der Heirat mit X über eine Aufenthaltsbewilligung, welche jedoch widerrufen worden war. Auch der Rekurs an den Regierungsrat sowie die Beschwerde an das kantonale Obergericht blieben erfolglos. Die kantonalen Behörden und das kantonale Obergericht waren zum übereinstimmenden Ergebnis gelangt, dass die Ehe nicht in erster Linie eingegangen worden sei, um eine Lebensgemeinschaft zu begründen, sondern um dem Ehemann in der Schweiz ein Anwesenheitsrecht zu verschaffen, was eine Umgehung der ausländerrechtlichen Vorschriften darstelle. X. erhob daraufhin Beschwerde beim BGer. Die Beschwerde wurde gutgeheissen. Schlussfolgerungen und Bemerkungen: Auf den ersten Blick scheinen die Entscheidungen der kantonalen Behörde und des kantonalen Gerichts nachvollziehbar und durchaus richtig. Sie gingen davon aus, dass der Ehemann seine Frau (Beschwerdeführerin) nur geehelicht hatte, um ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu erhalten und folglich eine Ausländerrechtsehe vorlag. Zu diesem Schluss kamen sie, weil die Aufenthaltsbewilligung des Ehemannes ein Jahr zuvor widerrufen wurde. Weitere Hinweise für eine Scheinehe stellten die Umstände des Kennenlernens bzw. die kurze Dauer der Bekanntschaft, die kurze Zeit zwischen Scheidung und Wiederverheiratung, die mangelnden Kontakte sowie die mangelnden Kenntnisse des Lebenslaufes des Partners dar. Der Ehegatte hatte seine jetzige Frau (Beschwerdeführerin) in Mazedonien kennen gelernt und sich mit ihr verlobt, bevor er von seiner Ex-Frau geschieden war. Geheiratet hat er sie dann zwanzig Tage nach der Scheidung von seiner Ex-Frau, nachdem er sie nur einmal für einige Tage in Mazedonien gesehen hatte. Das BGer allerdings betrachtete den Sachverhalt etwas umfassender und erwog, dass eine Scheinehe nicht bereits dann vorliege, wenn 30 ausländerrechtliche Motive für den Eheschluss mitentscheidend waren. Zusätzlich sei der Wille zur Führung einer gemeinsamen Lebensgemeinschaft erforderlich. Dieser könne bei der gegebenen Sachlage, bei der eine lebendige Beziehung bzw. deren Tragfähigkeit noch nicht unter Beweis gestellt werden konnte und das Zusammenleben der Ehegatten noch gar nicht möglich war, nicht von Vornherein ausgeschlossen werden. In seinen Erwägungen verlangte das BGer, dass die jeweiligen Indizien immer im Zusammenhang mit dem kulturellen Hintergrund der Ehegatten beurteilt werden. Ein Anwesenheitsrecht müsse erteilt werden, wenn es den Ehegatten bis anhin unmöglich war, zusammen zu leben und eine Lebensgemeinschaft zu führen mit dem Risiko, dass sich doch eine Scheinehe herausstellt und die Bewilligung widerrufen werden muss. Meines Erachtens hat das BGer in diesem Entscheid durchaus korrekt entschieden und auf die Umstände des Einzelfalles verwiesen. Würde eine Bewilligung verweigert, bevor ein Zusammenwohnen überhaupt erfolgen und der Gegenbeweis einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft durch die Ehegatten erbracht werden konnte, so würde dies möglicherweise eine Grundrechtsverletzung darstellen181. Es muss in Kauf genommen werden, dass sich eine Ehe aufgrund nachträglicher Verhaltensweisen der Ehepartner als rechtsmissbräuchlich heraus stellt. Deutlich wird ebenfalls, dass die vom BGer entwickelten Kriterien nur Indizien sind, die keinen definitiven Schluss über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Ausländerrechtsehe zulassen, solange noch die Möglichkeit besteht, dass der tatsächliche Ehewille vorliegt. Aus dem Urteil geht hervor, dass eine Ehe im Hinblick auf den Ehewillen zwar auf den ersten Blick durchaus verdächtig wirken, aber bei Betrachtung des gesamten Kontextes schliesslich doch nachvollziehbar sein kann. Urteil des Bundesgerichts 2A.308/2003 vom 9. Mai 2003, in: FamPra.ch 2003, S. 868ff. Sachverhalt: Der jugoslawische Staatsangehörige X. heiratete am 25. März 1984 in seiner Heimat eine Landsfrau, mit welcher er zwei Kinder hatte. Die Ehe wurde schliesslich 1991 geschieden. Eine Woche später heiratete X. die Mutter seiner 181 Ausführliche Diskussion zu dieser Problematik in Kapitel IV.4. 31 vormaligen Ehefrau (seine Schwiegermutter), welche in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung hatte. In der Folge reiste er in die Schweiz ein und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung. Diese Ehe wurde abermals im Oktober 1996 geschieden. Daraufhin ehelichte X. 1998 erneut seine erste Ehefrau und stellte ein Gesuch um Familiennachzug. Das Gesuch um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wurde abgelehnt und auf das Familiennachzugsgesuch wurde nicht eingetreten. Schlussfolgerungen und Bemerkungen: Das BGer geht in diesem bizarren Fall von Rechtsmissbrauch aus. X. sei die Ehe mit seiner früheren und auch wieder späteren Schwiegermutter nur eingegangen, um die fremdenpolizeilichen Vorschriften zu umgehen und eine Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz zu erlangen. Auch wenn die Ehe ursprünglich nicht allein aus ausländerrechtlichen Gründen geschlossen wurde, sei dennoch die Berufung auf diese unter den gegebenen Umständen rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass die Ehe genau fünf Jahre aufrechterhalten wurde, um die rechtliche Stellung des Beschwerdeführers zu verbessern, indem er Niederlassungsbewilligung Familiennachzug erhielt nach dieser Zeit kam182 (und dadurch in den einen Besitz Anspruch der auf 183 ) und die ausserordentliche Tatsache, dass die eigene Schwiegermutter und dann wieder die frühere Ehefrau geehelicht wurde, dränge den Schluss auf, der Beschwerdeführer sei mit seiner zweiten Ehefrau eine Scheinehe eingegangen. Ähnlich verstrickt wie der eingangs erläuterte Fall der Schweizerin, welche vier Kosovoalbaner ehelichte, ist auch dieser Fall. Die Indizienlage ist vorliegend derart ausserordentlich, offensichtlich und die dass das Annahme Vorliegen einer von Rechtsmissbrauch Ausländerrechtsehe durchaus gerechtfertigt ist. Leider bestehen neben solch eindeutigen Fällen von Rechtsmissbrauch auch zahlreiche Sachverhalte, die alles andere als offensichtlich sind und deshalb den Beteiligten nicht selten Unrecht getan wird184. 182 Früher: Art. 17 Abs. 2 ANAG, heute: Art. 43 Abs. 2 AuG. Früher: Art. 17 Abs. 1 ANAG, heute: Art. 43 Abs. 1 AuG. 184 Vgl. zur Problematik des Erkennens einer Scheinehe Kapitel IV.4. 183 32 2. Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Asylrecht 2.1. Motive zur Eingehung und Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Asylrecht Nicht nur im Ausländerrecht werden Scheinehen geschlossen. Auch im Asylrecht besteht die Gefahr des Rechtmissbrauchs. Bevor auf die einzelnen Konstellationen der asylrechtlichen Scheinehe eingegangen wird, muss vorab kurz erläutert werden, welche Wirkungen das Asyl nach sich zieht. Nach Art. 2 Abs. 2 AsylG umfasst das Asyl den Schutz und die Rechtsstellung, die Personen aufgrund ihrer Flüchtlingseigenschaft gewährt werden, einschliesslich des Rechts auf Anwesenheit in der Schweiz. Unmittelbar mit dem Asyl verbunden ist also ein Anwesenheitsrecht, welches durch die Möglichkeit der Familienzusammenführung bzw. des Familienasyls insbesondere für die Kernfamilie185 an Attraktivität gewinnt. Das Familienasyl hat den Vorteil, dass dem nicht asylgesuchsstellenden Ehegatten, der die Flüchtlingseigenschaft gerade nicht erfüllt (ansonsten könnte er ja das individuelle Asyl beantragen), die Möglichkeit eröffnet wird, in die Flüchtlingseigenschaft und ins Asyl des asylgesuchsstellenden Ehegatten einbezogen zu werden186. Die nahen Angehörigen eines anerkannten Flüchtlings (Person, die Asyl erhält) werden demnach ins Familienasyl einbezogen, sofern sie sich bereits in der Schweiz befinden. Einreisen allerdings dürfen sie nur, wenn die Familie durch die Flucht getrennt wurde187, was jedoch im Grunde genommen keine Rolle spielt, da Personen, die Asyl erhalten, einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung188 und damit auf Familiennachzug nach Art. 8 EMRK und Art. 13 BV haben189. Der sich im Ausland befindende Ehegatte hat daher selbst dann, wenn die Familie nicht durch die Flucht getrennt wurde, einen Anspruch auf Bewilligung bzw. Anwesenheit und mithin Einreise; er steht aber insofern nicht unter dem Schutz des Asylrechts. Diese Fallkonstellation wird vom Ausländerrecht erfasst. Das 185 Zur Kernfamilie gehören insbesondere Ehegatten, eingetragene Partner und Partnerinnen, minderjährige Kinder. Daneben werden ebenfalls weitere Angehörige, sofern besondere Gründe vorliegen, und in der Schweiz geborene Kinder ins Familienasyl miteinbezogen. Vgl. dazu Art. 51 Abs. 1-3 AsylG. 186 Art. 51 AsylG und Art. 37 der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999, SR 142.311 i.V.m. Art. 3 AsylG. 187 Art. 51 Abs. 4 AsylG. 188 Art. 60 Abs. 1 AsylG. 189 Vgl. diesbezüglich die „Reneja-Praxis“ des Bundesgerichts im BGE 109 Ib 183. 33 bedeutet, dass eine Ehe zwischen einem anerkannten Flüchtling und einer sich im Ausland befindenden Person, die mit dem einzigen Ziel geschlossen wird, dem sich im Ausland befindenden Ehegatten eine Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen, als rechtsmissbräuchliche Ehe des Ausländerrechts zu qualifizieren ist. Wird diesbezüglich eine Scheinehe festgestellt, entfällt auch der Schutz des Art. 8 EMRK und Art. 13 BV, da diese Bestimmungen nur eine qualifizierte, sprich echte und tatsächlich gelebte Lebensgemeinschaft 190 schützen . Nach dem bisher Festgehaltenen kann festgestellt werden, dass der Status des anerkannten Flüchtlings ein bevorzugter ist191, da mit ihm zahlreiche Rechte und Vorteile gemäss Art. 58 ff. AsylG verbunden werden und demzufolge auch hier der Rechtsmissbrauch Einzug gefunden hat. Die rechtsmissbräuchliche Ehe zwischen einer Person, die als Flüchtling anerkannt wurde und damit über ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz verfügt und einer Person, die über kein solches Recht verfügt, nichtaufenthaltsberechtigten wird zum Ehegatten Zwecke entweder geschlossen, durch dem Einbezug ins Familienasyl – bei Aufenthalt des nichtanwesenheitsberechtigten Ehegatten in der Schweiz – oder durch den Familiennachzug – bei Aufenthalt des nichtanwesenheitsberechtigten Ehegatten im Ausland – das Asyl bzw. die Einreise und damit folglich eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz zu verschaffen. Des Weiteren besteht im Asylrecht bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen (vorläufige Aufnahme erfolgloser Asylbewerber mit Flüchtlingseigenschaft), die Möglichkeit der Familienzusammenführung nach drei Jahren192, sofern die im betreffenden Artikel genannten Voraussetzungen vorliegen. Diese Möglichkeit kann Anlass zu rechtsmissbräuchlichem Handeln geben. Und zwar aufgrund der Tatsache, dass die Gutheissung des Familiennachzugs den Einbezug des nachgezogenen Ehegatten in die vorläufige Aufnahme und in die Flüchtlingsanerkennung des Gesuchsstellers (so genannter derivativer Erwerb der Flüchtlingseigenschaft193) zur Folge hat194. Das heisst, dass der nachgezogene Ehegatte genauso wie der bereits vorläufig aufgenommene 190 Siehe dazu die Ausführungen zu Kapitel IV.1.2.3. STÖCKLI, Rn. 11.46. 192 Art. 85 Abs. 7 AuG. 193 Vgl. Art. 74 Abs. 5 VZAE i.V.m. Art. 37 AsylV 1. 