Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom.

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Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom.
Pflege eines Patienten mit einem apallischen Syndrom.
Definition:
Die Prognose des schweren SHT hängt entscheidend von Ausprägung und Dauer der
hirndruckbedingten Einklemmung des Hirnstammes ab. Normalisiert sich der Hirndruck
spontan oder durch die Wirksamkeit der hirndrucksenkenden Massnahmen rasch, so ist eine
zügige Erholung möglich. Halten Hirndruck und Einklemmung über längere Zeit an, so kommt
es häufig zu bleibenden Schädigungen des Hirnstammes. Ähnliche Situationen können auch
durch direkte Verletzungen des Hirnstammes wie Hirnstammkontusionen oder intraaxiale
Scherverletzungen entstehen. Es resultiert eine funktionelle Abkoppelung des
Hirnstammes von den übergeordneten Hirnanteilen. Aus dem MittelhirnSyndrom
entwickelt sich nach einem Übergangsstadium das apallische Syndrom.
Bild 1 : Abgrenzung Stammhirn (mit Kleinhirn) zu Großhirn
KLINISCH HANDELT ES SICH ALSO UM EINEN AUSFALL DER VERBINDUNG
DES GROSSHIRNS ZUM STAMMHIRN.
Die Betroffenen haben im Gegensatz zum Koma die Augen geöffnet, können aber
(zumindest anfangs) noch nicht fixieren. Obwohl apallische Menschen nicht zur direkten
Kontaktaufnahme mit der Umwelt befähigt sind, erfolgen oft emotionale Reaktionen
auf akustische, visuelle und BerührungsReize.
Auch ist deutlich ein Schlaf/Wach-Rhythmus
erkennbar. Der Tag/Nacht-Rhythmus des
Betroffenen ist jedoch meistens gestört.
Seine Beweglichkeit ist meist durch Spastiken
eingeschränkt.
Die Augen befinden sich in Divergenzstellung
und führen bei passiver Drehung des Kopfes eine
Gegenbewegung aus.
In der Vergangenheit wurde diese Krankheit oft
mit Begriffen wie "vegetativer Zustand",
"primitiv", "sinnlose Hülle" oder "hirntot"
versehen. Obwohl sich letzteres durch ein EEG
heute schnell widerlegen lässt.
Abgrenzung Stammhirn zu Grosshirn.
Was ist ein Locked-in-Syndrom ?
Das apallische Syndrom muß vom so genannten "Locked-in-Syndrom" abgegrenzt werden. Bei
dieser Erkrankung sind die Betroffenen bei vollem Bewusstsein, können sich aber nur durch
vertikale Augenbewegungen und Lidschluss äußern. Ein Laie kann diese beiden Krankheitsbilder
leicht verwechseln.
Um einen Patienten im Locked-in-Syndrom zu erkennen, sollte man
jeden vermeintlichen Wachkomapatienten beim ersten Kontakt
namentlich ansprechen und dazu auffordern, sich durch eine
Muskelbewegung bemerkbar zu machen.
Locked-in-Patienten werden dann meist eine Augenbewegung oder ein Blinzeln versuchen. Aber
auch jeder andere Muskel könnte angespannt werden. In aller Regel wird man zwar keine gezielte
Reaktion erhalten und sich damit die Diagnose des apallischen Durchgangssyndroms bestärken,
aber alleine die Möglichkeit, eventuell einen Locked-in-Patienten zu erkennen, sollte dieses kurze
Experiment rechtfertigen.
Funktionen
BEIM APALLISCHEN SYNDROM SIND DIE LEBENSNOTWENDIGEN VEGETATIVEN
FUNKTIONEN ERHALTEN, WÄHREND DIE KOGNITIVEN FÄHIGKEITEN
ERLOSCHEN SIND. Die Patienten erscheinen wach, können aber weder ihre Umwelt
wahrnehmen noch mit ihr Kontakt aufnehmen. Weitgehend synonym verwendet werden Begriffe
wie Wachkoma, Dezerebration und im anglo-amerikanischen Sprachraum (persistent) vegetative
state (PVS).
Erstbeschreibung:
Das apallische Syndrom wurde 1940 erstmals von Kretschmer beschrieben und seit den
60er-Jahren insbesondere von Gerstenbrand eingehend untersucht. Das Vollbild des apallischen
Syndroms ist im Wesentlichen durch folgende Symptome charakterisiert:
"Coma vigile" (wacher Patient bei fehlendem Bewusstseinsinhalt).
Starrer Blick in die Umgebung ohne Wahrnehmung von Außenreizen.
Augenbulbi leicht divergent, geringes sakkadiertes Bulbusschwirnmen.
Pupillen mäßig geweitet, Lichtreaktion verzögert und unergiebig.
Tageszeitlich unabhängiger, ermüdungsgesteuerter Schlaf-WachRhythmus.
Zunehmende Beugehaltung der Extremitäten und des Rumpfes.
Auf Außenreize Beuge-Streckstellung der Extremitäten verbunden mit ungerichteten
Massenbewegungen.
Hyperreflexie beim Auslösen aller Sehnenreflexe, Pyramidenbahnzeichen, Fluchtreflexe.
Tonussteigerung der Muskulatur (Rigido-Spastizität).
Motorische Primitivschablonen des Oralsinnes und des Greifens.
Haltungs- und Stellreflexe.
Differentialdiagnostik:
Wichtig ist die differenzialdiagnostische Abgrenzung von ähnlich imponierenden Syndromen wie
Locked-in-Syndrom, akinetischem Mutismus, Hypersomnie-Syndrom, Koma, Hirntod
und schweren psychiatrischen Erkrankungen wie Katatonie und depressivem Stupor, da
sich hier völlig andere Behandlungsmöglichkeiten ergeben. Unscharfe Begriffe wie dyspallisches
Syndrom oder apallisches Durchgangssyndrom sollten vermieden werden. Letzteres soll wohl
zum Ausdruck bringen, dass die Prognose des apallischen Syndroms keineswegs infaust ist.
Remissionsphasen:
Die Rückbildung des apallischen Syndroms unterteilen wir in verschiedene Remissionsphasen.
GERSTENBRAND unterscheidet sieben Remissionsphasen:
Die 7 Remissionsstufen
Phase 1
Koma
Phase 2
Coma vigile apallisches Syndrom
-
Tiefe Bewußtlosigkeit
Kein Augenöffnen auf Schmerz
Keine emotionelle Reaktion
Lange Schlaf- und kurze Wachphasen in Abhängigkeit von
Belastungsmomenten
Augen sind für längere Zeit geöffnet
Wachkoma
Phase 3
Primitivpsychomotorische
Phase
Phase 4
Phase des
Nachgreifens
Reflektorische Primitivmotorik auf Schmerzreize und
pflegerische Maßnahmen
Motorische Primitivschablonen im Sinne von
Massenbewegungen auf äußere Reize verschiedenster Art
Wischbewegungen, orale Mechanismen
Ausgeprägter Hypertonus (Spastik)
Undifferenziertes ängstliches Verhalten
Zunehmend differenzierter werden ängstlicher Ausdruck in
Augen und Mimik
Schwitzen
Wachphasen beginnen sich an der Tageszeit zu orientieren
Patienten halten für kurze Zeit Blickkontakt
Bedingtes optische Fixieren ist möglich, jedoch noch kein
Erkennen (zunächst auf akustische, später auf optische Reize).
Patient beginnt den Kopf zu drehen.
