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surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:52 Uhr Seite 1 ”IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” Die Ausgangsposition: Fünf Österreicher begeben sich von L.A. aus auf Entdeckungsreise nach Costa Rica... zitat aus „in search of captain zero“: „Es war ein mit Gras beladenes Motorsegelboot namens ,Ranaʼ’, das Christopher und ich versenkten, nachdem uns 1982 die US-Küstenwache in internationalen Gewässern vor der Nordküste von Puerto Rico den Weg abgeschnitten und dann drei Tage lang verfolgt hatte.“ SURFERS 01.2006_034 Wenn Österreicher auf Reisen gehen, nehmen sie gerne ein Stück Heimat mit text michael ginthör photo jakob polacsek … um dem Mythos der Surfer-Dudes auf den Grund zu gehen. Die Mittel: jede Menge Film- und Fotokameras, zwei großvolumige US-Offroader als fahrbare Untersätze und der fatale Hang zu philosophischen Kurzschlüssen. Das Problem: die Angelegenheit zu finanzieren und heil durch 7.000 Meilen Zentralamerika kommen. Aber was soll’s? Surfing is showing grace under pressure. So viel ist sicher. Angefangen hatte alles als eine von unzähligen Tagträumereien an einem von L.A. Countys reichlich überbevölkerten Stränden. Es könnte in Topanga gewesen sein, schwer zu sagen, oder in County Line, in einer ewig langen Pause zwischen zwei Zweifuß-Sets mit der Wahl, entweder auch noch die nächsten zwei Stunden nach Sonnenuntergang dort totzuschlagen, um nicht in die Rush Hour zu geraten, oder aber im „Dume Room“ ein paar Whiskey zur Brust zu nehmen, bloß um dabei festzustellen, dass die Lakers auch nicht mehr wären, wer sie mal waren, und danach im Auto zu übernachten in der Hoffnung auf einen ÜberraschungsSwell am nächsten Morgen. Jedenfalls wurde uns klar, dass City-Surf in Malibu auf Dauer keine Lösung war. Zur Regeneration zwar durchaus sinnvoll (eine frühmorgendliche Session vor einem langen SURFERS_035 surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:53 Uhr Seite 3 zitat aus „in search of captain zero“: „Im Laufe des Abendessens hatte ich vorsichtig versucht, ihn darauf anzusprechen, wie es zu dieser offentsichtlichen Veränderung seiner Verhaltensweisen und Gewohnheiten hatte kommen können. Aber er hat mich unterbochen und gemeint, er wolle nicht darüber reden, wobei er noch mit einer befremdlichen Entschiedenheit hinzufügte, er hätte durch Crack viel über sich gelernt.“ Nach Costa Rica zu fliegen wäre wahrscheinlich angenehmer Wenn die 7,2-Liter-Diesel-Maschine Durst hat, kriegt die Reisekasse ein großes Loch und David schlechte Laune 001 ”IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” Arbeitstag hilft und nichts holt einen so schnell vom Alltagsstress wieder runter wie eine Sunset-Session, auch wenn es nur vier Fuß sind), dennoch: Wahres Dudetum liegt woanders – und zwar südlich. Philipp hatte einen Plan parat. Er hatte seine Studien um ein Jahr ausgedehnt, um ausgerechnet in Pepperdine, einer veritablen Schnösel-Uni in Malibu, seinen MLA zu machen. Und der Mann hatte noch weiter vorausgedacht: Nach Abschluss seiner Studien, so sein Kalkül, würde er nach Costa Rica fahren, um sein Auto dort für das Doppelte des Kaufpreises zu verscherbeln. Damit, so die einfache Milchmädchenrechnung, kriegte er drei Monate Surf in Mittelamerikas bekanntlich delikaten Surf-Revieren gratis als Draufgabe, quasi zur Belohnung. „Sicher, Dude, mach mal”, war eine Zeit lang mein Standpunkt, zumindest so lange, wie ich Costa Rica mit Puerto Rico verwechselte. Und zumindest so lange, wie ich überhaupt keine ordentlichen Wellen brauchte, weil jeder SURFERS 01.2006_036 002 001 Auch wenn Österreicher sonst gut mit Schluchten können, hier wird nur kurz gestoppt 003 003 Surfing is showing grace under pressure 004 004 Auf einem Road Trip lauern viele Gefahren 005 005 Motel California 002 Der Regenbogen der Großstadt SURFERS_037 surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:54 Uhr Seite 5 Wir hatten von Anfang an Glück: In meinem Horoskop für das Jahr stand: „Gehen Sie auf eine ausgedehnte Seenund Bäderreise.