KulturStadtBern N°1
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KulturStadtBern N°1
Kultur Stadt Bern Direktion für Tiefbau Verkehr und Stadtgrün Entsorgung + Recycling KULTUR STADT BERN Ausgabe Nº1 Januar 2014 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH Im Herbst 2013 hat die Abteilung Kulturelles zehn Persönlichkeiten aus den Bereichen Theater, zeitgenössische Kunst, Tanz und Musik zu einem moderierten «Kultur-Stammtisch» eingeladen. Allen Gesprächsteilnehmenden gemeinsam ist ein frischer Blick auf die Bundesstadt, denn sie alle sind aus anderen Städten, Kantonen oder Ländern nach Bern gekommen, um hier ihre künstlerischen Visionen zu verwirklichen. Was hat sie nach Bern gezogen? Haben sich die Erwartungen erfüllt, die Vorurteile bestätigt? Was hat überrascht und was soll anders werden? Während knapp drei Stunden haben sie im Restaurant Lorenzini über Bern und seine Kulturförderung debattiert, Wahrnehmungen ausgetauscht, das kulturelle Entwicklungspotenzial analysiert und Wünsche formuliert. An dieser lebhaften Runde haben teilgenommen: Zehn Kulturverantwortliche diskutierten die Stadtberner Kultur EDITORIAL Im Jahr 2016 wird das neue Kantonale Kulturförderungsgesetz, KKFG, für die Stadt Bern und die Region Bern-Mittelland vollumfänglich umgesetzt. Das Gesetz hat grosse Auswirkungen auf die subventionierten Kulturinstitutionen und wird generell die Kulturlandschaft der Stadt beeinflussen. Dies ist Gelegenheit für einen Rückblick auf das bisher Entstandene sowie für die Formulierung von Schwerpunkten und Zielen für die Zukunft. Im Hinblick auf die Subventionsperiode 2016 –2019 wird die Stadt Bern Position beziehen und aufzeigen, in welche Richtung sich ihre Kulturpolitik bewegen soll. Am Anfang stehen die Kulturverantwortlichen selbst; in N° 1 der Publikation «Kultur Stadt Bern» haben sie das Wort. Bühler Kathleen, Kuratorin Abteilung Gegenwart, Kunstmuseum Bern Bürkli Anna, Leiterin Stadtgalerie PROGR Contratto Graziella, Leiterin Musik, Hochschule der Künste Bern KULTURSTADT BERN WIE TICKT DIE BUNDESSTADT? Fischer Peter, Direktor Zentrum Paul Klee Krempl Sophie-Thérèse, Leiterin Kooperations- und Sonderprojekte, Konzert Theater Bern Laufenberg Iris, Direktorin Schauspiel, Konzert Theater Bern Märki Stephan, Direktor Konzert Theater Bern Miranda Estefania, Direktorin Tanz, Konzert Theater Bern Stroun Fabrice, Direktor Kunsthalle Bern Weinand Georg, Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Dampfzentrale Bern Moderiert und aufgezeichnet wurde das Gespräch von den Journalistinnen Alexandra von Arx und Lucie Machac, die Fotografin Susanne Keller hat es in Bildern festgehalten. «Das Publikum lässt sich begeistern, aber man braucht einen langen Atem.» Sophie-Thérèse Krempl Georg Weinand: Ich bin Belgier und die Ähnlichkeiten zwischen der Schweiz und Belgien haben mich angesprochen. Nach Bern zu kommen, war für mich aber in erster Linie die Entscheidung für ein Haus, die Dampfzentrale. Stephan Märki: Mich hat schon die Stadt gelockt, weil Bern mein Herkunftsort ist. Im Detail wusste ich über die Kultur hier zwar auch nicht Bescheid, aber mir war bekannt, dass Bern eine bunte Kulturlandschaft, eine starke freie Szene hat. Und eben Konzert Theater Bern, ein Mehrspartenhaus, das ich nun im zweiten Jahr leite. In einer mittelgrossen Stadt wie Bern kann man mit so einem Haus mehr zum Theater einer Stadt beitragen als in einer Metropole wie Berlin. Das hat mich am meisten gereizt. Graziella Contratto: Bevor ich vor drei Jahren nach Bern an die Hochschule der Künste kam, dachte ich, Bern sei wie F-Dur – etwas überspitzt formuliert. Ländlich, naturbezogen, in sich ruhend. Im Gegensatz zum aggressiven G-Dur, das ich mit Zürich assoziiere. Meine Vermutung hat sich hier bestätigt. Nur weiss ich manchmal nicht, wie stark das Berner F-Dur in Richtung gemütliches Einrichten im immer schon da Gewesenen geht. Impressum Gestaltung: Gestalt Kommunikation, Bern | Druck: Rickli + Wyss AG, Bern | Auflage: 1’000 Ex. Sophie-Thérèse Krempl: In Bern scheint eine gewisse Form von Beharrungsvermögen zu existieren. Da empfinde ich das deutsche Theater als diskurs- und konfrontationsfreudiger. Estefania Miranda: Ich bin ja auch aus Deutschland hierhergekommen, bin aber erst seit ein paar Monaten in Bern. Obwohl auch ich in erster Linie wegen Konzert Theater Bern und seiner Team-Konstellation hierher gekommen bin, bin ich sehr positiv überrascht. Im Verhältnis zu ihrer Grösse hat die Stadt Bern enorm viel zu bieten. Nicht nur das kulturelle Angebot, auch die Stadt selbst erlebe ich als sehr lebendig. Das empfinden auch meine Tänzerinnen und Tänzer so, die von überallher kommen, zum Teil aus grossen Städten wie Amsterdam, Berlin oder Brüssel. Bei Tanzcompagnien in mittelgrossen Städten ist es ja ein allgemeines Problem, dass die Tänzer irgendwann abwandern, obwohl die Arbeit spannend ist. Doch bisher habe ich von keinem gehört, dass er Bern als kleinstädtisch empfinden würden. Im Gegenteil, sie scheinen sich hier alle sehr wohl zu fühlen. Peter Fischer: Ich hatte gewisse Vorurteile über Bern, als ich