Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom.
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Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom.
Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom. Definition: Die Prognose des schweren SHT hängt entscheidend von Ausprägung und Dauer der hirndruckbedingten Einklemmung des Hirnstammes ab. Normalisiert sich der Hirndruck spontan oder durch die Wirksamkeit der hirndrucksenkenden Massnahmen rasch, so ist eine zügige Erholung möglich. Halten Hirndruck und Einklemmung über längere Zeit an, so kommt es häufig zu bleibenden Schädigungen des Hirnstammes. Ähnliche Situationen können auch durch direkte Verletzungen des Hirnstammes wie Hirnstammkontusionen oder intraaxiale Scherverletzungen entstehen. Es resultiert eine funktionelle Abkoppelung des Hirnstammes von den übergeordneten Hirnanteilen. Aus dem MittelhirnSyndrom entwickelt sich nach einem Übergangsstadium das apallische Syndrom. Bild 1 : Abgrenzung Stammhirn (mit Kleinhirn) zu Großhirn KLINISCH HANDELT ES SICH ALSO UM EINEN AUSFALL DER VERBINDUNG DES GROSSHIRNS ZUM STAMMHIRN. Die Betroffenen haben im Gegensatz zum Koma die Augen geöffnet, können aber (zumindest anfangs) noch nicht fixieren. Obwohl apallische Menschen nicht zur direkten Kontaktaufnahme mit der Umwelt befähigt sind, erfolgen oft emotionale Reaktionen auf akustische, visuelle und BerührungsReize. Auch ist deutlich ein Schlaf/Wach-Rhythmus erkennbar. Der Tag/Nacht-Rhythmus des Betroffenen ist jedoch meistens gestört. Seine Beweglichkeit ist meist durch Spastiken eingeschränkt. Die Augen befinden sich in Divergenzstellung und führen bei passiver Drehung des Kopfes eine Gegenbewegung aus. In der Vergangenheit wurde diese Krankheit oft mit Begriffen wie "vegetativer Zustand", "primitiv", "sinnlose Hülle" oder "hirntot" versehen. Obwohl sich letzteres durch ein EEG heute schnell widerlegen lässt. Abgrenzung Stammhirn zu Grosshirn. Was ist ein Locked-in-Syndrom ? Das apallische Syndrom muß vom so genannten "Locked-in-Syndrom" abgegrenzt werden. Bei dieser Erkrankung sind die Betroffenen bei vollem Bewusstsein, können sich aber nur durch vertikale Augenbewegungen und Lidschluss äußern. Ein Laie kann diese beiden Krankheitsbilder leicht verwechseln. Um einen Patienten im Locked-in-Syndrom zu erkennen, sollte man jeden vermeintlichen Wachkomapatienten beim ersten Kontakt namentlich ansprechen und dazu auffordern, sich durch eine Muskelbewegung bemerkbar zu machen. Locked-in-Patienten werden dann meist eine Augenbewegung oder ein Blinzeln versuchen. Aber auch jeder andere Muskel könnte angespannt werden. In aller Regel wird man zwar keine gezielte Reaktion erhalten und sich damit die Diagnose des apallischen Durchgangssyndroms bestärken, aber alleine die Möglichkeit, eventuell einen Locked-in-Patienten zu erkennen, sollte dieses kurze Experiment rechtfertigen. Funktionen BEIM APALLISCHEN SYNDROM SIND DIE LEBENSNOTWENDIGEN VEGETATIVEN FUNKTIONEN ERHALTEN, WÄHREND DIE KOGNITIVEN FÄHIGKEITEN ERLOSCHEN SIND. Die Patienten erscheinen wach, können aber weder ihre Umwelt wahrnehmen noch mit ihr Kontakt aufnehmen. Weitgehend synonym verwendet werden Begriffe wie Wachkoma, Dezerebration und im anglo-amerikanischen Sprachraum (persistent) vegetative state (PVS). Erstbeschreibung: Das apallische Syndrom wurde 1940 erstmals von Kretschmer beschrieben und seit den 60er-Jahren insbesondere von Gerstenbrand eingehend untersucht. Das Vollbild des apallischen Syndroms ist im Wesentlichen durch folgende Symptome charakterisiert: "Coma vigile" (wacher Patient bei fehlendem Bewusstseinsinhalt). Starrer Blick in die Umgebung ohne Wahrnehmung von Außenreizen. Augenbulbi leicht divergent, geringes sakkadiertes Bulbusschwirnmen. Pupillen mäßig geweitet, Lichtreaktion verzögert und unergiebig. Tageszeitlich unabhängiger, ermüdungsgesteuerter Schlaf-WachRhythmus. Zunehmende Beugehaltung der Extremitäten und des Rumpfes. Auf Außenreize Beuge-Streckstellung der Extremitäten verbunden mit ungerichteten Massenbewegungen. Hyperreflexie beim Auslösen aller Sehnenreflexe, Pyramidenbahnzeichen, Fluchtreflexe. Tonussteigerung der Muskulatur (Rigido-Spastizität). Motorische Primitivschablonen des Oralsinnes und des Greifens. Haltungs- und Stellreflexe. Differentialdiagnostik: Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung von ähnlich imponierenden Syndromen wie Locked-in-Syndrom, akinetischem Mutismus, Hypersomnie-Syndrom, Koma, Hirntod und schweren psychiatrischen Erkrankungen wie Katatonie und depressivem Stupor, da sich hier völlig andere Behandlungsmöglichkeiten ergeben. Unscharfe Begriffe wie dyspallisches Syndrom oder apallisches Durchgangssyndrom sollten vermieden werden. Letzteres soll wohl zum Ausdruck bringen, dass die Prognose des apallischen Syndroms keineswegs infaust ist. Remissionsphasen: Die Rückbildung des apallischen Syndroms unterteilen wir in verschiedene Remissionsphasen. GERSTENBRAND unterscheidet sieben Remissionsphasen: Die 7 Remissionsstufen Phase 1 Koma Phase 2 Coma vigile apallisches Syndrom - Tiefe Bewußtlosigkeit Kein Augenöffnen auf Schmerz Keine emotionelle Reaktion Lange Schlaf- und kurze Wachphasen in Abhängigkeit von Belastungsmomenten Augen sind für längere Zeit geöffnet Wachkoma Phase 3 Primitivpsychomotorische Phase Phase 4 Phase des Nachgreifens Reflektorische Primitivmotorik auf Schmerzreize und pflegerische Maßnahmen Motorische Primitivschablonen im Sinne von Massenbewegungen auf äußere Reize verschiedenster Art Wischbewegungen, orale Mechanismen Ausgeprägter Hypertonus (Spastik) Undifferenziertes ängstliches Verhalten Zunehmend differenzierter werden ängstlicher Ausdruck in Augen und Mimik Schwitzen Wachphasen beginnen sich an der Tageszeit zu orientieren Patienten halten für kurze Zeit Blickkontakt Bedingtes optische Fixieren ist möglich, jedoch noch kein Erkennen (zunächst auf akustische, später auf optische Reize). Patient beginnt den Kopf zu drehen. Psychomotorische Unruhe - Abwend-, Wisch- und Strampelbewegungen - teilweise noch mit Massenbewegungen verbunden Eßtraining wird möglich Rigider Haltungstonus wird lockerer Ungeduldiges Verhalten bei der Pflege, in der Therapie (Patient dreht den Kopf weg, schließt die Augen) Erste mimische Reaktionen - ein Lächeln oder Schmollen können beobachtet werden Sicheres optisches Fixieren und Folgen von Gegenständen und Personen, die sich im Gesichtsfeld des Patienten befinden Es wird alles in den Mund gesteckt, allerdings ohne jegliche Absicht dahinter Unmutsbrummen, "ein Lallen" kann beobachtet werden Gezieltere motorische Aktivitäten - Hand öffnen & schließen, aller- dings noch mit fehlender Kraftdosierung - dies betrifft vorallem das Festhalten und Loslassen Patient greift gezielter nach Gegenständen - greift aber auch gerne in das Essen Nachlassen des Hypertonus Dem Patienten fehlt noch ein komplettes Verständnis für die Situation Dem Patienten fehlt noch die sprachliche Verständigung Optisches Verfolgen