194 BOLZLI, Rn. 17 zu Art. 85 Abs. 7 AuG. 191 34 Flüchtling ebenfalls vorläufig aufgenommen wird und die Flüchtlingseigenschaft seines Ehegatten erhält. Neben den oben genannten Fällen, in denen eine asylrechtliche Scheinehe vorliegen kann, muss meines Erachtens eine dritte Fallkonstellation diskutiert werden. Fraglich ist, ob eine Ehe mit einem Asylbewerber bzw. Asylsuchenden ebenfalls rechtsmissbräuchlich geschlossen werden kann. Damit Rechtsmissbrauch vorliegen kann, muss ein Recht auf Familienasyl oder Familiennachzug bestehen, welches missbraucht werden kann. Da der Asylbewerber nur eine Aufenthaltsberechtigung bis zum Abschluss der Asylverfahrens195 hat und es diesbezüglich keine gesetzliche Grundlage für eine Familienzusammenführung gibt, welche die Möglichkeit des Familienasyls eröffnen würde196, ist insofern bei der Ehe mit einem Asylsuchenden keine Missbrauchsgefahr angezeigt. Zusammenfassend ausgedrückt handelt es sich bei der im Asylrecht geschlossenen rechtsmissbräuchlichen Ehe um eine zum Schein geschlossene Ehe, insbesondere zur Erlangung des Asyls und des damit unmittelbar verbundenen Anspruchs auf eine Aufenthaltsbewilligung oder der Erlangung der vorläufigen Aufnahme, die eine Anwesenheitsberechtigung nach sich zieht. Ihr Zweck beschränkt sich folglich auf den Genuss asylrechtlicher Vorteile und die Umgehung asylrechtlicher Vorschriften. Verfolgt wird einzig der Einbezug in die Flüchtlingseigenschaft des Ehepartners, um so an eine Aufenthaltsbewilligung oder zumindest an einen „F-Ausweis“ (bei vorläufiger Aufnahme) zu gelangen. Rechtsmissbräuchliches Handeln wird diesbezüglich erst relevant, wenn der nicht gesuchstellende Ehepartner die Flüchtlingseigenschaft in eigener Person nicht erfüllt, denn erst dann wird er von seinem bereits als Flüchtling anerkannten oder vorläufig aufgenommenen Ehepartner profitieren können. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass eine Scheinehe nur vorliegt, sofern die Ehe einzig mit dem Zweck geschlossen wird, asylrechtliche Bestimmungen zu umgehen. Analog zur Ausländerrechtsehe kann auch bei der rechtsmissbräuchlichen Ehe im Asylrecht Rechtsmissbrauch bereits bei der Eheschliessung vorliegen – wenn der Wille zur Führung einer echten Lebensgemeinschaft fehlt – oder aber 195 196 Art. 42 AsylG. Ein Familienzusammenschluss erfolgt nur, wenn die Familie bzw. die Ehegatten durch die Flucht getrennt wurden. 35 erst durch die Berufung auf die Ehe – nämlich beim Festhalten an einer Ehe die nur noch formell-rechtlich Bestand hat – entstehen. Diesbezüglich verweise ich auf die Ausführungen zur Ausländerrechtsehe197. 2.2. Die Notwendigkeit offensichtlicher Hinweise für das Vorliegen einer Scheinehe im Asylrecht Entsprechend den Ausführungen zur Ausländerrechtsehe verlangt auch das Asylrecht offensichtliche Indizien für eine Scheinehe. Die Ausführungen zu den Kriterien einer Ausländerrechtsehe erlangen analog auch im Asylrecht Geltung. Deshalb kann auch hier auf die Ausländerrechtsehe verwiesen werden198. 2.3. Fälle aus der Praxis Gerade im Asylrecht, einem so weit gefassten und eigentlich sehr aktuellen Rechtsbereich, lassen sich keine praktischen Fälle zum vorliegenden Thema finden199. Den Scheinehen wird konkret in diesem Bereich weitaus weniger oder geradezu keine Bedeutung beigemessen. Dennoch darf dadurch keinesfalls der Schluss gezogen werden, es lägen gegenwärtig keine asylrechtlichen Scheinehen vor. Je weniger Bedeutung ihnen beigemessen wird, desto eher kann die Gefahr bestehen, dass solche Ehen eingegangen werden. Andererseits kann man zum Schluss kommen, dass ausländer- und bürgerrechtliche Scheinehen weitaus rentabler sind als rechtsmissbräuchliche Ehen im Asylrecht, was zur Folge hat, dass asylrechtliche Scheinehen weniger häufig geschlossen werden und somit auch weniger häufig aufgedeckt werden. Die gegenwärtige Situation kann allerdings zur Folge haben, dass künftig vermehrt versucht wird, über das Asylrecht an ein Anwesenheitsrecht zu gelangen, da stets nur von der Bekämpfung der Scheinehen im Ausländer- und Einbürgerungsrecht die Rede ist. 3. Die rechtsmissbräuchliche Ehe im Einbürgerungsrecht („Bürgerrechtsehe“) Damit der Bereich des Migrationsrechts vollständig abgedeckt ist, muss schliesslich noch auf die Scheinehe im Einbürgerungsrecht eingegangen 197 Kapitel IV.1.2.1.1.1. und 1.2.1.1.2. Kapitel IV.1.2.1.2. 199 Auch dem Bundesamt für Migration sind keine entsprechenden Fälle bekannt. 198 36 werden. Obwohl seit der Abschaffung der Bürgerrechtsehe im ursprünglichen Sinn die Ausländerrechtsehe den typischen Anwendungsfall einer Scheinehe darstellt, darf dennoch der Bereich des Einbürgerungsrechts bei der Missbrauchsdiskussion nicht gänzlich untergraben werden. Auch wenn die Bürgerrechtsehe in ihrer ursprünglichen Bedeutung im Sinne des Art. 120 Ziff. 4 ZGB nicht mehr existiert, hat die Ehe mit einer Schweizerin bzw. einem Schweizer dennoch Vorzüge, welche einen Anreiz für eine Scheinehe darstellen und deshalb nach wie vor in der Praxis im Zusammenhang mit der Einbürgerung Missbräuche festzustellen sind. 3.1. Die frühere Regelung und die heutige Bedeutung des Begriffs der Bürgerrechtsehe sowie deren Motive Im Laufe der Jahre hat sich die Bedeutung des Begriffs der Bürgerrechtsehe aufgrund geänderter Gesetzesbestimmungen gewandelt und an Bedeutung verloren. Obwohl die Bürgerrechtsehe im eigentlichen Sinn nicht mehr existiert, wird in der vorliegenden Arbeit dennoch der Begriff der Bürgerrechtsehe verwendet, was eine Auseinandersetzung mit der heutigen und der ursprünglichen Bedeutung dieses Begriffs voraussetzt. Die frühere Bundesverfassung200 bestimmte in Art. 54 Abs. 4, dass die Frau durch den Abschluss der Ehe das Heimatrecht des Mannes erwirbt, was für binationale Ehen bedeutete, dass eine Ausländerin durch die Heirat mit einem Schweizer automatisch in den Genuss des Schweizer Bürgerrechts kam. Allerdings funktionierte der automatische Bürgerrechtserwerb nur, wenn ein Schweizer eine Ausländerin heiratete und nicht im umgekehrten Fall, wenn eine Schweizerin einen Ausländer ehelichte. Nicht selten gab dies Anlass zur Schliessung einer Scheinehe. Eine Scheinehe bzw. Bürgerrechtsehe lag allerdings erst vor, wenn einzig die Übertragung des Bürgerrechts und folglich die Umgehung der Einbürgerungsvorschriften zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts bezweckt wurden201. Durch die Abschaffung des direkten Erwerbs der schweizerischen Staatsangehörigkeit allein durch Eheschliessung in der Volksabstimmung vom 4. Dezember 1983 und schliesslich der Revision des Bürgerrechtsgesetzes vom 200 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874 (nicht mehr in Kraft). 201 Ausführliche rechtsgeschichtliche Darstellung der ursprünglichen Bürgerrechtsehe bei KELLER, S. 4ff. 37 23. März 1990 (und der Aufhebung des Art. 120 Ziff. 4 ZGB202)203, hat das Institut der Ehe den Reiz als Mittel zur Erlangung des Schweizer Bürgerrechts etwas verloren204. Zwar besteht nach wie vor die Möglichkeit gemäss Art. 27 BüG das schweizerische Bürgerrecht erleichtert zu erwerben, jedoch muss sich der ausländische Ehepartner zuerst eine bestimmte Zeit in der Schweiz aufhalten oder aufgehalten haben sowie eine gewisse Zeit mit dem schweizerischen Ehegatten verheiratet sein205. Erst bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen erhält der ausländische Ehepartner also die schweizerische Staatsangehörigkeit. Insofern wurden die Vorschriften für den Erwerb der schweizerischen Staatsangehörigkeit verschärft, was auch für den Missbrauch der Ehe im Einbürgerungsrecht Konsequenzen hatte, denn nun hat der Missbrauch der Ehe zur Erlangung des Bürgerrechts nicht mehr den automatischen Bürgerrechtserwerb Rechtsmissbrauch im Bereich des zur Folge. Und Einbürgerungsrechts dennoch nicht kann gänzlich ausgeschlossen werden. Eine Bürgerrechtsehe wird einzig mit dem Ziel geschlossen, die bürgerrechtlichen Vorschriften zu umgehen und so an das schweizerische Bürgerrecht zu gelangen, ohne eine echte Lebensgemeinschaft begründen zu wollen. Nicht zuletzt können, wie in Kapitel II.2.2. bereits ausgeführt, mittels der erleichterten Einbürgerung die Bestimmungen der ordentlichen Einbürgerung umgangen und so über ein vereinfachtes Verfahren das Schweizer Bürgerrecht erlangt werden206. Die erleichtere Einbürgerung liegt in der ausschliesslichen Kompetenz des Bundes und zeichnet sich durch ein – im Vergleich zur ordentlichen Einbürgerung – deutlich rascheres Verfahren aus207. Des Weiteren profitiert der Ausländer bei der erleichterten Einbürgerung, von den Vorteilen betreffend die gelockerten Wohnsitzverhältnisse208 sowie vom unmittelbaren Erwerb der schweizerischen Staatsangehörigkeit, während das Kantons- und Gemeindebürgerrecht nur davon abgeleitet sind209. Folglich 202 Gemäss diesem Artikel hat der Eheschluss zwecks Bürgerrechtserwerbs einen Ehenichtigkeitsgrund dargestellt. 203 Aus Platzgründen kann in dieser Arbeit keine detaillierte rechtsgeschichtliche Darstellung der Bürgerrechtsehe erfolgen. 204 KELLER, S. 4ff. 205 Ausführlich dazu Kapitel IV.3.2. 206 Im ordentlichen Einbürgerungsverfahren besteht auch bei Vorliegen der verlangten Voraussetzungen kein Anspruch auf Einbürgerung. 207 BIANCHI, S. 173. 208 GÖKSU, S. 10. 209 Art. 27 Abs. 2 BüG. 38 erscheint die Eheschliessung zwischen einer Schweizer Bürgerin bzw. einem Schweizer Bürger einerseits und einer Ausländerin bzw. einem Ausländer andererseits auch bürgerrechtlich von Vorteil, da sie bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen einen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung vermittelt210. Die Schliessung einer Bürgerrechtsehe „rentiert“ durchaus. Die oben genannten Vorteile, die eine erleichterte Einbürgerung mit sich bringt, sind Anlass für den ausländischen Ehepartner, eine Bürgerrechtsehe einzugehen. Aus den vorhergehenden Ausführungen wird deutlich, dass der Unterschied zwischen dem ursprünglichen und heutigen Bürgerrechtsehebegriff insbesondere darin liegt, dass gegenwärtig zwar ein erleichterter211, aber kein automatischer Bürgerrechtserwerb allein durch Heirat erfolgt und früher mittels einer Bürgerrechtsehe zugleich ein Anwesenheitsrecht angestrebt wurde, welches heute durch die Eingehung einer Ausländerrechtsehe bezweckt wird. 3.2. Voraussetzungen der erleichterten Einbürgerung Aufgrund der praktischen Relevanz der erleichterten Einbürgerung für den ausländischen Ehegatten im Zusammenhang mit der Bürgerrechtsehe scheint es angebracht, kurz deren Voraussetzungen zu erläutern. Das Gesetz nennt in Art. 26 BüG für die erleichterte Einbürgerung die generellen Anforderungen an die Integration, die da wären: Integration in der Schweiz, Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung und keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz. Dieser Artikel gilt sowohl für in der Schweiz als auch im Ausland lebende Ehegatten bzw. Bewerber212. Zusätzlich nennt das Gesetz in Art. 27 BüG weitere Voraussetzungen für die in der Schweiz wohnhaften Ehegatten und in Art. 28 BüG weitere Voraussetzungen für die ausserhalb der Schweiz wohnhaften Ehegatten, die allerdings in Verbindung mit der Bürgerrechtsehe wahrscheinlich geringere praktische Bedeutung haben. Art. 27 BüG vermittelt dem Ausländer nach der Eheschliessung mit einem Schweizer Bürger das Recht, ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung zu stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gelebt hat, seit einem Jahr 210 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47. Es entsteht ein Anspruch auf erleichterte Einbürgerung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47. 