das Zentrum Paul Klee «Ich wünsche mir, dass die Leute spontan Lust haben vorbeizukommen, weil bei uns etwas Interessantes oder Originelles passiert.» Georg Weinand «Wenn man die Jungen einmal im Theater hat, dann hat man sie ein Leben lang.» Stephan Märki Stephan Märki KULTUR STADT BERN 2 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH übernommen habe. Sie haben sich zum grossen Teil bestätigt. Ich empfinde die Bereitschaft der Berner, auch mal über ihre vorgefasste Meinung hinauszudenken und sich neu zu orientieren, oft als sehr klein. Vielleicht hängt das mit dem Zentrum Paul Klee zusammen, das mit seiner eher schwierigen Geschichte stark polarisiert hat. Doch diese Voreingenommenheit, die in Bern vor achtzehn Jahren gebildet wurde, lässt sich kaum umstossen. Das scheint mir ein Berner Phänomen. Georg Weinand: Ich habe einen Reflex bei den Bernern festgestellt: Wenn man auf etwas aufmerksam macht, wird oft erklärt, wo das herkommt, wie das früher war und warum das so ist. Die Fähigkeit des «Erstaunens», des bewussten Wahrnehmens und Erkennens eines Potentials wird vom Blick in die Vergangenheit verdrängt. Für Menschen, die von Berufes wegen ständig mit Visionen und im weitesten Sinne mit Fiktion zu tun haben, ist das ein wichtiger Indikator dafür, wie man in diesem Gefüge seine Arbeit gestalten muss. Fabrice Stroun: Mir kommt die Schweizer Bevölkerung sehr homogen vor in ihrem Verhalten und ihrer Denkweise. Darum bin ich der Meinung, dass das, was wir hier ansprechen, zwar alles stimmt, aber es stimmt zugleich für jede andere Schweizer Stadt. Diese Betonung lokaler Eigenarten könnte man fast eine nationale Obsession nennen. Kathleen Bühler: Ja, territoriales Verhalten ist in der ganzen Schweiz weit verbreitet, zumindest in der bildenden Kunst, wo wir beide tätig sind. Die Zürcher bringst du kaum nach Winterthur und das ist nur zwanzig Minuten entfernt. Auch die Basler beschäftigen sich gerne mit sich selbst, die St.-Galler, die Luzerner … Aber die Berner Behäbigkeit, die wir hier angesprochen haben, erlebe ich mittlerweile als eine Qualität. Gerade auch als Haltung in unserer Zeit, sich nicht immer so hetzen zu lassen und stattdessen in Ruhe nochmals darüber nachzudenken. Auch wenn auf kulturpolitischer Ebene genau diese Haltung an den Nerven zehrt. Fabrice Stroun VERMITTLUNG WIE GEWINNT MAN PUBLIKUM? Graziella Contratto: Ich glaube, künftig müssen wir uns alle damit abfinden, dass das bildungsbürgerliche Publikum immer älter wird und kaum in demselben Ausmass nachwächst. Da ist Vermittlung essentiell. PUBLIKUM WELCHE KULTUR WOLLEN DIE BERNER? Kathleen Bühler: Gab es denn je eine Zeit, wo die Fünfzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen in bürgerliche Institutionen wie Theater oder Museen gingen? Sophie-Thérèse Krempl: Natürlich bilden Fünfunddreissig- bis Fünfundfünfzigjährige den Durchschnitt des Publikums. Nichtsdestotrotz ist die Vermittlung von verschiedenen Theaterformen und modernem Theater ein grosses Thema. Iris Laufenberg: Wir unternehmen in diesem Bereich doch alle schon viel. Konzert Theater Bern macht zum Beispiel jedes Jahr ein Märchen für die Kleinen, das immer rappelvoll ist. Unsere Theaterpädagogen casten Jugendliche für professionelle Jugendclub inszenierungen. Wir organisieren Sitzkissenkonzerte und so weiter. telbar an ein Publikum, das den Grossteil unserer Abonnenten ausmacht. Es ist ein gestaffeltes und multipliziertes Generationenproblem. Stephan Märki: Wenn man die Jungen einmal im Theater hat, dann hat man sie ein Leben lang. Ich sehe deshalb nicht so schwarz, solange man die Möglichkeit hat, bei den ganz Kleinen zu beginnen. Nur ist es bei Konzert Theater Bern so, dass wir uns zum Beispiel Kinderstücke nur bedingt leisten können, weil sie zu wenig Einnahmen generieren. Da beisst sich die Katze dann in den Schwanz. Sophie-Thérèse Krempl: Die Theaterpädagogik hat Aufgaben übernommen, nämlich junge Menschen für Kulturgut zu interessieren, die im Prinzip die Schule leisten müsste. Früher waren die Schulen bemüht, ins Theater zu kommen. Heute müssen die Theater Pädagogen anstellen, um diese gesellschaftlichen Entwicklungen zu kompensieren. Iris Laufenberg Kathleen Bühler: Ich erlebe das Publikum als durchaus begeisterungsfähig. Zumindest, wenn die Begeisterung von mir kommt, wird sie auch erwidert. Wie man in den Wald hineinruft, so kommt es auch zurück. Berge locken offenbar im Sommer wie im Winter. Sprechtheatervorstellungen am Wochenende sind oft schlechter besucht als in der Woche, denn da haben die meisten anderes vor. Sophie-Thérèse Krempl: Ich schliesse mich dir an. Das Publikum lässt sich begeistern, aber man braucht einen langen Atem. Graziella Contratto: Ich finde die Lesbarkeit des Berner Publikums im Klassikbereich auch recht kompliziert. Ich frage mich immer wieder: Kommt das Publikum nicht zu einem Anlass, weil das Programm zu komplex ist? Oder entspricht das Programm zu wenig einer bestimmten Ausrichtung, um neugierig zu machen? Früher war die Hochschule der Künste an der Kramgasse, mitten in der Stadt. Bei Konzerten sind die Leute