Müller-Enbergs / Pleiner: Die Kreisdienststelle - BStU
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Müller-Enbergs / Pleiner: Die Kreisdienststelle - BStU
Helmut Müller-Enbergs / Tom Pleiner Die Kreisdienststelle Meiningen des Ministeriums für Staatssicherheit Eine Handreichung zur regionalen Aufarbeitung 1 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Presse und Öffentlichkeitsarbeit 10106 Berlin Die Meinungen, die in dieser Handreichung geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassungen der Autoren wieder. Abdruck und publizistische Nutzung sind nur mit Angabe der Verfasser und der Quelle sowie unter Beachtung des Urheberrechtsgesetzes gestattet. Umschlagabbildung: Kreisdienststelle der Staatssicherheit Meiningen, BStU Berlin, 2012 2 Inhalt Vorbemerkung (Roland Jahn) 5 Einleitung 7 1 Die Kreisdienststelle 11 2 Leiter und Stellvertreter 15 3 Leitungsbereich 20 4 Die Partei 23 5 Die Referate 25 6 Der Stellenplan 38 7 Die inoffiziellen Mitarbeiter 46 8 „Bearbeitete“ Bürger 78 9 Das Ende 85 10 Geheime Aktion „Licht" 1962 (Norbert Moczarski) 91 11 „Parteiinformationen“ 99 12 Personenregister 169 13 Autoren 171 3 4 Vorbemerkung Von Roland Jahn Wie es für staatliche Bürokratien üblich ist, hat auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR seine Arbeit sorgfältig dokumentiert. Die Stasi, die Geheimpolizei der SED-Diktatur, war in der Überwachung ihrer eigenen Bürger äußerst aktiv und schreckte dabei auch vor menschenrechtswidrigen Methoden nicht zurück. In den knapp 40 Jahren ihrer Existenz hat sie eine enorme Hinterlassenschaft an Akten produziert. Anhand dieser Akten die Arbeit der Staatssicherheit nach zu verfolgen und transparent zu machen, das hat unsere Gesellschaft vor über 20 Jahren, in Folge der friedlichen Revolution 1989/90 in der DDR, beschlossen. Trotz ihrer Masse bilden diese Akten allerdings kein umfassendes Bild der DDR ab. Sie zeigen vorwiegend die Sichtweise der Mitarbeiter der Staatssicherheit. Dennoch sind die Stasi-Akten für die historische Aufarbeitung von besonderem Wert. Sie wurden nicht angelegt in dem Wissen, dass die Gesellschaft sie heute auswertet, sondern um die Arbeit der Stasi als Geheimpolizei zu gewährleisten. Gerade deshalb sind sie eine solide Grundlage, um das Wirken der Staatssicherheit zu erforschen. Die Stasi war nicht einfach ein Apparat, der funktionierte. Apparate handeln nicht, es sind immer konkrete Personen, die handeln. Ihre Namen zu benennen, in den Funktionen, in denen sie gehandelt haben, dient der Aufklärung über die Vergangenheit und ist im Gesetz, dem Stasi-UnterlagenGesetz, geregelt. Wenn man genau wissen will, wie es war, muss man wissen, wer gehandelt hat und was getan wurde. Der Umgang mit den Informationen aus den Akten braucht eine verantwortungsvolle Gesellschaft. Die Namensnennung als Stasi-Mitarbeiter ist nicht als Urteil zu verstehen. Sie weist den Weg zum Dialog. Was haben diese Personen getan? Was hat sie dazu bewegt? Wie sehen sie ihr Handeln heute? Wer im Namen des Staates und mit staatlichem Auftrag gehandelt hat, steht mit seinem Namen für dieses staatliche Handeln. In dieser Broschüre sind das die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Die inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit bedürfen einer gesonderten Betrachtung. Ihre Identität war bis zum Schluss weitgehend verborgen. Der Stasi heimlich Informationen zu