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Ostseesplitter 2005
Meereskundliche Geschichten
aus der Ostsee
Editorial
Mit den Ostseesplittern 2005 präsentieren wir Ihnen die Erstausgabe einer
neuen Zeitschrift, in der jährlich zur Sommersaison Geschichten über
Wissenswertes und Neues aus der Ostseeforschung veröffentlicht werden.
Der Begriff der Splitter soll dabei an ein Kaleidoskop erinnern - an eine farbige Wunderwelt, zusammengesetzt aus bunten Steinchen. Möglichst leicht in
Sprache und Gewicht, soll das Heft seinen Platz im Strandkorb oder als
Souvenir im Reisegepäck finden. Wir wollen die Ostsee, ihre Einzigartigkeit
und ihr Schutzbedürfnis vorstellen, aber auch aktuelle Ergebnisse unserer
Arbeit präsentieren. Wir - das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde - kurz IOW. Wir sind
Physiker, Biologen, Chemiker und Geologen, die gemeinsam die Geheimnisse des Meeres entschlüsseln wollen, um herauszufinden, wie man Veränderungen in der Ostsee entgegenwirken kann, die durch einen Klimawandel oder die intensive Nutzung durch den Menschen verursacht werden.
Alle vier Fachdisziplinen kommen in diesem ersten Heft zu Wort. Wolfgang
Matthäus wird als Physikalischer Ozeanograph das Phänomen der
Salzwassereinbrüche erläutern. Der Meereschemiker Günther Nausch berichtet über den Zustand der Ostsee. Aus biologischer Sicht korrigiert Lutz Postel
das landläufig negative Bild von der „ekligen“ Qualle und Norbert Wasmund
erklärt die Jahreszeiten im Meer.
Von ganz besonderem Wert für uns alle ist aber der geologische Beitrag.
Wolfram Lemke, der gleich zwei Artikel über die Entwicklungsgeschichte der
Ostsee beisteuerte, wird das fertige Heft nicht mehr in Händen halten können. Sein plötzlicher Tod im April dieses Jahres ist für uns unfassbar. Stets
hat er sich, mit dem gleichen Engagement, das ihn in seiner wissenschaftlichen Arbeit auszeichnete, für die Verbreitung von Forschungsergebnissen
eingesetzt und uns vorgemacht, wie der Spagat zwischen hochspezialisierter
Forschung und interessanter Präsentation gelingen kann. Dieses erste Heft
der Ostseesplitter ist seinem Andenken gewidmet.
Für die Herausgeber, im Mai 2005
Barbara Hentzsch
Inhaltsverzeichnis
Am Tropf der Nordsee:
Ursachen und Auswirkungen von
Salzwassereinbrüchen in die Ostsee
Dr. Wolfgang Matthäus
Der Zustand der Ostsee und die Aktivitäten
der Helsinki-Kommission
Dr. Günther Nausch
Filigrane Wunderwerke oder glibberiger Matsch:
Quallen - Vorkommen und Gefährdung
Dr. Lutz Postel
Die Jahreszeiten im Meer:
Über die Saisonalität des Algenwachstums
Dr. Norbert Wasmund
Die kurze und wechselvolle
Entwicklungsgeschichte der Ostsee
Dr. Wolfram Lemke
Wann kam die Flut? Aktuelle Untersuchungen
zum Verlauf der Litorina-Transgression
Dr. Wolfram Lemke
Das IOW - Forschen für die Ostsee
Dr. Barbara Hentzsch
Abb. 2: Intensität und Häufigkeit von Salzwassereinbrüchen in die Ostsee seit 1880
und ihre jahreszeitliche Verteilung (rechts oben)
Abb. 1:
Typische Temperatur- und
Salzgehaltsschichtung in der
zentralen Ostsee im Winter
(ausgezogene Linie)
und Sommer
(teilweise gestrichelte Linie)
Abb.3:
Langzeitveränderungen im
Tiefenwasser der zentralen
Ostsee
Die Ostsee ist ein vom europäischen Kontinent nahezu völlig eingeschlossenes, flaches Nebenmeer des Atlantischen Ozeans. Bedingt durch eine
hohe Flusswasserzufuhr einerseits und einen nur eingeschränkten
Wasseraustausch mit der Nordsee andererseits ist sie ein Brackwassermeer. Das heißt: Ostseewasser ist zwar deutlich salziger als Süßwasser,
aber auch deutlich „süßer“ als Nordseewasser.
Die Flusswasserzufuhr von jährlich beachtlichen 440 km3 ist verantwortlich
für einen Überschuss von Wasser in der Ostsee, der dazu führt, dass in der
Oberflächenschicht salzarmes Wasser aus der Ostsee heraus strömt. Da
die durch Temperatur und Salzgehalt bestimmte Dichte des Ostseewassers
insgesamt kleiner als diejenige des Nordseewassers ist, bildet sich in den
dänischen Meerengen, im Kontakt zwischen leichtem Ostsee- und schwerem Nordseewasser ein Druckgefälle aus, das in Bodennähe einen
Einstrom salzreichen Wassers in die Ostsee bewirkt, der um so kräftiger ist,
je stärker der Ausstrom in der Oberflächenschicht ist. Das einströmende
salzreichere Wasser breitet sich entsprechend seiner Dichte in den tieferen
Wasserschichten aus. Beide Wasserarten, brackiges Ostseewasser und salziges Nordseewasser, weisen im allgemeinen auch unterschiedliche
Temperaturen auf, und so existiert in der Ostsee das ganze Jahr hindurch
ein deutliche Schichtung des Wasserkörpers (Abb.1). Bei rund 70 m
Wassertiefe trennt ein als Sprungschicht (C in Abb. 1) bezeichneter plötzlicher Dichteübergang die Wassersäule in spezifisch leichteres salzarmes
Oberflächen- (B) und schweres salzreicheres Tiefenwasser (D). Oberhalb
dieser Sprungschicht wird das Ostseewasser durch Wellenbewegung und
durch die im Herbst und Winter einsetzende, so genannte Vertikalzirkulation
gut durchlüftet. Das salzreiche Tiefenwasser D ist jedoch weitgehend vom
Austausch mit dem Oberflächenwasser B ausgeschlossen. Nur durch seitlichen Zustrom von sauerstoffreichem Salzwasser kann dieses
Tiefenwasser „belüftet“ werden.
Aber die Natur hat auch das erschwert. Der seitliche Zustrom wird durch
den eingeschränkten Wasseraustausch und das Bodenrelief der Ostsee einer Abfolge von Schwellen und Becken - behindert. Der „normale“
Zustrom an salz- und sauerstoffreichem Nordseewasser über die Darßer
Schwelle reicht nicht bis in die tiefen Bereiche der zentralen Ostsee.
In der Tiefe kann die Ostsee
nur durch so genannte
Salzwassereinbrüche
belüftet werden.