212 Art. 26 Abs. 2 BüG. 211 39 hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt. Hingegen verlangt Art. 28 BüG, dass der Gesuchssteller seit sechs Jahren in der ehelichen Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt und mit der Schweiz eng verbunden ist. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit sind insbesondere Art. 27 lit. c und Art. 28 lit. a BüG erwähnenswert, da diese Bestimmungen eine „eheliche Gemeinschaft“ von gewisser Dauer voraussetzen, die bei der Bürgerrechtsehe gerade nicht vorliegt. In diesen Litera liegt demzufolge auch die Missbrauchsgefahr der erleichterten Einbürgerung. 3.3. Voraussetzungen für das Vorliegen einer Bürgerrechtsehe Wie bei der Ausländerrechtsehe handelt es sich auch bei der Bürgerrechtsehe um eine zum Schein geschlossene Ehe. Folglich wird vorausgesetzt, dass der Ehe bereits im Zeitpunkt der Eheschliessung kein Ehewille zugrunde liegt bzw. der gemeinsame Wille zu einer stabilen Lebensgemeinschaft fehlt und somit keine echte eheliche Gemeinschaft beabsichtigt und gelebt wird. Wobei es sich hierbei im Grunde genommen von Beginn an um eine Ausländerrechtsehe handelt mit dem Zweck, eine Anwesenheitsberechtigung zu erwerben213 214 . Demzufolge kann hier ergänzend auf die Ausführungen zur Ausländerrechtsehe verwiesen werden215. Rechtsmissbräuchlich (und im Einbürgerungsrecht von Bedeutung) ist, in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum rechtsmissbräuchlichen Festhalten an einer nur noch formell bestehenden Ehe im Rahmen des AuG216, insbesondere die Berufung auf eine Ehe, die „zunächst zwar harmonisch verlief“, bei welcher jedoch „im Zeitpunkt der Einbürgerung217 aber schon der Wille zur Scheidung bestand“218 und welche daher nur aufrecht 213 Es sei denn der ausländische Ehegatte verfüge bereits über eine Anwesenheitsberechtigung in der Schweiz und ziele nur auf den Erwerb des Schweizer Passes ab. 214 Die Ehe wird dann einige Jahre formell aufrechterhalten, um schliesslich noch die schweizerische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Somit wandelt sich die Ausländerrechtsehe – im Laufe der Zeit und aufgrund des verfolgten Zwecks – in eine Bürgerrechtsehe. Die bereits rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe wird aufrechterhalten, um an das Schweizer Bürgerrecht zu gelangen. 215 Kapitel IV.1.2.1.1.1. 216 Vgl. dazu BGE 130 II 113, E. 4.2; BGE 128 II 145, E. 2; BGE 127 II 49, E. 5a. 217 Es kann sich hierbei auch um den Zeitpunkt der Einreichung des Einbürgerungsgesuchs handeln. 218 HARTMANN/MERZ, Rn. 12.60. Die Autoren nennen diese Fallkonstellation im Zusammenhang mit den Gründen für die Nichtigerklärung einer Einbürgerung. 40 erhalten wird, um einen Anspruch auf erleichterte Einbürgerung zu haben219 und folglich unter erleichterten Bedingungen das schweizerische Bürgerrecht zu erhalten. Damit eine Bürgerrechtsehe vorliegt, muss die Berufung auf die Ehe im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und/oder während der Einbürgerungsverfügung rechtsmissbräuchlich sein. Für den Rechtsmissbrauch braucht es auch hier begründete Hinweise, die auf einen fehlenden Ehewillen schliessen lassen. Im Einbürgerungsrecht hat eigentlich nur die zweite Missbrauchskonstellation, also die Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe, Bedeutung, da beim ersten Fall von Beginn an eine Ausländerrechtsehe vorliegt und der Sachverhalt diesbezüglich unter das Ausländerrecht subsumiert wird, es sei denn, ein Ausländer verfüge bereits über ein Anwesenheitsrecht und gehe eine Ehe nur ein, um nach einigen Jahren das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten220, ohne dass ihm die Wegweisung oder Sonstiges droht. Das bedeutet allerdings, dass bereits von Anfang an der Wille zur Führung einer echten Lebensgemeinschaft fehlt und die formelle Ehe dann mindestens über drei Jahre221 lang aufrechterhalten werden müsste, damit die erleichterte Einbürgerung erwirkt werden könnte. Aufgrund dessen sind diese Fälle kaum von praktischer Relevanz. In Anbetracht des mehr oder weniger bedeutenden Vorteils, welchen der Betroffene durch den Schweizer Pass erhalten würde, birgt diese rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise ein deutlich zu hohes Risiko. Verfügt jemand über ein Anwesenheitsrecht, dann braucht er keine schweizerische Staatsbürgerschaft um in der Schweiz leben zu können. Und darum geht es ja letztlich bei der hier interessierenden rechtsmissbräuchlichen Ehe im Migrationsrecht. 219 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.34 und 14.47. Man könnte sich vorstellen, dass er mit dem Schweizer Pass beispielsweise den Anspruch auf die politischen Rechte anstrebt oder sich allenfalls beim Reisen im Ausland Vorteile verschaffen will, weil er womöglich als Schweizer keine Visa für bestimmte Staaten bräuchte. 221 Denn Art. 27 BüG setzt voraus, dass der Ausländer mindestens drei Jahre in ehelicher Gemeinschaft mit dem schweizerischen Ehegatten gelebt hat. 220 41 3.4. Fälle aus der Praxis Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-3912/2008 vom 8. Juni 2009222 Sachverhalt: Der aus Brasilien stammende Beschwerdeführer kam 1996 als Tourist in die Schweiz und heiratete 1997 eine Schweizerin. Im Mai 2003 wurde der Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert, nachdem die Ehegatten eine gemeinsame Erklärung abgegeben hatten, dass sie in einer gemeinsamen ehelichen Gemeinschaft zusammenleben und keine Trennungs- oder Scheidungsabsichten bestehen. Bereits acht Monate später wurde die Scheidung eingereicht. Im August 2004 wurde die Ehe geschieden. Die Vorinstanz erklärte die erleichterte Einbürgerung für nichtig. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom BVerwGer abgewiesen. Schlussfolgerungen und Bemerkungen: Das BVerwGer erwog, dass die Ehegatten im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht in einer intakten Ehe lebten. Hinweise für diese Annahme sahen die Richter darin, dass bereits kurze Zeit nach der Einbürgerung das Scheidungsbegehren eingereicht wurde und beide Ehepartner Polizeijournalen zufolge der Prostitution nachgingen. Bei angekündigten polizeilichen Wohnungsbesuchen konnte die Ehefrau nie angetroffen werden. Zudem wurde nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer bereits zwei Wochen nach Erlangung des Schweizer Bürgerrechts im homosexuellen Dienstleistungsmilieu tätig war. Des Weiteren lebte er seit 2005 in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. All diese Elemente führten schliesslich zur Annahme, dass im Zeitpunkt der Einbürgerung keine intakte Ehe mehr bestand, sofern diese überhaupt jemals bestanden hatte. Im vorliegenden Fall hat das BVerwGer aufgrund der offensichtlichen Indizienlage (insbesondere Anbieten von homosexuellen Dienstleistungen und Prostitution) entschieden und eine Scheinehe angenommen, welche schliesslich zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führte. 222 Einsehbar unter http://www.bundesverwaltungsgericht.ch/index/entscheide/jurisdictiondatenbank/jurisdiction-recht-urteile-aza.htm (zuletzt besucht am 23.06.2009). Entsprechender Artikel zum Urteil auch in der Basler Zeitung (BaZ), „Brasilianer wird ausgebürgert – Schweizer Pass erschlichen“, 19. Juni 2005, S. 5. 42 Urteil des Bundesgerichts 128 II 97 Sachverhalt: Der 1958 in der Türkei geborene Beschwerdeführer G. heiratete die F., welche ihm acht Kinder gebar. 1989 ersuchte er in der Schweiz um Asyl. Sein Gesuch wurde abgewiesen und auf den November 1992 sollte die Wegweisung stattfinden. Bereits im Juli 1992 liess er sich von F. scheiden und heiratete im September 1992 die 34 Jahre ältere Schweizerin B. Im Dezember 1996 wurde G. erleichtert eingebürgert, nachdem die Ehegatten erklärt hatten, dass sie eine tatsächliche Ehe lebten und keine Trennungs- oder Scheidungsabsichten bestünden. Am 21. November 1997 wurde der Familiennachzug der Kinder aus erster Ehe bewilligt. Im Februar wurde die Ehe auf Begehren der Ehefrau B. geschieden. G. wurde fürsorgeabhängig und ehelichte im Mai 1998 erneut seine erste Ehefrau. Die Einbürgerung wurde für nichtig erklärt. Die Beschwerde des G. wurde vom BGer abgewiesen. Schlussfolgerungen und Bemerkungen: Das BGer stützte sich bei seiner Argumentation auf den Ereignisablauf. Die Scheidung des G. von seiner türkischen Frau, mit der er immerhin acht Kinder gezeugt hatte und die darauf folgende überhastete Heirat mit der 34 Jahre älteren B. erfolgten kurz vor der absehbaren Wegweisung. Das BGer erwog, dass die Ehe seitens des G. als fiktiv zu gelten habe, da er diese solange aufrecht erhalten hatte, bis die formellen Voraussetzungen für die erleichterte Einbürgerung vorlagen. Kurze Zeit nach der Einreise der Kinder wurde die Ehe geschieden und G. ehelichte erneut seine erste Frau. Das BGer geht in diesem Fall von einem, zumindest auf Seiten des Beschwerdeführers, vorliegenden Rechtsmissbrauch aus. Obwohl B. die Scheidung eingeleitet hat, sind die vorliegenden Indizien genügend schwerwiegend, um eine Scheinehe anzunehmen und die Einbürgerung in der Folge für nichtig zu erklären. Der vorliegende Sachverhalt, bei dem eine Heirat nach negativem Asylentscheid erfolgte, stellt einen typischen Fall einer rechtsmissbräuchlichen Ehe dar. Vorliegend wird die bereits zu Beginn rechtsmissbräuchlich geschlossene Ehe (Ausländerrechtsehe) solange aufrechterhalten, bis das Schweizer Bürgerrecht erlangt wird, sodass sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. 43 4. Das Erkennen einer Scheinehe als praktisches Problem Bei der Betrachtung des Missbrauchs im Migrationsrecht in der Praxis fällt auf, dass sich zwar auf der einen Seite teilweise klare Missbrauchsfälle herausgebildet haben, auf der anderen Seite allerdings Scheinehen nur unter sehr erschwerten Bedingungen zu erkennen sind. Um einen durchaus typischen Fall handelt es sich beispielsweise beim Ausländer, der sich von seiner ausländischen Frau scheiden lässt, kurz darauf eine Schweizerin oder Niedergelassene ehelicht, sich von ihr scheiden lässt, sobald er die Niederlassungsbewilligung erworben hat und schliesslich kurz darauf wieder seine damalige Frau heiratet, um diese und allenfalls die gemeinsamen Kinder nachzuziehen223. Solch einen Fall als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren scheint durchaus sinnvoll und rechtlich angebracht. Wann aber kann bei einem nicht so eindeutigen Fall von Rechtsmissbrauch gesprochen werden? In der Mehrheit der Fälle lässt sich der Rechtsmissbrauch nicht so einfach beweisen, da auch bei Vorliegen mehrerer Indizien Scheinehen mit grosser Zurückhaltung angenommen und eine exzessive Anwendung des Rechtsmissbrauchsverbots vermieden werden sollten. Eine Ehe wird grösstenteils im Privaten gelebt und nicht in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt, was den Nachweis einer rechtsmissbräuchlichen Ehe erschwert. Enorm schwierig ist der Nachweis insbesondere dann, wenn zwar gewisse Indizien für das Vorliegen von Rechtsmissbrauch sprechen, aber dennoch eine formell bestehende Ehe vorliegt und das Zusammenleben der Ehegatten224 nachgewiesen wurde. Das Vorliegen einer Scheinehe bzw. das missbräuchliche Festhalten an einer Ehe sind dem direkten Beweis entzogen225 und können deshalb grundsätzlich nur durch ein Geständnis eines Beteiligten, dass eine Scheinehe vorliege, eindeutig belegt werden, sofern es sich nicht um eine Rachebehauptung oder Falschaussage handelt226. Oft wird bereits bei Vorliegen eines einzigen Indizes, wie beispielsweise einem grossen Altersunterschied zwischen schweizerischem und ausländischem 223 BGE vom 29. Juni 2001, 2A.69/2001. Nach der Konzeption des neuen Ausländergesetzes wird für das Eintreten ausländerrechtlicher Wirkungen nicht nur das formelle Bestehen der Ehe, sondern auch das Zusammenwohnen der Ehegatten vorausgesetzt. 