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Widerständige Körper Analyse von Maschinenmenschen in Blade Runner und Ghost in the Shell aus gendertheoretischer Perspektive MASTERTHESIS Zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (M.A.) Eingereicht für die Studienrichtung „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“ an der Karl – Franzens – Universität Graz vorgelegt von Michelle Kammerhofer betreut von Univ.-Prof.in Dr.in Hildegard Kernmayer Graz: Juni 2013 Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre hiermit, dass ich die vorliegende Masterthesis selbstständig verfasst und auch nicht anderweitig zu Prüfungszwecken vorgelegt habe. Sämtliche benutzte Literaturquellen sowie Hilfsmittel sind angegeben, wörtliche und sinngemäße Zitate sind als solche gekennzeichnet. ____________________ _________________________ Ort, Datum Unterschrift 2 Wenn du träumst, träumst du dich als widerständiges Subjekt? (Gustav, Soldat_in oder Veteran) 3 Vorbemerkung Eine Lehrveranstaltung zum Thema "Maschinenmenschen in Literatur und Film" an der Humboldt-Universität zu Berlin im Wintersemester 2011/12 weckte mein allgemeines Interesse an Cyborgs. Den Grundstein für diese Abschlussarbeit legten anregende Diskussionen, welche im Rahmen des Seminars geführt wurden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle Mascha Vollhardt M.A. danken, die mich durch ihre spannende Lehrveranstaltung zu diesem Forschungsfeld inspiriert hat. Besonderen Dank möchte ich Univ.-Prof.in Dr.in Hildegard Kernmayer für die sorgfältige Betreuung aussprechen. Darüber hinaus bedanke ich mich auch bei meinen Eltern, die mich während meiner Studienzeit immer unterstützt haben. Graz, am 10. Juni 2013 4 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................... 7 2 Theorieteil: Körper mit Konzept ......................................................................... 10 2.1 Körper-Macht-Widerstand ............................................................................... 10 2.2 Körper-Macht-Medien...................................................................................... 14 2.2.1 Das gespaltene Subjekt im medientheoretischen Kontext ........................ 16 2.3 Haraways Cyborg – zwischen film- und literaturtheoretischer Fiktion und technologischer Realität ........................................................................................ 19 2.3.1 Kritische Auseinandersetzungen mit dem Harawayschen Cyborg-Konzept ........................................................................................................................... 23 2.4 Cyborg-Figuren in der gegenwärtigen Medienlandschaft ................................ 25 2.4.1 Darstellung und Bedeutung von liminalen Körpern im Science Fiction-Film ........................................................................................................................... 26 2.4.2 Schnittstelle Geschlecht ............................................................................ 28 2.4.2.1 Hypermännliche Cyborgs.................................................................... 29 2.4.2.2 Maschine und Weiblichkeit ................................................................. 30 2.4.3 Der "männliche" Blick - Exkurs in die feministische Filmtheorie ................ 31 3 Analyseteil............................................................................................................ 34 3.1 Blade Runner ................................................................................................. 34 3.1.1 Produktion und Entstehung ....................................................................... 34 3.1.1.1 Der Director´s Cut ............................................................................... 36 3.1.1.2 Der Final Cut ....................................................................................... 36 3.1.2 Plot (Director´s Cut) .................................................................................. 36 3.1.3 "More human than human?" Die Darstellung der Maschinenmenschen im Film .................................................................................................................... 39 3.1.3.1 Der Spiegel der Seele – Das Augenmotiv in Blade Runner ................ 40 3.1.3.2 Erinnern als identitätsstiftender Akt..................................................... 43 3.1.3.3 Cogito ergo sum - Die cartesianische Philosophie in Blade Runner ... 45 3.1.4 Figurenanalyse.......................................................................................... 47 3.1.4.1 Die Darstellung der weiblich markierten Cyborgs im Film ................... 47 3.1.4.1.1 Rachael, die geheimnisvolle Schöne ............................................ 48 3.1.4.1.2 Zhora – „Beauty and the Beast“ .................................................... 53 3.1.4.1.3 Pris, die Lustmaschine.................................................................. 55 3.1.4.2 Die Darstellung der männlich markierten Cyborgs im Film ................. 56 3.1.4.2.1 Roy Batty, der gefallene Engel ..................................................... 57 3.1.4.2.2 Rick Deckard, die Mensch-Maschine............................................ 58 5 3.1.5 Die Vorlage zum Film ................................................................................ 60 3.2 Ghost in the Shell .......................................................................................... 62 3.2.2 Produktion und Entstehung ....................................................................... 62 3.2.3 Plot ............................................................................................................ 63 3.2.4 Die Darstellung der Maschinenmenschen im Film .................................... 65 3.2.5 Figurenanalyse.......................................................................................... 68 3.2.5.1 Motoko Kusanagi – „high-tech pinup girl“ und japanische Lara CroftFantasie ............................................................................................................. 68 3.2.5.1.1 Der nackte Körper......................................................................... 69 3.2.5.1.2 Motoko Kusanagi als japanische Lara Croft-Fantasie................... 71 3.2.5.2 Der Puppet Master als fluide Existenzform in einer Post-Gender-Welt73 3.2.6 Der Tauchgang als Suche nach der eigenen Identität .............................. 75 3.2.7 Die Verschmelzung von Puppet Master und Kusanagi als von der organischen Reproduktion entkoppelten Akt...................................................... 77 3.2.8 Ein neuartiges unabhängiges Subjekt und der Cyborg in uns ................... 78 3.2.9 Donna Haraway in Ghost in the Shell 2 .................................................... 81 4 Zusammenfassung .............................................................................................. 82 5 Quellenverzeichnisse .......................................................................................... 87 5.1 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 87 5.2 Filmverzeichnis................................................................................................ 92 5.3 Abbildungsnachweise ...................................................................................... 92 6 1 Einleitung Cyborgs sind in keinem Eden geboren, sie suchen sich keine eindeutige Identität und erzeugen somit keine antagonistischen Dualismen ohne Ende (Donna Haraway, Ein Manifest für Cyborgs) Die vorliegende Abschlussarbeit beschäftigt sich mit Maschinenmenschen in zwei ausgewählten Science Fiction-Filmen aus gendertheoretischer Perspektive. Cyborgs werden mit Donna Haraway subversive Fähigkeiten zugesprochen, sie befinden sich außerhalb der heterosexuellen Matrix und können, Haraway zufolge, gängige Machtstrukturen unterlaufen. Im Folgenden wird den Fragen nachgegangen, inwiefern das subversive Potential, mit dem Cyborgs von Grund auf ausgestattet sind, in den Filmen umgesetzt, beziehungsweise ausgeschöpft wird, und ob der widerständige Körper eine tragende Rolle spielt oder nur unterschwellig zum Einsatz kommt und von heterosexuellen Begehrens- und Machtstrukturen überschattet wird. Der Begriff "Subversion" unterliegt verschiedensten Bedeutungen und Konnotationen, die sich ausgehend vom 19. Jahrhundert entwickelt haben und seither nebeneinander stehen.1 Hier wird jedoch nur auf den „dekonstruktivistischen Begriff“ näher eingegangen, da er für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz ist. Unter Subversion (lat. subvertere: umkehren, [um-] stürzen) versteht man im gendertheoretischen und feministischen Kontext „ein Unterwandern von dominanten Geschlechtercodierungen und Geschlechtsidentitäten durch Körper- und Textpraktiken, die herrschende Diskurse variierend durchkreuzen, destabilisieren und einen Resignifikationsprozeß in Gang setzen“2. Maschinenmenschen, die vor allem seit den 80er Jahren die Bildschirme und den Buchmarkt erobern, könnten als "fleischliche" Realisierung der Cyborg-Metapher Haraways gelesen werden. Aufgrund des reichhaltigen medialen Angebots und der Komplexität der Maschinenmensch-Thematik muss sich diese Untersuchung auf zwei exemplarische Filme beschränken. Ausgewählt wurden Filme, um die in den 1980er und 1990er Jahren ein großer "Hype" entstand. Analysiert wird zum einen der Science Fiction1 Vgl. Thomas Ernst [u.a.]: SUBversionen. Eine Einführung. In: SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart. Hrsg. von Thomas Ernst [u.a.] Bielefeld: Transcript 2008, S. 13. 2 Marina Krug: Subversion. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 382f. 7 Klassiker Blade Runner (1982, Regie: Ridley Scott), welcher als Prototyp des modernen Science Fiction-Kinos bezeichnet werden kann, und zum anderen der japanische Science Fiction-Anime Ghost in the Shell (1995, Regie: Mamoru Oshii), der als einer der "Türöffner" des Animes zum Westen gilt. Seit Beginn der Filmgeschichte steht der Körper in visuellen Realisierungen im Zentrum des Interesses. Filme sollen Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern geben diese auch vor. Sie sind Träger der Wünsche und Ängste der Menschen und stabilisieren gesellschaftliche Normen und Werte. Gleichzeitig können sie diese aber auch erschüttern und in Frage stellen. Genau diese Umstände machen die CyborgMetapher in Bezug auf die Wirkungsmacht von Filmen so interessant. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: Zum einen aus einem Theorieteil und zum anderen aus dem Analyseteil, in dem die einzelnen Filme besprochen werden. Die Theorieausführungen sollen den Standpunkt der Arbeit umreißen und als Grundlage für den darauffolgenden Analyseteil dienen. Im ersten Abschnitt des Theoriekapitels wird über Körperkonzepte diskutiert, um über diese zu filmtheoretischen Medienkonzepten überzuleiten. Diese Körper- und Medienkonzepte werden aus kulturgeschichtlicher Perspektive verhandelt. Da Macht, Körper und Widerstand auf mehreren Ebenen zusammengedacht werden müssen, werden in diesem Abschnitt diskursanalytische und psychoanalytische Theoriemodelle sowie Arbeiten aus der feministischen Filmtheorie diskutiert. Im Zuge der Abhandlung dieser Körperkonzepte wird anschließend ihre Wechselwirkung mit den Medien besprochen, um unter anderem darauf aufmerksam zu machen, dass das Medium Film einen Subjektivierungsprozess bei den Zuseher_innen in Gang setzen kann und Auswirkungen auf deren Identitätskonzept hat. Der zweite Abschnitt des Theorieteils ist Donna Haraway und ihrem Cyborg-Konzept gewidmet. Als Einleitung erfolgt an dieser Stelle ein Überblick über die Entwicklung des künstlichen Menschen, in dessen Tradition der/die Cyborg steht. Als Ausgangswerk der Cyborg-Konzeption dient Haraways "Cyborg Manifesto"3, in dem sie die Cyborgutopie und -metapher entwirft, auf die im Laufe der Arbeit immer 3 Donna Haraway: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hrsg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß. Frankfurt a.M./New York: Campus 1995. 8 wieder zurückgegriffen wird. Im Zuge dessen wird auch Kritik, die es zu ihrem Werk von verschiedenen Theoretiker_innen gibt, aufgegriffen und diskutiert werden. Anschließend werden weitere Cyborg-Definitionen an- und ausgeführt, die ebenfalls als Grundlage für den Analyseteil dienen. Der letzte Abschnitt des Theorieteils bezieht sich auf den Science Fiction-Film an sich, und wie dieser im feministischen Kontext gelesen wird, beziehungsweise welches Potential ihm, in Bezug auf Maschinenmenschen, aktuell zugesprochen wird. Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit einer Abhandlung über die feministische Filmtheorie mit Fokus auf das Konzept des "männlichen" Blicks. Dem Theorieteil folgt die konkrete Untersuchung der einzelnen Filme. Da Blade Runner den klassischen Science Fiction-Film repräsentiert, wird dieser zuerst einer Analyse unterzogen. Streng genommen handelt es sich bei den Maschinenmenschen im Film um Androiden und nicht um Cyborgs nach der konventionellen Definition. Diese Trennung ist für die hier vorgenommene Analyse jedoch irrelevant, da sie alle eine Gemeinsamkeit verbindet, die Hannah MöckelRieke mit dem Begriff der liminalen Körper beschreibt. Der Autorin zufolge sind das Körper, die sich in einer zeitlichen oder materiellen Grenzsituation befinden (darauf wird in Kapitel 2.4 noch näher eingegangen).4 Anschließend erfolgt die Analyse eines vom üblichen Mainstream abweichenden und doch populären Films: Ghost in the Shell. Zu Beginn jeder einzelnen Analyse werden rezeptionsgeschichtliche Fakten und Daten zum jeweiligen Film erläutert. Daran anschließend wird der Inhalt kompakt aufgerollt, um danach direkt die Analyse durchführen zu können. Im Mittelpunt der Filmanalysen steht eine ausführliche Untersuchung der/des relevanten Cyborg(s). Des Weiteren werden Motive und Settings untersucht, um mögliche subversive Potentiale zu finden oder normative Machtstrukturen als solche zu entlarven. Eine abschließende Zusammenfassung rundet die Arbeit ab und verdeutlicht prägnant die erhaltenen Forschungsergebnisse. 4 Vgl. Hannah Möckel-Rieke: Entgrenztes Subjekt – liminaler Körper: Cyborgs und ihre Beziehung zur Körperkultur in der amerikanischen Populärkultur der Gegenwart. In: Die Amerikanisierung des Medienalltags. Hrsg. von Wenzel. Frankfurt, New York: Campus 1998, S. 329. 9 2 Theorieteil: Körper mit Konzept 2.1 Körper-Macht-Widerstand Bodies in the Bodhi Tree, bodies making chemistry bodies on my family, bodies in the way of me bodies in the cemetery and that's the way it's gonna be (Robbie Williams, Bodies) In dieser Arbeit wird von einem diskursanalytischen Körperverständnis ausgegangen, demnach Körper (und Begriffe im Allgemeinen) immer im Rahmen diskursiver Praktiken hervorgebracht werden und sich damit als soziokulturelle Konstrukte erweisen. Michel Foucault versteht unter Diskursen „Ensembles von Regelhaftigkeiten, die eine Praxis wissenschaftlichen Redens oder Schreibens regulieren: Diskurse regeln, was zu einem bestimmten Zeitpunkt sagbar ist“5. Er begreift Diskurse aber nicht nur sprachlich, sondern auch als Praktiken: Der Diskurs sei darauf ausgelegt, Macht zu legitimieren, indem durch den alltäglichen sozialen Austausch Normen etabliert und reproduziert werden.6 Nach Foucault ist Macht „nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“.7 In Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses skizziert er den gelehrigen Körper, welcher sich unterwirft, dressiert, manipuliert, ausgenutzt, verformt und umgeformt werden kann. Der Körper fungiere somit als Gegenstand und Zielscheibe der Macht. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von "Disziplinen", die im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts zur geläufigen Herrschaftsform wurden. Hierbei geht es um die Erhöhung der ökonomischen Nützlichkeit des Körpers und die Schwächung desselben, um ihn politisch fügsam zu machen. Beschrieben werden diese Disziplinen anhand von 5 Sabine Hofmann: Diskurs. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 71. 6 Vgl. Randi Gunzenhäuser: Automaten – Roboter – Cyborgs. Körperkonzepte im Wandel. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2006. (= Arbeiten zur anglistischen und amerikanistischen Medienwissenschaft. Hrsg. von Helbig, Krewani. Bd. 2) S. 35. 7 Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977, S.114. 10 Schulen, Spitälern und dem Militärwesen.8 Foucault weist jedoch nun auf die produktive Wirksamkeit der Macht hin und plädiert dafür, damit aufzuhören, die Macht immer nur negativ zu beschreiben, da Macht Wirklichkeit produziert und das Individuum das Ergebnis dieser Produktion sei.9 Subjekte werden also nach Foucault in komplexen Vorgängen der Unterwerfung im Rahmen von Körper- und Identitätsnormen in einer spezifischen historischen symbolischen Ordnung hergestellt.10 Zusätzlich beschreibt Foucault einen weiteren Machttypus, die BioMacht. Die Bio-Macht bezieht sich nicht wie die Disziplinarmacht auf das Individuum, sondern wirkt gesamtgesellschaftlich, reguliert und steuert die Bevölkerung. Als Exempel führt er an dieser Stelle beispielsweise die Geburten- und Sterblichkeitsrate, die Fortpflanzung und das Gesundheitsniveau an.11 Laut Foucault ist Macht allgegenwärtig, es gibt nichts, was sich außerhalb der Macht befinde.12 Des Weiteren seien Wissen und Macht untrennbar miteinander verbunden, Macht schaffe Wissenssubjekte und -objekte und kettet diese über Machtbeziehungen aneinander.13 In Foucaults Machttheorie lassen sich auch Widerstandspotentiale finden, die, so Foucault, nie außerhalb der Macht liegen.14 Er beschreibt Widerstände als ein nicht wegzudenkendes Gegenüber, das zumeist mobil und vorübergehend ist, die „Einheiten zerbrechen und Umgruppierungen hervorrufen, die Individuen selber durchkreuzen, zerschneiden und umgestalten, in ihrem Körper und in ihrer Seele abgeschlossene Bezirke“15 abstecken. Auf dieser Subversion, welche innerhalb eines Diskurses wechselseitig mit Macht hervorgebracht wird, liegt der Fokus der vorliegenden Arbeit. Foucaults Diskursbegriff stellt ein Denkmodell zur Verfügung, auf das der diskursanalytisch vorgehende dekonstruktivistische Feminismus zurückgreift. Die Untersuchungen zum Verhältnis von Subjekt, Körper und Wissen lassen sich auch in Donna Haraways Ausführungen des Cyborg-Konzepts wiederfinden (siehe Kapitel 8 Michel Foucault: Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 174ff. 9 Vgl. ebd., S. 250. 10 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 34. 11 Vgl. Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 166 12 Vgl. ebd., S.114. 13 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 37. 14 Vgl. Foucault, Der Wille zum Wissen, S. 116. 15 Ebd., S. 118. 11 2.3).16 Judith Butler knüpft ebenfalls an Foucault an und führt seine Überlegungen kritisch weiter. Im Gegensatz zu Foucault, welcher dafür kritisiert wird, Geschlecht weitgehend auszusparen, rückt Butler Geschlechtsidentität in den Mittelpunkt ihrer Theorie und beschreibt diese als einen Effekt von Macht. Nach Butler wird Geschlechtsidentität im Diskurs in einem performativen Akt immer wieder neu hervorgebracht und dadurch stabilisiert.17 Produziert werden stets Kopien, ohne dass es ein Original dazu gäbe (was sich auch später bei Maschinenmenschen wieder zeigen wird). Dieser performative Akt bietet jedoch nicht nur die Möglichkeit der Stabilisierung, sondern hat auch das Potenzial, hegemoniale Geschlechternormen zu dekonstruieren und somit zu unterlaufen. Dies kann, laut Butler, beispielsweise mittels transvestitischer Praktiken, Kleidertausch und der butch/femme-Identitäten geschehen.18 So erscheint das heterosexuelle Zwangssystem als Komödie und Parodie seiner selbst. Wichtig zu erwähnen ist aber, dass Butler die Parodie an sich nicht als subversiv versteht. So kann beispielsweise drag „so gut im Dienst der Entnaturalisierung wie der Reidealisierung übertriebener heterosexueller Geschlechtsnormen stehen“19. Denn Ziel der Performanz ist es, in erster Linie die Geschlechterbinarität aufrechtzuerhalten. Da, wie bereits erwähnt, Geschlechtsidentitäten konstruiert sind, können sie „weder wahr noch falsch, weder wirklich noch scheinbar, weder ursprünglich noch abgeleitet sein. Als glaubwürdige Träger solcher Attribute können sie jedoch gründlich und radikal unglaubwürdig gemacht werden“20. Darin liegt die Kraft der Subversion. Homosexualität, Transsexualität oder Travestie eigneten „sich Strukturen der Heterosexualität an, subvertierten und resignifizierten sie jedoch, indem sie sie verändert wiedereinsetzten“21. Somit können Machtstrukturen entlarvt und gestört werden. Dies geschieht aber nicht von außen, denn wie bei Foucault gibt es bei Butler keine Tätigkeit oder Realität außerhalb des Diskurses. 22 Wie Foucault macht sie ebenfalls vom Begriff der Bio-Macht Gebrauch, stellt hier aber die Frage nach der sexuellen 16 Susanne Schlünder: Foucault, Michel. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 113. 17 Vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 200. 18 Vgl. ebd., S. 201. 19 Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 178. 20 Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 208. 21 Marina Krug: Subversion. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 382f. 22 Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S.217. 12 Ökonomie in den Vordergrund, der zufolge Bio-Macht in einem heterosexuellen System weibliche und männliche Körper normativ aufeinander bezieht und jegliche von der Norm abweichende Geschlechterbeziehung untersagt. 23 Laut Butler sollte eine Kategorie so offen wie möglich gehalten werden. Identitäten sollen nicht definiert und bestimmt werden, sondern sollen dynamisch bleiben, weil durch eine Identifizierung immer andere Identifizierungen verloren gehen und ausgeschlossen werden.24 Gunzenhäuser macht darauf aufmerksam, dass sowohl bei Foucault wie auch bei Butler deutlich wird, dass kulturelle Körpernormen veränderbar sind und dass sie mit dem Voranschreiten des Kapitalismus immer flexibler werden. In Anbetracht dessen, so Gunzenhäuser, müssen subversive Praktiken ebenso provisorisch ausfallen. Da hegemoniale und widerständige Körperbilder gleichermaßen einer ständigen Veränderung unterzogen werden, ist zu beachten, dass weder Körpernormen noch Subversionsstrategien zeit- und gruppenunabhängig zu beurteilen sind. 25 Gunzenhäuser macht in diesem Zusammenhang auf ein grundlegendes Problem aufmerksam: Da das Verschwinden eindeutiger Körpernormen und -ökonomien viele Menschen beunruhigt, lässt sich die Angst um den Verlust klar eingegrenzter Körperkonzepte auch bei Widerstandspositionen finden, weil diese, wie Foucault dargelegt hat, ebenso vom Wandel betroffen seien wie die Normen der Macht. Offene Körperkonzepte konnten in der Moderne und in der frühen Postmoderne noch eindeutig der Seite des Widerstands zugeordnet werden, heute sei die Zuordnung erheblich schwieriger geworden. Dies hänge damit zusammen, dass konstruktivistische Theorieansätze bereits von zeitgenössischen Körperpraktiken eingeholt zu sein scheinen. Norm und Widerstand verschränken sich, so Gunzenhäuser, mehr denn je.26 23 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 47. Vgl. Butler, Körper von Gewicht, S.180. 25 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 49. 26 Vgl. ebd., S. 50. 24 13 2.2 Körper-Macht-Medien Broken mirror steal my reflection tell me what you see a hundred shattered eyes in the looking glass staring back at me (Travis, Broken mirror) Der um 1800 erfundene "ganze Mensch" ist bereits um 1900 wieder tot. Davon spricht Friedrich Kittler in Aufschreibesysteme und meint, dass dieser durch die neuen Technologien, wie Schrift, Film und Ton, zum Verschwinden gebracht werde, und alles, was übrig bleibe, sei der Körper als Material der Technik.27 Dem wird allerdings von Irmela Schneider entgegengehalten, dass es sich bei dem Verhältnis von Körper und Technik um eine Doppelbesetzung handelt: Einerseits geht es um die Technisierung von Körperrepräsentationen (z.B. in Fotographie und Film bis hin zum Cyberspace) und andererseits sollen Techniken zugunsten einer neuen Sinnlichkeit unsichtbar gemacht werden. 