Dadurch entstehen hier zeitweilig stagnierende Bedingungen, während
gleichzeitig der Sauerstoffverbrauch durch die Zersetzung herabsinkender
organischer Materie ständig fortschreitet. Bleibt der Nachschub mit sauerstoffreichem Wasser für längere Zeit aus, führt dies zum völligen Verschwinden des Sauerstoffs und schließlich zur Bildung erheblicher
Konzentrationen von lebensfeindlichem Schwefelwasserstoff. Abhilfe
können nur die so genannten Salzwassereinbrüche schaffen.
Im Herbst und Winter können anhaltende Weststürme zu extremen
Einströmen führen, bei denen große Mengen salz- und sauerstoffreichen
Wassers (bis 230 km3, Salzgehalt: 17 - 25 kg/m3) in die Ostsee transportiert
Salzwassereinbrüche tragen
nach längeren
sauerstofflosen Perioden
zur Wiederbesiedlung des
Meeresbodens bei.
werden. Diese Salzwassereinbrüche sind ein Ostsee-typisches Phänomen
sporadischen Charakters und relativ selten (Abb. 2). Sie haben entscheidende Bedeutung für die ozeanographischen Bedingungen im gesamten
Tiefenwasser der Ostsee, weil nur das bei derartigen extremen Einströmen
eindringende Wasser eine ausreichende Dichte erreicht, um bis in die
grundnahen Schichten der zentralen Ostsee vorzudringen. Dort führt es zu
einer Erhöhung des Salz- und Sauerstoffgehaltes (Abb. 3), zur
Umschichtung des Wassers in der Ostsee und damit zu einer Verbesserung
der Lebensbedingungen für die am und im Meeresgrund lebende Flora und
Fauna. Salzwassereinbrüche tragen nach längeren sauerstoffarmen oder
sauerstofflosen Perioden zur Wiederbesiedlung des Meeresbodens bei.
Bis Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde das
Tiefenwasser der zentralen Ostsee regelmäßig infolge von Salzwassereinbrüchen erneuert (vgl. Abb. 2), was jedes Mal in einem zeitweiligen
Anstieg des Salzgehaltes und der Sauerstoffkonzentration zum Ausdruck
kam. Seit den 1970er Jahren ist die Häufigkeit und Intensität von
Salzwassereinbrüchen zurückgegangen. Nur wenige Ereignisse von
begrenzter Intensität wurden beobachtet und zwischen 1983 und heute sind
nur zwei Salzwassereinbrüche aufgetreten. Damit einher gingen drastische
Veränderungen im Tiefenwasser, wie sie bisher nicht beobachtet wurden.
Von Mitte der 1970er bis Anfang der 1990er Jahre ging der Salzgehalt um
2 kg/m3 zurück (vgl. Abb. 3) und der Schwefelwasserstoff erreichte die
höchsten Konzentrationen seit Beginn der Beobachtungen. Die beiden
letzten Salzwassereinbrüche in den Jahren 1993 und 2003 unterbrachen
diese Entwicklung. In den Jahren 1994 und 2003 wies das Tiefenwasser
der gesamten Ostsee wieder hohe Sauerstoffkonzentrationen auf, wie sie
zuletzt in den 1930er Jahren gemessen wurden. Inzwischen ist die
Entwicklung jedoch schon wieder rückläufig.
Schwankungen im Einstrom größerer Mengen salz- und sauerstoffreichen
Wassers aus der Nordsee, dem einzigen effektiven Mechanismus zur
Erneuerung des Tiefenwassers der zentralen Ostsee, werden bisher natürlichen Variationen in der atmosphärischen Zirkulation zugeschrieben. Der
Rückgang der Häufigkeit von Salzwassereinbrüchen seit zwei Jahrzehnten
könnte seine Ursache in globalen Klimaänderungen haben. Mögliche
Zusammenhänge müssen in den kommenden Jahren überprüft werden.
Die Sauerstoff bringenden
Ereignisse werden
immer seltener.
Abb. 1:
Eines der Hauptarbeitsgeräte
in der Meereskunde ist die so
genannte CTD-Sonde, mit der
Temperatur, Salzgehalt, Sauerstoff und Fluoreszenz gemessen werden. Sie ist von einem
Kranz von Wasserschöpfern
umgeben.
Abb. 2: Karte der gegenwärtigen (ausgefüllte Symbole) und bereits gelöschten (offene Symbole)
Belastungsschwerpunkte (hot spots) im Einzugsgebiet der Ostsee (dunkelgrün) - HELCOM 2004
Abb. 3:
Trends der Oberflächenkonzentrationen (0 - 10 m Tiefe) für
Nitrat/Nitrit (blau), Phosphat
(rot) und Chlorophyll (grün) seit
1980.
=Zunahme; =Abnahme,
x kein Trend - HELCOM 2003
Die Ostsee ist ein recht kleines Meer mit einem flächenmäßigen Anteil am
Gesamtweltmeer von nur 0,1 %. Sie hat aber einige Besonderheiten, die die
Probleme, die in ihr auftreten, verschärfen. Die Ostsee ist nur durch sehr
schmale und flache Verbindungen über den Kattegat und den Skagerak mit
der Nordsee verbunden. Dadurch ist der Wasseraustausch zwischen diesen
beiden Meeren sehr stark eingeschränkt. Das wiederum hat zur Folge, dass
die Verweilzeiten, das heißt, die Dauer, die ein Wasserteilchen theoretisch in
der Ostsee verbringt, sehr lang sind. Sie liegen zwischen 25 und 35 Jahren.
Substanzen, die durch den Menschen in die Ostsee eingetragen werden, verbleiben und wirken deshalb dort sehr lange.
Hinzu kommt, dass das Einzugsgebiet der Ostsee mit rund 1,7 Mio km2
riesengroß ist, viermal größer als die eigentliche Fläche der Ostsee mit
415.266 km2. Unter dem Einzugsgebiet eines Meeres versteht man die
Landmasse, von der aus alle Flüsse in dieses Meer entwässern. Dabei
werden natürlich auch die unterschiedlichsten Inhaltsstoffe - Nährstoffe wie
Schadstoffe - mit in das Meer transportiert. Das Einzugsgebiet der Ostsee ist
außerdem stark besiedelt. Hier leben ca. 85 Millionen Menschen. All diese
Menschen verursachen Abfälle und Abwässer, die über Kläranlagen mehr
oder weniger gut gereinigt in die Ostsee gelangen. Zusätzlich wird auf den
Landflächen, die die Ostsee umgeben, intensiv Landwirtschaft betrieben.
Auch hier entsteht eine ganze Reihe von Abstoffen, einmal durch die
Düngerausbringung, zum anderen durch die Massentierhaltung. Gleichzeitig
sind alle diese Länder hoch industrialisiert. Das heißt, sehr viel Industrie ist
dort angesiedelt, die potentiell zu einer Verschmutzung des Systems führen
kann. An zwei Beispielen, der Eutrophierung und der Belastung mit organischen Schadstoffen, sollen die Entwicklungen belegt werden.
