- Fachbereich Philosophie und

Transcription

- Fachbereich Philosophie und
NR. 11, WINTER 2005
kultinger
NEWSLETTER DES INSTITUTS FÜR KULTUR- UND MEDIENMANAGEMENT
Editorial
Einen Moment bitte, Sie werden
gleich vermittelt. Hier werden Sie
geholfen. Während das Fräulein vom
Amt die Kunst der Vermittlung mit
eleganter Handarbeit und Grandezza
in der Stimme beherrscht, ist die
Vermittlung der Kunst alles andere
als geordnete Stöpselei. Wie aber
kann man die Verbindungen entwirren? Welche Mittel der Kulturvermittlung stehen uns zur Verfügung?
Mit ausgewählten Themen haben
wir versucht, einige Entwicklungen
der Kulturvermittlung zu beschreiben und zu hinterfragen. Wie gelangt die Kultur zum Konsumenten?
Was wird für das Publikum von
morgen getan? Brauchen wir eine
zentrale Schaltstelle für Kulturvermittlung? Wie wird dies in anderen
Ländern wie Bulgarien und den
Vereinigten Staaten behandelt?
Wie steht es um den Standort
Deutschland? Was erfüllen die
öffentlich-rechtlichen Sender ihrem
Bildungsauftrag? Wie wird die
ästhetische Bildung in den Schulen
praktiziert? Wie gewinnt man
Menschen in ihren Mittagspausen
für die Kunst? Geholfen haben uns
auch verschiedene „Köpfe” aus allen
Bereichen der Kultur, indem Sie uns
ihre Meinungen zur Kulturvermittlung sagten.
Kulturmanager müssen helfen,
Kultur für alle zugänglich zu machen
– Brücken zu schlagen und Verbindungen herzustellen. Wir sind also in
gewisser Weise alle Fräuleins vom
Amt. Lassen Sie sich verbinden!
NING WANG
Keine Zeit fürs Singen
Die Wächterin
Kultur im Kopf
EIN NACHRUF AUF DEN KUNSTUNTERRICHT
WIE CHRISTINA WEISS FÜR KULTUR WIRBT
ZEHN VERMITTLER UND IHRE REZEPTE
K U L T U R V E R M I T T L U N G
„Singen wir heute wieder
den schönen Kanon?“
ÄSTHETISCHE BILDUNG IM KINDESALTER – EIN EWIGER MANGEL
K
leine Engel sind das nicht. Der Lärm
im Klassenzimmer erinnert an die
Dezibelmacht eines Kleinstadtbahnh ofs. In einer zweiten Klasse des Evangelischen Schulzentrums Leipzig bricht sich die
gute Laune auf Klanghölzern, Xy l ofon und
Trommeln Bahn. „Es macht Spaß“, lacht die
achtjährige Anne und haut drauf los.
So einfach ist das.
Auf diese einfache Weise Spaß an der
Musik zu wecken, ist alles andere als der
Regelfall. Nicht umsonst b a n gen Kulture i nr i c ht u n gen bundesweit um ihr Nachwuchspublikum. Pä d a gogische Angebote seitens
der Theater oder Museen gibt es seit l a ngem, aber die Fundamente für das Interesse
der Kinder werden im Kindergarten und in
den Schulen gelegt. Gerade erst wies eine
Studie der Eichstätter Universität nach, dass
in der Ausbildung von Erzieherinnen für das
Singen vor und mit Kindern erhebliche
Defizite bestehen:„Die Bedeutung des
Singens für Kinder wird deutlich unt e rschätzt“, sagt Inititator und Musikpädago ge
P rofessor Peter Brünger. Offensichtlich
werde dies in der Ausbildung von Erz i e h erinnen nicht ausreichend thematisiert.
„Hinzu ko m mt, dass das im Studium
vermittelte Re p e rtoire an Kinderliedern
mangelhaft ist, dass Ke n ntnisse im spez i e llen Umgang mit Kinderstimmen nicht we iterge geben werden und Fortbildungsangebote zum Singen mit Kindern ke i n e
breite Akzeptanz finden.“ Es gibt zwar
Kindergä rten mit besonderem musischem
oder künstlerischem Prof i l , aber in einer
durchschnittlichen Kita „haben wir doch
fürs Singen oder Malen fast gar keine Zeit
mehr“, sagt eine Berliner Erzieherin, die
ihren Namen lieber nicht preisgeben will.
Ist die Lage beim Kunstunterricht nicht
ganz so prekär, fallen doch in den Grundund Hauptschulen der Bundesrepublik
Deutschland bis zu 80 Prozent der Musikstunden aus oder werden fachfremd erteilt.
In allen Bundesländern werde der Musikunterricht als „Spielball und ve rf ü g b a re
Masse“ge n u t z t , um Unterrichtsstunden in
Fächer wie Informatik oder Medienerziehung zu verlagern, kritisiert Johannes Bähr,
stellve rt retender Vorsitzender des Arbeitskreises für Schulmusik und allgemeine
Musikpädagogik (AfS). Ohnehin gibt es
meist nur eine Stunde Musik pro Wo c h e.
Da haben es Pädagogen schwer, Lehrpläne
und Schülerinteressen auszubalancieren.
Den Schülern fehlten die Möglichkeiten,
sich ku l t u rell auszudrücken, m e i nt auch
der Berliner AfS-Vorsitzende Andreas Engel.
„Das können ja auch rappende Hauptschüler
sein.” Genau die würde Heinz Winkler, Leiter
der Le i s t i kow-Oberschule in Berlin-Zehlend o rf, liebend gern betreuen lassen. „Aber das
furchtbar Traurige an der Sache ist, dass uns
einfach die Kapazitäten fehlen. Viele Schulen
würden gern mehr für die ästhetische
Bildung tun, wenn sie genügend Fachkräfte
hätten. Und wir als Hauptschule haben
einfach das Problem, dass die ohnehin
umworbenen Musiklehrer nicht zu uns
kommen wollen.“
Dabei sei das Int e resse der Schüler durc haus groß, meint Winkler: „Sie präsentieren
zum Beispiel mit Freude im Krankenhaus
Waldfriede ihre Kunstwerke, dafür beko mmen wir dann Plätze für unsere Schülerpraktika.“ Und als jüngst ein Afrikaner dafür
gewonnen werden konnte, Trommelunt e rricht zu erteilen, seien die Schüler gleichfalls
begeistert gewesen: „Die warten doch
eigentlich nur darauf, aus der Re s e rve
gelockt zu werden.“ Die rigide Sparpolitik
des rot-roten Senats und das Schulgesetz,
das den Dire k torien keine Personalhoheiten
ge s c hweige denn einen Honoraretat gestatte, all dies müsse dringend geändert we r-
Schülern fehlt oft die Möglichkeit, sich kulturell auszudrücken
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Mathe und Deutsch sind wichtiger als Musik
den, fo rd e rt der Schulleiter. Dass ästhetische
Bildung eine nicht zu unterschätzende
Bedeutung für die Persönlichkeitsent w i c klung junger Menschen hat, ist fast schon
eine Binsenweisheit gewo rden. Für Furo re
sorgte denn auch eine im Jahr 2000 vo rgestellte Studie des Frankfurter Musikpädago gen Hans Günter Bastian, der in einem
Modellversuch über sechs Jahre an vier
Berliner Grundschulen nachwies, dass der
U m gang mit Musik positive Auswirkungen
auf die intellektuellen und sozialen Fä h i gkeiten der Kindern hat und dass sogar die
Lern- und Leistungsmotivation durch das
Singen und Musizieren ansteigt. Der Musikunterrichtin der Schule baue sogar Angstpotenziale ab und tra ge damit zu einer
Ve r r i n gerung der Gewaltbereitschaft unter
Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft bei. Und mehr noch: Bundesinnenminister Otto Schily ließ sich einst s o gar zu
der Behauptung hinreißen, wer Musikschulen schließe, gefä h rde die innere Sicherheit.
Verbessert hat sich seither nichts. Das
G e ge nteil ist der Fall. Wä h rend Ute Falk,
S p recherin des Senatsve rwaltung für
Jugend, Bildung und Sport , darauf hinweist,
dass die ästhetische Bildung in der „Eigenve rant wo rtung der Schulen“ liege, fällt in
Berlin weiterhin Musik- und Kunstunterricht
aus. Bedenkt man überdies die Abwicklung
der musikpädagogisch äußerst engagierten
Berliner Symphoniker, so scheint e s, als habe
künstlerische Erziehung in den Schulen
keine Lo b by mehr. „Sie wird auch von den
Eltern nicht ernstgenommen“, sagt Sigrid
Baumgart von der Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft. „Mathe und Deutsch
sind wicht i g, und bei letzterem nicht mal
Literatur, sondern die Rechtschreibung!
Wir sehen uns einem völlig reduzierten
Bildungsideal gegenüber.“ Es brauche sich
dann niemand zu wundern, wenn die
Wirtschaft aufschreie, weil sie Flexibilität,
e i gene Denkstrukturen und Präsentationsvermögen ford e re. Wo soll es herkommen?
Für die achtjährige Anne aus Leipzig stellt
sich die Frage nicht. Sie weiß es: „Singen wir
heute wieder den schönen Kanon?“
CHRISTIAN SCHMIDT
K U L T U R V E R M I T T L U N G
Wagner schon im Kindergarten?
KULTURSTAATSMINISTERIN CHRISTINA WEISS ÜBER DIE ART UND WEISE, BRÜCKEN ZU BAUEN
Frau Dr. Weiss – was bedeutet für Sie
Kulturvermittlung?
Kulturvermittlung ist für mich die Art und
Weise, Brücken zu bauen zwischen
Künstlern und ihrem Publikum. Nimmt
man den Kulturbegriff ganz weit, dann
versteht sich darunter das Regelwerk des
Miteinanders in einer Gesellschaft. Wir
müssen uns klar darüber sein, in welcher
Kultur wir leben, wie wir miteinander
umgehen, wie wir unser Gemeinschaftsleben organisieren.
Das Verständnis für Kultur entwickelt
schon sich im Kindesalter – wo sehen Sie
hier Ihre Aufgabe?
Wir haben zu appellieren: an Eltern, an
Lehrer, an Schulen, an alle, die mit Kindern
zu tun haben. Ich setze derzeit weniger auf
die direkte Zusammenarbeit mit den
Schulen sondern darauf, außerhalb der
Schulen Angebote zu entwickeln.