Psychomotorische Unruhe - Abwend-, Wisch- und Strampelbewegungen - teilweise noch mit Massenbewegungen
verbunden
Eßtraining wird möglich
Rigider Haltungstonus wird lockerer
Ungeduldiges Verhalten bei der Pflege, in der Therapie (Patient
dreht den Kopf weg, schließt die Augen)
Erste mimische Reaktionen - ein Lächeln oder Schmollen
können beobachtet werden
Sicheres optisches Fixieren und Folgen von Gegenständen und
Personen, die sich im Gesichtsfeld des Patienten befinden
Es wird alles in den Mund gesteckt, allerdings ohne jegliche
Absicht dahinter
Unmutsbrummen, "ein Lallen" kann beobachtet werden
Gezieltere motorische Aktivitäten - Hand öffnen & schließen,
aller- dings noch mit fehlender Kraftdosierung - dies betrifft
vorallem das Festhalten und Loslassen
Patient greift gezielter nach Gegenständen - greift aber auch
gerne in das Essen Nachlassen des Hypertonus
Dem Patienten fehlt noch ein komplettes Verständnis für die
Situation
Dem Patienten fehlt noch die sprachliche Verständigung
Optisches Verfolgen von Gegenständen und Personen
außerhalb des Gesichtsfeldes sind noch nicht möglich
Patient kann noch nicht auf verbale Aufforderung reagieren
Phase 5
Klüver-Bucy Phase
Rasch wechselndes Affektverhalten mit zornigen Reaktionen
und anschließendem Schmeichel-, Streichelverhalten
Gefühle wie Freude und später auch Trauer werden
differenzierter
Bedingtes Sprach- und Situationsverständnis
Code-Sprache ist möglich
Personen können bereits unterschieden und wiedererkannt
werden
Zunehmender Einsatz von Sprache - ja/nein - bei manchen
Patienten ist die Sprache innerhalb kürzester Zeit wieder da
Beherrschte Fähigkeiten setzen langsam wieder ein
Koordination und Kraftdosierung werden sicherer und gezielter
- Hand geben & wieder loslassen
- Löffel halten und wieder gezielt ablegen
- gute Rumpf- und Kopfkontrolle
- Gehen mit Hilfestellung
- mit Einsetzen der Willkürmotorik oft gleichzeitige
Entwicklung
spastischer Bewegungsabläufe
Motorische Schablonen treten auf (zB Handkuß geben)
Eßsucht
Fehlendes Schamgefühl kann beobachtet werden
Dem Patienten fehlt noch die Orientierung zu Zeit, Personen,
Ort
Fehlendes Realitätsbewusstsein & fehlende Kritikfähigkeit
Inkontinenz
Patient kann eigene Fähigkeiten und Möglichkeiten noch nicht
richtig einschätzen
Phase 6
Korsakow-Phase
Bewußtwerden der eigenen Stimmung - das Gefühlsleben
erwacht wieder: es kann nun auch Trauer gefühlt werden
Euphorisch-depressive Stimmungslage
Aufbau der Sprache (hier ist die logopädische Unterstützung
sehr wichtig)
Orientierungsphase
Personen können nun auch benannt werden; ebenso werden
erste Wünsche konkret benannt.
Bewußtwerden der eigenen Situation (Suizidgefahr!)
Abbau der Bewegungsschablonen
Komplexe und koordinierte Bewegungsabläufe werden möglich
Eigeninitiiertes Handeln ist ansatzweise zu beobachten
Freies Laufen
Einschätzen der eigenen Situation und damit
Zukunftsperspektive gelingt dem Patienten noch nicht.
Teilweise können Ausfälle im Kurz- und Mittelzeitgedächtnis
beobachtet werden
Häufig starke Diskrepanz zwischen der geistigen und
motorischen Leistungsfähigkeit - letztere beeinträchtigt durch
erhebliche Beuge- und Streckspasmen
Phase 7
Integrationsstadium
Die Orientierung ist weitgehend vorhanden und ein sinnvolles
Handeln ist möglich. Der Patient kann Aufträge befolgen und
somit ist eine sehr gute Mitarbeit in der Therapie möglich.
Der Patient beginnt, sich mit seiner Umwelt
auseinanderzusetzen und plant seinen Tagesablauf.
Berufswünsche werden geäußert, Zukunftspläne werden
geschmiedet - der Patient orientiert sich verstärkt nach außen.
Im Rahmen seiner motorischen Fähigkeiten wird der Patient
zunehmend unabhängiger.
In den meisten Fällen ist der Patient sowohl harn- als auch
stuhl-kontinent.
Die Einstellung zu sich selbst und zur eigenen Behinderung ist
wieder
"positiver".
Es können eine Reihe von Problemen bestehen bleiben, die für
den Patienten in weiterer Folge hinderlich sein können:
- Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen
- Konzentrationsschwäche
- hochgradige Sehstörungen bzw. Blindheit
- andere körperliche Behinderungen
- Distanz- und Kritikschwäche des Patienten
- leichte Reizbarkeit & Ablenkbarkeit
- mangelnder Antrieb
- geringe Flexibilität
Quelle: 7 Remissionsstufen im grobschematischen Überblick in Anlehnung an F.
Gerstenbrand
Bewährt hat sich auch die orientierende Einteilung in ein FRÜHES, EIN MITTLERES UND EIN
SPÄTES REMISSIONSSTADIUM.
Frühes Remissionsstadium: Es kommt zur Entwicklung einfacher emotionaler Reaktionen
auf Außenreize wie Lachen oder Weinen. Die Patienten beginnen optisch zu fixieren. Später
folgen sie optischen Außenreizen, beginnen nachzugreifen und wenden sich akustischen Reizen
gezielt zu.
Mittleren Remissionsstadium: Es kommt zu
gezielten motorischen Aktionen und
verständliche Sprachäußerungen sind möglich. Es dominiert jedoch das so genannte
Klüver-Bucy-Syndrom mit den Leitsymptomen orale Tendenzen, sexuelle Enthemmung,
affektive Indifferenz, Antriebsstörung, fehlende Merkfähigkeit und rasche Ablenkbarkeit.
Spätes Remissionsstadium: Hier werden verschiedene Ausprägungen des organischen Psychosyndroms durchlaufen. Im Idealfall kommt es zu einer allmählichen Rückbildung aller
neurokognitiven Defizite. Nicht selten gelingt eine völlige Wiedereingliederung in den Alltag und
sogar in das Berufsleben.
Insbesondere seit der Einführung der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation (in
Deutschland ab 1989 in Burgau, 1991 in Allens bach) hat sich die Prognose des apallischen
Syndroms spürbar verbessert.
Die Remission kann sich je nach der Schwere der Hirnschädigung über Tage und Wochen bis
zu mehreren Jahren erstrecken. Sie kann überlagert werden durch verschiedenste neurologische
Fokalsymptome wie Paresen, Sprachstörungen usw., die auf einer zusätzlichen Schädigung
einzelner Hirnregionen beruhen.
Für das Vollbild eines apallischen Syndroms, welches länger als vier Wochen andauert,
besteht nach überwiegender Lehrmeinung im Spontanverlauf nur eine geringe Wahrscheinlichkeit
für eine vollständige Remission, obwohl sie prinzipiell möglich und in Einzelfällen auch gut
belegt ist. Die Ergebnisse einer Studie von Sazbon & Groswasser (1990) und Groswasser &
Sazbon (1990) über 134 Patienten mit "prolonged unawareness" (= Koma von mehr als 30 Tage
Dauer) besagen, daß zentrales Fieber, diffuses Schwitzen und Störungen der Sekretion des
antidiuretischen Hormons in Verbindung mit Atemstörungen, abnormalen motorischen
Reaktionen, Spätepilepsie, nicht kommunizierendem Hydrozephalus und diffusen,
nicht-neurologischen Schädigungen mit Nichterholung korreliert sind. 54% von 134
Patienten aber erholten sich, davon erlangten fast die Hälfte Unabhängigkeit im alltäglichen
Leben, 72% konnten sozial reintegriert werden, 11% konnten ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Patienten, die zwar in der ersten Woche nach einem isoilierten Hirntrauma eine
Dekortikationshaltung ohne Atemstörung zeigten, aber, erlangten mit einer Wahrscheinlichkeit
von 94% ihr Bewußtsein wieder . Neuere Untersuchungsergebnisse besagen, daß eine
Dissoziation zwischen schwersten körperlichen Beeinträchtigungen und "auftauchendem
Bewußtsein" mit "inselförmiger" Wachheit in kognitiven Einzelbereichen häufig vorkommt. Bei
bis zu 43% der Patienten können unter multisensorischer Stimulation Remissionsstadien mit
minimaler Kooperation und Kontaktaufnahme erreicht werden .
Es gibt empirische Untersuchungen dazu, DASS MENSCHEN IM KOMA UND
WACHKOMA ÜBER ELEMENTARE WAHRNEHMUNGEN UND EMPFINDUNGEN
SOWIE ÜBER EINFACHE LERNFORMEN WIE HABITUIERUNG, PROZEDURALES
LERNEN UND OPERANTE KONDITIONIERUNG VERFÜGEN. Mit Hilfe eines sog.
