Giftberg oder Goldmine
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Giftberg oder Goldmine
Titel Giftberg oder Goldmine Fotos: Copyright Basel Action Network 2009, Privat, IStock Illegaler Elektroschrotthandel hat in den Entwicklungsländern vielerorts zur Etablierung eines schmutzigen Hinterhofrecyclings geführt. Die Suche nach Lösungen zur Bewältigung des weltweiten E-Waste-Problems, die ökologisch und ökonomisch Sinn machen, hat begonnen. E-Waste-Flut Entwicklungsländer werden mit High-Tech-Müll aus Industrieländern überschwemmt, sichere Entsorgungsanlagen gibt es jedoch kaum. F rühmorgens, in einem entlegenen Winkel des Wienerwalds. Rasch wird ein ausgedienter Kühlschrank aus einem PKW entladen, dann macht sich der Täter eilig aus dem Staub. Solche Waldund Flurdeponierungen sind in Österreich dank der kostenlosen Rückgabemöglichkeit mittlerweile Geschichte. Unvorstellbar, würden wir die fast 172.000 Tonnen Elektrogeräte, die 2008 in Österreich in Verkehr gesetzt wurden, nach Ende ihrer Lebenszeit im Grünen wiederfinden! Allein im Jahr 2008 sammelte die österreichische ElektroAltGeräte-Koordinierungsstelle über 65.000 Tonnen Elektroaltgeräte ein und führte sie den Verwertungsstellen zu – die Kosten übernehmen die Hersteller. Weltweit fallen jährlich 40 Millionen Tonnen Elektroschrott an, schätzen die Vereinten Nationen. Tendenz stark steigend, denn die Märkte in den Schwellenländern wachsen und die Konsumenten neigen generell zu einem raschen Austausch der Geräte, da in Folge der rasanten Produktinnova14 corporAID Magazin • Jänner 2010 tionen laufend Besseres auf den Markt kommt. Damit gewinnt die Entsorgungsfrage weltweit massiv an Bedeutung. Wohin mit dem Schrott Die Geräte, die als Sondermüll zu behandeln sind, enthalten eine Reihe von Wertstoffen, die wiedergewonnen werden können – siehe Infobox. Die Recyclingkette wird in Sammeln, Sortieren und Zerlegen (Vorverarbeitung), und Materialrecycling (Endverarbeitung in Schmelzwerken) unterteilt. Im formellen System wird der Schrott an der Börse gekauft, recycelt und die Rohstoffe an der Börse wieder verkauft. Ob sich das Recycling rechnet, hängt allerdings immer auch von der Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten ab. So stieg etwa der Kupferpreis von Anfang 2009 bis Anfang 2010 von unter 3.000 auf 7.500 Dollar pro Tonne. Häufig erscheint es jedenfalls günstiger, die Altgeräte dem informellen Sektor zuzuführen – vom globalen Elektroschrott werden nur fünf Prozent adäquat verwertet, schätzt die US-amerikanische Umweltschutzbehörde EPA. Selbst in Europa verschwinden 25 Prozent des Elektroschrotts, besagt eine Studie der EU. Erklärt werden kann dieser Schwund teilweise durch Dachbodeneinlagerungen durch die Konsumenten, teilweise durch illegale Exporte. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtet, dass allein aus Deutschland jährlich 100.000 Tonnen Elektromüll in Richtung Entwicklungsländer abtransportiert werden. Dabei gibt es mehrere internationale Abkommen, die solche Exporte verhindern sollen. Das umfassendste Umweltabkommen, das den Handel mit gefährlichen Abfällen und deren sichere Entsorgung regelt, ist die Basler Konvention aus dem Jahr 1989. Der weltgrößte E-Schrottproduzent, die USA, hat die Konvention allerdings nicht ratifiziert. Die Realität zeigt, dass die Regelungen nicht richtig greifen, denn Hehler finden immer noch Mittel und Wege, Elektroschrott außer Landes zu schaffen, inbesondere getarnt als Gebrauchtware. Haup- Titel tumschlagplätze für den Schrott sind große internationale Häfen wie Hamburg oder Rotterdam. Ganze Container, deren Ladung als second hand gemeldet ist, oder Altautos, die bis unters Dach vollgepackt sind mit alten Computern und Bildschirmen, werden hier aufs Schiff verfrachtet, erklärt Martin Streicher-Porte, E-WasteExperte der zur ETH Zürich gehörigen Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA. Die Zollbehörden haben die undankbare Aufgabe, solche Schiffsladungen zu klassifizieren und sie dann freizugeben oder zu beschlagnahmen. Kommt es in der Folge zum Rechtsstreit, sind die Exporteure aufgrund unklarer gesetzlicher Regelungen, ab wann