“ Das war schwer misszuverstehen. Als zweites Auto neben Philipps höher gelegtem Toyota-Pickup organisierten wir uns einen Chevy Suburban mit einer 7,2-Liter-Dieselmaschine bei einer Reichweite von gut 1.000 Kilometern. Unser gesamtes Film- und Surf-Equipment fand in dem motorischen Ungetüm mit knapper Mühe und Not Platz. Unsere Reisevorbereitungen waren schnell erledigt: Die mexikanischen Federales, hatten wir gehört, ließen sich in der Ausübung ihrer Tätigkeit gerne von Pornomagazinen beeinflussen, also rüsteten wir uns dementsprechend aus. Außerdem fälschten wir Eurosport-Presseausweise, um mittelamerikanische Autoritäten da und dort milde zu stimmen. Edwin hatte noch ein paar alte CB-Funkgeräte herumliegen und wir waren alle mit den Bandit-Klassikern „Auf dem Highway ist die Hölle los“ um Burt Reynolds aufgewachsen. Wenn die Funkgeräte auch nicht wirklich gut funktionierten, waren sie immerhin ein nettes Detail am Rande und Übermittler Zitate hoher Filmkunst. Auch unser Travel-Guide konnte sich sehen lassen: Wir waren bei unseren Recherchen auf den amerikanischen Surf-Literaten Allan Weisbecker gestoßen. Weisbecker hatte in den 70ern einen schwunghaften Grashandel zwischen ”IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” Witches Rock nimmt die Ösis mit offenem Herzen in Empfang Meter stehend auf dem Board schon ein Himmelsgeschenk für mich war. Aber das änderte sich. Bald wurde aus Philipps Gebrauchtwarenhandel ein Foto-Trip, für den wir uns einen Sponsor suchen wollten und schließlich – womöglich hatten wir eine gar nicht mal so schlechte Session in Zero’s oder Leo Carillo hinter uns, wir scheinen an jenem Abend im „Dume Room“ jedenfalls durchaus guter Dinge gewesen zu sein – wurde aus dem Ganzen ein Dokumentarfilmprojekt mit allem Drum und Dran: zwei Autos, zwei Kameras, Unterwasser-Equipment, the whole nine yards. Die Sache war in meinen Augen eine durchaus wasserdichte Angelegenheit, zumindest für einen Surffilm: Zwei Autos in LA zu kaufen und sie in Costa Rica zu verkaufen schien als Rahmenhandlung perfekt, schön einfach und irgendwie machbar. Und falls uns eine Katastrophe zustieß, würde die Geschichte nur umso besser. Für mich war die Sache in jedem Fall eine ideale Gelegenheit, meine filmischjournalistischen Ambitionen mit einem ausgedehnten SurfTrip zu vereinbaren. Eine Win-win-Situation wie sie im Buche steht. Und das sahen wohl auch unsere Sponsoren so: Viel Geld gab's nicht für das abenteuerliche Unternehmen, aber gerade genug, um das Ding mit Ach, Krach und einem dicken Bankminus durchziehen zu können. Die Dinge nahmen ihren Lauf: Edwin, mit dem ich gerade an einem anderen Filmprojekt arbeitete, nahm sich ein Herz, und David hatte ohnehin fürs Erste die Nase voll von seinen Werbefilmen für Wallmart & Co. Philipp brachte aus der alten Heimat noch Jakob mit. Der wiederum hatte als einer der wenigen Österreicher Surf-Erfahrung auf allen Kontinenten bis auf Amerika. Es war also für ihn höchste Eisenbahn, den Deckel mal draufzumachen. SURFERS 01.2006_038 001 004 008 010 009 011 012 006 013 015 007 005 002 003 014 016 001 Frische Hühner