28 Schneider stellt fest, dass Körper- und Mediendiskurse eng miteinander verbunden sind, sich gegenseitig interpretieren und Medienrevolutionen auch immer Körperrevolutionen mit einschließen.29 In diesem Zusammenhang führt sie drei mediale Umbruchsituationen an, die wesentlich zur Veränderung von Körperkonzepten beigetragen haben: Film, Fernsehen und elektronische Medien.30 Körpererfahrung findet mit dem Medium Film über Körperrepräsentation statt. Der Film eröffne einen völlig neuen Blick auf den Körper, nämlich auf einen bewegten Körper und die Großaufnahme desselben, die auf das ungeübte Auge wie ein zerstückelter Körper wirkte, was faszinierend und erschreckend zugleich war.31 Gunzenhäuser meint dazu, dass Medien im Allgemeinen die angeblich abgeschlossenen Körper zerteilen und sie wie ein Puzzle nach ihren Regeln wieder zusammensetzen. Wesentlich hierbei ist, dass Medien stets bemüht darum sein, etwaige Spuren dieses kreativen Prozesses zu verwischen und beispielsweise durch Schnitttechnik, Charakterzeichnung oder Perspektivierung 27 Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Irmela Schneider: Anthropologische Kränkungen – Zum Zusammenhang von Medialität und Körperlichkeit in Mediendiskursen. In: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. Hrsg. von Becker und Schneider. Frankfurt am Main: Campus 2000, S.21. 29 Vgl. ebd., S. 15. 30 Vgl. ebd., S.16. 31 Vgl. ebd., S. 22. 28 14 die Körperbilder "natürlich" erscheinen lassen.32 Zu der Möglichkeit der Fragmentierung des Körpers kommt noch hinzu, dass er sich im Film wie eine Maschine bewegen kann. Somit erfährt die mechanische Sicht auf den Körper, die sich seit dem 18. Jahrhundert verbreitete, einen neuen Höhepunkt. 33 Das elektronische Zeitalter wird vor allem mit der Einführung des Fernsehens eingeläutet. Marshall McLuhan vertritt die Auffassung, wonach Medien Ausweitungen unseres Körpers darstellten. In diesem Modell löste er die verbreitete Sichtweise „der Trennung von weiblich kodierter Natur und männlich kodierter Technik auf“34. Der Körper wird in einer solchen Definition von Medien als eine funktionierende Apparatur begriffen und der mechanische Körper von Decartes fungiert als Vorbild für die mechanischen Medien.35 Diese Mechanisierung des Körpers geht mit dem Prozess einer »Verkörperung« von Kommunikationstechnologien einher, der, so Schneider, die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegend bestimmen wird. 36 Der menschliche Körper und die modernen Kommunikationstechnologien rücken immer näher aneinander. Beim Übergang vom mechanischen ins elektronische Zeitalter wird der Körper vom mechanischen Körper zu einer verkörperten Maschine. Somit findet, laut Schneider, eine Anthropomorphisierung der Medien statt und gleichzeitig wird der Körper zu einer "Kommunikationstechnologie".37 Abschließend stellt Schneider fest, dass der Diskurs über Medialität und Körperlichkeit durch zwei andauernde Traditionen geprägt sei: einerseits durch die vehemente Trennung von Körper und Geist, die lange Zeit das Interesse auf die geistigen Folgen der Medienentwicklung gelenkt habe und andererseits durch die Tradition eines essentialistischen Naturkörpers, der seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr als natürliche Einheit betrachtet werden könne.38 32 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S.20. Vgl. Schneider, Anthropologische Kränkungen, S.23f. 34 Uta Felten/Isabel Mauerer Qeipo: Medien/Medienwissenschaft/Medientheorie. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 262. 35 Vgl. Schneider, Anthropologische Kränkungen, S. 28. 36 Vgl. ebd., S. 27. 37 Vgl. ebd., S. 29. 38 Vgl. ebd., S. 36f. 33 15 2.2.1 Das gespaltene Subjekt im medientheoretischen Kontext In den 1930er Jahren entwickelte Jacques Lacan das Konzept des Spiegelstadiums, welches als Modell und Basis für darauffolgende Identifikationsprozesse dient.39 Hier geht es um die frühkindliche Identifikation mit dem eigenen Spiegelbild, in dem sich das Kind als scheinbar ganzheitliches, autonomes Subjekt wahrnimmt, obwohl es motorisch abhängig ist.40 Diese Wahrnehmung als einheitliches Subjekt ist nach Lacan jedoch ein Phantasma des Kleinkindes, denn das Subjekt ist stets gespalten. 41 Das wahrgenommene Ich basiere nur auf einem Bild, das von Lacan Imago genannt wird.42 Lacan unterscheidet in diesem Zusammenhang zwei Formen des Ichs: das je und das moi. Das je stellt den Blick auf das Ich aus einer Außenperspektive dar, in der es von anderen (in einer symbolischen Matrix) gesehen werden kann. Lacan nennt es auch das Ideal-Ich. Das moi ist das imaginierte Ich, welches jedoch fiktiv ist, da das ganze Subjekt als solches nicht zu erreichen ist.43 Im gendertheoretischen Kontext ist das Modell des Spiegelstadiums insofern interessant, als es aufzeigt, dass erst das Bild das Abgebildete konstruiert. Dies verweist darauf, dass kulturelle Bilder für die Konstruktion von (Geschlechts)Identitäten von enormer Relevanz sind.44 Deshalb wird Lacans Subjektfassung auch für film- und literaturtheoretische Analysen rund um Subjektivierungs- und Identifikationsprozesse herangezogen, in denen Medien eine identitätsstiftende Wirkung zukommt. 45 Vor diesem Hintergrund schreibt Marie-Luise Angerer: Medien, mediale Bilder, mediale Apparate haben nicht nur identitätsstiftende Wirkung, sondern sind am »Aufbau«, in der Formation von Subjekten zutiefst beteiligt, eingeschrieben, aus diesem nicht wegzudenken. Auch wenn zwischen medialen Bildern (TV, Film) und psychischen Bildern, unbewussten Bildern, Bildern der (unbewussten) Erinnerung, jenen Bildern, die wir als »Selbst«-bilder denken, ein Unterschied zu setzen ist, so ist dieser durchlässig.46 39 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 40. Vgl. Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. In: Schriften 1. Hrsg. von Norbert Haas. Berlin: Quadriga Verlag 1986, S. 64. 41 Vgl. ebd., S.67. 42 Vgl. ebd., S.65. 43 Vgl. ebd., S. 64. 44 Vgl. Stephanie Kratz: Spiegel/Spiegelstadium. . In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 374. 45 Zur Analyse von Lacans Subjektfassung in der Literaturtheorie siehe Lena Lindhoff: Einführung in die feministische Literaturtheorie. 2. überarbeitete Auflage. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003. (= Sammlung Metzler Bd. 285) S. 80-90. 46 Marie-Luise Angerer: body options. körper.spuren.medien.bilder. Wien: Turia und Kant 1999. (= Cultural Studies Bd. 1) S. 26. 40 16 Der Körper kann zusätzlich zu einer diskursiven und soziokulturellen Konstruktion auch als eine mediale Konstruktion gedacht werden. Durch die Medien wird der Körper selbst zum Bild, der "reale" Körper versucht sich dem Bild anzugleichen, somit werden Aspekte oder Teile des körperlichen Selbst zum Mittel der Identitätspräsentation. Diese Identitätspräsentation ist aber nur eine scheinbare, da die verschiedenen Anforderungen an weibliche und männliche Körper beim Individuum zu einer präzisen Modellierung des Körpers (z.B. Schönheitsideale) führen und somit auch zur Manifestation von Geschlechterstereotypen beitrage.47 Angerer verweist in body options immer wieder auf die Leere des Bildes und sieht die Problematik von Film, Fernsehen und neuen Medien-Technologien darin, dass sie die Materialität des Körpers und seines Geschlechts nicht fassen können: „Je euphorischer Netz-Theoretiker/innen vom gender- oder körperlosen Sein des Cyberspace berichten, desto deutlicher zeigt sich, dass der geschlechtlich markierte Körper den jeweiligen Bilder-Rahmen sprengt, in diesem offensichtlich nicht aufgeht, vor dem Rahmen nicht Halt macht“.48 Sie sieht in medialen Anordnungen keine Orte der Befriedigung, sondern diese bilden das Setting für ein Begehren, welches sich in den Bildern als Bild maskiert, jedoch strukturell völlig leer, beweglich und flüchtig ist. Es handelt sich hier um ein Moment, welches vorhanden, aber weder greif- noch sichtbar ist und sich außerhalb des Bildes befindet, das Körperbild.49 Dieses Körperbild meint nie das eigentliche Bild des Körpers, sondern verweist stattdessen auf einen psychischen Raum, welcher nicht sichtbar ist, während das Körperschema die Substanz/den Organismus beschreibt, mit der/dem die Menschen in der Welt in kommunikativen Austausch treten.50 Nach Paul Schilder ist das Körperbild fließend und dynamisch und besitzt die Fähigkeit, seine Grenzen zwischen Innen und Außen permanent zu verschieben.51 Angerer bemerkt dazu „der Ort des Körper(-bildes) ist eine ursprüngliche Leere, die in nachträglichen Verfahren besetzt – und dadurch zum Körper – wird“52. Das bedeutet, dass die sexuelle Markierung des Körpers (weibliche und männliche Identitäten) erst in einem nachträglichen Verfahren geschieht und aus dem Körper ein Ganzes machen soll. Damit geht jedoch gleichzeitig ein Verlust 47 Vgl. Claudia Combrink: Körper, männlicher/weiblicher. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 213. 48 Angerer, body options, S. 26. 49 Vgl. ebd., S.159. 50 Vgl. ebd., S.160. 51 Vgl. ebd., S.161. 52 Ebd., S.163. 17 einher, der bei Lacan einen Verlust der polymorphen Sexualität bedeutet und sich bei Butler als die Verdrängung eines homosexuellen Begehrens äußert, welches innerhalb einer heterosexuellen Matrix keinen Platz hat. Nach Butler sind Körpergrenzen zwischen dem Psychischen und dem Materiellen verortet, diese oszillieren zwischen den beiden Schichten. Somit entsteht eine Spaltung und um diese Spaltung zu überdecken, bedarf es einer Fassade, nämlich geschlechtlicher Identitäten.53 Da der Körper keine abgeschlossene Einheit darstellt, können Medien(bilder) auf uns wirken. Sie dienen dazu, aus einem leeren Körperbild ein volles zu machen.54 Angerer erklärt in diesem Kontext, dass das filmtheoretische Subjekt eigentlich körperlos ist, erst der Blick setzt sein Subjekt nachträglich als Effekt ein. Sie betont an dieser Stelle, dass die gesamte filmische Repräsentation durch die Organisation des Blicks - des Blicks der Kamera, des Blicks der Zuseher_innen und des Blicks des (männlichen) Protagonisten definiert wird.55 Bilder sind menschlich, so Angerer, und mediale Apparaturen bergen einen nicht-humanen Anteil in sich. Sie bezeichnet mediale Anordnungen als soziale Maschinen, „die das Psychisch-Soziale nicht nur durchdringen, sondern aufbauen, befestigen, einrichten“56. Somit treiben nicht-humane Institutionen die Produktion von Subjektivitäten an, was wiederum zu einer Kreuzung von humanen und non-humanen Anteilen führt, deren Verkörperung sich im Harawayschen Cyborg finden lässt. Medien kann also deshalb subjektkonstituierendes und gleichzeitig subversives Potential zugesprochen werden, weil zwischen ihnen und dem Körper eine enge Verkettung vorliegt. Vor dem Hintergrund, dass Körper und Kommunikationstechnologien immer näher aneinanderrücken und der Mensch, so Schneider, zu einer verkörperten Maschine mutiert, kann die Cyborg-Metapher im medientheoretischen Kontext doppelt gelesen werden. Zum einen kann es sich um ein Cyborg-Werden, zum Beispiel eines filmischen Körpers handeln und zum anderen kann das Zuseher_innen-Subjekt selbst zum Cyborg mutieren, „da es nicht mehr ganz in seinem Körper zu Hause zu sein scheint, sondern sich in Verdoppelungen und Aus- und Umstiegen verliert“57. 53 Vgl. ebd., S. 164. Vgl. ebd., S. 163. 55 Vgl. ebd., S. 70. 56 Ebd., S. 70. 57 Ebd., S. 174. 54 18 2.3 Haraways Cyborg – zwischen film- und literaturtheoretischer Fiktion und technologischer Realität Biomechanik Der Mensch belebt den Stahl Gedanken integral Die Seele digital Biomechanik Das Leben wird kodiert Gefühle generiert Natur perfektioniert (Anthony Rother, Biomechanik) Das Motiv des künstlichen Menschen lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen und ist bis ins 18. Jahrhundert nur in Mythen und Legenden zu finden. Der wohl bekannteste Mythos rund um den Automatenmenschen stammt aus der griechischen Mythologie und erzählt die Geschichte des Bildhauers Pygmalion, der seine Statue belebt und sich in sie verliebt.58 Mit dem Aufkommen der Alchemie und Magie im Mittelalter wurde der Erschaffung eines menschenähnlichen Wesens große Aufmerksamkeit zuteil. Es wurden diverse Rezepte erstellt, in denen detaillierte Anleitungen zur Kreation eines Homunculus beschrieben werden.59 Das bekannteste Rezept stammt von Paracelsus, welcher das Sperma eines Mannes mit Pferdemist und Menschenblut vermischte und diese Ingredienzen in einem kürbisartigen Gefäß einem Fäulnisprozess unterzog.60 In den jüdischen Überlieferungen lässt sich eine andere Legende von einem menschenähnlichen Wesen finden. Der Golem ist eine Figur aus Lehm, die, wie der Homunculus, nicht sprechen kann und der durch die kabbalistische Buchstabenmystik zum Leben erweckt wird. Diese Wesen wurden noch nicht als Bedrohung wahrgenommen, wie sich später in der Literatur zeigt, sondern wurden eher dem Bereich der Zauberei und "Trickserei" zugeordnet.61 Die bewusste Konstruktion eines künstlichen Menschen, im Sinne eines Androiden 62, fand erst im 17. und 18. Jahrhundert statt. Von da an begann man den Menschen mit 58 Vgl. Tanja Lindauer: Reconstructing Eve. Automatenmenschen in Literatur und Film. Marburg: Tectum Verlag 2008, S. 15f. 59 Vgl. ebd., S. 18. 60 Vgl. Bernhard Irrgang: Posthumanes Menschsein? Künstliche Intelligenz, Cyberspace, Roboter, Cyborgs und Designer-Menschen –Anthropologie des künstlichen Menschen im 21. Jahrhundert. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, S. 19. 61 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 19f. 62 Der Begriff Android bedeutet so viel wie „Des Menschen Abbild“, vgl. ebd., Irrgang, Posthumanes Menschsein, S. 19. 19 einer Maschine zu vergleichen. René Decartes teilt in seiner Zweisubstanzenlehre die Welt in "res cogitans"(Geist) und "res extensae" (Körper). Allein der Mensch bestehe aus beiden Substanzen, was ihm ermögliche, zu denken und zu sprechen. Wie bereits im Kapitel 2.2 erwähnt, begreift Decartes den Körper selbst als Maschine, folglich seien Maschinen natürlich und Decartes sah deshalb Automatenkonstrukteure als Nachahmer des Schöpfers an. Tanja Lindauer schließt daraus, dass laut dieser Theorie die Maschine nicht nur Teil der Natur sei, sondern die Natur selbst als Maschine wahrgenommen werde.63 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden Automaten ausschließlich zur Simulation menschlicher Bewegungsabläufe konstruiert. Das ist auch der Grund, warum sie in der Literatur erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Bedrohung wahrgenommen werden.64 Mary Shelley schrieb 1818 den Roman Frankenstein, der erstmals die bedrohliche Komponente von künstlichen Menschen, die zwischen Anpassung und Widerstand oszillieren, zum Thema macht. Die Doppelbesetzung von Anpassung und Widerstand und von Künstlichem und Lebendigem haben Maschinenmenschen bis heute inne.65 Mit dem Aufkommen moderner Kommunikationstechnologien im 20. Jahrhundert werden die Automatenmenschen von kybernetischen Organismen abgelöst, in deren Tradition Haraways Cyborg steht.66 Lindauer nennt in diesem Zusammenhang drei außerliterarische Momente, die zum Motiv des Automatenmenschen wesentlich beitrugen. Der Behaviorismus, welche durch John Broadus Watson 1913 begründet wurde und dessen bekanntester Vertreter Petrowitsch Pawlow ist, machte es sich zum Ziel, aufzuzeigen, dass es möglich ist, menschliche Verhaltensmuster mit mechanischen Perspektiven zu beschreiben. Hier wird der Mensch als eine organische Maschine angesehen, die sind von ihrer Umwelt programmieren lässt. Mittels der behavioristischen Theorie wurde, speziell in den USA, auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz geforscht. Die zweite bedeutsame Theorie ist die der Kybernetik. Sie wurde durch Norbert Wiener etabliert und brachte neue Aspekte in die Androidenthematik. Der Organismus des 20. Jahrhunderts, so Wiener, sei ein Medium der Kommunikation und Kontrolle, das sich aus Botschaften, Informationen und Codierungen zusammensetze. Der Mensch gilt somit als Vorbild vor die Maschine und Wiener ging davon aus, dass alle Gehirnfunktionen des 63 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 21ff. Vgl. ebd., S. 26. 65 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 81ff. 66 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 32. 64 20 Menschen mit elektrischen Systemen nachgebildet werden können. Als drittes außerliterarisches Moment nennt Lindauer die Computertechnologie und das folgende Interesse an der Forschung der Künstlichen Intelligenz. Diese drei Momente trugen, so Lindauer, zu Entwicklung des Cyborgs bei, welcher durch seine duale Konstruktion gekennzeichnet ist. Da er äußerlich als Mensch auftritt, aber im Inneren eine Maschine ist, lässt sich beim Cyborg im Film und in der Literatur, wie schon bei den Automaten im 18. und 19. Jahrhundert, das Thema von Schein und Wirklichkeit wiederfinden.67 Die Biologin und Kulturwissenschaftlerin Donna Haraway entwirft in ihrem 1985 veröffentlichten Essay Manifesto for Cyborgs eine utopische Cyborg-Figur, die als feministisches Widerstandskonzept gegen eine patriarchale Macht, welche sich durch klare Grenzziehungen und Herrschaftsverhältnisse definiert, fungiert. Mit diesem Essay war sie eine der ersten, die sich radikal mit den Neuen MedienTechnologien auseinandersetzte. Hierbei geht es nicht mehr um prothetische Erweiterungen des Körpers, wie etwa Freud und McLuhan die Technik betrachteten, sondern um ein Angreifen und Unterwandern der Grenzen von Subjekt und Objekt, was die Transformation der Wahrnehmung des Körpers nach sich zieht. Die Haut als Grenze unseres Körpers scheint somit durchlässig geworden zu sein.68 Im Zentrum der Kritik stehen hier der patriarchal motivierte Einsatz von neuen (Bio-)technologien und ihr Gebrauch für militärische und kommerzielle Zwecke. 69 Cyborgs sind nach Haraway „kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion“70. Zum einen ist die Cyborg als imaginäre Figur zu verstehen, wie sie sich zum Beispiel in Science Fiction-Filmen und Literatur finden lässt und zum anderen sind wir in unserer materiellen Realität alle schon längst Cyborgs. 71 Cyborgs erscheinen immer dort, wo Grenzen brüchig werden und Haraway plädiert dafür, dieser Grenzverwischung positiv gegenüberzustehen, anstatt dystopische Visionen zu schaffen und Ängste zu schüren. In diesem Zusammenhang zeichnet sie den Zusammenbruch von drei 67 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 31ff. Vgl. Angerer, body options, S. 20. 69 Vgl. Angela Krewani: .Cyberfeminismus. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S.56. 70 Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 33. 71 Vgl. ebd., S. 34. 68 21 ausschlaggebenden Grenzziehungen nach72: Die Grenze zwischen Mensch und Tier ist nicht mehr erkennbar und das Argument der Einzigartigkeit des Menschen, der sich in seinem Sozialverhalten von den Tieren abgrenzt, nicht mehr haltbar. Die zweite porös gewordene Unterscheidung ist die zwischen Organismus (Tier-Mensch) und Maschine. Die Maschinen des späten 20. Jahrhunderts beschreibt Haraway als quicklebendig, während der Mensch beängstigend träge zu sein scheint. In diesem Zusammenhang schreibt sie: „Die Maschine ist kein es, das belebt, beseelt oder beherrscht werden müsste. Die Maschine sind wir, unsere Prozesse, ein Aspekt unserer Verkörperung“.73 Die dritte Unterscheidung bezieht sich auf die Auflösung der Abgrenzung zwischen Physikalischem und Nichtphyikalischem. Laut Haraway sind moderne Maschinen allgegenwärtig und unsichtbar und genau darin liege ihr tödliches Potential, denn sie sind politisch wie materiell kaum mehr zu erkennen. Sie beschreibt Cyborgs als Geschöpfe einer Post-Gender-Welt, die ohne jede Unschuld sind, sich außerhalb der heterosexuellen Matrix bewegen und als utopisch, oppositionell, pervers, ironisch und partiell gelten. Natur und Kultur werden durch sie neu definiert.74 Mit der Cyborg-Figur entwirft Haraway ein zerlegtes und neu zusammengesetztes Selbst, welches für Frauen ein Befreiungspotential aus den patriarchalen und dichotomen Verhältnissen darstelle und des Weiteren Gender, Rasse und Klasse als essentialistische Einheiten ungültig mache.75 Darüber hinaus beugen sich Cyborgs nicht der Bio-Politik Foucaults, sondern simulieren Politik, womit sie sich nach Haraway in einem weitaus mächtigeren Operationsfeld bewegen.76 Diese Cyborg-Metapher steht ganz im Zeichen der Dekonstruktion und „kann uns einen Weg aus dem Labyrinth der Dualismen weisen, in dem wir uns unsere Körper und Werkzeuge erklärt haben“77. 72 Vgl. ebd., S. 36ff. Ebd., S. 70. 74 Vgl. ebd., S. 35. 75 Vgl. ebd., S. 41ff. 76 Vgl. ebd., S. 50. 77 Ebd., S. 72. 73 22 2.3.1 Kritische Auseinandersetzungen Harawayschen Cyborg-Konzept mit dem Wie auch Butler nimmt Haraway eine diskurstheoretische Position in Bezug auf die Konzeption des Körperlichen ein und knüpft darüber hinaus an gegenwärtige Diskurse aus den Naturwissenschaften an, in denen der Körper als ahistorische, eindeutig bestimmbare und abgegrenzte Konstante betrachtet wurde. 78 Doch im Gegensatz zu Butler fungiert der Körper für Haraway nicht als passive Einschreibfläche, sondern ihm kommt eine aktive Rolle zu: „Der Körper, das Objekt des biologischen Diskurses, wird selbst ein höchst engagiertes Wesen. […], der »Körper« ist ein Agent und keine Ressource“.79 Haraway pflegt einen etwas offeneren Diskursbegriff als Butler, denn sie spricht sich dafür aus, dass materielle Körperlichkeit nicht auf diskurstheoretische Konstruktionen reduzierbar und somit nicht als Effekt sprachlich vermittelter Praktiken zu verstehen sei.80 Barbara Becker spricht sich ebenfalls gegen eine ausschließliche Textualisierung des Körpers aus und stimmt mit Haraway überein, dass die Eigendynamik körperlicher Materialität nicht ignoriert werden dürfe.81 In diesem Zusammenhang verweist Becker auf den "Leibkörper"82, welcher immer in einer Zwiegestalt auftrete, die ihn zu einem Umschlagpunkt von Natur und Kultur mache. 83 Er „ist immer gleichzeitig Außen und Innen, Fremdes und Eigenes, und ermöglicht Schwellenerfahrungen am Übergang zwischen Bestimmbarem und Erlebtem, zwischen Blindheit und Sichtbarem, zwischen Drinnen und Draußen“84. Im Gegensatz zu Haraway sieht Becker die Auflösung diverser Dualitäten und die Verschmelzung von Natürlichem und Künstlichem nicht erst in der Entstehung von virtuellen Körpern oder biologischen Maschinen, sondern sie ist der Meinung, dass dieser Chiasmus dem Leibkörper 78 Vgl. Barbara Becker: Cyborgs, Robots und »Transhumanisten« - Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität. In: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. Hrsg. von Becker und Schneider. Frankfurt am Main: Campus 2000, S. 48. Vergleichend auch bei Carmen Hammer, Immanuel Stieß: Einleitung. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hrsg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß. Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 13-14. 79 Donna Haraway: Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hrsg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß. Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 95. 80 Vgl. Becker, Cyborgs, Robots und »Transhumanisten«, S. 49. 81 Vgl. ebd., S. 56f. 82 Becker bezeichnet damit einen subjektiv erlebbaren Leib oder einen physikalischen Körper. 83 Vgl. ebd., S. 58 84 Ebd., S. 58f. 23 bereits innewohne.85 Sie plädiert für die Anerkennung des Eigensinns und der Eigendynamik eigener und fremder Materialität, welche stets auch eigene Akzente setze und deshalb nicht ausschließlich der Macht von Diskursen, der Sprache oder der Medien ausgesetzt sei.86 Ein weitaus essentialistischeres Verständnis von Körperlichkeit und Leiblichkeit vertritt Bernhard Irrgang. Für ihn ist der Unterschied zwischen Menschen und Robotern bzw. Cyborgs, unüberwindbar, denn auch für die Anthropologie des Homo faber im 21. Jahrhundert sei immer eine gewisse Naturbezogenheit menschlicher Leiblichkeit von zentraler Bedeutung. Klare Unterschiede zwischen natürlich erschaffenen Menschen und technisch entwickelten Robotern würden zwar aufgelöst werden, aber es sei Maschinenmenschen nicht seien möglich diese keine autonomen vollständig zu Akteur_innen, verwischen. 87 sondern immer fremdbestimmt, sie blieben immer nur Summe ihrer Teile und ergäben niemals ein Ganzes. Laut Irrgang überwinden Cyborgs das Geist/Körper-Problem nicht, sondern löschen es aus.88 Ob man in der Cyborg-Figur eine/n Hoffnungsträger_in oder eine Schreckensgestalt sieht, hänge nach Gunzenhäuser Medienkonzept der jeweiligen Kritiker_innen ab. 89 vom Körper- und Darüber hinaus fragt er sich, inwieweit Haraways Widerstandskonzept in einer Zeit, in der Körpernormen längst dynamisch und verflüssigt seien, noch subversive Kraft habe. Ist der/die Cyborg heute immer noch eine Widerstandsfigur oder einfach nur eine Form der Existenz unter vielen?90 Haraway verweist jedoch in Cyborgs and Symbionts auf die Mutation der Cyborgs: „Cyborgs do not stay still. Already in the few decades that they have existed, they have mutated, in fact and fiction, into second-order entities like genomic and electronic databases and the other denizens of the zone called cyberspace.