225 Vgl. etwa BGE 122 II 289, E. 2b. 226 Vgl. UEBERSAX, S. 12; NYFFENEGGER, S. 142. 224 44 Partner der Gedanke geweckt, es handle sich um eine Scheinehe. Obwohl es zwar klare Hinweise für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten braucht, darf dennoch – auch bei Vorliegen mehrerer eindeutiger Hinweise – nicht unmittelbar auf Rechtsmissbrauch geschlossen werden, sofern nicht eindeutig der Wille zur echten Lebensgemeinschaft ausgeschlossen werden kann227. Die Hinweise müssen zwar differenziert untersucht werden, spielen aber, sofern der Ehewille besteht, keine Rolle. Wie aber soll grundsätzlich der bestehende oder eben nicht bestehende Ehewille durch die zuständigen Behörden beurteilt werden? Darin liegt meiner Ansicht nach die Hauptproblematik beim Erkennen einer Scheinehe. Andererseits ist festzuhalten, dass eine Ehe nur dann als Scheinehe gilt, wenn sie einzig und allein ausländer-, asyl- oder bürgerrechtliche Zwecke verfolgt. Nur in einem solchen Fall entfällt der Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung, der Einbezug ins Asyl oder der Anspruch auf erleichterte Einbürgerung. Im schweizerischen Recht finden sich keine besonderen Motive für die Eheschliessung, weshalb diese unterschiedlicher Natur sein können228. Auch wenn die Sicherung des Aufenthalts kausal für die Eheschliessung war, muss selbst dann nicht zwingend eine Scheinehe vorliegen229. Wird also ein migrationsrechtliches Motiv verfolgt, ist aber dennoch eine echte eheliche Gemeinschaft gewollt, liegt keine rechtsmissbräuchliche Ehe vor und die entsprechenden Rechtsfolgen können folglich nicht verweigert werden230. Geht beispielsweise ein Paar eine Ehe ein, um gemeinsam in der Schweiz leben zu können, hätten sie sich aber bei Fehlen ausländerrechtlicher Hindernisse nicht geehelicht, sondern ihre Beziehung wie bis anhin weitergeführt, dann liegt keine Scheinehe vor. Solange nicht ausschliesslich migrationsrechtliche Motive verfolgt werden, kann keine Scheinehe begründet werden. In Folge dieser Schwierigkeiten wird automatisch der Beweis einer Scheinehe erschwert. Nicht selten wird diese Problematik von den zuständigen Behörden im Eheverfahren ausser Acht gelassen und vorschnell eine rechtsmissbräuchliche Ehe angenommen. Es entsteht sogar der Eindruck eines gewissen Generalverdachts, indem verdächtige Ehen über einen Kamm geschert werden. 227 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 51 AuG. Siehe dazu Kapitel III.3.1. 229 GÖKSU, S. 19. 230 Ausführlich dazu Kapitel III.3.1.; vgl. auch GÖKSU, S. 18 und UEBERSAX, S. 13. 228 45 Vor allem die Praxis des Kantons Thurgau, der bei der Bekämpfung von rechtsmissbräuchlichen Ehen am härtesten durchgreift, grenzt beinahe schon an „Beamtenwillkür“, wenn bereits bei einem Altersunterschied von sieben Jahren ein Verdacht auf Scheinehe besteht231. Regelmässige Hausdurchsuchungen bei ausländisch-schweizerischen Ehen sind an der Tagesordnung, genau so indiskrete Fragen zur Beischlafhäufigkeit und Verhütungspraxis der Paare232. Stimmen die Antworten der Ehepartner nicht überein und bestehen mehrere Widersprüche, so erhärtet sich der Verdacht einer Scheinehe. Diese Vorgehensweise der thurgauischen Behörden verletzt meines Erachtens die Privatsphäre und greift somit in das Privatleben der Ehegatten ein. Vor allem die gestellten Fragen sind nicht verhältnismässig. Deshalb erstaunt es auch nicht, dass in den letzten zehn Jahren beinahe jedes dritte (32 Prozent) Rekursverfahren zum Thema Scheinehen im Kanton Thurgau vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissen wurde233. Ein weiteres praktisches Problem besteht meiner Ansicht nach darin, dass die Behörden bereits eine Scheinehe annehmen, ohne dass der Nachweis einer echten Ehe erbracht werden konnte, weil der eine Ehegatte in der Schweiz und der andere im Ausland lebt234. Diese behördliche Vorgehensweise ist nicht nachvollziehbar. Das eheliche Zusammenwohnen ist insbesondere im Ausländerrecht Voraussetzung für die familiären Nachzugsrechte und soll der Verhinderung von Scheinehen dienen. Aber in dieser Konstellation läuft die Bedingung völlig ins Leere, denn den Ehegatten wird es von Amtes wegen verunmöglicht, zusammen zu leben235 und ihre Ehe nachzuweisen. Die Behörde geht von einer Scheinehe aus, ohne dass die Ehegatten sie vom Gegenteil überzeugen konnten. Eigentlich sind die Ehegatten verheiratet, aber dennoch irgendwie 231 Kritisiert wurde das Vorgehen der thurgauischen Behörden bei der Scheinehebekämpfung insbesondere in der Sendung des Schweizer Fernsehens „Reporter: Eheschein/Scheinehe – Was Paare im Kanton Thurgau erleben“ vom 3. Juni 2009. Ein Artikel zur Sendung findet sich im Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009: Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009). 232 Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009: Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009). 233 Thurgauer Tagblatt, „SF kritisiert Thurgauer Kampf gegen Scheinehen“, 3. Juni 2009: Einsehbar unter http://www.tagblatt.ch/aktuell/thurgau/thurgau/SF-kritisiert-ThurgauerKampf-gegen-Scheinehen;art689,1330137 (zuletzt besucht am 16.06.2009). 234 Vgl. den auf S. 29f. beschriebenen Fall. 235 Teilweise wird den Ehegatten das Zusammenleben erst nach einigen Jahren ermöglicht. 46 (von Amtes wegen) getrennt. Fraglich ist in der Folge, ob durch die verweigerte Einreise des ausländischen Ehegatten das Recht auf Ehe verletzt wird. Im Weiteren spielt hierbei auch das Gebot der Unschuldsvermutung eine durchaus wichtige Rolle. Die Praxis der Behörden muss bei der Bekämpfung von Scheinehen die Unschuldsvermutung beachten, was in Anbetracht der oben beschriebenen Vorgehensweisen der Behörden zweifelhaft ist. Das Gebot der Unschuldvermutung236 bedeutet, dass Beschuldigte bis zum Nachweis ihrer Schuld als unschuldig betrachtet werden müssen und nicht vorverurteilt werden dürfen237. Wenn allerdings bereits die Einreise des ausländischen Ehegatten verweigert bzw. das Zusammenleben der Ehegatten verunmöglicht wird, folglich der Gegenbeweises des bestehenden Ehewillens nicht erbracht werden darf, wird meines Erachtens, bevor eine Scheinehe endgültig nachgewiesen wurde, ein gewisses rechtsmissbräuchliches Handeln unterstellt und die betreffende Person in gewisser Weise als Schuldige behandelt, wodurch das Gebot der Unschuldsvermutung zumindest im weitesten Sinne tangiert wird. Insbesondere in der Literatur238 zum alten Recht wurde das behördliche Vorgehen in Bezug auf die Missbrauchspraxis bemängelt und ein bedachter Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot gewünscht, sodass die Prüfung des Rechtsmissbrauchs nicht systematisch, sondern ausnahmsweise nur in speziellen Fällen erfolgt. Es muss einem bewusst sein, dass das Rechtsmissbrauchsverbot stets ein „rechtlicher Notbehelf“ und damit die Ausnahme bleiben muss239. So schrieb bereits SCHEER in Bezug auf die rechtsmissbräuchliche Ehe in der Bundesrepublik Deutschland, dass die generelle Vermutung, eine gemischt-nationale Ehe sei eine Scheinehe, unzulässig sei240. Grundsätzlich ist bei der Qualifizierung einer Ehe als Scheinehe Zurückhaltung geboten, da diese mit etlichen Begriffsschwierigkeiten und Beweisproblemen verbunden ist. Meines Erachtens darf man nicht vergessen, dass die Liebe keine Grenzen hat und deshalb durchaus etwa zwischen einer älteren Frau und einem jüngeren Mann eine Liebesheirat vorliegen kann, die nicht einzig und allein migrationsrechtlich motiviert ist. Generell ist es aber für die Gesellschaft 236 Art. 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 14 Ziff. 2 UNO-Pakt II. Ausführlich dazu VEST, S. 664ff. und TOPHINKE, S. 103ff. und 363ff. 238 UEBERSAX, S. 27f. 239 UEBERSAX, S. 27f. 240 SCHEER, S. 289. 237 47 schwierig, Ehen zu akzeptieren, die nicht tagtäglich geschlossen werden und deshalb nicht der Gewohnheit entsprechen. So beginnt man vorschnell an solchen Ehen zu zweifeln und kommt zum Ergebnis, dass ihnen etwas Rechtswidriges anhaften muss. Dieser gesellschaftliche Grundgedanke färbt verständlicherweise auch auf die zuständigen Behörden und die gerichtlichen Instanzen ab. Wichtig ist, dass die Hinweise auf eine rechtsmissbräuchliche Ehe einer unabhängigen und differenzierten Untersuchung standhalten, denn nur bei einer klaren Ausgangslage kann Aussicht auf Erfolg bestehen241. 5. Das Problem der einseitigen Scheinehe Die Ehepartner einer Scheinehe können beide bösgläubig sein242, das heisst, dass beide Ehegatten eine Scheinehe eingehen wollen. Die Scheinehe ist in diesem Fall vom übereinstimmenden Willen der Ehegatten getragen. Die rechtsmissbräuchliche Eheschliessung erfolgt im gegenseitigen Einverständnis der Eheleute. Beide Seiten sind sich bewusst, dass der einzige Zweck der Ehe nur die Erlangung ausländer-, asyl- oder bürgerrechtlicher Vorteile ist. Allerdings sind nicht immer beide Ehepartner bösgläubig. Es gibt auch Fälle, in denen der in der Schweiz lebende Ehegatte von einer tatsächlichen Ehe ausgeht und demzufolge in gutem Glauben handelt243. Fraglich ist, ob es für das Vorliegen einer Scheinehe ausreicht, wenn nur der eine Ehepartner migrationsrechtliche Zwecke verfolgt, während der andere Ehepartner tatsächlich verliebt ist und deshalb eine echte Lebensgemeinschaft begründen will. In der Lehre finden sich diesbezüglich unterschiedliche Antworten. KOTTUSCH zufolge ist es rechtlich unerheblich, dass der eine Ehepartner in gutem Glauben handelt, weil begriffsnotwendig alle Ausländer, welche sich mit einer Scheinehe in der Schweiz migrationsrechtliche Vorteile verschaffen wollen, bösgläubig sind244. Nach GÖKSU ist ungeklärt, ob der Wille zur Scheinehe bei beiden Ehepartnern vorliegen muss oder ob es ausreicht, wenn nur der eine Ehegatte die Schliessung einer Scheinehe verfolgt245. In BGE 127 241 Vgl. dazu NYFFENEGGER, S. 142f. KOTTUSCH, S. 432. 243 KOTTUSCH, S. 432. 244 KOTTUSCH, S. 432. 245 GÖKSU, S. 19. 242 48 II 49246 wertet das Bundesgericht die Aussage des Ehemannes, seine Frau habe ihn nur zwecks Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung geheiratet, als Hinweis auf eine Scheinehe. Somit genügt dem Bundesgericht zufolge einseitige Bösgläubigkeit für das Vorliegen einer Scheinehe247. Meines Erachtens sollte es für die Qualifikation einer Ehe als rechtsmissbräuchlich genügen, wenn der Ehegatte, welcher migrationsrechtliche Vorteile anstrebt, keinen Willen zur Eingehung einer echten Lebensgemeinschaft hat, denn nur so kann Rechtsmissbrauch konsequent verhindert werden. Verlangt man, dass beidseitig böser Glaube vorliegen muss, würde der bösgläubige Ehegatte, sobald sich der ansässige Ehepartner in ihn verliebt und sie eine Ehe eingehen, von dieser Situation profitieren können. Diesbezüglich folge ich der Meinung von KOTTUSCH und bin der Ansicht, dass der gute Glaube eines Ehepartners rechtlich keine Rolle migrationsrechtliche spielen Zwecke darf, verfolgt, denn der handelt Ehepartner, seinerseits so welcher oder so missbräuchlich, ob sein Ehegatte nun gutgläubig ist oder nicht. Die Gutgläubigkeit seines Ehegatten darf ihm keinesfalls zugute kommen. Anzumerken bleibt allerdings, dass der Nachweis einer Scheinehe, bei der nur einseitig eine wirkliche Ehe gewollt ist, in der Praxis beinahe unmöglich sein wird, denn schon das Vorliegen einer zweiseitigen Scheinehe ist – wie im vorangehenden Kapitel aufgezeigt – mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. V. Rechtsfolgen der Scheinehe Wird eine Scheinehe geschlossen, so wie sie in den vorangehenden Kapiteln beschrieben wurde – sei es im Ausländer-, Asyl- oder Einbürgerungsrecht – so bleibt dieser Rechtsmissbrauch nicht folgenlos. In diesem Kapitel werden die verschiedenen Rechtsfolgen einer rechtsmissbräuchlichen Ehe im Migrationsrecht aufgefächert und diskutiert, wobei deutlich werden soll, welche rechtlichen Instrumentarien zur Bekämpfung von Scheinehen zur Verfügung stehen. 