zum Teil scharenweise gekommen. Seit bald zehn Jahren ist sie nun an der Papiermühlestrasse. Das ist mit dem Tram nur fünf Minuten vom Zentrum entfernt, doch die Leute kommen nicht mehr. Deshalb versuchen wir, wieder zurück ins Zentrum zu gelangen, um näher bei den Leuten zu sein. Aber vielleicht funktioniert auch das nicht. An anderen Orten, etwa an Festivals, die ich geleitet habe, oder auch in Frankreich, haben meine Einfälle funktioniert, hier in Bern wollen sie noch nicht recht fruchten. Iris Laufenberg: Ich bin ehrlich gesagt verunsichert, was das Berner Theaterpublikum will. Als Schauspielleiterin bei Konzert Thea ter Bern ist meine Sprache nicht international, wie im Tanz, der bildenden Kunst oder Performance. Meine Sprache ist deutsch. Und da habe ich festgestellt – das wusste ich vorher nicht – dass das in Bern keine Selbstverständlichkeit ist. In Zürich fragt keiner im Zuschauerraum: «Warum reden die denn Deutsch?» Hier sagten mir Lehrer, dass zum Beispiel Torquato Tasso von Goethe für Schüler viel zu schwer sei. Ich weiss auch nicht, wie weit sich das Berner Theaterpublikum auf Ästhetiken einlassen will, die innovativ und modern sind. Nach einem Jahr in Bern ist mir jedenfalls aufgefallen, dass hier sehr freizeitorientiert gedacht wird. Die Sophie-Thérèse Krempl: Dennoch wurden für die vergangenen zwei Subventionsperioden Anträge für Vermittlungsprogramme abgelehnt. Graziella Contratto: Ich wollte damit nicht sagen, dass hier Vermittlungsangebote fehlen. Im Gegenteil. Aber sie sind nicht richtig affichiert. Vielleicht hängt es mit dem Hang zum permanenten Understatement der Berner zusammen, mit einer intrinsischen Abneigung gegen eine aggressive Kommunikation nach aussen. Aus meiner Sicht wäre es eine Chance, in Bern einen Akzent auf Vermittlung zu setzen und die Bundesstadt auf diesem Gebiet als wichtigen Standort zu etablieren. Sophie-Thérèse Krempl: An der Vermittlung hängt aber auch die Frage der Ästhetik. Nehmen wir die Digitalisierung unserer Gesellschaft. Sie bedeutet unter anderem eine andere Wahrnehmung und eine erhöhte Gleichzeitigkeit im Verhältnis zum Nacheinander. Und darauf reagiert die Kunst natürlich. Es gibt Ästhetiken, die diesen veränderten Wahrnehmungsformen entsprechen und die für Jugendliche auch interessant sind. Diese Ästhetik ist nicht so einfach vermit- Stephan Märki, Anna Bürkli Iris Laufenberg: Das hängt auch mit der fehlenden Selbstverständlichkeit der deutschen Sprache zusammen, die ich vorhin angesprochen habe. Und da muss man sich grundsätzlich überlegen: Will man in Bern wirklich ein deutsches Sprechtheater haben? Und das fängt in der Schule an: Welche KULTUR STADT BERN 3 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH Literatur – klassisch, zeitgenössisch, hochdeutsch, Dialekt – will man in den Schulen vermitteln? in umgekehrter Reihenfolge. Aber kann es sein, dass mehr jüngeres Publikum käme, wenn es Gratisaufführungen gäbe? Graziella Contratto: Vielleicht gäbe es noch andere Wege, ein jüngeres Publikum anzulocken. Während meiner Tätigkeit am Davos Festival gab es einmal ein Gratiskonzert. Es hiess – man verzeihe mir den Titel – «Garantiert schlipsfrei». Es war das einzige Konzert in sieben Jahren, an dem wir über vierhundert Leute hatten, alle Generationen gemischt. Programm und Dauer waren den Besuchern nicht bekannt. Und ich hatte volles Haus und musste sogar Leute nach Hause schicken. Erklärungsversuche? Erstens hat der Titel funktioniert. Schlipsfrei heisst: «Ich muss keinen Dresscode befolgen.» Das Zweite war: «Ich lasse mich überraschen.» Das Dritte: «Es ist gratis.» Vielleicht auch Iris Laufenberg: Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt und dann scheitert es an dreissig Franken, die man hätte für eine Karte ausgeben müssen? Das kann ich mir schlecht vorstellen. Georg Weinand: Ich glaube auch nicht, dass es letztendlich am Geld liegt. Ich erlebe in der Dampfzentrale, dass Gäste den günstigsten Tickettarif wählen, um dann direkt an die Bar zu gehen und eine Runde Gin Tonic auszugeben. Geld ist ein relativer Wert, kein absoluter. Entscheidend ist, welchen Stellenwert der Kunst eingeräumt wird – das gilt für den Zuschauer und die öffentlichen Hand gleichermassen. KULTURELLE VIELFALT SEGEN ODER FLUCH? Kathleen Bühler: Vielleicht ist die Publikumsauslastung teilweise so niedrig, weil es in Bern mittlerweile ein Überangebot an kulturellen Veranstaltungen gibt. Im Kunstmuseum haben wir zudem feststellen müssen, dass Vorträge beim Publikum überhaupt nicht mehr ankommen. Wo früher mehrere Dutzend Personen kamen, sind es heute fünf bis zehn. Wir müssen deshalb neue Formate entwickeln. Die Menschen scheinen ein grösseres Bedürfnis nach Authentizität zu haben. Statt Vorträge organisiert man besser Künstlergespräche. rer Häuser nicht zunehmend vergessen geht. Der Auftrag, Dinge zu zeigen, die noch nicht da waren, die Realitäten auf ganz neue Art abbilden, die deshalb auch mit einem Knall an die Wand fahren können, die aber auch sehr bereichernd sein können. Stattdessen soll mit Leistungsvereinbarungen und Benchmarking in der