Coma-Imagery konnte nachgewiesen werden, daß Langzeitüberlebende eines Wachkomas nicht
nur typische Nahtodeserlebnisse, sondern auch ein bizarres Körperselbsterleben bei der
Rückerinnerung an den Komazustand in Hypnose berichteten . Bei Rückerinnerung an das
Traumaereignis (z.B. Unfallsituation, Mißhandlungen) kam es bemerkenswerterweise zur
Einnahme charakteristischer Körperpositionen, die einen direkten Rückschluß auf die Art der
Gewalteinwirkung zuließen und außerdem dafür sprechen, DAß AUCH IM KOMA (WIE IN
NARKOSE) BASALE WAHRNEHMUNGEN, EMPFINDUNGEN UND
PROPRIOREZEPTIVE KÖRPERPOSITIONEN GESPEICHERT WERDEN. Indem die
traumatisch abgespaltenen Erinnerungsfragmente durch entsprechende Therapien reintegriert
werden, können sich die Patienten wieder entwickeln und eine neue Körperidentität aufbauen .
Wenn man sich eingehend mit den Patienten beschäftigt und die Angehörigen miteinbezieht,
finden sich nicht nur zahlreiche Krankheitsfolgen und Defizite, sondern auch basale
Rehapotentiale und Kompetenzen. Diese Kompetenzen stellen sich zuerst auf der Ebene eines
COVERT BEHAVIOR dar, bevor sie in ein OVERT BEHAVIOR übergehen . Neueren
Studien zufolge verfügt mehr als die Hälfte aller Wachkoma-Patienten über ein covert behavior,
d.h. ein verdecktes internes Verhalten, das sich nicht an äußerlich erkennbaren Reaktionen
ablesen läßt oder zumindest für Ungeübte oder Fremde nur sehr schwer erkennbar ist. Diese
minimalen Reaktionen werden für Außenstehende oft im erst im weiteren Verlauf sichtbar, lassen
sich aber mittels systematischer Beobachtungen und meßtechnischer Ableitungen (Monitoring)
nachweisen. Nicht selten sind es die Angehörigen und das Pflegepersonal, die "kleinen
vegetativen Zeichen" und die "winzigen tonischen Regungen" zuerst erkennen. Leider
wird derartigen Beobachtungen von seiten vieler Ärzte keine Bedeutung zugemessen
("Wunschdenken"). Erst bei entsprechenden Videoaufnahmen wird den Angehörigen Glauben
geschenkt. Die genannten Reaktionen und Regungen machen sich anfangs in Form vegetativer
Symptome, "primitiven Automatismen" und einer diffusen körperlichen Unruhe
bemerkbar; erst später kommt ein gerichtetes Orientierungsverhalten mit Blick- und
Kopfwendungen hinzu . Die genannten Verhaltensweisen stellen Versuche zur
Selbstaktualisierung und Kontaktaufnahme dar, und zwar auf der Stufe des für den einzelnen
Patienten (unbewußt) realisierbaren Vermögens . So konnte man mit einem Großteil der
jahrelang für bewußtlos gehaltenen Patienten in Kontakt treten, wenn nach adäquaten
Ansprechmöglichkeiten gesucht wurde, diese geduldig ausprobiert, die wirksamsten
Reizangebote häufig wiederholt und in strukturierter, individuell adaptierter Form
eingesetzt wurden. Es muß demnach von den Außenstehenden erst gelernt werden, die je
individuelle "Biosemiotik" der Betroffenen zu entschlüsseln. Notwendig ist eine ästhetische
Haltung, die zwischen Empathie und Reflexion oszilliert. Das intuitive Erfassen früher
Körpersignale durch die Angehörigen und Pflegenden von Koma- und Wachkomapatienten ist
wichtig, weil sich daraus Anknüpfungspunkte für einen frühen Dialogaufbau im Rahmen
individueller Fördermaßnahmen ableiten lassen und sich neue Lebensperspektiven für die
Betroffenen und ihre Angehörigen eröffnen.
NEUERE STUDIEN BESAGEN, DAß SICH DER SCHWEREGRAD DER KRANKHEIT
UND DIE GESAMTPROGNOSE POSITIV BEEINFLUSST WERDEN KÖNNEN, WENN
GEEIGNETE STIMULATIONSMASSNAHMEN UND FÖRDERPROGRAMME VON
EINEM INTERDISZIPLINÄREN TEAM FRÜH, UMFASSEND UND INDIVIDUELL
ADAPTIERT EINGESETZT WERDEN  RISQUE DE SYNDROME D’IMMOBILITE
ET D’AUTONOMIE !!!! . Es wurde eine Überlegenheit multisensorischer Stimulationen
gegenüber unimodaler Reizangebote festgestellt; AM BESTEN WIRKSAM WAREN
SUBJEKTIV BEDEUTSAME UND VERTRAUTE REIZANGEBOTE VON SEITEN DER
ANGEHÖRIGEN. Auch wenn die Wirksamkeit derartiger Koma-Stimulationsprgramme noch
nicht abschließend bewertet werden kann, haben sich in den letzten 10-20 Jahren die
Behandlungsaussichten entscheidend gewandelt: während früher nur einer von zehn Patienten
aus dem Wachkoma erwachte, sind dies heute bei 9 von 10 Patienten.
Einige mögliche Konzepte werden deshalb nachfolgend komprimiert dargestellt da nach
übereinstimmenden internationalen Erfahrungen läßt sich die Entwicklung eines apallischen
Syndroms durch frühe Interventionen, die bereits auf der Intensivstation beginnen, wesentlich
abmildern, wenn nicht häufig sogar vermeiden. DIE HÄUFIG ZU BEOBACHTENDE
EXTREME KÖRPERLICHE ENTSTELLUNG UND VERKRÜPPELUNG IST KEINE
NATÜRLICHE FOLGE DES APALLISCHEN SYNDROMS, SONDERN EINE
SEKUNDÄRE SCHÄDIGUNGSFOLGE UND AUSDRUCK PFLEGERISCHER UND
THERAPEUTISCHER VERNACHLÄSSIGUNGEN. Von daher müssen bereits in der
Akutphase alle präventiven Massnahmen unternommen werden ( siehe Pflegediagnose “ Risque
de syndrome d’immobilité” ) um die geringen Chancen einer Rehabilitation zu wahren.
Die kurz vorgestellten Pflegetherapeutischen Konzepte lassen sich auch auf andere Patienten
übertragen ( z.B. AVC,..) und müssen in Fortbildungsseminaren erlernt werden.
Pflegetherapeutische Konzepte
Im therapeutischen Team hat jede der beteiligten Berufsgruppen ihre festgelegten Kompetenzen.
Bereiche, in denen Konzepte berufsgruppenübergreifend von Pflegenden und Therapeuten
gemeinsam umgesetzt werden, werden auch als pflegetherapeutische Konzepte bezeichnet.
Gemeinsam ist allen Konzepten, dass sie einen einheitlichen Kenntnisstand aller Beteiligten
verlangen. AUCH DIE ANGEHÖRIGEN DES PATIENTEN SOLLTEN NACH
AUSFÜHRLICHER INFORMATION UND ANLEITUNG ALS KOTHERAPEUTEN IN DIE
PRAKTISCHE UMSETZUNG EINGEBUNDEN WERDEN. Die Einbeziehung des Patienten
in die Planung von Aktivitäten und Festlegung des Rehabilitationszieles sollte selbstverständlich
sein.
1. Affolter-Konzept (Therapeutisches Führen)
Eine Hirnverletzung kann für den betroffenen Menschen nicht nur Probleme in Form mehr
oder weniger ausgeprägter Störungen von Motorik und Sensorik nach sich ziehen, auch die
Bereiche Konzentration, Sprache und Gedächtnis oder Körperbewusstsein können
beeinträchtigt sein.
Alltagsaktivitäten werden in Planung und Ausführung durch diese Wahrnehmungsstörungen
zusätzlich erschwert bis unmöglich gemacht.
Patienten mit schweren Wahrnehmungsstörungen lernen mit den bisher bekannten Übungsund Trainingsmethoden nicht zufriedenstellend. Die üblichen visuellen und auditiven
Informationen -auch in der Therapiesituation - reichen ihnen für die Wahrnehmung häufig nicht
aus.
F. Affolter, klinische Psychologin und Logopädin, entdeckte, dass diesen Patienten mit taktilkinästhetischem Führen in vielen Fällen geholfen werden kann.
Konzept : Über die verschiedenen Sinnessysterne erhält der Mensch Informationen
über seine Umwelt. Die Vielfalt und die richtige Zuordnung dieser Informationen sind
eine wichtige Voraussetzung dafür, Alltagsaktivitäten angemessen ausführen zu können.
