Regionale Versorgung des malignen Pleuramesothelioms

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Regionale Versorgung des malignen Pleuramesothelioms
Originalien
Chirurg 2013 · 84:987–993
DOI 10.1007/s00104-013-2518-8
Online publiziert: 6. Juni 2013
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
M. Ried1 · U. Speth1 · T. Potzger1 · R. Neu1 · C. Diez2 · M. Klinkhammer-Schalke3 
H.-S. Hofmann1, 4
1 Abteilung für Thoraxchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg
2 Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und herznahe Gefäßchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg
3 Tumorzentrum Regensburg e. V., Regensburg
4 Klinik für Thoraxchirurgie, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg
Regionale Versorgung
des malignen
Pleuramesothelioms
Ergebnisse aus dem
Tumorzentrum Regensburg
Das maligne Pleuramesotheliom
(MPM) ist ein hochmaligner, lokal ag­
gressiv wachsender Tumor ausge­
hend von den Mesothelzellen der
Pleura parietalis. 1960 wurde erst­
mals ein Zusammenhang zwischen
Asbest und dem MPM beschrieben
[1]. Obwohl das MPM eine seltene
Tumorentität ist, sind aufgrund der
Korrelation mit einer früheren As­
bestexposition die regionale Vertei­
lung unterschiedlich und die Inzi­
denz weiterhin ansteigend [2]. Da
zwischen einer Asbestexposition und
dem ­Auftreten des MPM eine Latenz­
zeit von 20 bis 40 Jahren liegt, erwar­
tet man den Gipfel der Inzidenz in
Deutschland im Jahr 2017 [3]. Damit
wird sich die Inzi­denz in Europa von
1,4/100.000 in den 1990er Jahren bis
2015 verdoppelt haben [4].
Die klinischen Symptome (Dyspnoe, tho­
rakale Schmerzen) sind unspezifisch,
was oft zu einer Diagnoseverzögerung
von 6 bis 8 Monaten führt [5]. Zu die­
sem Zeitpunkt ist die Erkrankung meist
schon fortgeschritten [6]. Patienten mit
einem MPM haben daher allgemein eine
schlechte Prognose mit einem medianen
Überleben von 6 bis 12 Monaten [7].
Die beste Überlebensprognose ­bieten
multimodale Therapien bestehend aus
operativer Resektion, Chemotherapie
und ggf. anschließender Strahlenthera­
pie des befallenen Hemithorax [8]. Vor­
aussetzung dafür ist neben einer frühzeiti­
gen Erkennung auch eine sorgfältige Aus­
wahl der Patienten in Hinblick auf das Tu­
morstadium und den histologischen Sub­
typ [9]. Bei inoperablen Patienten wird
palliativ eine Chemotherapie oder zur
symptomatischen Behandlung der rezi­
divierenden Pleuraergüsse eine Talkum­
pleurodese bzw. die Anlage eines dauer­
haften Pleurakatheters empfohlen [10].
Das Ziel dieser retrospektiven Studie
war die Erfassung der regionalen Ver­
teilung des MPM und dessen medizi­
nische Versorgung speziell unter dem
­Blickwinkel der chirurgischen Therapie.
Diese Daten sollen Rückschlüsse auf mög­
liche Aktionen zur Verbesserungen von
Diagnostik und Therapie des MPM für
den zu erwartenden Inzidenzhöhepunkt
in den nächsten Jahren eröffnen.
Patienten und Methoden
Studiendesign
In einer retrospektiven Analyse wurden
alle Patienten mit einem zytologischen
bzw. histologisch gesicherten MPM, die
dem Tumorzentrum Regensburg im Zeit­
raum von Januar 1998 bis August 2011 ge­
meldet wurden, ausgewertet. Die Patien­
ten stammen aus allen 7 ­Landkreisen der
Oberpfalz (Bayern): Regensburg, Schwan­
dorf, Cham, Neumarkt, Amberg/Sulz­
bach, Neustadt an der Waldnaab und Tir­
schenreuth. Demographische Daten, The­
rapiedaten, klinischer Verlauf und Ergeb­
nisse der Verlaufskontrollen ­wurden an­
hand aller Behandlungsschritte in den
verschiedenen Kliniken bzw. ambulanten
Arztpraxen erhoben.