Unter Eutrophierung versteht man den Prozess der erhöhten biologischen
Produktion in Gewässern, verursacht durch eine verstärkte Zufuhr anorganischer Nährstoffe. Die erhöhte Produktivität, die vordergründig noch nichts
Negatives darstellt, führt jedoch dazu, dass hohe Mengen organischer
Substanz auf den Meeresboden absinken, wo sie unter Sauerstoffzehrung
zersetzt werden. Die Eutrophierung wirkt sich also negativ auf die Sauerstoffverhältnisse im Tiefenwasser der Ostsee aus. Bei den Konzentrationen der
Nährstoffe Phosphat und Nitrat ist seit Ende der 1960er Jahre ein drastischer
Die natürlichen
Besonderheiten der
Ostsee verschärfen
ihre Umweltprobleme.
Eutrophierung ist eines der
Hauptprobleme der Ostsee.
Anwendungsverbote und
-beschränkungen haben zu
einem deutlichen Rückgang
der Belastung durch
Pflanzenschutzmittel und
andere chlororganische
Verbindungen geführt.
Anstieg zu beobachten, der bis Anfang der 1980er Jahre anhielt. Ursachen
waren vor allem die starke Zunahme des Einsatzes von Mineraldüngern und
die ungenügende Reinigung häuslicher Abwässer in den Kläranlagen. Auf
Grund der großen politischen und ökonomischen Veränderungen in Mittel- und
Osteuropa ging der Düngereinsatz gegen Ende der 1980er Jahre stark
zurück. Gleichzeitig begann man Kläranlagen auf den neuesten Stand der
Technik zu bringen. Im Ergebnis dieser Maßnahmen konnte besonders in den
Küstenregionen ein deutlicher Rückgang der Nährstoffgehalte beobachtet werden. Auch in der offenen Ostsee konnte in 8 von 12 untersuchten
Seegebieten ein Rückgang für Phosphat nachgewiesen werden. Für Nitrat,
das komplizierte Eintragspfade aufzuweisen hat, war dies dagegen nur in
einem Seegebiet der Fall (Abb. 3).
Zu den organischen Schadstoffen zählen zahlreiche Pflanzenschutzmittel. Am
bekanntesten sind DDT und Lindan. Darüber hinaus werden chlororganische
Verbindungen in Isolatoren, als Kühlflüssigkeiten und Weichmacher verwendet.
Zu ihnen gehören polychlorierte Biphenyle (PCBs) und Fluor-ChlorKohlenwasserstoffe (FCKWs). Diese Substanzen können in der Nahrungskette
angereichert werden und zu chronischen Schädigungen höherer Organismen
führen. Sie wurden für die Beeinträchtigung der Fortpflanzung von Robben,
Seeadlern und Trottellummen verantwortlich gemacht.
Anwendungsbeschränkungen und –verbote von DDT, Lindan, PCBs und
FCKWs haben mittlerweile zu einem deutlichen Rückgang der zuvor äußerst
bedenklichen Konzentrationen in der marinen Umwelt geführt. Davon profitieren viele Organismen. So reproduzieren sich die Seeadler heute ebenso
erfolgreich wie vor den 1950er Jahren und die Bestände erholen sich. Die
Eischalen der Trottellummen sind mittlerweile wieder genau so dick und fest
wie vor 25 Jahren und die Vögel brüten wieder erfolgreich.
Die Bedrohung, die von all diesen Veränderungen ausging, hat man recht
frühzeitig erkannt, und es wurden Maßnahmen ergriffen, um die Beeinträchtigung wissenschaftlich zu belegen. Zu diesem Zwecke wurde ein Überwachungsprogramm in der Ostsee initiiert, in dem jeder der einzelnen Ostseestaaten verschiedene Aufgaben übernommen hat. Es entstanden Langzeitdatenreihen, die die Grundlage für viele wichtige politische, ökonomische und
ökologische Entscheidungen und Maßnahmen bildeten.
Bereits 1974 haben sich alle Ostseestaaten zur „Helsinki-Kommission zum
Schutz der Meeresumwelt der Ostsee“ zusammengeschlossen.
Im Rahmen dieser Helsinki-Kommission, kurz HELCOM, wurden zum einen
das bereits erwähnte Messprogramm, zum anderen Aktivitäten initiiert, um
den Schutz der Meeresumwelt der Ostsee zu sichern. So wurde im Jahr 1990
ein Aktionsprogramm mit dem Ziel verabschiedet, das ökologische
Gleichgewicht der Ostsee wieder herzustellen und eine Restaurierung der
Ostsee zu sichern, ein Programm, das auf mehr als 20 Jahre angelegt ist. Im
Rahmen dieses Programms wurde nach so genannten Hot Spots gesucht,
das heißt, es wurden Orte identifiziert, von denen eine besonders gravierende
Belastung der Ostsee ausgeht (siehe Abb. 1).
Diese Belastungsschwerpunkte stehen für unterschiedliche Einträge wie häusliche Abwässer, industrielle Abwässer oder Einträge aus der Landwirtschaft.
Insgesamt wurden 132 dieser Schwerpunkte festgestellt. Auch im deutschen
Raum existierten damals 8 davon. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten
Stralsund, Greifswald, Rostock, Neubrandenburg, Wismar, StavenhagenMalchin und ein landwirtschaftlicher Schwerpunkt von dieser Liste gestrichen
werden. Lediglich die Kläranlage in Lübeck ist noch nicht komplett saniert. Es
ist jedoch vorgesehen, die Streichung in diesem Jahr vorzunehmen. Im
gesamten Ostseeraum konnten bisher mehr als 50 der 132 Hot Spots eliminiert werden (Abb. 1). Es liegen also durchaus schon positive Ergebnisse vor.
Jedoch bleiben auch noch viele Aufgaben offen, denen sich die Arbeit der
HELCOM künftig widmen wird. So stellt die Eutrophierung, primär aus diffusen
Quellen, immer noch ein großes Problem für die Ostsee dar. Auch bei den
Schadstoffen gibt es nach wie vor Handlungsbedarf, nicht zuletzt wegen der
Vielzahl neuer Substanzen, die in ihrer Wirkung auf die Lebewesen des
Meeres noch nicht ausreichend bekannt sind. Außerdem wird prognostiziert,
dass der Schiffsverkehr auf der Ostsee in den nächsten Jahren stark zunehmen wird. Schiffsicherheit in den Häfen und auf See, die Vermeidung von
Havarien und zusätzlicher Belastung durch den Schiffsverkehr sind wichtige
damit verbundene Themen. Unverändert problematisch ist auch der Zustand
vieler Fischbestände in der Ostsee, die durch natürliche Ursachen und Überfischung stark gefährdet sind und besonderer Schutzmaßnahmen bedürfen.
Schon vor 30 Jahren
haben sich die OstseeStaaten für den Schutz der
Meeresumwelt der Ostsee
zusammengeschlossen.
Die Hot Spots der Ostsee
sollen nach und nach
beseitigt werden.
Die Probleme der Ostsee
sind noch lange nicht gelöst.