Kulturproduktion eine Erwartbarkeit kalkuliert werden, die nicht kalkulierbar ist. Die Häuser produzieren so viel, weil sie mit allen Kräften versuchen, alle Erwartungen zu erfüllen. Wir simulieren die eierlegende Wollmilchsau. Stephan Märki: Kultur kann man nie genug haben. Dass hier das Publikum abwartend ist und sich lieber für Bekanntes interessiert, daran können wir nicht viel ändern. Peter Fischer: Aber vielleicht produzieren wir tatsächlich zu viel. Vielleicht sollten wir uns lieber fokussieren und nicht immer voller Ehrfurcht darauf bedacht sein, die Zahlen in den Leistungsverträgen zu erfüllen. Es wäre durchaus möglich, zu sagen: «Gut, wir haben zwar etwas weniger Publikum, aber die Qualität des einzelnen Besuchs ist besser, weil wir Vermittlung machen.» Damit würden wir zugleich für Qualität vor Quantität lobbyieren. Fabrice Stroun: Ich bin der Meinung, dass wir bei allem, was wir organisieren und veranstalten, nicht nur das lokale, sondern auch das nationale Publikum anvisieren sollten. Die Bundesstadt liegt absolut zentral – in der Mitte der Schweiz. In London fährt man eineinhalb Stunden mit der U-Bahn, um von einem spannenden Ort zum nächsten zu gelangen. Hier fährt man eine Stunde Zug von der Kunsthalle Basel zur Kunsthalle Bern. Mein Ziel ist es, in der Kunsthalle einen Treffpunkt zu schaffen, wo sich die Schweiz kreuzt und austauscht. Georg Weinand: Also den Gedanken, wir würden zu viel produzieren, finde ich inter essant. Und die Komplementarität der einzelnen Häuser scheint mir auch ein wichtiger Aspekt. Inwieweit ergänzt man sich oder inwiefern wird von zu vielen Häusern Ähnliches verlangt? Sophie-Thérèse Krempl: Ich frage mich auch, ob der Urauftrag der Kunst und unse- KULTURFÖRDERUNG WO SIND DIE SCHWACH STELLEN? Stephan Märki: Mir fehlt ein Kunstdiskurs. Mir fehlt das Verständnis dafür, dass ein Ort der Kunstproduktion unberechenbar und lebendig ist und dass die kulturelle Vielfalt die Zukunft einer Stadt ist. In Bern geht es immer wieder nur darum, ob die Institutionen finanziell eine Zukunft haben. Diese Hal- tung bremst vieles, weil sie dazu führt, dass die Institutionen nicht nur für die Kunstproduktion zuständig sind, sondern die Kunstproduktion dafür verantwortlich gemacht wird, die Strukturen zu erhalten. Oder anders gesagt: Wenn wir nicht das spielen, was die Leute sehen wollen, kommen wir nicht Georg Weinand, Sophie-Thérèse Krempl, Fabrice Stroun auf die geforderten Zahlen, erfüllen unseren Auftrag nicht und werden in Frage gestellt. Die vornehmste Art der Kulturförderung ist für mich jene, die Rahmenbedingungen schafft, damit sich die Kunst möglichst frei entfalten kann. Kathleen Bühler: Aber in welcher Stadt ist die Kulturförderung schon nach diesem Ideal verwirklicht? Stephan Märki: Dafür muss man kämpfen. In grösseren Städten ist die Kulturförderung schon anders. Kathleen Bühler: Auch in Berlin musst du dich um Finanzen, Publikumszahlen und Leistungsaufträge kümmern. Anna Bürkli Stephan Märki: Ja, aber mit anderen Parametern. Konzert Theater Bern wird permanent mit Häusern in Basel, Zürich und dem KKL verglichen, obwohl das in keinem Verhältnis zu den finanziellen Rahmenbedingungen steht, die wir hier haben. Ich sehe in Bern ein Bekenntnis zu einer breiten Förderung des Kulturangebotes. Aber dann muss man diese Breite als Prädikat dieser Stadt sehen und kann nicht gleichzeitig sagen: «Wir erwarten aber, dass ihr ein Eventschuppen seid.» Sophie-Thérèse Krempl: Stimmt, der Unterstützungsmodus ist im Verhältnis zur Erwartungshaltung schwach. Peter Fischer: Ja, man will die Breite fördern und verpflichtet gleichzeitig sämtliche Institutionen, sich gegenseitig zu übertrumpfen und rein quantitativ zu brillieren. Das verunmöglicht zum Teil auch die Zusammenarbeit, weil man zugleich Konkurrent ist. Es bräuchte ein anderes Messsystem für die Leistung, die wir für die Öffentlichkeit zu erbringen haben. Ein Messsystem, das nicht nur auf Zahlen basiert. Kathleen Bühler: Das sehe ich auch so. Wir werden alle an quantitativen Massstäben gemessen, machen mehr und mehr Veranstaltungen, müssen aber immer an dieselben finanziellen Töpfe, in denen für die einzelne Veranstaltung dadurch immer weniger Geld vorhanden ist. Stephan Märki: Das hat aber nicht nur mit quantitativen Massstäben, sondern mit dem finanziellen Giesskannenprinzip zu tun. Anna Bürkli: Genau. Und das geht bei einigen Kulturschaffenden so weit, dass sie zwar zu viel zum Sterben aber zu wenig zum Leben haben. Um die kleinen Projekte, die wir in der Stadtgalerie haben, überhaupt durchführen zu können, ist von allen Seiten eine grosse Selbstausbeutung nötig. Eine angemessene Finanzierung ist illusorisch. Georg Weinand: Im Moment gibt es von der Kulturpolitik für die jungen Kreativen nur Projekt- und Durchführungszuschüsse. Ich frage mich, ob zum Beispiel nicht nur für Häuser, sondern auch für andere kreative Kräfte, eine abgewandelte Form von Leistungsverträgen sinnvoll sein könnte. Eine gewisse Stabilität würde die Kreativen vielleicht in der Stadt halten. Sophie-Thérèse Krempl: Stimmt, gerade wenn ich nicht in Bern