an jeder Ecke 004 Surf Chick in Pavones 007 Stylo-Mexiko 002 Siesta mexicana 005 Durstiger Pick-up 008 Nach diesem Fototermin war die Kamera weg..! 003 Jakob im Selbstporträt 006 Muchacho chiquito 009 Baja-Ferries 010 Der Staub der Straße wäscht sich am besten in der Tube ab 011 In Puerto Escondido beißt nicht nur die Welle 012 Selbst ist der Mann 015 Michi sucht sein Feuerzeug 013 Baja-Kaktus 016 Offroader 014 Palenque-Tempel 017 Kamerafahrt 017 SURFERS_039 surf034-046mittelamerika G 001 14.02.2006 14:54 Uhr Seite 7 002 001 Edwin und der spanische Ex-Pro Pablo bereiten die Stullen für die Fahrt vor New York und Kolumbien betrieben, nur um im Wasser zu bleiben. Und zwar solange, bis ein gewaltiger Sturm sein Boot im Atlantik versenkte – mit 50 Tonnen Gras an Bord. Schaden: 200 Millionen Dollar. Weisbecker stieg aus und heuerte bei „Miami Vice“ als Drehbuchautor an. Immerhin verfügte er über das nötige Know-how. Aber er hielt es in der Traumfabrik nicht lange aus; irgendwie musste er seinen Frieden machen mit dem Ozean und den Idealen seiner Jugend. Also begab er sich auf einen SurfTrip nach Costa Rica und auf die Suche nach seinem Ex-Geschäftspartner und Surf-Buddy Christopher. Er fasste seine Reiseimpressionen in dem Buch „In Search of Captain Zero“ zu- 002 Cowboy Coffee to go! Wagenburg in Baja California 001 sammen – das Buch ist mittlerweile ein Klassiker und wurde gerade erst mit Sean Pann als Allan Weisbecker unter der Regie von „Dogtown“-Regisseur Stacey Peralta verfilmt. Wir benutzten es als Reiseführer, würden Station machen, wo er Station gemacht hatte, und nahmen uns vor, den guten Mann am Ende unserer Reise zu besuchen, um mit ihm über die sublimen psychologischen Sensationen des Surf-Sports zu palavern. Das, so dachten wir, würde unserer Reisegeschichte einen netten Twist verpassen, die Sache etwas mit Geschichte und Dramatik würzen und außerdem von durchaus journalistischem Wert sein. Weisbecker wurde unser Colonel Kurtz, unser Orientierungspunkt am Ende der Straße, ver- steckt irgendwo tief unten in den schweigsamen Wäldern Mittelamerikas. Unser Timing war perfekt. Wir brachten die Wellen praktisch mit uns an die Breaks. Ein verwirrter Trupp Kalifornier aus Santa Cruz hatte an einem Break im Norden Bajas gut drei Wochen auf Swell gewartet. Als wir ankamen, hatten sie gerade ihre letzte Ration psychedelische Pilze aufgebraucht. Die Wellen kamen mit uns und mit uns gingen sie auch wieder. Sorry, guys! Und wenn wirklich einmal Flaute war, thematisierten wir das Warten als integralen Bestandteil des Surfer-Lebens filmisch. So etwas wie die Anfangsszene in „Spiel mir das Lied vom Tod“, in der ein Desperado eine Fliege mit dem Pistolenlauf fängt, schwebte uns 002 003 Abend-Surf in Pavones 004 Witches Rock SURFERS 01.2006_040 SURFERS_041 surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:55 Uhr Seite 9 001 002 003 ”IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” Costa-ricanischer Turntable Schließlich, als wir unser Strand-Stillleben ausreichend gemolken hatten, belohnte uns der Pazifik mit unserem letzten Nord-Swell für eine ganze Weile. Wir gingen immer noch mit den Rhythmen des nördlichen Pazifik synchron: Winterstürme bei den Aleu-ten verursachten vor: pure, zerdehnte, zähflüssige Zeit. Dabei die Wellen, die wir im Süden Bajas genau wie hätte der Film, ginge es nach Jakob, in seiner in Kalifornien die meiste Zeit über surften. Und ganzen Länge so aussehen müssen: „Eigent- das bedeutete auch: Baja California ist – zuminlich sollten wir einen Anti-Surf-Film machen, dest Anfang Februar – immer noch ein Kaltda haben wir à la long mehr davon.