liefen, konspirativ über Mitbürger, Kollegen und Freunde zu berichten, das war das Hauptcharakteris5 tikum ihrer Arbeit. Doch IM ist nicht gleich IM. Es gilt jeden Fall einzeln differenziert zu betrachten. Nur wenige haben bis heute den Mut gefunden oder die Notwendigkeit gesehen, ihre geheime Tätigkeit für die Staatssicherheit offen zu legen oder auf die Menschen zuzugehen, die sie verraten haben. Als Stasi-Unterlagen-Behörde ist es unser Auftrag, über das Wirken der Staatssicherheit aufzuklären Mit dieser Broschüre wollen wir den Bürgern von Meiningen eine Handreichung geben, Fragen zu stellen, ein Klima zu schaffen, in dem man darüber reden kann, wie und warum jemand IM gewesen ist. In dem Kapitel über die inoffiziellen Mitarbeiter (IM) werden die sogenannten Decknamen beibehalten. Eine tabellarische Übersicht aller registrierten IM der Kategorie Sicherheit (IMS) der Kreisdienststelle Meiningen verdeutlicht, in welchen gesellschaftlichen Bereichen sie aktiv waren. Besonders sorgfältig ist mit konkreten Namen und Orten umzugehen, die im Zusammenhang mit Menschen stehen, die von der Stasi bespitzelt und verfolgt wurden. Allein diese Betroffenen haben das Recht, über die Daten, die ohne ihr Wissen über sie von der Stasi gesammelt wurden, zu verfügen. Daher sind in den Zusammenhängen, in denen sie auftauchen, weitgehend Anonymisierungen vorgenommen worden. Und nur, wenn die Personen es erlaubt haben, werden diese Namen genannt. Wissen, wie es war, das hilft uns besser zu verstehen, wie die Diktatur in der DDR funktioniert hat. Roland Jahn Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR 6 Einleitung Die Akten der Kreisdienststelle Meiningen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) haben eine bewegte Geschichte hinter sich. Nachdem sie über vier Jahrzehnte in der Kreisdienststelle, zuletzt in der ErnstThälmann-Straße (heute Neu-Ulmer-Straße), aufbewahrt waren, wurden sie im November und Dezember 1989 im großen Stil vernichtet. Die Mitarbeiter der Kreisdienststelle waren vor allem bemüht, die Akten zu verbrennen. Dazu zerrissen sie zunächst Unterlagen ein- oder zweimal, stopften sie in Säcke, um sie dann nach und nach komplett verschwinden zu lassen. Anfang Dezember 1989 sorgten Meininger Bürger dafür, dass die Vernichtung der Akten gestoppt und die noch verbliebenen Akten gesichert wurden. Im Februar 1990 kamen sie zur Lagerung in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit nach Suhl. Erst im Dezember 1992 gelangten sie an ihren heutigen Platz auf den Suhler Friedberg, in die Weidbergstraße 32–34. Das gesamte, noch verbliebene Schriftgut befand sich in 134 Säcken und Kartons, eine Ordnung war nicht zu erkennen. In den folgenden zwei Jahren erfolgte ein erster Abgleich der vorgefundenen Unterlagen mit den intakt gebliebenen Karteien, die den Zugang zu den Unterlagen ermöglichen. Erst im Juni 2002 begann der Bibliothekar Steffen Rach damit, die rund 46 laufenden Meter Akten, hauptsächlich Personenakten, archivisch zu erschließen.1 Von den ungeordneten und vermischten Sachakten waren lediglich 14 laufende Meter erhalten geblieben. Diese Unterlagen stammen zumeist aus den 1970er und 1980er Jahren. Die Meininger Genossen waren bei der Vernichtung von Akten fleißiger als etwa die in Hildburghausen, Schmalkalden oder Bad Salzungen. Dort wurde jeweils nur ein laufender Meter zerrissener Unterlagen gefunden. Die Überlieferungen