bin, treffe ich immer wieder erfolgreiche Künstler, die sagen, sie kommen aus Bern. Aber sie sind nicht hier geblieben. Fabrice Stroun: Das ist aber nicht ein Problem der Kultur und ihrer Förderung. Es gibt in Bern gute und grosse Institutionen, es gibt alternative Orte, es gibt tolle Kunstschulen und bezahlbare Atelierräume. Aber wenn die 25-Jährigen Ambitionen haben, verlassen sie Bern. Sie gehen, weil sie sich langweilen. Sie gehen vielleicht, weil sie von ihrer Kunst leben wollen und es in Bern wenige Galerien gibt, die international gut angeschlossen sind. Ich denke, die Kulturförderung erfüllt ihre Aufgabe: Sie subventioniert Institutionen – was die Kunsthalle betrifft zwar nicht ausreichend, aber immerhin so, dass inhaltlich gearbeitet werden kann. Schulen werden unterstützt und billige Atelierräume geschaffen. Es gibt KULTUR STADT BERN 4 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH Werkstipendien und Auszeichnungen. Mehr kann der Staat nicht machen. Graziella Contratto: Ein Problem ist, dass Bern wenig Industrie hat und damit auch fast keine Sponsoren. Basel hat Mäzene, die zum Beispiel eben mal so ein Jazzgebäude für die Hochschule oder eine Musikbi bliothek sponsern. Seit ich hier bin, suchen wir ein neues Gebäude für Veranstaltungen, weil wir aus allen Nähten platzen. Aber das ist eine unglaublich komplizierte Angelegenheit. Stephan Märki: Ich mache jetzt seit dreissig Jahren Theater und bin überzeugt, die Eventisierung, die mit dem Sponsoring einhergeht, verhindert teilweise, dass Kulturhäuser Orte der Identifikation, der Ausbildung und des Weitergebens von Know-how sein können. Da machen Partnerschaften mit Institutionen für mich mehr Sinn. Zum Beispiel mit dem Inselspital Bern. Das Spital sponsert Eintrittskarten, es identifiziert sich mit der Institution und im besten Fall hat man ein neues Publikum erschlossen. AKZEPTANZ IST KULTUR IN DER BEVÖLKERUNG VERANKERT? Fabrice Stroun: Wir alle kennen die Studien, die belegen, dass ein reiches kulturelles Leben eine Stadt auch wirtschaftlich interessanter macht. Der Mehrwert aber lässt sich nicht an den Besucherzahlen und am Umsatz messen. Das funktioniert vielleicht bei einem Biergarten. Die simplen Berechnungen, die zeigen, wie viele Subventionen auf einen einzelnen Besucher fallen, sind im Kulturbereich nichtssagend. Kultur bereichert das Leben! Daran müssen wir die Politiker immer wieder erinnern. Stephan Märki: Ich halte auch dieses «Wir müssen wissen, was wir für unser Geld kriegen» für ein Problem. Ein schweizerisches und ein ganz spezifisch bernisches. Es fehlt eine Debatte darüber, wofür Kunst in dieser Stadt da ist. Sie fehlt in der Politik und sie fehlt entsprechend auch in den Medien. Kathleen Bühler: Die Feuilletons werden überall gekürzt. Ich denke, das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Kultur nicht sehr breit verankert ist in unserem schweizerischen Selbstverständnis. Deshalb müssen wir ständig beweisen, dass wir jeden erreichen, auch wenn er oder sie nie und nimmer in ein Museum gehen will. Wir alle setzen achtzig Prozent unserer Energie ein, um diese zwanzig Prozent der Bevölkerung zu erreichen. Stephan Märki: Ich finde nicht, dass die Kultur in Bern nicht verankert ist. Kathleen Bühler: Aber wo ist sie zum Beispiel im Lehrplan noch vorhanden? Kathleen Bühler Iris Laufenberg: Ich habe eine achtjährige und vierzehnjährige Tochter. Und ich sehe, dass zum Beispiel die Literatur in der Schule heute viel schmaler angelegt ist als früher. Stephan Märki: Das ist in anderen Ländern nicht anders. Sophie-Thérèse Krempl: Vielleicht müsste man eher fragen: Erachten jene, die keine Kulturangebote nutzen, Kultur trotzdem als notwendig? Das sollte der Massstab sein. Auch wenn Menschen nicht ins Zentrum Paul Klee oder zu Konzert Theater Bern gehen, finden sie es vielleicht trotzdem gut, dass es diese in Bern gibt. So sollte es ja sein. Peter Fischer: Das betrifft jede öffentliche Aufgabe. Die einen fahren nicht mit der Bahn, die anderen nicht mit dem Auto und die dritten brauchen keine Armee. Nur: Wir haben das Gefühl, wir müssen uns gegenüber allen legitimieren. heitszentrum vorgezogen, obwohl Gesundheit alle betrifft. Stephan Märki: Das ist natürlich ein grosses Plus für Bern. Genauso wie der Kampf um die Reithalle. Aber wieso steht man nicht dazu? Wieso will man auch noch grosse Events in Bern haben und vergleicht sich mit Zürich und Basel? Fabrice Stroun: Ich stimme dir zu. Die Bevölkerung wie auch die Politik haben eine Unmenge an Wünschen, Erwartungen, Ansprüchen. Die Kunsthalle ist bereits ein Treffpunkt, dabei haben wir nicht einmal ein Café, und sie ist ein Ort der ruhigen Kontemplation und des Lernens. Es wird auch erwartet, dass in der Kunsthalle bedeutende internationale Kunst ausgestellt und zugleich lokales Kunstschaffen gezeigt wird. Aber die Kunsthalle ist kein Schweizer Armeemesser. Sie ist nicht unendlich wandelbar und kann ihr Profil nicht jeden Tag neu erfinden. Stephan Märki: Andererseits beweisen die Volksabstimmungen immer wieder, dass Kultur in Bern ihren festen Platz hat. Ich würde nicht