246 247 E. 4b. Einseitige Bösgläubigkeit genügte dem BGer ebenfalls in dem auf S. 41f. geschilderten Fall. 49 1. Zivilrechtliche Bestimmungen zur Bekämpfung von Scheinehen im Ausländerrecht Dem Missbrauch im Migrationsrecht wird unter anderem mit zivilrechtlichen Bestimmungen begegnet, welche in den nachfolgenden Kapiteln behandelt werden. 1.1 Verweigerung der Trauung nach Art. 97a ZGB als präventive Massnahme 1.1.1. Allgemeines Das neue Ausländergesetz hat auch im Bereich des Eheschliessungsrechts zu Neuerungen geführt. Dazu gehört unter anderem Art. 97a ZGB. In dieser Bestimmung geht es nicht um eine Rechtsfolge der Scheinehe, sondern um eine Massnahme zur Verhinderung einer solchen bereits im Zeitpunkt der Eheschliessung, sodass erst gar keine Scheinehe eingegangen werden kann. Art. 97a ZGB bemächtigt die Zivilstandesbeamten und –beamtinnen bei offensichtlichem Vorliegen einer Ausländerrechtsehe, die Trauung zu verweigern. Hierbei geht es um die Verweigerung der Eheschliessung im Rahmen des Vorbereitungsverfahrens248, da bereits auf das Gesuch nicht eingegangen werden muss. Der Lehre zufolge kann die Verweigerung auch erst bei der eigentlichen Trauungshandlung erfolgen249 und ist somit nicht auf das Vorbereitungsverfahren beschränkt. Von dieser Bestimmung werden nur Paare erfasst, die eine Scheinehe eingehen, also keine echte Lebensgemeinschaft wollen und ausschliesslich ausländerrechtlich motivierte Ziele verfolgen bzw. die Umgehung ausländerrechtlicher Bestimmungen verfolgen250. Der Entscheid, eine Eheschliessung zu verweigern, liegt allein beim Zivilstandesbeamten, der bei Vermutung einer Scheinehe nach Art. 97a Abs. 2 ZGB bei anderen Behörden oder Drittpersonen wie beispielsweise beim Arbeitgeber, Nachbarn, Arzt oder bei der Fremdenpolizei Auskünfte einholen kann. Für die Verweigerungsmöglichkeit reichen vage Verdachtsmomente nicht aus. Hier begegnet uns wieder das Erfordernis des offenbaren Missbrauchs. Das bedeutet, dass nur bei Vorliegen begründeter Hinweise, die den zweifelsfreien 248 FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 752. FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 753. 250 Ausführlich zur Scheinehe im Ausländerrecht Kapitel III.3.1. und IV.1.2.1.1.; zu den Voraussetzungen des Art. 97a ZGB auch GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.12. 249 50 Schluss auf Rechtsmissbrauch zulassen, eine Scheinehe angenommen und die Trauung in der Folge verweigert werden darf251. Folgt man dem Wortlaut des Art. 97a ZGB, kann der Eheschluss auch bei Vorliegen einer einseitigen Scheinehe verweigert werden. Dies ist allerdings in der Literatur nicht ganz unumstritten. FANKHAUSER/W ÜSCHER plädieren in Anlehnung an die Botschaft des Bundesrates nur beim Vorliegen zweiseitiger Scheinehen für die Anwendbarkeit der Bestimmung252. 1.1.2. Praktische Relevanz des Art. 97a ZGB Ziel dieser Bestimmung ist es, den Scheinehen bereits beim Zivilstandesamt die nötige Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, um diese so früh wie möglich zu verhindern bzw. erst gar nicht entstehen zu lassen. Problematisch ist allerdings, dass es eher selten möglich ist, vor Eheschluss sämtliche Zweifel am Vorliegen einer Scheinehe auszuräumen253, insbesondere wenn die Ehewilligen noch kaum oder gar nicht zusammen gelebt haben, weil es ihnen rechtlich verwehrt wurde. Des Weiteren ist es schon schwierig, eine Ausländerrechtsehe im Nachhinein zu beweisen, sodass diese neue Bestimmung eine enorme Herausforderung für die involvierten Zivilstandesbeamten darstellt, da hier die Scheinehe bereits im Voraus belegt werden muss und dies kaum definitiv möglich ist254. Der Zivilstandesbeamte darf seine Mitwirkung am Vorbereitungsverfahren nicht verweigern, sofern noch „Restzweifel in Bezug auf das Vorliegen einer Scheinehe oder Scheinpartnerschaft“255 gegeben sind. Im Zweifelsfalle muss die Ehe – nach dem Grundsatz in dubio pro matrimonio – aufgrund von Art. 14 BV und Art. 12 EMRK geschlossen werden256. Sie darf 251 Zur Notwendigkeit offensichtlicher Indizien ausführlich Kapitel IV.1.2.1.2.; vgl. auch GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.12. 252 FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 753ff. 253 Vgl. Bem. von FANKHAUSER ROLAND zum BGE vom 10. März 2008, 2C_435/2007, in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2008, S. 588f. 254 Vgl. BGE vom 10. März 2008, 2C_435/2007, E. 2.2., in: INGEBORG SCHWENZER/ANDREA BÜCHLER (Hrsg.), FamPra.ch, Die Praxis des Familienrechts, 2008, S. 585f. 255 Weisungen des Eidgenössischen Amtes für das Zivilstandswesen EAZW, Nr. 10.07.12.01 (Umgehung des Ausländerrechts: Verweigerung der Eheschliessung durch die Zivilstandsbeamtin oder den Zivilstandsbeamten, Beurkundung von Ungültigerklärungen, Anerkennung und Eintragung ausländischer Eheschliessungen und Partnerschaften) vom 5. Dezember 2007, S. 7. 256 Vgl. MONTINI, S. 15; UEBERSAX, S. 26. 51 demzufolge nur verweigert werden, wenn der Rechtsmissbrauch „eindeutig feststeht und belegt ist“257. Meines Erachtens trägt die Regelung in Art. 97a ZGB nur wenig zur Vermeidung von Scheinehen bei. Obwohl sie vielleicht eine gewisse Signalwirkung innehat, können Personen, die zur Eingehung einer Scheinehe bereit sind, nicht dadurch abgeschreckt werden, dass ihr Vorhaben bereits vor der Trauung aufgedeckt werden könnte. Des Weiteren ist ihre praktische Relevanz dadurch eingeschränkt, dass ein Zivilstandesbeamte, der zwar das Gefühl hat, es liege eine Ausländerrechtsehe vor, die Ehe (zu Recht) eher vollziehen wird, als dass er sich auf sein Gefühl verlässt und sie verweigert. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass die Feststellung einer Scheinehe für den zuständigen Zivilstandesbeamten eine nicht unbedeutende Schwierigkeit darstellt. Im Zweifelsfall muss er den Ehewillen der Verlobten beurteilen258, wobei er unter gewissem Druck steht, Fehlentscheidungen zu vermeiden259. Zudem wird, aufgrund der Möglichkeit eine Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB ungültig zu erklären, der Anwendungsbereich des Art. 97a ZGB weiter eingeschränkt. 1.2. Auflösung der Ehe nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB Wird im Ausländerrecht dennoch eine Scheinehe geschlossen, so stellt dies nach Art. 105 Ziff. 4 ZGB neu einen unbefristeten Ungültigkeitsgrund dar. Diese Bestimmung entspricht sinngemäss dem früheren Art. 120 Ziff. 4 ZGB. Die Ehe wird ungültig erklärt, wenn keine wirkliche Lebensgemeinschaft, sondern die Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften gewollt ist. Erwähnenswert scheint hier die Tatsache, dass diese unbefristete Ungültigerklärung im Grunde genommen im Widerspruch zu Art. 41 BüG steht, der eine Nichtigerklärung der 257 UEBERSAX, S. 26. SPESCHA , Migrationsabwehr, S. 75. 259 Erwähnenswert ist in dieser Hinsicht die Tatsache, dass gerade diejenigen – bereits vor Inkrafttreten der Bestimmung – eine ablehnende Haltung zeigten, die die hauptsächliche Verantwortung bei der Durchsetzung übernehmen, nämlich die Zivilstandsbeamtinnen und – beamten. Sie seien „absolut nicht geneigt“ einer solchen Regelung „gerecht zu werden“, da es nicht Aufgabe der Trauungsbeamtin bzw. des Trauungsbeamten sei, polizeiliche Aufgaben zu übernehmen. Vgl. Vernehmlassung des Schweizerischen Verbandes für Zivilstandswesen vom 10. Mai 2007 zu den Ausführungsbestimmungen zur Umsetzung des BG vom 16.12.2005 über die Ausländer und der Teilrevision des Asylgesetzes vom 16.12.2005: Einsehbar unter http://www.zivilstandswesen.ch/content-n21-sD.html (zuletzt besucht am 11.06.2009). 258 52 Ehe innerhalb von fünf Jahren vorsieht260. Deshalb spricht die Lehre im Zusammenhang mit Art. 105 Ziff. 4 ZGB von einer Wertsystemwidrigkeit261. Art. 105 Ziff. 4 ZGB ist der Lehre zufolge, entgegen seinem Wortlaut, nur auf zweiseitige Scheinehen anwendbar. Einseitige Scheinehen sollen gemäss Art. 115 ZGB geschieden werden262. Fraglich bleibt, ob das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer Ehe allein aus ausländerrechtlich motivierten Zwecken in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt. In Anlehnung an die parlamentarische Beratung lehnen FANKHAUSER/W ÜSCHER die Anwendung des Art. 105 Ziff. 4 ZGB richtigerweise ab, wenn eine Ehe, die ursprünglich wirklich gewollt war, nachträglich nur noch aufgrund ausländerrechtlicher Motive aufrechterhalten wird263. Was die praktische Bedeutung dieser Bestimmung anbelangt, so hat sich bereits die Botschaft des Bundesrates für eine eher beträchtliche Zahl von Ungültigerklärungen und damit eine eher geringe praktische Relevanz ausgesprochen264. 1.3. Entfallen des Kindsverhältnisses ex lege nach Art. 109 Abs. 3 ZGB als Folge der Eheungültigkeit 1.3.1. Rückwirkende Aufhebung der Vaterschaftsvermutung bei Ungültigerklärung der Ehe In der Regel wirkt die Ungültigerklärung der Ehe nicht zurück. Einzige Ausnahme ist die Ex-lege-Aufhebung des Kindsverhältnisses bei Ungültigerklärung der Ehe gestützt auf Art. 105 Ziff. 4 ZGB. Wird ein Kind während einer Scheinehe geboren, so entfällt die Vaterschaftsvermutung von Gesetzes wegen rückwirkend, wenn diese Ehe (die nur dazu diente, die Bestimmungen über Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern zu umgehen) für ungültig erklärt wird. In der Botschaft finden sich dafür folgende Gründe: „Aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, dass Kinder, die während einer Scheinehe geboren werden, nicht von den beiden Ehegatten abstammen und der Ehemann auch nicht die soziale und gesellschaftliche Rolle des Kindsvaters 260 Siehe dazu Kapitel V.5.1. FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 760f. 262 FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 761. 263 FANKHAUSER/W ÜSCHER, S. 761f. 264 Botschaft, S. 3756. 261 53 übernimmt. Die vorgeschlagene Lösung ermöglicht es, die tatsächliche biologische und soziale Abstammung des Kindes wiederherzustellen, und vermeidet zudem den Erwerb des Bürgerrechts gestützt auf eine in diesem Fall nicht gerechtfertigte, gesetzliche Vaterschaftsvermutung. Für den seltenen Fall, dass das Kind tatsächlich vom Ehemann abstammt, kann das Kindesverhältnis nachträglich ohne weiteres durch die Anerkennung (Art. 260 Abs. 1 ZGB) oder durch eine Vaterschaftsklage (Art. 261 ZGB) begründet werden“ 265. Auch wenn die Vaterschaft ohne Zweifel nachgewiesen wurde, kann die Rechtsfolge des Art. 109 Abs. 3 ZGB nicht abgewendet werden. 