von Gegenständen und Personen außerhalb des Gesichtsfeldes sind noch nicht möglich Patient kann noch nicht auf verbale Aufforderung reagieren Phase 5 Klüver-Bucy Phase Rasch wechselndes Affektverhalten mit zornigen Reaktionen und anschließendem Schmeichel-, Streichelverhalten Gefühle wie Freude und später auch Trauer werden differenzierter Bedingtes Sprach- und Situationsverständnis Code-Sprache ist möglich Personen können bereits unterschieden und wiedererkannt werden Zunehmender Einsatz von Sprache - ja/nein - bei manchen Patienten ist die Sprache innerhalb kürzester Zeit wieder da Beherrschte Fähigkeiten setzen langsam wieder ein Koordination und Kraftdosierung werden sicherer und gezielter - Hand geben & wieder loslassen - Löffel halten und wieder gezielt ablegen - gute Rumpf- und Kopfkontrolle - Gehen mit Hilfestellung - mit Einsetzen der Willkürmotorik oft gleichzeitige Entwicklung spastischer Bewegungsabläufe Motorische Schablonen treten auf (zB Handkuß geben) Eßsucht Fehlendes Schamgefühl kann beobachtet werden Dem Patienten fehlt noch die Orientierung zu Zeit, Personen, Ort Fehlendes Realitätsbewusstsein & fehlende Kritikfähigkeit Inkontinenz Patient kann eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten noch nicht richtig einschätzen Phase 6 Korsakow-Phase Bewußtwerden der eigenen Stimmung - das Gefühlsleben erwacht wieder: es kann nun auch Trauer gefühlt werden Euphorisch-depressive Stimmungslage Aufbau der Sprache (hier ist die logopädische Unterstützung sehr wichtig) Orientierungsphase Personen können nun auch benannt werden; ebenso werden erste Wünsche konkret benannt. Bewußtwerden der eigenen Situation (Suizidgefahr!) Abbau der Bewegungsschablonen Komplexe und koordinierte Bewegungsabläufe werden möglich Eigeninitiiertes Handeln ist ansatzweise zu beobachten Freies Laufen Einschätzen der eigenen Situation und damit Zukunftsperspektive gelingt dem Patienten noch nicht. Teilweise können Ausfälle im Kurz- und Mittelzeitgedächtnis beobachtet werden Häufig starke Diskrepanz zwischen der geistigen und motorischen Leistungsfähigkeit - letztere beeinträchtigt durch erhebliche Beuge- und Streckspasmen Phase 7 Integrationsstadium Die Orientierung ist weitgehend vorhanden und ein sinnvolles Handeln ist möglich. Der Patient kann Aufträge befolgen und somit ist eine sehr gute Mitarbeit in der Therapie möglich. Der Patient beginnt, sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen und plant seinen Tagesablauf. Berufswünsche werden geäußert, Zukunftspläne werden geschmiedet - der Patient orientiert sich verstärkt nach außen. Im Rahmen seiner motorischen Fähigkeiten wird der Patient zunehmend unabhängiger. In den meisten Fällen ist der Patient sowohl harn- als auch stuhl-kontinent. Die Einstellung zu sich selbst und zur eigenen Behinderung ist wieder "positiver". Es können eine Reihe von Problemen bestehen bleiben, die für den Patienten in weiterer Folge hinderlich sein können: - Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen - Konzentrationsschwäche - hochgradige Sehstörungen bzw. Blindheit - andere körperliche Behinderungen - Distanz- und Kritikschwäche des Patienten - leichte Reizbarkeit & Ablenkbarkeit - mangelnder Antrieb - geringe Flexibilität Quelle: 7 Remissionsstufen im grobschematischen Überblick in Anlehnung an F. Gerstenbrand Bewährt hat sich auch die orientierende Einteilung in ein FRÜHES, EIN MITTLERES UND EIN SPÄTES REMISSIONSSTADIUM. Frühes Remissionsstadium: Es kommt zur Entwicklung einfacher emotionaler Reaktionen auf Außenreize wie Lachen oder Weinen. Die Patienten beginnen optisch zu fixieren. Später folgen sie optischen Außenreizen, beginnen nachzugreifen und wenden sich akustischen Reizen gezielt zu. Mittleren Remissionsstadium: Es kommt zu gezielten motorischen Aktionen und verständliche Sprachäußerungen sind möglich. Es dominiert jedoch das so genannte Klüver-Bucy-Syndrom mit den Leitsymptomen orale Tendenzen, sexuelle Enthemmung, affektive Indifferenz, Antriebsstörung, fehlende Merkfähigkeit und rasche Ablenkbarkeit. Spätes Remissionsstadium: Hier werden verschiedene Ausprägungen des organischen Psychosyndroms durchlaufen. Im Idealfall kommt es zu einer allmählichen Rückbildung aller neurokognitiven Defizite. Nicht selten gelingt eine völlige Wiedereingliederung in den Alltag und sogar in das Berufsleben. Insbesondere seit der Einführung der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation (in Deutschland ab 1989 in Burgau, 1991 in Allens bach) hat sich die Prognose des apallischen Syndroms spürbar verbessert. Die Remission kann sich je nach der Schwere der Hirnschädigung über Tage und Wochen bis zu mehreren Jahren erstrecken. Sie kann überlagert werden durch verschiedenste neurologische Fokalsymptome wie Paresen, Sprachstörungen usw., die auf einer zusätzlichen Schädigung einzelner Hirnregionen beruhen. Für das Vollbild eines apallischen Syndroms, welches länger als vier Wochen andauert, besteht nach überwiegender Lehrmeinung im Spontanverlauf nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine vollständige Remission, obwohl sie prinzipiell möglich und in Einzelfällen auch gut belegt ist. Die Ergebnisse einer Studie von Sazbon & Groswasser (1990) und Groswasser & Sazbon (1990) über 134 Patienten mit "prolonged unawareness" (= Koma von mehr als 30 Tage Dauer) besagen, daß zentrales Fieber, diffuses Schwitzen und Störungen der Sekretion des antidiuretischen Hormons in Verbindung mit Atemstörungen, abnormalen motorischen Reaktionen, Spätepilepsie, nicht kommunizierendem Hydrozephalus und diffusen, nicht-neurologischen Schädigungen mit Nichterholung korreliert sind. 54% von 134 Patienten aber erholten sich, davon erlangten fast die Hälfte Unabhängigkeit im alltäglichen Leben, 72% konnten sozial reintegriert werden, 11% konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Patienten, die zwar in der ersten Woche nach einem isoilierten Hirntrauma eine Dekortikationshaltung ohne Atemstörung zeigten, aber, erlangten mit einer Wahrscheinlichkeit von 94% ihr Bewußtsein wieder . Neuere Untersuchungsergebnisse besagen, daß eine Dissoziation zwischen schwersten körperlichen Beeinträchtigungen und "auftauchendem Bewußtsein" mit "inselförmiger" Wachheit in kognitiven Einzelbereichen häufig vorkommt. Bei bis zu 43% der Patienten können unter multisensorischer Stimulation Remissionsstadien mit minimaler Kooperation und Kontaktaufnahme erreicht werden . Es gibt empirische Untersuchungen dazu, DASS MENSCHEN IM KOMA UND WACHKOMA ÜBER ELEMENTARE WAHRNEHMUNGEN UND EMPFINDUNGEN SOWIE ÜBER EINFACHE LERNFORMEN WIE HABITUIERUNG, PROZEDURALES LERNEN UND OPERANTE KONDITIONIERUNG VERFÜGEN. Mit Hilfe eines sog. Coma-Imagery konnte nachgewiesen werden, daß Langzeitüberlebende eines Wachkomas nicht nur typische Nahtodeserlebnisse, sondern auch ein bizarres Körperselbsterleben bei der Rückerinnerung an den Komazustand in Hypnose berichteten . Bei Rückerinnerung an das Traumaereignis (z.B. Unfallsituation, Mißhandlungen) kam