unbedingt in Deutschland eine Volksabstimmung machen wollen, ob es das Theater noch braucht. Ich denke, in der Schweiz gibt es einen gesellschaftlichen Konsens, dass es diese Institutionen gibt, unabhängig davon, ob man hingeht. Kathleen Bühler: Der PROGR wäre wohl auch in keiner anderen Schweizer Stadt möglich gewesen. Bern hat bei der Abstimmung ein Kulturzentrum einem Gesund- Sophie-Thérèse Krempl KOOPERATIONEN FARCE ODER ZUKUNFTSMODELL? Namen verdient und Eigenständigkeit mit sich brächte. Stephan Märki: In Bern gehen die Kulturinstitutionen aufeinander zu. Das habe ich so noch in keiner Stadt erlebt. Als wir von Konzert Theater Bern noch gar nicht offiziell hier waren, sind wir schon von vielen angesprochen und angeschrieben worden. Georg Weinand: Ich tue mich im Kreativbereich etwas schwer mit dieser verordneten Art von Zusammenarbeit. Kooperationen müssen aus dem ureigenen Wunsch der einzelnen Institutionen oder durch Projekte entstehen. Wenn es dafür einen gemeinsamen Topf gibt, fände ich das toll: Für etwas «Aussergewöhnliches» braucht es auch aussergewöhnliche Finanzen. Aber wenn man Verbundstrukturen langfristig ins Leben ruft, muss man sich sehr gut überlegen, nach welchen Modalitäten sie funktionieren und lebendig bleiben sollen; und ob diese Modalitäten der Dynamik des Kunst- und Kultursektors entsprechen. In der Kunst sind Originalität, ein gewisser Eigensinn und vor allem Gestaltungsfreiheit, Autonomie oder Spontaneität sehr wichtig – geeignete Strukturen dafür zu schaffen ist nicht einfach, aber möglich. Graziella Contratto: Aber wenn die Kulturplayer gemeinsam etwas auf die Beine stellen möchten, stossen sie schnell auf finanzielle Barrieren. Deshalb finde ich, eine Stadt müsste dafür einen Finanzierungspool zur Verfügung stellen. Damit die einzelnen Institutionen miteinander kreative neue Kulturgefässe schaffen könnten, ohne dass sie von ihrem eigenen Etat unsinnige Summen daran geben müssen, zum Beispiel für Raummieten. Ich sehe hier auch ein grosses Potenzial zu einer Berner Marke, einem Insignium, einem Brand. Sophie-Thérèse Krempl: Die Finanzierung von Zusammenarbeiten ist tatsächlich ein Problem. Das lässt sich sehr gut an der Biennale illustrieren. Dreiviertel des Festival-Etats sind durch Fixkosten absorbiert. Da ist sicherlich die Stadt gefragt, welche Haltung sie zu diesem Festival einnehmen möchte. Denn mit dem verbleibenden Geld kann man kein Festival machen, das den Stephan Märki: Die Biennale ist eigentlich auch kein Festival. Sie ist vielmehr eine Marketing-Idee. Man bündelt die Vielfalt der kulturellen Institutionen, um sie mit einem Festival, einem Event, besser zu promoten. Estefania Miranda, Peter Fischer, Kathleen Bühler KULTUR STADT BERN 5 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH POTENZIAL VIELFALT UND INNOVATION ALS BERNER KULTURLABEL? Graziella Contratto: Vielleicht braucht Bern ein Label für seine Vielfalt und Innovation? Die Berner Kultur steht zwar mit vielen positiven Prädikaten in Verbindung, ist tiefgründig und anspruchsvoll. Aber aus meiner Sicht fehlt ihr ein «Brand». Kathleen Bühler: Davor möchte ich warnen. Ich habe in Chur gearbeitet, wo das Standortmarketing teilweise überhand genommen hat. Ich wehre mich dagegen, dass alles über denselben Kamm geschert wird. Ausserdem fliesst dadurch viel Geld ins Marketing, das wiederum von der Kunstproduktion abgezogen wird. Die Idee eines Brand ist verführerisch; sie ist aber auch ein gefährlicher Scheinbeleg für das, was wir anstreben: Qualität, Tiefe, Einzigartigkeit. Graziella Contratto Peter Fischer: Vielleicht ist Brand nur das falsche Wort. Es geht eher ums Profil. Ein Profil muss nicht vereinheitlichen oder ausgrenzen. Im Gegenteil, das Profil von Bern als Kulturstadt könnte ihre Vielfalt sein. Diese kulturelle Mischung von etablierter Kunst bis zur Förderung von junger Kunst. Das ist ein Profil, das Bern wirklich unterscheiden könnte. Sophie-Thérèse Krempl: Wie soll das denn faktisch gehen? Peter Fischer: Wir machen weiterhin unsere Arbeit. Aber die Stadt muss sich überlegen, wie sie damit umgehen will, ob sie die Vielfalt als eine Stärke ansehen möchte. Kathleen Bühler: Es wäre doch wichtiger, die Politik zu überzeugen, lieber mehr Tiefe als Breite zu fordern und auch zu fördern. Kulturelle Breite führt zum Giesskannenprinzip. Wir wünschen uns aber alle mehr experimentelle Spielräume. Da geht es um Tiefe und auch um mehr Geld für einzelne Projekte, die auch die Möglichkeit des Scheiterns zulassen. Peter Fischer: So meine ich das auch nicht. Wir haben schon von der Zusammenstellung der Institutionen her eine Vielfalt. Und hier sollte den einzelnen Institutionen mehr Spielraum gewährt werden, um eben diese Tiefe herzustellen. «Die Berner Kultur steht mit vielen positiven Prädikaten in Verbindung, ist tiefgründig und anspruchsvoll.» Graziella Contratto «Diese kulturelle Mischung von etablierter Kunst bis zur Förderung von junger Kunst. Das ist ein Profil, das Bern wirklich unterscheiden könnte.» Peter Fischer AUSBLICK WAS WÜNSCHEN SICH DIE KULTURSCHAFFENDEN? Georg Weinand: Mein Wunsch