1.3.2. Kritik Von Seiten der Lehre ist Art. 109 Abs. 3 ZGB sehr umstritten. Unter anderem wird kritisiert, dass die Bestimmung nicht im Einklang mit der UNOKinderrechtskonvention266 steht267. Die Sanktion trifft bei Vorliegen einer Ausländerrechtsehe unmittelbar das unschuldige Kind, welches sozusagen die Konsequenzen der Scheinehe seiner Eltern trägt, denn dieses wird zuerst seiner väterlichen Abstammung beraubt268 (je nachdem wird es auch aus einer gefestigten Vater-Kind-Beziehung gerissen) und muss dann womöglich auch noch auf Vaterschaft klagen, anstelle des rechtsmissbräuchlich handelnden Vaters269. Die Folgen einer Scheinehe sollten nicht das unschuldige Kind treffen, da der Rechtsmissbrauch alleine durch seine Eltern begangen wurde und deshalb auch sie dafür die Verantwortung tragen bzw. bestraft werden sollten270. Somit scheint zweifelhaft, dass diese Regelung dem Kindeswohl bzw. -interesse überhaupt irgendwelche Bedeutung zumisst271. Obwohl das Interesse des Kindeswohls insbesondere im Kindesrecht eine vorrangige Stellung innehat, legt der Gesetzgeber in diesem Fall mehr Wert auf die Missbrauchsargumentation, weil allein der Umstand der Ausländerrechtsehe entscheidend ist. Meines Erachtens dürfte im Grunde genommen nichts über dem Wohle des Kindes stehen. In jedem Fall aber sollten die Folgen des 265 Botschaft, S. 3839. Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107. 267 MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 35ff. 268 MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37f. 269 UEBERSAX, S. 26. 270 MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37f. 271 Vgl. UEBERSAX, S. 26; MARGUERAT/NGUYEN/ZERMATTEN, S. 37. 266 54 Rechtsmissbrauchs stets die an der Scheinehe beteiligten Personen, also die Erwachsenen treffen. 2. Strafrechtliche Folgen des AuG In Art. 118 AuG hat der Gesetzgeber einen neuen Täuschungstatbestand verankert und damit im Ausländerrecht eine gesetzliche Lücke geschlossen. Bevor diese Bestimmung mit dem neuen Ausländergesetz in Kraft trat, war weder das Schliessen noch die Vermittlung einer rechtsmissbräuchlichen Ehe unter Strafe gestellt. Somit hat diese zentrale Bestimmung hauptsächlich zum Ziel, die Schliessung und Förderung von Scheinehen zu bekämpfen272. 2.1. Strafe nach Art. 118 Abs. 1 AuG bei Täuschungshandlungen gegenüber den Behörden Insbesondere im Ausländerrecht müssen sich die Behören häufig auf die Aussagen der Gesuchssteller verlassen und sind deshalb auf wahrheitsgetreue Angaben angewiesen, da sie die Angaben ohne Mitwirkung der Gesuchssteller nicht oder nur mit sehr grossem Aufwand ermitteln können273. Diesbezügliche Täuschungshandlungen werden unter anderem häufig im Zusammenhang mit Scheinehen festgestellt274. Der erste Absatz des Art. 118 AuG sanktioniert Täuschungshandlungen gegenüber den Behörden. Dabei kann es sich um falsche Angaben (aktives Tun) oder aber um das Verschweigen wesentlicher Tatsachen (Unterlassung) handeln. Vorausgesetzt wird allerdings, dass die täuschende Handlung zur Bewilligungserteilung geführt hat oder dazu, dass die Bewilligung nicht entzogen wurde275. Der bundesrätlichen Botschaft zufolge muss das 276 täuschende Verhalten für die Aufenthaltsregelung kausal gewesen sein . Art. 118 Abs. 1 AuG ist erfüllt, „wenn aufgrund einer Scheinehe um eine Bewilligung ersucht und der Ehewille nur vorgespiegelt bzw. der fehlende Ehewille 272 Botschaft, S. 3833. Art. 90 AuG verpflichtet Ausländerinnen und Ausländer sowie am Verfahren beteiligte Dritte an der Feststellung des für die Anwendung des AuG massgebenden Sachverhalts mitzuwirken und nach Art. 90 lit. a zutreffende und vollständige Aussagen über die für die Regelung wesentlichen Tatsachen zu machen. 274 Botschaft, S. 3834. 275 Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG; ZANGA/GUHL, Kapitel II.3. 276 Botschaft, 3834. 273 55 verschwiegen wird“277. Ebenfalls vom Tatbestand erfasst werden täuschende Handlungen, die das Ziel verfolgen, den Entzug einer Bewilligung zu verhindern278, so beispielsweise des Festhalten an einer definitiv gescheiterten Ehe. Daneben sind weitere Täuschungshandlungen strafbar, die allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht interessieren. Die Täuschungshandlungen gemäss Art. 118 Abs. 1 AuG werden mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert. 2.2. Strafe nach Art. Täuschungshandlungen 118 Abs. zur 2 AuG Umgehung bei der Aufenthaltsvorschriften Abs. 2 des Art. 118 AuG bezieht sich auf Personen279, die eine Scheinehe eingehen, um einer Ausländerin oder einem Ausländer ein Anwesenheitsrecht zu verschaffen. Ebenfalls vom Tatbestand erfasst werden die Vermittlung, Förderung und Ermöglichung einer Scheinehe. Dabei reicht schon die Absicht zur Umgehung der Aufenthaltsbestimmungen aus, sodass nicht einmal der Versuch unternommen worden sein muss, eine Bewilligung zu erhalten. Der Tatbestand erfasst Handlungen, die weit vorher getätigt werden, als die Täuschungshandlungen zum Erschleichen einer Bewilligung nach Abs. 1280. Nicht von der Rechtsfolge des Abs. 2 erfasst ist der Ausländer selbst, der mittels einer rechtsmissbräuchlichen Ehe eine Anwesenheitsberechtigung erlangen will. Er wird erst straffällig, wenn er die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt281. Die Tathandlung wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert282. 2.3. Strafe nach Art. 118 Abs. 3 AuG Abs. 3 regelt den qualifizierten Tatbestand des Handelns in unrechtmässiger Bereicherungsabsicht oder für Organisationen. Damit sollen etwa die Vermittler 277 ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG. Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 2 zu Art. 118 AuG und ZANGA/GUHL, Kapitel II.3. und 3.2. 279 Dies können Schweizerinnen bzw. Schweizer oder Ausländerinnen bzw. Ausländer sein. 280 ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 118 AuG. 281 ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 118 AuG. 282 Art. 118 Abs. 2 AuG. 278 56 von Scheinehen oder Personen, die gegen Entgelt eine solche Ehe eingehen, schärfer bestraft werden283. Das Strafmass fällt in diesem Fall entsprechend höher aus284. 3. Ausländerrechtliche Folgen Eine Ausländerrechtsehe bzw. das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer Ehe hat nicht nur zivil- und strafrechtliche Konsequenzen, sondern zieht auch ausländerrechtliche Folgen nach sich, welche in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich behandelt werden. 3.1 Erlöschen des Anspruchs auf Nachzug des Ehegatten nach Art. 51 AuG Gemäss Art. 51 AuG erlischt der Anspruch auf Erteilung und Verlängerung einer Bewilligung zum einen, wenn der Nachzugsanspruch rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird. Zum anderen erlischt der Anspruch auf Bewilligungserteilung und -verlängerung auch dann, wenn eine erteilte Bewilligung widerrufen wird. 3.1.1. Erlöschen des Bewilligungsanspruchs ausländerrechtlichen und Nichtverlängerung der Bewilligung Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a AuG haben zur Folge, dass unter anderem die Nachzugsrechte des Ehegatten nach Art. 42 und 43 AuG erlöschen, wenn die Ansprüche „rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden, namentlich um die Vorschriften dieses Gesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen über Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen“. Folglich geht bei Vorliegen einer Scheinehe der Rechtsanspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 42 und 43 AuG unter285. Der Lehre zufolge gilt dies analog auch für Aufenthaltbewilligungen gestützt auf das Freizügigkeitsabkommen oder das EFTA-Übereinkommen286. Der Bewilligungsanspruch des Ehegatten entfällt oder 283 anders formuliert, die Erteilung der Aufenthalts- bzw. Vgl. ZÜND, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 118 AuG i.V.m. Rn. 7 zu Art. 116 AuG. Vgl. Art. 118 Abs. 3 AuG. 285 Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56. 286 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56. 284 57 Niederlassungsbewilligung wird verweigert, wenn eine Scheinehe bezweckt wird. Würde bereits die Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden, so hätte dies zur Folge, dass „die Familienzusammenführung bzw. ein weiterer Verbleib in der Schweiz verwehrt würde“287. Wird eine nachträgliche Berufung auf die Ehe als rechtsmissbräuchlich qualifiziert, so führt dies zum Dahinfallen einer allfälligen Bewilligung bzw. zur Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung oder zum Untergang des Anspruchs auf eine Niederlassungsbewilligung288. Zu beachten ist hierbei, dass anders als beim Anspruch auf Einbürgerung, welcher eine intakte Ehe voraussetzt, der Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung und der Anspruch auf Niederlassungsbewilligung solange besteht, bis die Ehe nicht als definitiv gescheitert289 anzusehen ist290. Vorausgesetzt wird demzufolge keine intakte Ehe. Die Rechtsansprüche entfallen erst, wenn die Ehe definitiv gescheitert ist, weil erst dann Rechtsmissbrauch vorliegt. Diese Unterscheidung zwischen dem Ausländer- und Einbürgerungsrecht muss meiner Ansicht nach kritisch betrachtet werden. Obwohl es in beiden Fällen um die rechtsmissbräuchliche Ehe und deren Folgen im Zusammenhang mit bestimmten Rechtsansprüchen geht, wird diesbezüglich eine Differenzierung vorgenommen. Meines Erachtens sollten die Ansprüche in beiden Fällen unter den gleichen Voraussetzungen eintreten bzw. entfallen. Auch wenn eine Scheinehe bzw. die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine in Wirklichkeit gescheiterte Ehe zum Dahinfallen der Rechtsansprüche geführt hat, muss in diesem Falle immer noch Art. 50 AuG beachtet werden, da der nachgezogene Ehegatte unter Umständen auch nach der Auflösung der Ehegemeinschaft einen Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung hat. Unter anderem muss die Ehe zumindest drei Jahre bestanden haben. Natürlich sind hier die Scheinehejahre ausgenommen, weshalb auf den Zeitpunkt des definitiven Scheiterns der Ehe abzustellen ist291. 287 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 51 AuG. Vgl. GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.56. 289 Zum Begriff des „definitiven Scheiterns“ siehe Kapitel IV.1.2.1.1.2. 290 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 8 zu Art. 51 AuG. 291 Vgl. SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 50 AuG. 288 58 3.1.2. Widerruf der Bewilligung gemäss Art. 62 und 63 AuG Der Bewilligungsanspruch eines gestützt auf das AuG nachgezogenen Ehegatten erlöscht auch bei Widerruf (Art. 62 und 63) gemäss Art. 51 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. b. So kann bei Vorliegen einer Ausländerrechtsehe eine Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 62 AuG und eine Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 63 AuG292 widerrufen werden. Wird eine Bewilligung widerrufen, so bedeutet dies, „dass die mit der Bewilligung eingeräumte Rechtsstellung mit der Rechtskraft eines Widerrufsentscheides endet und eine ordentliche Wegweisung (Art. 66)“293 angeordnet werden kann. Bedeutend im Rahmen dieser Arbeit ist Litera a des Art. 62 AuG. Dieser besagt, dass Bewilligungen widerrufen werden können, wenn die ausländische Person oder ihr Vertreter „im Bewilligungsverfahren falsche Angaben macht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat“. Dieser Tatbestand deckt sich mit dem bisherigen Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG. Auch wenn nicht mehr vom „wissentlichen Verschweigen“ wesentlicher Tatsachen die Rede ist und die Bewilligung nicht mehr ausdrücklich „erschlichen“ worden sein muss, setzt der Widerrufsgrund dennoch eine Täuschungsabsicht voraus. Insofern handelt es sich nur um eine redaktionelle Abweichung vom bisherigen Wortlaut294. Verlangt wird für die Annahme eines Widerrufsgrundes, dass die Behörden bei der Bewilligungserteilung oder -verlängerung die ursprünglich falschen oder unvollständigen Angaben als massgeblich betrachteten, oder über entscheidwesentliche Sachverhaltselemente getäuscht wurden295. Im Falle einer Scheinehe kann ohne weiteres von einer Täuschungsabsicht ausgegangen werden, da der Ehewille nur vorgespiegelt bzw. der fehlende Ehewille verschwiegen wird296. Eine auf diesem Wege erschlichene Bewilligung stellt zweifelsfrei einen Widerrufsgrund gemäss Art. 62 lit. a und Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG dar. 292 Es handelt sich hierbei um eine systematische Vereinfachung, da die neue Möglichkeit des Widerrufs von Niederlassungsbewilligungen die frühere Ausweisung gemäss Art. 10 ANAG ersetzt, welche ohnehin nur noch bei Personen mit Niederlassungsbewilligung zur Anwendung gelangte. Botschaft, S. 3809. 