Wir brauchen ein Gegengewicht zu dem,
was das etwas unglückselige Halbtagsschulensystem in Deutschland ohnehin
kaum leisten kann. Deshalb sind fast alle
Kulturinstitutionen aufgerufen, spezielle
Angebote für Kinder zu unterbreiten. Und
manche tun es auch, auf sehr vielfältige
und wunderbare Art und Weise. Wir brauchen aber ein besseres Marketing, das die
Kinder direkt erreicht. Künstlerische Erziehung muss vor der Einschulung beginnen.
Ist es nicht etwas hoch gegriffen, von
Vorschulkindern zu erwarten, dass Sie
Wagners Nibelungen verstehen?
Darum geht es nicht. Für ein Kind ist es
noch nicht die Frage, ob es im Nachbarschaftskulturzentrum ein Theaterstück
erlebt oder in die große Oper geht. Für das
Kind ist zunächst einmal wichtig zu merken, daß es mit der Kultur in Berührung
kommt. Erst später erwacht dann auch das
Interesse für die Oper oder das Theater.
Wo und wie haben Sie ganz direkten
Einfluss auf die ästhetische Erziehung?
Einige Häuser obliegen dem Bund direkt.
Zum Beispiel die Museen der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz oder das Jüdische
Museum. Da kann ich ganz direkt Einfluss
nehmen. Dort fördern und entwickeln wir
gerade Modellangebote.
Könnten Sie dafür ein Beispiel geben?
Wir haben die Museen der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz aufgefordert, spezielle Varianten für die Arbeit mit Kindern
zu entwickeln, die bei entsprechender Qualität andere Museen beeinflussen könnten.
Aber ich bin immer überrascht, was es für
faszinierende Angebote in der Provinz gibt.
Ich war vor nicht allzu langer Zeit im
Aachener Ludwigmuseum und habe dort
einen Tag lang verschiedene Kinderkurse
erlebt. Zum Beispiel zum Thema Kunsterfahrung. Die Kinder wurden aufgefordert,
Wörter aufzulisten, die ihnen zum einem
Kunstwerk einfallen. Dann wurden die
Wörter ausgetauscht, und jeder musste
mit den fremden Wörtern einen Text
schreiben.
Ich sehe mich durchaus in einer
Wächterrolle. Wenn in den Ländern solche
Programme nicht mehr finanziert werden,
dann ist unser Widerspruch gefordert.
Mehr kann ich nicht tun. Die Kulturhoheit
der Länder verbietet ein gesetzliches
Durchgreifen. Aber diese Appellfunktion
ist nicht zu unterschätzen.
Ein anderer Aspekt von Kulturvermittlung
ist der interkulturelle Kontext. Mit der EUOsterweiterung gewinnt er aktuell zunehmend an Bedeutung. Welche Pläne haben
Sie hinsichtlich der neuen Beitrittsländer?
Europa definiert sich wieder als Kulturraum. Wenn man sich früher auf Europa
bezogen hat, meinte man meist nur den
westlichen Teil. Da fehlte aber die Mitte.
Wir haben deshalb vom ersten Moment an
gesagt, daß die EU - Erweiterung durch
einen sehr intensiven Kulturaustausch begleitet werden muss. Wir wollen Programme auch nicht einfach austauschen, sondern gemeinsam entwickeln. Das betrifft
alle Künste. Wir beginnen im Jahr 2005
diesen Austausch mit Polen. Damit es aber
keine Politveranstaltungen werden, haben
wir die Programmhoheit in die Kulturstiftung des Bundes verlagert, in der ein
Gremium aus deutschen und polnischen
Fachleuten sitzt, das zusammen plant.
Trotzdem noch ein kurzer Blick nach
Westen. Haben wir verglichen mit ame-
Kulturstaatsministerin Dr. Christina Weiss
rikanischen Kulturinstitutionen Nachholbedarf im Bereich Development und
Marketing?
Ich glaube, der Vergleich ist im Prinzip ein
Fehler. Amerikanische Kultureinrichtungen
leben fast ausschließlich von privatem
Geld. Es wird inzwischen immer lauter
beklagt, daß sie auf fatale Weise von ihren
Geldgebern abhängig sind. Früher konnte
man eher einen Finanzier ablehnen, wenn
man die geforderten Auflagen nicht erfüllen konnte. Heute ist das anders. Das
System in Amerika ist so aufgebaut, daß
der Staat auf direkte Steuereinnahmen
verzichtet. Die Leute bestimmen selbst,
was sie mit ihren Spenden machen.
Bei uns ist der Staat für die Grundversorgung verantwortlich, und das sollte auch
so bleiben. Allerdings sollten sich die
Kultureinrichtungen hier auch als Dienstleistungsunternehmen für das Publikum
sehen. Dazu gehört auch, Partner aus der
Wirtschaft zu finden. Die notwendige
Lobby läßt sich über Sponsoren, Mäzene
und gesellschaftliche Gruppen ungeheuer
erweitern. Diese Lobby, wenn sie aus der
Wirtschaft kommt, macht viel Eindruck
auf die Politik. Es gibt vielleicht immer
noch zu wenige Museumsdirektoren und
Theaterintendanten, die das wissen. Man
sieht es wirklich von Jahr zu Jahr wieder.
Die gefragteste Berufsgruppe werden in
einigen Jahren diejenigen sein, die als
kaufmännische Geschäftsführer in diesen
Institutionen arbeiten.
Die Zukunft des Kulturmanagements –
das ist das, was wir tagtäglich lernen:
Konzepte entwickeln, neue Wege finden,
Gelder akquirieren um weiterhin erfolgreich Kultur zu vermitteln...
Es ist ungeheuer wichtig, daß eine
Institution zwei unterschiedliche „Köpfe“
hat: Der eine sollte gefälligst kreativ Pläne
machen und der andere soll sich kreativ
mit Einnahmemöglichkeiten, Personalführung und Marketing beschäftigen. Da
haben wir noch großen Nachholbedarf.
Eine letzte Frage: Was würden Sie uns –
angehenden Kulturmanagern – für unseren
Einstieg ins Berufsleben mit auf den Weg
geben?
Nichts ausschließen und bereit sein, immer
wieder zu wechseln. Offenheit und
Beweglichkeit. Ich glaube das ist als innere
Einstellung ganz wichtig. Außerdem
Begeisterungsfähigkeit. Ich glaube, man
darf – erst recht in diesen Zeiten – nur
einen Beruf anstreben, den man wirklich
mit Leidenschaft machen will.
Frau Dr. Weiss, wir danken Ihnen für das
Interview.
CLAUDIA GELLRICH,
SILKE KRUMMEL, JOHANNA LEHMANN,
CHRISTIAN SCHMIDT, NING WANG
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K U L T U R V E R M I T T L U N G
Zwölf Uhr mittags in der Kunsthalle
VIERMAL IM MONAT VERBRINGEN
HAMBURGER IHRE LUNCHTIME IM
MUSEUM
V
iermal im Monat steht die Hamburger Kunsthalle vor der Erstürmung.
Immer mittwochs, wenn es vom
Michel zwölf geschlagen hat, herrscht im
Foyer ein sonderbares, buntes Gewimmel.
Seit fünf Jahren geht das nun schon so.
Und während andere in der Umgebung
zum Mittagessen Platz nehmen, wird hier
ein geradezu unbändiger Kunsthunger
bedient. Kleine Führungen sollen Appetit
auf mehr machen. Es sind vor allem
Rentner gekommen, die sich zu kennen
scheinen und einander vertraut begrüßen.
Mittendrin auch ein paar Studenten.
Sie wandeln mit geübtem Blick durch
die Rotunde, den Eingangsbereich und
Museumsshop. Später stoßen einige
Hausfrauen hinzu. Auf den letzten Drücker
tauchen schließlich noch Geschäftsmänner
auf – elegant im Anzug, aber sehr zurückhaltend.
Diesmal soll es um eine Lithographie
von Cézanne gehen. Die Referentin wird
von den Kunsthungrigen regelrecht eingekreist und kann sich der vielen Fragen
kaum erwehren. Der Weg zu Cézanne
führt einmal quer durch das ganze
Gebäude, kreuzt das Liebermann Café
und geht noch zweimal um die Ecke.
Verfehlen kann man es nicht, die Traube
Info-Box
Die Hamburger Kunsthalle bietet
u.a. innovative, sehr beliebte und
wirklich gut besuchte Programme
an: den „Goldenen Freitag“ extra für
Rentner, denen jeden Freitag im
Monat ermäßigter Eintritt zusammen mit Kaffee und Kuchen im Café
Liebermann oder im Bistro geboten
wird. Oder „Mund auf, Augen auf!
untitled breakfast“ - ein Programm
für Jugendliche, die zu einem Preis
von 20 Euro jeden Sonntag von 10
bis 14 Uhr im Bistro der Galerie der
Gegenwart ausgiebig brunchen
sowie drei Führungen mitmachen
können. Und die Programme
„Donnerstags 19 Uhr“, „Kinderzeit“,
„kunst meets kommilitonen“ und,
und, und....
Kontakt: Hamburger Kunsthalle,
Glockengießerwall, 20095 Hamburg
www.hamburger-kunsthalle.de
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Die Schar der Enthusiasten lauscht gebannt
von Menschen ist zu markant. Im Vorbeigehen rauscht noch kurz die Galerie
der klassischen Moderne vorbei, in der
zur Zeit Neuerwerbungen von Pia Stadtbäumer aus der Reihe „Kunst in Hamburg.
Heute“ zu betrachten sind. Aber wahrscheinlich spielt das für die meisten
Besucher keine Rolle, sie scheinen allesamt
Stammpublikum zu sein und die Kunsthalle genau zu kennen.
Im Kupferstichkabinett angekommen,
sind die wenigen Hocker längst besetzt.
Nachzügler werden mitleidig beäugt,
sie müssen stehen. Es wird still. Einige
Zuhörer zücken den Notizblock und
schreiben eifrig mit. Ein kurzer Abriss zur
Geschichte und das Handwerk der
Lithographie eröffnet den kunstvollen
Mittag. Und das hört sich so an:
Alles folgt dem Prinzip des Flachsdrucks,
der vor allem der Vervielfältigung von
Graphiken diente. Die Zeichnungen
werden spiegelverkehrt auf einen
bestimmten Stein übertragen. Der Stein
wird mit Farbe beschichtet und schließlich
wieder auf Papier gepresst.
Bei farbigen Lithographien wird das
Verfahren entsprechend der Anzahl der
Farben wiederholt.
Diese schwierige Aufgabe, dass
spiegelverkehrte Abbilden der Graphik
auf Stein, dann das Beschichten und
schließlich wieder das Drucken, wurde
größtenteils nicht von den Künstlern
selber durchgeführt, sondern von ausge-
bildeten Druckern. Auch Cézanne hat
die Aufgabe der Herstellung von Lithographien einem Drucker überlassen.
