Burning Vulva, Vulvodynie, vulväres Vestibulitis-Syndrom
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Burning Vulva, Vulvodynie, vulväres Vestibulitis-Syndrom
DIAGNOSTIK + THERAPIE KRANKHEITSBILDER Burning Vulva, Vulvodynie, vulväres Vestibulitis-Syndrom Eine Qual für betroffene Frauen Werner Mendling Das vulväre Vestibulitis-Syndrom ist gekennzeichnet durch Schmerzen – Brennen, Stechen, Reizung, Wundsein – und starke Empfindlichkeit bzw. Überempfindlichkeit im Introitus vaginae, so dass eine vaginale Penetration jeder Art nicht schmerzfrei möglich oder sogar unmöglich ist. Es ist dringend nötig, dass dieses lästige Krankheitsbild in den Praxen aller Frauenärztinnen und Frauenärzte bekannt wird, damit den Patientinnen besser geholfen werden kann. Die Symptome persistieren beim vulvären Vestibulitis-Syndrom für mindestens drei Monate. Oft, aber nicht immer, besteht nach Berührung eine Rötung, die typischerweise fleck- oder halbmondförmig an der hinteren Kommissur zu finden ist. Die Patientin reagiert in dieser Region schon bei Berührung mit einem Wattetupfer mit Schmerzäußerungen (Cotton Swab Test). Die Erkrankung scheint nur bei Weißen vorzukommen. Für den oben beschriebenen Symptomkomplex hat die International Society for the Study of Vulvovaginal Diseases (ISSVD) (7, 17) die Bezeichnung „vulväres Vestibulitis-Syndrom“ festgelegt. Marylynne McKay (17), die in den 80er Jahren sehr intensiv zu diesem Thema publizierte, führte auch den Begriff „Vulvodynie“ ein. Analog gibt es ähnliche Schmerzzustände im Mund oder After (Glossodynie, Proktodynie) (27). Mit dem seit 1975 gebrauchten Begriff „Burning Vulva-Syndrom“ wird die Problematik ebenfalls plastisch umrissen. Häufigkeit unklar Es gibt keine klaren Zahlen über die Häufigkeit des vulvären VestibulitisSyndroms. Vermutlich leiden etwa 5% der Frauen darunter (9). Einer ame- 314 FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 rikanischen Studie zufolge beträgt die kumulative Häufigkeit der chronischen vulvären Schmerzen bis zu 16% (11). Das Krankheitsbild wurde im gynäkologischen Schrifttum außer im eigenen Lehrbuch (15) kaum erwähnt bzw. ausführlich beschrieben. Allerdings ist es bereits vor mehr als 100 Jahren von Skene (24) exakt beschrieben worden. Stefan Gerber aus der Frauenklinik der Universität Lausanne (9) berichtet, dass nach den Ergebnissen einer Medien-Abfrage seit 1966 nur 182 Artikel darüber publiziert wurden, davon mehr als die Hälfte erst nach 1999. Allerdings haben die geplagten Frauen etwa 200.000 Seiten im Internet dazu geschrieben. Fehl- und Differenzialdiagnosen McKay (16) empfahl die Unterscheidung in vulväre Dermatosen, zyklische Vulvitis, vulväre Papillomatose, vulväre Vestibulitis und essenzielle Vulvodynie. Die drei erstgenannten Erkrankungsgruppen haben nichts mit dem vulvären Vestibulitis-Syndrom zu tun. Zu den vulvären Dermatosen gehören z.B. die Kontaktdermatitis, der Lichen chronicus simplex, der Lichen ruber planus und der Lichen sclerosus. Zur zyklischen Vulvitis zählte McKay Kandida-assoziierte zyklisch wiederkehrende Beschwerden, also chronisch rezidivierende Vaginalkandidosen (die aus eigener Sicht häufigste Zweitoder Fehldiagnose). Die vulväre Papillomatose ist eine Normvariante. Allerdings können die Papillen, die auch als Hirsuties (papillenartige haarförmige Epithelfortsätze) bezeichnet werden, bei verschiedenen inflammatorischen Bedingungen prominenter hervortreten bzw. ödematös sein und dann zur klinischen Fehldiagnose einer HPV-Infektion führen. Bei der essenziellen Vulvodynie bestehen klinisch keinerlei Auffälligkeiten. Die Frauen sind oft postmenopausal und klagen über konstantes Brennen der Vulva, das an eine Post-Zoster-Neuralgie