Das taktil-kinästhetische System ist nach Affolter für den Menschen besonders wichtig: es
vermittelt und verarbeitet die sensorischen Qualitäten, Berührung, Druck, Vibration,
Wärme, Kälte, Schmerz usw., es liefert Informationen über die Spannung der Muskeln,
Sehnen und Bänder, die Stellung der Gelenke und deren Veränderung. Bei einer Störung
dieses Systems erhält der betroffene Mensch nur noch unzureichende Informationen über seine
Umwelt und kann darum auch nicht adäquat handeln.
Das taktil-kinästhetische System ist das einzige Sinnessystem, das direkt aktiviert werden kann
und mit der Realität in direkter, "handgreiflicher" Verbindung steht. Durch Führen der Hände
oder des Körpers während der Alltagsaktivitäten durch den therapeutisch Tätigen kann vielen
schwer wahrnehmungsbeeinträchtigten Menschen geholfen werden.
DAS HAUPTZIEL IST, DEM WAHRNEHMUNGSGESTÖRTEN MENSCHEN
ANGEMESSENE ZIEL SPÜRINFORMATION IN DER INTERAKTION MIT DER
UMWELT ZU VERSCHAFFEN. Der Betroffene soll "fassbare" Informationen über die
jeweilige Situation und die Ursache-Wirkungsbeziehungen beim Lösen von Alltagsproblemen
erhalten. Das Gehirn soll in die Lage versetzt werden, durch die angebotenen Informationen zu
einer optimalen Selbstorganisation zurückzufinden. Pflegerisches Führen zeigt dem Patienten,
wie er mithelfen kann, normale Bewegungen durchzuführen.
Therapieprinzipien:
• Dem Patienten so viel Information wie möglich über seine Position im Raum geben.
• Während des Führens immer mit der Unterlage, der Oberfläche, dem Widerstand in Kontakt
bleiben.
• Maximale Widerstandsveränderungen einbauen.
• Die Hände des Therapeuten bedecken die Hände des Patienten bis zu den Fingerspitzen. Die
potenziellen Fähigkeiten des Patienten maximal ausnutzen, auch wenn sie noch nicht sichtbar
sind.
• Probleme miteinander lösen.
Das Affolter-Konzept ist ursprünglich ein ergotherapeutisches Konzept, aber in weiten
Bereichen sehr gut in die Pflege zu integrieren. Es bietet eine gute Ergänzung zum
Bobath-Konzept.
Das Therapiekonzept des Führens verlangt engen körperlichen Kontakt zwischen
dem Patienten und Pflegetherapeuten: Zu Beginn der gemeinsamen Aktivitäten muss darum
geklärt werden, wie viel Nähe jeder der Beteiligten zulassen kann und will.
Während des Führens sollte möglichst nicht gesprochen werden, das gesprochene Wort lenkt
den Patienten vom Spüren ab.
Bei der Auswahl der geführten Aktivitäten sollten die Interessen des Patienten, die
Alltagsrelevanz und die Tageszeitnähe berücksichtigt werden.
So sollte man morgens mit der geführten Körperpflege usw. beginnen und über den Tag
hinweg mit tageszeitnahen Alltagsaktivitäten zum Abend kommen. Da das therapeutische Führen
sehr zeitaufwändig ist, können immer nur festgelegte (und dokumentierte) Teiltätigkeiten geführt
werden.
Literatur
1. AFFOLTER, F.: Wahrnehmung, Wirklichkeit und Sprache. Villingen-Schwennin
gen, Neckar-Verlag 1987.
2. AFFOLTER, F./BISCHOFBERGER, W.: Gespürte Interaktion im Alltag. In: LIPP,
B./SCHLAEGEL, W. (Hrsg.): Wege von Anfang an. Villingen-Schwenningen, Neckar-Verlag,
1996.
3. ARTs, Margo: Führen - Eine Therapie im Alltag. In: Beschäftigungstherapie
und Rehabilitation, Heft 4, Idstein, Schulz-Kirchner 1992.
Basale Stimulation
Früh- und Wahrnehmungsförderung: Die basale Stimulation bietet eine neue Form des
Umgangs mit bewusstseinsgestörten Menschen.
Ursprünglich wurde das Konzept für die Früh- und Wahrnehmungsförderung geistig und
körperlich behinderter Kinder von Andreas Fröhlich entwickelt. Die Übertragung in die Pflege
und Förderung schwerstkranker, wahrnehmungs- und ausdrucksgestörter Patienten erfolgte
später unter der Mitwirkung der Pflegewissenschaftlerin Christel Bienstein.
Seit Koma und apallisches Syndrom nicht mehr ausschließlich als Zustand der
Bewusstlosigkeit, sondern als Überlebensstrategie nach schwerster Traumatisierung
verstanden werden, die der normalen Kommunikation allerdings nicht mehr zugänglich
sind, bedeutet die basale Stimulation ein Angebot an den betroffenen Patienten, den Weg
zurück in ein bewusstes Leben zu betreten. Der Patient hat dabei auch jederzeit die
Möglichkeit, das Angebot abzulehnen. Das Konzept der basalen Stimulation bietet also keine
Erfolgsgarantie.
Konzept: Das Konzept wendet sich wie alle pflegetherapeutischen Konzepte an die
Ganzheitlichkeit des Patienten und setzt damit auch ein interdisziplinäres Zusammenwirken
voraus.
Das Konzept basiert auf folgenden Überlegungen und Bedingungen:
Grundlage für die Wahrnehmung von Informationen und deren Weiterverarbeitung ist
Veränderung und Bewegung.
ES IST KONTRAPRODUKTIV, WENN DAVON AUSGEGANGEN WIRD, DASS DER PATIENT
ZUERST VON SICH AUS REAKTION ZEIGEN SOLL, DAMIT DANN GEZIELTE STIMULATION
EINSETZT. WENN REAKTIONSFÄHIGKEIT NICHT GEFÖRDERT UND STIMULIERT WIRD,
KANN DER PATIENT NICHT REAGIEREN.
Stufenmodell der
Wahrnehmungsentwicklung:
Bereits vorgeburtlich wird ausgebildet:
die
somatisch-vibratorisch-vestibuläre
Ebene. Nach der Geburt entwickeln sich
dann
die
oral-nasale
(olfaktorisch-gustatorische), darauf folgend
die auditive (akustische) Ebene. Es schließen
sich die taktil-haptische und abschließend
(5.7.Lebensjahr) die visuell-optische Ebene
an. Störungen schränken die Wahrnehmung
in umgekehrter Reihenfolge ein.
Ziel: Ziel der basalen Stimulation ist es, dem Patienten ein gezieltes, der jeweiligen
Ebene der sensorischen Entwicklung entsprechendes Stimulationsangebot zu machen,
die defizitäre sensorische Stimulationssituation zu verbessern.
Unbedingt zu berücksichtigen
Erfahrungshintergrund.
sind
dabei
das
Alter
des
Patienten
und
sein
Wichtige Hinweise zur Durchführung:
Ein gezieltes Stimulationsangebot erfolgt zu Beginn 1- bis 2-mal täglich für 10 bis 20 Min.
Anfang und Ende der Handlung müssen für den Patienten eindeutig und
unmissverständlich erkennbar sein.
Die Stimulation erfolgt möglichst zur gleichen Zeit (z.B. während der Übergabezeit). Sie
erfolgt immer durch die gleiche Person.
Sie erfolgt durch nur eine Person.
Das Angebot und die Reaktion des Patienten darauf werden dokumentiert.
Die Stimulation sollte möglichst an dem Patienten Vertrautes anknüpfen.
Hat sich der Zustand des Patienten also soweit stabilisiert ( Frührehabilitationsphase = nicht
mehr intensiv behandlungspflichtig - aber noch immer dort hospitalisiert -, vegetative Zustand
stabilisiert), beginnt diese aktivierende Pflege nach dem Konzept von C. Bienstein und A.
Fröhlich. Ziel dieses Konzeptes ist "die Begleitung und Förderung in der Fähigkeit zur
Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation" .
Dabei wird versucht, dem Patienten ein Reizangebot zur Verfügung zu stellen, also ein Angebot
oder eine Einladung an den Patienten zu richten. Wichtig ist hierbei, dass das Reizangebot
ausreichend Abwechslung bietet, da gleichförmige Reize aus der bewussten Wahrnehmung
ausgeblendet werden. Andreas Fröhlich hat dieses Konzept zuerst ausschließlich für schwerst
mehrfachbehinderte Kinder entwickelt.
Mittlerweile hat die Basale Stimulation aber auch schon in anderen Bereichen, insbesondere in
der Erwachsenen - Krankenpflege Anwendung gefunden. Die Basale Stimulation orientiert sich
an den Entwicklungsstufen, die der Mensch in seinem Werdungsprozess durchläuft.