Einige der Zuhörer nicken sich gegenseitig
wissend zu.
Dann dreht sich alles um das Meisterwerk selbst: Cézannes Lithographie „Die
vier Badenden oder die großen Badenden“
von1897. Die Referentin erzählt, dass
Cézanne bei dieser Lithographie ein
farblich stark ausgeprägtes (Leinwand-)
Bild von 1875 übernimmt, „Die Badenden
bei der Rast“ (besser: beim Schlafen).
Das Vorbild ist im Besitz der Barnes
Foundation, die so gut wie keine Ausleihen
und Abbildungen in Katalogen zulässt.
Hierzu zückt die Referentin einen älteren
Katalog, um das Originalbild zu zeigen.
Die Hälse der Zuhörer recken sich, aber
eigentlich können nur die ersten Reihen
einen Blick erhaschen. Die hinteren
kommen zu kurz.
Die Runde erfährt, dass der Badende
ein immer wiederkehrendes Motiv in
den Bildern Cézannes ist. Die aufrechte
Person mit den Händen in den Hüften
wurde inspiriert von einer Photographie,
die auf der Rückseite einer Zeichnung
von Cézanne gefunden wurde, und heute
im Museum of Modern Art in New York
aufbewahrt wird, wie auch das Bild
„Der große Badende“, welches wiederum
davon inspiriert wurde. Bei dieser
Lithographie hat er zusätzlich mit drei
Farben gearbeitet, jeweils um die ver-
K U L T U R V E R M I T T L U N G
Sexy Oper
WIE ARD UND ZDF DEN
KULTURBEGRIFF LUSTVOLL
VERWANDELN
W
schiedenen Konturen besser herauszuheben und die Bedeutung und Tiefe des
eigentlichen Bildes anzudeuten.
Bei solch geballter Informationsflut hat
man leicht Angst, den Faden zu verlieren.
Aber nirgendwo leidet die Konzentration,
die Gruppe lauscht gebannt wie einer
Verheißung.
Ein paar Minuten später ist der Zauber
vorüber, ein kleiner Applaus noch, ein
anerkennendes Kopfnicken auch und
die Schar der Enthusiasten strömt auseinander. Man verabschiedet sich mit einer
neuen Verabredung.
Das Konzept der Hamburger Kunsthalle,
Besucher und Interessierte mit den
„12 Uhr mittwochs“-Appetizern ins
Museum zu locken, eine Möglichkeit zu
bieten, um ein bedeutendes Kunstwerk
kurz und knapp zu einem bemerkenswerten niedrigen Preis aber dennoch
intensiv kennen zu lernen, ist nicht nur
einfallsreich und in dieser Art einzigartig,
sondern auch sehr erfolgreich.
Über den anhaltenden Ansturm ist man
im Museum noch immer überrascht.
Kunstvermittlung in nur 20 Minuten, um
den Besuchern einen ersten zeit- und
kostengünstigen Einstieg zu gewähren,
die Hemmschwelle eines weiterbildenden
Museumsbesuchs so weit wie möglich
herab zu setzen, scheint in der heutigen,
„zeitknappen“ Zeit ein wirklich zu empfehlendes Konzept zu sein.
JOHANNA LEHMANN
enn es in einem Beitrag des
Kulturreport (ARD) über die russische Opernsängerin Anna
Netrebko heißt: „Die Antwort auf MTV und
Viva. So sexy war Oper noch nie”, das
Kulturmagazin Aspekte (ZDF) brisanten
Fragen wie „Wann entscheidet sich, ob
aus der Begegnung zweier Menschen eine
längere Beziehung wird?” nachgeht oder
Pablo Picassos Werk „Garçon à la pipe“ als
Tabakwerbung interpretiert wird, stellt
sich die Frage, ob ARD und ZDF den Kulturauftrag noch ernst nehmen oder doch
schon eher auf dem kulturellen Boulevard
angekommen sind. Auch die an sich mutige, tägliche Kulturzeit von 3sat nimmt sich
vor, was bedroht oder hip, anspruchsvoll
und möglichst auch zeitgeistig ist und
unterlegt ihre Clips mit elektronischen
Bässen, damit auch jeder merkt, dass
Kultur durchaus flott sein kann.
Zunächst wird über ein neues Buch
verhandelt, das sich auf die Abschaffung
des Gottesbegriffes bezieht, dann folgt ein
zackiger Kommentar, der verkündet, dass
die staatlichen Sinfonieorchester mit ihren
konservativen Programmen selber schuld
seien, wenn sie weggespart werden.
Der anschließende Bericht über die
ethnischen Säuberungen im Sudan wirkt
dann neben dem neuesten Klatsch vom
Filmfestival in Cannes wie ein Event
einer experimentellen osteuropäischen
Theatergruppe.
Was sperrig ist und sein muss, wird
massentauglich gemacht. Und was schon
Unterhaltung ist, wird noch weiter popularisiert. Es hat den Anschein, als würde
Hochkultur dem
Bildungsniveau
eines Abiturienten angepasst –
als Prise Restkultur im bunten
Elend der Quizshows und
Reality-Soaps. Als
würde man dem
eigenen Gegenstand misstrauen,
konzentriert man
sich immer häufiger auf die vermeintlich interessanteren Themen
aus Politik und
Wissenschaft.
Da müssen Moderatoren, die von
Astronomie und
Physik so viel verstehen wie Albert
Die Antwort auf VIVA?
Die Sängerin Anna Netrebko
Einstein vom Stepptanz, über die politische
Dimension der Raumfahrt debattieren, als
seien sie gerade von einer Konferenz mit
Nobelpreisträgern zurückgekommen.
Es ist wohl eine Tatsache, dass zur Zeit
ein Abbau von Kulturprogrammen betrieben wird. Der Rest tarnt sich als Kessel
Buntes. Gerade die öffentlich-rechtlichen
Anstalten rücken von traditionellen
Kultursendungen ab, die nicht auf Anhieb
die Quotenvorgaben erreichen.
Doch was bei den Privaten vertraglich
festgelegt ist – ein bisschen Alexander
Kluge zwischen der Suche nach Millionären oder Superstars –, obliegt bei den
gebührenfinanzierten Sendern den Programmdirektoren. Mit Verweisen auf die
Zwänge des Mediums, die Quoten, den
Etat, die Schwierigkeiten, überhaupt noch
derartige Randgruppen zu bedienen, werden Kulturformate massentauglich zurechtgestutzt. Dabei ist es gerade der Mut
zur Qualität, mit dem sich die ÖffentlichRechtlichen langfristig behaupten könnten. Dazu gehört, die Intelligenz und Neugier der Zuschauer
nicht zu unterschätzen und Offenheit
für neue Formate
nicht mit Beliebigkeit der Inhalte zu
verwechseln.
Wenn sich das
Fernsehen in
einigen Jahren in
hunderte digitale
Kanäle auflöst
und nichts anderes
mehr ist als ein
Internet der
bewegten Bilder,
selbst und gerade
dann wird man
anspruchsvolle
Kultursendungen
brauchen.
Allerdings nur,
wenn es diese
noch gibt.
JANA WUTTKE
5
K U L T U R V E R M I T T L U N G
Alles muss raus!
SOMMERSCHLUSSVERKAUF DER KULTURPOLITIK IN BULGARIEN
M
an stelle sich vor, das Pergamonmuseum würde an Walt Disney
verkauft und keiner erfährt davon.
In Sofia sind derartige Gedankenspiele
keineswegs dem Reich der Phantasie
zuzuordnen. Ginge es nach dem Willen
des bulgarischen Kulturministers Bojidar
Abrashev wäre die Nationalgalerie in Sofia
ebenso sang- und klanglos in ein Entertainmentkomplex mit Swimingpool umgewandelt worden. Das 1884 erbaute
Gebäude für ausländische Kunst gegenüber der berühmten Alexander-NevskiKathedrale birgt etwa 3000 Kunstwerke
von der griechischen Antike bis zur Neuzeit. Doch der Übergang vom wertvollen
Kulturerbe zur Top-Immobilie in Citylage
ist fließend – und letztlich auch eine Frage
des Preises. In diesem Fall kostete das
staatliche Einverständnis zum Verkauf an
eine türkische Hottelkette 150.000 Dollar.
Erst als sich der Maler Svetlin Roussev in
einem Brief an die bulgarischen Tageszeitungen wandte, gelangte die Korruptionsaffäre an die Öffentlichkeit. Viele andere
Geschäfte des Kulturministeriums werden
hingegen im Verborgenen abgewickelt. So
wurde 2003 der einzige Botanische Garten
des Landes verkauft – ebenfalls an ein
Hotelkette.
Korruption ist nur eine Folge einer langjährigen maroden staatlichen Kulturpolitik. Die derzeitige kulturelle Infrastruktur
basiert auf einem Modell aus dem 20.
Jahrhundert, das auch im sozialistischen
Bulgarien nicht grundlegend verändert
wurde: Der Staat ist Eigentümer einer festgelegten Anzahl nationaler Kulturinstitutionen, deren Verwaltung aus seinen
Mitteln finanziert wird. Nichtstaatliche
Organisationen und private Initiativen
können in die Förderung nicht aufgenommen werden. „Unabhängig von der finanziellen Lage ist das grundlegende Problem
Bulgariens der fehlende Wille, die Kulturpolitik zu reformieren“, sagt Dessi Gawrilova, Leiterin des privaten Kulturzentrums
Das Rote Haus in Sofia. Viktor Paskov,
Schriftsteller und Leiter des bulgarischen
Kulturinstitutes in Berlin, formuliert es
noch härter: „Der Staat ist ein bloßer
Verwalter der Kultur, der ohne Geld, eigene
Ideen oder Kompetenz agiert. Nach außen
scheinbar harmlos ist es genau diese kurzsichtige Politik, die die gesamtgesellschaftliche Stagnation im Kulturbereich fortschreibt.“
Ein kleiner Schritt, Eigeninitiativen zu
honorieren, ist die Einrichtung eines
Nationalen Kulturfonds sowie die Ausschreibung eines Förderwettbewerbs, der
Die Kluft zwischen Ambition
und Verfall ist allgegenwärtig
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von den Kunstzentren des Kulturministeriums ins Leben gerufen wurde. Für die
Fondsmittel können sich zwar sowohl
staatliche als auch private Institutionen
bewerben, dennoch geht sämtliche Förderung privater Programme bei der Anmietung staatlicher Häuser wieder verloren.
Eine nachhaltige Infrastruktur kann in
Form dieser kurzfristigen und sehr geringen Finanzhilfen von bis zu 200 Leva (etwa
100 Euro) nicht gewährleistet werden.
Der Kulturanteil am Staatshaushalt
beträgt 1,6 Prozent, und auch darauf können die Kreativen nicht wirklich bauen.