“ 91 In einem Interview betont sie, dass die Cyborg nicht identisch mit sich selbst sei und viele mysteriöse Wandlungen durchlaufe. Die Cyborg-Familie sei außerdem diffiziler 85 Vgl. ebd., S. 60. Vgl. Becker, Cyborgs, Robots und »Transhumanisten«, S. 66. 87 Vgl. Irrgang, Posthumanes Menschsein, S. 189. 88 Vgl. ebd., S. 190. 89 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 61. 90 Vgl. ebd., S. 60. 91 Donna Haraway: Cyborgs and Symbionts: Living Together in the New World Order. In: The Cyborg Handbook. Hrsg. von Chris Hables Gray. New York, London: Routledge 1995, S. xix. 86 24 geworden, denn die Cyborg-Genealogie habe inzwischen eine Unzahl an Mitgliedern.92 2.4 Cyborg-Figuren in der gegenwärtigen Medienlandschaft coin operated boy sitting on the shelf he is just a toy but i turn him on and he comes to life automatic joy that is why i want a coin operated boy (Dresden Dolls, Coin-Operated Boy) Im Rahmen diverser Mediendiskurse der letzten Jahrzehnte unterlag der CyborgBegriff zahlreichen Mutationen und Neudefinitionen, wobei diese sowohl utopische Visionen als auch apokalyptische Albtraumszenarien in Gang setzten.93 Geprägt wurde der Begriff ursprünglich 1960 von den Wissenschaftlern Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline, die unter dem Terminus ein sich selbst regulierendes MenschMaschinen-System verstehen, welches fähig ist im Weltraum zu überleben.94 Diese Definition reiche aber, so Möckel-Rieke, zur Beschreibung der vielfältigen Arten der Cyborg-Existenzen in der Populärkultur nicht aus, da beispielsweise die düstere Seite dieser Existenzen bei Clynes und Kline ausgespart blieb.95 Auch Martina Mittag schreibt in diesem Kontext: Der Cyborg ist gegen Ende des 20. Jahrhunderts kaum als isoliertes, kybernetisches System zu betrachten, sondern als vernetztes Element innerhalb einer Unzahl zusammenwirkender Komponenten. Dabei bleibt der Körper weit davon entfernt seine historischen Kontinuitäten vollends zu negieren und sich in Immaterialität aufzulösen, wie es einige wollen. Aber er durchläuft neue Verschaltungen, wird formbarer, wandelbarer.96 Möckel-Rieke beschreibt Cyborgs als liminale Körper. Das sind Körper, die sich in einer materiellen oder zeitlichen Grenzsituation befinden und deren Zustand dauerhaft oder aber auch nur ein momentaner sein kann. Cyborgs seien zumeist in einem doppelten Sinn liminal, weil sie einerseits die Grenze zwischen Organischem 92 Donna Haraway: Wir sind immer mittendrin. Ein Interview mit Donna Haraway. In: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hrsg. von Carmen Hammer und Immanuel Stiess. Frankfurt a.M./New York: Campus 1995, S. 114. 93 Vgl. Martina Mittag: Mutierte Körper – Der Cyborg im Text und der Text als Cyborg. In: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. Hrsg. von Becker und Schneider. Frankfurt am Main: Campus 2000, S. 211. 94 Vgl. Haraway, Cyborgs and Symbionts, S. xv. 95 Vgl. Möckel-Rieke: Entgrenztes Subjekt, S. 319. 96 Mittag, Mutierte Körper, S. 216. 25 und Maschinellem oder zwischen Körper und Information sichtbar machen und sich andererseits oftmals am Rande der Ausgrenzung bewegen. In fiktiven Handlungen ist der mechanische Teil der Cyborgs häufig an einer Stelle sichtbar oder die menschliche Hülle wird im Laufe der Handlung teilweise beziehungsweise zur Gänze zerstört, sodass der mechanische Teil anschließend sichtbar wird. An diesem Punkt treten sie aus der Simulation eines menschlichen Erscheinungsbildes heraus, indes die Schauspieler_innen in die Simulation der Tricktechnik und Maskenbildnerei eintreten. Des Weiteren ist der liminale Körper auch ein monströser Körper, der die Grenze des Natürlichen und Lebendigen markiert. Er überschreitet die als "natürlich" kodierten Grenzen des Körpers und macht ihn somit zum Thema einer postmodernen Körperkultur.97 Verena Kuni erläutert, dass Cyborg-Figuren deshalb charakteristisch für ein posthumanes Denken seien, weil sich in ihnen der Wunsch, die eigene Endlichkeit zu überwinden, widerspiegelt. Darüber hinaus geht sie der Frage nach, warum die meisten Cyborgs menschliches Aussehen besitzen. Da sie ihren Ursprung in der Vorstellung des Menschen haben und sich stets am Menschen messen müssen, werden sie von einer anthropozentrischen Perspektive mitbestimmt. Dies ist laut Kuni der Grund, warum die Bilder, die wir von Cyborgs haben, obwohl sie Überschreitungen des Menschlichen imaginieren, meistens die menschlichen Konturen besitzen, die sie gleichzeitig durchbrechen sollen. 98 2.4.1 Darstellung und Bedeutung von liminalen Körpern im Science Fiction-Film Gunzenhäuser hebt einen besonderen Aspekt der Science Fiction hervor, denn sie „visualisiert Raum- und Gesellschaftsstrukturen nicht so sehr im Hinblick auf eine unbekannte Zukunft, sondern immer mit Blick auf die Gegenwart“99. Science Fiction habe die Fähigkeit, Bilder für kulturelle Räume zu schaffen, welche in dieser Art zwar nicht unserer Zeit und Anschauung entsprechen, jedoch im Rahmen des Spektakels mittels Präsentationstechnik einen Realitätseffekt erzeugen. Diese Filme machen den eigentlich unsichtbaren virtuellen Raum durch spekulative Bilder sichtbar und 97 Vgl. Möckel-Rieke, Entgrenztes Subjekt, S. 329. Vgl. Verena Kuni: Mythische Körper: Cyborg-Configurationen als Formationen der (Selbst)Schöpfung im Imaginationsraum technologischer Kreation: Alte und neue Mythologien von künstlichen Menschen. In: Medien Kunst Netz. 2004. URL: http://www.medienkunstnetz.de/themen/cyborg_bodies/mythische-koerper_I/1/ [19.02.2013]. S. 2f. 99 Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 7. 98 26 sollen eine Technologie, die sich an sich nicht mit Blicken einfangen lässt, fassbar machen. Darüber hinaus hänge die Glaubwürdigkeit der Figuren weniger von ihrer psychologischen Tiefe, als von ihrer Verortung im Bildausschnitt und ihrer Anordnung auf der Leinwand ab, was den Raum- und Klangbildern in der Wahrnehmung einen höheren Stellenwert einräumt.100 Vivian Sobchack unterstreicht in Bezug auf Science Fiction sowohl positive als auch negative Aspekte. Sie unterscheidet dabei zwischen den frühen Science Fiction-Filmen aus den 1950ern und denen ab den 1970ern, aus dem sogenannten "Second Golden Age".101 Einerseits betont sie die progressive Entwicklung, die eine außergewöhnliche und befreiende Dynamik in sich trägt: „Contemporary SF has attempted to map the new world space we inhabit, to imagine other forms of being, to give us a picture of multinationalism, to represent narratively the altered significance of difference, samness, boundaries, marginality.“ 102 Andererseits zeigt sie die verderblichen Funktionen auf: The early films can be generally characterized by their celebration of and consequent about imperialism and colonial expansion; their fetishization of technology; their arrogant xenophobia grounded on the perpetuation of difference and the need for an alien Other. And, in the films of the "Second Golden Age" we can point an accusatory finger at their regressive infantilism; their nostalgia for an impossible and trivialized past, and their incapacity to imagine a future; their fetishizitation of consumer culture, both its images and its trash; their complacent pluralsim, which ascribes equal value to every "thing" and every "position".103 Die ambivalente Haltung Sobchacks zu Science Fiction-Filmen spiegelt auch die Ambivalenz der Cyborg Figuren selbst, die nicht selten zu den Protagonist_innen des genannten Genres zählen, wider. Denn sie sind Bedrohung und Versprechen zugleich. Dennoch handelt es sich bei den meisten Mainstream-Filmen um dystopische Geschichten, in denen die Autonomisierung der Maschinenmenschen zum Albtraum für die Menschheit wird.104 Das Brüchigwerden sämtlicher Grenzen deutet der Mensch als potentielle Bedrohung, die mit der Angst eines Kontrollverlustes einhergeht. Zum einen geht es um den Verlust der Kontrolle über die von den Menschen erschaffenen Maschinen und zum anderen geht es um den Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper, dessen Konturen die Identität des 100 Vgl. ebd., S. 7f. Vgl. Vivian Sobchack: Postfuturism. In: The Gendered Cyborg: A Reader. Hrsg. von Gill Kirkup, London, New York: Routledge 2000, S. 142. 102 Ebd., S. 143. 103 Ebd. 104 Vgl. Mittag, Mutierte Körper, S. 218. 101 27 Menschen darstellen.105 Andere, positiv konnotiertere Maschinenmenschen stellen häufig eine Idealverkörperung des Menschen oder eine technologische Steigerung des Intellekts dar.106 2.4.2 Schnittstelle Geschlecht Das Geschlecht fungiert, so Kuni, in vielen Cyborg-Konfigurationen als Schnittstelle zur Durchbrechung vorgegebener Grenzen, wie zum Beispiel die Überwindung von körper-geschlechtlicher Reproduktion. Da Maschinenmenschen weder zu ihrer Konstruktion noch zu ihrer Vermehrung einen geschlechtlichen Zeugungsakt benötigen, erscheint die Frage umso interessanter, warum Cyborg-Repräsentationen überhaupt ein Geschlecht besitzen. In sämtlichen Erzählungen und Filmen sind diese Wesen explizit durch ein Geschlecht markiert und orientieren sich größtenteils an traditionellen Konzepten von Weiblichkeit und Männlichkeit. Kuni spricht in diesem Zusammenhang vom Imperativ des Anthropomorphismus, welcher sagt, dass zu einer gelungenen Herstellung eines Menschen ein eindeutiges Geschlecht gehört. Alles was davon abweicht, wird dem Monströsen oder Numinosen zugeschrieben.107 Gegenstand der Schöpfungsgeschichten mit Kunst und Technik ist die Erschaffung einer idealtypischen Verkörperung des "natürlichen" Geschlechts. Häufig stehe das Geschlecht in einem Spannungsverhältnis zu seinem Kreator, welcher die Seite der Menschen repräsentiert und als genialer Ingenieur zum gottgleichen Schöpfer werde.108 Auch wenn die Geschöpfe vorerst dem Imperativ genügen, offenbaren sie früher oder später ihre Monstrosität, welche zum einen das Misslingen des Schöpferaktes und zum anderen ihre Unmenschlichkeit veranschaulicht. Die Kreaturen fungieren laut Kuni auch in modernen Erzählungen als Gegenpol zum wahrhaftigen Menschen, welchen ihr Schöpfer verkörpere. Somit werden Machtverhältnisse bestätigt und langfristig stabilisiert.109 Neben einer idealtypischen Verkörperung des Menschen stecken Cyborgs nicht selten in stark fetischisierten und übertriebenen geschlechtlichen Körpern, welchen zum Beispiel Lara Croft repräsentiert. Diese sollen laut Samantha Holland einen Ausgleich zu der Bedrohung 105 Vgl. Kuni, Mythische Körper, S. 3. Vgl. Mittag, Mutierte Körper, S. 218. 107 Vgl. Kuni, Mythische Körper, S. 4. 108 Vgl. ebd., S. 5. 109 Vgl. ebd., S. 9. 106 28 darstellen, welche Cyborgs anhaftet, nämlich der des Kontrollverlustes über den menschlichen Körper und somit auch der geschlechtlichen Unterscheidung, welche die Basis für den Erhalt der patriarchalen Ordnung darstellt. 110 Dennoch ist Holland der Ansicht, dass es sich nicht um eine einfache Repräsentation von Stereotypen handle: „Most notably, the pumped-up hyper-masculine bodies of the male cyborgs can be read either as straight reassertions of hegemonic masculinity, or as hysterical over-compensation for a masculinity in crisis.“111 Ungeachtet dessen, wie stereotyp oder überzeichnet Cyborgs in Filmen vorzufinden sind, verweise ihre Konstruiertheit auch immer auf die Konstruiertheit von Gender.112 In ihrem Buch Electronic Eros. Bodies and the Desire in the Postindustrial Age widmet sich Claudia Springer dem Zusammenhang von Technik und Gender, unter anderem in Cyborg-Filmen. Sie ist der Meinung, dass das Differenzprinzip zwischen Männern und Frauen in den meisten Filmen vorherrschend sei, harte stählerne Männlichkeit stehe zumeist femininer Fluidität gegenüber.113 Möckel-Rieke gibt Springer in diesem Punkt nicht Recht, viele dieser Cyborgs orientieren sich zwar oberflächlich an traditionellen Geschlechterrollen, jedoch verwickelten sie sich oftmals in performative Widersprüche, welche die brüchig werdenden Grenzen zum Thema machen und zur Schau stellen.114 2.4.2.1 Hypermännliche Cyborgs Claudia Springer geht davon aus, dass die häufigste Art der Cyborg- Repräsentationen männliche, gewalttätige Killermaschinen sind.115 Sie spricht in diesem Kontext von einem diskursiven Anachronismus, welcher die Veränderungen der Postmoderne verleugne, um das patriarchale Herrschaftssystem zu stützen: „Violent, forceful cyborg imagery participates in contemporary discourses that cling to nineteenth-century notions about technology, sexual difference, and gender roles in order to resist the transformations brought about by the new postmodern social 110 Vgl. Samantha Holland: Decartes Goes to Hollywood: Mind, Body and Gender in Contemporary Cyborg Cinema. In: Cyberspace, Cyberbodies, Cyberpunk. Cultures of Technological Embodiment. Hrsg. von Mike Featherstone und Roger Burrows, London: Sage 1995, S. 159. 111 Ebd., S. 166. 112 Vgl. ebd. 113 Vgl. Claudia Springer: Electronic Eros. Bodies and the Desire in the Postindustrial Age. Austin: University of Texas Press 1996, S. 102f. 114 Vgl. Möckel-Rieke, Entgrenztes Subjekt, S. 334f. 115 Vgl. Springer, Electronic Eros, S. 93. 29 order.“116 Aggressive, muskulöse Cyborg-Darstellungen in Filmen festigen die Dominanz einer phallischen Metapher für Technik und sollen laut Springer ein Symbol für einen misogynen Widerstand gegen den Wandel der Geschlechterordnung sein.117 Möckel-Rieke meint Springers Argument, wonach Cyborgs vorwiegend Killer seien, treffe nicht gänzlich zu, da Cyborgs in Kinofilmen zumeist auch selbst verfolgt und vernichtet werden. 118 Kuni fügt noch hinzu, dass diese Cyborgs trotz ihrer hypermaskulinen Merkmale keine eigene sexuelle Identität besitzen und der doppelt konnotierte Phallus immer in der Hand der Ingenieure bleibe.119 2.4.2.2 Maschine und Weiblichkeit Maschinenmenschen sind seit der Romantik in der Literatur oftmals weiblich. Ein beliebtes Motiv in diesem Zusammenhang ist die Täuschung. Sie sind verführerisch und vernichtend zugleich und ihr schönes Äußeres ist nur Fassade. 120 121 Der weibliche Automat wird als "natürlich" angesehen und täuscht den Mann über sein wahres Wesen hinweg. Laut Lindauer zeigt sich hier auch ein Paradoxon, denn durch die Vermischung von Natürlichem und Künstlichem werde das Künstliche als natürlich wahrgenommen.122 Im Roman L'Eve future von Auguste Villiers de l'Isle-Adam wird die Eva der Zukunft geschaffen. Sie soll eine verbesserte, ewig lebende und immer jung bleibende Kopie des Weiblichen sein. Die Puppe entwickelt jedoch monströse Züge und wird daraufhin von ihrem Erfinder vernichtet. Verena Kuni meint, dass die "Eva der Zukunft" als sogenannte Junggesellenmaschine auch in der Realität des postmodernen Medienalltags zu finden sei. Sie bezeichnet diese idealisierten Ersatzfrauen als Schwestern der Eve future, welche die Eva vor und nach dem 116 Ebd., S. 100. Vgl. ebd., S. 104. 118 Vgl. Möckel-Rieke, Entgrenztes Subjekt, S. 330. 119 Vgl. Kuni; Mythische Körper, S. 10. 120 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 34f. 121 Die "männerverschlingende Frau" lässt sich nicht nur in Gestalt des Maschinenmenschen finden, sondern gilt schon seit der Antike als häufige Darstellung des Weiblichen. vgl. Annette Simonis: Weiblichkeitsbilder/Imagination. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 401. 122 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 36. 117 30 Sündenfall symbolisieren und immer nur eine Kopie ohne Original sind123, was schon Butler im Zusammenhang mit der performativ hervorgebrachten Geschlechtsidentität feststellt. Frauen und Maschinen(menschen) werden oftmals gleichgesetzt, denn beide müssen kontrolliert und diszipliniert werden.124 Eine große Rolle spielt die Angst vor der weiblichen Sexualität und das Begehren nach der Idealfrau. Die weiblichen Cyborgs entziehen sich im Laufe der Handlung dem männlichen Willen, entwickeln Autonomie und müssen daher mit zerstörerischen Sanktionen rechnen.125 Anne Balsamo sieht genau darin ihr subversives Potential. Aufgrund der Tatsache, dass Weiblichkeit seltener mit Technik in Verbindung gebracht wird, tragen sie mehr dazu bei, den Dualismus Mensch/Maschine zu unterlaufen, als die männlichen Cyborg-Repräsentationen.126 2.4.3 Der "männliche" Blick - Exkurs in die feministische Filmtheorie Die feministische Filmtheorie entwickelte sich Anfang der 70er Jahre im angloamerikanischen Raum und untersucht das komplexe Repräsentationssystem des narrativen Hollywood-Kinos auf die darin wirksame geschlechtsspezifische Positionierung des Zuschauers sowie die solcher Wirkungsweise zugrundeliegende Festschreibung des hierarchischen Gegensatzes zwischen dem Mann als Subjekt (Träger des Blicks und der Macht) und der Frau als Objekt (Bild beziehungsweise männliche Projektion).127 Laura Mulveys Aufsatz Visual Pleasure and Narrative Cinema war bahnbrechend für die Entwicklung der feministischen Filmtheorie.128 Das Hollywood-Kino wird nach Mulvey durch die Schaulust strukturiert und unterliege stets einer patriarchalen Ordnung.129 Mulvey beruft sich zum einen auf das Konzept der Schaulust und zum anderen auf Freuds Definition der Scopophilie, der Lust, die anderen durch einen neugierigen/kontrollierenden Blick zum Objekt zu machen, und zum anderen bezieht sie sich auf die psychoanalytische Ausbildung der Geschlechterdifferenz in Lacans 123 Vgl. Kuni, Mythische Körper, S. 5f. Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 12. 125 Vgl. Mittag, Mutierte Körper, S. 219. 126 Vgl. Anne Balsamo: Reading Cyborgs Writing Feminism. In: The Gendered Cyborg: A Reader. Hrsg. von Gill Kirkup, London, New York: Routledge 2000, S. 151. 127 Susanne Lummerding: "Weibliche" Ästhetik? Möglichkeiten und Grenzen einer Subversion von Codes. Wien: Passagen Verlag 1994, S. 23f. 128 Vgl. ebd., S. 24. 129 Vgl. Laura Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema. In: Film Theory and Criticism. Hrsg. von Leo Braudy und Marshall Cohen. New York: Oxford UP 1999, S. 834f. 124 31 Konzept des Spiegelstadiums.130 Der Moment, in dem sich das Kind im Spiegel erblickt, ist vergleichbar mit der Identifikation der Zuschauer_innen mit dem Bild.131 Nach Mulvey wird die Lust am Schauen in eine aktive männliche und eine passive weibliche Position geteilt. Das Privileg des Blicks, welches mit Aktivität, Kontrolle und Macht verbunden ist, sei dem Mann vorbehalten. Die Frau fungiert somit als Sexualobjekt für die Protagonisten im Film sowie für die männlichen Zuschauer. 132 Mittels der Nahaufnahme findet beispielsweise eine Fragmentierung des weiblichen Körpers statt und so kommt es zur Sexualisierung desselben. Da der Mann Träger des Blicks ist, könne dieser in einer patriarchalen Ordnung nicht zum Sexualobjekt gemacht werden. Der Blick des Protagonisten und des Zuschauers verschmelzen zu ein und demselben.133 Unter psychoanalytischem Blickpunkt haben weibliche Figuren ein weitreichendes Problem, nämlich die Abwesenheit des Penis und die damit verbundene Kastrationsdrohung. Diese Angst könne einerseits durch die Bestrafung und Abwertung der weiblichen Figur und andererseits durch ihre Fetischisierung kompensiert werden.134 Das patriarchal strukturierte Kino befriedige ausschließlich die Schaulust des männlichen Zuschauers und Mulvey plädiert dafür, dass die Schaulust des Zuschauers durch die Auflösung der fiktionalen Einheit von Kameraund Zuschauerposition zerstört werden müsse.135 Kritisiert wurde an dieser Theorie vor allem ihre Forderung nach der Destruktion der Schaulust und die Beschränkung auf die männliche Zuschauerposition.136 Mulvey gibt zu, dass ihr Konzept eine selbstbestimmte und aktive Form des "weiblichen" Sehens zwar nicht berücksichtigt, besteht aber darauf, dass die "männliche" Filmsprache des Hollywoodkinos, welche stellvertretend für die patriarchal strukturierte Gesellschaft stehe, spezifisch "weibliche" Blickformen verhindere.137 Mary Ann Doane geht in ihrem Aufsatz Film und Maskerade auch der weiblichen Zuschauerposition nach. Da für die Zuschauerin eine gewisse Über-Gegenwärtigkeit des Bildes stattfinde, denn sie ist das Bild, besteht laut Doane die Möglichkeit, sich 130 Vgl. Lummerding, Weibliche Ästhetik, S. 24f. Vgl. Mulvey, Visual Pleasure, S. 836. 132 Vgl. ebd., S. 837f. 133 Vgl. ebd., S. 838. 134 Vgl. Mulvey, Visual Pleasure, S. 840. 135 Vgl. Lummerding, Weibliche Ästhetik, S. 31. 136 Vgl. ebd., S. 33ff. 137 Vgl. Brenda Hollweg: Mulvey, Laura Mary Alice. In: Metzler Lexikon Gender Studies. Geschlechterforschung. Hrsg. von Renate Kroll. Stuttgart, Weimar: Metzler 2002, S. 278. 131 32 narzisstisch mit der weiblichen Figur138 oder aber travestierend mit der aktiven männlichen Figur zu identifizieren. Hiermit finde in der Haltung der weiblichen Zuschauerin ein Oszillieren zwischen einer männlichen und einer weiblichen Position statt. Durch die Metapher des Transvestiten werde der Frau die Herrschaft über das Bild erlaubt und gebe ihr die Möglichkeit, den Blick mit einem Begehren zu verbinden.139 Für Doane ist Weiblichkeit immer eine Maske, welche getragen oder abgelegt werden kann. Die Maskerade hält Weiblichkeit auf Distanz, indem sie sie zur Schau stellt. Die Frau werde zum Mann, um die notwendige Distanz zum Bild zu bekommen, denn sich zu maskieren, bedeutet für Doane, eine Leerstelle zu schaffen und somit eine Distanz zwischen sich selbst und dem Bild herzustellen.140 Lummerding kritisiert an Doane jedoch, die Widersprüchlichkeit von Doanes Argumentation, denn sie arbeite mit diesem Konzept ihrem eigenen Ziel, die binäre Opposition aufzuheben, entgegen: Denn es ist nicht einsichtig, weshalb Distanz gerade durch bloße Zurschaustellung einer Rolle (wobei überdies ungeklärt bleibt, wo die Grenze zwischen "Realität" und Rolle liegt) erreichbar sein sollte […]. Vielmehr setzt ein solches "Konzept" das Akzeptieren des traditionellen Rollenkanons und der damit verbundenen geschlechtsspezifischen Positionierungen […] voraus.141 Der männlich zentrierte Blick spielt auch in der folgenden Filmanalyse eine Rolle und wird daher später nochmals aufgegriffen. 138 Vgl. Mary Ann Doane: Film und Maskerade: Zur Theorie des weiblichen Zuschauers. In: Frauen und Film (1985), H. 38, S. 8. 139 Vgl. ebd., S. 10. 140 Vgl. ebd., S. 11. 141 Vgl. Lummerding, Weibliche Ästhetik, S. 36f. 33 3 Analyseteil Der Fokus der Analyse liegt auf den relevanten Cyborgs im jeweiligen Film und dem Setting, in dem sie sich bewegen und interagieren. Analysiert werden soll, ob das von Haraway zugesprochene subversive Potential in den Filmen umgesetzt, beziehungsweise ausgeschöpft wird, und ob der widerständige Körper eine tragende Rolle spielt oder von heterosexuellen Begehrens- und Machtstrukturen überschattet wird. 3.1 Blade Runner 3.1.1 Produktion und Entstehung I am sentient number six, I stand in line I am the prototype of a benign convenience for mankind Superior is digital, human flesh so trivial I hate that I can’t see the one that made me (Nevermore, Sentient) Der von Ridley Scott gedrehte US-amerikanische Science Fiction-Film mit Elementen des Film Noir erschien 1982 und wurde vom "Kinoflop" zu einem der einflussreichsten Science Fiction-Filme der Filmgeschichte. Als Vorlage für Blade Runner dient der Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? 142 von Philip K. Dick, welcher inzwischen auch den Namen Blade Runner trägt und auf den in der Arbeit später noch einmal zurückgegriffen wird. Bereits 1969, ein Jahr nach Erscheinen des Romans, wollten Filmemacher Dick die Rechte für eine Verfilmung abkaufen, was aufgrund diverser Differenzen mit dem Autor scheiterte.143 Etliche Jahre später lieferte der Drehbuchautor, Produzent und US-amerikanische Schauspieler Hampton Fancher erste, vielversprechende Drehbuchentwürfe und beschloss mit Produzent Micheal Deeley das Projekt umzusetzen. 144 Scott, der bereits durch seinen Science Fiction-Film Alien (1979) zu einem angesagten Kultregisseur geworden war, konnte schließlich 1980 Drehbuchänderungen für die Produktion gewonnen werden. nach 145 zahlreichen Nach weiteren Meinungsverschiedenheiten wurde schließlich ein zweiter Drehbuchautor, David 142 Philip K. Dick: Blade Runner. 