Bei allen Patienten wurden eine
Pleura­punktion (Zytologie) und/oder
­eine Thora­koskopie bzw. videoassistier­
te thorakoskopische Chirurgie (VATS)
mit Pleurabiopsie (Histologie) zur pa­
thologischen Sicherung der Diagno­
Diese Arbeit wurde als Vortrag bei der 21. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie im September 2012 in Karlsruhe
vorgestellt.
Der Chirurg 11 · 2013 | 987
Originalien
Tab. 1 Demographische und histologische Daten der MPM-Patienten (n=118)
Variable
Männliches Geschlecht (n)
Alter (Jahre [MW ± SD; Minimum – Maximum])
Asbestexposition (n)
Pleurapunktion und Zytologie (alleinig) (n)
Operative Probenentnahme (Biopsie) und Histologie (n)
Zytologische/histologische Einteilung (Subtypen) (n)
– Epitheloid
– Biphasisch
– Sarkomatös
– Nicht näher differenzierbar
Patienten
100 (85%)
67,1±8,04 (45–84)
77 (65%)
31 (26%)
87 (74%)
69 (58%)
18 (15%)
3 (3%)
28 (24)
MPM malignes Pleuramesotheliom.
Tab. 2 MPM-Inzidenzen in den Landkreisen des Tumorzentrums Regensburg 01/1998 bis
08/2011
Region
Schwandorf
Regensburg
Neustadt a. d. Waldnaab
Tirschenreuth
Amberg-Sulzbach
Cham
Neumarkt
Tumorzentrum Regensburg
Einwohnera
142.804
322.289
97.211
116.763
148.935
128.322
127.769
1.081.120
MPM-Fälle
41
34
10
10
10
8
5
118
Fälle/100.000 Einwohner
2,13
0,78
0,76
0,63
0,5
0,46
0,29
0,81
MPM malignes Pleuramesotheliom.
aBayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung – Fortschreibung des Bevölkerungsstandes (2010).
Tab. 3 Operative Verfahren (n=87; 74%) nach (potenziell) kurativem und palliativem
Therapieansatz bei MPM
Variable
Palliativer Therapieansatz
VATS und Biopsie
VATS, Biopsie und Talkumpleurodese
Thorakotomie, Biospie und Tumordebulking
Kurativer Therapieansatz
Pleurektomie/Dekortikation
– Ohne HITHOC
– Mit HITHOC
Extrapleurale Pleuropneumonektomie
Patientenzahl
70 (81%)
37 (43%)
19 (22%)
14 (16%)
17 (19%)
15 (17%)
7
8
2 (2%)
HITHOC hypertherme intrathorakale Chemotherapie, MPM malignes Pleuramesotheliom, ­
VATS ­videoassistierte thorakoskopische Chirurgie.
se durchgeführt. Die histologische Ein­
teilung der MPM erfolgte in die Subty­
pen ­epitheloid, biphasisch, sarkomatös
bzw. in nicht ­näher differenzierbar. Das
Staging beinhaltete die standardmäßi­
gen bildgebenden Verfahren (Computer­
tomographie, Magnetresonanztomogra­
phie, Posi­tronenemissionstomographie,
Sonographie), sodass eine Stadieneintei­
lung nach der UICC/AJCC (7. Auflage)
erfolgen konnte [11]. Operationen wurden
in potenziell kurative und palliative The­
rapieansätze unterteilt. Multimodale Be­
988 | Der Chirurg 11 · 2013
handlungen bestanden aus der operativen
Therapie, Chemo- und/oder Radiothera­
pie in Abhängigkeit vom Tumorstadium
und Allgemeinzustand des Patienten.
Nachuntersuchungen
Primäre Endpunkte dieser ­retrospektiven
Studie waren die Erfassung der regio­
nalen Verteilung bzw. Inzidenz und der
unterschiedlichen kurativen bzw. pallia­
tiven Behandlungsverfahren bei Patien­
ten mit gesichertem MPM. ­Sekundärer
Endpunkt war die Analyse des Gesamt­
überlebens bis zum Ende des Nachunter­
suchungszeitraums im August 2012.