Denn das wenige Geld versickert nicht selten in undurchsichtigen Kanälen. „Die
junge bulgarische Kunst- und Kulturszene
ist damit fast vollständig auf die Hilfe von
Stift u n gen angewiesen“, erklärt Gawrilova.
Neben der open society foundation, der
Europäischen Kulturstiftung oder der
Schweizer S t i ftung pro helvetia ist das
Soros-Zentrum für Kulturpolitik wie in
vielen anderen osteuropäischen Ländern
einer der Hauptsponsoren für Kultur und
verteilt insgesamt mehr als 500 000
Dollar jährlich für kulturelle Projekte. Die
Stiftung des amerikanischen Finanziers
George Soros ist bei einigen Künstlern
umstritten – ihr werden mafiöse Strukturen und blinder Import westlicher
Kunstkonzepte unterstellt. Tatsache ist,
dass die Gelder der ausländischen
Stiftungen, einen Macht- und Verteilungskampf entfacht haben. Zu sozialistischen Zeiten waren alle Künstler automatisch in Verbänden organisiert, der Staat
garantierte ihr Auskommen oder kaufte
Auf der Jagd nach
der Kultur – ein
Trophäensammler
auf dem Balkan
ihre Werke an. Heute, nach dem Wegfall
der staatlichen Subventionen und angesichts eines Verlustes der realen Kaufkraft
von 70 Prozent, leben viele Künstler am
Existenzminimum. Nur wenige können
auf hergebrachte Strukturen zurückgreifen oder im Ausland ausstellen.
Ein weiteres Problem ist die zunehmende Vergreisung der Kunst- und Kulturszene durch die Abwanderung der Jungen.
„Es existieren eine Vielzahl privater Zirkel,
die vor sich hin dümpeln, die Anzahl
innovativer oder experimenteller Kulturprojekte ist eher gering“, erklärt Gaw r i l ova.
Sobald Geld vorhanden ist, scheint alles
machbar; ohne Mittel verfällt selbst
K U L T U R V E R M I T T L U N G
Es war einmal in
Amerika
FROM: HUMMEL, CLARA [MAILTO:CLARA@GMX.DE]
SENT: TUESDAY, MARCH 23, 2004 6:31 AM
Liebe Uli,
nach sechs Tagen New York
kommt endlich ein Lebenszeichen
von mir. Außerdem gibt´s hier den
versprochenen kurzen
Zwischenbericht von unserer
Exkursion: Es ist fantastisch!
das, woran allen gelegen ist. Die Kluft
zwischen Ambition und Verfall, die im
kulturellen Leben allgegenwärtig ist,
kann als Symbol für das gesamte Land verstanden werden. Neben den sichtbaren
Re s u l t aten der Kommerzialisierung in Form
von Casinos, Banken, Cafés und großen
Einkaufszentren verfallen genau jene
öffentliche Bereiche, die (noch) nicht nach
marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren. Dazu gehören Theater, Galerien
und Schulen.
Der nach außen getragene und hart
ersparte Luxus neuer Handys, Autos und
Kleidung basiert auf dem Mythos einer
westlichen Hochglanzwelt, die bei den
meisten Bulgaren in einem schizophrenen
Gegensatz zu den realen Lebensumständen steht. Erst vor den unzähligen Werbeplakaten stimmen Umgebung und Eigendarstellung überein.
Anstatt diesen Kontrast zum Thema zu
machen, bemühen sich viele Künstler, ihn
zu kaschieren. Es gibt selten Ironie, obwohl
sie auf der Straße liegt. So gelten die Projekte des Multimediakünstlers Ventsislav
Zankov, der sich mit Selbstinszenierungen
in den Medien befasst, oder das Avantgarde-Theater von Javor Gardev, als mutig,
sind aber relativ erfolglos. Unterhaltung
und Ablenkung sind gefragt.
Bevor man sich wieder kulturellen
Inhalten widmen kann, gilt es die
Korruption und Schattenwirtschaft einzuschränken und der Kultur eine finanzielle
wie politische Unabhängigkeit zuzubilligen. Als Reaktion auf das Geschacher mit
der Nationalgalerie wurde eine Assistentin
des Ministeriums entlassen. Der mit
Bestechungsvorwürfen konfrontierte
Kulturminister ist immer noch im Amt.
JANA WUTTKE
In den vergangenen Tagen
haben wir den amerikanischen
Kulturmanageralltag selbst erlebt:
ein „meeting“ nach dem anderen
mit Managern von ganz unterschiedlichen Kulturinstitutionen.
Heute standen Wall Street
Correspondances, Guggenheim
New York, JP Morgan Chase und
last but not least die MET auf
dem Programm.
Apropos MET: Ein schneller Blick
auf die riesigen Chagalls im Foyer,
und schon rauscht Hilary Lee
freundlich lächelnd heran. Es ist
15 Uhr. Sie begrüßt uns mit einem
heiteren How are You?, erkundigt
sich wie es uns gefällt und möchte wissen, was wir bislang erlebt
haben. Hilary wirkt auf Anhieb
sympathisch, trägt ein rotes Kostüm, ihr Haar ist kurz. Zierlich ist
sie, aber voller Power und Selbstvertrauen. Sie schwebt durch die
Hallen und erzählt uns zunächst
etwas über die Geschichte des
Opernhauses. Hilary verkörpert
wirklich exemplarisch, wie unkompliziert und kreativ viele Amerikaner ihr Leben in die Hand nehmen. Immer geht es um den
Traum, die Idee, das Projekt. Sie
haben eine Vision, und wenn sie
sich als richtig herausstellt, wird
sie umgesetzt. Punkt. So einfach
ist das. Nicht selten wird erst anschließend das dafür notwendige
Geld besorgt – also ganz anders
als bei uns in Deutschland. Natürlich ist das eine sehr vereinfachte
Darstellung, aber im Grunde läuft
es hier so. Woran das liegt?
Hilary erklärt uns, dass amerikanische Kulturinstitutionen sehr
viel stärker in Deutschland darauf
angewiesen sind, selbst Geld zu
akquirieren. Der Staat hält sich
meist vornehm heraus. Da die
Häuser auf eigenen Füßen stehen
müssen, haben sie im Vergleich zu
Deutschland riesige Marketingund Developmentabteilungen.
Zehn oder mehr Mitarbeiter sind
absolut normal. Neben
Fundraising kümmert man sich
dort um Audience development.
Denn: wer das Publikum von morgen entdecken will, muss sich
etwas einfallen lassen. Und genau
da kommt Hilary Lee zum Zug.
Das Motto der MET lautet
„Growing up with Opera“. Es geht
gezielt darum, Schul- und Kindergartenkinder für das Musiktheater empfänglich zu machen. Die
Hemmschwelle soll fallen, die
Oper als Lebenselixier und nicht
als Luxus empfunden werden.
Weiter erklärt sie uns, dass die
Lehrer von Musik- und Theaterpädagogen der MET in speziellen
Seminaren gecoacht werden. Ziel
ist es, die Kunst- und Musikerziehung an den Schulen zu unterstützen und zu ergänzen. Hier lässt
sich lernen, wie man Musik komponiert, Texte schreibt, Theater
spielt oder singt. Außerdem wird
ihnen beigebracht, was sonst
noch zu einer Oper gehört: von
der Anfertigung der Kostüme bis
hin zum Entwurf von Bühnenbildern. Es ist wenig verwunderlich, dass dieser Aufwand getrieben wird, denn es geht nicht nur
um Bildung, sondern auch um
zahlungskräftiges Publikum von
morgen.
Montag geht´s dann weiter
nach Las Vegas, von dort aus
melde ich mich wieder. Ich hoffe,
es geht Dir gut in Good Old
Germany!
Alles Liebe,
Deine Clara
CLAUDIA GELLRICH
7
K U L T U R V E R M I T T L U N G
Die Kulturköpfe
VON WEISSEN SCHIMMELN, FELDFRÜCHTEN UND LUSTIGEN G’STANZEL: ZEHN PROMINENTE VERSUCHE,
DEN BEGRIFF DER KULTURVERMITTLUNG ZU ÜBERSETZEN
DR. GERHARD STADELMAIER,
THEATERCHEF DER F.A.Z.:
Von: ”Stadelmaier, Gerhard“
Datum: Tue, 1. Jun 2004 10:57:02
Europe/Berlin
An: ’silke krummel‘
Betreff: AW: interviewanfrage
Sehr geehrte Frau Krummel, tut mir leid,
aber es trifft wirklich nicht nur Sie: Derartige Zwei-Minuten-Auftritte mache ich
grundsätzlich nicht. Was ich zu „Kulturvermittlung“ (ein Wort, mit dem ich sowieso nichts anfangen kann) zu sagen
hätte, wenn ich denn etwas dazu sagen
wollte, würde ich ausschließlich in der
F.A.Z. sagen beziehungsweise schreiben.
Beste Grüße Ihres sehr ergebenen
Dr. Gerhard Stadelmaier
ALICE STRÖVER, VORSITZENDE DES
KULTURAUSSCHUSSES DES BERLINER
ABGEORDNETENHAUSES
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
In meinem direkten Umfeld heißt es
zuerst den Kollegen innerhalb des
Parlamentes deutlich zu machen, welche
Bedeutung Kultur- und zwar im weitesten Sinne für das Stadtleben hat und die
Vermittlung dessen ist schon mal ein
ganz wichtiger Ansatz, das heißt zu
sagen, dass Kultur zum Leben gehört.
Ich finde Politiker sollten eigentlich –
auch mit der Art wie sie die Dinge kommunizieren – Kulturvermittler sein.
Wo auch immer sie gehen und stehen
sollten sie darauf hinweisen, was Kultur
zur Bereicherung des Lebens beitragen
kann.
Konkret heißt das, dass ich das Kulturleben einsaugen muss, damit ich im
Einzelfall auch weiß, worüber entschieden wird. Es gibt Kulturpolitiker/innen,
die wissen nicht wovon sie sprechen, weil
sie einfach das Kulturleben selbst gar
nicht in das, worüber sie entscheiden,
einbeziehen. Aber nur wenn ich weiß,
was Kunst und Kultur konkret bedeuten,
kann ich darüber Entscheidungen treffen.
Das sehe ich als Prinzip meines Handelns.