293 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 62 AuG. 294 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 3 zu Art. 62 AuG. 295 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 4 zu Art. 62 AuG. 296 BGE 112 Ib 161; vgl. auch ZÜND, Anwesenheitsberechtigung, S. 141f. 59 3.2. Ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG als Folge einer verweigerten, widerrufenen oder nicht verlängerten Bewilligung Wird eine Bewilligung nicht erteilt, nicht verlängert oder widerrufen, so folgt darauf die ordentliche Wegweisung nach Art. 66 AuG. Die Wegweisung ist förmlich zu verfügen297. Sie ergeht als Entfernungsmassnahme gegen ausländische Personen, die eine Bewilligung besassen oder mindestens mit einem förmlichen Gesuch um eine Bewilligung ersucht haben298. Sie ist also regelmässige Folge einer verweigerten, nicht verlängerten oder widerrufenen Bewilligung. Zu erwähnen bleibt, dass die ordentliche Wegweisung unter Umständen auch auf die Nichtigerklärung eines Einbürgerungsgesuches folgen kann, sofern kein Rechtsanspruch auf Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung besteht299. Im Vergleich zum früheren Recht werden die betroffenen Personen von den kantonalen Behörden unmittelbar aus der Schweiz und nicht nur aus dem Kantonsgebiet weggewiesen300. Weil keine intakte Beziehung mehr gelebt wird, bleibt dem weggewiesenen Ehegatten die Berufung auf Art. 8 EMRK verwehrt301. Sind aus dieser Ehe allerdings Kinder hervorgegangen und kann der Ehegatte nachweisen, dass zu diesen Kindern eine tatsächliche und intensive Beziehung gepflegt wird, so stellt dies einen Sonderfall dar, welcher die Berufung auf Art. 8 EMRK ermöglicht302. 4. Asylrechtliche Folgen Die asylrechtlichen Folgen ähneln stark denjenigen des Ausländerrechts. So wie im Ausländerrecht der Anspruch auf Familiennachzug entfällt, entfällt im Asylrecht der Anspruch auf Gewährung des Familienasyls. Die Flüchtlingseigenschaft wird aberkannt und das Asyl widerrufen. Ferner kommt es zur Wegweisung. 297 Botschaft, S. 3813. Es muss eine beschwerdefähige Verfügung erlassen werden. Botschaft, S. 3813. Vgl. zum Begriff der Wegweisung auch ZÜND, Anwesenheitsberechtigung, S. 167. 299 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 66 AuG. 300 Botschaft, S. 3813. 301 Ausführungen dazu in Kapitel IV.1.2.3. 302 NYFFENEGGER, S. 144. 298 60 4.1. Erlöschen des Anspruchs auf Familienasyl beziehungsweise Erlöschen der Möglichkeit auf vorläufige Aufnahme Wird eine asylrechtliche Scheinehe geschlossen oder wird rechtsmissbräuchlich an einer Ehe festgehalten, hat dies zur Folge, dass der nichtanwesenheitsberechtigte, sich in der Schweiz befindende Ehepartner nicht ins Asyl des anwesenheitsberechtigten Ehegatten miteinbezogen und ihm die Aufenthaltsberechtigung verweigert wird. Im anderen Fall wird der nachzuziehende Ehegatte von der Möglichkeit der Familienzusammenführung nach drei Jahren der vorläufigen Aufnahme des in der Schweiz anwesenden Ehegatten ausgeschlossen. Der sich im Ausland befindende Ehegatte wird demzufolge nicht in die vorläufige Aufnahme seines Ehepartners miteinbezogen und erhält auch keinen F-Ausweis. 4.2. Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und Widerruf des Asyls gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AsylG Sowohl im Falle des Familienasyls, bei der der sich in der Schweiz befindende, aber nicht über die Flüchtlingseigenschaft verfügende Ehegatte ins Asyl seines Ehegatte miteinbezogen wird, als auch im Falle der vorläufigen Aufnahme, bei der nach drei Jahren der sich im Ausland befindende Ehegatte nachgezogen werden kann und die Flüchtlingseigenschaft seines Ehepartners erhält, folgt auf eine Scheinehe bzw. auf das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer Ehe regelmässig die Aberkennung der derivativ erworbenen Flüchtlingseigenschaft303 oder der Widerruf des Asyls304. Das Bundesamt für Migration widerruft das Asyl oder aberkennt die Flüchtlingseigenschaft nach Art. 63 Abs. 1 lit. a AsylG, „wenn die ausländische Person das Asyl oder die Flüchtlingseigenschaft durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat.“ Die Tatbestandsvoraussetzungen sind dieselben wie jene in Art. 62 und 63 AuG. Die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Widerruf müssen „erschlichen“ worden sein, was bedeutet, dass bei der betroffenen Person Täuschungsabsicht vorliegen muss305. Bei Vorliegen einer Scheinehe ist der Tatbestand des Art. 61 Abs. 1 lit. a AsylG regelmässig 303 Im Falle des Einbezugs in die vorläufige Aufnahme des Ehegatten. Im Falle des Einbezugs ins Familienasyl. 305 Diesbezüglich kann auf die Ausführungen in Kapitel V.3.1.2. verwiesen werden. 304 61 erfüllt, da die Scheinehe gezwungenermassen das Verschweigen des fehlenden Ehewillens voraussetzt. 4.3. Wegweisung nach Art. 44ff. AsylG Parallel zum Ausländergesetz besteht auch im Asylrecht die Möglichkeit der Wegweisung. Entfällt die Asylmöglichkeit bzw. wird die Flüchtlingseigenschaft aberkannt, weil eine asylrechtliche Scheinehe vorliegt, erfolgt nach Art. 44 AsylG die Wegweisung des ins Familienasyl oder in die vorläufige Aufnahme einbezogenen Ehepartners. Ob die Wegweisung vollzogen werden kann ist eine andere Frage, die vom Vorliegen allfälliger Wegweisungshindernisse abhängt und im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt wird. 5. Bürgerrechtliche Folgen Auch im Einbürgerungsrecht lassen sich Bestimmungen finden, welche zur Anwendung gelangen, wenn eine Scheinehe eingegangen wird, die den Zweck der erleichterten Einbürgerung verfolgt. 5.1. Nichtigerklärung der (erleichterten) Einbürgerung In Art. 41 BüG findet sich die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Danach kann eine Einbürgerung innert fünf Jahren für nichtig erklärt werden, „wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist“. Für die Nichtigerklärung genügt ein blosses Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen nicht. Vielmehr muss die Einbürgerung, wie bereits beim Widerruf der Bewilligung im Ausländerrecht und der Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. dem Widerruf des Asyls im Asylrecht „erschlichen“, das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden sein306. Um durch erleichterte Einbürgerung das Schweizer Bürgerrecht zu erhalten, kommt es darauf an, dass im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerungsverfügung die Ehe tatsächlich gelebt wird307. Anders als 306 BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1. Der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zufolge ist Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren. 307 U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1; vgl. auch HARTMANN/MERZ, Rn. 12.58. 62 im Ausländerrecht, wo das definitive Scheitern der Ehe vorausgesetzt wird, damit der Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und der Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung untergeht bzw. die Ehe als rechtsmissbräuchlich qualifiziert wird, setzt das Einbürgerungsrecht eine intakte Ehe während der Einbürgerung voraus, damit ein Anspruch auf Einbürgerung besteht308. Der Ehegatte, der das Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellt, muss bestätigen können, dass tatsächlich eine intakte eheliche Beziehung gelebt wird309. Nicht nur das Fehlen des gemeinsamen Ehewillens bereits bei Eheschliessung stellt einen Grund für die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung dar. Auch eine Ehe, die zunächst tatsächlich gelebt wurde, an der aber im Zeitpunkt der Einbürgerung festgehalten wird, obwohl schon der Wille zur Scheidung besteht, kann zur Nichtigerklärung führen. Stellt die Behörde nach gewisser Zeit fest, dass unwahre Angaben gemacht oder Tatsachen verheimlicht wurden – also eine rechtsmissbräuchliche Ehe vorliegt – kann sie die Einbürgerung innerhalb von fünf Jahren für nichtig erklären310. Es ist Aufgabe der Behörden, das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung, also das Bestehen einer Scheinehe bzw. das rechtsmissbräuchliche Festhalten an einer nur noch formell bestehenden Ehe nachzuweisen311. 5.2. Folgen der Nichtigerklärung Wird die erleichterte Einbürgerung für nichtig erklärt, bedeutet dies für den eingebürgerten Schweizer, dass er seine Staatsbürgerschaft wieder verliert312. Umstritten ist, ob die Nichtigerklärung ex tunc (auf den Zeitpunkt der Einbürgerung zurück) oder ex nunc (erst für die Zukunft) wirkt313. Aus der Nichtigerklärung automatisch wieder die einer erleichterten Erlangung der Einbürgerung früheren folgt nicht fremdenpolizeilichen Bewilligung. Der Betroffene kommt weder automatisch in den Besitz der Aufenthalts-, noch automatisch in den Besitz der Niederlassungsbewilligung. 308 Diesbezügliche Kritik in Kapitel V.3.1.1.; SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 8 zu Art. 51 AuG. 309 NYFFENEGGER, S. 146. 310 U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1. 311 U.a. BGE vom 5. März 2009, 1C_504/2008, E. 2.1. 312 NYFFENEGGER, S. 146. 313 HARTMANN/MERZ, Rn. 12.62. 63 Vielmehr muss die zuständige Behörde aufgrund der neuen Sachlage die Situation beurteilen und über ein allfälliges Anwesenheitsrecht oder eine Wegweisung entscheiden314. Wenn es darauf ankommt, nach einer inzwischen aufgelösten Ehe einen selbständigen Anspruch des Betroffenen auf Anwesenheit nach Art. 42 Abs. 3, Art. 43 Abs. 2 und Art. 50 AuG zu beurteilen, müssen nicht die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einbürgerung oder deren Nichtigerklärung beachtet werden, sondern diejenigen im Zeitpunkt, in dem das selbständige Anwesenheitsrecht nach den oben erwähnten Bestimmungen entstanden ist315. Es kommt also darauf an, ob im Zeitpunkt, wo das selbstständige Anwesenheitsrecht entsteht, die Ehe tatsächlich gelebt wird oder ob der Ehewille nur vorgespiegelt ist. Jede andere Lösung wäre verfehlt. Sofern kein Rechtsanspruch Niederlassungsbewilligung besteht auf oder eine im Aufenthalts- Rahmen des oder behördlichen Ermessens keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, kann die ordentliche Wegweisung verfügt werden316. Besteht allerdings ein Rechtsanspruch auf die Aufenthalts- oder Neubeurteilung nur Niederlassungsbewilligung, verweigert werden, so wenn darf die behördliche ein Widerrufs- oder Ausweisungsgrund gemäss Art. 62, 63 oder 68 AuG vorliegt. Der Lehre zufolge ist fraglich, ob das Erschleichen der Einbürgerung allein das Vorliegen eines Widerrufsgrundes gemäss Art. 62 oder 63 AuG rechtfertigt und sich demzufolge eine Neubeurteilung erübrigt317. In Übereinstimmung mit HARTMANN/MERZ halte ich die Verweigerung der (Wieder-)Erteilung einer Bewilligung für unverhältnismässig, sofern das Verhalten des Betroffenen zu keinen weiteren Klagen Anlass gegeben hat318. 