Abb. 1:
Ohrenqualle (Aurelia aurita), Brutpflege in
Bruttaschen (Photo: Erling Svensen)
Abb. 2:
Gelbe Haarqualle oder Feuerqualle
(Cyanea capillata), Medusengeneration
(Photo: Torhild Johanessen)
Abb. 3:
So hübsch kann eine gewöhnliche
Ohrenqualle aussehen
(Photo: Erling Svensen)
Abb. 4:
Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus)
(Photo: Erling Svensen)
Wunderwerke? Filigran? Fischer denken gewiss anders darüber, wenn ihre
Netze im Sommer durch Quallen verstopft sind, oder sie sich in manchen
Jahren beim Einholen der Fanggeräte durch entsprechende Bekleidung und
Motorradbrillen vor der Nesselwirkung schützen müssen. Und was sagen die
Badegäste, wenn sie beim Schwimmen in eine gallertartige Masse greifen
und sich dann auch noch ein Brennen auf der Haut bemerkbar macht? Und
dennoch, es sind Organismen. Wir teilen mit ihnen den Lebensraum und sie
zeichnen sich trotz ihrer Ursprünglichkeit durch ziemlich unerwartete
Eigenschaften aus.
Ihr Körper besteht aus zwei aufeinander liegenden Zellschichten, der äußeren Epidermis und der inneren Gastrodermis. Dazwischen liegt eine zellfreie
Stützschicht, die Mesogloea. Der Magen besteht im Wesentlichen aus einem
Hohlraum. Er findet seine Fortsetzung in einem verzweigten Kanalsystem. Es
gibt nur eine Öffnung nach außen, die gleichzeitig als Mund und After dient.
Ferner sind subtile Nervennetze bekannt, jedoch keine echten Organe. Als
kennzeichnendes Bauelement sind Nesselzellen in der Außenseite des
Schirmes und an Fangarmen zu Beuteerwerb und Abwehr typisch.
Wer aber denkt schon daran, dass der „glibberige Matsch“ über Sinne verfügt? Die Organe dafür sind bei Schirmquallen in acht so genannten
Rhopalien, den Randkörpern, untergebracht. Dank des Gleichgewichtssinnes
können die Quallen zwischen „oben“ und „unten“ differenzieren. Darüber hinaus unterscheiden sie hell und dunkel, in manchen Fällen sogar mehr. Sie
besitzen Augen, die bei einigen Arten sogar mit Linse und Retina ausgestattet sind. Zwei Grübchen, an der Basis und an der Deckplatte der
Randkörper, sind die Riechgruben. Zusätzlich sind zahlreiche Tastsinneszellen vorhanden. Von den Sinneskörpern fließen Nervenimpulse zur Muskulatur im unteren Schirmbereich. Dadurch kommt es zur rhythmischen
Kontraktion, eine Voraussetzung für die so anmutige Fortbewegung. Durch
unterschiedlich starke Bewegungen des Schirmrandes wird sogar „gesteuert“,
bei manchen Arten durch das gerichtete Auspressen eines Wasserstrahles.
Quallen sind überwiegend im Meer zu finden. Sie gehören fast alle zum
Stamm der Nesseltiere (Cnidaria), zu dem insgesamt bis zu 9.000 Arten
gehören. Die ursprünglichste Gruppe bilden die Schirmquallen (Scyphozoa)
Echte Organe besitzen
Quallen nicht, aber
Sinnesorgane!
In der Ostsee leben hauptsächlich die Ohrenqualle
und die Gelbe Haarqualle.
mit etwa 250 Vertretern. Hierher gehören die in der Ostsee am häufigsten
vorkommende und weltweit verbreitete Art, die Ohrenqualle (Aurelia aurita),
und die Gelbe Haarqualle (Cyanea capillata). Letztere ist vor Warnemünde
im Sommer bei Ostwind anzutreffen, wenn salzreiches Tiefenwasser vor der
Küste aufquillt. Im Kattegatt und den Belten kann sie, wie im Jahre 2003, zur
Plage werden. Sie wird hier wie die Ohrenqualle tellergroß. Aus arktischen
Gewässern sind aber Schirmdurchmesser von über 2 Metern bekannt.
Bislang haben wir lediglich über Quallen gesprochen und dazu den analogen
Begriff der Meduse verwendet. Doch bei den Schirmquallen, Hydroiden und
Würfelquallen wechseln aufeinander folgende Generationen ihre Gestalt in
unglaublicher Weise. Dabei gehören sie ein und derselben Art an. Zu der im
freien Wasser schwebenden Meduse gehört die am Boden, an Algen oder
Steinen festsitzende Erscheinungsform, der Polyp. Die Medusen vermehren
sich durch Befruchtung, die Polypen ungeschlechtlich. Im Gegensatz zur
Meduse sind die Polypen nur Millimeter groß.
Aus den frei schwebenden
Medusen entstehen
festsitzende Polypen
und umgekehrt.
Im Laufe des Generationswechsels von Ohrenquallen schnüren sich in der
Ostsee im Spätherbst von den Polypen etwa 50 bis 60 Medusen-Larven ab.
Sie sind genetisch völlig identisch. Die so „geklonten“ Larven wachsen dann
mit 1-3 mm pro Tag zu tellergroßen Weibchen bzw. Männchen heran. Im
Sommer erreichen sie die Fortpflanzungsfähigkeit. Die vier kreis- oder ohrenförmigen Geschlechtsorgane (Gonaden), sind bei weiblichen Tieren rosa und
bei männlichen weiß gefärbt. Die reifen Gonaden platzen, Keimzellen gelangen über den Mund nach außen. Die Befruchtung kann im Gastralraum stattfinden. Dort, in den Gonaden oder in den Taschen der Mundarme erfolgt die
Brutpflege (Abb. 1). Die fertigen, bewimperten Planula-Larven (als Vorstufe
eines Polypen) werden ins Wasser entlassen und setzen sich im Herbst wieder als Polyp fest. Am freistehenden Ende bricht dann ein Mund durch die
doppelwandige Haut und Tentakel beginnen zu knospen. In warmen Jahren
gibt es bis zu 30 cm große Quallen und natürlich viele. Sind
die Winter mild, wachsen schon mal zwei Generationen heran.
Für den Nahrungserwerb spielen die Nesselkapseln eine wichtige Rolle.
Wird das Cnidocil - ein borstenartiger Fortsatz - von der Beute, meist
Ruderfußkrebse und Wasserflöhe, berührt, so explodiert die Kapsel.
Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde wird der Nesselschlauch herausgeschleudert und hakt sich am Opfer fest. Augenblicklich werden Neurotoxine
injiziert. Auch vom Badegast werden die Nesselkapseln besonders gefürchtet. Wenn deren Pfeile unsere Haut durchdringen und das Gift injiziert wird,
reicht die Schädigung je nach Quallenart von Hautreizungen über Herzrhythmusstörungen bis zum Herzversagen. Letzteres wurde im Jahre 2002 aus
dem Warmwasserbereich vor Australien berichtet. In der westlichen Ostsee
kommt es schlimmsten Falls zur schmerzhaften Hautreizung, wenn wir es mit
der Feuerqualle zu tun bekommen. Abspülen der Tentakelreste und Kühlen
mit Eis helfen dann wirksam. Die Ohrenqualle ist völlig ungefährlich. Für ihre
Nesselpfeile ist unsere Haut zu derb.