8
PROF. OTTOMEYER, GENERALDIREKTOR
DES DEUTSCHEN HISTORISCHEN
MUSEUMS:
Unser wesentliches Anliegen ist die Ve rmittlung von Ke n ntnissen von Geschicht e
und Ku l t u rgeschichte. Und man sollte
öfter in ein Lexikon schauen, wo unt e r
“Kultur” der Anbau von Feldfrüchten bezeichnet wird und im übert ragenen Sinne
ist somit Kultur eige ntlich ein Handeln
bz w. eine Arbeit für spätere Zeiten. Wir
haben einen Vorteil, den man fast nicht
kaufen kann und das ist
die Lage. Und wir wissen
aus Besucherbefragungen anlässlich unsere r
Ausstellung „Holocaust“,
dass über 30 Pro ze nt
unserer Besucher nur in
das Museum kommen, weil sie vo r b e ikommen. Und die anderen über 30 Prozent
kommen aus Berlin und Brandenburg und
wiederum erstaunliche über 30 Pro ze nt
aus dem internationalen Ausland. Und so
glücklich wir sind, so sehr bedauere ich
eben Museen, die sich auf Standorte haben abdrängen lassen, die nicht besucht
werden. Museen wa ren immer mitten in
der Stadt und wir sollten uns nicht von
Stadtplanern überreden zu lassen, das
Museum im Grünen zu akzeptieren.
PROF. SEBASTIAN TURNER, GESCHÄFTSFÜHRENDER GESELLSCHAFTER
SCHOLZ & FRIENDS BERLIN
Kultur ist Vermittlung. Kulturvermittlung
ist also ein weißer Schimmel. Wenn man
Kulturmarketing meint, müssten sich all
jene verkauft fühlen, die ihr Publikum
nicht so überzeugen, dass sie dafür einen
angemessenen Gegenwert verlangen
können.Kulturvermittler ist ein Beruf, der
uns verdächtig sein sollte.
DR. MATTHIAS VON HÜLSEN,
MITBEGRÜNDER DES SCHLESWIGHOLSTEIN-MUSIKFESTIVALS UND
GRÜNDER DER FESTSPIELE
MECKLENBURG-VORPOMMERN:
Kultur ist die in Form gegossene Art des
Umgangs der Menschen miteinander,
zum Ausdruck gebracht in den
Kulturformen des täglichen Lebens.
Kulturvermittlung findet vor allem durch
Lehrer und Pädagogen statt. Die Künste
sind die höchste Sublimierungsform
der Kultur – sie vermitteln sich selbst.
Kunstvermittlung bedeutet also für mich,
die Vermittlung einer ästhetischen
Botschaft. Und das ist die Aufgabe der
Festspiele Mecklenburg-Vorpommern.
K U L T U R V E R M I T T L U N G
CARL HEGEMANN, CHEFDRAMATURG
AN DER VOLKSBÜHNE BERLIN:
HANSI HINTERSEER, VOLKSMUSIK-STAR:
Bei Auftritten habe ich nicht nur meine
Hits im Gepäck, sondern auch echte
Volksmusik und lustige G’stanzel aus
meiner Heimat Kitzbühel. Ich habe das
Glück, meine Liebe zur Natur und unseren Bergen, von denen ich ein absoluter
Fan bin, Menschen nahe bringen zu dürfen. Ich scheine etwas an mir zu haben,
was die Menschen mögen, und auch mir
macht es einen Riesenspaß, auf der
Bühne zu stehen. Aber vor allem freut
mich, dass ich mit meinen Liedern die
Herzen der Menschen erwische.
PROF. ANDREAS SCHULZ, DIREKTOR DES
GEWANDHAUSES ZU LEIPZIG:
Jedes Konzerthaus betreibt
Kulturvermittlung auf allen Ebenen,
kommentiert oder unkommentiert und
für unterschiedliche Altersstufen.
Kulturvermittlung beschränkt sich ja
nicht nur auf Jugendliche oder Kinder
allein – auch mancher Erwachsene kann
noch für die Schönheiten klassischer
Musik gewonnen werden.
Wir müssen – unabhängig vom Alter –
Schwellenängste vor der Institution
oder den vermeintlich konservativen
Ritualen abbauen.
Wer es nicht gewohnt ist, in ein
Konzerthaus zu gehen, benötigt eine
Initialerfahrung, die prägend ist und
nachwirkt. Dazu gehören zum Beispiel
die kostenlosen Innenstadtkonzerte des
Gewandhausorchesters im Sommer.
Die Volksbühne befasst sich mit
historisch speziellen Formen der Kultur
als solchen und reflektiert sie. Sie
befasst sich mit allen Fragen, die den
Menschen beschäftigen. Es geht hierbei
nicht um das allgemeine Verhältnis
von Natur und Kultur, sondern um
die Ambivalenz und Ambiguität der
Kultur.
Die Auseinandersetzung mit Kultur
ist ein weiterer Schritt nach der Auseinandersetzung mit der Natur.
Kultur kann in einem Theater gut
reflektiert werden. Die Volksbühne
macht eine Widerspiegelung des täglichen Lebens, und somit eine Reflektion
möglich. Das was im tägliche Leben
passiert wird im Theater dargestellt und
somit reflektierbar für die Menschen
gemacht. Dinge, die nicht automatisch
und von alleine wahrgenommen
werden, werden einem im Theater
vor Augen geführt und man bekommt
die Chance, sich mit ihnen kritisch
auseinander zu setzen.
Das wichtige und vermittelnde Moment
im Theater ist der Akt der Begegnung,
das Erlebnis mit dem Realen.
Kunst ist schließlich die nachdenklich
machende Auseinandersetzung mit
dem Leben.
PROF. DR. PETER RAUE, KULTUR-ANWALT
UND VORSITZENDER DES VEREINS
FREUNDE DER NATIONALGALERIE:
Kultur kann man nicht vermitteln.
Kultur ist mehr als das Re c ht (und vielleicht die Pflicht), ein Buch zu lesen, zu
wissen, wer wo geschrieben hat „Habe
nun ach, Philosophie / Juristerei und
Medizin ... d u rchaus studiert“, und Bach
von Moza rt u nterscheiden zu können.
Was dort vermittelt we rden kann, ist
das Angebot an Kunst, dessen Rezeption
(ich spreche nicht von Genuss), den Leser,
Hörer, Betra c hter reicher, glücklicher und
immer neugieriger auf
eben jene Kunst, die er
liest oder hört oder sieht ,
zu machen. Erstreckt sich
diese Neugier auf die
Dauer einer Existenz, so
wird das Erlebte zur
„Kultur“, die der Mensch in sich trägt und
we i t e rg i b t. Dass in Berlin auch Museen
mit höchstkarät i ger Kunst (G e m ä l d egalerie mit D ü rer und Caravaggio,
Rembrandt und Tizian) oft gähnend leer
sind, liegt wohl dara n , dass nicht ve r m i ttelt wird, was dort zu sehen ist. Es ist
falsch, die Kunst für so heilig zu halten,
dass man für sie nicht werben dürft e.
Kunstvermittlung heißt, dem Menschen
die Kunst so nahe zu bringen, dass er sie
niemals wieder loslassen will.
GERT SCOBEL, REDAKTIONSLEITER VON „DELTA“ UND MODERATOR DER 3SAT - KULTURZEIT:
Ich verstehe den Bildungsauftra g, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat in zweierlei
Weise: der Bildungsauftrag bedeutet, dass man Inhalt der Bildung sozusagen Bildungsobjekte in das Medium Fernsehen bringt. Der andere Teil hat damit zu tun, die Urteilskraft
der Zuschauer/Innen zu bilden. Dies ist ein völlig anderer Pro zess, der wenig damit zu t u n
hat ein bestimmtes Objekt ins Fernsehen zu bringen, sondern ein Pro zess ist, die die
Urteilskraft der Zuschauer/Innen förd e rt. Die Programme müssen so gestaltet werden, dass
sie die Urteilskraft der Zuschauer fördert, d.
h., dass wir sie nicht auf Dauer unt e rfordern
d ü rfen. Wenn ich anfa n ge mich zu ent s c h u ldigen, nur weil ich im Kulturbereich arbeite
oder weil ich Kultur mache, dann schaffe ich
das Problem. Auch in der Ökonomie sind
Probleme aufgetaucht, die man mit Mitteln
des ökonomischen Denkens nicht mehr in
den Griff bekommt. Man bra u c ht einen
e rweiterten Horizont, um mit diesen
Problemen zure c ht zu kommen – und dies ist
exakt der Punkt, wo die Kultur ihren Platz
hat. Die Arbeit bei der Vermittlung besteht ,
diesen Platz zu finden.
9
P R O J E K T E
Kongress
6. BERLINER FORUM FÜR KULTURUND MEDIENMANAGEMENT
Das Publikum von morgen scheint
ein Mysterium zu sein. Wurden leere
Theatersäle bis vor einiger Zeit
mancherorts fast als eine Art Gütesiegel für die ausgezeichnete künstlerische Qualität behandelt, fühlten
sich Bildungsbürger in Museen von
zu viel und zuviel fragendem Publikum eher belästigt, hat sich Blatt
inzwischen dramatisch gewendet.
Museen, Theater und Opernhäuser
stehen genauso wie die Kultursendungen des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks vor einem doppelten
Dilemma. Einerseits lassen sinkende
Kulturetats die Frage nach Sinn und
Zweck des eigenen Hauses aufkommen. Andererseits sind die Macher
mit einer neuen Form von Publikum
konfrontiert, das einem performativen Begriff von Kultur folgt, wie
Referent Dr. Wolfgang Hagen von
DeutschlandRadio Berlin beschreibt.
Wer sich heute online eine Karte für
die neue Inszenierung von Lars von
Triers „Epidemic“ im Hebbel am Ufer
(HAU) reserviert, hat keine Probleme
damit, sich am nächsten Tag genauso
selbstverständlich im Kino einen
Blockbuster wie „Day after
Tomorrow“ anzusehen. Angebote
für die eigene Freizeitgestaltung
sind unbegrenzt, Aufmerksamkeit,
Zeit und Budget des Konsumenten
dagegen sehr wohl.
Der Wettbewerb unter den Anbietern
ist dramatisch gestiegen. Damit traditionelle Kulturinstitutionen nicht
zwischen Quote und Aktzeptanzschwund zerrieben werden, müssen
sie sich in Zukunft vor allem eine
Frage stellen: die nach dem Besucher,
dem unbekannten Wesen.
Wieder einmal wurde mit großem
Erfolg das Forum für Kultur- und
Medienmanagement von den
Studenten des IKM organisiert.
Dieses Jahr übrigens zum sechsten
Mal. Fortsetzung folgt.
SILKE KRUMMEL
10
Ein Intendant im Außendienst
DEUTSCHLANDRADIO WIRBT IM HOHEN NORDEN UM HÖRER
M
anchmal unterscheidet sich auch
ein Int e n d a nt n i c ht von jedem
a n d e ren Mitarbeiter im Au ß e ndienst. Er muss in entlegene Wi n kel reisen,
um sein Produkt a n z u p reisen – sei es nun
ein Staubsauger oder ein Radiosender.