es bemerkenswerterweise zur Einnahme charakteristischer Körperpositionen, die einen direkten Rückschluß auf die Art der Gewalteinwirkung zuließen und außerdem dafür sprechen, DAß AUCH IM KOMA (WIE IN NARKOSE) BASALE WAHRNEHMUNGEN, EMPFINDUNGEN UND PROPRIOREZEPTIVE KÖRPERPOSITIONEN GESPEICHERT WERDEN. Indem die traumatisch abgespaltenen Erinnerungsfragmente durch entsprechende Therapien reintegriert werden, können sich die Patienten wieder entwickeln und eine neue Körperidentität aufbauen . Wenn man sich eingehend mit den Patienten beschäftigt und die Angehörigen miteinbezieht, finden sich nicht nur zahlreiche Krankheitsfolgen und Defizite, sondern auch basale Rehapotentiale und Kompetenzen. Diese Kompetenzen stellen sich zuerst auf der Ebene eines COVERT BEHAVIOR dar, bevor sie in ein OVERT BEHAVIOR übergehen . Neueren Studien zufolge verfügt mehr als die Hälfte aller Wachkoma-Patienten über ein covert behavior, d.h. ein verdecktes internes Verhalten, das sich nicht an äußerlich erkennbaren Reaktionen ablesen läßt oder zumindest für Ungeübte oder Fremde nur sehr schwer erkennbar ist. Diese minimalen Reaktionen werden für Außenstehende oft im erst im weiteren Verlauf sichtbar, lassen sich aber mittels systematischer Beobachtungen und meßtechnischer Ableitungen (Monitoring) nachweisen. Nicht selten sind es die Angehörigen und das Pflegepersonal, die "kleinen vegetativen Zeichen" und die "winzigen tonischen Regungen" zuerst erkennen. Leider wird derartigen Beobachtungen von seiten vieler Ärzte keine Bedeutung zugemessen ("Wunschdenken"). Erst bei entsprechenden Videoaufnahmen wird den Angehörigen Glauben geschenkt. Die genannten Reaktionen und Regungen machen sich anfangs in Form vegetativer Symptome, "primitiven Automatismen" und einer diffusen körperlichen Unruhe bemerkbar; erst später kommt ein gerichtetes Orientierungsverhalten mit Blick- und Kopfwendungen hinzu . Die genannten Verhaltensweisen stellen Versuche zur Selbstaktualisierung und Kontaktaufnahme dar, und zwar auf der Stufe des für den einzelnen Patienten (unbewußt) realisierbaren Vermögens . So konnte man mit einem Großteil der jahrelang für bewußtlos gehaltenen Patienten in Kontakt treten, wenn nach adäquaten Ansprechmöglichkeiten gesucht wurde, diese geduldig ausprobiert, die wirksamsten Reizangebote häufig wiederholt und in strukturierter, individuell adaptierter Form eingesetzt wurden. Es muß demnach von den Außenstehenden erst gelernt werden, die je individuelle "Biosemiotik" der Betroffenen zu entschlüsseln. Notwendig ist eine ästhetische Haltung, die zwischen Empathie und Reflexion oszilliert. Das intuitive Erfassen früher Körpersignale durch die Angehörigen und Pflegenden von Koma- und Wachkomapatienten ist wichtig, weil sich daraus Anknüpfungspunkte für einen frühen Dialogaufbau im Rahmen individueller Fördermaßnahmen ableiten lassen und sich neue Lebensperspektiven für die Betroffenen und ihre Angehörigen eröffnen. NEUERE STUDIEN BESAGEN, DAß SICH DER SCHWEREGRAD DER KRANKHEIT UND DIE GESAMTPROGNOSE POSITIV BEEINFLUSST WERDEN KÖNNEN, WENN GEEIGNETE STIMULATIONSMASSNAHMEN UND FÖRDERPROGRAMME VON EINEM INTERDISZIPLINÄREN TEAM FRÜH, UMFASSEND UND INDIVIDUELL ADAPTIERT EINGESETZT WERDEN RISQUE DE SYNDROME D’IMMOBILITE ET D’AUTONOMIE !!!! . Es wurde eine Überlegenheit multisensorischer Stimulationen gegenüber unimodaler Reizangebote festgestellt; AM BESTEN WIRKSAM WAREN SUBJEKTIV BEDEUTSAME UND VERTRAUTE REIZANGEBOTE VON SEITEN DER ANGEHÖRIGEN. Auch wenn die Wirksamkeit derartiger Koma-Stimulationsprgramme noch nicht abschließend bewertet werden kann, haben sich in den letzten 10-20 Jahren die Behandlungsaussichten entscheidend gewandelt: während früher nur einer von zehn Patienten aus dem Wachkoma erwachte, sind dies heute bei 9 von 10 Patienten. Einige mögliche Konzepte werden deshalb nachfolgend komprimiert dargestellt da nach übereinstimmenden internationalen Erfahrungen läßt sich die Entwicklung eines apallischen Syndroms durch frühe Interventionen, die bereits auf der Intensivstation beginnen, wesentlich abmildern, wenn nicht häufig sogar vermeiden. DIE HÄUFIG ZU BEOBACHTENDE EXTREME KÖRPERLICHE ENTSTELLUNG UND VERKRÜPPELUNG IST KEINE NATÜRLICHE FOLGE DES APALLISCHEN SYNDROMS, SONDERN EINE SEKUNDÄRE SCHÄDIGUNGSFOLGE UND AUSDRUCK PFLEGERISCHER UND THERAPEUTISCHER VERNACHLÄSSIGUNGEN. Von daher müssen bereits in der Akutphase alle präventiven Massnahmen unternommen werden ( siehe Pflegediagnose “ Risque de syndrome d’immobilité” ) um die geringen Chancen einer Rehabilitation zu wahren. Die kurz vorgestellten Pflegetherapeutischen Konzepte lassen sich auch auf andere Patienten übertragen ( z.B. AVC,..) und müssen in Fortbildungsseminaren erlernt werden. Pflegetherapeutische Konzepte Im therapeutischen Team hat jede der beteiligten Berufsgruppen ihre festgelegten Kompetenzen. Bereiche, in denen Konzepte berufsgruppenübergreifend von Pflegenden und Therapeuten gemeinsam umgesetzt werden, werden auch als pflegetherapeutische Konzepte bezeichnet. Gemeinsam ist allen Konzepten, dass sie einen einheitlichen Kenntnisstand aller Beteiligten verlangen. AUCH DIE ANGEHÖRIGEN DES PATIENTEN SOLLTEN NACH AUSFÜHRLICHER INFORMATION UND ANLEITUNG ALS KOTHERAPEUTEN IN DIE PRAKTISCHE UMSETZUNG EINGEBUNDEN WERDEN. Die Einbeziehung des Patienten in die Planung von Aktivitäten und Festlegung des Rehabilitationszieles sollte selbstverständlich sein. 1. Affolter-Konzept (Therapeutisches Führen) Eine Hirnverletzung kann für den betroffenen Menschen nicht nur Probleme in Form mehr oder weniger ausgeprägter Störungen von Motorik und Sensorik nach sich ziehen, auch die Bereiche Konzentration, Sprache und Gedächtnis oder Körperbewusstsein können beeinträchtigt sein. Alltagsaktivitäten werden in Planung und Ausführung durch diese Wahrnehmungsstörungen zusätzlich erschwert bis unmöglich gemacht. Patienten mit schweren Wahrnehmungsstörungen lernen mit den bisher bekannten Übungsund Trainingsmethoden nicht zufriedenstellend. Die üblichen visuellen und auditiven Informationen -auch in der Therapiesituation - reichen ihnen für die Wahrnehmung häufig nicht aus. F. Affolter, klinische Psychologin und Logopädin, entdeckte, dass diesen Patienten mit taktilkinästhetischem Führen in vielen Fällen geholfen werden kann. Konzept : Über die verschiedenen Sinnessysterne erhält der Mensch Informationen über seine Umwelt. Die Vielfalt und die richtige Zuordnung dieser Informationen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, Alltagsaktivitäten angemessen ausführen zu können. Das taktil-kinästhetische System ist nach Affolter für den Menschen besonders wichtig: es vermittelt und verarbeitet die sensorischen Qualitäten, Berührung, Druck, Vibration, Wärme, Kälte, Schmerz usw., es liefert Informationen über die Spannung der Muskeln, Sehnen und Bänder, die Stellung der Gelenke und deren Veränderung. Bei einer Störung dieses Systems erhält der betroffene Mensch nur noch unzureichende Informationen über