Die Ohrenqualle ist
völlig ungefährlich.
Außer mit Nesselzellen sind der äußere Schirm und die Mundarme der
Quallen noch mit Geißeln ausgerüstet. Die in Schleim gehüllte Nahrung wird
dadurch in der an der Schirmunterseite befindlichen Futter- und Geißelrinne
konzentriert und von dort aus durch die Mundarme dem Mundrohr zugeführt.
Die Nahrung wird von Enzymen verdaut und anschließend über das verzweigte Kanalsystem im Organismus verteilt.
In Gebieten mit einem Überschuss an Nährstoffen tragen Quallen zur
Gewässerreinigung bei. Sie verbrauchen die aufgenommene Energie hauptsächlich zur Bewegung und Fortpflanzung, denn selbst bestehen sie zu
einem hohen Prozentsatz aus Wasser. Sie hinterlassen demzufolge kaum
abzubauende Substanz.
Quallen können auch
zur Gewässerreinigung
beitragen.
Quallen selbst haben wenige Feinde. Für die Ohrenqualle ist ein Schädling
bekannt: der ziemlich regelmäßig unter dem Schirm lebende, kleine Krebs
Hyperia galba. Er nutzt das Tier nicht nur als „Transporter“, sondern verzehrt
die vom „Wirt“ in der Futterrinne konzentrierte Nahrung. Das kann dazu führen, dass die Qualle verhungert.
Natürlicherweise werden Medusen nur 3, selten 6 - 9 Monate alt und sterben
nach beendeter Fortpflanzung durch Alterstod oder Nahrungsmangel. Die
Polypengeneration lebt länger. Sie kann mehrmals Medusen erzeugen und
dabei ein Alter von mehreren Jahren erreichen. Entwicklungsgeschichtlich
sind die Cnidaria allerdings sehr alt: Medusen gab es bereits vor 500
Millionen Jahren.
Medusen gibt es seit
über 500 Mio. Jahren.
Abb.1:
Stark vergrößerte Aufnahme des Panzerflagellaten Ceratium tripos (Original 220 µm
lang)
Abb.2:
Die im Herbst dominante Kieselalge
Coscinodiscus granii (Original 110 µm)
Abb.3:
Die Kieselalge
Chaetoceros decipiens
Abb.4:
Die fadenförmigen Blaualgen Nodularia spumigena (im Original etwa 12 µm breit) und
Aphanizomenon sp. (etwa 4 µm breit)
Jahreszeiten werden primär durch die Veränderung des Sonnenstandes
und die damit verbundene Zu- und Abnahme von Licht und Temperatur
bestimmt. Das gilt selbstverständlich auch im Meer. Aber die besonderen
physikalischen Eigenschaften des Wassers sorgen dafür, dass sich die jahreszeitlichen Licht- und Temperaturunterschiede unter Wasser etwas anders
auswirken. So werden Temperaturschwankungen im Wasser viel stärker
abgepuffert als in der Luft. Das Licht wird jedoch beim Durchdringen der
Wasseroberfläche durch Reflexion und Brechung noch zusätzlich abgeschwächt. Durch die im Wasser enthaltenen Trübstoffe wird mit zunehmender Wassertiefe die Einstrahlung weiter verringert. Während sich der Winter
an Land also hauptsächlich durch die niedrigen Temperaturen lebensfeindlich auswirkt, so behindert er im Wasser durch eine unzureichende
Lichteinstrahlung die Entfaltung des Lebens. Die Pflanzen am Gewässergrund legen dann eine Winterruhe ein, wie ihre Verwandten an Land.
Die einzige Pflanzengruppe, die auch im Winter wachsen kann, ist das
Phytoplankton. Das sind im Allgemeinen mikroskopisch kleine Organismen,
die im Wasser „umhergetrieben“ werden. Manche dieser Mikroalgen, nämlich die Gruppe der Flagellaten, können sich mittels Geißeln zwar bewegen,
gegen Wellen und Strömungen kommen sie jedoch nicht an. Nur in ruhigem
Wasser schaffen sie es, sich in der Wassertiefe zu halten, in der das Licht
für die Photosynthese günstig ist. Im Winter finden wir deshalb Flagellaten
in der Ostsee, hauptsächlich von der Gruppe der Schlundgeißler
(Cryptophyceae). Es gibt aber auch eine Art von Wimpertierchen (Ciliaten)
besonders in der offenen Ostsee, die sich Algen als Symbionten „eingefangen“ hat und dadurch ebenfalls Photosynthese betreiben kann. Auch diese
Art (Mesodinium rubrum) ist im Winter häufig. Die absolute Menge an
Phytoplankton ist im Winter aufgrund des Lichtmangels allerdings gering.
Daher werden dann auch kaum Nährstoffe (Stickstoff, Phosphor), die quasi
als Dünger nötig sind, verbraucht. Der bakterielle Abbau von abgestorbener
Biomasse setzt im Winter sogar mehr Nährstoffe frei als verbraucht werden.
Außerdem werden weiterhin Nährstoffe über die Flüsse und die Atmosphäre eingetragen, so dass am Ende des Winters die sonst knappen
Nährstoffe reichlich vorhanden sind. Es fehlt nur noch das Licht, um diese
Nährstoffe wieder in Biomasse umzuwandeln.
Nur bestimmte Vertreter
des Phytoplanktons können
auch im Winter wachsen.
Wenn im März die
Sonneneinstrahlung
zunimmt, kommt es zu einer
massenhaften Vermehrung
der Algen, der so genannten
Frühjahrsblüte.
Im späten Frühjahr ist das
Wasser schön klar, denn
nach der Frühjahrsblüte
herrscht Nährstoffmangel.
Der Hochsommer ist die
Zeit der Blaualgen.
Im März steigt die Einstrahlung rapide an, so dass das Licht tiefer in das
Wasser eindringen kann. Die Erwärmung führt nach kalten Wintern zur
Durchmischung der Wassersäule. Für Flagellaten und Ciliaten sind die
Bedingungen jetzt nicht mehr so günstig, denn den Vorteil ihrer Beweglichkeit können sie im turbulenten Wasser kaum noch nutzen. Stattdessen
treten Kieselalgen in den Vordergrund, deren relativ schwere und unbewegliche Zellen durch Turbulenzen besser in der Schwebe gehalten werden. Sie
vermehren sich massenhaft - es kommt zu einer so genannten Algenblüte.