Die Tür des schwarzen Mercedes mit Kölner
Kennzeichen öffnet sich vor einem Musikcafe, wo im ersten Stock eine Pressekonferenz abgehalten we rden soll. Ernst Elitz,
Int e n d a nt des DeutschlandRadio, überquert
mit ernstem Gesicht die Straße, lächelt s ofort beim Eint reten und gibt jedem Journalisten die Hand. Der Kreis Gre i fswalder
Lokaljournalisten ist überschaubar – man
kennt sich hier.
Warum eine Hörspielnacht in Gre i fswald?
Ernst Elitz bemüht sich um Argumente: die
ge l u n gene Kooperation mit dem WolfgangKoeppen- Literaturhaus, das studentische,
ku l t u rell intere s s i e rtePublikum. Der Int e nd a nt hält Greifswald für einen geeigneten
Ort, um das Jubiläum der Welle zu feiern.
Schließlich soll es sich um einen „deutschdeutschen Integrationssender“ handeln.
Trotz der mage ren Quoten in MecklenburgVorpommern und der teilweise recht
s c hwachen Fre q u e n zen ist sein Optimismus
n i c ht zu brechen. Plötzlich schaltet sich die
Hörspielchefin ein, e rzählt von neuen
Formaten, dem t reuen Stammpublikum
und den zunehmend jünge ren Höre r, die
sich für öffe ntliche Hörspielaufführungen
begeistern. Sie erwä h nt lobend die Gre i fswalder Studenten, die mit einer Pe rfo rmance die Hörspielnacht e röffnen. Pa u s e.
Wieder ve re i n zelte Blicke und Schwe i ge n .
Nur der Pressesprecher der Universität ka n n
ein sto l zes Zucken mit den Mundwinke l n
n i c ht verberge n . Der Intendant lächelt.
Int e g ration ist harte Arbeit. Re d e s toff gä b e
es genug: die geplante Gebührenerhöhung
2 0 0 5, die Konkurrenz zu den Landes-
rundfunkanstalten, der aktuelle Stand
der Frequenzverga b e. Zwei Journalisten
beißen stattdessen herz h a ft in ihr Brö t c h e n .
Im Koeppen-Haus ist es jetzt brechend
voll. Das von sechs Studenten des IKM
erarbeitete und realisierte Konzept der
Hörspielnacht geht auf: Junge Leute stehen
gedrängt in den beiden Räumen des
Untergeschosses. Die Leiterin des Literaturhauses bahnt sich zielstrebig den Weg
durch die Menge und stürzt sich auf den
Intendanten. Das Haus sei seit Wochen
ausverkauft, erzählt sie stolz, das Doppelte
an Karten hätte man absetzen können. Mit
dem Mikrofon in der Hand begleitet sie ihn
ins Obergeschoss und stichelt gegen die
ansässige Presse: „Bei Günter Grass haben
sie den Mund auch nicht aufbekommen...“
An den Stühlen hängen Hans AlbersMasken, an der Decke plakativ skandinavische Nationalflaggen. Das frische Tannengrün erinnert an Weihnachten. Die Performance „Nacht im Norden“ beginnt mit
einem besonderen Hörspiel aus der Region:
dem Seewetterbericht. Auf der Bühne steht
unschlüssig ein Matrose mit einem Plastikeimer über dem Kopf und dreht an den
Reglern eines uralten Radios. Hinter der
kleinen Szene verbirgt sich eine bewusst
störanfällige Versuchsanordnung – zwei
Sender mit geringer Reichweite strahlen
vorproduziertes Material aus, darunter
auch ein in Liverpool aufgenommener
Shanty. Er gelangt über Mikrofon in einen
Mixer, bis dem technisch verzerrten
Material Musik eines Akkordeons entgegengesetzt wird. „Das ist gekauft“,
resümiert anerkennend die Hörspielchefin.
Vor einem begeisterten Publikum findet
auch der Intendant wieder zu rhetorischer
Leichtigkeit zurück und entlässt das
Publikum in die lange Hörspielnacht.
KULT
Der geklonte Hans Albers läßt grüßen –
Hörspielnacht in Greifswald
P R O J E K T E
Iris Berben im Abendrot
DER KULTURSOMMER IM JÜDISCHEN MUSEUM
Chill - out im Jüdischen Museum
S
chön war der Sommer nun wirklich
nicht, immer und immer wieder machte uns Petrus einen Strich durch die
Rechnung und schickte fast täglich einen
Regenguss mit Donner und Gewitter auf
die Stadt hernieder. Die Nerven von OpenAir-Veranstaltern liegen blank.
Davon war im Jüdischen Museum nichts
zu spüre n . Das Team des Instituts für Kulturund Medienmanage m e nt ließ sich vom
schlechten Wetter nicht beeindrucken, denn
Flexibilität ist alles. So wurd e n Fre i l u ftve ranstaltungen des zweiten Kultursommers
im Handumdrehen ins Innere verlegt. Au c h
als Iris Berben aus der Au to b i o g raphie von
A l exander Granach lesen sollte, grollte der
Himmel. Doch schnell zog man um, was
sich als Glücksfall erweisen sollte und dem
Ausdruck der Stimme von Iris Berben bekam. Auf der Bühne des halbdunklen Saals
saß die Schauspielerin fast in Au ge n h ö h e
mit dem Publikum. Die Zu h ö rer waren so
still und ko n ze ntriert, dass man jedes einzelne Wort von Frau Berben wahrnehmen
konnte, als würde sie nur einem selbst vorlesen. Die Halbdunkelheit lud ein, die Au ge n
zu schließen, die Gedanken schwe i fen zu
lassen und in die Welten des Alexander
Granach abzu tauchen... Ostgalizien, die
fruchtbare Erd e , die Kinder, Uk rainer, Juden
und Polen. Der Duft von nasser Erd e , wie sie
nach einem Regenguß in der Luft hängt,
drang von den Fenstern in den Saal.
In der Jugend von Granach gab es einen
Spaziergarten, der deshalb so heißt, weil
man dort mit der Dame des Herzens lustwandelte. Und während Iris Berben schon
weiterlas, erinnert man sich selbst zurück
an den letzten Sommer, der warm war und
herrlich und in dem die Tradition der
Kultursommer im Jüdischen Museum
begründet wurde.
In eine ähnliche Stimmungve r s e t z t sah
man sich auch nach dem Abend mit Iris
Berben, h e rvorge r u fen durch ihre Art des
Vorlesens. Schließlich klarte der Himmel
dann doch noch auf und ein wunderbare s
Abendrot s p a n nte sich über den LibeskindBau. Bis zum 13. September wurde im
Jüdischen Museum ein facettenreicher
Kultursommer offeriert – gleich was das
Wetter dazu meinte.
NING WANG
Die Stimmung steigt
PRIMA KLIMA: DER KULTURINDEX KLETTERT UM FÜNF PUNKTE
D
ie Stimmung im Berliner Kulturbetrieb wird besser. Zu diesem Ergebnis
kam die Frühjahrserhebung des
Kulturindex 2004. Der Index lag bei 41
Punkten und hat sich damit gegenüber
dem Herbst um fünf Punkte verbessert.
Trotz schwieriger Rahmen- und Marktbedingungen sieht die Kulturwirtschaft allgemein positiver in die Zukunft.
Der Index wurde erhoben, als die MoMA
- Ausstellung eröffnet wurde. Konkret
interessierte dabei, in welcher Weise die
Schau die Berliner Kulturlandschaft beeinflussen würde. 83 Prozent der Befragten
antworteten mit einem klaren Nein. Ihrer
Ansicht nach hätte die Großausstellung
keinerlei Einfluss auf ihre Kulturarbeit.
Auswirkungen des New Yorker Gastspiels
registrierten lediglich Museen und
Galerien. So gaben 23 Prozent der Museen
und 57 Prozent der Galerien an, dass sie
einen positiven Impuls verspüren. Dieser
Effekt machte sich aber vor allem in den
Besucherzahlen und in der Medienwirksamkeit bemerkbar, nicht aber im Umsatz.
Das Stimmungsbarometer für die wirtschaftliche Lage der Kulturbetriebe folgt
einer Idee aus New York und Chicago.
Eine Gruppe von Studenten des Institutes
für Kultur- und Medienmanagement (IKM)
hat in Zusammenarbeit mit der Industrieund Handelskammer Berlin (IHK) dieses
Modell nun auch auf Berlin übertragen.
Der Kulturindex funktioniert nach dem
Prinzip des Geschäftsklima-Index und
versteht sich als Vergleichsgröße für unternehmerische Entscheidungen sowie als
Argumentationsgrundlage für die Kultur
in den Medien und der Politik.
NING WANG
Arts and Media Administration
FAQ ZUM MASTERSTUDIENGANG
„ARTS AND MEDIA ADM INISTRATION“
AN DER FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN
Der Masterstudiengang „Arts and
Media Administration“ an der Freien
Universität Berlin
– ist der Studiengang des Instituts
für Kultur-und Medienmanagement, das zum Wintersemester von
der HfM „Hanns Eisler“ an die FU
Berlin gewechselt
– ist aus dem Diplomstudiengang
„Kultur –und Medienmanagement“
hervorgegangen
– ist ein anwendungsorientierter
Masterstudiengang
– h at unverändert zum Ziel, Qualifiz i erung und Orientierung im Kulturund Medienbereich zu ermöglichen.
– zeichnet sich unverändert durch
einen Theorie-Praxis-Verbund aus,
d.h. Theorieseminare werden
ergänzt durch die Arbeit in
Praxisprojekten.
– kann nur noch postgradual absolviert werden. Voraussetzung ist ein
Magister, Diplom, Staatsexamen
bzw. (Neu!) Bachelor in einem
geistes-, sozial-, wirtschafts- oder
rechtswissenschaftlichen Fach.
Künstlerische Fächer sind nicht
mehr zugelassen.
– ist gebührenpflichtig mit 500,- Euro
pro Semester
– hat unverändert ein zweistufiges
Bewerbungsverfahren: schriftliche
Bewerbung, Auswahl von 70
Bewerbern zu einem Auswahlgespräch, danach Auswahl und
Immatrikulation von 25 Studenten
– immatrikuliert unverändert einmal
pro Jahr, jeweils zum Wintersemester
– Bewerbungsschluß ist der letzte
Freitag im Juni, neu: Die Unterlagen
müssen an diesem Tag vollständig
im Zulassungsbüro vorliegen.