“ Stimmt wasserrevier. Wir kassierten zwar einen ordentschon, rein vom Badespaßfaktor war das Film- lichen Swell, aber es zog uns bald weiter nach projekt kontraproduktiv: Je besser die Footage, Süden. „Definitely trunkable“ heißt das Zaudesto mehr Menschen finden sich früher oder berwort – Wellenreiten in Badehosen statt in später im Wasser. Und je besser die Wellen, Wetsuits. desto mehr Kameradienst. Es ist ein steiniger Weg von Baja nach PuerWir mussten uns erst mal an den Rhythmus to Escondido im Süden Mexikos, in der Provinz des Ozeans gewöhnen. Und das heißt aufste- Oaxaca gelegen. Baja ist noch durchaus „amehen in der Morgendämmerung, weil gegen rikanisiert“, so etwas wie der Hinterhof von zehn Uhr der Wind einsetzt. Bajas Nächte sind San Diego, ein einziges Surf-Revier mit jeder kalt, so kalt, dass wir zu dritt in einem Zweimann-Zelt schliefen und zwar freiwillig – seither nannten wir uns Los Hermanos Calientes (die warmen Brüder). Menge Mex Juice für gelangweilte California Dudes. Mainland Mexico hingegen ist eine wildere, originalere Gegend. Eine Gegend mit jeder Menge Horrorgeschichten, die allerdings wiederum meist von Amerikanern stammen. Selbst Weisbecker scheint einem Überfall laut eigenem Zeugnis nur knapp entgangen zu sein. Und auch die Big Wave Crew von Mavericks auf dem Weg zum Tow-in-Surfen in Puerto hatte ordentlichen Respekt vor der Etappe. Bandit Alley heißt ein Teilstück. „Wir fuhren nur tagsüber“, schrieb Big-Wave-Schwergewicht „Skindog“ Collins, ansonsten ein Mann ohne Nerven, „bad boys don’t get up early.“ Die Bandit Alley wurde ihrem Namen nicht gerecht. Ganz im Gegenteil, ein kaputter Thermostat, repariert für acht Dollar – mehr Drama war nicht. Der notorisch kalifornische Hang zur Übertreibung scheint für den Mythos verantwortlich zu sein. Vielleicht auch nicht. Egal, wir 004 005 006 001 Pavones Aerial 007 002 Bist du Captain Zero? 003 Party Time – Florian schaut tief ins Glas 004 Michi im Chevy 005 Crazy Mushrooms 006 David und Edwin – pure, zerdehnte, zähflüssige Zeit 007 Die Filmcrew Ed, Michi und David in Palenque SURFERS 01.2006_042 SURFERS_043 surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:56 Uhr Seite 11 001 näherten uns Puerto Escondido, dem Surf-Epizentrum Mittelamerikas, dem härtesten und schnellsten Beach-Break der Welt. Puerto braucht einen Südswell. Eine halbe Meile vor der Küste ist der Pazifik vor Puerto noch anderthalb Meilen tief. Mit ungebremster Wucht pressen sich die Wassermassen an den Strand. Wir kamen gerade rechtzeitig zum ersten Südswell des Jahres. Die Wellen vor der Playa Zicatela funktionieren wie Betonmischmaschinen: Sie saugen so viel Sand vom Meeresgrund, dass sie sich anfühlen wie ein Haus, das zusammenbricht. Die Bilanz von Team Austria war verheerend: ein Board kaputt, ein Zeh angebrochen – Puerto war einfach eine Nummer zu steil. Und die Horrorgeschichten sind diesmal nicht erfunden: In Puerto brechen sich Menschen das Genick! „Erst vor ein paar Jahren“, erzählt uns Miguel Ramirez, der Mann, der die unzähligen zerbrochenen Boards in Puerto wieder zusammenflickt, „ist ein Freund vor mir hier gestorben. Es hat ihm einfach das Genick abgerissen. Dabei war es nicht einmal groß: sechs Fuß.“ Aber das kann schon reichen: Bei Low Tide wird die Welle zu einer regelrechten Guillotine. Miguel selbst geht nicht mehr raus. Auch er hat sich seinen Nacken angeknackst. Ein weiterer Wipe-out könnte auch für ihn das Ende bedeuten. „Ich kann nur noch langsame oder kleine Wellen surfen“, sagt er, „besser, ich warte am Strand auf die zerbrochenen Boards.” 