seine Umwelt und kann darum auch nicht adäquat handeln. Das taktil-kinästhetische System ist das einzige Sinnessystem, das direkt aktiviert werden kann und mit der Realität in direkter, "handgreiflicher" Verbindung steht. Durch Führen der Hände oder des Körpers während der Alltagsaktivitäten durch den therapeutisch Tätigen kann vielen schwer wahrnehmungsbeeinträchtigten Menschen geholfen werden. DAS HAUPTZIEL IST, DEM WAHRNEHMUNGSGESTÖRTEN MENSCHEN ANGEMESSENE ZIEL SPÜRINFORMATION IN DER INTERAKTION MIT DER UMWELT ZU VERSCHAFFEN. Der Betroffene soll "fassbare" Informationen über die jeweilige Situation und die Ursache-Wirkungsbeziehungen beim Lösen von Alltagsproblemen erhalten. Das Gehirn soll in die Lage versetzt werden, durch die angebotenen Informationen zu einer optimalen Selbstorganisation zurückzufinden. Pflegerisches Führen zeigt dem Patienten, wie er mithelfen kann, normale Bewegungen durchzuführen. Therapieprinzipien: • Dem Patienten so viel Information wie möglich über seine Position im Raum geben. • Während des Führens immer mit der Unterlage, der Oberfläche, dem Widerstand in Kontakt bleiben. • Maximale Widerstandsveränderungen einbauen. • Die Hände des Therapeuten bedecken die Hände des Patienten bis zu den Fingerspitzen. Die potenziellen Fähigkeiten des Patienten maximal ausnutzen, auch wenn sie noch nicht sichtbar sind. • Probleme miteinander lösen. Das Affolter-Konzept ist ursprünglich ein ergotherapeutisches Konzept, aber in weiten Bereichen sehr gut in die Pflege zu integrieren. Es bietet eine gute Ergänzung zum Bobath-Konzept. Das Therapiekonzept des Führens verlangt engen körperlichen Kontakt zwischen dem Patienten und Pflegetherapeuten: Zu Beginn der gemeinsamen Aktivitäten muss darum geklärt werden, wie viel Nähe jeder der Beteiligten zulassen kann und will. Während des Führens sollte möglichst nicht gesprochen werden, das gesprochene Wort lenkt den Patienten vom Spüren ab. Bei der Auswahl der geführten Aktivitäten sollten die Interessen des Patienten, die Alltagsrelevanz und die Tageszeitnähe berücksichtigt werden. So sollte man morgens mit der geführten Körperpflege usw. beginnen und über den Tag hinweg mit tageszeitnahen Alltagsaktivitäten zum Abend kommen. Da das therapeutische Führen sehr zeitaufwändig ist, können immer nur festgelegte (und dokumentierte) Teiltätigkeiten geführt werden. Literatur 1. AFFOLTER, F.: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Villingen-Schwennin gen, Neckar-Verlag 1987. 2. AFFOLTER, F./BISCHOFBERGER, W.: Gespürte Interaktion im Alltag. In: LIPP, B./SCHLAEGEL, W. (Hrsg.): Wege von Anfang an. Villingen-Schwenningen, Neckar-Verlag, 1996. 3. ARTs, Margo: Führen - Eine Therapie im Alltag. In: Beschäftigungstherapie und Rehabilitation, Heft 4, Idstein, Schulz-Kirchner 1992. Basale Stimulation Früh- und Wahrnehmungsförderung: Die basale Stimulation bietet eine neue Form des Umgangs mit bewusstseinsgestörten Menschen. Ursprünglich wurde das Konzept für die Früh- und Wahrnehmungsförderung geistig und körperlich behinderter Kinder von Andreas Fröhlich entwickelt. Die Übertragung in die Pflege und Förderung schwerstkranker, wahrnehmungs- und ausdrucksgestörter Patienten erfolgte später unter der Mitwirkung der Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein. Seit Koma und apallisches Syndrom nicht mehr ausschließlich als Zustand der Bewusstlosigkeit, sondern als Überlebensstrategie nach schwerster Traumatisierung verstanden werden, die der normalen Kommunikation allerdings nicht mehr zugänglich sind, bedeutet die basale Stimulation ein Angebot an den betroffenen Patienten, den Weg zurück in ein bewusstes Leben zu betreten. Der Patient hat dabei auch jederzeit die Möglichkeit, das Angebot abzulehnen. Das Konzept der basalen Stimulation bietet also keine Erfolgsgarantie. Konzept: Das Konzept wendet sich wie alle pflegetherapeutischen Konzepte an die Ganzheitlichkeit des Patienten und setzt damit auch ein interdisziplinäres Zusammenwirken voraus. Das Konzept basiert auf folgenden Überlegungen und Bedingungen: Grundlage für die Wahrnehmung von Informationen und deren Weiterverarbeitung ist Veränderung und Bewegung. ES IST KONTRAPRODUKTIV, WENN DAVON AUSGEGANGEN WIRD, DASS DER PATIENT ZUERST VON SICH AUS REAKTION ZEIGEN SOLL, DAMIT DANN GEZIELTE STIMULATION EINSETZT. WENN REAKTIONSFÄHIGKEIT NICHT GEFÖRDERT UND STIMULIERT WIRD, KANN DER PATIENT NICHT REAGIEREN. Stufenmodell der Wahrnehmungsentwicklung: Bereits vorgeburtlich wird ausgebildet: die somatisch-vibratorisch-vestibuläre Ebene. Nach der Geburt entwickeln sich dann die oral-nasale (olfaktorisch-gustatorische), darauf folgend die auditive (akustische) Ebene. Es schließen sich die taktil-haptische und abschließend (5.7.Lebensjahr) die visuell-optische Ebene an. Störungen schränken die Wahrnehmung in umgekehrter Reihenfolge ein. Ziel: Ziel der basalen Stimulation ist es, dem Patienten ein gezieltes, der jeweiligen Ebene der sensorischen Entwicklung entsprechendes Stimulationsangebot zu machen, die defizitäre sensorische Stimulationssituation zu verbessern. Unbedingt zu berücksichtigen Erfahrungshintergrund. sind dabei das Alter des Patienten und sein Wichtige Hinweise zur Durchführung: Ein gezieltes Stimulationsangebot erfolgt zu Beginn 1- bis 2-mal täglich für 10 bis 20 Min. Anfang und Ende der Handlung müssen für den Patienten eindeutig und unmissverständlich erkennbar sein. Die Stimulation erfolgt möglichst zur gleichen Zeit (z.B. während der Übergabezeit). Sie erfolgt immer durch die gleiche Person. Sie erfolgt durch nur eine Person. Das Angebot und die Reaktion des Patienten darauf werden dokumentiert. Die Stimulation sollte möglichst an dem Patienten Vertrautes anknüpfen. Hat sich der Zustand des Patienten also soweit stabilisiert ( Frührehabilitationsphase = nicht mehr intensiv behandlungspflichtig - aber noch immer dort hospitalisiert -, vegetative Zustand stabilisiert), beginnt diese aktivierende Pflege nach dem Konzept von C. Bienstein und A. Fröhlich. Ziel dieses Konzeptes ist "die Begleitung und Förderung in der Fähigkeit zur Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation" . Dabei wird versucht, dem Patienten ein Reizangebot zur Verfügung zu stellen, also ein Angebot oder eine Einladung an den Patienten zu richten. Wichtig ist hierbei, dass das Reizangebot ausreichend Abwechslung bietet, da gleichförmige Reize aus der bewussten Wahrnehmung ausgeblendet werden. Andreas Fröhlich hat dieses Konzept zuerst ausschließlich für schwerst mehrfachbehinderte Kinder entwickelt. Mittlerweile hat die Basale Stimulation aber auch schon in anderen Bereichen, insbesondere in der Erwachsenen - Krankenpflege Anwendung gefunden. Die Basale Stimulation orientiert sich an den Entwicklungsstufen, die der Mensch in seinem Werdungsprozess durchläuft. Im Mutterleib kann der (werdende) Mensch nur zwischen vibratorischen, vestibulären und somatischen Wahrnehmungen unterscheiden. Vibratorische Reize sind die Stimme der Mutter, Geräusche