Überlebens- und Rezidivdaten ­wurden
durch eine detaillierte Analyse der
­Patientenakten, telefonische Auskunft
von Hausärzten/­Onkologen und den
­zuständigen Melderegistern bzw. Bürger­
ämtern erhoben.
Statistische Analyse
Alle Daten wurden in einer Excel-­Tabelle
gesammelt. Die statistische ­A nalyse
­erfolgte mit SPSS 16.0 Software für Win­
dows (SPSS Inc, Chicago, IL, USA).
Die Ergebnisse wurden als Zahlen mit
­Prozentwerten oder als Mittelwerte mit
Minimum bis Maximum dargestellt, falls
nicht anders vermerkt. Die Kaplan-­MeierKurven wurden mit dem Programm ­Stata/
SE 10.02 erstellt. Mit der Kaplan-MeierAnalyse wurden die Überlebenszeiten
vom Zeitpunkt der ­Diagnose bis zum
Tod oder Ende des Nachuntersuchungs­
zeitraums im August 2012 ­berechnet. Ein
­p-Wert <0,05 wurde als statistisch signifi­
kant definiert.
Ergebnisse
Demographische und
histologische Daten
Während des Studienzeitraums ­wurden
insgesamt 118 Patienten mit einem nach­
gewiesenen MPM beim ­Tumorzentrum
Regensburg gemeldet (. Tab. 1). Die
Inzidenz des MPM in der ­gesamten
Ober­pfalz liegt damit bei ca. 0,8 pro
100.000 ­E inwohner. Die Mehrzahl
­der Patienten wurden aus der Region
­Schwandorf (n=41; 35%) gemeldet, ­gefolgt
von der Region Regensburg (n=34; 29%)
und den restlichen Regionen der Ober­
pfalz: Amberg-Sulzbach (n=10; 8%),
­Tirschenreuth (n=10; 8%), Neustadt an
der Waldnaab (n=10; 8%), Cham (n=8;
7%) und Neumarkt (n=5; 5%). Die Inzi­
denz des MPM war damit innerhalb des
Tumorzentrums Regensburg regional
sehr unterschiedlich (. Tab. 2).
Insgesamt 100 Patienten waren männ­
lich (85%) und das mittlere Alter zum
Zeitpunkt der Diagnose lag bei 67,1±8,0
Jahren (45–84 Jahre). Bei allen Patienten
Zusammenfassung · Abstract
wurde eine diagnostische Pleurapunk­tion
zur Entlastung des Pleuraergusses und
insbesondere zur Gewinnung von Erguss­
material für eine zytologische Untersu­
chung durchgeführt. Es folgte die Eintei­
lung in die verschiedenen histolo­gischen
Subtypen: epitheloid (n=69; 58%), bi­
phasisch (n=18; 15%) und sarkomatös
(n=3; 3%). Bei ca. 24% der Fälle war keine
­exakte histologische Differenzierung des
MPM möglich.
Einteilung nach UICC-Stadien
Ein komplettes Staging lag bei 81 Patien­
ten (67%) vor, sodass in diesen Fällen eine
Stadieneinteilung nach der UICC-Klassi­
fikation erfolgen konnte. 9% ­dieser Pa­
tienten befanden sich im Stadium I, 22%
im Stadium II, 23% im Stadium III und
26% bereits im Stadium IV.