Sprechstunden: Dagmar Boeck:
Dienstags 8.30 bis 10 Uhr,
donnerstags 17.30 bis 18.30 Uhr,
KL 25/335 oder telefonisch
030. 838 525 72.
11
P R O J E K T E
Kunst = Kapital?
DIE GENERATION GOLF UND DER GALERIENMARKT
E
ppendorfer Landstraße, Hamburg, 8 Uh r:
Marek K., Unternehmensberater,
32 Jahre alt, Single und kaufkräftig,
macht sich auf den Weg von Hamburg
nach Berlin. Sein Ziel: die Berliner GalerienSzene. Objekt der Begierde: ein Stück Kunst
für die eigenen vier Wände. Interessant
soll es sein, junge Kunst aus Berlin.
Ob Fotografie oder Malerei, das weiß er
noch nicht. Die Wohnung soll durch das
Kunstwerk individueller wirken. Natürlich
hofft der Berater auch auf den steigenden
Wert des Künstlers. Trotz Wirtschaftsflaute
gibt es sie tatsächlich: eine junge, nachwachsende kaufkräftige Generation
Kunstinteressierter. Die Generation Golf,
ein Stück Hoffnung für den gebeutelten
Berliner Galerienmarkt?
Berlin Friedrichstraße, 11 Uhr: Dr. Harald
M. betritt das Kulturkaufhaus Dussmann in
der Friedrichstraße. 42 Jahre alt, Familienvater, sucht er nicht nach neuen Einspielungen in der Klassik-Abteilung, sondern
durchquert zielstrebig das Erdgeschoss,
um zum Kunstsupermarkt zu gelangen.
Dort hat er bereits vor einiger Zeit –
damals noch zufällig – drei Bilder für seine
Arztpraxis ergattert. Für 140 Euro ist im
Kunstsupermarkt ein Hauch von „PostImpressionismus“ zu haben. Eine echte
Alternative zu den gerahmten MatissePostern von Ikea. Dr. Harald M. meint sogar,
dass die Werke der dort ausstellenden
Künstler “einem echten van Gogh oder
Cézanne doch täuschend ähnlich sehen”.
Ebenfalls am Kunstsupermarkt schätzt der
Arzt, dass er hier die zahlreichen Bilder in
Ruhe durchsehen kann, ohne von einem
eifrigen Galeristen umgarnt zu werden.
Er läuft noch nicht einmal Gefahr, sein
„Unwissen“ preisgeben zu müssen.
Der in Frankreich initiierte Kunstsupermarkt bietet seit zehn Jahren Kunst für
jedermann auf temporären Verkaufsflächen feil. Kunst als Einstiegsdroge? In
Frankreich jedenfalls geht die Rechnung
auf: viele einmal gewonnene Käufer
werden zu Wiederholungstätern. So auch
Dr. Harald M.
Tucholskystraße, 14 Uhr: Marek K. legt
seine erste Pause im „Strandbad Mitte“
ein. Groß ist sie, die Berliner Galerienlandschaft, und für „Nicht-Eingeweihte“ unübersichtlich. Auguststraße, Linienstraße
und die „neue Kunstmitte Nord“ rund um
die Brunnenstraße hat er bereits abgeklappert. Interesse an Kunst kann man
ihm unterstellen, auch besucht er hin
und wieder eine Ausstellung, doch die
Galerienszene ist ihm immer noch ein
Buch mit sieben Siegeln. Daher hat sich
der Herr Berater einen Berater an Bord
geholt. Jemanden, der die Galerienszene
vor Ort besser kennt als er und ihn begleitet. Bei einem Latte Macchiato und dem
Aussagen wie, „dass man sich schon fragt,
wie es manche Künstler geschafft haben,
ihre monochromen Bilder für 100.000 Euro
an den Mann zu bringen...“ werden die bisherigen Besuche kurz rekapituliert. Schon
nach diesen ersten drei Stunden ist klar,
welche Richtung Marek K. bevorzugt.
Daraufhin optimiert er seine weitere
Route. Die in Frage kommenden Galerien,
ihre Programme und Künstler lässt er sich
kurz erklären und weiter geht’s.
Berlin-Schöneberg, 16 Uhr: Christian S.,
28 Jahre, Journalist, Kabarettist und
Student in einem, fährt seinen Rechner
hoch. e-bay heißt sein Ziel. Dort sucht er
nach einem Künstler namens Oleg Larazev,
den er vor kurzem kennen gelernt hat und
von dem er weiß, dass er als Newcomer
ausschließlich von einer Internet-Galerie
vertreten wird. Gesucht, gefunden und
geboten: 8 Stunden und 44 Minuten spä-
Kunstherbsttalk im
Marie - Elisabeth - Lüders Haus
ter ist Christian S. stolzer Besitzer des
Larazev Pastells „Maltchek“ („Der Junge“)
im ersteigerten Wert von 1 Euro plus
Packungs- und Versandkosten in Höhe
von 8,70 Euro.
Das hier skizzierte unterschiedliche
Käuferverhalten, die Motive und Kaufprozesse sind Bestandteil einer Analyse der
Berliner Kunstmarktstudie, die in diesem
Jahr erstmalig im Rahmen des Kunstherbstes präsentiert wurde. Die Studie
gibt Aufschluss über die Situation des
Berliner Kunstmarktes, liefert Antworten
auf Fragen zum Marktpotential und der
Kundenstruktur von Galerien und
Auktionshäusern. Und sie bietet vor allem
den hiesigen Akteuren des Kunstmarktes
eine Handlungs- und Argumentationsbasis
für ihre zukünftigen Aktivitäten. Denn eine
derart breitgefächerte Studie, die in einer
quantitativen Erhebung 300 Berliner
Galerien zum künstlerischen Programm,
zu Marketing-Aktivitäten, der finanziellen
Situation, zur Kundenstruktur und dem
Käuferverhalten, bis hin zur Selbsteinschätzung und Prognose befragt hatte
und diese Ergebnisse mit qualitativen
Experten-Interviews abrundet hat, gab es
bislang nicht.
Zum vierten Mal in Folge wurde der
Kunstherbst vom Institut für Kultur- und
Medienmanagement in Kooperation mit
Partner für Berlin und der Gesellschaft
für Hauptstadtmarketing veranstaltet.
Er bündelt alle Aktivitäten zur zeitgenössischen Kunst, die im Herbst in Berlin stattfinden, unter einer Dachmarke. Neben
den inzwischen traditionellen Eigenveranstaltungen wie den „talks“ oder den “parcours” wurden die Ergebnisse der „Kunstmarktstudie Berlin“ am 23. September der
Öffentlichkeit präsentiert.
SYLVIA MÜLLER
13
P O R T R A I T
Es siegte die Stärke und krönet zum Lohn
VOM IKM IN DIE TRAUMFABRIK: ALEXANDER BUSCHE UND RONNY UNGANZ BEFLÜGELN DIE BERLINER OPER
Ronny Unganz
Alexander Busche
Z
wei haben es geschafft, sind abgesprungen und dort gelandet, wo andere immer noch die Traumfabrik
vermuten: in den Berliner Opernhäusern.
Der eine, Alexander Busche, ist seit Ende
vergangenen Jahres Pressereferent an
der Deutschen Oper Berlin, der andere,
Ronny Unganz, wurde Assistent des
Geschäftsführenden Direktors Georg
Vierthaler an der Staatsoper Unter den
Linden. Beide sind Absolventen des
Instituts für Kultur- und Medienmanagement, beide haben sich für dasselbe Metier
entschieden, aber völlig unterschiedliche
Erfahrungen gemacht. Zunächst besuchen
wir Alexander Busche. Strahlend und
perfekt gestylt, im grauen Nadelstreifenanzug, empfängt er in seinem Büro im
Intendanzgebäude der Deutschen Oper.
Schon nach den ersten Minuten wird klar:
Er fühlt sich hier wohl. Etwas anderes als
die Bühne wäre für ihn nie in Frage gekommen. 1978 in Detmold geboren, gab
er sich seit frühester Kindheit seinen
künstlerischen Neigungen hin.
Ihn faszinierte einfach alles: Geigen- und
Klavierunterricht, Gesang und Tanz in
verschiedenen Facetten, Theaterspielen
sowieso. Eigentlich verspürte Alexander
Busche den Wunsch, Musicalsänger zu
werden, hielt sich aber letztlich nicht für
talentiert genug. Andere Optionen mussten
her. Und Geduld obendrein.
Nachdem er sich vergeblich in München
um einen Studienplatz im Fach Regie beworben hatte, wechselte er schließlich
nach Berlin, um Publizistik, Theaterwissenschaft und Musikwissenschaft an der FU zu
studieren und fühlte sich dabei konstant
unterfordert. Also ergänzte er die ersten
Semester mit diversen Praktika bei Zeitungen und Radiosendern. Das Rüstzeug besorgte er sich im „Communications Department“ des Metropolitan Museum in New
York: „Hier habe ich alles gelernt, was ich
für meine jetzige Arbeit an der Deutschen
Oper brauche. Außerdem habe ich jede
Menge interessanter Eindrücke gewonnen,
die meinen Horizont enorm erweitert
14
haben. Das kann ich nur jedem empfehlen.“ Alexander Busche gilt als besonders
ehrgeizig. Schon nach dem sechsten
Semester hatte er seine Magisterarbeit
geschrieben und brach auf zu neuen
Ufern. Er bewarb sich an der Hochschule
für Musik „Hanns Eisler“ sowohl für
„Musiktheater-Regie“ als auch für „Kulturund Medienmanagement“. An beiden
Instituten angenommen, studierte er
guten Mutes bis Herbst 2003, als er seine
Regielaufbahn frühzeitig für beendet
erklärte. Ein ordentlicher Abschluss gelang
ihm hingegen beim IKM mit einer
Diplomarbeit über die „Marke Las Vegas“.
Ob diese Studie den Geschäftsführenden
Direktor der Deutschen Oper, Peter Sauerbaum, beeindruckt hatte, ist nicht überliefert. Doch Sauerbaum war vom Talent
Busches nach einem sechswöchigen
Praktikum so sehr begeistert, dass er ihn
gleich behielt.
Wir fahren in die Lindenoper zu Ronny
Unganz. Schon äußerlich scheint er das
ga n ze Gege nteil von Alexander Busche zu
sein. Völlig locker und entspannt, in Jeans
und Hemd gekleidet, hat er als Treffpunkt
die Cafeteria der Oper vo rgeschlagen. O bwohl man sich der besonderen Atmosphäre
dieses Hauses nur schwer entziehen ka n n ,
scheint es ihn kalt zu lassen. Ronny Unga n z
ist aus anderem Holz. Seine Affinität zum
Musiktheater wurde ihm praktisch in die
Wiegege l e g t : 1 974 in Dresden als Sohn
eines Künstlerpaares geboren, wuchs er
mit T h e ater und Oper auf. Dies würde den
Schluss nahe legen, dass er sich selber auf
der Bühne hätte sehen wollen als in der
Ve rwaltung. Weit ge fehlt. Ronny Unga n z ,
der sich selbst als „künstlerisch nicht
begabt aber interessiert“ beschreibt, vers p ü rte eine Sehnsucht n i e.