Flagellaten und Ciliaten können da nicht mithalten, so dass die Frühjahrsblüte zumindest in den westlichen Teilen der Ostsee von Kieselalgen dominiert wird (z. B. Chaetoceros spp., siehe Abb. 3). Sie wachsen so lange, bis
der limitierende Nährstoff (im allgemeinen Stickstoff) im durchlichteten
Oberflächenwasser aufgebraucht ist. Dann geht die Kieselalgenblüte zu
Grunde und Flagellaten und Mesodinium rubrum dominieren wieder. Unter
den Flagellaten werden nun die Panzergeißler (Dinophyceae) zur wichtigsten Gruppe, denn sie können zwischen durchlichtetem Oberflächenwasser
und nährstoffreicheren tiefen Wasserschichten wandern und so auch die in
lichtärmeren Tiefen noch vorhandenen Nährstoffreserven erschließen. Doch
auch diese Nährstoffe sind bald aufgebraucht, so dass das Wasser im Mai
und Juni trotz der optimalen Licht- und Temperaturbedingungen schön klar
und nährstoffarm ist.
Die Evolution hat aber Wege gefunden, auch die letzten Ressourcen
zu erschließen. Einige Blaualgen (Cyanobacteria) sind in der Lage, den
reichlich im Wasser gelösten Luft-Stickstoff (N2) unter Energieeinsatz in
biologisch verfügbare Stickstoff-Verbindungen umzuwandeln. Diese
Stickstoff fixierenden Blaualgen (Abb. 4) entwickeln sich hauptsächlich
in der zentralen Ostsee im Juli und August. Sie bauen in ihren Zellen kleine
Gasblasen auf, wodurch sie bei ruhigem Wasser zur Wasseroberfläche aufsteigen, wo sie als gelbliche Algenteppiche deutlich in Erscheinung treten.
Diese Blaualgenblüten können durch Wind und Strömungen an die Küsten
getrieben werden, wo sie den Badespaß verderben, zumal sie toxisch sind
und nicht verschluckt werden sollten. Für das Ökosystem haben sie aber
große Bedeutung, da der durch sie fixierte Stickstoff auch von anderen
Organismen genutzt wird. So können sich in der Zeit der Blaualgenblüte
auch wieder Kieselalgen und Panzerflagellaten entwickeln, die eine wichtige
Nahrungsquelle für Kleinkrebse sind, die wiederum von Fischen gefressen
werden. Aber auch die Blaualgen stoßen an die Grenze des Wachstums,
sobald der Nährstoff Phosphor aufgebraucht ist. Wenn ihre Blüte abgestorben ist, geht die Menge an Phytoplankton insgesamt zurück. In dieser
Situation sind wieder Flagellaten im Vorteil.
Insbesondere in der westlichen Ostsee sind bis zu 0,5 mm große Panzerflagellaten der Gattung Ceratium (siehe Abb. 1) seit dem Sommer ständig
gewachsen. Sie wachsen langsam, werden aber von Kleinkrebsen wegen
ihrer Größe kaum gefressen, so dass sie bis zum Herbst eine hohe Zellzahl
erreichen. Sie sind nur auf die westliche Ostsee beschränkt, da sie nur hier
den hohen Salzgehalt finden, den sie brauchen. Mit der Abkühlung des
Wassers kommt es zu einer immer tieferen Durchmischung, die im Oktober
oder November bis an die nährstoffreichen Wassertiefen heranreicht.
Dadurch gelangt wieder Nährstoff in die durchlichteten oberen Wasserschichten, was wieder Wachstum ermöglicht. In der eigentlichen Ostsee
dominieren im Herbst große Kieselalgen (z. B. Coscinodiscus granii, siehe
Abb. 2). Zu dieser Zeit ist aber auch schon Lichtlimitation zu erwarten. Das
führt schließlich dazu, dass die Phytoplanktonbiomasse im Winter auf ein
Minimum zurückgeht.
Der hier dargestellte Jahresgang der Phytoplanktonentwicklung kann im
konkreten Fall erheblichen Abweichungen unterliegen. In verschiedenen
Seegebieten, insbesondere in Küstengewässern, gibt es oft noch sehr
spezielle Erscheinungen. So können die dominierenden Arten der
Frühjahrsblüte von Jahr zu Jahr wechseln. Auch die Ausprägung der
Blaualgenblüte unterliegt großen Schwankungen. Die wirkenden
Gesetzmäßigkeiten sind jedoch universell, so dass der hier dargestellte
Jahresgang vom Grundsatz her für die Ostsee Allgemeingültigkeit hat.
Mögliche Veränderungen der Bedingungen, zum Beispiel durch Veränderungen des Klimas oder der Nährstoffeinträge, wirken natürlich auch auf
die Ausprägung der Jahreszeiten im Meer ein.
Wenn sich das Wasser im
Herbst abkühlt, stehen
wieder ausreichend
Nährstoffe zur Verfügung.
Abb. 1 - 5:
Rekonstruktion der
Ostseestadien
weiss:
blau:
grün:
Gletscher
Wasser
Festland
Abb. 3:
Das Yoldiameer vor ca. 10.000 Jahren
Abb. 1:
Baltischer Eisstausee vor etwa
15.500 Jahren
Abb. 2:
Bei Billigen öffnet sich ein Zugang
zur Nordsee
Abb. 4:
Der Ancylussee um 9.300 vor heute
Abb. 5:
Um 9.000 vor heute waren weite
Teile der westlichen Ostsee
Festland
Aus geologischer Sicht ist die Ostsee ein außerordentlich junges Meer. Ihre
Geschichte beginnt nach dem Ende der jüngsten Eiszeit vor etwa 15.500
Jahren, als mit dem Abschmelzen der Gletscher im Gebiet der heutigen
Ostsee eine stark gegliederte Becken- und Schwellenlandschaft frei gelegt
wurde. Für den weiteren Verlauf der Ostsee-Entwicklung sind drei Prozesse
von entscheidender Bedeutung:
1. Eustatische Meeresspiegelveränderungen
2. Isostatische Meeresspiegelveränderungen
3. Sedimentdynamisch bedingte Küstenveränderungen
Als eustatische Meeresspiegelveränderungen fasst man alle global wirkenden Veränderungen der in den Meeren befindlichen Wasservolumina
zusammen. Sie werden verursacht durch allgemeine klimatische Veränderungen, wie die globale Erwärmung am Ende einer Vereisungsperiode. So
war zum Beispiel während des Höhepunktes der letzten Eiszeit derartig viel
Wasser in den Gletschern gebunden, dass der Meeresspiegel allgemein 100120 m tiefer lag als heute. Auch der derzeitige Meeresspiegelanstieg infolge
des Treibhauseffektes gehört zur Kategorie der eustatischen Prozesse.
Isostatische Meeresspiegelveränderungen werden zum Beispiel durch die
hohe Auflast von Gletschern auf die Erdkruste verursacht. Als während der
Eiszeiten einige tausend Meter mächtiges Inlandeis auf der skandinavischen
Landmasse lag, bewirkte diese Masse ein Einsinken der Erdkruste in die darunter befindlichen quasiflüssigen Bereiche des Erdmantels. Das Abschmelzen der Eiskappen setzte dann einen Wiederaufstieg der entlasteten Erdkruste in Gang. Gegenwärtig sind solche isostatischen Hebungsvorgänge vor
allem in Skandinavien zu beobachten. Am intensivsten sind sie mit 8 mm pro
Jahr an der Westküste des Bottnischen Meerbusens im Zentrum des ehemaligen Eisschildes. Das Ausmaß nimmt mit wachsender Entfernung von dieser
Region ab, bis die „isostatische Nulllinie“ erreicht wird, an der eine Hebung
nicht mehr messbar ist. Südlich davon führen Ausgleichsbewegungen im
Untergrund zu Senkungsvorgängen. An der Ostseeküste MecklenburgVorpommerns verläuft die Nulllinie etwa vom Fischland aus ostsüdöstlich zum
Oderhaff. Gebiete, die südwestlich davon liegen (z. B. der Raum LübeckWismar), sinken ab, nordöstlich der Linie (z. B. Rügen) findet Hebung statt.