Im Mutterleib kann der (werdende) Mensch nur zwischen vibratorischen, vestibulären und
somatischen Wahrnehmungen unterscheiden.
Vibratorische Reize sind die Stimme der Mutter, Geräusche von außerhalb des Körpers,
aber auch der Herzschlag, der Blutstrom und die Peristaltik der Mutter.
Über die vestibuläre Wahrnehmung erfährt das Kind die räumliche Lage des eigenen
Körpers und kann bereits als Fötus auf Bewegungen der Mutter mit Gegenbewegung
antworten.
Die somatische Wahrnehmung schließlich beinhaltet die Berührungswahrnehmung,
also den direkten Hautkontakt zu Plazenta und Fruchtwasser.
Da diese drei Wahrnehmungsformen am Beginn der Entwicklung stehen, sind sie auch mit die
zweckmäßigsten Stimuli in der Basalen Stimulation in der Frührehabilitationsphase.
Erst danach folgen z.B. orale, auditive und visuelle Stimulationen, immer analog der kindlichen
Entwicklung. Hierbei schließt eine "höhere" Stimulation die vorherigen aber nicht aus. Vielmehr
kommen nach und nach immer neue hinzu.
MERKE : Grundlegende Verhaltensmaßnahmen .
Werden Maßnahmen zur Basalen Stimulation geplant, sollten die Angehörigen des Patienten zu
einer umfassenden Biographie befragt werden. Es ist immens wichtig, so viele Vorlieben und
Abneigungen des Patienten herauszufinden wie nur irgend möglich. Eine Stimulation (eine
Einladung zurück ins Leben zu kommen) kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient sie als
angenehm empfindet oder sie ihn an sein früheres Leben erinnert. So ist beispielsweise der
eigentlich unangenehme Geruch von Motoröl bei einem Patienten, der gerne alte Autos
restauriert hat, trotzdem eine gute Wahl. Insbesondere sollten die bevorzugte Musikrichtung,
Hobbys, Lieblingssendungen im Fernsehen, Leibgericht, Gewohnheiten etc. erfasst werden.
Es ist sinnvoll, die Angehörigen in die Planung des Tagesablaufs und die Maßnahmen selbst mit
einzubeziehen. Idealerweise sollte ein interdisziplinäres Schema erarbeitet werden, in
dem sich Ergotherapeuten, Logopäden, Pflegefachkräfte und durchaus auch Angehörige zeitlich
abstimmen, um den Patienten nicht zu überfordern und ihm auch Ruhepausen zu gönnen.
Insgesamt sind 2-4 Stimulationen täglich von je 20 Minuten ein sinnvolles Maß.
Die Maßnahmen selbst werden möglichst immer von nur einer Person durchgeführt, auf die der
Patient sich dann voll konzentrieren kann. Auch insgesamt sollte der betreuende Personenkreis
möglichst klein gehalten werden, damit zu dem Patienten eine Beziehung aufgebaut werden kann.
Während der Stimulationen sollte die Zahl der Nebengeräusche (Klingel, Alarme, Radio,
Lautsprecherdurchsagen etc.) soweit wie möglich reduziert werden. So erhält man leichter die
ungeteilte Aufmerksamkeit des Patienten.
Es ist ebenfalls sehr vorteilhaft, wenn sich alle Beteiligten auf eine bestimmt Initialberührung
einigen, die jeder Maßnahme voraus geht. So wird der Patient nicht überrascht und
Abwehrreaktionen werden vermieden. Diese Initialberührung sollte möglichst am Körperstamm
erfolgen. Die Schulter ist im Allgemeinen eine günstige Lokalisation hierfür. Zu Vermeiden
wären hastige, oberflächliche und punktuelle Berührungen. Auch nach der Initialberührung sollte
man den Patienten niemals (alleine oder zu zweit) an mehreren Körperregionen
gleichzeitig berühren, damit er eine Berührung eindeutig wahrnehmen und verarbeiten kann.
Während der ganzen Stimulation muss der Patient auf Reaktionen hin beobachtet werden. So
können nach und nach Stimulationen mit großem Effekt von solchen abgegrenzt werden, die
dem Patienten eher unangenehm sind.
a. Vibratorische Stimulation
Sie kann in die Körperpflege sehr leicht eingebunden werden, indem man den Patienten
elektrische Zahnbürsten und Rasierapparate benutzen läßt. Mit "benutzen läßt" ist hierbei
gemeint, dass er die Geräte selbst in der Hand hält und wir seine Hand entsprechend der
normalen Benutzungsweise führen. Bei elektrischen Zahnbürsten besteht jedoch die Gefahr, dass
unruhige oder ängstliche Patient zubeißen, dabei die oft sehr lockeren Bürstenaufsätze abtrennen
und herunterschlucken oder gar aspirieren. Daher sollte von Patient zu Patient entschieden
werden, ob der Nutzen das Risiko überwiegt.
Des Weiteren kann Vibration durch Vibrax(r) Geräte erzeugt werden, die am Thorax, aber auch
entlang der Röhrenknochen oder einfach auf der Matratze angesetzt werden. Keinesfalls sollte
man solche Geräte an der Muskulatur ansetzten, da das Risiko von pathologischen
Tonusveränderungen zu hoch ist.
Auch Spazierfahrten auf rauhem Untergrund (Kiesweg) mit dem Rollstuhl, notfalls auch mit dem
Krankenbett, erzielen einen vibratorischen Effekt, der das Körpergefühl steigert und damit auch
der "Habituationsprophylaxe" dient.
Nahe Angehörige sollten angeleitet werden, dass sie in engem Körperkontakt zu dem Patienten
"in ihn hineinreden" (audio-vibratorische Stimulation). Dies funktioniert sitzend hinter dem
Patienten, Thorax an Thorax gelehnt. Dabei lässt man die eigene Stimme vibratorisch auf ihn
einwirken. Auf die gleiche Weise kann die eigene Atemfrequenz und -tiefe auf den Patienten
übertragen werden. Dies ist besonders hilfreich, wenn Patienten vom Beatmungsgerät abtrainiert
werden.
b. Vestibuläre Stimulation
Hier soll der Gleichgewichtssinn des Patienten angesprochen werden. Er gibt dem Betroffenen
das Gefühl über seine Position im Raum und ist damit ein wichtiger Teil der Eigenwahrnehmung.
Geeignete Maßnahmen sind zum Beispiel die Mobilisation in den Rollstuhl, die auch zur
Prophylaxe von Sekundärschäden angestrebt werden sollte. Je nach vorhandenem Gerät kann der
Patient auch mit dem Lifter in eine Art Hängematte gebracht werden, wo man ihm dann einige
Zeit leicht schaukelnd ein Gefühl der Bewegung verschaffen kann. Falls vorhanden, ist das
Stehbrett sehr gut geeignet, den Patienten in die senkrechte Position zu bringen.
Für Patienten, die bereits Fortschritte gemacht haben, bietet die Industrie auch Fallschirmgurte
an, in denen er stehend gehalten wird und dabei das Laufen trainieren kann.
Stehen derartige Geräte nicht zur Verfügung, kann das Krankenbett vorsichtig in Schieflage
gebracht werden.
Dabei sollten die Füße des Patienten auf dem Fußbrett vollständig aufliegen.
c. Somatische Stimulation
Für diese "Berührungstherapie" können verschiedene Lagerungsmethoden
herangezogen werden. Des Weiteren kann die tägliche Körperpflege zu einer Vielzahl von
basalen Berührungen genutzt werden. Dabei sollte in der Anamnese geklärt sein, ob vom
Patienten Berührungen an bestimmten Körperstellen als unangenehm empfunden werden.
Besonders Frauen empfinden Berührungen im Gesicht oft als unangenehm, da sie es von früher
gewohnt sind, auf ihr Make-up zu achten.
Bei den basalen Berührungen selbst sollte die Dauer, die Intensität und das Material variieren.