8. Aufl. München: Wilhelm Heyne Verlag 2012. Vgl. Paul M. Sammon: Future Noir: The Making of Blade Runner. New York: HarperPrism 1996, S. 22f. 144 Vgl. ebd., S. 32f. 145 Vgl. ebd., S. 43ff. 143 34 Peoples, hinzugezogen. Dieser ist für die Bezeichnung "Replikant" im Film verantwortlich, da er den Terminus "Android" für unangemessen hielt: „The term android is a dangerous one, [….]. Because then people would think that this film was about robots, when in fact it isn´t.“146 Seine Tochter, eine Mikrobiologin, schlug Peoples den Begriff "replicanting" vor, den Namen eines Prozesses, im Zuge dessen Zellen zum Klonen dupliziert werden. Daraus entstand die Benennung der Maschinenmenschen als Replikanten.147 Der Titel des Films stammt von einem anderen Science Fiction-Roman von Alan E. Nourse, in dem Schwarzhändler für medizinische Produkte als "Blade Runners" bezeichnet werden und der sonst keine Parallelen zum Film aufweist.148 Ursprünglich war für den Film ein Budget von 13 Millionen US-Dollar geplant gewesen, dieses wurde dann auf 28 Millionen US-Dollar erhöht.149 Er spielte allerdings nur ungefähr die Hälfte des Produktionsbudgets ein und war vorerst ein großer Misserfolg.150 „Most critics missed an overtly humanist side to the film – a clear indication as to what being human was and what it meant.“151 Ridley Scott selbst meint später in einem Interview: Der Film war seiner Zeit weit voraus, er hat viele Regisseure inspiriert, die mit ähnlichen Sujets später enorm erfolgreich waren, die Wachowski-Brüder und ihre "Matrix"-Trilogie zum Beispiel. Zudem haben wir viele Themen verarbeitet, die im Kino erst viel später relevant werden sollten: Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, Überbevölkerung, die genetische Reproduktion von Lebewesen. Damals fand das Publikum das wohl viel zu düster und deprimierend.152 Die Verfilmung ist für die Mitbegründung der Gattung des Cyberpunks verantwortlich, die lange als ein Subgenre des Science Fiction fungierte und sich seit den 80er Jahren als eigenständige Gattung etablierte. Cyberpunk bezeichnet eine fiktive, düstere Zukunftsvision, in der zumeist zerfallene und entmenschlichte Gesellschaften, die in einer zerstörten Umwelt leben, zu sehen sind. Beherrscht werden diese Gesellschaften oftmals von totalitären, religiös fundamentalistischen Regimen, die unter dem Einsatz von hochentwickelten Technologien regieren.153 146 Ebd., S. 61. Vgl. ebd., S. 61. 148 Vgl. ebd., S. 54. 149 Vgl. Scott Bukatman: Blade Runner. London: British Film Institute 2000. (= BFI Modern Classics) S. 18. 150 Vgl. ebd., S. 34. 151 Ebd., S. 34. 152 Christian Aust: 25 Jahre "Blade Runner". In: Spiegel Online Kultur. Zuletzt geändert am 19.12.2007. URL: http://www.spiegel.de/kultur/kino/25-jahre-blade-runner-ich-war-am-boden-zerstoerta-524165.html [11.04.2013]. 153 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 87. 147 35 3.1.1.1 Der Director´s Cut In der Originalfassung gelingt dem Blade Runner Deckard und der Replikantin Rachael die Flucht aus der Stadt und Rachaels Lebenszeit ist nicht auf vier Jahre begrenzt. Im Director´s Cut, der 1992 in die Kinos kam, bleibt jedoch offen, ob sie aus der Stadt flüchten können, und es wird sogar die Frage aufgeworfen, ob Deckard überhaupt ein Mensch sei. Darüber hinaus wurden alle Off-Kommentare entfernt und eine Einhorn-Szene, die der Grund zur Spekulation über Deckards Status als Mensch ist, hinzugefügt. Diese Version fand bei Publikum und Kritiker_innen großen Anklang und machte aus dem Kinoflop einen Kultfilm. 154 3.1.1.2 Der Final Cut Die aktuellste Version kam 2007 auf den Markt und enthält verbesserte Spezialeffekte, neue Musik, einen verbesserten Ton sowie neue und erweiterte Szenen. Inhaltlich wurden jedoch keine Veränderungen vorgenommen.155 3.1.2 Plot (Director´s Cut) Im Vorspann von Blade Runner heißt es: Early in the 21st Century, THE TYRELL CORPORATION advanced Robot evolution into the NEXUS phase -- a being virtually identical to a human -- known as a replicant. The NEXUS 6 Replicants were superior in strength and agility, and at least equal in intelligence, to the genetic engineers who created them. Replicants were used Off-world as slave Abbildung 1: Los Angeles labor, in the hazardous exploration and colonisation of other planets. After a bloody mutiny by a NEXUS 6 combat team in an Off-world colony, Replicants were declared illegal on earth -- under penalty of death. Special police squads -BLADE RUNNER UNITS -- had orders to shoot to kill, upon detection, any trespassing Replicants. This was not called execution. It was called retirement. 156 Los Angeles, November, 2019 154 Vgl. Sammon, Future Noir, S. 349ff. Vgl. Matthias Mahr: Blade Runner: The Final Cut. In: Manifest-Das Filmmagazin. Zuletzt geändert 2007. URL: http://www.dasmanifest.com/01/bladerunnerfinalcut.php [11.04.2013]. 156 Ridley Scott: Blade Runner – Director´s Cut. USA: 1992, Time Code: 00:02:06. 155 36 Nach dem Vorspann erscheinen Lichter, Explosionen und Blitze eines dystopischen nächtlichen Los Angeles, in dem fliegende Fahrzeuge die Schluchten zwischen den Hochhäusern durchkreuzen und das mit monumentalen Gebäuden ausgestattet ist. Im Jahr 2019 sind viele Menschen aufgrund von Überbevölkerung und Umweltverschmutzung gezwungen von der Erde zu flüchten und auf andere Planeten zu übersiedeln. Menschen, die auf der Erde zurückgeblieben sind, leben in riesigen, überbevölkerten von Säure-Regen geplagten Städten. Im "Melting Pot" Los Angeles ist eine Mischung aus diversen Sprachen zu hören und grelle Neonreklamen zieren das Stadtbild. Tierische Lebewesen sind so gut wie ausgestorben und sind nur noch als teure künstliche Haustiere erhältlich. Künstlich hergestellte Menschen, sogenannte Replikant_innen werden als Arbeits-, Lust- und Kampfsklaven auf andere Planeten geschickt und gelten auf der Erde als illegal. 157 Da sie im Laufe der Zeit eigene Gefühle entwickeln, werden sie mit einer Lebensdauer von nur vier Jahren ausgestattet. Weil sie von "echten" Menschen kaum noch zu unterscheiden sind, werden sie als große Bedrohung gesehen. Nachdem es einer Gruppe von Replikant_innen der Serie Nexus-6 gelungen ist, gewaltsam von einer Arbeiterkolonie zu fliehen und auf die Erde zurückzukehren, wird der ehemalige Polizist und Blade Runner Rick Deckard (Harrison Ford) widerwillig beauftragt, die Replikant_innen aufzuspüren und zu liquidieren, was im Film "retirement" genannt wird. Leon (Brion James), einer der Replikant_innen, schleust sich als Arbeiter in die Tyrell Corporation, die Herstellungsfirma der Maschinenmenschen, ein, deren Werbespruch es ist, Maschinen herzustellen, die "more human than human" sind. Da Zweifel über seine Identität herrscht, wird er dem sogenannten Voight-Kampff-Test unterzogen, der aus einem Gerät und einem Fragekatalog besteht und das Mitgefühl der Verhörten über die Augenreaktion misst. Laut Gunzenhäuser erinnert dieser fiktionale Empathietest an ein wissenschaftliches Testverfahren, welches Alan M. Turing 1950 konzipierte, um die Leistungsfähigkeit künstlicher Intelligenz zu evaluieren. Zwei Menschen verschiedenen Geschlechts und ein_e Fragesteller_in kommunizieren mittels eines technischen Mediums. Im Optimalfall erkennt der/die 157 Vgl. Parfen Laszig: Der Glanz im Auge des Replikanten. In: Blade Runner, Matrix und Avatare. Psychoanalytische Betrachtungen virtueller Wesen und Welten im Film. Hrsg. von Parfen Laszig. Heidelberg: Springer Verlag 2013, S. 69. 37 Fragesteller_in nicht, wenn das männliche oder weibliche Gegenüber durch eine Maschine ersetzt wird.158 Während des Tests tötet Leon seinen Verhörer und flüchtet. Deckard wird daraufhin zur Tyrell Corporation geschickt, um dort den Voight-Kampff-Test an Dr. Tyrells (Joe Turkel) vermeintlicher Nichte Rachael (Sean Young) durchzuführen. Doch die Identifizierung bereitet ihm anfangs Probleme, denn Rachael wurden Erinnerungen implantiert und sie weiß selbst nicht, dass sie eine Replikantin ist. Deckard verliebt sich in Rachael, die inzwischen auch auf der Todesliste der Polizei steht, und bald kommen ihm moralische Zweifel an seinem Auftrag. Er nimmt die Verfolgung der Replikant_innen jedoch auf, tötet die Replikantin Zhora (Joanna Cassidy) und gerät in einen Schusswechsel mit Leon, aus dem Rachael ihn befreit, indem sie Leon tötet. Anschließend spielt sich in der Wohnung Deckards eine ambivalente Kussszene zwischen ihm und Rachael ab, bei der nicht klar ist, ob Rachael Deckard aus freiem Willen begehrt, ihre eingepflanzten Erinnerungen ihr Handeln auslösen oder ob sie einfach Deckards Drängen nachgibt. Der Anführer der Replikant_innen Roy Batty (Rutger Hauer) und seine Gefährtin Pris (Daryl Hannah) schleichen sich mit Hilfe des kranken Genetik-Designers J.F. Sebastian (William Sanderson) in das TyrellImperium ein, um von Dr. Tyrell zu erfahren, wie es um seine Lebensdauer steht. Als er erfährt, dass es keine Möglichkeit gibt seine Lebenszeit zu verlängern, tötet er den Großindustriellen und Sebastian. Im Haus des ermordeten Sebastian kommt es zum Finale des Films. Deckard tötet Pris und liefert sich mit Roy Batty einen actionreichen und tragischen Zweikampf. Roy rettet Deckard das Leben und stirbt vor den Augen des verzweifelten Blade Runners, weil seine Lebenszeit abgelaufen ist. Nachdem Deckard in seine Wohnung zurückkehrt, findet er die schlafende Rachael, die er als nächstes töten soll. Während die beiden aus dem Gebäude fliehen, findet Deckard in der Schlussszene ein Origami-Einhorn vor seiner Haustür, welches in Kombination mit der im Director`s Cut zusätzlich eingeführten Einhorn-Sequenz einen entscheidenden Hinweis auf seine eigene Identität liefert. Deckard erinnert sich an die letzten Worte seines geheimnisvollen Kollegen Gaff (Edward James Olmos), der ihm nach dem Tod von Roy Batty eine Waffe hinwarf: „It’s too bad she won’t live! But then again, who does?“159. 158 159 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 4. Scott, Blade Runner, Time Code: 01:52:10. 38 3.1.3 "More human than human?" Die Darstellung der Maschinenmenschen im Film Blade Runner knüpft motivgeschichtlich an verschiedene Traditionen von künstlichen Menschen an, welche bis in die Antike zurückreichen.160 Kernthema des Films ist, wie auch in vielen anderen Science Fiction-Filmen, das Brüchigwerden der Grenzen zwischen Natürlichem und Künstlichem und die damit verbundene Autonomisierung der Maschinenmenschen als Albtraum für die Menschheit. Behandelt wird die immer wiederkehrende Frage: Was macht den Menschen aus? Und wie unterscheidet er sich von anderen Lebewesen?161 Die Replikant_innen lassen sich, außer mittels des zweifelhaften Voigt-Kampff-Tests und ihren zeitweise rot aufblitzenden Augen, kaum noch von Menschen unterscheiden. Während Deckard, repräsentativ für die Menschen im Film, androide Charakterzüge besitzt, welche durch seine fehlende Emotionalität zum Ausdruck kommen, erweisen sich die Replikant_innen in vielen Situationen als weitaus menschlicher als der Mensch selbst. 162 Sie gehen Verbindungen ein, um das Leben anderer zu retten, treten zumeist in Gruppen auf und zeigen tiefe Bestürzung, wenn jemand stirbt. Deckard, Dr. Tyrell, und J.F. Sebastian etwa sind Einzelkämpfer und zeigen weniger Empathie als die Replikant_innen. Scott Bukatman hebt in diesem Zusammenhang eine Stelle aus dem Manifesto for Cyborgs hervor, an der Haraway die Maschinen als weitaus lebendiger beschreibt, als die Menschen: Donna Haraway redefined the value of the cyborg in ways that are more relevant to Blade Runner's ambiguities. In her well-known 'manifesto for cyborgs' she argued for a feminist rereading of technological being in a world that has blurred distinctions between organism and machine. This is a 'border war' with high stakes: 'Our machines are disturbingly lively,' she noted (and this is Deckard's problem in a nutshell), 'and we ourselves 163 frighteningly inert'. Lindauer zufolge löst sich die Dichotomie zwischen Mensch und Maschine im Laufe der Handlung vollkommen auf und der Aufstand der Replikant_innen scheint unvermeidbar, denn diese sind sich ihrer begrenzten Lebensdauer durchaus bewusst und forderten ihre Gleichberechtigung ein.164 Lindauer meint, dass die Replikant_innen nichts anderes als Klone und für die Filme der 80er und 90er Jahre 160 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 9. Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 88. 162 Vgl. ebd., S. 93. 163 Bukatman, Blade Runner, S. 73. 164 Vgl. ebd., S. 94f. 161 39 typisch sind. Das Genre des Science Fiction-Films findet durch die Betonung der Konstruiertheit des Körpers Anschluss an bereits bestehende Diskurse, wie etwa an die Molekularbiologie, an die Prothetik oder die Reproduktionsmedizin. 165 Das Automatenmotiv, welches die Frage nach dem Verhältnis von Schöpfer und Kreatur, Körper und Seele, Mann und Frau zum Inhalt hat, ist auch in Blade Runner auf ambivalente Weise mehrfach zu finden. Es wird sich im Folgenden jedoch noch zeigen, dass Automatenmotivs manche stärker Aspekte des vertreten von sind Arnold-de als Simine andere. genannten Gerade das Geschlechterverhältnis bleibt weitgehend unhinterfragt. Automaten bilden, Arnold-de Simine zufolge, das äußere Erscheinungsbild des Menschen ab und imitieren mittels ihrer Mechanik auch seine Bewegungsabläufe. Das Klavierspiel von Rachael solle im Film ihre Menschlichkeit oder Beseeltheit hervorheben. Geschichtlich betrachtet, unterstreicht dieses Musizieren jedoch ihre Künstlichkeit, denn die bekanntesten Automaten waren Musik-Automaten. In der Szene, in der Roy Batty zu seinem Schöpfer gelangt, indem er ein Schachrätsel löst, wird ebenfalls auf einen der berühmtesten Automaten verwiesen, den "Schach-Türken" von Wolfgang von Kempelen.166 3.1.3.1 Der Spiegel der Seele – Das Augenmotiv in Blade Runner Bereits in den ersten Szenen erscheint am Bildschirm eine blaue Iris, in der sich die Außenwelt und die Lichter eines dystopischen Los Angeles spiegeln. Parfen Laszig beschreibt das Auge als ein Tor, welches in doppelter Weise offen ist, nach außen und nach innen. Es fungiere als Zugang zur Innenwelt, zur Seele des Menschen. Bei dem gezeigten Auge in Blade Runner lässt sich jedoch nicht unterscheiden, ob es zu einem humanen oder zu einem künstlichen Organismus gehört. Somit werde schon zu Beginn des Films die Grenze zwischen Objekt und Subjekt verwischt. 167 Die Augen gelten, so Arnold-de Simine, schon seit der Antike als Fenster zur Seele, während die Augen der Automaten nur die Wünsche und Projektionen des 165 Vgl. ebd., S. 101. Vgl. Silke Arnold-de Simine: Ich erinnere, also bin ich? Maschinen – Menschen und Gedächtnismedien in Ridley Scotts Blade Runner (1982/1992). In: Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Hrsg. von Eva Kormann u.a. Amsterdam – New York: Rodopi 2006. (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik Bd. 59.) S. 235f. 167 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 74f. 166 40 Gegenübers zurückspielen können.168 Beginnend bei der blauen Iris und der Präsentation des Voigt-Kampff-Tests, zieht sich das Augenmotiv durch den gesamten Film und verkörpert die Dichotomie zwischen Mensch und Replikant_in 169. Die zeitweise aufblitzende rote Augenfarbe und die Pupillenreaktion während des Voigt-Kampff-Tests sollen die Replikant_innen unverwechselbar mit den Menschen machen. Doch an der Effizienz des Tests kommen im Film immer wieder Zweifel auf, selbst Deckard ist sich unsicher, wenn er vor der Testung mit Rachael bemerkt: „And if the machine doesn`t work?“170. Die diversen Tests in Buch und Film verweisen laut Bukatman auf eine Krise des Menschlichen: The novel and the film are filled with tests: there are tests to determine who's human, who's fit to reproduce, who's fit to emigrate. The obsession with boundaries, definitions and standards indicates that these definitions are in crisis. In Dick's novel, the VoightKampff scale measures empathic response - but there is discussion that human schizophrenics, those suffering from a 'flattening of emotional affect', would also fail the 171 test. Ein weiteres Indiz für das gehäuft auftretende Augenmotiv ist die überdimensionale Brille von Dr. Tyrell; das "Eye-Work" Laboratorium des Augenherstellers Chew, in dem die künstlichen Augen für die Replikant_innen produziert werden, oder auch die schwarz umrahmten Augen von Pris. Darüber hinaus wird des Öfteren der Akt des Sehens zur Artikulation gebracht, so sagt etwa Roy Batty zu Chew im Labor: „Chew, if only you could see the things I´ve seen with your eyes“.172 Des Weiteren drückt Roy Batty seinem Schöpfer die Augen ein, als er erfährt, dass dieser nichts tun kann, um sein Leben zu verlängern. Die Szene erinnert an den Sandmann aus E.T.A Hoffmanns gleichnamiger Erzählung, der den Kindern die Augen ausreißt. Sigmund Freud schreibt in seinem Aufsatz Das Unheimliche, dass es eine schreckliche Kinderangst sei, die Augen zu beschädigen oder zu verlieren. Auch Erwachsene fürchten keine Organverletzung so sehr, wie die der Augen.173 Freud sieht darin einen Ersatz für die Kastrationsangst.174 Arnold-de Simine vermutet hinter diesem Akt die Absicht, zu zeigen, dass sich hinter diesen Augen nicht die Seele, sondern 168 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 241. Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 90. 170 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:15:32. 171 Bukatman, Blade Runner, S. 69. 172 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 90. 173 Vgl. Sigmund Freud: Das Unheimliche. In: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften (1919), H. 5, S. 306. 174 Vgl. ebd., S. 307. 169 41 das Nichts befinde.175 Ridley Scott gibt in einem Interview dem Auge eine weitere Funktion, die des Kontrollorgans: „I think it was intuitively going along with the root of an Orwellian idea. That the world is more of an controlled place now. It´s really the eye of Big Brother. […] Or Tyrell. Tyrell, in fact, had he lived, would certainly have been Big Brother.“176 Darüber hinaus ist das Auge im Film ein Ausdruck für Macht. Gunzenhäuser bemerkt dazu: „Das investigative Sehen, zumal das technologisch perfektionierte Sehen, ist auch in Blade Runner ein Privileg des Mannes. […] Visuelle Kontrolltechnologien bestimmen das Verhältnis des Publikums zum Raum ebenso wie das Verhältnis zu den Figuren und zwischen den ProtagonistInnen.“ 177 Der Film, so Gunzenhäuser, nimmt die modernistische Tradition des männlich zentrierten Blicks, der sich die Welt untertan macht, auf und stellt diese Vormachtstellung des penetrierenden Blicks gleich darauf wieder in Frage. Ein Beispiel dafür ist Rachael, die sich, bevor es zur Liebesszene kommt, dem analytischen und detektivischen Blick Deckards widersetzt.178 In dieser Situation zeigt sich Rachael zwar widerständig, kann sich aber in weiterer Folge nicht dem heterosexuellen Begehren entziehen und muss sich Deckards Macht fügen. Der Blade Runner Deckard besitzt Macht über den Raum und diverse Technologien. Mittels eines elektronischen Gerätes kann er Fotos so weit vergrößern, dass Details sichtbar werden, die für das bloße Auge nicht zu sehen sind. Eine andere Maschine gebraucht er, um die Identität verschiedener Personen zu überprüfen. Gunzenhäuser schreibt, dass die Kameraperspektive und die Schnitttechnik die Zuseher_innen nicht nur zu Zeug_innen dieser Handlungen machen, sondern dass diese dazu aufgefordert werden, sich mit dem kontrollierenden Blick Deckards zu identifizieren und gleichzeitig zu solidarisieren. Darüber hinaus sei das Publikum dazu aufgerufen, gemeinsam mit Deckard das Geheimnis der mysteriösen Maschinenfrau Rachael zu ergründen.179 Macht und Sehen werden im Film stets mit dem männlichen Subjekt in Verbindung gebracht und erfüllen hauptsächlich voyeuristische Funktionen. Rachaels Bemühen, sich dem männlichen Blick zu widersetzen, bleibt letzten Endes erfolglos. 175 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 241. Vgl. Sammon, Future Noir, S. 382. 177 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 9. 178 Vgl. ebd., S. 6. 179 Vgl. ebd., S. 9. 176 42 3.1.3.2 Erinnern als identitätsstiftender Akt Laut Aleida Assmann zeichnet die Erinnerungsfähigkeit den Menschen erst als Menschen aus. Es sei ohne sie nicht möglich, eine Identität aufzubauen und mit anderen Personen zu kommunizieren.180 Sowohl das subjektive als auch das kollektive Gedächtnis machen, so Arnold-de Simine, eine identitätsstiftende Aktualisierung der Vergangenheit möglich, die zur Entwicklung eines moralischen Verhältnisses zu dieser Vergangenheit beiträgt. 181 Was aber, wenn selbst nicht nichthumane Wesen über Erinnerung verfügen? Blade Runner spricht das Thema der Erinnerung auf mehreren Ebenen an. Primär geht es um die Frage, inwieweit Erinnerungen, die nicht persönlich erlebt und nur medial vermittelt wurden, an der Bildung von individueller und kultureller Identität beteiligt sind. Der Replikant Leon sammelt fremde und eigene Fotographien, die als Nachweis einer nie gelebten Vergangenheit dienen sollen. Fotos, so Arnold-de Simine, haben die Funktion von Erinnerungsprothesen, die es ermöglichen sich eine ungelebte Vergangenheit anzueignen.182 Rachael fungiert im Film „as an experiment“, denn ihr wurden autobiographische Erinnerungen eingepflanzt, die sie Anteil an einer fiktiven Kindheit haben lassen. Dr. Tyrell führt folgenden Grund für die Implantation an: We began to recognize in them…a strange obsession. After all they are emotionally inexperienced with only a few years in which to store up the experiences which you and I take for granted. If we gift them with a past…we create a cushion or pillow for their emotions and consequently we can control them better.183 Als Rachael erfährt, dass ihre Erinnerungen nicht echt sind, reagiert sie mit einer sehr menschlichen Geste, die der Trauer. Sie unterscheidet sich von den anderen Replikant_innen dahingehend, dass ihr nicht die Erinnerungen fehlen, sondern die Authentizität derselben.184 Doch auf diese kommt es nicht an, denn Erinnerungen sind, laut Assmann, im Allgemeinen eine Form von unsinnlicher Wahrnehmung. Selbst wenn sie eine Konstruktion, eine Illusion oder eine Verfälschung sind, werden sie subjektiv und intuitiv für wahr gehalten. Eine wichtigere Rolle als der Wahrheitsgehalt der Erinnerung spielt die Bedeutung des Erinnerten für die 180 Vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München: Beck 2006, S. 24. 181 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 225. 182 Vgl. ebd., S. 226. 183 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:22:07. 184 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 228. 43 Gegenwart.185 Deshalb ist es, Arnold-de Simine zufolge, egal, ob Rachael wirklich Klavierstunden hatte oder nicht, denn „Erinnerung ereignet sich in der Gegenwart und für die Gegenwart“186 und gerade diese implantierte Erinnerung gibt ihr die Fähigkeit, Klavier zu spielen. Arnold-de Simine betont den wichtigen Aspekt, dass die Identität des Menschen von kollektiv vermittelten Erinnerungen geformt werde, die in Form von Gedächtnismedien wie Bildern, Symbolen, Geschichten oder Ritualen überliefert werden. Besonders relevant für die individuelle Vergangenheit seien vor allem (Familien-) Fotographien, weshalb Rachael auch mit Bildern aus ihrer vermeintlichen Kindheit ausgestattet wurde. Ein Foto, das Rachael Deckard zum Beweis ihrer menschlichen Existenz vorweist, zeigt ein Kind, das Rachael für sich selbst hält, auf dem Schoß ihrer Mutter.187 Ob die Fotos gefälscht sind oder ein anderes Kind zeigen, wird im Film nicht beantwortet, und nach Arnold-de Simine spielt dies auch keine Rolle, denn „Photos verweisen per se auf etwas, das sie nicht sind. Sie sind Aufhänger, Auslöser oder gar Ersatz für Erinnerungen, über die man als solche gar nicht (mehr) verfügt. Das Gedächtnis ist kein Speicher, sondern Teil unserer Imagination“188. Das Foto kann auch, so die Autorin weiter, als memento mori gesehen werden, welches den Verlust des Gezeigten und den Versuch, etwas festzuhalten, das man nicht festhalten kann, impliziere.189 Auch Bukatman schreibt in diesem Zusammenhang: „Memories are no more indelible than the paper a photograph is printed on; history is devalued as a guarantor of truth, stability and unified meaning. Photographs are constantly invoked as signs, but they are ultimately empty signs, signifiers of nothing.“190 Für die Replikant_innen ist Erinnerung und die Reflexion über das Erlebte genauso so wichtig wie für die Menschen. Roy Batty erzählt Deckard, bevor er stirbt, in einem dramatischen Monolog gegen Ende des Films Folgendes: „I´ve seen things you people wouldn´t believe … Attack ships on fire off the shoulder of Orion … I watched c-beams glitter in the dark near the Tanhauser Gate. All those moments will be lost in time“. 