003 004 Weg vom Drogenschmuggler, hin zum Longboard-Dude: Allan C. Weisbecker in seinem Element 002 “IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” zitat aus „in search of captain zero“: „Der Wind hat sich gelegt, doch während sich die Luft erwärmt, kommt ein leichter Zephir auf, kitzelt die blauschwarze Meeresoberfläche und vergeht dann in Küstennähe. Die frühe Morgenluft vermittelt das schwere, beklemmende Gefühl der unentschlossenen Regenzeit...“ 001 Perfect Pavones 002 Playa Negra SURFERS 01.2006_044 003 Kickerduell gegen den Meister 004 Nach einem bewegten Leben gönnt sich Allan ein wenig Entspannung Puerto ist ein Fixpunkt im Leben eines Surfers, der auf sich hält. Ohne Puerto ist keine Karriere vollständig. Selbst die Belle Etage kommt immer wieder hierher zurück: Kelly Slater, Rob Machado, Sunny Garcia. Puerto bleibt eine ewige Herausforderung und bringt immer wieder ihre Legenden hervor: Coco Nogales war der letzte Große; er tingelt mittlerweile mit dem Big-Wave-Zirkus durch die Lande. Oscar Moncada und David Rutherford Marquez sind die jungen Wilden. Wer an der Playa Zicatela aufwächst, braucht Hawaii nicht zu fürchten. Die härtesten Wellen, die längsten Nächte, die tiefsten Tubes gibt es vor der Haustür. Für uns fing der heiße Ritt nach Puerto erst so richtig an: Guatemala, Honduras, El Salvador, Nicaragua – alles klingende Namen, aber auch mit dem gewissen Unsicherheitsfaktor versehen. Gerade zwei Wochen vor unserer Abreise waren zwei Touristen als vermisst gemeldet worden. Während Guatemala noch nach gepflegtem Kulturtourismus, ein paar harmlosen Steuerflüchtigen und internationalen Sprachschulen roch – man konnte hier und da sogar einen ordentlichen Espresso bekommen –, wurde es weiter im Süden immer schlimmer. Unser Zimmernachbar in Honduras trug einen Revolver so groß wie ein Unterarm, sein Gesicht zeigte Spuren von Missbrauch aller möglichen Substanzen, wir hatten ein Zim- mer in einem ehemaligen Gefängnis und ich konnte den Hausherren in gebrochenem Spanisch gerade noch davon abhalten, uns über Nacht einzuschließen. Allein der Gedanke war ein Horror. Über dem Bett hing ein verbeulter Spiegel, auf dem Nachttisch waren ein paar Kondome aufgefädelt. Das ganze Szenario hatte den freundlichen Charme eines mittelamerikanischen SM-Kerkers. Wir machten uns so schnell wie möglich vom Acker. Die Sache wurde nicht viel besser, vom pittoresken Charme Zentralamerikas einmal abgesehen: Viehherden, Geier, schlechte Straßen, immer wieder ausgebrannte Lkw-Kadaver am Straßenrand. Dazu der Lagerkoller und die Hitze, ständige Diskussionen mit irgendwelchen Polizisten oder Soldaten. Keine große Sache, eben Unannehmlichkeiten: hier ein paar Lempiras, dort ein paar Dollar – überflüssig zu erwähnen, dass es um unsere Finanzen nicht zum Besten stand. Irgendwie schlugen wir uns schließlich bis nach Costa Rica durch, das gelobte Land: die Schweiz Mittelamerikas. Die schlechte Nachricht war: Autos ab einem gewissen Alter wurden mittlerweile mit einer Importsteuer von 95 Prozent belegt. Sah ganz so aus, als wären ein paar Schlaumeier vor uns schon auf die gleiche Idee gekommen. Wir konnten froh sein, wenn wir die Karren ´überhaupt an den Mann brach- ten. Für unser „For Sale“-Poster benutzten wir ein Foto, das den Chevy vor einem Duty-FreeShop zeigte – Galgenhumor oder eine besonders durchtriebene suggestive Marketingstrategie? Nach drei Monaten unterwegs kannten wir den Unterschied selbst nicht mehr. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Hälfte unserer Mission erfüllt: Das illusorische Ziel, irgendwo unter besonders günstigen Verhältnissen rein zufällig gebarrelt zu werden, hatten wir uns mittlerweile aus dem Kopf geschlagen. So einfach war die Sache nicht. Allan Weisbecker zu erreichen schien auch nicht ohne Weiteres möglich: Irgendwie schienen die Telefonnetze im Dschungel vorübergehend zusammengebrochen zu sein. Wir machten uns auf gut Glück auf die Reise an den südlichsten Zipfel Costa Ricas, hart an der Grenze zu Panama. Pavones heißt der Ort: eine Cantina, zwei Mini-Mercados, ein Telefon im ganzen Ort. Dafür der längste Point Break der nördlichen Hemisphäre: Fast eine Meile lang bricht die Linkswelle an guten Tagen vom Point bis in die übernächste Bucht. Und wir hatten den notwendigen Swell selbstredend mitgebracht: Endlos lange Rides, tropische, hypnotische Atmosphäre... und schließlich gab sich sogar Weisbecker die Ehre! Nach drei Monaten Mittelamerika und ein paar epischen Surf-Sessions hatten wir ihn SURFERS_045 surf034-046mittelamerika G 14.02.2006 14:56 Uhr Seite 13 Die gefürchtete Bandit Alley 002 schließlich ausfindig gemacht, at the end of the road: einen eleganten Herren in den besten Jahren, einen Grandseigneur des Dudetums, einen Stilisten auf dem Board und im Leben. „Es gibt einen Punkt auf der Welle”, sagt er, „an dem alles so ist, wie es sein soll. Ein meditativer Moment, man verliert den Sinn für Zeit, das Gehirn wird völlig leer.“ Der Fachausdruck ist Vergegenwärtigung. Weisbeckers Zuhause ist kein Ort, es ist ein Zustand, ein Zeit-Raum-Kontinuum, ein Moment völliger Harmonie und Synchronizität mit den Zyklen der Natur. Eini-ge dieser Momente teilten wir mit dem alten Meister und in diesen Momenten wurde uns auch klar, worum es sich bei unserer Forschungsreise in die Geheimnisse des Surf-Sports eigentlich gedreht hatte. Jedenfalls um nichts, was man in Worten so leicht ausdrücken könnte. „Ich will nicht wie ein Idiot klingen”, sagt Weisbecker, „es gibt Dinge, die besser ungesagt bleiben. Was soll man auch über einen Moment sagen, in dem nichts in deinem Gehirn vorgeht? Der Zauber wie in so vielen Dingen liegt im Tun. It’s a mindless kind of bliss.” Die schlechte Nachricht war: Von einer philosophischen Erkenntnis konnte nicht wirklich die Rede sein. Die gute Nachricht: Das wenigstens hatten wir auf Band. Irgendwie hatten wir von vornherein daran gezweifelt, so etwas wie des Pudels Kern zu finden. Der Prozess zählt, nicht das Resultat. Es ist alles Teil einer größeren, universellen Gleichung mit Variablen wie Kosmos, Cash und Karma. Sich auf dem richtigen Punkt in der Welle zu befinden und einfach nur den Ride zu genießen, genügt sich selbst und mehr ist schlicht auch nicht zu holen. Und so brachten wir auch unsere Autos nicht mit der ultimativen Gewinnspanne an den Mann, aber wir konnten zufrieden sein: Das Geld würde in die Fertigstellung des Films fließen. Immerhin war ein Italiener namens Aldo so richtig glücklich auf seiner Jungfernfahrt mit dem alten Suburban: Und das wiederum bedeutete eine Menge Karma-Punkte für uns. What goes around comes around. 001 003 001 Ösi-Power in Santa Teresa 002 Das Nullsummenspiel 003 On the road again ”IT’S A MINDLESS KIND OF BLISS.” 004 Allan C. Weisbecker Nachdem der Film Zen&Zero beim x-dance Filmfestival in den USA ordentlich Preise in den Kategorien beste Regie und bestes Buch abgeräumt hat, wird am 13. Mai die Europapremiere in München gefeiert. Im Anschluss an die Premiere wird Zen&Zero weitere drei Wochen im Kino des Neuen Forums am Deutschen Museum in München zu sehen sein. Infos hierzu findet ihr unter www.zenandzero.com. 004 SURFERS 01.2006_046