Operative Therapie
Bei 31 Patienten (26%) wurde eine al­
leinige Thorakozentese durchgeführt,
während bei 87 Patienten (74%) zusätz­
lich ­eine operative Biopsie der ­Pleura
­parietalis bzw. tumorsuspekter Herde
durchgeführt wurde. Mindestens eine
Operation ist somit bei 87 Patienten (74%)
durchgeführt worden (. Tab. 3). 81% der
operativen Eingriffe wurden mit einer
palliativen Intention durchgeführt und
dienten der alleinigen primären Histolo­
giegewinnung durch eine VATS (43%),
der thorakoskopischen Talkumpleuro­
dese (22%) oder einem offenen Tumor­
debulking durch ­eine partielle Pleurek­
tomie (16%). Bei 19% der Patienten hat­
te die Opera­tion ­einen potenziell kurati­
ven Therapieansatz. Ziel war in allen Fäl­
len eine möglichst komplette makrosko­
pische Tumorresektion durch eine ex­
trapleurale Pneumonektomie (n=2) oder
eine radikale Pleurektomie mit Dekorti­
kation (n=15). Bei 8 von 15 Patienten wur­
de die ­Pleurektomie/Dekortikation durch
eine intraoperative hyper­therme intra­
thorakale Chemotherapie (HITHOC)
mit Cisplatin ergänzt. All ­diese Patien­
ten wurden im Rahmen eines multimo­
dalen Therapieansatzes bei potenziell ku­
rativer Therapieintention mit einer neobzw. adjuvanten Chemotherapie, der radi­
kalen chirurgischen ­Resektion und/oder
Chirurg 2013 · 84:987–993 DOI 10.1007/s00104-013-2518-8
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
M. Ried · U. Speth · T. Potzger · R. Neu · C. Diez · M. Klinkhammer-Schalke · H.-S. Hofmann
Regionale Versorgung des malignen Pleuramesothelioms.
Ergebnisse aus dem Tumorzentrum Regensburg
Zusammenfassung
Hintergrund. Das maligne Pleuramesotheliom (MPM) ist ein häufig asbestassoziierter
hochmaligner Tumor der Pleura parietalis mit
einem Inzidenzhöhepunkt in den nächsten
Jahren. Die chirurgischen Therapiemöglichkeiten sind aufgrund des meist fortgeschrittenen Tumorstadiums begrenzt.
Patienten und Methoden. ­Retrospektiv
wurden alle Patienten mit MPM, welche
dem Tumorzentrum Regensburg im Zeitraum ­Januar 1998 bis August 2011gemeldet
­wurden, analysiert.
Ergebnisse. Insgesamt wurden 118 Patienten (85% männlich, mittleres Alter: 67
Jahre) mit zytologisch bzw. histologisch
­gesichertem MPM erfasst. Die Inzidenz des
MPM im Tumorzentrum Regensburg lag bei
ca. 0,8 pro 100.000 Einwohner, wobei deutliche regionale Unterschiede aufgrund arbeitsbedingter Asbestexposition bestanden. Bei
65% der Patienten konnte eine frühere Asbestexposition anamnestisch nachgewiesen
werden. Ein komplettes Staging wurde bei
81 Patienten (67%) durchgeführt: ­Stadium I
9%, Stadium II 22%, Stadium III 23% und Sta-
dium IV 46%. Bei 87 (74%) Patienten wurde
mindestens ein operativer Eingriff durchgeführt: diagnostische Thorakoskopie mit Biopsie (n=37; 43%), Tumordebulking bzw. Talkumpleurodese (n=33; 38%) und die potenziell kurative Resektion (n=17; 19%). Nach
einem mittleren Follow-up von 20 Monaten
lag die mediane Überlebenszeit bei 14 Monaten (1-JÜR[-Jahres-Überlebens­rate] 62%;
3-JÜR 15%). Patienten nach kurativer Resektion hatten mit 18 Monaten ein ­signifikant
besseres medianes Überleben.
Schlussfolgerung. Das MPM ist durch
Schwerpunkte der industriellen Asbestexposition regional deutlich unterschiedlich verteilt. Das Screening und die Diagnostik sollten sich auf Standorte erhöhter Inzidenz konzentrieren, um durch eine frühzeitige ­Erkennung multimodale Therapiekonzepte zu ermöglichen.
Schlüsselwörter
Pleuramesotheliom · Asbestexposition ·
Epidemiologie · Pleurektomie/Dekortikation ·
Chemotherapieperfusion
Regional treatment of malignant pleural mesothelioma.
Results from the tumor centre Regensburg
Abstract
Introduction. Malignant pleural mesothelioma (MPM) is an aggressive, malignant tumor of the pleural surface and is strongly associated with asbestos exposure. Incidence
of MPM will reach its peak over the coming
years. Most patients present with advanced
tumor stages and therefore surgical options
are limited.