Dabei kommen eine Menge Möglichkeiten in Frage. Beispiele sind neben herkömmlichen
Waschlappen auch harte Schwämme, nasse Stofftücher, rauhe Wolle, weiche Baumwolle oder
auch ein blankes Stück Seife auf der Haut. Auch das Kämmen oder Bürsten der Haare und
eventuell das Schminken und Lackieren der Nägel sind geeignete somatische Reize, sofern der
Patient diese gewohnt ist.
d. Orale Stimulation
Nach der Geburt beginnt ein Säugling seine Umwelt zunächst über den Mund zu erkunden. Alles
neue wird zuerst in den Mund genommen, um es zu untersuchen. Deshalb ist dies auch der
nächste Schritt nach vestibulärer, somatischer und vibratorischer Stimulation, den ich hier
erläutern möchte. Voraussetzung für diese Art der Basalen Stimulation ist eine intakte
Mundschleimhaut, damit die Stimulation für den Patienten nicht unangenehm oder gar
schmerzhaft ist. Außerdem sollte der Patient über keine nasogastralen Sonden verfügen,
da diese evtl. Brechreize fördern könnten. Am wichtigsten aber ist die Information, ob der
Patient noch an Schluckstörungen leidet. Da der Patient nicht ansprechbar ist, kann dies schlecht
durch gezielte Schluckversuche erkannt werden. Die sicherste Art ist in diesem Fall die Video –
Endoskopie (nasopharyngolaryngeale Endoskopie), die in vielen Neurologischen Zentren bereits
mit Erfolg eingesetzt wird.
Da der Geruchs- mit dem Geschmackssinn sehr eng verbunden ist, kann und sollte auch die
Stimulation beide Sinne ansprechen. Alles, was der Patient in den Mund nehmen soll, muss er
vorher riechen können. So können auch Abneigungen rechtzeitig erkannt werden. Dem
Patienten eine (für seinen Geschmack) widerliche Speise in den Mund zu legen, würde das
mühsam erarbeitete Vertrauensverhältnis empfindlich stören. Aus der Anamnese
sind die Lieblingsgerichte des Patienten zu entnehmen und dementsprechend die "Zutaten" zu
wählen. Die orale Stimulation kann jedesmal mit der Mundpflege kombiniert werden, so dass
diese nicht mehr speziell erfolgen muss. In keinem Fall sollten schlecht schmeckende
Mundpflegemittel wie z.B. Hexetidin verwendet werden. Statt dessen verwendet man die
Lieblingsgetränke des Patienten, wie z.B. Orangen- oder Apfelsaft. Auch hier ist die
Abwechslung wichtig, da sie die Aufmerksamkeit des Patienten zusätzlich erhöht.
Oft wird das "Lutschen" am eigenen Finger von den Patienten als wohltuendes Gefühl
empfunden. Dieses Bedürfnis hat jeder Mensch mehr oder weniger ausgeprägt, wurde uns aber
meist im Kindesalter abtrainiert.
Daher sollten die stimulierenden Substanzen vorwiegend mit dem Finger des Patienten in dessen
Mund gebracht werden. Evtl. sogar mit dem Finger der pflegenden Person, möglichst aber nicht
mit harten, kalten Zangen.
Auch die orale Stimulation kann von Angehörigen durchgeführt werden. Aufgrund der hohen
Aspirationsgefahr sollten sie dies allerdings nur im Beisein einer Pflegefachkraft oder eines
Therapeuten tun.
e. Auditive Stimulation
Die auditive Stimulation ist eine Maßnahme, welche größtenteils den Angehörigen überlassen
werden kann. Dazu müssen sie über einige Grundregeln informiert werden. Erstens sollten die
Angehörigen immer den Patienten ansprechen. Also fragen "Wie geht es Dir heute ?" statt
"Schwester, wie geht es ihm heute?"
Zweitens sollten sie in eine reorientierende Gesprächsweise eingewiesen werden, damit sie den
Patienten über Ort, Datum, Jahres- und Tageszeit informieren können.
Drittens können Angehörige den Patienten über aktuelle Ereignisse in der Familie informieren
oder ihm Briefe von Verwandten und Freunden vorlesen, die ihn nicht so oft besuchen können.
Auch Lieblingsbücher des Patienten (Anamnese) sind ein sehr gutes "Vorlesematerial".
Viertens können die Angehörigen die Therapeuten und Pflegefachkräfte mit Tonmaterial
versorgen, welches man dem Patienten vorspielen kann, wenn längere Zeit kein Besuch zugegen
ist. Dafür eignen sich Tonaufnahmen von Familienstimmen, Haustieren (besser man kann die
Tiere selbst bringen), oder typischen Geräuschen wie zum Beispiel das Plätschern des kleinen
Baches, der am Heimathaus vorbeiläuft.
Bei Tonaufnahmen sollte man die Verwendung von Kopfhörern möglichst vermeiden. Die
Betroffenen sind am Kopf verletzt und daher oft sehr geräuschempfindlich. Wenn sich
Kopfhörer nicht vermeiden lassen, muss die Lautstärke gemäßigt bleiben. Man muss sich vor
Augen halten, dass man dem Patienten die jeweilige Kassette aufzwingt und er sich nicht dagegen
wehren kann.
f. Taktil-haptische Stimulation
Hier wird es dem Patienten ermöglicht, seine Umwelt mit den Händen und Füßen zu ertasten.
Integriert in die tägliche Grundpflege heißt dies, dass man dem Patienten alle Materialien wie
Zahnbürste, Waschlappen, Kamm etc. in die Hand legt und beides zusammen führt.
Insbesondere beim Waschen sollte der Patient den Waschlappen selbst halten und dabei nach
und nach seinen ganzen Körper ertasten können. So wird die Eigenwahrnehmung verstärkt.
Außerhalb der Grundpflege kann dem Patienten ein Tastbrett mit verschiedenen Materialien
angeboten werden. Zum Beispiel Teppich, Holz, Schwamm, Fell usw. Das Angebot an tastbaren
Gegenständen sollte regelmäßig erweitert werden, damit die Aufmerksamkeit des Patienten nicht
nachlässt.
Für die Füße bieten sich zum Beispiel ein Fell, Schuhsohlen, eine Steinplatte, eine
ausgeschnittene Platte Gras, eine Kiste mit Sand, Stroh oder ähnliches an. Auch hier spielen die
Vorlieben des Patienten eine große Rolle.
Sand wäre zum Beispiel geeignet für Menschen, die ihren Urlaub gern am Meer verbringen.
Wanderer hingegen würden die Berührung von Gras an den Füßen eher als angenehm
empfinden.
g. Visuelle Stimulation
Die frühkindliche Entwicklung der Sehfähigkeit beginnt mit der Wahrnehmung von hell und
dunkel. Erst später werden auch Farbstufen wahrgenommen. Entsprechend sollte die visuelle
Stimulation zuerst mit einfachen Motiven in den Farben Schwarz und Weiß beginnen. Einfache
Objekte werden vor den Augen des Patienten langsam hin und her bewegt. Dabei ist darauf zu
achten, ob der Patient den Gegenstand mit den Augen zu fixieren beginnt. Wichtig ist
insbesondere bei der Hell/Dunkel-Wahrnehmung, dass der Patient an der Helligkeit
auch die Tageszeit erkennen kann. So sollte das Zimmer nachts dunkel bleiben und am Tag
erleuchtet sein. Bei Aktivitäten am Patienten die nachts stattfinden (z.B. Lagern) sollte aber das
Licht angeschaltet werden. Der Patient kann so besser zwischen Aktivität und Ruhe
unterscheiden.
Gelegentlich sollte der Patient die Möglichkeit haben, das Sonnenlicht auf seinem Gesicht zu
spüren.
Später können einfache Farben in die Stimulation mit einbezogen werden. Die Farbe Rot sollte
jedoch möglichst vermieden werden, da sie als Warnfarbe meist Gefahr signalisiert.
Geeignete Materialien für die Stimulation sind bekannte Gegenstände aus dem Familienleben wie
Schlüssel, Uhren, Vasen usw., welche sich schon lange im Haus des Patienten befinden und die er
gut wiedererkennt.
Im Sichtbereich des Patienten sollten Fotos von Familienangehörigen, Freunden oder
Urlaubsbilder angebracht werden. Auch Fotos von Autos, Motorrädern o.ä. sind geeignet, wenn
der Patient positive Erinnerungen damit verbindet. Das Unglücksfahrzeug wäre also eher nicht
geeignet. An der Decke kann sich auch ein Mobile befinden, das dem Geschmack des Patienten
entspricht. Wichtig ist aber, dass er nicht mit Bildern überladen wird. Lieber sollte man des
Öfteren umdekorieren. So kann zum Beispiel das Bild der Lebensgefährtin und/oder
der Kinder bestehen bleiben, während zwei bis drei andere Bilder im wöchentlichen Turnus
ausgetauscht werden. Gerade bei Kinderbildern sollte man auch darauf achten, ältere Bilder zu
verwenden, die die Kinder so zeigen wie der Patient sie noch in Erinnerung hat.