bzw. die Glossodynie (Burning Tongue Syndrome) erinnert. Diese auch als Pudendusneuralgie bezeichnete Erkrankung wird wahrscheinlich von Seiten des sympathischen Nervensystems ausgelöst und kann in die großen Schamlippen und in den Damm ausstrahlen. Die Beschwerden sollen weniger stark ausgeprägt sein als bei der vulvären Vestibulitis und sind häufig einseitig lokalisiert. Charakteristischerweise tritt der Schmerz vor allem im Sitzen auf und zwingt die Patientin zu stehender Haltung, worauf sie eine Linderung verspürt (12). Keine psychischen Ursachen Mit großer Wahrscheinlichkeit liegen der vulvären Vestibulitis keine psy- Friedrich hatte innerhalb von drei Jahren 86 Frauen gesehen, die unter dem Vestibulitis-Syndrom litten. Sie waren im Mittel 37 Jahre alt (18–77), 65% waren im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, etwa die Hälfte gab irgendwelche Allergien an, etwa zwei Drittel der Frauen litten an schweren und rezidivierenden Vulvovaginalkandidosen (7). Genetische und immunologische Kofaktoren Ein interessanter moderner Ansatz zur Charakterisierung von Frauen mit vulvärem Vestibulitis-Syndrom stammt aus Untersuchungen der Arbeitsgruppe um den Immunologen Steven Witkin und den „Vater“ der amerikanischen gynäkologischen Infektiologie William Ledger von der Cornell University New York, die sie zusammen mit Stefan Gerber aus Lausanne durchführten (28). Die Autoren gaben 162 Frauen mit strikt definiertem vulvärem Vestibulitis-Syndrom Fragebögen, entnah- men eine Probe aus der Mundhöhle zur Analyse von Genveränderungen des Leukin-1-Rezeptor-Antagonisten und führten außerdem vaginale und vestibuläre mikrobielle Untersuchungen durch. 42,6% der Patientinnen berichteten über rezidivierende vulvovaginale Kandida-Infektionen. Bei 20,4% der Patientinnen hatten die Symptome bereits mit dem ersten Koitus begonnen. Frauen mit primärem Vestibulitis-Syndrom waren bei Beginn der Symptome statistisch signifikant jünger und waren nie schwanger. Frauen mit rezidivierender Kandida-Vulvovaginitis hatten statistisch signifikant häufiger vestibuläre Schmerzen, Ausfluss und Dysurie. 25,9% der Patientinnen wiesen den 2,2-Genotyp des homozygoten Interleukin-1-Rezeptor-Antagonisten auf und hatten einen statistisch signifikant früheren Beginn der Erkrankung als Frauen mit dem Allel 1. Außerdem hatten sie eine kürzere Dauer der Symptome und eine höhere Frequenz von Allergien. All diese Befunde sprechen also für genetische Kofaktoren des vulvären Vestibulitis-Syndroms. Außerdem wurde inzwischen festgestellt, dass ein erheblicher Anteil der Frauen mit vulvärem Vestibulitis-Syndrom auf Sperma sensibilisiert ist, was mit positiven Titern von antiseminalem Immunglobolin E bewiesen wurde (1). Die gleiche Arbeitsgruppe fand, dass Frauen mit vulvärem Vestibulitis-Syndrom häufiger einen Mangel an Mannose bindendem Lektin aufwiesen (2). Dieses Lektin spielt im Immunsystem eine wichtige Rolle bei der Abwehr von Mikroorganismen. Die frühere Annahme, die Ausscheidung von Oxalaten über den Urin verursache das Brennen an der Vulva, ist durch eine prospektive Untersuchung ausgeräumt worden (3). Gesteigerte Innervation des Vestibulums Als gesichert gilt eine gesteigerte Innervation des vulvären Vestibulums (25). Eine pathogenetische Bedeutung von Kandida oder humanen Pa- pillomviren konnte in kontrollierten Studien ausgeschlossen werden (4). Außerdem wurde in immunologischen Studien bei Vestibulitis-Patientinnen und entsprechenden Kontrollen eine verminderte Funktion der natürlichen Killerzellen und eine verminderte Reaktion auf Interferon gamma sowie eine gestörte Regulation der proinflammatorischen Immunantwort gefunden (8, 14). Eine typische Anamnese Die 