Patients and methods. Retrospective analysis of all patients with MPM reported to the
tumor centre Regensburg between January
1998 and August 2011.
Results. A total of 118 patients (85 % male)
with cytologically or histologically confirmed
MPM were reported. The mean age at diagnosis was 67 years (range 45–84 years) and
65 % of patients had a history of asbestos exposure. The incidence of MPM at the tumor
centre Regensburg was 0.8/100,000 inhabitants with obvious regional differences depending on asbestos exposure. Staging was
completed in 81 patients (67 %): stage I 9 %,
stage II 22 %, stage III 23 % and stage IV 46 %.
Of the patients 87 (74 %) underwent at least
one surgical procedure: diagnostic thoracoscopy with biopsy (n=37, 43 %), debulking
surgery or talcum pleurodesis (n=33, 38 %)
and potentially curative resection (n=17,
19 %). After a mean follow-up of 20 months
the overall median survival was 14 months
(1 year survival rate 62 %, 3 year survival rate
15 %). Patients had a significantly better median survival of 18 months after curative resection.
Conclusions. The distribution of MPM varies
according to regional and industrial asbestos
exposure. Screening and diagnostics should
concentrate on locations with higher incidence of MPM to facilitate surgical therapy in
a multimodal treatment regime.
Keywords
Malignant pleural mesothelioma · Asbestos
exposure · Epidemiology ·
Pleurectomy/decortication · Chemotherapy
perfusion
Der Chirurg 11 · 2013 | 989
Originalien
Tab. 4 Operative Eingriffe (kurativ, palliativ) bei insgesamt 87 Patienten in Abhängigkeit
vom UICC-Stadium des MPM
Therapieansatz
Palliativ
(n=70; 81%)
Kurativ
(n=17; 19%)
Stadium I+II
9 (10%)
Stadium III+IV
34 (39%)
Unbekanntes Stadium
27 (31%)
11 (13%)
6 (7%)
0 (0%)
MPM malignes Pleuramesotheliom.
einer adjuvanten Strahlentherapie in Ab­
hängigkeit vom Tumorstadium und dem
Allgemeinzustand versorgt.
Bei 20% der palliativ operierten Pa­
tienten (n=70) wurde zusätzlich eine
Chemotherapie (n=14), eine Strahlenthe­
rapie (n=21; 30%) oder eine kombinier­
te Radio­chemotherapie (n=25; 36%) im
Sinne­ ­einer multimodalen Behandlung
durchgeführt. 14% (n=10) erhielten keine
zusätzliche Therapie („best supportive ca­
re“). . Tab. 4 zeigt die beiden operativen
Therapieansätze abhängig vom präopera­
tiven Staging.
Überlebensanalyse
Nach einem mittleren Nachuntersu­
chungszeitraum (Follow-up) von 20 Mo­
naten (0–119 Monate) waren noch 7 Pa­
tienten (6%) am Leben. Das mediane
Überleben aller Patienten betrug 14 Mo­
nate. Die 1-JÜR(Jahres-­Überlebensrate)
lag bei 62%, die 3-JÜR bei 15% und die
5-JÜR bei 6% (. Abb. 1). Patienten in
frühen Stadien (I und II) hatten mit 18
Monaten ein längeres medianes Überle­
ben verglichen mit den Patienten in fort­
geschrittenen Stadien (III und IV: media­
nes Überleben 14 Monate) oder den Pa­
tienten ohne komplettes Staging (media­
nes Überleben 13 Monate). Die 17 Patien­
ten mit einem potenziell kurativen Thera­
pieansatz hatten ein signifikant (p=0,013)
besseres medianes Überleben (18 Mona­
te; 1-JÜR =88%, 3-JÜR =35%) gegenüber
den 101 Patienten mit einer rein palliativen
Therapie (14 Monate; 1-JÜR =57%, 3-JÜR
=12%, . Abb. 2).