von außerhalb des Körpers, aber auch der Herzschlag, der Blutstrom und die Peristaltik der Mutter. Über die vestibuläre Wahrnehmung erfährt das Kind die räumliche Lage des eigenen Körpers und kann bereits als Fötus auf Bewegungen der Mutter mit Gegenbewegung antworten. Die somatische Wahrnehmung schließlich beinhaltet die Berührungswahrnehmung, also den direkten Hautkontakt zu Plazenta und Fruchtwasser. Da diese drei Wahrnehmungsformen am Beginn der Entwicklung stehen, sind sie auch mit die zweckmäßigsten Stimuli in der Basalen Stimulation in der Frührehabilitationsphase. Erst danach folgen z.B. orale, auditive und visuelle Stimulationen, immer analog der kindlichen Entwicklung. Hierbei schließt eine "höhere" Stimulation die vorherigen aber nicht aus. Vielmehr kommen nach und nach immer neue hinzu. MERKE : Grundlegende Verhaltensmaßnahmen . Werden Maßnahmen zur Basalen Stimulation geplant, sollten die Angehörigen des Patienten zu einer umfassenden Biographie befragt werden. Es ist immens wichtig, so viele Vorlieben und Abneigungen des Patienten herauszufinden wie nur irgend möglich. Eine Stimulation (eine Einladung zurück ins Leben zu kommen) kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient sie als angenehm empfindet oder sie ihn an sein früheres Leben erinnert. So ist beispielsweise der eigentlich unangenehme Geruch von Motoröl bei einem Patienten, der gerne alte Autos restauriert hat, trotzdem eine gute Wahl. Insbesondere sollten die bevorzugte Musikrichtung, Hobbys, Lieblingssendungen im Fernsehen, Leibgericht, Gewohnheiten etc. erfasst werden. Es ist sinnvoll, die Angehörigen in die Planung des Tagesablaufs und die Maßnahmen selbst mit einzubeziehen. Idealerweise sollte ein interdisziplinäres Schema erarbeitet werden, in dem sich Ergotherapeuten, Logopäden, Pflegefachkräfte und durchaus auch Angehörige zeitlich abstimmen, um den Patienten nicht zu überfordern und ihm auch Ruhepausen zu gönnen. Insgesamt sind 2-4 Stimulationen täglich von je 20 Minuten ein sinnvolles Maß. Die Maßnahmen selbst werden möglichst immer von nur einer Person durchgeführt, auf die der Patient sich dann voll konzentrieren kann. Auch insgesamt sollte der betreuende Personenkreis möglichst klein gehalten werden, damit zu dem Patienten eine Beziehung aufgebaut werden kann. Während der Stimulationen sollte die Zahl der Nebengeräusche (Klingel, Alarme, Radio, Lautsprecherdurchsagen etc.) soweit wie möglich reduziert werden. So erhält man leichter die ungeteilte Aufmerksamkeit des Patienten. Es ist ebenfalls sehr vorteilhaft, wenn sich alle Beteiligten auf eine bestimmt Initialberührung einigen, die jeder Maßnahme voraus geht. So wird der Patient nicht überrascht und Abwehrreaktionen werden vermieden. Diese Initialberührung sollte möglichst am Körperstamm erfolgen. Die Schulter ist im Allgemeinen eine günstige Lokalisation hierfür. Zu Vermeiden wären hastige, oberflächliche und punktuelle Berührungen. Auch nach der Initialberührung sollte man den Patienten niemals (alleine oder zu zweit) an mehreren Körperregionen gleichzeitig berühren, damit er eine Berührung eindeutig wahrnehmen und verarbeiten kann. Während der ganzen Stimulation muss der Patient auf Reaktionen hin beobachtet werden. So können nach und nach Stimulationen mit großem Effekt von solchen abgegrenzt werden, die dem Patienten eher unangenehm sind. a. Vibratorische Stimulation Sie kann in die Körperpflege sehr leicht eingebunden werden, indem man den Patienten elektrische Zahnbürsten und Rasierapparate benutzen läßt. Mit "benutzen läßt" ist hierbei gemeint, dass er die Geräte selbst in der Hand hält und wir seine Hand entsprechend der normalen Benutzungsweise führen. Bei elektrischen Zahnbürsten besteht jedoch die Gefahr, dass unruhige oder ängstliche Patient zubeißen, dabei die oft sehr lockeren Bürstenaufsätze abtrennen und herunterschlucken oder gar aspirieren. Daher sollte von Patient zu Patient entschieden werden, ob der Nutzen das Risiko überwiegt. Des Weiteren kann Vibration durch Vibrax(r) Geräte erzeugt werden, die am Thorax, aber auch entlang der Röhrenknochen oder einfach auf der Matratze angesetzt werden. Keinesfalls sollte man solche Geräte an der Muskulatur ansetzten, da das Risiko von pathologischen Tonusveränderungen zu hoch ist. Auch Spazierfahrten auf rauhem Untergrund (Kiesweg) mit dem Rollstuhl, notfalls auch mit dem Krankenbett, erzielen einen vibratorischen Effekt, der das Körpergefühl steigert und damit auch der "Habituationsprophylaxe" dient. Nahe Angehörige sollten angeleitet werden, dass sie in engem Körperkontakt zu dem Patienten "in ihn hineinreden" (audio-vibratorische Stimulation). Dies funktioniert sitzend hinter dem Patienten, Thorax an Thorax gelehnt. Dabei lässt man die eigene Stimme vibratorisch auf ihn einwirken. Auf die gleiche Weise kann die eigene Atemfrequenz und -tiefe auf den Patienten übertragen werden. Dies ist besonders hilfreich, wenn Patienten vom Beatmungsgerät abtrainiert werden. b. Vestibuläre Stimulation Hier soll der Gleichgewichtssinn des Patienten angesprochen werden. Er gibt dem Betroffenen das Gefühl über seine Position im Raum und ist damit ein wichtiger Teil der Eigenwahrnehmung. Geeignete Maßnahmen sind zum Beispiel die Mobilisation in den Rollstuhl, die auch zur Prophylaxe von Sekundärschäden angestrebt werden sollte. Je nach vorhandenem Gerät kann der Patient auch mit dem Lifter in eine Art Hängematte gebracht werden, wo man ihm dann einige Zeit leicht schaukelnd ein Gefühl der Bewegung verschaffen kann. Falls vorhanden, ist das Stehbrett sehr gut geeignet, den Patienten in die senkrechte Position zu bringen. Für Patienten, die bereits Fortschritte gemacht haben, bietet die Industrie auch Fallschirmgurte an, in denen er stehend gehalten wird und dabei das Laufen trainieren kann. Stehen derartige Geräte nicht zur Verfügung, kann das Krankenbett vorsichtig in Schieflage gebracht werden. Dabei sollten die Füße des Patienten auf dem Fußbrett vollständig aufliegen. c. Somatische Stimulation Für diese "Berührungstherapie" können verschiedene Lagerungsmethoden herangezogen werden. Des Weiteren kann die tägliche Körperpflege zu einer Vielzahl von basalen Berührungen genutzt werden. Dabei sollte in der Anamnese geklärt sein, ob vom Patienten Berührungen an bestimmten Körperstellen als unangenehm empfunden werden. Besonders Frauen empfinden Berührungen im Gesicht oft als unangenehm, da sie es von früher gewohnt sind, auf ihr Make-up zu achten. Bei den basalen Berührungen selbst sollte die Dauer, die Intensität und das Material variieren. Dabei kommen eine Menge Möglichkeiten in Frage. Beispiele sind neben herkömmlichen Waschlappen auch harte Schwämme, nasse Stofftücher, rauhe Wolle, weiche Baumwolle oder auch ein blankes Stück Seife auf der Haut. Auch das Kämmen oder Bürsten der Haare und eventuell das Schminken und Lackieren der Nägel sind geeignete somatische Reize, sofern der Patient diese gewohnt ist. d. Orale Stimulation Nach der Geburt