Das Abschmelzen der
Gletscher führte zu einem
so genannten eustatischen
Meeresspiegelanstieg.
Isostatische
Meeresspiegeländerungen
hängen mit
Druckentlastungen der
Erdkruste zusammen.
Überlagert werden eustatische und isostatische Meeresspiegelveränderungen von sedimentdynamisch bedingten Küstenveränderungen.
Durch Wellen- und Strömungstätigkeit werden exponierte Küstenbereiche
abgetragen und andere neu gebildet. Im Endeffekt entsteht eine im sedimentdynamischen Gleichgewicht befindliche Ausgleichsküste. Das Zusammenspiel
dieser 3 Prozesse bewirkte, dass sich die Entwicklungsgeschichte der Ostsee
als komplizierte Abfolge von Süßwasser- und Brackwasserphasen mit stark
veränderlichen Küstenlinien darstellt.
Am Anfang der
Ostseegeschichte
steht ein Eisstausee.
Zunächst bildete sich im südlichen Ostseeraum vor der im Rückzug befindlichen Gletscherfront eine Reihe von kleinen Eisstauseen. Vor etwa 15.500
Jahren entstand daraus ein größerer zusammenhängender Baltischer
Eisstausee (Abb. 1) - ein See also, dessen Wasser überwiegend aus dem
abschmelzenden Gletscher stammte. Diese Phase endete etwa 12.200 Jahre
vor heute mit einem plötzlichen Absinken des Wasserspiegels um ca. 25 m.
Als Ursache wird angenommen, dass das Eis im Gebiet um Billingen im südlichen Mittelschweden einen Weg in Richtung Kattegat freigegeben hatte, der
nun als Entwässerung des Eisstausees diente (Abb. 2).
Eine kleine Muschel beweist,
dass vor rund 12.000 Jahren
zum ersten Mal Salzwasser
in das Ostseebecken floss.
Damit begann die nächste Phase der Ostsee-Entwicklung, die Phase des
Yoldia-Meeres. Benannt ist diese Phase nach der Muschel Yoldia arctica, die
an Salzwasser gebunden ist und in Meeresablagerungen aus dieser Zeit
gefunden wurde. Ihr Auftreten beweist, dass das Ostseebecken damals
zumindest zeitweise mit dem Atlantik in Verbindung stand. Die Yoldia-Phase
dauerte bis etwa 10.800 Jahren vor heute an (Abb. 3).
Die Ancylus-Phase zeichnet
sich durch Süßwasser aus.
Mit dem fortschreitenden isostatischen Anstieg Schwedens verengte sich die
Verbindung zwischen dem Ostseebecken und dem Kattegat. Gegen 10.800
vor heute war diese Verbindung schließlich so schmal geworden, dass das
Wasser im Ostseebecken gestaut wurde. Eine neue Phase der OstseeEntwicklung, die des Ancylus-Sees, hatte begonnen. Benannt wird dieses
Stadium nach der Süßwasserschnecke Ancylus fluviatilis. Ihr Vorkommen
belegt, dass das Wasser des Ancylus-Sees Süßwasser war. Etwa 10.400
Jahre vor heute setzte relativ plötzlich ein starker Rückgang des Wasserspiegels ein. Offenbar hatte sich die Verbindung zwischen Ancylus-See und
Kattegat in diesem Zeitraum plötzlich erheblich verbessert. Von einigen
Wissenschaftlern wird angenommen, dass sich das Wasser des Ancylus-Sees
seinen Weg in einem „katastrophalen Übersturz“ über die Darßer Schwelle,
den Fehmarn Belt sowie den Großen Belt in das Kattegat bahnte. Neue
Ergebnisse geologischer Untersuchungen in diesem Bereich lassen an diesem Szenarium allerdings Zweifel aufkommen. Spuren eines solchen katastrophenartigen Ereignisses sind bislang jedenfalls noch nicht gefunden worden.
Im Zeitraum von 10.200 - 9.000 vor heute war die Verbindung zwischen
Ostseebecken und Kattegat groß genug, um ein erneutes Aufstauen des
Ancylus-Sees zu verhindern. Zu einem Einstrom salzhaltigen Meerwassers
kam es jedoch nicht. Abgesehen vom Arkonabecken und einem See an der
tiefsten Stelle der Mecklenburger Bucht waren weite Teile des deutschen
Küstenvorfeldes Festland. Das änderte sich jedoch mit den zunehmenden
Auswirkungen des globalen eustatischen Meeresspiegelanstiegs. Zwischen
8.800 und 8.000 vor heute lässt sich ein außerordentlich schneller Anstieg des
Wasserspiegels von rund 2,5 cm pro Jahr nachweisen. Diese Phase der
Ostsee-Entwicklung wird Litorina-Meer genannt, nach der Salzwasser anzeigenden Schnecke Littorina littorea. Belte und Öresund wurden überflutet und
damit kam es zu einer tief greifenden Umgestaltung der Küstenlinien,
besonders in der südlichen und westlichen Ostsee. Bis etwa 6.000 vor heute
verlangsamte sich der Wasserspiegelanstieg auf Werte von durchschnittlich
ca. 0,3 cm pro Jahrhundert. Zu diesem Zeitpunkt lag der Wasserspiegel der
Ostsee nur noch 1 m unter seinem heutigen Niveau, um danach keinen
größeren Schwankungen mehr unterworfen zu sein.
Mit der Verlangsamung des Wasserspiegelanstieges spielten Küstenausgleichsprozesse eine zunehmend wichtige Rolle bei der Gestaltung der
Ostseeküsten. Dementsprechend dominierten in der südlichen und westlichen
Ostsee wind- und strömungsgesteuerte Abtragungs-, Transport- und
Anlandungsprozesse gegenüber eustatischen und isostatischen Vorgängen.
Durch diese Küstenausgleichsprozesse entstand die heutige Form der Küste
Mecklenburg-Vorpommerns und diese Vorgänge sind auch heute noch außerordentlich wirksam. In nur 100 Jahren führten sie zum Beispiel auf der Insel
Hiddensee zur Bildung des Neuen Bessin, der immer noch jährlich um beachtliche 30 m anwächst. Lieferant für das dafür notwendige Sedimentmaterial ist
die Steilküste des Dornbuschs, die Jahr für Jahr zurückweicht.
Das so genannte LitorinaMeer war der heutigen
Ostsee schon sehr ähnlich.