31-jährige Patientin verspürte im Mai 2005 nach eigenen Angaben die typischen Symptome einer Kandidavaginitis und wurde mit einem lokalen Antimykotikum behandelt. Danach habe der Juckreiz nicht aufgehört, es habe zudem auch noch zunehmend Brennen im Introitus gegeben. Sie sei daraufhin nach bakteriologischen Abstrichen mal antibiotisch wegen des Nachweises verschiedener Bakterien und mal antimykotisch wegen des Verdachts auf Vaginalmykose behandelt worden. Eigentlich habe es seitdem über etwa zwei Jahre fast nie eine Zeit ohne Lokalbehandlung mit irgendetwas gegeben. Das Spektrum umfasst praktisch alle Vaginaltherapeutika einschließlich lokaler Kortikoide und oraler Antibiotika. Sie könne keinen Tampon mehr einführen, und Sex sei unmöglich geworden, da es dabei oder kurz danach für Stunden brenne wie Feuer. DIAGNOSTIK + THERAPIE chischen Ursachen zugrunde, obwohl die Patientinnen verständlicherweise psychisch sehr traumatisiert sein können, nachdem sie Monate bis Jahre unter den Symptomen leiden. Während mit bloßem Auge gelegentlich nur wenig Rötung erkennbar ist, findet man nach Essigsäurebehandlung und unter Kolposkopie oft eine mit der Schmerzsymptomatologie korrespondierende essigweiße Reaktion halbmondförmig im Bereich der hinteren Kommissur. Diese Gegend ist histologisch durch Akanthose, Koilozytose, Rundzellinfiltration und vaskuläre Dilatation gekennzeichnet (20). Der dominierende Zelltyp sind in 60–70% der Fälle Lymphozyten und in 75% auch Plasmazellen sowie Mastzellen. Eosinophile sind extrem selten zu finden. Die kleinen vestibulären Drüsen sind nicht direkt entzündet, erfahren aber eine squamöse Metaplasie. Das inflammatorische Infiltrat ist unspezifisch und lässt keine Rückschlüsse auf die Ursache zu (18). In der eigenen Sprechstunde für gynäkologische Infektionen in Berlin berichten die Patientinnen oft, dass sie schon im Vorzimmer ihres Gynäkologen mit den Worten „Ach, Sie schon wieder“ begrüßt und ohne weitere Untersuchung erneut mit einem Antimykotikum versorgt werden. Oft behandeln sie sich selbst mit verschiedenen Mitteln. Andere gehen zum Heilpraktiker und versuchen es mit Akazienhonig und Sahne, mit chinesischer Medizin, mit Homöopathie, mit diversen Arztwechseln. Bisherige Therapieversuche Um die Symptomatik zu beherrschen, wurden bereits Lokalanästhetika, lo- FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 315 DIAGNOSTIK + THERAPIE kale Östrogene oder Kortikoide, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, Injektionen mit Clonidin (Alpharezeptoren-Stimulation) in den die Vulva versorgenden Periduralraum sowie die Blockade symphatischer präganglionärer Nervenzellen durch Injektion von Lokalanasthetika versucht. Die Blockade von hypogastrischen Ganglien und die chemische Sympathikolyse mit Alkohol gehören sicherlich der Vergangenheit an. Eine Lasertherapie hilft meist nicht, ebensowenig Östrogen- oder lokale Steroidtherapie. Bei früheren Behandlungsversuchen wurde in der eigenen Praxis etwa ein Viertel der Patientinnen mit vulvärem Vestibulitis-Syndrom nach vier- bis sechswöchiger oraler Behandlung mit dem Antihistaminikum Cetirizin beschwerdefrei oder mindestens so deutlich gebessert, dass sie nicht mehr litten (retrospektive briefliche Befragung von 67 eigenen Patientinnen, nicht veröffentlicht). Möglicherweise hat allerdings schon zum Erfolg beigetragen, dass die Patientinnen nicht weiterhin diverse lokale Therapien erhielten. Friedrich (7) hat bei 30 seiner 86 Patientinnen mit Vestibulitis-Syndrom zur Therapie eine schmetterlingsförmige Exzision der schmerzenden Introitushaut vorgenommen (Vestibuloplastik, partielle Vestibulektomie). Von diesen haben 25 Frauen einen Fragebogen zurück geschickt; 14 gaben darin an, sie seien geheilt oder deutlich gebessert. Frühere eigene Erfahrungen mit dieser Methode waren sehr ähnlich. Als größte Variante wurde auch die Perineoplastik diskutiert, die eine Erfolgsquote von 60–90% in schweren Fällen aufweist (6). Eine Zusammenfassung der Therapieversuche auf Grund einer Umfrage bei 327 Ärzten und Einrichtungen in den USA stellt das ganze therapeutische Dilemma dar (26). 