191 Arnold-de Simine meint, dass Erinnerung eine notwendige Voraussetzung ist, um Moral und Mitgefühl zu 185 Vgl. Aleida Assmann: Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung. München: Beck 2007. (= Krupp-Vorlesungen zu Politik und Geschichte am Kulturwissenschaftlichen Institut im Wissenschaftszentrum Nordhein-Westfalen. 6.) S. 9f. 186 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 228. 187 Vgl. ebd., S. 229. 188 Ebd., S. 230. 189 Vgl. ebd., S. 230. 190 Bukatman, Blade Runner, S. 80. 191 Scott, Blade Runner, Time Code: 01:46:23. 44 entwickeln, und die Replikant_innen im Film somit einem Paradoxon unterliegen. Sie haben nur vier Jahre zu leben, weil ihre Emotionen sie sonst unberechenbar machen würden, jedoch wird ihnen damit jede Möglichkeit genommen, mittels Lebenserfahrung überhaupt erst Moralität zu entwickeln. Deckards Erinnerung an Gaffs getätigte Bemerkung gegen Ende des Films: „It´s too bad she won´t live. But then again – who does?“, verweist laut Arnold-de Simine auf die zeitlich begrenzte Dauer der Androiden, wie auch der menschlichen Existenz. Die Replikant_innen mache gerade die Tatsache, dass sie im Film sterblich sind, menschlich. Die Unterscheidung von Mensch und Maschine könne nicht mehr aufrechterhalten werden, denn beide unterliegen einer konstruierten Vergangenheit und einer begrenzten Zukunft.192 3.1.3.3 Cogito ergo sum - Die cartesianische Philosophie in Blade Runner In Blade Runner wird in vielerlei Hinsicht auf die cartesianische Philosophie verwiesen. Lindauer zufolge kann der Name Rick Deckard als eine Anspielung auf René Decartes gelesen werden.193 Wie bereits in Kapitel 2.3 erwähnt, unterliegt die Welt laut Decartes dem Körper/Geist Dualismus. Allein der Mensch bestehe aus beiden Substanzen, was ihm die Möglichkeit gebe, „Cogito ergo sum“ zu sagen. Denn selbst wenn die Existenz der gedachten Inhalte angezweifelt werde, besitze man die Fähigkeit zu zweifeln und so vergewissere man sich über seine eigene Existenz. Tiere unterliegen ebenso wie Menschen den gleichen mechanischen Gesetzmäßigkeiten, nur mit dem bedeutsamen Unterschied, dass Tiere für Decartes keine Seele haben. Dies lasse sich an zwei Kriterien festmachen, an der Sprache und der Vernunft, über die nur Menschen verfügen. Daraus schlussfolgert er, dass Automaten nicht über Sprache verfügen können. Die Seele hat nach Decartes zwei Funktionen: die Tätigkeiten, 194 dazugehörigen Leiden. zu denen die Willensakte gehören und die Stephen Toulmin erläutert, dass die Geist/Körper- Dichotomie Decartes eine ganze Reihe weiterer Dichotomien nach sich zog.195 Auf 192 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 235. Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 91. 194 Vgl. ebd., S. 21ff. 195 Vgl. Stephen Toulmin: Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994, S. 178f. 193 45 diese binären Oppositionen, welche Cyborgs, laut Haraway, zu überwinden vermögen, baut also die cartesianische Philosophie auf. Schneider bemerkt, dass in post-biologischen Positionen die cartesianische Trennung von Körper und Geist radikalisiert und semantisch umgestellt wird, denn mit der Anthropomorphisierung von Kommunikationstechnologien (wie bereits in Kapitel 2.2 besprochen) wird dem Körper seine exklusive Stellung entzogen. 196 Blade Runner spiele mit der paradoxen Situation, denn wenn die Replikant_innen „nicht nur cogito ergo sum sagen, sondern auch noch Gefühle zeigen können, wenn sie weinen und mit Erinnerungen ausgestattet sind, wie sollen die Menschen dann noch länger wissen, daß sie Menschen und keine Replikanten sind?“197. Sebastian möchte, dass die Replikant_innen Roy Batty und Pris ihm etwas vorführen, womit er sie, so Arnoldde Simine, auf den Status seiner Spielzeuge reduziert.198 Batty entgegnet ihm daraufhin: „We´re not computers Sebastian, we´re physical“ und Pris fügt hinzu: „I think Sebastian, therefore I am.“ 199 Lindauer führt hierzu aus, dass Pris mit diesem Satz Decartes Kriterien der Sprache und des Verstandes, welche nur für den Menschen gültig sind, bezweifelt, denn beide erweisen sich in Hinblick auf die Replikant_innen als hinfällig.200 Des Weiteren lässt der sterbende Roy Batty gegen Ende des Films eine weiße Taube fliegen, welche in der christlichen Tradition unter anderem ein Symbol für die menschliche Seele darstellt, die den Körper nach dem Tod verlässt.201 Die Wahrnehmung von körperlichen Unterschieden zwischen dem menschlichen und dem Cyborg-Körper wird, laut Schneider, im Film zur gesellschaftlichen Konstruktion und erinnere somit an Butlers Begriff vom „biologischen Körper als einem Effekt hegemonialer Strukturen“.202 Im diesem Punkt muss Schneider zwar rechtgegeben werden, denn die Grenzen von Mensch und Maschine werden im Film weitgehend verwischt, jedoch nicht die Grenzen der dichotomen Zweigeschlechtlichkeit. Dies soll anhand der folgenden Figurenanalyse verdeutlicht werden. 196 Vgl. Schneider, Anthropologische Kränkungen, S. 30f. Ebd., S. 31. 198 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 240. 199 Scott, Blade Runner, Time Code: 01:17:38. 200 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 91f. 201 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 241. 202 Schneider, Anthropologische Kränkungen, S. 31. 197 46 3.1.4 Figurenanalyse 3.1.4.1 Die Darstellung der weiblich markierten Cyborgs im Film Zu allererst muss festgehalten werden, dass alle weiblichen Charaktere im Film als Replikantinnen ausgewiesen werden und somit "künstlich" sind.203 Arnold-de Simine schreibt, dass künstliche Menschen seit der Antike überwiegend weiblich sind, und diese Tatsache durch die Überzeugung entstand, dass Weiblichkeit an sich künstlich sei und immer durch Maskerade und Kostüm hervorgebracht werde, „so dass die seelen- und geistlose Frau am leichtesten durch einen rein auf die Materie reduzierten Automaten ersetzt werden […], ja dieser sogar die Qualitäten der natürlichen Frau übertreffen“204 könne. Maschinenstatus und Weiblichkeit fallen bei weiblichen Maschinenmenschen zusammen und verstärken laut Gunzenhäuser den Geheimnischarakter des Anderen. Sie betont, dass Diskurse um Maschinenmenschen und um das Weibliche das Ziel haben, erzählerisch die Brücke zum menschlichen Mann zu schaffen, welcher sich sowohl von den Maschinenmenschen als auch von der Frau distanzieren muss, um nicht die Kontrolle über sich und das Andere zu verlieren.205 Die Zuordnung diverser scheinbar naturgegebener Charakteristika der Geschlechter geht auf das 18. Jahrhundert zurück. Karin Hausen spricht in diesem Zusammenhang von einem Aussagesystem der Geschlechtercharaktere. 206 Im 18. Jahrhundert wird Geschlecht zur Charaktereigenschaft, das heißt, dass es egal ist, welchem Stand man angehört: alle Frauen bzw. alle Männer teilen bestimmte Charaktereigenschaften, welche einander entgegengesetzt sind, sich jedoch wechselseitig ergänzen. Laut Hausen sind die Geschlechtercharaktere Zuschreibungen, die sich über physiologische, psychische und soziale Eigenschaften von Mann und Frau definieren zu scheinen.207 Hier wird davon ausgegangen, dass das Wesen von Mann und Frau eine natürliche Bestimmung ist. Demzufolge ist der Mann für den öffentlichen Bereich und die Frau für den häuslichen Bereich von Natur 203 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 96. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 238. 205 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 227. 206 Karin Hausen: Die Polarisierung der „Geschlechtercharaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Hrsg. von Werner Conze. Stuttgart: Neue Forschungen 1976, S. 363. 207 Vgl. ebd., S. 367. 204 47 aus prädestiniert. Während der Mann der Kultur zugeordnet und von Natur aus aktiv, rational und selbstständig sei, sei die Frau der Natur zugeordnet und ebenfalls von Natur aus passiv, emotional und abhängig.208 Mit der Literatur der Romantik und der Klassik entstand die Idee von der romantischen Liebe. Mann und Frau seien der Natur und Bestimmung nach auf Ergänzung angelegt, was impliziert, dass es einem einzelnen Menschen unmöglich ist, sich alleine zu einer harmonischen Persönlichkeit zu entwickeln. Das Wesen von Mann und Frau ist so konzipiert, dass sie zwar entgegengesetzt sind, sich aber wechselseitig ergänzen. So ist es ihnen nur gemeinsam möglich, die Summe aller menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse zu realisieren. Hausen schließt daraus, dass für die Polarisierung der Geschlechtercharaktere die Idee der Ergänzung der Definitionsgrund gewesen zu sein scheint.209 Mit dieser scheinbar "natürlichen" Weltordnung wird die Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben als natürlich deklariert und die Gegensätze, die Männer und Frauen ausmachen, als notwendig und ideal erachtet. 210 Lindauer meint, dass die drei weiblichen Replikantinnen Rachael, Zhora und Pris auf die oben ausgeführte dichotome Konzeptualisierung der Frau verweisen,211 was nun im Detail untersucht wird. 3.1.4.1.1 Rachael, die geheimnisvolle Schöne Gleich bei Rachaels erstem Erscheinen wird mittels ihrer artifiziellen Frisur, ihrem puppenhaft geschminkten Gesicht mit dem kleinen roten Mund und ihrem abgehakten, mechanischen Gang ihre Künstlichkeit in den Blickpunkt gerückt.212 Des Weiteren wird zu Beginn mehrmals auf ihre Objekthaftigkeit verwiesen, wenn etwa Dr. Tyrell sie als „an experiment, nothing more“ 213 bezeichnet oder Deckard, nachdem er erfahren hat, dass sie sich ihres Status als Replikantin nicht bewusst ist, Abbildung 2: Rachael fragt: „How can it not know what it is?“214. Damit wird Rachael 208 Vgl. ebd., S. 368. Vgl. ebd., S. 377. 210 Vgl. ebd., S. 378. 211 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 97. 212 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 239. 213 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:22:05. 214 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:21:58. 209 48 ihre Menschlichkeit und ihre Subjekthaftigkeit abgesprochen,215 aber auch sie selbst wird sich im Laufe der Handlung über ihren Objektstatus im Klaren, wenn sie, nachdem sie Leon für Deckard getötet hat, sagt „I´m not in the business. I am the business“216. Dennoch erweist sie sich laut Elisabeth Bronfen als sehr ambivalent, denn einerseits wolle sie dem männlichen Subjekt, zuerst Dr. Tyrell, dann Deckard, dienen und andererseits sei sie bereit, alles zu zerstören, was sich ihrem Begehren, welches sich primär darauf richtet, als Mensch wahrgenommen zu werden, in den Weg stellt. Bronfen betont, dass das Töten von Leon zum einen ihre Bereitschaft, sich dem Willen des männlichen Subjekts vollkommen zu beugen, ausdrückt und zum anderen zeigt, dass sie diesem gleichzeitig überlegen sei, weil sie Deckard das Leben spendet, damit er sie retten könne. 217 Gunzenhäuser meint auch, dass Rachael sich zwar als Replikantin entpuppe, doch gleichzeitig eine Person sei, „welche die als selbstverständlich vorausgesetzte Hierarchie zwischen Schöpfer/Killer und Geschöpf, zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Mann und Frau“218 verkehre. Als Beispiel führt sie die Befragung mittels des Voigt-Kampff-Tests an, im Laufe deren es Rachael gelinge, die Machtverhältnisse des Verhörs geschickt zu unterlaufen, indem sie Gegenfragen stellt. Deckard beginnt folgende Fragestellung: „You´re reading a magazine and come across the full-page nude photo of a girl.“ Bevor er weiterfragen kann, unterbricht ihn Rachael: „Is this testing whether I´m a replicant or a lesbian, Mr. Deckard?“219. Laut Gunzenhäuser weist Rachael mit ihrer Gegenfrage darauf hin, dass Deckards psychologische Standardfragen ein heterosexuelles Begehren des/der Befragten voraussetzen. Damit wird im Film ein Thema angesprochen, das um 1980 vor allem in den Women´s und Film Studies heftig diskutiert wurde und auch heute noch aktuell sei: der Zusammenhang zwischen Wahrnehmungsprozessen und Macht. Rachael hebe implizit hervor, dass die Fragen auf eine heterosexuelle Diskursnorm verweisen, in der eine falsche Antwort höchstens einen Hinweis auf eine Abweichung von einer sexuellen Norn gebe und nicht auf die Nicht-Menschlichkeit der Testperson verweise. Ein solcher Test sehe weder vor, dass der/die Befragte Gegenfragen stelle und somit 215 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 76. Scott, Blade Runner, Time Code: 01:03:56. 217 Vgl. Elisabeth Bronfen: Leben spenden. Ohnmacht und Macht des weiblichen Cyborgs. In: Künstliche Menschen. Manische Maschinen. Kontrollierte Körper. Hrsg. von Rolf Aurich u.a. Berlin: Jovis Verlag 2000, S. 82. 218 Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 4f. 219 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:20:21. 216 49 die Methode unter die Lupe nehme, noch werde davon ausgegangen, dass der/die Testperson von einer gesellschaftlichen, männlich gesetzten Norm abweichen könne. Somit stelle Rachael Deckards Selbstverständnis als Mensch, Mann und Androidenjäger in Frage und durchbreche die klare Subjekt-Objekt-Beziehung, die er üblicherweise zu seinen potentiellen Opfern habe.220 Die Figur Rachael weist zu Beginn des Films durchaus Widerstandspotential auf, jedoch verliert sie dieses im Laufe der Handlung immer mehr. Die Szene des Verhörs mag Heterosexualität als Norm zwar unterschwellig in Frage stellen, jedoch wird diese im Verlauf immer wieder legitimiert und gefestigt. Arnold-de Simine bemerkt, dass die künstliche Eule, die Deckard in der Tyrell Corporation entdeckt, als Anspielung auf das Attribut der jungfräulichen Athene verstanden werden kann. Zum einen wurden Eulen im Volksglauben Hexen, Zauberinnen und Dämonen zugeordnet und galten als Todesvögel und zum anderen dienten sie auch als Symbol der weisen Voraussicht. Die Eule verkörpere damit die ambivalenten Anteile Rachaels, welche als unheimliches Wesen unkalkulierbar erscheine, aber gleichzeitig von einem Menschen/Mann produziert wurde, was es möglich mache, sie zu beherrschen.221 Rachael erinnert (wie auch Pris und Zhora) in mancher Hinsicht an den Weiblichkeitstypus der Femme fatale, den Carola Hilmes in ihrem Buch Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur analysiert. Dem Klischee nach ist die Femme fatale der Inbegriff eines verderbenbringenden Eros und ein männermordendes Weib, die durch ihre Sinnlichkeit eine gar tödliche Macht über den Mann ausübt. 222 Aus der Übertragung dieses Gedankenbildes in die Realität, ergibt sich laut Hilmes folgendes Problem: Da eine Bestimmung des Weiblichen aus dem Status der herausgetreten ist, kann eine Trennung von Realitäts- und angegeben werden, was den Fehlschluß nahelegt, die in angegebenen Merkmale des Weiblichen für wahr zu halten. Im Weiblichkeitsbildes hat das geradezu fatale Folgen.223 Imagination nie wirklich Fiktionalitätsebene nicht einem Weiblichkeitsbild Falle eines dämonischen Die Femme fatale lässt sich, laut Hilmes, nicht eindeutig definieren, denn „sie ist die aus patriarchalisch-misogynen Weiblichkeitsimaginationen 220 zusammengesetzte Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 5. Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 239. 222 Carola Hilmes: Die Femme fatale. Ein Weiblichkeitstypus in der nachromantischen Literatur. Stuttgart, Weimar: Metzler 1990, S. 223f. 223 Ebd., S. 4. 221 50 Chimäre, die je nach Kontext Rollen und Masken wechselt“ 224. Sie liefere keine Wesensbestimmung der Frau, sondern lediglich ein Wunsch- und Angstbild des Weiblichen, welches in der Zeit des Fin de siécle Hochkonjunktur hatte. 225 Einerseits sei sie das Ergebnis einer Fixierung des weiblichen Geschlechtscharakters und der daraus entstandene Hysterisierung des Weiblichen und andererseits spiegle sie eine Krise des (männlichen) Selbstbewusstseins wider.226 Sie enthalte eine implizite Kritik sowohl an der prekären Situation des Mannes, seiner Ichschwäche und verdrängten Triebverfallenheit, als auch an der Situation der traditionell untergeordneten Frau und ihrer passiven und asexuellen Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft. Dadurch, dass die patriarchalen Rollenzuweisungen mit der Femme fatale durchbrochen werden und der Sexualität und dem Weiblichen Raum geben, komme ihr ein gewisses subversives Potential zu,227 dem Hilmes jedoch nicht viel Spielraum zuspricht. In den Femme fatale-Gestalten artikuliere sich in Opposition zur herrschenden Sexualunterdrückung zwar das sexuelle Begehren, ihre Geschichten jedoch seien die verhinderter Lüste und stilisierter Körper. Somit liefere die Femme fatale kein Modell der Emanzipation.228 Charakteristisch für die Femme fatale ist ihr ambivalenter Wesenszug, der an die Eigenschaften von Cyborgs erinnern lässt. Sie bewegt sich zwischen Fiktion und Realität, Gedeih und Verderb und wird als unbezähmbar und diszipliniert zugleich imaginiert.229 Ein Problem dieser Frauenfigur sei jedoch, so Hilmes weiter, dass sie durch ihre Sinnlichkeit nicht nur dem Mann Verderben bringe, sondern sich auch stets selbst zum Verhängnis werde. Denn immer dann, wenn sie aktiv werde, falle sie auch sich selbst zum Opfer.230 Ihre Handlungsspielräume seien meist vorgegeben und fremdbestimmt und die ihr „zugestandene erotische Wirkungsmächtigkeit ist zwar faszinierend, aber auch trügerisch, denn sie täuscht über Beschränkungen und Scheitern der Protagonistinnen hinweg“.231 Sie agiere nicht als Subjekt, denn ihre Funktionen seien meist auf ihre Ausstrahlung, ihre Präsenz beschränkt und sie fungiere somit als kostbares Objekt der Begierde. Hilmes vergleicht den Typus der Femme fatale auch 224 Ebd., S. 246. Vgl. ebd., S. 5. 226 Vgl. ebd., S. 14. 227 Vgl. ebd., S. XIV. 228 Vgl. ebd., S. 41. 229 Vgl. ebd., S. 42. 230 Vgl. ebd., S. 224. 231 Ebd., S. 225. 225 51 mit einer "künstlichen Eva",232 welche, wie in Kapitel 2.4.2.2 erwähnt wurde, eine künstliche verbesserte Kopie des Weiblichen darstellen soll. An Rachael sind einige Facetten der Femme fatale zu finden: So scheint sie geheimnisvoll, unberechenbar und verführt Deckard allein mit ihrem Äußeren, jedoch ohne aktiv zu werden. Arnoldde Simine merkt an, dass Rachael kein "Lustmodell" ist und daher auch keine bedrohliche Sexualität, sondern schon fast kindliche Unschuld verkörpert. Als unbeschriebenes Blatt mit von ihrem männlichen Schöpfer eingepflanzten Erinnerungen ist sie von Deckard vollkommen formbar und indem er über ihre Erinnerungen Bescheid weiß, übt er Macht über sie aus.233 Sein Begehren, so Gunzenhäuser, flackert dann für Rachael auf, wenn er sich ihrer Künstlichkeit bewusst wird und sich somit im Geheimnis des Weiblichen verstrickt.234 In der Kussszene souffliert Deckard ihr nicht nur Sätze, sondern auch die dazu gehörigen Gefühle und formt Rachael damit zu dem, was sie für ihn sein soll.235 Er drängt sie gewaltsam in eine Ecke und zwingt sie, zuerst „Kiss me“ und anschließend „I want you“ zu sagen.236 Gunzenhäuser meint, dass Rachael Deckard sexuelle Sicherheit, die er im Berufsleben immer mehr verliert, vermitteln soll. Er kompensiere seine Ohnmacht als Killer durch die sexuelle Macht, die er über Rachael ausübe. 237 Die Szene erinnert laut Gunzenhäuser und Arnold-de Simine an den Kuss im PygmalionMythos, in dem der Bildhauer Pygmalion eine Marmorstatue belebt. 238 Deckard wolle durch den Kuss seine Geliebte in einen Menschen verwandeln, gleichzeitig mache er sie damit zu seinem Geschöpf und erachte sie plötzlich als würdig, mit einem geschlechtsspezifischen Personalpronomen angesprochen zu werden. Indem aus dem „es“ eine „sie“ wird, werde sie nicht zur zum Menschen, sondern vor allem zur Frau.239 Dieser Akt bringt Rachael zum Schweigen und sie ist im weiteren Verlauf des Films auch kein Störfaktor mehr.240 Arnold-de Simine zufolge bändigt Deckard mit dem gewaltsamen Kuss die bedrohlichen Ambivalenzen von Rachael, mit denen auch die anderen Replikantinnen Pris und Zhora ausgestattet sind.241 232 Vgl. ebd., S. 246. Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 240. 234 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 6. 235 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich? S. 240. 236 Scott, Blade Runner, Time Code: 01:11:52. 237 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 7. 238 Vgl. ebd., S. 7. und bei Arnold-de Simine, S. 240. 239 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 240. 240 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 7. 241 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 240. 233 52 Obwohl Rachael ein eher klassisches Frauenbild verkörpert, sieht Anne Balsamo in der Figur eine Herausforderung kultureller Konventionen. Sie ist der Meinung, dass die Darstellung weiblicher Maschinenmenschen die Beziehung zwischen Technik und Weiblichkeit verändern könne.242 Allerdings muss dazu gesagt werden, dass Rachael nur zu Beginn des Films als eine solche Herausforderung gelesen werden kann. Im Laufe Handlung fügt sie sich immer mehr in ihre stereotype Rolle als Frau und ihr Körper wird von einem widerständigen zu einem disziplinierten. Ganz in der Tradition der Femme fatale wird sie kaum aktiv und bleibt in ihrer traditionellen Geschlechterrolle verhaftet. 3.1.4.1.2 Zhora – „Beauty and the Beast“ Polizeiinspektor Byrant beschreibt sie, als er Deckard die zu ermordenden Replikant_innen zeigt, folgendermaßen: „This is Zhora. She´s trained for an Off-world Kick murdersquad. Talk about Beauty and the Beast. She´s both.“243 Lindauer stellt fest, dass an dieser Stelle die dualistische Beschaffenheit der Weiblichkeit zum Ausdruck kommt, welche von der Natur scheinbar vorgegeben sei. Die Frau sei Lebensspenderin und Abbildung 3: Zhora verkörpere Wildheit auf der einen Seite, und Emotionalität und Passivität auf der anderen Seite.244 Zhora arbeitet als Tänzerin in einem Nachtclub, in dem sie folgendermaßen angekündigt wird: „Miss Salome and the snake. Watch her take the pleasure from the serpent that once corrupted man“.245 Gleich zu Beginn der Einführung der Figur Zhora wird durch den ihr zugewiesenen Namen Salome und die Beschreibung klar, welchen Weiblichkeitstypus diese Cyborg verkörpern soll. Salome bezeichnet eine Form der Femme fatale, die laut Hilmes die mythische Vision weiblicher Allmacht, Exotik, Verworfenheit und ruchloser Schönheit darstellt.246 Kernthema des Salomemythos ist die Verbindung von Wollust und Grausamkeit. Eine Frau verführt, beziehungsweise überlistet einen als schwach und für weibliche Reize empfänglich dargestellten Mann. Der scheinbar überlegenen Frau 242 Vgl. Anne Balsamo, Reading Cyborgs, S. 151. Scott, Blade Runner, Time Code: 00:14:42. 244 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 98. 245 Ebd., Time Code: 00:51:32. 246 Vgl. Hilmes, Die Femme fatale, S. 102. 243 53 gelingt es, den Mann mit ihrer Sinnlichkeit zu überlisten, und sie durchkreuzt somit vorübergehend seine männliche Macht, die sie schließlich doch nicht überwinden kann. Ihr einziges Handlungspotential ist ihre erotische Attraktivität, auf die sie reduziert wird.247 Nach Hilmes erlaubt es die Geschichte der Salome, eine Beobachterperspektive einzunehmen und folglich eine Femme fatale zu erleben, ohne selbst einer Bedrohung ausgesetzt zu sein. Sie spricht von einer Geschichte des (männlichen) Blicks, in der der Voyeurismus und die begleitenden Wunsch- und Angstphantasien zum Thema werden, ohne allerdings ein Problem darzustellen. 248 Auch der Schlange kommen ebenso wie der Femme fatale und den Replikant_innen ambivalente Züge zu. Zum einen untermauert die Schlange, mit der Zhora auftritt, ihre Rolle als Verführerin und unterliegt in der jüdisch-christlichen Überlieferung einer negativen Konnotation: Sie steht für die Verführung Evas und ist der Grund der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies. Zum anderen repräsentiert sie in der griechischen Mythologie den Kreislauf des Lebens. Sie symbolisiert die Spannung der Seele zwischen Leben und Tod.249 Gemäß der Tradition der Femme fatale muss Zhora ihre vorübergehende Handlungsmacht mir ihrem Leben bezahlen. Laszig merkt an, dass die harte Darstellung der Exekution von Zhora die archaische Angst des Mannes vor dem Weiblichen verdeutliche, besonders dann, wenn diesem die Kontrolle über die sich autonom bewegende Frau entgleite.250 Die dramatische Szene, in der Zhora vor dem Tod flüchtet, kann auch als Flucht vor den bestehenden Machtverhältnissen gesehen werden. Ihre erotische Ausstrahlung und ihr Tanz auf der Bühne verleihen ihr vorübergehend Handlungsmacht, die sich als Schein erweist und ihr mit der drastischen Exekution wieder genommen wird. Sie bleibt wie Rachael in traditionellen Geschlechter- und Machtkonstellationen haften. Der Versuch aus diesen Machtstrukturen auszubrechen, endet für sie tödlich. Auch ihr widerständiger Körper muss diszipliniert werden. Somit bietet Subversionsspielraum. 