in genannten Städten sind zudem umfangreicher. Für die Kreisdienststelle in Bad Salzungen gibt es rund 157 und in Sonneberg 170 laufende Meter Akten.2 Das noch für die Kreisdienststelle Meiningen zu rekonstruierende Volumen schätzte Steffen Rach in seinem 48seitigen Bericht auf etwa 39 laufende Meter. Verkürzt ausgedrückt: Etwa die Hälfte der erhaltenen Unterlagen der Kreisdienststelle Meiningen wurde zerrissen. Dieses Material wird in 1 2 Vgl. Steffen Rach: Bearbeitungsbericht KD Meiningen. Suhl 2003. Im Ergebnis sind es nach der Erschließung tatsächlich 42 laufende Meter Akten. Vgl. Silke Scheinak: Stand der Erschließung der Unterlagen der Teilbestände. Suhl, Oktober 2011, S. 1 und 5. 7 der Stasi-Unterlagen-Behörde sukzessive sowohl manuell als auch virtuell wieder zusammengesetzt. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wird es möglich sein, das sich aus der derzeitigen Aktenlage ergebende Bild zu ergänzen. Auf die vorhandenen Akten stützen wir uns bei dem Versuch einer Annäherung an die Akteure der Kreisdienststelle in Meiningen. Auf diese Akten stützen heißt auch, dass wir in keinem Fall eigene Tatsachenfeststellungen treffen, sondern vielmehr Akten-Inhalte referieren. Aber die Akten selbst sind nur eine Sicht, die Erinnerungen der Menschen eine andere. Wir haben die Besucher einer Veranstaltung der Volkshochschule Meiningen im November 2011 ermuntert, uns ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit der Staatssicherheit in der DDR aufzuschreiben. Unterstützend verteilten wir das Vortragsmanuskript zur Staatssicherheit in Meiningen. Obwohl der Zeitraum für das Einsenden der Erinnerungsnotizen mit Mitte Dezember sehr knapp bemessen war, kamen dennoch fast zwei Dutzend Schreiben, darunter von politisch Repressierten, aber auch von einem Mitarbeiter der Kreisdienstelle. Soweit möglich, flossen die Hinweise in diese Publikation ein. Bevor wir die Darstellung über die Staatssicherheit in Meiningen erneut auflegen, möchten wir die Leser ermuntern, uns über ihre Erfahrungen mit der Staatssicherheit zu schreiben. Sie sollen in einer überarbeiteten Fassung dieser Publikation berücksichtigt werden. Wir haben in dieser Publikation einzelne Aspekte aus der Geschichte der Staatssicherheit in Meiningen herausgesucht. Sie werden sehr eng an den Akten entlang erzählt und es tauchen daher viele Begriffe aus dem Sprachgebrauch des Ministeriums für Staatssicherheit auf. Soweit möglich, werden zentrale Begriffe kurz erläutert. Im ersten Kapitel berichten wir von der Kreisdienststelle selbst und stellen im zweiten Kapitel die Leiter und Stellvertreter der Kreisdienststelle vor. Dann skizzieren wir die Aufgaben des Leiters und widmen der Partei ein eigenes, das vierte Kapitel. Im fünften Kapitel stellen wir die einzelnen Referate der Kreisdienststelle vor, die über Jahrzehnte lediglich diverse Arbeitsgruppen waren. Diese agierten ihrem Wesen nach als verlängerte Werkbänke der entsprechenden Abteilungen in der Bezirksverwaltung Suhl. Das sechste Kapitel beschreibt ebenso summarisch wie der Gegenstand selbst den Stellenplan der Kreisdienststelle. Das siebte Kapitel fasst die kargen Angaben über die inoffiziellen Mitarbeiter zusammen. Das achte Kapitel berichtet über von der Staatssicherheit „bearbeitete“ Bürger. Das neunte Kapitel geht auf das Ende der Staatssicherheit in Meiningen ein. 8 Oberarchivrat Dr. Norbert Moczarski vom Thüringischen