ein Elektrogerät definitiv kaputt ist, im Vorteil. Und so werden die Geräte auf ihre Reise geschickt, zu den Endstationen der globalen Elektroschrott-Ströme: Nigeria, Ghana, China, Indien oder Pakistan. Was funktionsfähig ist, wird weiterverwendet, Kaputtes landet auf lokalen Deponien. Toxische Stadtviertel So etwa in Agbogbloshie, dem schwelenden Müllviertel am Stadtrand von Accra, Ghana, das die Einheimischen auch „Sodom und Gomorrha“ nennen. Hier türmen sich Berge von alten PCs, Fernsehern und Autobatterien. Jim Puckett, Mitarbeiter des Basel Action Network, der weltweit einzigen NonProfit-Organisation, die sich exklusiv gegen den Export von gefährlichen Abfällen in arme Länder einsetzt, schätzt, dass um die 50 Containerladungen monatlich in Agbogbloshie ankommen, obwohl es hier keinerlei Kapazitäten für eine fachgerechte Verarbeitung gibt. Viele Tagelöhner leben hier vom Zerlegen der Geräte, deren wertvolle Inhaltsstoffe händisch extrahiert und an Zwischenhändler weiter verkauft werden. Einzelne Inhaltsstoffe sind jedoch giftig: Blei, Quecksilber oder Cadmium, um nur einige zu nennen. Bei den Menschen, die den Schrott bearbeiten, kann es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schä- Was in E-Waste steckt Eine Tonne ICT- und Unternhaltungselektronik-Abfall enthalten durchschnittlich: Eisenhaltige Metalle: 360 kg Aluminium: 50 kg Kupfer: 40 kg Blei: 2,9 kg Kadmium: 180 g Quecksilber: 0,7 g Gold: 2,4 g Silber: 12 g Palladium: 0,6 g Bromierte Kunststoffe: 180 Kilo Plastik: 120 kg Indium: 5 g Bleiglas: 190 kg Glas: 3 kg Anderes: 57 kg den kommen, heißt es seitens des United Nations Environment Program UNEP. Durch die Arbeit auf freiem Gelände über offenem Feuer und unter Verwendung von Lösungsmitteln gelangen die Giftstoffe in die Luft oder werden ins Meer gewaschen. 2008 nahm Greenpeace International in Agbogbloshie Boden- und Wasserproben. Resultat: hundertfach erhöhte Schwermetallbelastungen. Uganda hat sich als erstes afrikanisches Land zur Wehr gesetzt und Ende 2009 den Import gebrauchter PCs in vollem Umfang verboten. Gemeinsame Offensive Im Jahr 2004 wurde unter Federführung mehrerer UNOrganisationen die StEP-Initiative (Solving the E-waste Problem) lanciert, eine internationale Plattform für nachhaltige Lösungen und deren Durchsetzung. Ihr schlossen sich bisher rund 50 Mitglieder an, darunter mehrere Forschungsinstitute und Technologiekonzerne, wie Cisco, Dell, Hewlett-Packard, Microsoft, Nokia und Philips. Mit Studien, Pilotprojekten und Veranstaltungen setzt sich StEP für eine Verbesserung der Produkte, deren WiederverwenRund 50 Container und Recycling ein. In Elektroschrott kommen dung Entwicklungsländern fördert monatlich nach Agbog- StEP Capacity Building und bloshie. die Schaffung von entsprechenden Gesetzen. Jim Puckett, Basel Action Network Die Hersteller zeigen sich zunehmend kooperativ. Sie rufen Rücknahmeprogramme und Reparaturinitiativen für alte Geräte ins Leben, reduzieren oder verbannen Giftstoffe und konzipieren die Geräte so, dass die Zerlegung beim Recycling einfacher wird. Zu den wissenschaftlichen StEPMitgliedern zählt die bereits erwähnte Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA, die Entwicklungs- und Schwellenländern dabei hilft, Ressourcen schonende und nachhaltige Technologien zu nutzen. Die EMPA ist unter anderem in China tätig, wo der Großteil der Altgeräte im informellen Sektor verschwindet. Mitarbeiter Martin Streicher-Porte erklärt: „Es wäre wichtig, die großen Materialströme, die heute schon innerhalb Chinas anfallen, auf zertifizierte Zerlegebetriebe umzulenken, die dort den Vorteil eines Billiglohnlandes nutzen können. Sinnvoll wäre es, die informellen Sammler in ein System von kontrollierter Zerlegung und Recycling mit einzubinden und ihnen dadurch Sicherheit zu bieten.