beginnt ein Säugling seine Umwelt zunächst über den Mund zu erkunden. Alles neue wird zuerst in den Mund genommen, um es zu untersuchen. Deshalb ist dies auch der nächste Schritt nach vestibulärer, somatischer und vibratorischer Stimulation, den ich hier erläutern möchte. Voraussetzung für diese Art der Basalen Stimulation ist eine intakte Mundschleimhaut, damit die Stimulation für den Patienten nicht unangenehm oder gar schmerzhaft ist. Außerdem sollte der Patient über keine nasogastralen Sonden verfügen, da diese evtl. Brechreize fördern könnten. Am wichtigsten aber ist die Information, ob der Patient noch an Schluckstörungen leidet. Da der Patient nicht ansprechbar ist, kann dies schlecht durch gezielte Schluckversuche erkannt werden. Die sicherste Art ist in diesem Fall die Video – Endoskopie (nasopharyngolaryngeale Endoskopie), die in vielen Neurologischen Zentren bereits mit Erfolg eingesetzt wird. Da der Geruchs- mit dem Geschmackssinn sehr eng verbunden ist, kann und sollte auch die Stimulation beide Sinne ansprechen. Alles, was der Patient in den Mund nehmen soll, muss er vorher riechen können. So können auch Abneigungen rechtzeitig erkannt werden. Dem Patienten eine (für seinen Geschmack) widerliche Speise in den Mund zu legen, würde das mühsam erarbeitete Vertrauensverhältnis empfindlich stören. Aus der Anamnese sind die Lieblingsgerichte des Patienten zu entnehmen und dementsprechend die "Zutaten" zu wählen. Die orale Stimulation kann jedesmal mit der Mundpflege kombiniert werden, so dass diese nicht mehr speziell erfolgen muss. In keinem Fall sollten schlecht schmeckende Mundpflegemittel wie z.B. Hexetidin verwendet werden. Statt dessen verwendet man die Lieblingsgetränke des Patienten, wie z.B. Orangen- oder Apfelsaft. Auch hier ist die Abwechslung wichtig, da sie die Aufmerksamkeit des Patienten zusätzlich erhöht. Oft wird das "Lutschen" am eigenen Finger von den Patienten als wohltuendes Gefühl empfunden. Dieses Bedürfnis hat jeder Mensch mehr oder weniger ausgeprägt, wurde uns aber meist im Kindesalter abtrainiert. Daher sollten die stimulierenden Substanzen vorwiegend mit dem Finger des Patienten in dessen Mund gebracht werden. Evtl. sogar mit dem Finger der pflegenden Person, möglichst aber nicht mit harten, kalten Zangen. Auch die orale Stimulation kann von Angehörigen durchgeführt werden. Aufgrund der hohen Aspirationsgefahr sollten sie dies allerdings nur im Beisein einer Pflegefachkraft oder eines Therapeuten tun. e. Auditive Stimulation Die auditive Stimulation ist eine Maßnahme, welche größtenteils den Angehörigen überlassen werden kann. Dazu müssen sie über einige Grundregeln informiert werden. Erstens sollten die Angehörigen immer den Patienten ansprechen. Also fragen "Wie geht es Dir heute ?" statt "Schwester, wie geht es ihm heute?" Zweitens sollten sie in eine reorientierende Gesprächsweise eingewiesen werden, damit sie den Patienten über Ort, Datum, Jahres- und Tageszeit informieren können. Drittens können Angehörige den Patienten über aktuelle Ereignisse in der Familie informieren oder ihm Briefe von Verwandten und Freunden vorlesen, die ihn nicht so oft besuchen können. Auch Lieblingsbücher des Patienten (Anamnese) sind ein sehr gutes "Vorlesematerial". Viertens können die Angehörigen die Therapeuten und Pflegefachkräfte mit Tonmaterial versorgen, welches man dem Patienten vorspielen kann, wenn längere Zeit kein Besuch zugegen ist. Dafür eignen sich Tonaufnahmen von Familienstimmen, Haustieren (besser man kann die Tiere selbst bringen), oder typischen Geräuschen wie zum Beispiel das Plätschern des kleinen Baches, der am Heimathaus vorbeiläuft. Bei Tonaufnahmen sollte man die Verwendung von Kopfhörern möglichst vermeiden. Die Betroffenen sind am Kopf verletzt und daher oft sehr geräuschempfindlich. Wenn sich Kopfhörer nicht vermeiden lassen, muss die Lautstärke gemäßigt bleiben. Man muss sich vor Augen halten, dass man dem Patienten die jeweilige Kassette aufzwingt und er sich nicht dagegen wehren kann. f. Taktil-haptische Stimulation Hier wird es dem Patienten ermöglicht, seine Umwelt mit den Händen und Füßen zu ertasten. Integriert in die tägliche Grundpflege heißt dies, dass man dem Patienten alle Materialien wie Zahnbürste, Waschlappen, Kamm etc. in die Hand legt und beides zusammen führt. Insbesondere beim Waschen sollte der Patient den Waschlappen selbst halten und dabei nach und nach seinen ganzen Körper ertasten können. So wird die Eigenwahrnehmung verstärkt. Außerhalb der Grundpflege kann dem Patienten ein Tastbrett mit verschiedenen Materialien angeboten werden. Zum Beispiel Teppich, Holz, Schwamm, Fell usw. Das Angebot an tastbaren Gegenständen sollte regelmäßig erweitert werden, damit die Aufmerksamkeit des Patienten nicht nachlässt. Für die Füße bieten sich zum Beispiel ein Fell, Schuhsohlen, eine Steinplatte, eine ausgeschnittene Platte Gras, eine Kiste mit Sand, Stroh oder ähnliches an. Auch hier spielen die Vorlieben des Patienten eine große Rolle. Sand wäre zum Beispiel geeignet für Menschen, die ihren Urlaub gern am Meer verbringen. Wanderer hingegen würden die Berührung von Gras an den Füßen eher als angenehm empfinden. g. Visuelle Stimulation Die frühkindliche Entwicklung der Sehfähigkeit beginnt mit der Wahrnehmung von hell und dunkel. Erst später werden auch Farbstufen wahrgenommen. Entsprechend sollte die visuelle Stimulation zuerst mit einfachen Motiven in den Farben Schwarz und Weiß beginnen. Einfache Objekte werden vor den Augen des Patienten langsam hin und her bewegt. Dabei ist darauf zu achten, ob der Patient den Gegenstand mit den Augen zu fixieren beginnt. Wichtig ist insbesondere bei der Hell/Dunkel-Wahrnehmung, dass der Patient an der Helligkeit auch die Tageszeit erkennen kann. So sollte das Zimmer nachts dunkel bleiben und am Tag erleuchtet sein. Bei Aktivitäten am Patienten die nachts stattfinden (z.B. Lagern) sollte aber das Licht angeschaltet werden. Der Patient kann so besser zwischen Aktivität und Ruhe unterscheiden. Gelegentlich sollte der Patient die Möglichkeit haben, das Sonnenlicht auf seinem Gesicht zu spüren. Später können einfache Farben in die Stimulation mit einbezogen werden. Die Farbe Rot sollte jedoch möglichst vermieden werden, da sie als Warnfarbe meist Gefahr signalisiert. Geeignete Materialien für die Stimulation sind bekannte Gegenstände aus dem Familienleben wie Schlüssel, Uhren, Vasen usw., welche sich schon lange im Haus des Patienten befinden und die er gut wiedererkennt. Im Sichtbereich des Patienten sollten Fotos von Familienangehörigen, Freunden oder Urlaubsbilder angebracht werden. Auch Fotos von Autos, Motorrädern o.