Diskussion
Die Prognose des MPM ist mit einem
medianen Überleben von 14 Monaten
bei Betrachtung des gesamten Patienten­
kollektives auch in der heutigen Zeit
schlecht. Die unspezifischen klinischen
990 | Der Chirurg 11 · 2013
Symptome und die damit verbundene
späte Diagnosestellung führen häufig zu
einem fortgeschrittenen Stadium mit In­
operabilität [8]. Zusätzlich erschweren
die relative Resistenz gegenüber einer
­Strahlen- bzw. Chemotherapie eine effek­
tive Behandlung mit der Folge einer un­
günstigen Prognose [3].
In Deutschland besteht seit 1993 ein
Asbestverbot und seit 1997 wird das MPM
als Berufserkrankung anerkannt, da eine
eindeutige Korrelation zwischen Asbest­
kontakt und dem MPM besteht [12]. Bei
65% unserer Patienten mit MPM war ­eine
frühere Asbestexposition ­eindeutig nach­
weisbar. Die regionale Verteilung des
MPM variiert hauptsächlich aufgrund
der unterschiedlichen Asbestbelastung
durch die Industrie [2]. So gab es auch in
der vorliegenden Studie erhebliche Unter­
schiede in der Inzidenz des MPM in den
einzelnen Regionen des Tumorzentrums
Regensburg. Die höchste Inzidenz wurde
im Kreis Schwandorf mit 2,13 pro 100.000
Einwohnern ermittelt; hier liegt sie deut­
lich über dem Durchschnitt des Tumor­
zentrums Regensburg, aber auch ­Europas
[4]. Die meisten Fälle (35%) traten in
unserer Studie bei Beschäftigen eines
Braunkohlekraftwerks auf. Es gibt kein
allgemein vereinbartes Protokoll für das
Screening von Menschen, die Asbest aus­
gesetzt waren. Sowohl CT als auch serolo­
gische Marker haben keine Verbesserung
der Früherkennung erbracht [13]. Dies
schließt jedoch nicht aus, dass man ge­
rade in Regionen mit Industriebetrieben
mit historisch klassischem Asbestkontakt
bei Patienten mit Dyspnoe und thoraka­
lem Schmerz auch differenzialdiagnos­
tisch das MPM mit einbeziehen sollte.
Die Diagnose des MPM ergibt sich
durch eine Zusammenschau klinischer,
radiologischer, thorakoskopischer sowie
histologischer Befunde. Die CT gilt als
empfohlenes Standardverfahren für das
primäre Staging und in der Beurteilung
der Ausdehnung des Mesothelioms [6].
Ergänzend können noch eine Positrone­
nemissions- und Magnetresonanztomo­
graphie zur Beurteilung einer Brustwand­
infiltration oder eines Tumorrezidivs
durchgeführt werden [3]. Etwa ein Drittel
unseres Patientenguts hatte kein vollstän­
diges Staging, was sicherlich auch in der
Annahme bzw. klinischen Einschätzung
eines schon ­fortgeschrittenen Tumorsta­
diums begründet ist. Diese Pati­enten er­
hielten folglich auch nur noch ­eine pallia­
tive Behandlung.
Standard in der Diagnose eines MPM
sind die internistische ­Thorakoskopie
oder chirurgische VATS, da hier der
komplette Hemithorax betrachtet ­werden
kann und somit auch die Möglich­
keit besteht, die loko­regionäre Tumor­
ausbreitung zu beurteilen [3]. Außer­
dem ­können größere Proben (Biopsien)
an unterschiedlichen Stellen des Tho­
rax ­entnommen werden, wodurch in bis
zu 98% der Fälle erfolgreich die Diagno­
se des MPM gestellt werden kann [6]. In
der vorliegenden Studie wurde bei 41%
(n=48) aller Patienten ­eine diagnosti­
sche VATS zur histologischen ­Sicherung
des MPM durchgeführt. Die histologische
­Diagnose des MPM ist trotz differenzier­
ter histochemischer ­Verfahren schwierig
und eine Abgrenzung gegen­über einer se­
kundären ­Pleurakarzinose durch ein Ade­
nokarzinom gelingt in bis zu 15% der Fäl­
le nicht [3, 5, 14]. In unserem Patienten­
gut mit pathologisch gesichertem MPM
konnte bei 24% der Patienten keine exak­
te Differenzierung in eine der drei Subty­
pen erfolgen. Der histologische Subtyp ist
von besonderer prognostischer und the­
rapeutischer Bedeutung, da der epitheloi­
de Subtyp eine deutlich bessere Prognose
hat und insbesondere diese Patienten von
einer chirurgischen Resektion profitieren
können [15].