247 Vgl. ebd., S. 105f Vgl. ebd., S. 108. 249 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 98. 250 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 80. 248 54 auch diese Figur keinen 3.1.4.1.3 Pris, die Lustmaschine Pris wird im Film als sogenanntes „Military/Leisure“Modell251 ausgewiesen und kann deshalb laut Laszig als Lustmaschine bezeichnet werden.252 Lindauer meint, dass das Weiblichkeitsbild der Femme fatale vor allem bei ihr deutlich wird, da die Kunst der Täuschung, die der Frau seit dem 18. Jahrhundert Abbildung 4: Pris nachgesagt wird, bei ihr am stärksten zum Ausdruck komme. Gleich bei ihrem ersten Auftritt vermag sie J.F. Sebastian (und vielleicht auch die Zuschauer_innen) über ihre wahre Identität hinwegzutäuschen, indem sie sich mit zerlumpter Kleidung zwischen Müllbergen ängstlich und schüchtern gibt, um bei J.F. Sebastian Unterschlupf zu finden.253 Pris wird wie Zhora von Bronfen als gnadenlose Kämpferin, die keine Gewalt scheut, um an ihr Ziel zu gelangen, bezeichnet. Gleichzeitig beweise sie gegenüber ihren Gefährt_innen Treue und Liebe.254 Mit ihrer Bemerkung „I think Sebastian, therefore I am“, wehrt sie sich, so Arnold-de Simine, in zweifacher Weise gegen ihren Status als minderwertiges Wesen, nämlich gegen ihren Status als das "Andere des Menschen" und das "Andere des Mannes". Somit finde sie sich nicht mit ihrer Reduzierung auf ein weibliches Lustobjekt ab.255 Laszig betont, „auch wenn Pris die männlichen Fantasien verführerisch zu bedienen scheint, will sie keine Wunsch-Maschine sein, sondern als denkendes Gegenüber wahrgenommen und an-erkannt werden“256. Nachdem sie sich in J.F. Sebastians Automatenkabinett als Puppe tarnt, folgt eine äußerst sexualisierte und akrobatische Kampfszene gegen den Blade Runner. 257 Die Szene wirke, so Laszig, „wie eine getanzte Choreografie männlicher (Sexual-) Ängste“ in der das begehrte weibliche Objekt zu einer (über-) mächtigen Frau werde.258 Pris erliegt jedoch der männlichen Macht und ihr wild strampelnder Körper wird, wie Laszig es nennt, von den Pistolenkugeln penetriert, bis sie stirbt.259 Ebenso 251 Scott, Blade Runner, Time Code: 00:14:54. Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 80. 253 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 97. 254 Vgl. Bronfen, Leben spenden, S. 82. 255 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 241. 256 Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 80. 257 Scott, Blade Runner, Time Code: 01:32:06. 258 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 80. 259 Vgl. ebd. 252 55 wie Zhora muss sie, ganz in der Tradition der Maschinenfrauen und der Femme fatale, vollkommen liquidiert werden. Jegliches Aufbegehren ihrerseits wird unterbunden und muss auch mit dem Tod bezahlt werden. Wie schon Rachael und Zhora versucht sie sich den Spielraum zum Unterlaufen dichotomer Grenzen zu nehmen, der ihr gemäß ihrem Status als Cyborg zusteht. Doch auch sie scheitert bei diesem Versuch kläglich und muss sich den vorherrschenden heterosexuellen Begehrens- und Machtstrukturen vollkommen beugen. 3.1.4.2 Die Darstellung der männlich markierten Cyborgs im Film Anders als bei den weiblichen Figuren im Film gibt es nicht nur männlich markierte Replikanten, sondern auch männliche Menschen, was die Gleichsetzung von Frau/Maschine und Mann/Mensch als "natürliche Gegebenheit" nochmals unterstreicht. Im Gegensatz zu den drei Replikantinnen, die sämtliche Ausformungen der Femme fatale verkörpern, lassen sich die Replikanten, außer dass sie über mehr Handlungsmacht entsprechen, verfügen und keinem spezifischen den klassischen männlichen Stereotypen Männlichkeitstypus zuordnen. Leon „wird eingeführt als ein Symbol männlicher Potenz und Zerstörungswut“ 260, Roy Batty weist Parallelen zu Frankenstein, Luzifer und Christus zugleich auf und Deckard, gesteht man ihm den Replikanten-Status zu, verfügt als vermeintlicher Mensch über Macht über Leben und Tod der Maschinenmenschen, vor allem der weiblichen Replikantinnen, denn durch seine Hand sterben sehen die Zuschauer_innen nur Pris und Zhora. Doch ironischer Weise unterliegt auch sein Körper der Kontrolle durch den Menschen. 260 Ebd., S. 78. 56 3.1.4.2.1 Roy Batty, der gefallene Engel Der Anführer der geflohenen Replikant_innen steckt in einem muskulösen männlichen Körper, hat ein markantes Gesicht und wird stark idealisiert dargestellt. Laszig betont, dass der Replikant die Inversion des Blade Runners (Roy Batty/Blade Runner) und gleichzeitig eine Art Doppelgänger verkörpert. Er beschreibt Batty im Gegensatz zu Deckard als ein „omnipotentes idealisiertes Selbst“261, welcher als pathetischer Abbildung 5: Roy Batty Kämpfer gegen Unterdrückung eingeführt werde und für Unabhängigkeit und Freiheit steht.262 Das Einhorn, das Deckard in seinem Tagtraum sieht, ist nach Fried eng verknüpft mit der weißen Taube, die Roy vor seinem Tod fliegen lässt: „Both signify something pure, spiritual, and elusive, an idealization to which people aspire in an attempt to transcend the increasing meaninglessness, squalor, and sheer Hobbesian viciousness of the entropy that is accelerated by a fatally flawed human nature“. 263 Laszig zufolge spiegelt er während des dramatischen Zweikampfs Deckard auf unterschiedlichste Weise. Als er sich einen Nagel durch die Hand steckt, spürt er den gleichen Schmerz wie Deckard und lässt diesen Wut, Schmerz, Angst und Trauer spüren. Er überwindet seinen Hass gegenüber Deckard und rettet ihm schließlich das Leben.264 Warum er gerade Deckard das Leben rettet, bleibt laut Arnold-de Simine offen. Dies könne entweder ein Indiz für Deckards Replikantenstatus sein oder aber beweise vielmehr Roys Empathie und damit Überlegenheit gegenüber den Menschen.265 Des Weiteren kann die Figur als gefallener Engel oder aber auch als Frankenstein, der gegen seinen Schöpfer rebelliert, gelesen werden.266 In der Bibel heißt es: „Denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat.“ 267 Hier lassen sich gewiss Parallelen zu Roy Batty finden, denn auch er kommt auf den 261 Ebd., S. 81. Vgl. ebd. 263 K. Willam Fried: Blade Runner. An Interpretation. In: Psychoanalytic Psychology 2004. (=Vol. 21) S. 313. 264 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 83. 265 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 234. 266 Vgl. Mark Lussier/Kaitlin Gowan: The Romantic Roots of Blade Runner. In: Wordsworth Circle 2012. (= Vol. 43). S. 166. 267 Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Köln: Naumann & Göbel 1986. Offb 12,12. 262 57 Planeten Erde, ist wütend über seine Situation und beginnt einen Wettlauf gegen die Zeit. Um von seinem "Schöpfer" Dr. Tyrell mehr Lebenszeit zu erhalten, sucht er ihn auf und stellt ihn zur Rede: „I want more life, fucker.“268 Dr. Tyrell kann ihm diesen Wunsch nicht erfüllen: „The light that burns twice as bright burns for half as long and you have burned so very, very brightly, Roy. Look at you: you're the Prodigal Son; you're quite a prize!“269 Nach der Diskussion und der Enttäuschung über seinen Schöpfer nimmt Roy Tyrells Kopf zwischen seine Hände, küsst ihn und drückt ihm anschließend die Augen aus. Diese Szene erinnert laut Lussier auch an Frankenstein, der sich aus Rache gewaltvoll gegen seinen Schöpfer auflehnt. 270 Doch Roy wird im Laufe der Handlung zunehmend mitfühlender, er entwickelt sich Laszig zufolge von einem mordenden Teufel zu einem melodramatischen Helden und messianischen Retter. Arnold-de Simine schreibt, dass Batty nicht nur Parallelen zu Luzifer aufweist, sondern gleichzeitig als Christus-Figur stilisiert wird, wenn er sich zum Beispiel den Nagel durch die Hand treibt oder die weiße Taube fliegen lässt. 271 Laszig meint dazu, dass es in einem postmodernen Weltentwurf schwieriger wird, sich zu verorten und einen inneren und äußeren Standpunkt aufrecht zu erhalten. 272 Roy Batty erweist sich im Laufe des Films nicht nur als menschlicher als der Mensch, sondern durch seine idealisierte Darstellung auch als männlicher als der Mann. Der Film reproduziert somit das männlich konnotierte Bild einer "Kampfmaschine" mit weichem Kern. 268 Scott, Blade Runner, Time Code: 01:23:44. Scott, Blade Runner, Time Code: 01:25:04. 270 Vgl. Lussier, The Romantiv Roots of Blade Runner, S. 168. 271 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 241f. 272 Vgl. Laszig, Der Glanz im Auge des Replikanten, S. 73. 269 58 3.1.4.2.2 Rick Deckard, die Mensch-Maschine Der Blade Runner ist eine ambivalente Figur, die einerseits mittels des männlich zentrierten Blicks, über den bereits in Kapitel 3.1.3.1 gesprochen wurde, Macht über Raum und Maschinen(menschen) hat und andererseits durch seinen vermeintlichen Replikantenstatus selbst kontrolliert wird. Die Frage, ob Deckard ein Replikant sei, ist eine der meistdiskutierten in Bezug auf Blade Runner im Internet273 und Abbildung 6: Rick Deckard kam erst durch den Director´s Cut auf. Verantwortlich dafür ist eine kurze Einhorn-Sequenz, in der ein durch den Wald galoppierendes Einhorn gezeigt wird. Hier erfahren die Zuschauer_innen intime Gedanken von Deckard, über die Gaff später Bescheid zu wissen scheint, wenn er ein Origami-Einhorn vor seiner Haustür zurücklässt. Die Gedanken erweisen sich somit als implantiert.274 Darüber hinaus leuchten Deckards Augen in der Szene, nachdem Rachael ihm das Leben gerettet hat, rot auf, wie sie es sonst nur bei den Augen der Replikant_innen tun.275 Bukatman merkt an, dass die Frage zu stellen wichtiger ist, als die Antwort selbst.276 Es gehe hier nicht nur um den Replikantenstatus von Deckard, sondern auch um unseren eigenen Status als Replikant_innen.277 Womit wir wieder bei der Frage wären, was den Menschen als Menschen ausmacht und was ihn von anderen Lebewesen unterscheidet. Der Anstoß von Bukatman zu der Frage, ob wir nicht alle Replikant_innen seien, erinnert an eine Aussage aus Haraways Manifesto for Cyborgs: „Im späten 20. Jahrhundert, in unserer Zeit, einer mythischen Zeit, haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs.“278 Was für Gunzenhäuser dem subversiven Element allerdings im Wege steht, ist die Tatsache, dass zeitgenössische Cyborgs (wie auch in Blade Runner) den weißen westlichen Menschen zum Vorbild haben. Gunzenhäuser meint, dass die Nahaufnahme, die Harrison Ford zu Beginn des Films einführt, alle anschließend auf 273 Vgl. Bukatman, Blade Runner, S. 80. Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 95. 275 Vgl. ebd., S. 96. 276 Vgl. Bukatman, Blade Runner, S. 80. 277 Vgl. ebd., S. 83. 278 Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 34. 274 59 den nächsten Schnitt folgenden Gestalten als die Anderen, die Nicht-Weißen brandmarke. Als Mensch und sogar noch als Replikant stehe Deckard noch für die Werte und Körpernormen einer westlichen Zivilisation, die ihre Machtphantasien durch die Herstellung künstlicher Menschen bis in den Weltraum vorantreibe, während das postmoderne Los Angeles längst asiatisch geprägt sei.279 Schon allein aufgrund dessen, dass die Maschinenmenschen im Film keine anerkannten Mitglieder der Gesellschaft darstellen und mehreren Kontrollinstanzen unterliegen, ist ein Unterlaufen der herrschenden Dichotomien schier unmöglich. Die Figuren versuchen zwar alle aus den herrschenden Verhältnissen auszubrechen, werden jedoch immer rechtzeitig in ihre Rolle innerhalb der heterosexuellen Matrix zurückverwiesen. Der Film deutet das den Maschinenmenschen zugesprochene subversive Potential zwar an vielen Stellen an, schöpft es jedoch nicht aus. 3.1.5 Die Vorlage zum Film Der Roman, der inzwischen unter dem Namen Blade Runner vertrieben wird, spielt nicht wie im Film in einem überbevölkerten Los Angeles im Jahr 2019, sondern in einem ausgestorbenen San Francisco 1992. 280 Durch einen Weltkrieg wurde die Erde stark radioaktiv verseucht und macht sie somit zu einem großen Teil unbewohnbar. Die wenigen und kaum leistbaren übriggebliebenen Tiere fungieren als kostbares Statussymbol der zurückgebliebenen Menschen. Der Blade Runner Rick Deckard wünscht sich nichts mehr als ein "echtes" Schaf, denn auf seinem Dach grast nur ein künstliches Schaf, einem lebenden zum Verwechseln ähnlich. Um sich endlich ein solches Tier kaufen zu können, nimmt er den Auftrag, sechs Androiden auszulöschen, an.281 Die dystopische Welt wird im Roman äußerst detailreich beschrieben und der Film übernimmt nur die zentrale Handlung der Literaturvorlage,282 in der die Unterscheidung zwischen Mensch und Android verstärkt dargestellt wird.283 Allein durch die Bezeichnung Replikant_innen wird eine wichtige Änderung in der filmischen Darstellung klar. Durch diesen Begriff werden 279 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 13f. Vgl. Sammon, Future Noir, S. 20. 281 Vgl. Thomas T. Tabbert: Menschmaschinengötter. Künstliche Menschen in Literatur und Technik. Fallstudien einer Artifizialanthropologie. Hamburg: Artislife Press 2004, S. 308f. 282 Vgl. Arnold-de Simine, Ich erinnere also bin ich?, S. 232. 283 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 105. 280 60 laut Jeffrey James Oleniacz den künstlichen Menschen Menschlichkeit und Menschrechte zugestanden, was im Roman nicht möglich sei. Dick skizziert die Androiden als egoistische und seelenlose Wesen. Das Hauptaugenmerk liege im Roman darin, dass der Mensch sich manchmal wie eine Maschine verhalte, im Film sei es genau umgekehrt. 284 Die Unterscheidung von Mensch und Maschine wird bei Dick zwar auch zunehmend brüchig, dennoch wird Lindauer zufolge die Grenze zwischen Künstlichkeit und Menschlichkeit aufrechterhalten285. Die Androiden selbst wirken im Roman auch mehr resigniert, als dass sie ihre menschliche Existenzberechtigung einfordern. So meint Rachael etwa: „Wir sind Maschinen, herausgestanzt wie Flaschendeckel. Es ist eine Illusion, daß ich – ich persönlich – existiere. Ich vertrete bloß einen Typus.“286 Ob der Roman somit überhaupt Raum zur Unterwanderung dichotomer Verhältnisse lässt, ist zweifelhaft. 284 Vgl. Jeffrey James Oleniacz: How & Why the Movie is Different. In: Blade Runner Insight. Zuletzt geändert am 15.07.2001. URL: http://br-insight.com/2001/07/15/how-why-the-movie-is-different/ [05.05.2013]. 285 Vgl. Lindauer, Reconstructing Eve, S. 106. 286 Dick, Blade Runner, S. 208. 61 3.2 Ghost in the Shell 3.2.2 Produktion und Entstehung Must be the reason why I'm king of my castle Must be the reason why I'm freeing my trapped soul Must be the reason why I'm king of my castle Must be a reason why I'm making examples of you (Wamdue Project, King of My Castle) Ghost in the Shell ist ein japanischer Science Fiction-Anime im Stil des Cyberpunk von Mamoru Oshii aus dem Jahr 1995. Der Film basiert auf dem 1989 erschienenen und gleichnamigen Manga von Masamune Shirow und machte die Gattung des Anime weltweit populär. Die Verfilmung zeichnet sich, laut Janus, gegenüber der humoristisch angelegten Comicvorlage durch eine dunklere und nachdenklichere Stimmung aus, entwickle eine eigenständige Geschichte und durch seine ästhetische Gestaltung einen völlig neuen Stil, der die westliche Welt faszinierte.287 Bei Ghost in the Shell handelt sich hierbei um eine Koproduktion japanischer und westlicher Produktionsfirmen, die dadurch die Auswirkungen der Globalisierung auf Produktion und Vertrieb reflektiere.288 Oshii selbst erklärt 1995 in einem Interview, dass der Mensch einer großen Veränderung unterworfen sei: „ Es ist möglich, daß der Mensch sich durch eine Technologie ändert, die er selbst hervorgebracht hat. […] Es ist dazu gekommen, daß Menschen die Welt und andere Menschen durch Medien wahrnehmen, die konkret durch Bildschirme repräsentiert werden.“ 289 Schnellbächer schreibt, dass Oshii die Ästhetik des film noir für den Animationsfilm und somit für ein breites internationales Publikum übernommen habe. Das Stadtbild von Ghost in the Shell erinnere an die Kulisse von Blade Runner, die an Hong Kong angelehnt sei, der Film und die Stadt haben somit als Modell für die fiktive Stadt in Oshiis Film gedient.290 Gleichzeitig werden mit Hong Kong als Kulisse die Bezüge zu Japan abgeschwächt und das Allgemein-Menschliche und das Globale betont.291 287 Vgl. Ulrich Janus, Ludwig Janus: Der Individuationsprozess im japanischen Mangafilm. In: Blade Runner, Matrix und Avatare. Psychoanalytische Betrachtungen virtueller Wesen und Welten im Film. Hrsg. von Parfen Laszig. Heidelberg: Springer Verlag 2013, S. 165. 288 Vgl. Tom Schnellbächer: Mensch und Gesellschaft in Oshii Mamorus Ghost in the Shell – Technische Spielerei oder engagierte Zukunftsvisionen? In: Nachrichten der Gesellschaft für Naturund Völkerkunde Ostasiens (2007), H. 1, S. 70. 289 Oshii zit. nach Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 71. 290 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 78. 291 Vgl. ebd., S. 79. 62 Von 2002 bis 2005 war Ghost in the Shell: Stand Alone Complex als Fernsehserie zu sehen und 2005 erschien der Nachfolgefilm Ghost in the Shell 2: Innocence,292 der später noch zur Sprache kommen wird. Des Weiteren folgten noch einige Videospiele. 3.2.3 Plot Im Vorspann heißt es: "In the near future corporate networks reach out to the stars, electrons and light flow throughout the universe. The advance of computerisation, however, has not yet wiped out nations and ethnic groups."293 Abbildung 7: Die fiktive Stadt Die Handlung spielt in einer fiktiven Riesenmetropole im Jahr 2029. Viele Menschen sind bereits Cyborgs und nicht mehr von "natürlichen" Menschen zu unterscheiden. Sie stecken in einer Art Biokapsel, die im Film als „Shell“ bezeichnet wird. Den Kern dieser Wesen bilden einige Gehirnzellen, die ihr menschliches Zentrum, ihren „Ghost“, darstellen.294 Ganz im Stil des Cyberpunks wird die Gesellschaft von einem undurchsichtigen politischen Apparat regiert und ist durchdrungen von einer futuristischen Computertechnologie.295 Verbrechen finden unter anderem inzwischen durch das Einhacken in Datennetze statt und um diese zu bekämpfen, gründet das Innenministerium die Elite-Kampfeinheit Sektion 9 unter der Führung von Major Kusanagi Motoko, die zum Großteil aus Cyborgs besteht. Die Protagonistin, die ebenfalls eine Cyborg ist, wird während eines Einsatzes eingeführt. Sie hat den Auftrag, im Falle einer Weigerung einen Verräter auszuliefern, einen ausländischen Diplomaten zu töten. Sie bekommt die Anweisung, einen gefährlichen Hacker namens Puppet Master zu jagen. Dieser hackt sich in den Geist diverser Personen ein, lässt diese Handlungen ausführen und ihre wahre Identität vergessen. Darauf folgt eine Schlüsselszene des Films, die eine nachdenkliche Kusanagi während eines Tauchgangs und anschließend in einem philosophischen Gespräch mit ihrem 292 Vgl. Janus, Der Individuationsprozess im japanischen Mangafilm, S. 165. Mamoru Oshii: Ghost in the Shell. Japan: 1995. Time Code: 00:00:02. (Vorspann) 294 Vgl. Janus, Der Individuationsprozess im japanischen Mangafilm, S. 165. 295 Vgl. ebd. 293 63 Kollegen Batou zeigt. Am nächsten Morgen irrt sie gedankenverloren durch den hektischen Großstadtdschungel und kommt zu spät zur Arbeit. Inzwischen wurde in der Nacht im Konzern Megatech illegal ein weiblich markierter Cyborg-Körper hergestellt, der kurz darauf ausbrach und von einem Lastwagen überfahren wurde. Der zerstückelte Körper wurde zur Sektion 9 gebracht, um ihn zu untersuchen. Zwar besitzt das Wesen, das nur noch einen Oberkörper ohne Extremitäten aufweist, keine menschlichen Gehirnzellen, scheint aber über einen Geist zu verfügen. Indessen trifft der der Direktor der Sektion 6, einer Truppe des Außenministeriums, ein, um den Körper zu beschlagnahmen, da es sich bei diesem um den Puppet Master handle, der im Rahmen des Geheimprojekts 2501 in einem Cyborg-Körper gefangen genommen worden war. Der Cyborg erwacht plötzlich und leugnet die Geschichte der Sektion 6-Agenten. Er präsentiert sich als eine aus dem Netz geborene Bewusstseinsform und möchte darum Asyl in der Sektion 9 erhalten. Im selben Moment wird Sektion 9 angegriffen und einem unsichtbaren Einbrecher gelingt es, den Puppet Master zu stehlen. Der Fluchtwagen wird jedoch rechtzeitig mit einem Peilsender belegt. Ein Agent der Sektion 9 namens Ishikawa nimmt an, dass der Puppet Master ein Werkzeug des Außenministeriums sei, das dessen "Drecksarbeit" erledigen soll. Dies würde bedeuten, dass die Flucht des Puppet Masters eine Gefahr für Sektion 6 darstellt, weil somit vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Kusanagi und Batou verfolgen währenddessen den Entführer und trennen sich dabei. Kusanagi folgt einem Fahrzeug in ein scheinbar verlassenes Gebäude, in dem jedoch schon ein schwerbewaffneter und getarnter Spinnenpanzer wartet, sie beinahe tötet und ihren Körper fast zur Gänze zerstört. Batou rettet ihr jedoch in letzter Sekunde das Leben und vernichtet den Panzer. In der nächsten Szene, die den Höhepunkt des Films darstellt, liegen die beiden zerstückelten Körper von Kusanagi und dem Puppet Master nebeneinander und stellen eine geistige Verbindung zueinander her. Er bestätigt, dass er das von der Sektion 6 indizierte Projekt 2501 darstellt, die ihre kriminellen Ziele durch das Einhacken in Ghosts verfolgen. Der Puppet Master versteht sich als eine neuartige, bewusste Lebensform und hält sich gleichzeitig für unvollständig, da er sich nicht reproduzieren kann. Aus diesem Grund bittet er Kusanagi, sich mit ihm geistig zu verschmelzen, um daraus ein neues Wesen zu erschaffen und unsterblich zu werden. Batou versucht vergebens, die Verschmelzung zu verhindern. Mehrere Helikopter mit Schafschützen der Sektion 6 nähern sich dem Gebäude und zerstören 64 die Körper von Kusanagi und dem Puppet Master vollständig. Batou gelingt es, den Rest von Kusanagis Hirn zu retten und in einen Cyberkörper eines jungen Mädchens einzupflanzen. Sie erwacht in seinem Zuhause und erklärt ihm, dass sie weder Kusanagi noch das Programm namens Puppet Master sei, sondern die Vereinigung beider. Sie entscheidet sich zu gehen und fragt sich, was sie wohl als nächstes tun werde, denn „das Net ist weit und unendlich“296.297 3.2.4 Die Darstellung der Maschinenmenschen im Film Der Mensch/Maschinen-Diskurs muss im japanischen Kontext etwas differenzierter als im westlichen betrachtet werden. Olaf Möller weist darauf hin, dass sich Japan erst am Ende des 19. Jahrhunderts vom Agrarstaat zur Industrienation entwickelt hat und plötzlich mit fremden Apparaten und Maschinen konfrontiert wurde. Diese galten vorerst als Fremdkörper, die in die Erfahrungswelt der Menschen integriert werden mussten. Nach 50 Jahren entwickelten die Japaner_innen ein unbelastetes Verhältnis zur westlichen Technik und begannen sie als etwas Eigenes zu behandeln. Fixer Bestandteil der japanischen Populärkultur sind Maschinenmenschen seit etwa 50 Jahren. Eine Besonderheit der japanischen Maschinenmenschen-Kultur stellt, laut Möller, ihre Verbundenheit mit der einheimischen Mythen- und Geisterwelt dar. In den westlichen Kulturkreisen haben Maschinenmenschen eine ähnliche Funktion wie Geister in Japan: Sie fungieren als Ausdruck und Projektionsfläche für menschliche Ängste sowie Sehnsüchte. 298 Charakteristisch für japanische Maschinenmenschen-Geschichten seien der darin thematisierte Glaube und die positive Einstellung zur Technik. Diese stehe stets im Dienste der Menschen.299 Florian Schumacher meint dazu, dass das Plädoyer für einen neuen vernetzten Menschen in das gesamte Genre des Anime eingeschrieben zu sein scheint, denn fast jede dieser Geschichten drehe sich um die Sprengung der "alten" Körpergrenzen „und um Entwürfe grenzenloser Cyborgidentitäten in 296 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 01:17:24. Vgl. Janus, Der Individuationsprozess im japanischen Mangafilm, S. 165-167. 298 Vgl. Olaf Möller: Alb/Träume von Maschinen und Menschen. Japanische Maschinenphantasien: ein erster Einblick. In: Künstliche Menschen. Manische Maschinen. Kontrollierte Körper. Hrsg. von Rolf Aurich u.a. Berlin: Jovis Verlag 2000, S. 141. 299 Vgl. ebd., S. 142. 