316 FRAUENARZT 49 (2008) Nr. 4 Lokalanästhetische Nervenblockaden mit kaudalem epiduralem Block, transvaginalem Pudendusblock und transperinealer vestibulärer Infiltration von Ropi- bzw. Bubivacain führten in 57% der Fälle zu einem als angenehm empfundenen Geschlechtsverkehr (19). Derzeitige Therapieversuche Es gibt für dieses Krankheitsbild noch keine etablierte Therapie, da das Problem in seiner Ätiologie bisher noch nicht verstanden wurde. Wichtig ist es, zuerst alle lokalen Therapien und ggf. orale Antibiotika abzusetzen! Versuche mit den Calcineurin-Antagonisten Pimecrolimus und Tacrolimus scheinen möglich zu sein. Gabapentin in einer Dosierung von 3 x 300 mg pro Tag oral, einschleichend begonnen, kann überraschend gute Erfolge erzielen, wird aber typischerweise eher für die essenzielle Vulvodynie empfohlen (22). Eigene Erfahrung mit Gabapentin zeigen, dass das Antikonvulsivum im einen Fall frappierend gut wirkt, im anderen überhaupt nicht. Neuerdings bieten sich zwei Möglichkeiten an, die mangels Zulassung auf dem deutschen Markt nicht etabliert, aber Erfolg versprechend sind: Botulinumtoxin blockiert die periphere Acetylcholin-Freisetzung an den präsynaptischen Nervenendigungen für die Dauer von mehreren Wochen und ist somit ein Muskelrelaxans, das bei verschiedenen Indikationen eingesetzt werden kann (13), z.B. auch bei Detrusorüberregbarkeit in der Urologie (23). Erste Berichte über Erfolge bei vulvären Schmerzen liegen vor (5, 21, 29) (das Präparat ist in Deutschland nicht für diese Indikation zugelassen). Auch Gerber (10) berichtete über Botulinumtoxin A-Injektionen (Botox) in die Vulvamuskulatur (20–40 mµE ein- oder zweimal). Die Nebenwirkungen waren bei dieser Dosierung vernachlässigbar gering, und der Erfolg hielt meist sechs bis zwölf Monate an. Neocutis Bio-restorative Skin Cream (Neocutis S.A. Schweiz/San Francisco) enthält ein Lysat aus kultivierten Zellen mit anti-inflammatorischen Zytokinen. Die Creme ist verschreibungspflichtig und wird dermatologisch zur besseren Narbenbildung und in den USA als Hautpflegeprodukt benutzt. Gerber, Behlia und Hohlfeld (10) haben sie bei 61 Frauen mit vulvärem Vestibulitis-Syndrom (mittleres Alter 26 Jahre, mittlere Dauer der Erkrankung drei Jahre) zweimal täglich für acht Wochen auftragen lassen. Nebenwirkungen traten nicht auf. 61% der Frauen waren geheilt, 33% gaben ein viel besseres, 7% ein besseres Sexualleben an. Fallstricke auf dem Weg zur richtigen Diagnose Am wichtigsten ist jedoch zunächst, dass in der gynäkologischen Praxis die Diagnose richtig gestellt wird! Dazu sind folgende Schritte erforderlich: exakte Anamnese, der Patientin zuhören; Pilzkultur; keine bakteriologische Kultur, sondern Nativpräparat aus Vaginalsekret und pH-Messung; Absetzen der meist zahlreichen lokalen Cremes und Ovula; bei Kandidose mit positiver Pilzkultur orale Therapie, um die lokale Irritation zu vermeiden; die Patientin nicht zur psychisch Kranken erklären; Aufklärung der Patientin über das Problem. Literatur 1. Babula O, Bongiovanni l, Ledger WJ, Witkin SS: Immunoglobulin-E antibodies to seminal fluid in women with vulvar vestibulitis-syndrome: Relation to onset and timing of symptoms. Am J Obstet Gynecol 190 (2004) 663–667. 2. 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