Fast die Hälfte aller Patienten (n=56)
unseres Kollektivs befand sich zum Zeit­
punkt der Diagnose nachweisbar in einem
fortgeschrittenen Tumorstadium III bis
IV. Geht man davon aus, dass auch ein
Großteil der Patienten ohne komplettes
Staging in einem fortgeschrittenen Tu­
morstadium war, liegt der Anteil der Pa­
tienten, die sich bei Erstdiagnose in einem
fortgeschrittenen Stadium befinden, bei
mindestens 75%. Der Anteil der Patienten
Originalien
1.00
Überlebensrate
0.75
0.50
0.25
0.00
0
50
100
150
Analysezeit [Monate]
Abb. 1 8 Überlebenskurve aller Patienten (n=118) im Studienzeitraum: 1-JÜR =62%, 3-JÜR =15% und
5-JÜR =6%. JÜR Jahresüberlebensrate
1.00
Kurativ
Palliativ
Überlebensrate
0.75
Logrank p = 0.013
0.50
0.25
0.00
0
50
100
150
Analysezeit [Monate]
Abb. 2 8 Überlebenskurven in Abhängigkeit eines kurativen (n=17; medianes Überleben =18
Monate) oder palliativen (n=101; medianes Überleben =14 Monate) Therapieansatzes. blau kurativ,
rot palliativ
mit einem fortgeschrittenen MPM ist so­
mit unter den Neuerkrankungen deutlich
höher, als es vergleichsweise chirurgische
oder pathologische Studien aus Deutsch­
land vermuten lassen [12]. In einer ­Studie
von Bölükbas et al. lag der Anteil von Pa­
tienten im Stadium III und IV bei ca.
45%. Trotz des fortgeschrittenen Tumor­
stadiums konnten diese radikal in einem
multi­modalen Therapiekonzept mit ­guten
Überlebenszeiten behandelt werden [16].
Auch in unserer Studie wurden 6 Patien­
ten (35% aller kurativ operierten Patien­
992 | Der Chirurg 11 · 2013
ten) mit einem Stadium III (n=5) bzw.
IV (n=1) operiert, was verdeutlicht, dass
auch ein fortgeschrittenes Tumorstadium
per se keine Kontraindikation zur Opera­
tion darstellt.
Die Mehrheit unserer Patienten (86%)
wurde jedoch aufgrund eines fortgeschrit­
tenen Tumorstadiums mit einem pallia­
tiven Therapieansatz versorgt. Am häu­
figsten wurde eine Chemo- und/oder
Strahlentherapie verabreicht, wobei fast
ausschließlich die als Standardchemo­
therapie für das MPM zu bezeichnen­
de Kombination aus Platin und Pemetre­
xed angewendet wurde [17–19]. Daraus
kann geschlussfolgert werden, dass diese
palliativen Therapieregime in den Regio­
nen des Tumorzentrums Regensburg gut
verankert sind. Die Patienten mit palliati­
vem Therapieansatz hatten ein medianes
Überleben von 14 Monaten.
Die möglichst komplette chirurgische
Resektion des MPM ist die ­Grundlage für
eine erfolgreiche Behandlung bei resek­
tablen Tumoren [20, 21]. Als chirurgi­
sche Resektionsverfahren kommen die
­Pleurektomie/Dekortikation (P/D) ­sowie
die erweiterte Pleuropneumonektomie
(EPP) infrage [20, 22]. Sowohl die P/D als
auch die EPP haben ihre Vor- und Nach­
teile und sollten in Abhängigkeit vom
­Alter und Allgemeinzustand des Patien­
ten, der Tumorausbreitung und der chir­
urgischen Expertise bei ausgewählten Pa­
tienten als potenziell kurative Therapie
Anwendung finden [9, 23–26]. Die multi­
modale Therapie bestehend aus neoadju­
vanter bzw. adjuvanter Chemotherapie,
chirurgischer Zytoreduktion und evtl. an­
schließender Strahlentherapie des befal­
lenen Hemithorax zeigte erstmals Über­
lebensverläufe im Sinne einer ­potenziell
­kurativen Therapie des MPM [27–30].