297 65 kosmischen Netzwerken“.300 Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sind, so Möller, längst verschwunden.301 In dieser Tradition steht auch Ghost in the Shell. Cyborgs und hochtechnologische Apparaturen sind längst fixer Bestandteil der Gesellschaft und scheinen auf den ersten Blick friedlich miteinander zu existieren. Kernthema des Films ist die Frage nach menschlicher Identität und Subjektivität. Im Mittelpunkt steht die Identitätssuche der Protagonistin Major Kusanagi, die gleich zu Beginn als Cyborg ausgewiesen wird, sich aber rein äußerlich, wie all die anderen Cyborgs, nicht mehr vom Menschen unterscheiden lässt. Menschen, Cyborgs und Roboter sind, Schnellbächer zufolge, gleichermaßen komplexen Machtverhältnissen ausgesetzt. So gehört etwa Kusanagi zum Teil dem Staat, der auch ihr Arbeitgeber ist. Dieser wiederum ist von großen Robotik-Konzernen abhängig. Für Schnellbächer stellen diese Cyborgs eine neue gesellschaftliche Klasse dar: Einerseits erhalten sie privilegierten Zugang zum Datenverkehr und zu teuren Erweiterungen des Körpers, andererseits sind sie Leibeigene des Staates – austauschbar und im Besitz der Regierung. So ergibt sich, laut Schnellbächer, ein neues Klassensystem. Die unterste Stufe stellen Roboter mit Elektrohirnen dar und spielen im Film keine wesentliche Rolle. Dann folgen Menschen ohne kybernetische Erweiterungen, die leistungsmäßig nicht mit Cyborgs mithalten können.302 Das Thema der Verschmelzung von Mensch und Maschine wird in Ghost in the Shell weiter als beispielsweise in Blade Runner, gesponnen. Das Informationsnetzwerk durchdringt inzwischen die gesamten menschlichen bzw. eigentlich kybernetischen Körper. Zum einen führe, so Ornella, diese Verschmelzung von Mensch und Maschine zu einer Erweiterung des menschlichen Wissens und der menschlichen Kommunikation und zum anderen bringe die Vernetzung eine Verletzlichkeit und Verunsicherung des menschlichen (kybernetischen) Subjekts mit sich. Das im Film mögliche ghost hacking, durch das man sich in den Geist eines Individuums einhacken kann, um dessen Gedanken und Erinnerungen zu manipulieren, ist, so Ornella, ein Hinweis darauf, dass das Subjekt nicht mehr sich selbst gehört und nun ein Unterworfenes ist. Es sei ständig der Gefahr ausgesetzt, gehackt und manipuliert zu werden, nur geschützt durch eine nicht unüberwindbare 300 Vgl. Florian Schumacher: Das Ich und der andere Körper. Eine Kulturgeschichte des Monsters und des künstlichen Menschen. Marburg: Tectum Verlag 2008, S. 180. 301 Vgl. Möller, Alb/Träume von Maschinen und Menschen, S. 142. 302 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 81. 66 Firewall.303 Des Weiteren kann, laut Ornella, die Darstellung der Cyborgs im Film als kritische Anspielung auf den Transhumanismus gelesen werden. Für diesen ist Technologie ein Mittel, eine sozial gerechte Gesellschaft zu schaffen. Von dieser sei die Gesellschaft im Film jedoch weit entfernt, denn die kybernetischen Körper gehören nicht sich selbst und „das ihnen ‚einwohnende‘ Subjekt wird zum ‚Unterworfenen‘, zum Besitz“.304 Hier zeigt sich der Film ambivalent, denn die gefeierte Technologie wird auf der anderen Seite zum Albtraum für die Freiheit des Menschen. Ornella schreibt in diesem Zusammenhang, dass Technologie und Vernetzung in diesem Fall nicht befreien, sondern neue Abhängigkeiten schaffen, welche für den einzelnen schwer zu überwinden und zu durchbrechen seien. Der Film zeichne ein Bild vom Menschen, der sich seiner selbst und seiner Menschlichkeit nicht mehr sicher sein könne. 305 Schnellbächer hebt hervor, dass sämtliche Sympathieträger_innen im Film Cyborgs sind. So seien zum Beispiel die Mitglieder der Sektion 6 keine Cyborgs und werden als verschlagen und unzuverlässig charakterisiert.306 Auch hier erweisen sich die Maschinenmenschen als "more human than human". An dieser Stelle soll noch einmal auf das "Cyborg Manifesto" von Haraway verwiesen werden, in welchem sie die Maschinen als quicklebendig und die Menschen als beängstigend träge beschreibt.307 Da die Handlung des Films sehr komplex ist, wird im Folgenden eine ausführliche Figurenanalyse an den zwei relevantesten Cyborgs Major Kusanagi und dem Puppet Master vorgenommen und anschließend die Mensch/Maschinen-Thematik und die dazugehörigen Motive an einzelnen Schlüsselszenen herausgearbeitet. 303 Vgl. Alexander Darius Ornella: Das vernetzte Subjekt. Eine theologische Annäherung an das Verständnis von Subjektivität unter den Bedingungen der Informations- und Kommunikationstechnologien. Graz, Univ., Diss. 2007, S. 126. 304 Vgl. ebd., S. 130. 305 Vgl. ebd. 306 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 86. 307 Vgl. Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 37. 67 3.2.5 Figurenanalyse 3.2.5.1 Motoko Kusanagi – „high-tech pinup girl“ und japanische Lara Croft-Fantasie Es handelt sich bei Motoko Kusanagi um einen bedeutungsvollen Namen, der zum einen auf die japanische Mythologie und zum anderen auf ihr Cyborgwesen verweist. Kusanagi no tsurgi, wörtlich „Grasmäher“, ist ein Schwert, mit dem der Geschichte vollbracht Abbildung 8: Major Motoko Kusanagi nach diverse wurden. „ungesponnene Seide“ Motoko und Heldentaten bedeutet schließt Konnotationen wie „ursprünglich“, „grundlegend“ und „unbearbeitet“ mit ein. Nach Schnellbächer ist die zweite Bedeutung des Namens des einen elektronischen Bauteils, wie einem Mikrochip, der auf die Beschaffenheit eines Cyborgs verweist.308 Eingeführt wird die Protagonistin durch eine "Geburtsszene". In einem Labor wird ein menschliches Gehirn in einem teils organischen, teils künstlichen Körper eingefasst. Während der Herstellung schwebt Kusanagi schwerelos in einer Flüssigkeit, die sie nach ihrer Fertigstellung verlässt. Die Szene wird zwar höchst steril und technisiert darstellt, dennoch erinnert sie an den organischen Vorgang der Geburt und die Flüssigkeit, in der sie schwimmt, an das Fruchtwasser einer Gebärmutter. Auch wenn Kusanagi nach ihrer Vollendung kaum vom Menschen zu unterscheiden ist, wird in dieser Szene doch unweigerlich auf ihre Künstlichkeit verwiesen. Sie steckt in einem unverkennbar weiblich markierten und stark fetischisierten Körper, bei dem die großen Brüste während des gesamten Films exponiert werden. Im Kontrast dazu zeigt sie jedoch kein stereotypes feminines Verhalten, hat die Führungsposition einer Elite-Kampftruppe inne, hantiert mit phallisch konnotierten Waffen und weist keinerlei sexuelles Begehren auf. Hier lassen sich durchaus Parallelen zu Haraways Cyborg ziehen. Christopher Bolton schreibt dazu, dass Kusanagi von verschiedenen Kritiker_innen oftmals mit Haraways Cyborg verglichen wird, allerdings ohne das Medium des Animes mitzudenken. Die virtuelle oder künstliche Natur von animierten "Schauspieler_innen", „[…] are always already technological bodies, coplicates any effort by the film or the critic to draw or blur the line between natural and artificial or human and machine“309. Kusanagi wird als selbstbewusst, stark, zielstrebig und auch sehr melancholisch gezeichnet. Nach ihrem Tauchgang erklärt sie ihrem Kollegen 308 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 83. Christopher Bolton: From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls: Mechanical Bodies in Anime and Japanese Puppet Theater. In: Positions. Bd. 10. Duke Univ. Press 2002 (= Nr. 3) S. 730. 309 68 Batou, der diese Leidenschaft nicht nachvollziehen kann, was sie während des Tauchens empfindet: „Ich empfinde Einsamkeit, Angst, Kälte. Manchmal spüre ich da unten sogar Hoffnung“310. Schnellbächer meint, dass sich in der Szene der Widerstand Kusanagis gegenüber den herrschenden Verhältnissen äußert. Allerdings sei dieser Widerstand kein aktiver, sondern ein rein innerlicher Vorgang. Somit werde der roboterhafte, mechanische Aspekt der Protagonistin hervorgehoben. Auch sie selbst zweifelt an dem Unterschied zwischen einem Roboter und sich, als sie den sichergestellten Cyborg-Körper sieht: „Vielleicht hat´s mich auch nie gegeben und ich bin völlig synthetisch wie dieses Ding“311. Sie reflektiert auch über ihre Existenz und da ihr Cyberkörper der Regierung gehört, fühlt sie sich nicht wie ein freier Mensch, obwohl sie so behandelt wird: „Ich fühle mich eingeengt, ich kann mich nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen“312. 3.2.5.1.1 Der nackte Körper Die häufige (scheinbare) Nacktheit und die überdimensionalen Körperproportionen der Protagonistin, die üblich für Manga- und Animeheld_innen sind, bilden laut Bolton das visuelle Zentrum des Films.313 Kusanagi ist im Film viermal nackt zu sehen, dreimal davon in Kampfszenen. In der Comic-Vorlage ist sie nur einmal nackt, nämlich in einer pornographischen Szene, in der sie sich mit zwei anderen weiblich markierten Cyborgs vergnügt. Neben der Funktion der voyeuristischen Befriedigung der Rezipient_innen dient diese Szene, nach Schnellbächer, der Demonstration der Optionen eines virtuellen Nervensystems: Batou soll mit Kusanagi Kontakt aufnehmen und dringt dazu in ihr System ein. Dies führt in der Szene dazu, dass er ihre weibliche sexuelle Erregung spüren kann. 314 Die Funktion der Nacktheit ist im Film, laut Schnellbächer, jedoch eine andere. Die Nacktheit wird im Falle der Kampfszenen dadurch motiviert, dass Kusanagi mittels thermooptischer Tarnung unsichtbar wird. Genaugenommen ist sie also nicht nackt, so Schnellbächer, sondern trägt einen engen Tarnanzug, der manchmal nur durch die Naht um ihren Hals leicht sichtbar wird. Dass Oshii die Heldin in Kampfszenen nackt zeigen will, hebe Kusanagis Heroismus und die scheinbare Schutzlosigkeit gegenüber den Räumen hervor, in denen sie sich bewegt. Ihre Schwäche gegenüber ihrem Gegner werde vor 310 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 00:30:18. Ebd., Time Code: 00:42:21. 312 Ebd., Time Code: 00:32:17. 313 Vgl. Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 735. 314 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 75. 311 69 allem in der letzten Kampfszene, in der sie gegen den Spinnenpanzer kämpft, offenbart: Nachdem ihr die Munition ausgegangen ist, versucht sie auf den Gegner hinaufzuklettern und die Luke des Panzers aufzustemmen. Während dieses Versuchs reißt es ihren nackten Körper auseinander.315 Diese Szene verwandelt, Bolton zufolge, eine wunderschöne Frau in einen Dämon. Der Autor schreibt, dass die Frau hier an ihre körperlichen und sozialen Grenzen stößt: „[…] the metamorphosis can be read as a terrible empowerment that crosses social and bodily barriers, in which a woman calls on hidden spiritual powers to take a revenge that is not possible or permitted in her feminine form. The physical transformation is also a social one“.316 Dem Film wurde vorgeworfen, die voyeuristischen Fantasien des männlichen Publikums zu bedienen317, was laut Bolton dazu führt die radikalen Möglichkeiten, wie die Aufhebung der sexuellen Differenz, im Film zu untergraben.318 Tatsächlich hat die Vermittlung des totalisierenden (männlichen) Blicks eine lange Tradition in Science Fiction-Filmen und -Comics. Dies gilt, laut Gunzenhäuser, auch für asiatische Animes wie beispielsweise Ghost in the Shell.319 In diesem Sinne bezeichnet Bolton Kusanagi als „high-tech pinup girl“320, betont an anderer Stelle aber, dass diese Darstellung in Animes und im Cyberpunk-Genre eine lange Tradition habe und daher im Kontext seiner eigenen Ästhetik gelesen werden müsse.321 315 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 76. Vgl. Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 762 317 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 75. 318 Vgl. Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 737. 319 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 9. 320 Vgl. Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 736. 321 Vgl. ebd., S. 737. 316 70 3.2.5.1.2 Motoko Kusanagi als japanische Lara Croft-Fantasie Unabhängig davon, ob die fetischisierende Darstellung des Körpers für das Genre des Animes durchaus üblich ist, kann Motoko Kusanagi in jene Tradition der "Superfrauen" eingereiht werden, in der sich auch Lara Croft befindet. Lara Croft ist die Protagonistin Abbildung 9: Lara Croft 1998 eines der erfolgreichsten und meistverkauften Computerspiele aller Zeiten. Der erste Teil des Spiels namens Tomb Raider erschien 1996 und machte Lara Croft auch medienübergreifend weltberühmt. 322 Ebenso wie Kusanagi verfügt sie über einen überdimensional großen Busen, versteht es, mit allerhand Waffen zu schießen, zeigt kein stereotypes feminines Verhalten, weist keinerlei sexuelles Begehren auf und das Wichtigste: sie ist ein Cyborg 323. Zwar wird sie nicht direkt als Cyborg ausgewiesen, dennoch gibt es, laut Gunzenhäuser, einige Indizien dafür. Sie braucht keine Lebensmittel, ihr Energiepegel wird ähnlich wie bei einer Maschine ständig gemessen und nach Attacken und Verletzungen ist sie wieder optimierbar.324 Darüber hinaus sei ihre Sonnenbrille ein Hinweis darauf, dass sie ein Cyborg ist. Die Sonnenbrille ist, so Gunzenhäuser, ein wichtiges Requisit in zeitgenössischen Science Fiction-Filmen. Eine solche Brille stehe für die Selbstverständlichkeit der technischen Optimierung des Körpers und sei somit ein Zeichen für Laras gepanzerten Körper. Einerseits wirke die Sonnenbrille (wie sie oftmals auch Kusanagi trägt) gegenüber den Zuseher_innen distanzfördernd und solle signalisieren, dass die Figur kein Mensch, sondern ein Cyborg ist. Andererseits wirke sie distanzüberschreitend und suggeriere, dass man auch sein könne wie ein Cyborg, wenn man sich nur eine Sonnenbrille kaufe.325 Gunzenhäuser vergleicht Laras hyperweibliche Figur und ihren gestählten Körper mit weiblichen ComicCyborgs und Superfrauen aus berühmten Comics und meint dazu: Während der Körperbau der Superfrauen mit dem überdimensionierten Busen, den übertriebenen Kurven und den überlangen Beinen Weiblichkeit signalisiert und diese stilisierte Körperlichkeit durch die knapp sitzende, spärliche Kleidung noch unterstrichen wird, vereinen sie offensichtlich auch alle Eigenschaften in sich, die traditionell männliche 322 Vgl. Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 10. 323 Vgl. ebd., S. 39. 324 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 203. 325 Vgl. ebd., S. 209. 71 Abenteurer auszeichnen, einschließlich deren ambivalentem Verhältnis zur Körperlichkeit: Menschliche und speziell weibliche Verletzlichkeit bannen sie durch gestählte Körper und aufrechte Haltung; der Gefahr des Verlustes begegnen sie mit eiskaltem Einzelgängertum und vertrauen allein auf sich. Aber diese Eigenschaften machen sie nicht zu Männerfiguren.326 Sie leiht sich für Lara Yvonne Taskers Begriff „musculinity“, die über ähnliche Actionheldinnen in Filmen schreibt: „These films reinscribe, in different ways, the female body in terms of masculinity. It is for this reason that I want to introduce the term ‘musculinity‘“.327 Unter „musculinity“ versteht Tasker den konzeptionellen Bereich, in dem zeitgenössische Körperkonzepte sehr unterschiedlich und oft gegensätzlich diskutiert werden. Nach Gunzenhäuser dient Lara Croft auch als Projektionsfläche für „musculinity“, also eine Körperlichkeit, welche traditionell männliche und weibliche Eigenschaften in sich vereint. Denn auf den ersten Blick scheine Laras Körper genau das zu sein, was er zu sein vorgebe: ein weiblicher Körper. Jedoch setze sie ihn zu Kampfzwecken ein und verhalte sich nicht stereotyp feminin.328 Sie stehe zum einen für eine phallische, widerspenstige Frau und den pornographischen Fetisch und fungiere zum anderen als eine Vertreterin der ästhetischen Kategorie des Schönen, die allerdings durch die aggressive, fetischisierte Haltung der Femme fatale angereichert sei.329 All das trifft auch auf Major Kusanagi zu, was sie in vielen Situationen zur Realisierung von Haraways Cyborg-Konzept werden lässt. Gunzenhäuser zufolge wird in Tomb Raider und vielen Filmen der 90er Jahre eine Frau als Kampfmaschine inszeniert und diese fordere dazu auf, sich mit ihrer Gewalttätigkeit und dem Einsatz phallischer Schusswaffen in starken Frauenhänden zu identifizieren. Hier gehe es ums Überleben in feindlichen Welten. Gunzenhäuser macht den Sprung zur Gegenwart und meint, um heute überleben zu können, sei Flexibilität in Bezug auf gender-Zuordnungen, Aggression und Schnelligkeit notwendig.330 Sie bezeichnet Figuren wie Lara Croft als einen ironischen Kommentar zur Fetischisierung des weiblichen Körpers. Diese lassen eine subversive Lesart zu.331 Deuber-Mankowsky ist hier anderer Meinung. Zwar ist eine Heldin wie Lara das Objekt männlichen und weiblichen Begehrens gleichermaßen, 326 Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 211. Yvonne Tasker: Spectacular Bodies: Gender, Genre and the Action Cinema. Warwick, Univ., Diss. 1995, S. 13. 328 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 211. 329 Vgl. ebd., S. 213. 330 Vgl. ebd., S. 217. 331 Vgl. ebd., S. 216. 327 72 doch zugleich sei sie „die Statthalterin der hierarchischen Geschlechterordnung mit all jenen Geschlechterbildern im Schlepptau, die von der feministischen Theorie seit mehr als dreißig Jahren entziffert und dekonstruiert werden“. 332 Figuren wie Lara unterstützen die Reduktion der Frauen auf ihren (weiblichen) Körper 333 und reproduzieren das Phänomen Frau = Körper334. Gunzenhäuser erläutert hierzu, dass die subjektkonstituierenden zeitgenössischen Texten und ganz die nah ironischen beieinander Lesarten liegen von und Körpern in im Einzelnen gegeneinander abzuwiegen sind. Im Zweifelsfall komme es darauf an, wer den Text rezipiere.335 Im Falle von Ghost in the Shell sind genau diese zwei Lesarten möglich: entweder man sieht Kusanagi als Parodie auf die (vor allem im Manga und Anime) vorgeführte Fetischisierung des Körpers oder aber wie Deuber-Mankowsky als Reduktion der Frau auf den Körper, was keinen subversiven Gestaltungsraum freilasse. Die Analyse relevanter Schlüsselszenen (in Kapitel 3.2.6) soll über das mögliche Subversionspotenzial mehr Klarheit verschaffen. 3.2.5.2 Der Puppet Master als fluide Existenzform in einer Post-Gender-Welt Der Puppet Master oder auch Projekt 2501 genannt, Spionageprogramm fungiert und besitzt als die Fähigkeit, sich mittels „ghost hacking“ in Gehirne einzuhacken und diese zu manipulieren. Er bezeichnet sich selbst nicht als künstliche Intelligenz, sondern Abbildung 10: Der Puppet Master in einem weiblich markierten Cyborg-Körper stellt sich folgendermaßen vor: „Ich bin eine lebende denkende Einheit, geschaffen im Meer von Informationen“.336 Er verlangt im Sinne einer sensitiven Lebensform nach politischem Asyl. Dieser Antrag wird von Seiten der Regierung jedoch vehement abgelehnt, da das Programm nur zur Selbsterhaltung programmiert wurde und somit keinen Beweis für seine Existenz 332 Deuber-Mankowsky, Lara Croft, S. 16. Vgl. ebd., S. 66. 334 Vgl. ebd., S. 92. 335 Vgl. Gunzenhäuser, Automaten – Roboter – Cyborgs, S. 216. 336 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 00:49:39. 333 73 als selbstständige Lebensform liefern könne. Daraufhin stellt der Puppet Master in einem Vortag die Sonderstellung der menschlichen Existenz in Frage: Man könnte auch behaupten, DNA sei lediglich ein Programm, das zur Selbsterhaltung entwickelt wurde. Das Leben ist durch die Informationsfülle wesentlich komplexer geworden. Wenn das Leben als Spezies organisiert auftritt, brauch es Gene, die sein Gedächtnissystem bilden. Der Mensch ist also lediglich wegen seines unfassbaren Gedächtnisses ein Individuum. Es lässt sich nicht definieren, aber es definiert die Menschheit. Das Aufkommen von Computern und die Akkumulation von ungeheuren Informationsmengen hat ein neues Erinnerungs- und Gedächtnissystem entstehen lassen, das parallel zu unserem existiert. Die Menschheit hat die Folgen der Computerisierung unterschätzt. […] Können Sie mir einen Beweis ihrer Existenz liefern? 337 Weder Wissenschaft noch Philosophie können erklären, was Leben ist. Der Puppet Master entlarvt in diesem Plädoyer, dass der Unterschied zwischen Mensch und Maschine nicht mehr haltbar ist. Das Thema der Erinnerung, als Vergewisserung über die eigene Existenz, wird in Ghost in the Shell weiter gesponnen als in Blade Runner und philosophisch exemplifiziert. An dieser Stelle wird darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Abgrenzung mehr zu den Maschinen gibt. Um es in Haraways Worten zu sagen: Die Grenze zwischen Organismus und Maschine ist durchlässig geworden. In ihrem Manifest heißt es: Die Maschinen des späten 20. Jahrhunderts haben die Differenz von natürlich und künstlich, Körper und Geist, selbstgelenkter und außengesteuerter Entwicklung sowie viele andere Unterscheidungen, die Organismen und Maschinen zu trennen vermochten, höchst zweideutig werden lassen. 338 Als fluide Existenzform stellt der Puppet Master die höchste Stufe der Cyborgisierung dar. Er benötigt keinen Körper und entzieht sich somit jeglicher Geschlechtlichkeit. In der oben erwähnten Szene befindet er sich in einem weiblich markierten CyborgKörper und spricht mit einer männlichen Stimme. In diesem Fall scheinen Körper und Geschlecht obsolet zu werden. Für Haraway stellt das eine Welt da, „in der niemand mehr seine Verbundenheit und Nähe zu Tieren und Maschinen zu fürchten braucht und niemand mehr vor dauerhaft partiellen Identitäten und widersprüchlichen Positionen zurückschrecken muß“ 339. Die Figur erweist sich als eine radikale Realisierung von Haraways Cyborg-Metapher, die jegliche dichotomen Strukturen hinfällig macht, welche, nach Haraway Sprache, Gender und imaginierte Macht hervorgebracht haben.340 Der Zweifel am Subversionspotential, wie er bei Kusanagi 337 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 00:48:24. Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 37. 339 Ebd., S. 40. 340 Vgl. ebd., S. 65. 338 74 aufkommt, erübrigt sich im Fall einer Existenz, die nicht an körperliche Konturen gebunden ist. Bolton meint, dass sich der Film zwischen Körper-Nostalgie und absoluter Loslösung desselben positioniert: „Oshii´s film seems to be divided between nostalgia for a firmly physical body, on one hand, and a desire to transcend that body and enter a world of pure data or language, on the other.“341 3.2.6 Der Tauchgang als Suche nach der eigenen Identität Motoko Kusanagi pflegt für ein mit mechanischen und elektronischen Teilen ausgestattetes Wesen ein sehr ungewöhnliches Hobby: das Tauchen. Das Tauchen und das Wasser spiegeln wortwörtlich die Suche nach ihrer eigenen Identität wider. Schumacher schreibt in diesem Zusammenhang wie folgt: Die ursprünglich dem Weiblichen zugeschriebene Metapher des Meeres und des Wassers, die für gewöhnlich mit einem Gleiten in die Alterität assoziiert wird und somit eine Bedrohung männlicher Subjektivität nahe legt, erscheint in umkodierter Form als Leitmotiv des Films und begleitet hier metaphorisch den neuen schrankenlosen Identitätsentwurf in den Weiten der Netzwerke.342 Kusanagi erahnt also, während sie schwerelos im Wasser gleitet, das Potential flüssiger Identitäten. Diese Szene erinnert auch an die anfangs gezeigte "Geburtsszene", in der sie in einer Art künstlichen Gebärmutter schwebt. Anschließend reflektiert sie in einem Gespräch mit ihrem Kollegen Batou über Menschlichkeit, beziehungsweise darüber was den Menschen ausmacht und welche Rolle ihr kybernetischer Körper dabei spielt, der nicht ihr selbst gehört: Menschlicher Körper und Geist setzen sich aus unzähligen Ingredienzen zusammen. All diese Komponenten machen mich zu einem Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit. […] Ich nehme Informationen auf und verarbeite sie auf meine Weise. Aus dem Zusammenwirken all dieser Vorgänge entsteht mein "Ich" und das Bewusstsein meiner Persönlichkeit. Ich fühle mich eingeengt. Ich kann mich nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen. 343 Aufgrund dessen, dass Kusanagis Körper, an den sie gebunden zu sein scheint, nicht ihr selbst gehört, kann sie die von Haraway angesprochenen Grenzen nicht überwinden. Sie erkennt während des Tauchgangs zwar die potentiellen Möglichkeiten ihres Cyborgwesens, kann sie aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausschöpfen. Wie bereits in Kapitel 3.2.5.1.2 erwähnt, sieht Schnellbächer in dieser 341 Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 731. Schumacher, Das Ich und der andere Körper, S. 182f. 343 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 00:42:09. 342 75 Szene nur passiven Widerstand, der ausschließlich in ihrem Inneren stattfindet. Gleichzeitig übt Kusanagi an anderer Stelle Kritik an Haraways Cyborg-Konzept. Nach Haraway suchen sich Cyborgs keine eindeutigen Identitäten und haben keine Ursprungsgeschichte. Kusanagi zweifelt daher an ihrer eigenen Existenz und fühlt sich verunsichert: […] Cyborgs wie ich neigen zu einer gewissen Paranoia, was ihren Ursprung angeht. Dann habe ich den Verdacht, ich bin nicht die, für die ich mich halte. Als wäre ich schon vor langer Zeit gestorben und jemand hätte nur mein Gehirn in diesen Körper gesteckt. 