wäre, dass der Kunstgenuss alltäglicher wird und das Elitäre überwindet. Ich habe in Städten gelebt, die nicht viel grösser waren als Bern, wo es eine regelmässige Aktivität war, spontan an einem Abend zu schauen, was im Theater oder im Tanz oder im Konzert los ist. Ich wünsche mir, dass die Leute spontan Lust haben vorbeizukommen, weil bei uns etwas Interessantes oder Originelles passiert. Fabrice Stroun Anna Bürkli: Es sollte auch ein stärkeres Zusammengehörigkeitsgefühl unter den verschiedenen Berner Kulturinstitutionen geben. Mit Terminabsprachen, gemeinsamen Auftritten und regelmässigem Zusammenspannen könnten wir noch mehr von unserem letztlich doch heterogenen Publikum, aber auch von unseren Erfahrungen und unserem Know-how profitieren. Kathleen Bühler: Ich wünsche mir, dass die politischen Gremien stärker als Schirmherren und Schirmdamen unserer Institutionen fungieren, die sie ja auch mitbeeinflussen, mitprägen und deren strategische Ausrichtungen sie mitbestimmen. Und dass sie diese nicht gleich hinterfragen, wenn finanziell ein rauer Wind aufkommt. Man müsste ein besseres Selbstbewusstsein für die eigene Kulturpolitik und Kulturstrategie entwickeln und sagen können: «Wir haben das so gewählt und schauen uns erst am Schluss das Resultat an.» Bei jedem anderen Produktionsentwicklungsprozess hört man auch nicht in der Mitte auf und bewertet. Dadurch unterwandert man nur die eigene Glaubwürdigkeit. Iris Laufenberg: Genau, das Vertrauen in die Institutionen sollte ein paar Jahre halten und nicht nach jeder Produktion in Frage gestellt werden. Das ist das eine. Das andere ist eine Klärung der Erwartungen. Ich habe manchmal den Verdacht, Bern will gar nicht internationale oder überregionale Bedeutung erlangen. Wenn das Schauspiel zu renommierten Festivals eingeladen wird, scheint das überhaupt niemanden zu interessieren. Es wird nicht einmal in der Presse darüber berichtet. Politiker müssen doch strategisch überlegen, wo sie mit der Berner Kultur hinwollen. Wollen wir, dass sie international wahrgenommen wird? Wenn ja, was wollen wir dafür tun? Und welcher zeitliche Rahmen ist dafür realistisch? Sophie-Thérèse Krempl: Es wäre vielleicht schon gewonnen, wenn mit Kultur politstrategisch nicht so viel gewollt wäre. Wenn man eine grössere Gestaltungsfreiheit den Häusern überlassen würde. Wir sind ja keine Dilettanten. den Kulturdiskurs schiebt. Der Ausgang des Gesprächs sollte offen und nicht vorbestimmt sein. Aber wenn der Staat an die Kulturinstitutionen herantritt mit der Haltung, immer möglichst weniger Geld hinlegen zu müssen, trübt das die Stimmung. Also eben, was Iris sagt: Was wollt Ihr? Und wenn Ihr es wollt, dann bitte unterstützt es und stellt nicht die Frage, ob Schwimmbad oder Thea ter. Weil das die falsche Frage ist. Stephan Märki: Das sehe ich genauso. Deshalb wünsche ich mir in erster Linie einen anderen Kunstdiskurs in dieser Stadt und die Einsicht, dass Kultur in einer Gesellschaft eine Notwendigkeit ist und eben nicht ein Luxus, den man in knapperen Zeiten reduzieren kann. Diese Überzeugung muss vorhanden sein. Peter Fischer: Das hat viel mit der Rolle der Behörden zu tun. Sie sind die Vermittler zwischen uns, die etwas Unmessbares machen, und zwischen den politischen Entscheidungsträgern, die Fakten und Zahlen fordern. Sie müssten für diese unmessbare Qualität einstehen. Das macht, glaube ich, sehr viel aus. Peter Fischer: Oder dass man stolz ist auf die Berner Kultur, weil zum Beispiel Einladungen aus dem Ausland kommen. Wir machen im Zentrum Paul Klee Ausstellungen, die in Bern vielleicht fünfundzwanzigtausend Besucher sehen. Dieselbe Ausstellung macht in Madrid achtzigtausend Besucher. Aber das ist den Bernern egal. Sie sagen nicht: «Toll, wir exportieren super Kultur.» Fabrice Stroun: Es gibt ja diesbezüglich positive Signale. Bei der Eingabe für die nächste Subventionsperiode mussten wir angeben, anhand welcher Parameter wir selber von Erfolg oder Scheitern sprechen. Wir wurden nach unseren Zielen gefragt und wie wir überprüfen können, ob wir sie erreicht haben. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob unsere Massstäbe und Kriterien auch tatsächlich berücksichtigt werden. Aber es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Sophie-Thérèse Krempl: Es geht um ein öffentliches Klima, das positive Energie in Aufgezeichnet am 26. September 2013 Estefania Miranda KULTUR STADT BERN 6 KULTURELLES STAMMTISCHGESPRÄCH BIOGRAFIEN KATHLEEN BÜHLER geboren 1968 in Bannwil, BE Seit 2008 ist sie Kuratorin und Leiterin der Abteilung Gegenwartskunst im Kunstmuseum Bern. Hier kuratierte sie unter anderem die Ausstellung «Merets Funken» (2012) und 2013 die thematische Gruppenausstellung «Das schwache Geschlecht. Neue Mannsbilder in der Kunst». Bühler studierte Kunstgeschichte, Filmwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich. Von 2005 bis 2008 war sie am Bündner Kunstmuseum Chur als Konservatorin tätig. Zuvor betreute sie die Videokunstsammlung der Flick Collection und kuratierte Ausstellungen im Landesmuseum in Zürich. ANNA BÜRKLI geboren 1975 in Solothurn, SO Seit Januar 2011 leitet sie die Stadtgalerie Bern und betreut in dieser Funktion auch das Programm Artists-in-Residence der Stadt Bern. Sie studierte Kunstwissenschaft, Neue re Deutsche Literatur und Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich, war am Künstlerhaus in Solothurn tätig und führte in Grenchen einen Kunstraum. 