Die Rate an Lokalrezidiven ist nach radi­
kaler P/D deutlich höher (65% vs. 33%),
während Fernmetastasen signifikant
häufiger nach der EPP auftreten (66%
vs. 35%, [25]). Um residuale, mikrosko­
pische Mesotheliomzellen noch effekti­
ver therapieren zu können, wird seit eini­
gen Jahren nach chirurgischer Tumorre­
sektion zusätzlich eine HITHOC durch­
geführt [31–33]. Die HITHOC kann so­
wohl nach radikaler P/D als auch EPP mit
einer niedrigen Komplikationsrate durch­
geführt werden, wobei die Art des Resek­
tionsumfangs einen Einfluss auf die sys­
temische Konzentration des Chemothe­
rapeutikums und die entsprechenden to­
xischen Komplikationen hat [31]. Bisher
gibt es jedoch noch keine Vergleichsstu­
dien, welche einen signifikanten Vorteil
der HITHOC gegenüber anderen multi­
modalen Behandlungen zeigen konnten.
In der vorliegenden Studie konnten
nur 14% aller Patienten einem ­potenziell
kurativen Therapieansatz zugeführt
werden. Diese Patienten erhielten eine
­radikale Tumorresektion (P/D oder EPP),
in Kombination mit einer neoadjuvanten
und/oder adjuvanten Therapie (Chemound oder Radiotherapie). Eine intrathora­
kale Chemotherapieperfusion wurde bei
8 Patienten durchgeführt. Das ­mediane
Überleben aller mit kurativer Intention
operierten Patienten war mit 18 ­Monaten
und einer 3-JÜR von 35% gegenüber den
palliativ versorgten Patienten signifikant
länger.
Korrespondenzadresse
Dr. M. Ried
Abteilung für Thoraxchirurgie,
Universitätsklinikum Regensburg,
Franz-Josef-Strauss-Allee 11, 93053 Regensburg
micha.ried@t-online.de
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor
gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
Fazit
FDas Auftreten des MPM ist in Abhängigkeit von asbestassoziierten Industriestandorten regional unterschiedlich, was einer erhöhten Aufmerksamkeit von Risikopatienten in diesen
­Regionen bedarf.
FUnter den Neuerkrankungen ist die
Rate an fortgeschrittenen Tumoren
aufgrund geringer oder zu spät erkannter Symptome mit ca. 75% deutlich höher als bisher in rein chirurgischen oder pathologischen Studien
vermutet.
FDa auch fortgeschrittene MPM nicht
per se ein Ausschlusskriterium für
­eine Therapie sind, sollten möglichst
alle Patienten einer Diagnostik inklusive Histologie- und Stadienbestimmung zugeführt werden.
FPatienten mit einem nachgewiesenen
MPM sollten in interdisziplinären Tumorkonferenzen vorgestellt werden.
FDie Chirurgie stellt sowohl in der Diagnostik (VATS mit Biopsie) als auch in
der Therapie (P/D oder EPP) die Basis für eine erfolgreiche Behandlung
ausgewählter Patienten im Rahmen
eines multimodalen Therapiekonzeptes (HITHOC, Chemo- und Radiotherapie) dar.
FDurch eine chirurgische ­Pleurodese
oder Anlage eines dauerhaften Pleurakatheters kann auch in fortgeschrittenen Stadien eine Symptom­
reduktion erzielt werden.
FAlle Patienten mit einem MPM sollten
in einem Tumorzentrum erfasst und
möglichst in Studien ­eingeschlossen
werden, um eine weitere Verbesserung des Überlebens bei dieser aggressiven Tumorerkrankung zu erreichen.
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Der Chirurg 11 · 2013 | 993