Ursprünglich wollte er nach seinem
Abitur gern Geschichte studieren. Da er
aber ein „sehr sicherheitsliebender
Mensch“ ist, entschied er sich stattdessen
für ein grundsolides VWL-Studium an der
HU in Berlin. Obwohl ihm das Studium
Spaß machte, wurde ihm doch relativ
schnell klar, dass für ihn eine Karriere in
der Wirtschaft nicht in Frage kommt.
Denn er wollte „tun, was ihn glücklich
macht“ und suchte nach Alternativen. So
kam es, dass er 1998 ein Praktikum am
Deutschen Theater in Berlin absolvierte,
wo ihm Prof. Klaus Siebenhaar begegnete
und vom Aufbaustudiengang „Kultur- und
Medienmanagement“ hörte. Er bewarb
sich, wurde genommen und ging nach
zwei Jahren mit Diplom.
Ähnlich wie bei Alexander Busche
führte auch sein Weg an die Oper über ein
Praktikum. Diesmal hieß der Mentor
Georg Vierthaler, und der ist nicht nur
Geschäftsführender Direktor der Lindenoper, sondern auch einer der erfolgreichsten Berliner Bühnenmanager überhaupt.
Vierthaler erkannte das Talent, stellte ihn
ein und machte ihn im Januar 2002 zu
seinem Assistenten.
Leidenschaft und die Liebe zur Oper
verbindet die beiden Berufseinsteiger.
Obwohl Ronny Unganz ebenso entspannt
wie rational wirkt, wenn er über seinen Job
redet, merkt man ihm doch die Begeisterung an, mit der er seiner Arbeit an der
Staatoper nachgeht. Doch der „Verwaltungsjob“ an einer Oper ist nicht wie jeder
andere. Ronny Unganz beschreibt gern den
Reiz, an der Lindenoper mit großartigen
Menschen im Team arbeiten zu können.
Er sieht sich als Teil des lebendigen und
sich ständig erneuernden Gesamtkunstwerkes Oper. Ihm ist wichtig, dass das
Musiktheater eine Geschichte neu erzählt
und nicht in einem selbstreferentiellen Zustand verharrt. „Sich auf die Durchführung
eines schönen Abends zu beschränken,
ohne Inhalte zu zeigen, reicht nicht aus.“
Alexander Busche hingegen liebt an
seinem Job die Möglichkeit, mit Presse und
Publikum kommunizieren zu können, wobei er auch hier wieder auf die Nützlichkeit
seiner New York-Erfahrungen verweisen
kann. Sein besonderes kommunikatives
Talent und die Fähigkeit, durch seine Kontaktfreude sofort verschiedene Netzwerke
zu spinnen – alles in Verbindung mit seinen Fachkenntnissen in der Musiktheaterbranche – sind auch die Eigenschaften,
die Peter Sauerbaum besonders an ihm
überzeugen. Er würde ihn „jederzeit wieder einstellen“. Ein schöneres Kompliment
kann es kaum geben.
Den nachfolgenden Absolventen des
IKM empfiehlt Ronny Unganz, den Spaß
an der Sache zu behalten, die Dinge auf
Nachhaltigkeit zu prüfen und sich vor
allem „selbst treu zu bleiben“. Alexander
rät zu Flexibilität im Denken und Handeln:
Offen sein für viele Dinge und vor allem
Interesse zeigen, das sind seine Leitmotive.
KIRSTEN SCHMIEGELT
D A S
Der Umzug
DAS IKM IST AN DER FU
ANGEKOMMEN
ür Institute gilt das Gleiche wie für
den Menschen: sich regen bringt
Segen. Nur wer sich bewegt, kommt
voran, Stillstand ist der Tod. Das Institut
für Kultur- und Medienmanagement und
sein gleichnamiger Studiengang haben
sich bewegt. Als erster Kulturmanagement
- Studiengang in Deutschland hat sich das
IKM zum Wintersemester 2004/2005 an
einer traditionellen Universität etabliert:
Der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität
Berlin stellt das große Dach dar, unter das
ein kleines Institut schlüpft. Mit dem
Wechsel an die FU verbindet sich zugleich
eine Umwidmung des bisherigen Diplomstudienganges in einen gebührenpflichtigen Masterstudiengang „Arts and Media
Administration“. Das Institut wird sich als
eigenständige wissenschaftliche Einrichtung (WE 9) in Zukunft neben dem anwendungsorientierten Masterstudiengang
F
Das Ding
DIE UMZUGSKISTE
I
rgendwo zwischen Origami und Robert
Morris befindet sich das heimliche Zentrum eines jeden Umzugs: die Umzugskiste. Wer schon einmal zwischen schwarz weissen Bergen aus zerknülltem Zeitungspapier und halb auseinandergeschraubten
Möbeln saß, weiß eines ganz genau: mit
diesem object of strange attraction steht
und fällt die gesamte Unternehmung.
Wir sind an einem neuralgischen Punkt
intellektueller Verwirrung angelangt.
Kleine, schwarze Piktogrammen sollen uns
verständlich machen, wie aus dem großen
flachen Etwas ein quadratisches Ganzes
wird. Wir fragen lieber einen, der
die Kunst des Faltens erfunden
hat: Umzugsprofi Klaus Zapf.
„Als erstes stellt man den
Umzugskarton auf den Kopf.
Dann schaut man sich den
Umzugskarton an und klappt
in auf. In der Regel, wenn Sie
Rechtshänder sind, geschieht das
dann nach rechts. Dann haben
Sie hier diese vier Laschen, die
abstehen. Insgesamt sechs.
Vier kleine und zwei große, sechs
Laschen. Dann gehen Sie her und
drücken die rechts zwei Laschen in
den Karton nach innen und dann
werden die großen Laschen noch mal
in sich eingeknickt und auch nach
stärker als bisher in der Forschung engagieren – und zwar schwerpunktmäßig in
den Bereichen Medien, Kulturwirtschaft
und Audience Development. Ansonsten
wird Kontinuität im Wandel gewahrt: beim
Lehrkörper mit den Honorarprofessoren
und Lehrbeauftragten, in den bewährten
Kooperationen mit zahlreichen Kultureinrichtungen und Medienanstalten, bei der
äußerst erfolgreichen Praxisprojektarbeit,
und im internationalen Austausch mit
den USA.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne:
Die Freie Universität offeriert mit ihrer
Infrastruktur und ihren internationalen
Netzwerken neue Perspektiven für das
Fach und das Institut. Und das IKM bringt
vierzehn Jahre Erfahrung in praxisnaher
Studiumsgestaltung und einen großen
Fundus an außeruniversitären Partnern in
die neue Beziehung ein – gute Voraussetzungen für eine produktive Entwicklung zu beiderseitigem Nutzen. Denn die
klassischen Universitäten befinden sich in
ihrer vielleicht nachhaltigsten Umbruchsituation seit 1968: Die Umstellung auf
BA- und MA- Studiengänge bedeutet eine
besondere Herausforderung an Lehre und
Forschung. Der „Elfenbeinturm“ öffnet
innen gesteckt und stehen dann, wenn man
den Karton umgedreht hat, innen senkrecht hoch. Dann nimmt man diese vier
Laschen und knickt die sowohl rechts als
auch links an der zuvor eingesteckten,
geknickten Großlasche nach unten und
legt diese Großlaschen jeweils zur Kartonaußenwand hin um. Nun haben wir einen
aufgestellten Karton. Wo wir oben dann
nur noch vier Laschen haben. Wir haben
jetzt an den Längsseiten zwei größere
Laschen und an den Seitenseiten zwei
kleinere Laschen: nun kommt der Moment
wo wir den Karton schließen. Wir gehen
her, nehmen diese zwei Seitenlaschen
knicken die ebenso nach innen und nehmen die zwei Großlaschen und schieben
die and der aufgeschnittenen Stelle in der
Mitte der Ka rtons ineinander ein und haben
nunmehr einen geschlossenen Karton, so
wir diesen
nicht zu voll
gepackt
haben.“
Alles
klar!?!
Na dann.
Packen
wir’s an!
SILKE
KRUMMEL
L E T Z T E
seine Tore, und die gesellschaftliche
Wirklichkeit kommt herein in Gestalt von
berufsvorbereitenden Praxisanteilen und
-kooperationen. Da kommt das kleine IKM
gerade recht für die große FU und den
renommierten Fachbereich Philosophie
und Geisteswissenschaften. In der neuen
Heimat „Silberlaube“/ „Rostlaube“, dem
gerade aufwendig renovierten und um die
Bibliothek von Norman Foster bereicherten geisteswissenschaftlichen Campus,
wird sich das IKM also über seine Institutsgrenzen hinaus einbringen. Verabredet ist
eine enge Zusammenarbeit mit dem
Außenamt der FU beim Thema Veranstaltungsmanagement. In der Planung befindet sich darüber hinaus die Unterstützung
des Fachbereichs bei den berufsvorbereitenden Anteilen der neuen B.A. - Studiengänge. Und in Arbeit ist ein umfassendes,
fachbereichsübergreifendes Konzeptpapier
für den Cluster „Medienforschung/Medienpraxis“, an dem das IKM maßgeblich
mitwirkt.
Also: Das IKM ist angekommen in der
schönen neuen FU - Welt, die Aufgaben
sind in Angriff genommen, und auf den
S e gen können wir gern noch etwas warten.
K7H
Impressum
Hrsg.: Institut für Kultur- und
Medienmanagement
Freie Universität Berlin
WE 9, FB Philosophie und
Geisteswissenschaften
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin
www.ikm.fu-berlin.de
E-Mail: kultur@.ikm.fu-berlin.de
Tel./Fax: 030 - 838 525 70/63
v.i.S.d.P.: Prof. Dr. Klaus Siebenhaar
Redaktion: Ingolf Kern (Chefredakteur), Claudia Gellrich, Silke Krummel
(CvD), Johanna Lehmann (CvD),
Sylvia Müller, Kirsten Schmiege l t ,
Christian Schmidt, Ning Wang,
Jana Wuttke
Layout: Katrin Bosse
Auflage: 1500
Druckerei: enka - druck Berlin
Fotos: Claudia Gellrich, Johanna
Lehmann, Kirsten Schmiegelt,
Christian Schmidt, Jana Wuttke
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