344 Vielleicht hat´s mich auch nie gegeben und ich bin völlig synthetisch wie dieses Ding. Am Ende des Dialogs auf dem Boot fragt Batou Kusanagi was sie da unten auf dem Meeresgrund zu sehen glaubt. Darauf antwortet sie mit fremder Stimme: „Was wir jetzt sehen, ist nur ein undeutliches Bild im Spiegel. Doch werden wir sehen, von Angesicht zu Angesicht.“345 Schnellbächer zufolge handelt es sich hier um ein Bibelzitat, genauer um den ersten Teil eines Verses des Hohelieds der Liebe. 346 Christliche Symbolik wird im Film mehrmals aufgegriffen, vor allem in der Verschmelzungsszene tritt diese verstärkt in Erscheinung. Wie bereits diverse Cyborgs in Blade Runner, erkennt Kusanagi, wenn auch deutlicher, das subversive Potential, das ihr inne wohnt. Während die Maschinenmenschen in Blade Runner vergeblich versuchen, ihren vermeintlichen Möglichkeiten als Cyborgs nachzugehen, gelingt es Kusanagi im Folgenden tatsächlich, ihre Grenzen zu sprengen und sich somit aus sämtlichen Dichotomien zu befreien. 344 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 00:31:42. Ebd., Time Code: 00:32:28. 346 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 86. 345 76 3.2.7 Die Verschmelzung von Puppet Master und Kusanagi als von der organischen Reproduktion entkoppelten Akt Nachdem Kusanagis Körper vom Spinnenpanzer fast zur Gänze auseinander gerissen wurde und Batou sie im letzten Moment retten konnte, möchte sie in den Ghost von Projekt 2501 eindringen, der in Abbildung 11: Die Vereinigung einem weiblich markierten Cyborg-Körper steckt und sich in dem geflüchteten Fahrzeug befindet. Batou ist Kusanagi behilflich und verbindet die beiden nebeneinanderliegenden weiblichen Torsi miteinander. Diese liegen in einem kathedralenartigen Gebäude, welches, Schumacher zufolge, das Zentrum eines spirituellen Geburtsortes des "neuen" Menschen bildet und in dem ein großer biologischer Stammbaum an Stelle eines, in der christlichen Kirche sonst anzutreffendes Kruzifix oder Madonnengemälde zu finden ist. 347 Schumacher sieht in dem von Maschinengewehren zerschossenen Stammbaum einen blasphemischen Akt, welcher „gegen den ‚Wahrheitsdiskurs‘ der Biologie interpretiert werden kann“348. Kusanagi und Puppet Master dringen beide ineinander ein, was unmissverständlich sexuell konnotiert ist, und tauschen gemäß flüssiger Identitäten die Körper. Schnellbächer stellt fest, dass es sich hier um eine erotische Liebesszene handelt, welche sich gleichermaßen auf einer spirituellen, sinnlichen und einer reproduktiven Ebene abspiele.349 Im Folgenden spielt sich ein Dialog zwischen den beiden ab, in dem der Puppet Master äußert, sich als intelligente Lebensform zu verstehen, Gefühle zu haben und seine eigene Existenz zu erkennen. Dennoch fühlt er sich unvollkommen. Gemäß lebenden Organismen möchte er sich reproduzieren können und Sterblichkeit erlangen. Den Vorschlag von Kusanagi, sich einfach zu kopieren, weist er vehement zurück, weil eine Kopie nur ein identisches Abbild sei und nicht die Möglichkeit von Vielfalt und Originalität biete. Er hat deshalb folgendes Anliegen: Ich will, dass wir miteinander verschmelzen. […] Eine Vereinigung, eine vollständige Verbindung unserer beiden Wesen, um neue einzigartige Einheiten zu erschaffen. […] 347 Vgl. Schumacher, Das Ich und der andere Körper, S. 185. Ebd., S. 185. 349 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 76. 348 77 Bisher waren wir unseren Beschränkungen unterworfen. Nun ist die Zeit angebrochen, diese Fesseln abzuwerfen und zu einer höheren Stufe des Bewusstseins aufzusteigen. 350 Es ist an der Zeit, Teil des Ganzen zu werden. Kusanagi zeigt sich jedoch skeptisch und fragt, warum er gerade sie ausgewählt habe. Darauf antwortet das Programm: „Weil wir einander ähnlicher sind, als Ihnen bewusst ist. Wir gleichen uns in unserer Essenz, unsere Psychen stehen zueinander wie Spiegelbilder“.351 An dieser Stelle wird, so Schnellbächer, das Bild der Spiegelmetapher aus dem Korintherbrief aufgegriffen.352 Ornella zufolge werden in Animes des Öfteren religiöse Symbole aus diversen Religionen verwendet. Dies könne in einer vernetzten Welt als Folge der Globalisierung gesehen werden. 353 Kusanagi scheint schließlich einzuwilligen, auch wenn sie dabei äußerst passiv bleibt und nicht klar ist, ob sie die Vereinigung wirklich möchte. Ornella betont, dass Kusanagi durchaus stereotype Rollenzuordnungen durchbricht, andererseits falle sie jedoch wieder in diese zurück, indem sie von der männlichen Stimme auf ihre weibliche Rolle hingewiesen werde. 354 Der Autor meint an anderer Stelle aber, dass die Verschmelzung vielleicht nicht ganz freiwillig geschieht, es jedoch Kusanagis eigener Wille ist, ihre explizit gesetzten Grenzen zu überwinden. 355 Mit dieser Verschmelzung findet ein von der biologischen Reproduktion entkoppelter Akt statt, den Haraway als „Cyborg-Sex“ bezeichnet356. Kusanagi ist es nun möglich, die von Haraway beschriebenen Grenzen zu sprengen. Diese Szene kann als Umsetzung von Haraways Cyborg-Konzept verstanden werden. In ihrem Manifest heißt es: „Mein Cyborgmythos handelt also von überschrittenen Grenzen, machtvollen Verschmelzungen und gefährlichen Möglichkeiten […]“.357 3.2.8 Ein neuartiges unabhängiges Subjekt und der Cyborg in uns Beide Körper werden von Scharfschützen vollkommen zerstört. Batou gelingt es, Kusanagis zentrales Nervensystem in Sicherheit zu bringen und es in einen neuen 350 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 01:10:34. Ebd., Time Code: 01:12:24. 352 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 87. 353 Vgl. Ornella, Das vernetzte Subjekt, S. 151. 354 Vgl. Ornella, Das vernetzte Subjekt, S. 129. 355 Vgl. ebd., S. 156. 356 Vgl. Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 34. 357 Ebd., S. 39. 351 78 prothetischen Körper zu integrieren. Das Produkt davon ist ein junges Mädchen, deren Körper Batou, nach eigener Angabe, auf dem Schwarzmarkt erworben hat. Mit dieser Aussage weist Batou, Schumacher zufolge, auf die Irrelevanz und Austauschbarkeit des Körpers hin.358 Kusanagi fragt Batou, ob er sich daran erinnern könne, was sie zu ihm auf dem Boot mit fremder Stimme gesagt habe. Sie meint, dass sie es nun verstehe und auch die Worte kenne, die ihr noch fehlten. Wie oben bereits erwähnt, handelte es sich bei dem Vers um einen Teil des Hohelieds der Liebe, welches laut Schumacher etwas verändert von Kusanagi fortgesetzt wird: 359 Als ich ein Kind war, waren meine Worte, Gedanken und Gefühle die eines Kindes. Jetzt bin ich erwachsen und kindliche Weisen sind mir fern. Heute kann ich die Worte ohne Hilfe mit meiner eigenen Stimme aussprechen. Denn heute bin ich weder Frau, die als 360 Major bekannt war, noch das Programm, das einmal Puppet Master hieß. Das Produkt dieser Fusion ist auf den ersten Blick ein neues unabhängiges Subjekt, welches jene Schranken durchbrochen hat, die es zu überwinden galt. Schnellbächer schreibt, dass es sich hier um eine neuartige Lebensform handelt, welchem sein Eigenleben zu gönnen und welches zu respektieren sei.361 Auch Bolton beschreibt Kusanagi als emanzipiertes Lebewesen: […] „this final scene also represents her as an independent subject. She is independent in the sense both of being self-sufficient and of being free. She is whole, but she retains an openness that allows her to define herself. Not closed, she is nevertheless complete.“362 Endlich scheint ihr gelungen zu sein, was Haraways Cyborg ausmacht. Im Sinne Haraways kann sie als „eine Art zerlegtes und neu zusammengesetztes, postmodernes kollektives und individuelles Selbst“363 betrachtet werden. Jedoch bleibt hier die Frage offen, warum diese neuartige Lebensform gerade an jene Körperlichkeit gebunden bleibt, die sie zuvor so massiv eingeschränkt hat. Schumacher zufolge liegt der Utopie des Films absolute Körperlosigkeit zugrunde. Der Filmtitel verweise auf eine grundlegende Beschränkung, welche im Laufe der Handlung zu überwinden sei. Demnach muss, so der Autor weiter, der "Ghost" die "Shell" verlassen, die den Menschen zerbrechlich macht und ihn von der Unsterblichkeit trennt. Das Paradoxe daran sei, 358 Vgl. Schumacher, Das Ich und der andere Körper, S. 186f. Vgl. ebd., S. 186. 360 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 01:16:40. 361 Vgl. Schnellbächer, Mensch und Gesellschaft, S. 87. 362 Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 765. 363 Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 51. 359 79 dass wir am Ende des Films wieder einen Körper sehen. 364 Auch Ornella schreibt, dass es sich hier um ein Dilemma handelt, denn einerseits wird das Körperliche radikal in Frage gestellt und andererseits ist das Produkt der Verschmelzung erst wieder an das Materielle gebunden.365 Wie in Kapitel 2.4.1 bereits erwähnt, schafft es Science Fiction, Dinge darzustellen, die es eigentlich (noch) nicht gibt, beziehungsweise, die nicht darstellbar sind. Am Ende von Ghost in the Shell tritt die Cyborg aus dem Haus und sagt: „Und wohin geht die neugeborene Frau als Nächstes? Das Net ist weit und unendlich.“ 366 Wie Schumacher richtig feststellt, richtet sich die Kamera auf kein virtuelles Netzwerk, sondern auf die Skyline einer "wirklichen" Welt.367 Dies könnte auf die begrenzten Möglichkeiten hinweisen, denen wir aktuell (noch) unterliegen. Die Sprengung der Grenzen und die vollkommene Loslösung vom Körper ist im Moment noch reine Utopie. Doch was Oshii zeigt, ist dass Körperlichkeit beliebig sein kann und um es mit Haraway Worten zu sagen: […] den Status von Mann oder Frau, Mensch, Artefakt, Rassenzugehörigkeit, individueller Identität oder Körper sehr fragwürdig erscheinen lassen.“ 368 Kusanagi konnte sich zwar nicht von der Körperlichkeit an sich befreien, dennoch gelingt es ihr als neuartiges und unabhängiges Subjekt, welches von niemandem beherrscht wird, hervorzugehen. Des Weiteren steckt sie nun in einem voll angekleideten Körper eines Kindes, was es ihr ermöglicht, sich dem voyeuristischen männlichen Blick, der zuvor auf ihren fetischisierenden Körper gerichtet war, vollkommen zu entziehen. Bolton stellt außerdem fest, dass der Film die Zuseher_innen auch selbst zu Cyborgs werden lässt: „Every moment that we watch the artificial bodies of Oshii´s celluloid cyborgs, the technologies of reproduction implicate us in the loop or the network of high-tech representation that is turning us into cyborgs ourselves.“ 369 Wenn wir also davon ausgehen, dass nicht nur die Figuren zu Cyborgs werden, sondern auch die Zuseher_innen zu Cyborgs mutieren, ist Cyborg-Metapher, wie bereits in Kapitel 2.2.1 besprochen, doppelt zu lesen. Demnach sind die Zuschauer_innen in ihrem Körper nicht mehr ganz zuhause und das den Medien zugesprochene subjektkonstituierende und gleichzeitig subversive Potential kann sich zur Gänze entfalten. Der Film erinnert uns daran, dass wir, ganz im Sinne Haraways schon alle 364 Vgl. Schumacher, Das Ich und der andere Körper, S. 187. Vgl. Ornella, Das vernetzte Subjekt, S. 156. 366 Oshii, Ghost in the Shell, Time Code: 01:17:20. 367 Vgl. Schumacher, Das Ich und der andere Körper, S. 187. 368 Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 68. 369 Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 767. 365 80 längst Cyborgs sind, denn wir haben „uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt“ 370. 3.2.9 Donna Haraway in Ghost in the Shell 2 Dass sich Haraways Cyborg-Konzept in Ghost in the Shell finden lässt, scheint kein Zufall zu sein. Ein Indiz dafür, dass Haraway Cyborg-Mythos für Oshii tatsächlich eine tragende Rolle spielt, ist ihr Aufritt in Ghost in the Shell 2371 in einer Szene zu Beginn des Films. Der zweite Teil knüpft direkt an den ersten an und rollt den gesamten Mensch-Maschinen-Diskurs philosophisch auf. Sie wird als Wissenschaftlerin ausgewiesen und untersucht in einem Labor beschädigte CyborgKörper. Mit zwei Agenten von Sektion 9 diskutiert sie über den Unterschied von Mensch und Maschine und die ethischen Probleme, die sich aus den brüchig gewordenen Grenzen ergeben. Dass am Ende der Szene ihre mechanischen Körperteile zum Vorschein kommen und sie somit als Cyborg ausgewiesen wird, mag in diesem Kontext wenig überraschen. 370 371 Haraway, Ein Manifest für Cyborgs, S. 34. Mamoru Oshii: Ghost in the Shell 2 - Innocence. Japan: 2004. 81 4 Zusammenfassung Ich bin ein Neutrum mit Bedeutung Monstrosität mit Recht Ich beginne mit meiner Häutung In ein anderes Geschlecht (Tocotronic, Neutrum) Die vorliegende Abschlussarbeit untersuchte Maschinenmenschen in den Filmen Blade Runner und Ghost in the Shell im gendertheoretischen Kontext. Dabei stand die Frage nach dem subversiven Potential, welches Cyborgs, Donna Haraway zufolge, in sich tragen, im Vordergrund. Der Fokus der Analyse lag darauf zu ermitteln ob der widerständige Körper eine tragende Rolle spielt oder nur unterschwellig zum Einsatz kommt und von heterosexuellen Begehrens- und Machtstrukturen überschattet wird. Hier galt es mögliche subversive Potentiale herauszuarbeiten oder heteronormative Machtstrukturen als solche zu entlarven. Als Ausgangspunkt der Überlegungen dienten theoretische Körper- und Medienkonzepte. Als Grundlage für den darauffolgenden Analyseteil fungierte Haraways "Cyborg Manifesto", auf das im Laufe der Arbeit immer wieder zurückgegriffen wurde. Blade Runner repräsentiert den "klassischen" Science Fiction-Film und hat inzwischen Kultstatus erlangt. Kernthema des Films ist das Brüchigwerden der Grenzen zwischen Menschen und Maschinen. Die Menschen im Film deuten dies als potentielle Bedrohung, die mit der Angst eines Kontrollverlustes verbunden ist. Zum einen geht es um die Furcht, die Kontrolle über die von den Menschen erschaffenen Maschinen zu verlieren und zum anderen geht es um den Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper, dessen Konturen die Identität des Menschen darstellen. Die Autonomisierung der Maschinenmenschen wird als Albtraum für die Menschheit skizziert und knüpft somit motivgeschichtlich an diverse Traditionen von künstlichen Menschen an, welche bis in die Antike zurückreichen. Die Analyse hat ergeben, dass die Grenzen zwischen Mensch und Maschine weitgehend porös werden. Maschinenmenschen sind nicht mehr von "natürlichen" Menschen zu unterscheiden, was im Film deshalb viele ethische Fragen aufwirft. Der Körper an sich wird als gesellschaftliche Konstruktion entlarvt und entpuppt sich somit, im Sinne Butlers, als 82 ein Effekt hegemonialer Strukturen. Allerdings tut der Film alles dafür, das heterosexuelle Geschlechterverhältnis aufrechtzuerhalten. Die Cyborgs bleiben in Blade Runner an menschliche Konturen gebunden und sind deutlich durch ein Geschlecht markiert. Die optische Darstellung der "künstlichen" Körper basiert auf der Vorstellung von weiblichen und männlichen Idealbildern. Interessant ist, dass alle weiblichen Charaktere als Replikantinnen und somit als "künstlich" ausgewiesen werden. Maschinenstatus und Weiblichkeit fallen hier als das "Andere" und das "Fremde" zusammen. Die Untersuchung ergab, dass alle drei weiblichen Cyborgs ein stereotypes Rollenbild vertreten, welches sie zwar immer wieder zu durchbrechen versuchen, was ihnen aber nicht gelingt. Rachael weist, wie auch Pris und Zhora, Eigenschaften der Femme fatale auf, deren ambivalente Wesenszüge an Cyborgs erinnern lassen. Ihr wird jedoch kein subversiver Spielraum zugesprochen, da die Femme fatale nicht nur dem Mann Verderben bringt, sondern auch sich selbst. Ganz in der Tradition dieses Weiblichkeitstypus sind die Handlungsspielräume von Rachael, Pris und Zhora vorgegeben und fremdbestimmt. Rachael weist zu Beginn des Films durchaus Widerstandspotential auf, welches sie jedoch im Laufe der Handlung immer mehr verliert. Ihr Körper wird von einem widerständigen zu einem disziplinierten. Auch Zhora wird durch ihre Sinnlichkeit und erotischen Reize vorübergehend Handlungsmacht gewährt, welche ihr durch ihre Tötung genommen wird. Pris gibt sich zu Beginn ebenso widerständig, ihr Aufbegehren muss sie jedoch ebenfalls mit dem Tod bezahlen. Alle drei Figuren versuchen sich den subversiven Spielraum zu nehmen, der ihnen als Cyborgs zusteht. Sie scheitern bei dieser Unternehmung allerdings kläglich und müssen sich den vorherrschenden, heterosexuellen Machtstrukturen vollkommen unterwerfen. Interessant ist die Tatsache, dass es im Film, anders als bei den weiblichen Figuren, nicht nur männlich markierte Replikanten, sondern auch männlich markierte Menschen gibt. Dies hebt die Gleichsetzung von Mann/Mensch und Frau/Maschine als "natürliche Tatsache" nochmals hervor. Roy Batty wird stark idealisiert darstellt, steckt in einem muskulösen männlichen Körper und hat ein markantes Gesicht. Diese idealisierte Darstellung und seine Taten machen ihn im Laufe des Films nicht nur menschlicher als den Menschen, sondern auch männlicher als den Mann. Der Blade Runner Rick Deckard verfügt als vermeintlicher Mensch Macht über den Raum, diverse Technologien und die Maschinenmenschen. Macht und Sehen sind im Film ein Privileg des Mannes und erfüllen hauptsächlich voyeuristische Funktionen. Der 83 Phallus bleibt in der Hand des Mannes. Die Figuren sind alle bemüht aus den vorherrschenden Verhältnissen auszubrechen, werden aber immer wieder auf ihren Platz innerhalb der heterosexuellen Matrix zurückverwiesen. Das den Cyborgs zugesprochene subversive Potential wird im Film zwar an vielen Stellen angedeutet, jedoch nicht umgesetzt und ausgeschöpft. Der Science Fiction-Anime Ghost in the Shell wird Haraways Cyborg-Konzept weitaus gerechter als Blade Runner. Im Mittelpunkt des Films steht die Suche der Protagonistin Motoko Kusanagi nach ihrer (Cyborg-)Identität. Es geht um die Sprengung alter Grenzen und um neue Identitätsentwürfe. Cyborgs sind fixe Glieder der Gesellschaft und werden nicht mehr, wie in Blade Runner, als Bedrohung wahrgenommen. Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sind längst durchbrochen und müssen nicht mehr diskutiert werden. Jedoch sind die Körper der Cyborgs und deren Cyberbrains im Besitz der Regierung und werden vom Menschen als Waffe eingesetzt. Sie sind Subjekte, die nicht sich selbst gehören. Das Informationsnetzwerk durchdringt inzwischen Körper und Geist, sowohl den rein menschlichen als auch den kybernetischen Körper. Der Film zeigt sich diesbezüglich aber ambivalent, wenn etwa die gefeierte Technologie zum Albtraum für die Freiheit des Menschen wird. Die digitale Vernetzung kann nicht nur befreien, sondern auch neue Abhängigkeiten schaffen, welche für das Individuum schwer zu durchbrechen sind. Auch in Ghost in the Shell basiert die Darstellung der "künstlichen" Körper auf der Vorstellung von männlichen und weiblichen Idealbildern. Gemäß dem Genre zeigt sich Kusanagi in einem stark weiblich betonten und vor allem fetischisierenden Körper, bei dem die großen Brüste während des gesamten Films exponiert werden. Im Gegensatz dazu weist sie jedoch kein stereotypes weibliches Verhalten auf. Ihr Körper repräsentiert eine materiell gewordene Männerfantasie, wie sie auch bei Lara Croft zu finden ist. Figuren wie Croft werden vorgeworfen, die Frau vollkommen auf ihren Körper zu reduzieren. Demnach ist hier kein Raum für Widerstandspotentiale offen. Kusanagi gelingt es jedoch, die ihr gesetzten Grenzen zu sprengen. Gemeinsam mit dem Puppet Master geht sie eine Fusion ein, die aufzeigt, dass sexuelle Fortpflanzung nur noch eine Reproduktionsstrategie unter vielen ist. Der Puppet Master stellt als fluide Existenzform, welche an keinen Körper gebunden ist, die höchste Form der Cyborgisierung dar und lässt somit Geschlecht und Körper obsolet werden. Die Figur kann als eine radikale Realisierung von Haraways Cyborg84 Metapher gelesen werden, die sämtliche Dichotomien hinfällig macht, die nach Haraway beispielsweise Gender, Sprache und Macht hervorbringen. Als fluide Existenzform in einer Post-Gender-Welt könnte der Puppet Master widerständiger nicht sein. Dennoch sehnt er sich nach Sterblichkeit und Ursprung. Er möchte sich reproduzieren, anstatt nur zu kopieren und fühlt sich unvollständig. Dies zeigt das Dilemma, in dem sich Cyborgs befinden, auf. Sie sind Grenzwesen ohne Ursprung und Heimat. Das Produkt der Verschmelzung von Kusanagi und dem Puppet Master ist ein junges Mädchen, was die Frage offen lässt, warum es gerade an jene Körperlichkeit gebunden ist, die es zuvor so enorm eingeschränkt hat. Die Schlussszene, in der man die Skyline einer großen Stadt anstelle eines von Kusanagi angedeuteten virtuellen Netzwerks sieht, lässt sich als ein Hinweis darauf verstehen, dass körperlose Identitäten und die Sprengung aller Grenzen im Moment noch reine Utopie sind. Dennoch weist Oshii auf die Irrelevanz des Körpers hin, was Kategorien wie beispielsweise Rassenzugehörigkeit, Geschlecht oder gar Mensch höchst fragwürdig erscheinen lassen. Es ist Kusanagi zwar nicht möglich sich von ihrer Körperlichkeit zu befreien, trotzdem geht sie als neuartiges, unabhängiges Subjekt aus der Verschmelzung hervor, das nur sich selbst gehört. Darüber hinaus gelingt es ihr sich dem voyeuristischen männlichen Blick zu entziehen, indem sie sich nun in einem vollständig angekleideten Körper eines Kindes befindet. Allein schon die Ambivalenz von Geschlechtlichkeit und Körperlichkeit birgt subversives Potential in sich. Mit dieser Darstellung einer Cyborg können patriarchale Bilder, welche an zahllosen Dualismen orientiert sind, unterlaufen werden. Mit der Verschmelzung als von der Reproduktion entkoppelten Akt kann sie auch die letzten Grenzen, die ihr den Weg zu Haraways Cyborg versperrten, sprengen. Im Übrigen machen nicht nur die Figuren eine Cyborgisierung durch, sondern auch die Zuseher_innen mutieren, laut Bolton, zu Cyborgs.372 Wie in Kapitel 2.2.1 diskutiert, ist die Cyborg-Metapher also doppelt zu lesen: Das Zuseher_innnensubjekt ist in seinem Körper nicht mehr ganz daheim, was es dem subjektkonstituierenden und zugleich subversiven Potential möglich macht, sich zur Gänze zu entfalten. Die widerständigen CyborgFiguren zeigen auf, wie unsicher Körperkonzepte sind und dass sich diese verändern können. Sie bieten ein Drittes in einer Welt, in der es nur zwei Geschlechter zu geben scheint und stiften dadurch Verwirrung. Abschließend soll noch einmal betont 372 Vgl. Bolton, From Wooden Cyborgs to Celluloid Souls, S. 767. 85 werden, dass Ghost in the Shell uns daran erinnert, dass wir schon alle schon längst Cyborgs sind, hybride Wesen zwischen technologischer Realität. 86 medial vermittelter Fiktion und 5 Quellenverzeichnisse 5.1 Literaturverzeichnis Primärliteratur: Dick, Philip K.: Blade Runner. 8. Aufl. München: Wilhelm Heyne Verlag 2012, 269 S. Sekundärliteratur: Angerer, Marie-Luise: body options. körper.spuren.medien.bilder. Wien: Turia und Kant 1999. (= Cultural Studies Bd. 1.) S. 26-174. Arnold-de Simine, Silke: Ich erinnere, also bin ich? Maschinen – Menschen und Gedächtnismedien in Ridley Scotts Blade Runner (1982/1992). In: Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Hrsg. von Eva Kormann u.a. Amsterdam – New York: Rodopi 2006. (= Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik Bd. 59.) S. 225-241. Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. München: Beck 2006, S. 24. 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Abb. 3: Zhora: http://www.filmstarts.de/kritiken/35801-BladeRunner/bilder/?cmediafile=18902077 [06.05.2013]. Abb. 4: Pris: http://www.filmstarts.de/kritiken/35801-BladeRunner/bilder/?cmediafile=18902074 [06.05.2013]. Abb. 5: Roy Batty: http://www.filmstarts.de/kritiken/35801-BladeRunner/bilder/?cmediafile=18902209 [06.05.2013]. Abb. 6: Rick Deckard: http://www.filmstarts.de/kritiken/35801-BladeRunner/bilder/?cmediafile=18902210 [06.05.2013]. Abb. 7: Die fiktive Stadt: http://www.filmstarts.de/kritiken/37331-Ghost-In-TheShell/bilder/?cmediafile=19021884 [13.05.2013]. Abb. 8: Major Motoko Kusanagi: http://www.filmstarts.de/kritiken/37331-Ghost-InThe-Shell/bilder/?cmediafile=19021886 [20.05.2013]. Abb. 9: Lara Croft 1998: http://raidersblog.wordpress.com/tomb-raider-3-3-gold/ [21.05.2013]. Abb. 10: Der Puppet Master in einem weiblich markierten Cyborg-Körper: http://surrogate-self.com/post/1207826378/the-ultimate-cyberpunk [22.05.2013]. Abb. 11: Die Vereinigung: http://projekt-2501.blogspot.co.at/2008/03/ghost-in-shelldie-rechtferigung-der-ki.html [02.06.2013]. 92