Literatur
1. BIENSTEIN, C./FROHLICH, A.: Basale Stimulation in der Pflege. 7. Aufl., Düssel
dorf, Selbstbestimmtes Leben 1995.
2. LiPPERT-GRONER, M./QUESTER, R./TEERHAG, D.: Frühstimulation, ein Bestandteil
des frührehabilitativen Behandlungskonzeptes auf der neurochirurgischen Intensivstation. In:
Rehabilitation, 36, Stuttgart, New York, Thieme 1997.
3. NYDAHL/BARTOSZEK (Hrsg): Basale Stimulation, Neue Wege in der Intensiv
pflege. 2. Auflage, Wiesbaden, Ullstein Medical 1998.
4. THOME, U.: Neurochirurgische und neurologische Pflege. Berlin, Heidelberg,
New York, Springer 1997.
5. ZIEGER, A.: Dialogaufbau in der Frühphase mit komatösen Schädel-Hirn-Verletzten, In:
Wege von Anfang an. Villingen-Schwenningen, Neckar-Verlag 1996.
Gedicht eines unbekannten Verfassers: "Deine Hände"
Deine Hand so weich und warm nimmt die meine zum Gruße an,
oder auch zum festen Griff.
Neben halten und gehalten werden, zwischen Geben und Nehmen.
Ohne Ahnung für die meisten von uns,
ist der Gebrauch der Hand in der Pflege die größte Kunst.
Ohne aber hinzuspüren, wenn sich Haut und Hand berühren, oft
die Schmerzen größer sind.
Zeigt dir selber, wenn es dir gelingt, wie anders jetzt ich reagiere,
wenn ich deine Liebe spüre.
Weil deine Hand das Werkzeug ist, mit der du all dein Tun
vermittelst. Ohne Ahnung, daß ich spüre,
wie im Moment deine Gedanken sind.
Zusammen als Einheit, ohne Trennung sie dir gegeben sind.
Oft ziehst du den Handschuh an, weil Hygiene Vorschrift ist. Weißt
du, daß es schrecklich ist,
wenn meine Haut nur Plastik spürt?
Es ist so selten geworden, daß mich jemand berührt.
Oder hast du vor mir Angst, mit Gefühl mir zu begegnen?
Offensichtlich die Barriere ist,
weil du nie die Distanz vergißt.
Nähe ist nicht leicht für dich. Ohne Angst nicht zu ertragen. Worte
können niemals sagen,
was deine Hände wortlos geben: sie sind ein Fluch
oder der größte Segen.
Bobath-Konzept
Die Physiotherapeutin Berta Bobath entdeckte durch Zufall, dass bei bestimmten Stellungen und
Lagerungen spastischer Patienten die Spastizirät nachließ oder verschwand.
Der Neurologe Karel Bobath, ihr Ehemann, überprüfte die Entdeckung und erarbeitete die
neuropsychologischen Grundlagen des inzwischen weltweit anerkannten Bobath-Konzeptes.
Das Bobath-Konzept ist nicht das einzige krankengymnastische Konzept zur Behandlung
neurologischer Störungen, aber kein anderes Konzept hat so weit reichenden Einfluss auf die
pflegerische Arbeit genommen. Es ist anwendbar bei allen neurologischen Erkrankungen,
die mit einer Zerstörung des funktionellen Nervengewebes des zentralen Nervensystems
einhergehen. Die größten Erfolge werden bei Menschen mit Herniplegie erzielt.
Das Konzept geht von folgenden Überlegungen aus:
Die Planung von Bewegung erfordert immer das Zusammenspiel beider Hirnhälften.
Deshalb können auch Bewegungen der nicht betroffenen (richtiger: weniger betroffenen)
Körperseite beeinträchtigt sein.
Bewegung wird vom Gehirn immer als eine einheitliche Information abgespeichert,
obwohl jede Bewegung aus den Komponenten Motorik und Sensorik besteht.
Demzufolge leiden auch Menschen mit Wahrnehmungsstörungen unter
Bewegungsstörungen.
Aufgrund der Plastizität des Gehirns können verloren gegangene Funktionen teilweise
von nicht betroffenen und bisher nicht genutzten Hirnanteilen übernommen werden.
Bis zum Tod ist neuronales Lernen möglich. Der Patient sollte deshalb möglichst häufig
physiologische Bewegungsabläufe trainieren. Die Möglichkeit, dass das Gehirn
falsche oder spastische Bewegungsmuster als "normal" erlernt, wird damit
vermindert.
Ziele des Konzeptes:
Wahrnehmungsförderung durch regelmäßige Lagerungswechsel und Transfers.
Normalisierung des Muskeltonus, insbesondere das Hemmen abnormer Haltungs- und
Bewegungsmuster durch entsprechende Lagerungs- und Bewegungstechniken.
Bahnen der normalen Bewegungsabläufe im Alltag immer unter Einbeziehung der
betroffenen Seite. Bei der bilateralen Armführung z.B. führt der Patient mit seinem
weniger betroffenen Arm seinen betroffenen bei den Transfers, beim Essen und beim
An- und Ausziehen. Beim therapeutischen Führen führt das Pflegepersonal den
betroffenen Arm des Patienten so, wie der Patient ihn ohne Schädigung gebrauchen
würde.
Möglichst frühe Anwendung am Patienten zur Beschleunigung der Rehabilitation.
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung:
• Das Gehirn ist 24 Stunden täglich lernbereit. Um dem Gehirn möglichst viele richtige
Informationen über Bewegung anzubieten, ist es notwendig, auch das Konzept 24 Stunden
täglich anzuwenden.
• Das 24-Stunden-Management setzt voraus, dass alle Mitglieder des therapeutischen Teams
einschließlich des Patienten und seiner Angehörigen in das Konzept eingewiesen sind, damit ein
einheitlicher Umgang mit dem Patienten gewährleistet ist.
• Das Bobath-Konzept ist ein ganzheitliches und damit individuelles Konzept und setzt zur
Information aller Beteiligten eine sorgfältige Pflegeplanung und -dokumentation voraus.
2.3.1 Literatur
1. BoBATH, Berta: Die Herniplegie Erwachsener. 5. überarbeitete Auflage, Stutt
gart, Thieme Verlag 1993.
2. HASEMANN, Wolfgang/MENCHE, Nicole: Pflege nach dem Bobath-Konzept. In: Pflege
Heute, Pflege in der Neurologie und Neurochirurgie. Stuttgart, jena, Lübeck, Ulm, Gustav
Fischer 1998.
3. LAY, Reinhard/STOLZ, Caroline: Bewegen und Lagern von Patienten. In: Die
Schwester/Der Pfleger Heft 3, Melsungen, Bibliomed 1998.
4. SCHNEIDER, Eva-Maria: Leitfaden für die Pflege von Herniplegiepatienten nach dem
Bobath-Konzept. In: Die Schwester/Der Pfleger. Heft 11, Melsungen, Bibliomed 1997.
5. URBAS, Lothar: Die Grenzen zur Therapie überschreiten. In: Pflegezeitschrift 2,
Stuttgart, Kohlhammer 1995.
6. VOHS, Martina/WINTER, Ihe (Hrsg.): Fachpflege Rehabilitation, (M. ZÖPF, Rehabilitative
Pflege in der Neurologie nach dem Bobath-Konzept). München, jena, Urban & Fischer 1999
FOT-T ( Facio-Oraler-Trakt-Therapie )
Nach einer Traumatisierung im Bereich der hinteren Schädelgrube muss immer mit der
Möglichkeit von Störungen der Motorik bzw. mit Sensibilitätsstörungen im Mund Rachen-Kehlkopfbereich gerechnet werden, z. B. Schluckstörungen.
Schluckstörungen treten bei Patienten mit einem Schädel-Hirn-Trauma nicht isoliert auf, sie
sind in der Regel vergesellschaftet mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Fazialisparese
und damit auch mit gestörter Mimik und mit Sprechproblemen.
Jede offensichtliche, durch Krankheit oder Behinderung verursachte Veränderung im
Gesichts- und Kopfbereich belastet den betroffenen Menschen psychisch meist ebenso stark wie
physisch. Die Patienten neigen dazu, sich aus der Gemeinschaft abzusondern oder die Aufnahme
von Nahrung und Flüssigkeit mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen zu reduzieren.
Das Konzept beruht wie auch das Affolter-Konzept auf den Erkenntnissen von M. u. K.