ä. sind geeignet, wenn der Patient positive Erinnerungen damit verbindet. Das Unglücksfahrzeug wäre also eher nicht geeignet. An der Decke kann sich auch ein Mobile befinden, das dem Geschmack des Patienten entspricht. Wichtig ist aber, dass er nicht mit Bildern überladen wird. Lieber sollte man des Öfteren umdekorieren. So kann zum Beispiel das Bild der Lebensgefährtin und/oder der Kinder bestehen bleiben, während zwei bis drei andere Bilder im wöchentlichen Turnus ausgetauscht werden. Gerade bei Kinderbildern sollte man auch darauf achten, ältere Bilder zu verwenden, die die Kinder so zeigen wie der Patient sie noch in Erinnerung hat. Literatur 1. BIENSTEIN, C./FROHLICH, A.: Basale Stimulation in der Pflege. 7. Aufl., Düssel dorf, Selbstbestimmtes Leben 1995. 2. LiPPERT-GRONER, M./QUESTER, R./TEERHAG, D.: Frühstimulation, ein Bestandteil des frührehabilitativen Behandlungskonzeptes auf der neurochirurgischen Intensivstation. In: Rehabilitation, 36, Stuttgart, New York, Thieme 1997. 3. NYDAHL/BARTOSZEK (Hrsg): Basale Stimulation, Neue Wege in der Intensiv pflege. 2. Auflage, Wiesbaden, Ullstein Medical 1998. 4. THOME, U.: Neurochirurgische und neurologische Pflege. Berlin, Heidelberg, New York, Springer 1997. 5. ZIEGER, A.: Dialogaufbau in der Frühphase mit komatösen Schädel-Hirn-Verletzten, In: Wege von Anfang an. Villingen-Schwenningen, Neckar-Verlag 1996. Gedicht eines unbekannten Verfassers: "Deine Hände" Deine Hand so weich und warm nimmt die meine zum Gruße an, oder auch zum festen Griff. Neben halten und gehalten werden, zwischen Geben und Nehmen. Ohne Ahnung für die meisten von uns, ist der Gebrauch der Hand in der Pflege die größte Kunst. Ohne aber hinzuspüren, wenn sich Haut und Hand berühren, oft die Schmerzen größer sind. Zeigt dir selber, wenn es dir gelingt, wie anders jetzt ich reagiere, wenn ich deine Liebe spüre. Weil deine Hand das Werkzeug ist, mit der du all dein Tun vermittelst. Ohne Ahnung, daß ich spüre, wie im Moment deine Gedanken sind. Zusammen als Einheit, ohne Trennung sie dir gegeben sind. Oft ziehst du den Handschuh an, weil Hygiene Vorschrift ist. Weißt du, daß es schrecklich ist, wenn meine Haut nur Plastik spürt? Es ist so selten geworden, daß mich jemand berührt. Oder hast du vor mir Angst, mit Gefühl mir zu begegnen? Offensichtlich die Barriere ist, weil du nie die Distanz vergißt. Nähe ist nicht leicht für dich. Ohne Angst nicht zu ertragen. Worte können niemals sagen, was deine Hände wortlos geben: sie sind ein Fluch oder der größte Segen. Bobath-Konzept Die Physiotherapeutin Berta Bobath entdeckte durch Zufall, dass bei bestimmten Stellungen und Lagerungen spastischer Patienten die Spastizirät nachließ oder verschwand. Der Neurologe Karel Bobath, ihr Ehemann, überprüfte die Entdeckung und erarbeitete die neuropsychologischen Grundlagen des inzwischen weltweit anerkannten Bobath-Konzeptes. Das Bobath-Konzept ist nicht das einzige krankengymnastische Konzept zur Behandlung neurologischer Störungen, aber kein anderes Konzept hat so weit reichenden Einfluss auf die pflegerische Arbeit genommen. Es ist anwendbar bei allen neurologischen Erkrankungen, die mit einer Zerstörung des funktionellen Nervengewebes des zentralen Nervensystems einhergehen. Die größten Erfolge werden bei Menschen mit Herniplegie erzielt. Das Konzept geht von folgenden Überlegungen aus: Die Planung von Bewegung erfordert immer das Zusammenspiel beider Hirnhälften. Deshalb können auch Bewegungen der nicht betroffenen (richtiger: weniger betroffenen) Körperseite beeinträchtigt sein. Bewegung wird vom Gehirn immer als eine einheitliche Information abgespeichert, obwohl jede Bewegung aus den Komponenten Motorik und Sensorik besteht. Demzufolge leiden auch Menschen mit Wahrnehmungsstörungen unter Bewegungsstörungen. Aufgrund der Plastizität des Gehirns können verloren gegangene Funktionen teilweise von nicht betroffenen und bisher nicht genutzten Hirnanteilen übernommen werden. Bis zum Tod ist neuronales Lernen möglich. Der Patient sollte deshalb möglichst häufig physiologische Bewegungsabläufe trainieren. Die Möglichkeit, dass das Gehirn falsche oder spastische Bewegungsmuster als "normal" erlernt, wird damit vermindert. Ziele des Konzeptes: Wahrnehmungsförderung durch regelmäßige Lagerungswechsel und Transfers. Normalisierung des Muskeltonus, insbesondere das Hemmen abnormer Haltungs- und Bewegungsmuster durch entsprechende Lagerungs- und Bewegungstechniken. Bahnen der normalen Bewegungsabläufe im Alltag immer unter Einbeziehung der betroffenen Seite. Bei der bilateralen Armführung z.B. führt der Patient mit seinem weniger betroffenen Arm seinen betroffenen bei den Transfers, beim Essen und beim An- und Ausziehen. Beim therapeutischen Führen führt das Pflegepersonal den betroffenen Arm des Patienten so, wie der Patient ihn ohne Schädigung gebrauchen würde. Möglichst frühe Anwendung am Patienten zur Beschleunigung der Rehabilitation. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung: • Das Gehirn ist 24 Stunden täglich lernbereit. Um dem Gehirn möglichst viele richtige Informationen über Bewegung anzubieten, ist es notwendig, auch das Konzept 24 Stunden täglich anzuwenden. • Das 24-Stunden-Management setzt voraus, dass alle Mitglieder des therapeutischen Teams einschließlich des Patienten und seiner Angehörigen in das Konzept eingewiesen sind, damit ein einheitlicher Umgang mit dem Patienten gewährleistet ist. • Das Bobath-Konzept ist ein ganzheitliches und damit individuelles Konzept und setzt zur Information aller Beteiligten eine sorgfältige Pflegeplanung und -dokumentation voraus. 2.3.1 Literatur 1. BoBATH, Berta: Die Herniplegie Erwachsener. 5. überarbeitete Auflage, Stutt gart, Thieme Verlag 1993. 2. HASEMANN, Wolfgang/MENCHE, Nicole: Pflege nach dem Bobath-Konzept. In: Pflege Heute, Pflege in der Neurologie und Neurochirurgie. Stuttgart, jena, Lübeck, Ulm, Gustav Fischer 1998. 3. LAY, Reinhard/STOLZ, Caroline: Bewegen und Lagern von Patienten. In: Die Schwester/Der Pfleger Heft 3, Melsungen, Bibliomed 1998. 4. SCHNEIDER, Eva-Maria: Leitfaden für die Pflege von Herniplegiepatienten nach dem Bobath-Konzept. In: Die Schwester/Der Pfleger. Heft 11, Melsungen, Bibliomed 1997. 5. URBAS, Lothar: Die Grenzen zur Therapie überschreiten. In: Pflegezeitschrift 2, Stuttgart, Kohlhammer 1995. 