Küstenausgleichsprozesse
prägen die südliche
Ostseeküste.
Abb.1:
Ein Baumstumpf am Ostseeboden beweist,
dass hier einmal Festland war.
Abb.2:
Vergrößerter Querschnitt
durch eine baltische Eiche
Mit der so genannten Litorina-Transgression, einer durch den weltweiten
Meeresspiegelanstieg ausgelösten Überflutung weiter Festlandsbereiche im
südlichen Ostseeraum, nahm die Ostsee vor rund 8.000 Jahren in etwa ihre
heutige Gestalt an. Über das genaue Alter dieser Überflutung gibt es widersprüchliche Meinungen. Dabei kreisen die wissenschaftlichen Arbeiten
immer wieder um die Frage, welche der drei Meerengen (Großer Belt,
Kleiner Belt, Öresund) zwischen Nord- und Ostsee als erste zum Einfallstor
für das Salzwasser aus dem Kattegat wurde. Dies ist auch für die
Siedlungsgeschichte an den südlichen Ufern der Ostsee von großer
Bedeutung. Je nachdem, ob die Überflutung zunächst durch die Belte oder
den Öresund erfolgte, wären zunächst die Siedlungen westlich oder östlich
der Darßer Schwelle davon betroffen gewesen.
Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes sollen diese Fragen
geklärt werden. Eine zentrale Rolle nehmen dabei Altersdatierungen ein.
Die neuen AMS-14C-Datierungsmethoden gestatten im Vergleich zu
traditionellen Verfahren eine genauere Altersbestimmung an sehr kleinen
Mengen organischen Materials. Mit dieser Methode soll das Alter der jüngsten Süßwasser- und ältesten Brackwassersedimente in verschiedenen
Gebieten der westlichen Ostsee bestimmt werden. Auf diese Weise erhofft
man sich, den Verlauf der Überflutung zeitlich und räumlich genauer erfassen zu können. Mit speziellen Forschungsschiffen werden dazu geeignete
Sedimentkerne für eine sedimentologische, paläobotanische und archäozoologische Analyse gewonnen, die eine Rekonstruktion der damaligen
Umweltbedingungen und -entwicklung ermöglichen.
Eine weitere Möglichkeit zur zeitlichen Eingrenzung der LitorinaTransgression bieten auf dem Meeresboden anzutreffende Baumreste.
Diese lassen sich neben der Isotopengestützten Datierung unter bestimmten Umständen auch dendrochronologisch, also mit Hilfe der Baumringe,
datieren. Wenn diese Baumstämme nicht am Meeresboden umgelagert
wurden, bilden sie eine willkommene Zeitmarke für festländische
Bedingungen zu ihrer Entstehungszeit in ihrer heutigen Wassertiefe. Je
mehr solcher Baumreste in unterschiedlichen Wassertiefen angetroffen,
beprobt und datiert werden, desto genauer können Aussagen zum Überflutungsverlauf im betreffenden Gebiet gemacht werden. Mittlerweile konnten
Mit Altersdatierungen
versucht man das genaue
Alter der Überflutung
herauszufinden.
durch die Forschungstaucher des Instituts für Ostseeforschung und des
Archäologischen Landesmuseums an verschiedenen Positionen in der
Mecklenburger Bucht Proben von über dreißig Baumstümpfen in
Wassertiefen zwischen und –13 m und –1 m Wassertiefe geborgen werden.
Erste Radiokarbonergebnisse liegen für den Trollegrund westlich von
Kühlungsborn und für den Jäckelgrund nördlich der Insel Poel vor.
Auch archäologische Befunde können bei der Rekonstruktion des
Transgressionsprozesses helfen. Erste Untersuchungen an steinzeitlichen
Küstensiedlungen vor der Insel Poel ergaben bereits wichtige Hinweise für
den Verlauf des Wasserspiegelanstiegs in dieser Region.
Heute liegen steinzeitliche
Küstensiedlungen
unter Wasser.
Die derzeitig vorliegenden Informationen deuten im Bereich der
Mecklenburger Bucht auf einen sehr schnellen Meeresspiegelanstieg vor
etwa 8000 Jahren hin. Für das Gebiet östlich der Darßer Schwelle müssen
die vorhandenen Daten noch verdichtet werden, um vergleichende
Aussagen machen zu können.
Diese Fragen werden im Rahmen des von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes „SINCOS - Sinkende
Küsten“ bearbeitet. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter
http://www.sincos.com.
Das IOW - Forschen für die Ostsee
Das Leibniz-Institut für Ostseeforschung an der Universität Rostock wurde
1992 auf Empfehlung des Wissenschaftsrates neu gegründet. Seine
Vorgängereinrichtung war das Akademie-Institut für Meereskunde
Warnemünde. Mit der Neugründung wurde dem Institut eine besondere
Hinwendung zum Ökosystem Ostsee ins Stammbuch geschrieben.
In den vier Sektionen des IOW sind die Disziplinen Physikalische
Ozeanographie, Meereschemie, Biologische Meereskunde und Marine
Geologie vertreten. Eine Arbeitsgruppe Messtechnik ist der Sektion
Physikalische Ozeanographie zugeordnet. Gemeinsam bearbeiten die
Sektionen ein langfristiges Forschungsprogramm mit den Schwerpunkten
„Transport- und Transformationsprozesse im Meer“, „Marine Lebensgemeinschaften und Stoffkreisläufe“ und „Marine Ökosysteme im Wandel externer Einfluss und interner Wandel“. Insgesamt sind rund 160
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am IOW tätig. Direktor ist seit 1997
Prof. Dr. Bodo v. Bodungen.
Das Institut für Ostseeforschung Warnemünde ist ein Forschungsinstitut
der Leibniz-Gemeinschaft (WGL). Es wird gemeinsam vom Bund und dem
Land Mecklenburg-Vorpommern finanziert. Als An-Institut ist es der
Universität Rostock angegliedert. Seine Professoren und Professorinnen
beteiligen sich dort an der Lehre in den Fachbereichen Biologie, Chemie
und Physik. Die beiden Professoren der Sektion Marine Geologie lehren
an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) hat dem IOW
die Aufgaben des Ostsee-Monitoring übertragen, zu dem sich die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit den anderen Ostseeanrainerstaaten
in der Helsinki-Konvention verpflichtet hat. Gleichzeitig betreut das IOW für
das BSH auf der Darßer Schwelle, in der Arkonasee und in der Oderbucht
automatische Messstationen.
Dr.Barbara Hentzsch
Für die Arbeiten auf See
stehen dem IOW die beiden
Forschungsschiffe
»Professor Albrecht Penck«
(siehe Bild) und ab Herbst
2005 »Maria S. Merian«
zur Verfügung.
Impressum:
Herausgeber:
Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW)
Seestraße 15, D-18119 Rostock
Tel.: 0381 51970
postmaster@io-warnemuende.de
http://www.io-warnemuende.de
Redaktion:
Dr. Barbara Hentzsch
Layout:
Robert Aldag
Satz: dekas
Druck: Druckhaus Trautmann