Bobath.
Das Ziel des FOT-T ist,
• dem Patienten durch eine Tonusnormalisierung bzw. Tonusverbesserung aller beteiligten
Strukturen eine möglichst störungsfreie Nahrungsaufnahme zu ermöglichen,
• ein Leben ohne Ernährungssonde zu ermöglichen,
• die nonverbale Kommunikation und Stimmgebung wiederzuerlangen.
Nach der Befunderhebung, die institutionsabhängig durch eine/n Training Sprach- oder
Physiotherapeuten/in oder eine speziell geschulte Pflegekraft erfolgt, werden die notwendigen
Übungen festgelegt. Sie sollen mehrmals täglich durchgeführt werden und sind problemlos in die
täglichen pflegerischen Handlungen zu integrieren, z.B. in die Körperpflege.
Zu den wichtigsten Übungen gehören das Runzeln der Stirn, wobei das Runzeln auf der
betroffenen Seite mit Unterstützung durch den Finger ermöglicht wird.
Das Verbringen von Luft - bei geschlossenem Mund - von der nicht betroffenen
Wangentasche in die betroffene, anfangs mit Druckunterstützung durch einen Finger von
der Außenseite her, ist eine erfolgversprechende Übung für die Stärkung der
Wangenmuskulatur.
Eine schlaffe Wange kann leicht beklopft (tapping) oder mit Eis oder
sonstigen
Berührungsreizen stimuliert werden.
Eine Wange mit erhöhtem Muskeltonus erfährt einen Tonusrückgang
durch
leichtes, kurzzeitiges Bestreichen mit den Fingern.
Als Training der Lippen bzw. Mundregion sind alle Übungen einsetzbar, die mit einem
Spitzen des Mundes verbunden sind (z.B. Flamme ausblasen, Pfeifübungen u.ä.).
Zur Steigerung von Sensibilität und Tonus der Zunge kann das Herausstrecken, ggf.
Herausziehen der Zunge mehrmals täglich, mit Stimulation durch Bestreichen,
erfolgversprechend eingesetzt werden.
Training des oralen Traktes: Ausstreichungen und Berührungen sollen immer von peripher
zur Mittellinie des Körpers geführt werden (siehe auch Bobath-Konzept, basale Stimulation).
Alle Übungen können vom Patienten nach Anleitung auch selbstständig trainiert werden.
Voraussetzung dafür ist allerdings das Fehlen ausgeprägterer neuropsychologischer Störungen.
Als Durchführungs- und Erfolgskontrolle sollten alle Übungen vor einem Spiegel ausgeführt
werden.
An der Rehabilitation eines schluckgestörten Patienten ist das gesamte therapeutische Team
beteiligt. Während z.B. die Therapie der aus der Schädigung resultierenden Sprach-, Sprech- oder
Stimmstörungen in aller Regel Logopäden/-innen oder Sprachtherapeuten/innen vorbehalten ist,
sind die Schluckstörungen der wichtigste Bereich, auf den die Pflege therapeutisch Einfluss
nehmen kann. Nach wie vor ist die Pflege in der Regel die einzige Berufsgruppe, die das 24
Stunden pro Tag bestehende Schluckproblem auch 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche
angehen kann.
Die Gruppe der schluckgestörten Patienten ist in den letzten Jahre zahlenmäßig sprunghaft
angestiegen:
eine
Folge
der
erheblich
verbesserten
intensiviriedizinischen
Behandlungsmöglichkeiten. Noch vor 10-15 Jahren verstarb ein Großteil dieser Patienten
aufgrund der Lokalisation und Ausdehnung ihrer Schädigung.
Das Training des oralen Traktes darf erst nach einer ausführlichen Schluckdiagnostik
aufgenommen werden.
Literatur
1. BARTOLOmF" Gudrun u.a.: Schluckstörungen - Diagnostik und Therapie. 2. Aufl.,
München, Jena, Urban & Fischer 1999.
2. BÜRGER-MILDENBERGER u.a.: Essen und Trinken. in Pflege Heute, Kap. 7, Stuttgart,
Jena, Lübeck, Ulm, Gustav Fischer 1998.
3. COOMBES, Kay: Von der Ernährungssonde zum Essen am Tisch - Aspekte der Problematik.
In: Lipp, B./SCHLÄGEL, W. (Hrsg.) Wege von Anfang an. VillingenSchwenningen,
Neckar-Verlag 1996.
4. THOM~, Ulrich: Neurochirurgische und neurologische Pflege: Faszioorale Therapie. Berlin,
Heidelberg, New York, Springer 1997.
Kinästhetik
(Griech.: kinesis = Bewegung,
Bewegungsempfindung.)
aisthesis
=
Empfindung;
die
Lehre
von
der
Die Bezeichnung Kinästhetik ist als Übersetzung des amerikan. Originaltitels "kinaesthetics" als
Beschreibung der Arbeit zu verstehen, aus der sich das Programm entwickelt hat.
Kinästhetik ist kein Rezept für den richtigen Handgriff, sondern stellt ein kreatives
Handlingkonzept für die Interaktion mit dem Patienten durch Berührung und
Bewegung dar. Das Konzept ist universell einsetzbar, es ist nicht speziell auf neurologische
Erkrankungen ausgerichtet, eine zielgerichtete Kombination mit dem Bobath-Konzept ist
trotzdem gut möglich.
Entwickelt wurde das Prinzip der Kinästhetik von Dr. Frank Hatch und Dr. Lenny Maietta.
Zusammen mit Suzanne Schmidt, einer Krankenschwester aus der Schweiz, machten sie das
Konzept im deutschsprachigen Raum bekannt.
Grundlage des Konzeptes sind die Verhaltenskybernetik (Wissenschaft Konzept von der
Steuerung und Regelung komplexer Systeme/Ergonomie), die humanistlsche Psychologie und
Elemente des modernen Tanzes.
Es ist ein ganzheitliches Konzept, das konsequent die auch in einem Schwerstkranken noch
vorhandenen Fähigkeiten nutzt.
Es geht davon aus, dass jede Bewegung, die eine Pflegekraft für den Patienten ausführt, den
Patienten unselbstständiger macht und die eigene Gesundheit belastet.
Die Interaktion im Bereich Bewegung und Berührung soll zwischen Pflegeperson und Patient
bewusst so gestaltet werden, dass
die Gesundheit des Patienten gefördert,
der Patient aktiviert,
Bewegung mit dem Patienten gemeinsam gestaltet
und mit geringem Kraftaufwand und schonend gearbeitet wird.
Das Gesamtkonzept ist in sechs sog. "kinästhetische" Einzelkonzepte untergliedert:
1. Konzept:
Interaktion
Bewegung erfolgt nicht einseitig durch die Pflegekraft, sondern die Pflegekraft
passt sich den Möglichkeiten des Patienten an und bewegt sich mit ihm.
2. Konzept:
Funktionale Anatomie
Der Körper wird aufgeteilt in die sogenannten "Mas sen" (Kopf, Brustkorb, Becken,
Arme, Beine) und "Zwischenräume" (Hals, Schultergelenke, Taille, Hüfte). Die Massen sind
stabil und tragen Gewicht, die Zwischenräume sind instabil und beweglich und werden genutzt,
um Gewicht zu verlagern.
3.+ 4. Konzept: Menschliche Bewegung und Funktion
Dieses Konzept beschreibt die dreidimensionalen Bewegungsmöglichkeiten der
Zwischenräume und deren Einsatz für leichteres Bewegen (z.B. Drehen in Seitenlage als
Vorbereitung zum Transfer).
5. Konzept:
Anstrengung
Durch den Einsatz von Zug und Druck werden Massen einzeln - ohne große
Anstrengung - bewegt.
6. Konzept:
Umgebung
Die direkte Umgebung des Patienten ist so zu gestalten, dass er seine
größtmöglichen Bewegungsressourcen einsetzen kann.
Kinästhetik kann am besten in entsprechenden Kursen erlernt werden.
2.5.1 Literatur
1. BORGER-MILDENBERGER u.a.: Kinästhetik. In: Pflege Heute Kap. 7, Stuttgart,
Jena, Lübeck, Ulm, Gustav Fischer 1998.
2. HATCHIMAIETTA: Kinästhetik - Gesundheitsentwicklung und menschliche
Funktion. Wiesbaden, Ullstein Medical 1998.
3. HATCH, F./MAIFTTA, L./SCHMIDT, S. Kinästhetik. 3. Aufl., Eschborn, DWK-Ver
lag 1994.