6. VOHS, Martina/WINTER, Ihe (Hrsg.): Fachpflege Rehabilitation, (M. ZÖPF, Rehabilitative Pflege in der Neurologie nach dem Bobath-Konzept). München, jena, Urban & Fischer 1999 FOT-T ( Facio-Oraler-Trakt-Therapie ) Nach einer Traumatisierung im Bereich der hinteren Schädelgrube muss immer mit der Möglichkeit von Störungen der Motorik bzw. mit Sensibilitätsstörungen im Mund Rachen-Kehlkopfbereich gerechnet werden, z. B. Schluckstörungen. Schluckstörungen treten bei Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma nicht isoliert auf, sie sind in der Regel vergesellschaftet mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Fazialisparese und damit auch mit gestörter Mimik und mit Sprechproblemen. Jede offensichtliche, durch Krankheit oder Behinderung verursachte Veränderung im Gesichts- und Kopfbereich belastet den betroffenen Menschen psychisch meist ebenso stark wie physisch. Die Patienten neigen dazu, sich aus der Gemeinschaft abzusondern oder die Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen zu reduzieren. Das Konzept beruht wie auch das Affolter-Konzept auf den Erkenntnissen von M. u. K. Bobath. Das Ziel des FOT-T ist, • dem Patienten durch eine Tonusnormalisierung bzw. Tonusverbesserung aller beteiligten Strukturen eine möglichst störungsfreie Nahrungsaufnahme zu ermöglichen, • ein Leben ohne Ernährungssonde zu ermöglichen, • die nonverbale Kommunikation und Stimmgebung wiederzuerlangen. Nach der Befunderhebung, die institutionsabhängig durch eine/n Training Sprach- oder Physiotherapeuten/in oder eine speziell geschulte Pflegekraft erfolgt, werden die notwendigen Übungen festgelegt. Sie sollen mehrmals täglich durchgeführt werden und sind problemlos in die täglichen pflegerischen Handlungen zu integrieren, z.B. in die Körperpflege. Zu den wichtigsten Übungen gehören das Runzeln der Stirn, wobei das Runzeln auf der betroffenen Seite mit Unterstützung durch den Finger ermöglicht wird. Das Verbringen von Luft - bei geschlossenem Mund - von der nicht betroffenen Wangentasche in die betroffene, anfangs mit Druckunterstützung durch einen Finger von der Außenseite her, ist eine erfolgversprechende Übung für die Stärkung der Wangenmuskulatur. Eine schlaffe Wange kann leicht beklopft (tapping) oder mit Eis oder sonstigen Berührungsreizen stimuliert werden. Eine Wange mit erhöhtem Muskeltonus erfährt einen Tonusrückgang durch leichtes, kurzzeitiges Bestreichen mit den Fingern. Als Training der Lippen bzw. Mundregion sind alle Übungen einsetzbar, die mit einem Spitzen des Mundes verbunden sind (z.B. Flamme ausblasen, Pfeifübungen u.ä.). Zur Steigerung von Sensibilität und Tonus der Zunge kann das Herausstrecken, ggf. Herausziehen der Zunge mehrmals täglich, mit Stimulation durch Bestreichen, erfolgversprechend eingesetzt werden. Training des oralen Traktes: Ausstreichungen und Berührungen sollen immer von peripher zur Mittellinie des Körpers geführt werden (siehe auch Bobath-Konzept, basale Stimulation). Alle Übungen können vom Patienten nach Anleitung auch selbstständig trainiert werden. Voraussetzung dafür ist allerdings das Fehlen ausgeprägterer neuropsychologischer Störungen. Als Durchführungs- und Erfolgskontrolle sollten alle Übungen vor einem Spiegel ausgeführt werden. An der Rehabilitation eines schluckgestörten Patienten ist das gesamte therapeutische Team beteiligt. Während z.B. die Therapie der aus der Schädigung resultierenden Sprach-, Sprech- oder Stimmstörungen in aller Regel Logopäden/-innen oder Sprachtherapeuten/innen vorbehalten ist, sind die Schluckstörungen der wichtigste Bereich, auf den die Pflege therapeutisch Einfluss nehmen kann. Nach wie vor ist die Pflege in der Regel die einzige Berufsgruppe, die das 24 Stunden pro Tag bestehende Schluckproblem auch 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche angehen kann. Die Gruppe der schluckgestörten Patienten ist in den letzten Jahre zahlenmäßig sprunghaft angestiegen: eine Folge der erheblich verbesserten intensiviriedizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Noch vor 10-15 Jahren verstarb ein Großteil dieser Patienten aufgrund der Lokalisation und Ausdehnung ihrer Schädigung. Das Training des oralen Traktes darf erst nach einer ausführlichen Schluckdiagnostik aufgenommen werden. Literatur 1. BARTOLOmF" Gudrun u.a.: Schluckstörungen - Diagnostik und Therapie. 2. Aufl., München, Jena, Urban & Fischer 1999. 2. BÜRGER-MILDENBERGER u.a.: Essen und Trinken. in Pflege Heute, Kap. 7, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm, Gustav Fischer 1998. 3. COOMBES, Kay: Von der Ernährungssonde zum Essen am Tisch - Aspekte der Problematik. In: Lipp, B./SCHLÄGEL, W. (Hrsg.) Wege von Anfang an. VillingenSchwenningen, Neckar-Verlag 1996. 4. THOM~, Ulrich: Neurochirurgische und neurologische Pflege: Faszioorale Therapie. Berlin, Heidelberg, New York, Springer 1997. Kinästhetik (Griech.: kinesis = Bewegung, Bewegungsempfindung.) aisthesis = Empfindung; die Lehre von der Die Bezeichnung Kinästhetik ist als Übersetzung des amerikan. Originaltitels "kinaesthetics" als Beschreibung der Arbeit zu verstehen, aus der sich das Programm entwickelt hat. Kinästhetik ist kein Rezept für den richtigen Handgriff, sondern stellt ein kreatives Handlingkonzept für die Interaktion mit dem Patienten durch Berührung und Bewegung dar. Das Konzept ist universell einsetzbar, es ist nicht speziell auf neurologische Erkrankungen ausgerichtet, eine zielgerichtete Kombination mit dem Bobath-Konzept ist trotzdem gut möglich. Entwickelt wurde das Prinzip der Kinästhetik von Dr. Frank Hatch und Dr. Lenny Maietta. Zusammen mit Suzanne Schmidt, einer Krankenschwester aus der Schweiz, machten sie das Konzept im deutschsprachigen Raum bekannt. Grundlage des Konzeptes sind die Verhaltenskybernetik (Wissenschaft Konzept von der Steuerung und Regelung komplexer Systeme/Ergonomie), die humanistlsche Psychologie und Elemente des modernen Tanzes. Es ist ein ganzheitliches Konzept, das konsequent die auch in einem Schwerstkranken noch vorhandenen Fähigkeiten nutzt. Es geht davon aus, dass jede Bewegung, die eine Pflegekraft für den Patienten ausführt, den Patienten unselbstständiger macht und die eigene Gesundheit belastet. Die Interaktion im Bereich Bewegung und Berührung soll zwischen Pflegeperson und Patient bewusst so gestaltet werden, dass die Gesundheit des Patienten gefördert, der Patient aktiviert, Bewegung mit dem Patienten gemeinsam gestaltet und mit geringem Kraftaufwand und schonend gearbeitet wird. Das Gesamtkonzept ist in sechs sog. "kinästhetische" Einzelkonzepte untergliedert: 1. Konzept: Interaktion Bewegung erfolgt nicht einseitig durch die Pflegekraft, sondern die Pflegekraft passt sich den Möglichkeiten des Patienten an und bewegt sich mit ihm. 2. Konzept: Funktionale Anatomie Der Körper wird aufgeteilt in die sogenannten "Mas sen" (Kopf, Brustkorb, Becken, Arme, Beine) und "Zwischenräume" (Hals, Schultergelenke, Taille, Hüfte). Die Massen sind stabil und tragen Gewicht, die Zwischenräume sind instabil und beweglich und werden genutzt, um Gewicht zu verlagern. 3.+ 4. Konzept: Menschliche Bewegung und Funktion Dieses Konzept beschreibt die dreidimensionalen Bewegungsmöglichkeiten der Zwischenräume und deren Einsatz für leichteres Bewegen (z.B. Drehen in Seitenlage als Vorbereitung zum Transfer). 5. Konzept: Anstrengung Durch den Einsatz von Zug und Druck werden Massen einzeln - ohne große Anstrengung - bewegt. 6. Konzept: Umgebung Die direkte Umgebung des Patienten ist so zu gestalten, dass er seine größtmöglichen Bewegungsressourcen einsetzen kann. Kinästhetik kann am besten in entsprechenden Kursen erlernt werden. 2.5.1 Literatur 1. BORGER-MILDENBERGER u.a.: Kinästhetik. In: Pflege Heute Kap. 7, Stuttgart, Jena, Lübeck, Ulm, Gustav Fischer 1998. 2. HATCHIMAIETTA: Kinästhetik - Gesundheitsentwicklung und menschliche Funktion. Wiesbaden, Ullstein Medical 1998. 3. HATCH, F./MAIFTTA, L./SCHMIDT, S. Kinästhetik. 3. Aufl., Eschborn, DWK-Ver lag 1994.