314 Vgl. dazu BGE vom 14. November 2005, 2A.431/2005, E. 1.1.2; BGE vom 6. September 2005, 2A.221/2005, E. 1. 315 HARTMANN/MERZ, Rn. 12.63. 316 SPESCHA, Kommentar Migrationsrecht, Rn. 1 zu Art. 66 AuG. 317 HARTMANN/MERZ, Rn. 12.65. 318 HARTMANN/MERZ, in: Ausländerrecht 2009, Rn. 12.65. 64 VI. Aktuelle Diskussion weiterer Massnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen 1. Geplante Massnahmen des Nationalrates Die Politik scheint, trotz zahlreicher Massnahmen, nicht ganz von der Wirkung der neuen strafrechtlichen Bestimmungen des AuG und der neuen generalpräventiven Regelungen des ZGB überzeugt zu sein. Sie will nun noch einen Schritt weiter gehen und ausländerrechtlich (als auch bürgerrechtlich) motivierte Ehen durch weitere Massnahmen unterbinden. Die vorgeschlagenen Änderungen beruhen auf den parlamentarischen Initiativen von TONI BRUNNER und RUEDI LUSTENBERGER319 und betreffen eine Teilrevision des ZGB und des PartG, sowie eine Änderung des BüG320. Inhalt dieser Forderungen ist, dass die Heirat bzw. eingetragene Partnerschaft321 in der Schweiz für eine ausländische Person nur möglich sein soll, wenn sie die Rechtmässigkeit ihres Aufenthalts durch eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder ein gültiges Visum nachweisen kann. Von den ausländischen Brautleuten kann also im Vorbereitungsverfahren der Nachweis einer polizeilichen Bewilligung bzw. eines rechtmässigen Aufenthalts verlangt werden. Folglich bedeutet dies, dass eine Person mit ausländischer Staatsangehörigkeit ihren Aufenthalt regeln muss, bevor sie in der Schweiz eine Ehe eingehen kann322. Zudem sollen die Zivilstandesbeamtinnen und -beamten der zuständigen Ausländerbehörde die Identität jener Personen mitteilen, die ihren rechtmässigen Aufenthalt im Rahmen des ehelichen Vorbereitungsverfahrens nicht nachweisen können323. Des Weiteren sollen sie Zugriff auf das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS) erhalten324. Wie Nationalrat BRUNNER in der Frühjahrssession 2009 betonte, sollen sich dadurch insbesondere abgewiesene Asylsuchende und illegal anwesende Ausländer, die in ihre Heimat zurückkehren müssten, nicht 319 Parlamentarische Initiative 05.463, eingereicht von BRUNNER TONI (Scheinehen unterbinden) sowie Parlamentarische Initiative 06.414, eingereicht von LUSTENBERGER RUEDI (zur Änderung des Bürgerrechtsgesetzes: Fristausdehnung für die Nichtigerklärung). 320 Medienmitteilung des Sekretariats der Staatspolitischen Kommissionen (Staatspolitische Kommission des Nationalrates) vom 2. Juli 2007: Einsehbar unter http://www.parlament.ch/d/mm/2007/Seiten/mm_2007-07-02_058_01.aspx (zuletzt besucht am 10.06.2009); Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 30. Januar 2008, BBl 2008, S. 1290. 321 Die Forderungen gelten gleichsam auch für die eingetragene Partnerschaft. 322 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482. 323 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482. 324 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2482. 65 mehr einer Ausreise entziehen können. Mit der Änderung würde eine Lücke im bisherigen Ausländerrecht geschlossen, indem dieses einheitliche Verfahren widersprüchliches Verhalten von Zivilstandesämtern und Ausländerbehörden verhindert. In der Folge gäbe es auch keine Unklarheiten mehr in der Frage, wie Zivilstandesbeamtinnen- bzw. -beamten vorgehen müssen, wenn sich heiratswillige Personen während des ehelichen Vorbereitungsverfahrens rechtswidrig in der Schweiz aufhielten325. Diskutiert wird ausserdem eine Fristverlängerung zur Nichtigerklärung der Einbürgerung von fünf auf acht Jahre326. Die vorgeschlagene Änderung soll es möglich machen, eine Sanktionierung eindeutiger Missbrauchsfälle auch nach Ablauf der heute geltenden Fünfjahresfrist vorzunehmen. Sowohl die Initiative BRUNNER als auch die Initiative LUSTENBERGER fanden durchaus positiven Anklang. Die Vorlagen der Staatspolitischen Kommission (SPK) des Nationalrates wurden verabschiedet327. Die Gesetzesentwürfe werden nun in den beiden Räten beraten. 2. Würdigung Betrachtet man das revidierte Ausländergesetz, so habe ich grundsätzlich den Eindruck, dass die neuen Massnahmen bzw. Sanktionsinstrumente, die der Bekämpfung von Scheinehen dienen sollen, durchaus ausreichend sind, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Meines Erachtens beinhaltet zum einen das ZGB genügend präventive Mittel328 und Bestimmungen329, die der Verhinderung von rechtsmissbräuchlichen Ehen dienen. Und zum anderen besteht neu die Möglichkeit, auch strafrechtlich gegen eine Scheinehe vorzugehen. Nicht zu vergessen ist die Anforderung an die Ehegatten, grundsätzlich zusammen zu leben330, welche ebenfalls der Verhinderung von Missbräuchen dienen soll331. 325 BRUNNER TONI zu 05.463, in: Amtliches Bulletin der Bundesversammlung – Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat, Frühjahrssession des Nationalrates, 3. Sitzung vom 4. März 2009: Einsehbar unter http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4807/290457/d_n_4807_290457_290589.htm?Disp layTextOid=290590 (zuletzt besucht am 10.06.2009). 326 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 30. Januar 2008 zu 06.414, BBl 2008, S. 1290. 327 Vgl. ACHERMANN/VON RÜTTE, S. 323f. 328 Vgl. dazu Kapitel V.1.1. Obwohl ich an der praktischen Relevanz des Art. 97a ZGB zweifle, sollten dennoch zuerst die vorhandenen Mittel ausgeschöpft oder wenigstens unter Beweis gestellt werden, bevor bereits wieder neue Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden. 329 Vgl. dazu vor allem Kapitel V.1.2. 330 Art. 42-45 AuG. 66 Problematisch ist meines Erachtens insbesondere die Vereinbarkeit mit Art. 14 BV sowie Art. 8 und 12 EMRK. Wie eingangs diskutiert, umfasst die Ehefreiheit das Recht zu entscheiden, ob und wen man heiraten möchte332. Dieses Recht steht auch Personen zu, die kein rechtmässiges Anwesenheitsrecht besitzen. Durch eine neue Bestimmung, welche den Nachweis eines Aufenthaltsrechts verlangt, wird das Grundrecht der Ehefreiheit klar eingeschränkt, da es Heiratswilligen in der Schweiz versagt wird, sich zu ehelichen, wenn sie keine rechtmässige Bewilligung nachweisen können. Damit wird das Recht auf Eheschliessung „unmittelbar von einer polizeilichen Bewilligung abhängig gemacht“333 und im Ergebnis die rechtliche Stellung heiratswilliger Personen erschwert. Mit der diskutierten Bestimmung würde von Gesetzes wegen indirekt davon ausgegangen werden, dass die Heiratswilligen bei Nichtvorliegen eines rechtmässigen Aufenthalts eine Scheinehe schliessen334. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Regelvermutung“335. Das Schlussfolgern auf eine rechtsmissbräuchliche Ehe ist wegen des Verbots der Unschuldsvermutung nicht unproblematisch. Wie an mehreren Stellen der Arbeit betont wurde, kann eine Ehe durchaus auch migrationsrechtliche Zwecke verfolgen, ohne rechtsmissbräuchlich zu sein336. Natürlich darf der Schutzbereich eines Grundrechts unter gewissen Voraussetzungen bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt werden337. Dennoch bin ich der Auffassung, dass die diskutierte Bestimmung eindeutig zu weit gehen würde und deshalb unverhältnismässig ist. Entgegen der bundesrätlichen Meinung338 halte ich die Bestimmung mit der Verfassung und der EMRK für unvereinbar. Die neue Regelung wird notwendigerweise auch Ehen treffen, die gerade nicht rechtsmissbräuchlich sind. Obwohl insbesondere 331 Vgl. Kapitel II.2.3. Kapitel II.1. 333 GEISER/BUSSLINGER, Rn. 14.15. 334 Ähnlich die Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den Parlamentarischen Initiativen „Scheinehen unterbinden“ und „Änderung des Bürgerrechtsgesetzes“ vom 30. September 2007, S. 3. 335 Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den Parlamentarischen Initiativen „Scheinehen unterbinden“ und „Änderung des Bürgerrechtsgesetzes“ vom 30. September 2007, S. 3f. 336 Nämlich dann, wenn ein Paar nach langjähriger Beziehung heiratet, weil dem einen Partner die Wegweisung droht. 337 Die Einschränkungen dürfen nur soweit erfolgen, als sie noch verhältnismässig sind, was ich allerdings im Bezug auf die diskutierte Bestimmung stark bezweifle. 338 Stellungnahme des Bundesrates zu 05.463 vom 14. März 2008, BBl 2008, S. 2483. 332 67 in der Lehre vermehrt angestrebt wird, dass die Beurteilung von Rechtsmissbrauch ausnahmsweise erfolgt339, trägt die Neuregelung meiner Meinung nach eher zu einer Systematisierung bei der Feststellung von Scheinehen bei. Was die zweite Revision betreffend die Fristverlängerung für die Nichtigerklärung einer Einbürgerung anbelangt, frage ich mich, inwiefern ein Missbrauchsfall, der nicht innerhalb von fünf Jahren nach erleichterter Einbürgerung festgestellt wurde, nach acht Jahren festgestellt werden kann. Daher glaube ich kaum, dass die Bestimmung den erwünschten Effekt der Missbrauchsbekämpfung mit sich bringen wird. Zudem muss der erleichtert Eingebürgerte in einem Zeitraum von acht Jahren nach der Einbürgerung mit behördlichen Beobachtungen und Kontrollen rechnen, was eine enorme Belastung und einen unverhältnismässigen Eingriff in die Privatsphäre des 340 Betroffenen bedeuten kann VII. . Fazit Scheinehen sind in der heutigen Gesellschaft ein Dauerthema, welches nicht unterschätzt werden darf und dem es mit geeigneten Mitteln zu begegnen gilt. Bei der vorliegenden Thematik handelt es sich um eine ausgesprochen heikle Angelegenheit, die eine stete Differenzierung von Fall zu Fall erfordert. Das Eheleben wird durch verfassungs- und menschenrechtliche Garantien geschützt, welche in der Folge Zurückhaltung bei der Annahme von Rechtsmissbrauch fordern. Das bedeutet, dass eine rechtsmissbräuchliche Ehe nur ausnahmsweise und in ausserordentlichen Fällen angenommen werden darf, sofern der Ehewille tatsächlich fehlt und das missbräuchliche Handeln nachgewiesen wurde. Wie aufgezeigt, ist dies alles andere als einfach. Und dennoch ist es wichtig, die individuelle Lebensgestaltung zu respektieren und darauf zu achten, dass der Missbrauchsgedanke nicht überhand nimmt. Die zahlreich diskutierten Rechtsfolgen, welche der Bekämpfung von Scheinehen dienen, lassen zur Genüge erkennen, dass Scheinehen nicht toleriert werden, was in Anbetracht der Aktualität des Themas auch richtig ist. Allerdings scheint 339 340 Vgl. Kapitel IV.4. So auch die Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH zu den Parlamentarischen Initiativen vom 30. September 2007, S. 5. 68 die Einführung noch strengerer Bekämpfungsinstrumentarien341 – da bereits die 2008 neu eingeführten Massnahmen unter der Forderung der Missbrauchsbekämpfung entstanden sind – im Hinblick auf die Folgen, nämlich einer immer geringeren Möglichkeit zur Differenzierung, nicht unbedingt wünschenswert. 341 Insbesondere das Erfordernis des rechtmässigen Aufenthalts bei Heirat in der Schweiz.