2007 wechselte sie ans Zentrum Paul Klee, wo sie als Assistenzkuratorin bei Ausstellungen mitwirkte. GRAZIELLA CONTRATTO geboren 1966 in Schwyz, SZ Seit 2010 leitet sie den Fachbereich Musik der Hochschule der Künste Bern. Die ausgebildete Konzertpianistin und Kapellmeisterin arbeitete als Kammermusikerin und Dozentin für Musikgeschichte. 1998 wurde sie von Claudio Abbado als musikalische Assistentin an die Berliner Philharmonie und an die Salzburger Osterfestspiele geholt. 2003 bis 2009 war sie Chefdirigentin des Orchestre des Pays de Savoie. Verschiedene Gastdirigate führten sie in die Schweiz, in zahlreiche europäische Länder und die USA. Während sieben Jahren, bis 2013, leitete sie das Davos Festival. PETER FISCHER geboren 1956 in Schaffhausen, SH Seit November 2011 ist er Direktor des Zentrum Paul Klee. Er studierte Kunstgeschichte, neuere deutsche Literatur und Musikwissenschaft. Von 1991 bis 1994 war er als Direktionsassistent am Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft in Zürich. Von 1995 bis 2001 zeichnete er als Kurator für die Daros Collection verantwortlich. 2001 wurde er zum Direktor des Kunstmuseums Luzern berufen. Er programmierte und kuratierte ebenda zahlreiche Ausstellungen und unterrichtete an der Luzerner Hochschule für Design und Kunst. SOPHIE-THÉRÈSE KREMPL geboren 1979 in München (Deutschland) Seit der Spielzeit 2012/13 verantwortet sie den Bereich Kooperations- und Sonderprojekte von Konzert Theater Bern. Sie studierte Philosophie, Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft, Organisations- und Managementtheorie und promovierte in Soziologie. Sie arbeitete als Soziologin an der Universität St. Gallen, als Dramaturgin und Redakteurin in den Sophiensælen in Berlin und als künstlerische Referentin des Generalintendanten am Deutschen Nationaltheater Weimar. Graziella Contratto, Georg Weinand, Sophie-Thérèse Krempl IRIS LAUFENBERG geboren 1966 in Köln (Deutschland) Seit der Spielzeit 2012/13 ist sie Schauspieldirektorin von Konzert Theater Bern. Sie studierte in Giessen Angewandte Theaterwissenschaften. Bevor sie 2002 Leiterin des renommierten Theatertreffens der Berliner Festspiele wurde, arbeitete sie als Schauspieldramaturgin und in der künstlerischen Leitung am Theater Bremen, am Schauspiel Bonn und für das europäische Theaterfestival Bonner Biennale. Sie war zudem Dozentin für die Bereiche Bühnenbild sowie Kultur-und Festivalmanagement. STEPHAN MÄRKI geboren 1955 in Bern, BE Seit 2012 ist er alleiniger Direktor von Konzert Theater Bern, das durch die Zusammenführung des Berner Symphonieorchesters und des Stadttheaters Bern entstanden ist. Die erste gemeinsame Spielzeit des Vierspartenhauses, bestehend aus den Sparten Konzert, Musiktheater, Schauspiel und Tanz wurde im September 2012 eröffnet. Zuvor war Stephan Märki während 12 Jahren Generalintendant des Deutschen Nationalthea ters Weimar und vorgängig Intendant des Hans-Otto-Theaters Potsdam. Ausserdem ist Märki Schauspiel- und Musiktheater-Regisseur und Gründer des Münchener Teamthea ters. ESTEFANIA MIRANDA geboren 1975 in Concepcíon (Chile) Seit der Spielzeit 2013/14 ist sie Tanzdirektorin von Konzert Theater Bern. Sie studierte Tanz in Edinburgh (GB) und Tilburg (NL). Von 1996 bis 2002 war sie Ensemblemitglied am Deutschen Nationaltheater Weimar, zuerst als Tänzerin in der Ismael Ivo Company, später als Schauspielerin. 1996 begann sie zu choreografieren. 2009 gründete sie in Berlin die Company Estefania Miranda, im Jahr darauf wurde sie Kuratorin für Tanz am Deutschen Nationaltheater Weimar sowie Leiterin des Internationalen Tanzfestivals Weimar, das sie auch gegründet hat. FABRICE STROUN geboren 1969 in Rehovot (Israel) Seit 2012 ist er Direktor der Kunsthalle Bern. Davor arbeitete der Literaturwissenschaftler als freier Ausstellungsmacher und Publizist. Er realisierte über 50 Einzel- und Gruppenausstellungen für Institutionen wie das Centre d’Art Contemporain Genf, das Kunsthaus Glarus oder Le Magasin Grenoble. 2005 gewann er den Swiss Art Award als Kunstvermittler. Zwischen 2000 bis 2011 unterrichtete er als Dozent unter anderem an der Ecal in Lausanne, der Ecole du Magasin in Grenoble und der HEAD in Genf. GEORG WEINAND geboren 1968 in Eupen (Belgien) Seit 2012 leitet er die Dampfzentrale. Nach dem Studium der Philosophie, Theaterwissenschaft und Germanistik entwickelte er Theaterproduktionen und gestaltete Performance-Abende. Bei Ultima Vez/Wim Vandekeybus arbeitete er erstmals als Dramaturg im Tanz, übernahm danach die künstlerische Leitung eines bühnenorientierten Produktionshauses im flämischen Genk und wechselte schliesslich als Dramaturg ins Ausbildungsteam von DasArts, einem experimentellen Masterstudiengang der Amster damer Hochschule der Künste.