“ Ungefährliche arbeitsintensive Zerlegungsprozesse und die Vorverarbeitung des Elektroschrotts könnten so im Inland durchgeführt werden, die Verarbeitung komplexer Bestandteile, für die es lokal keine Möglichkeiten gibt, kann in HighTech-Schmelzwerken wie etwa der belgischen Umicore erfolgen. Was teilweise auch bereits geschieht, und zwar mit Ge corporAID Magazin • Jänner 2010 15 Fotos: Copyright Basel Action Network 2009, EMPA, Nokia Titel Ineffizient oder sicher? Rohstoffgewinnung aus E-Waste auf unkontrollierten Deponien und in neuen Betrieben in Südafrika winn. Denn die hochentwickelten Anlagen können eine Edelmetallausbeute von mehr als 90 Prozent erreichen, während bei Hinterhofzerlegungen Verluste von bis zu 75 Prozent in Kauf genommen werden. Momentan fehlen noch internationale Standards für das Recycling von E-Waste. Recycling macht Sinn Die im High-TechSchrott enthaltenen Rohstoffe sind teilweise knapp, so etwa das Gewürzmetall Indium, das für Flachbildschirme oder Photovoltaikzellen gebraucht wird. „Mithilfe alter Handys, Computer und anderer Elektronikgeräte könnten wir bei einigen Metallen einen erheblichen Anteil des deutschen Jahresbedarfs decken und wären weniger von den immer teureren und unsichereren Importen abhängig“, sagt Umicore-Chefstratege Christian Hagelüken in einem WirtschaftswocheBeitrag. In Deutschland stammen bereits 45 Prozent des verwendeten Kupfers aus Recycling. Außerdem wird die Umwelt geschont – beim Recycling von Kupfer bei- spielsweise spart man nach Angaben der Tiroler Montanwerke Brixlegg 80 Prozent Energie gegenüber der Primärgewinnung. In einer Studie, die die EMPA im Auftrag von StEP und in Kooperation mit Umicore und UN-Organisationen in Asien, Afrika und Lateinamerika 2009 durchführte, wurden die lokalen SchrottVerarbeitungspotenziale erhoben. Es zeigte sich, dass in allen untersuchten Ländern ein Marktpotenzial für Vorverarbeitungsanlagen vorhanden ist. Allein zur Bewältigung der eigenen Elektronikschrottmengen besteht an solchen Anlagen großer Bedarf. Die Errichtung von State-of-the-art-Endverarbeitungsanlagen wie Schmelzhütten für Nichteisenmetalle, dürfte mittelfristig aber eher nur in größeren Schwellenländern rentabel sein, da erhebliches Investitionskapital, ein hoher Ausbildungsgrad und große Elektroschrottvolumina erforderlich sind. Um die Vorteile und wirtschaftliche Machbarkeit von einer Vorverarbeitungs- Goldmine ICT Rund 5 Prozent der jährlichen Goldförderung finden sich in Mobiltelefonen. Pro Tonne stecken in Computer-Leiterplatten 250 g Gold, in Mobiltelefonen 350 g Gold Dazu im Vergleich der Bergbau: im Golderz ca. 5 g Gold. In den 2008 weltweit verkauften 1.300 Mio. Stück Mobiltelefonen stecken 31 t Gold, in 300 Mio. Stück PCs und Laptops 66 t Gold. In den insgesamt bisher weltweit verkauften 7,2 Mrd. Handys finden sich 170 t Gold. vgl. Goldförderung: ca. 2.400 Tonnen 14 corporAID Magazin • Jänner 2010 anlage von Elektroschrott zu demonstrieren, iniitierte die EMPA in Kooperation mit dem Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft und mit Finanzierung durch Hewlett-Packard 2008 die Errichtung einer ersten Pilotanlage in Südafrika. Insgesamt gibt es in Südafrika 14 Recyclingfirmen bzw. -NGOs, von denen aber die wenigsten effektiv arbeiten und sämtliche Schritte von Sammlung bis Verarbeitung integrieren. In der Pilotanlage können von zwanzig Mitarbeitern jährlich rund 60 Tonnen ESchrott verarbeitet werden. Funktionstüchtige Teile werden neu zusammengebaut und verkauft, der Rest wird zerlegt und recycelt. Mit den wieder gewonnenen Metallen wurde bereits im ersten Jahr Gewinn gemacht. Was nicht verwertet werden kann, kommt auf eine kontrollierte Giftmülldeponie. Solche Deponien und Sondermüllverbrennungen für eine geregelte Beseitigung der Reststoffe sind in Entwicklungsländern noch selten. Die Anlage, die die verschiedenen Arbeitsprozesse in ihrer Ganzheitlichkeit einbindet, soll auch als Modell für andere Länder dienen. Ähnliche Initiativen setzt die EMPA in Costa Rica, Kolumbien, Peru, Chile, Indien und China um. Alles kommt zurück Es lohnt sich, den Elektroschrott im formellen System zu behalten. Auch weil wir ihm sonst wieder einmal begegnen könnten, wenn wir es vielleicht am wenigsten erwarten: in Form von belasteten Meeresfischen auf unseren Tellern oder als toxischem Modeschmuck aus Elektroschrott, wie ihn Wissenschaftler 2007 in amerikanischen Läden entdeckt haben. Aus der Sicht bedeutet eben nicht aus der Welt. • Julia Mundl