Staatsarchiv Meiningen stellt die Aktion „Licht" der Staatssicherheit im Jahre 1962 vor. Gern hätten wir noch von Ulrich Töpfer seine Erinnerungen an die Herbstrevolution in Meiningen aufgenommen, doch erreichten sie uns erst nach Redaktionsschluss; sie werden in der überarbeiteten Fassung dieser Publikation aufgenommen. Im elften Kapitel, dem längsten, werden schließlich so genannte „Parteiinformationen" der Monate von September bis November 1989 fragmentarisch abgedruckt. Diese Erkenntnisse hat die Staatssicherheit mit ihrem Informantensystem beschafft und sie dem 1. Sekretär der SED-Kreisleitung zur Kenntnis gegeben. Wir bemühten uns, alle hier veröffentlichten Angaben möglichst sorgfältig zu prüfen. Falls uns dennoch Ungenauigkeiten unterlaufen sein sollten, so bitten wir Sie, uns darauf aufmerksam zu machen. Ohne Unterstützung haben wir dieses Manuskript nicht allein erstellen können. Es kam auf das zügige Auffinden von Fundstellen und das Heraussuchen der Akten an. Das dies gelang haben wir zunächst der gegenwärtigen Leiterin der Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde in Suhl, Monika Aschenbach, zu verdanken. Zu danken ist auch dem Verwaltungsleiter Gerhard Then, der im Stadtarchiv Meiningen und in Meiningen selbst recherchierte und fotografierte. Ebenso danken wir der Archivleiterin Sandy Apelt, die Akten zur Verfügung stellte, und der Leiterin der Registratur Silvia Langenhan für die eingescannten Fotos. Dankenswerterweise konnten wir auf die Vorrecherchen der Sachbearbeiterin Doris Günther zurückgreifen. Dank auch dem Team von Andrea Stobbe, das den Druck besorgte. März 2012 Helmut Müller-Enbergs Tom Pleiner 9 10 1 Die Kreisdienststelle Wenn man den Tunnel in Meiningen von Suhl aus passierte, bog man an der Kreuzung Richtung Grenzübergang Henneberg in die Ernst-ThälmannStraße ab. Früher war diese Straße nach dem KPD-Vorsitzenden ErnstThälmann benannt, davor hieß sie Bismarckstraße. Heute würde man sagen, man biegt Richtung Mellrichstadt ab und fährt in die Neu-UlmerStraße. Zu Zeiten der DDR war dort der Dreiklang der Macht Meiningens konzentriert: Die sowjetische Kommandantur, die SED-Kreisleitung und eben die Kreisdienststelle der Staatssicherheit. An der Straßenkreuzung befindet sich mit der Nummer 1 das Haus, in dem einmal der Schriftsteller Ludwig Bechstein von 1840 bis 1860 gewohnt hatte.3 Eine Tafel an der Fassade erinnert an den Autor von „Die Manuskripte Peter Schlemihls“. In der Nummer 3 befand sich zunächst die Hacks-Brauerei mit einer Gaststätte, die den Namen „Schulzengarten“ trug. Dann war dort ein Kino untergebracht, das spätere „Union-Theater“. Dort fand in Meiningen die „erste Vorführung mit einer Edison’schen kinematographischen Apparatur“ statt. Ebenfalls dort gab es das erste gewerkschaftliche Fest mit einem Umzug im August 1898. Das Haus wurde 1981 abgerissen und trug zuvor die Bezeichnungen „Bürgergarten“, „Gewerkschaftshaus“ und „Deutsches Volkshaus“. Schließlich wurde es eine HO-Möbelverkaufsstelle. Schon zu Zeiten der DDR nutzten die Meininger die frei gewordene Fläche als Parkplatz.4 In einem Erweiterungsbau, der Nummer 3a, befand sich während des Nationalsozialismus ab 1934 die Druckerei und ein Bürohaus der NSDAP. Danach war darin die Kommunale Wohnungsverwaltung untergebracht, dann das „Haus des Handwerks“.5 Auf der anderen Straßenseite befindet sich die Nummer 6. Das Haus beherbergte von 1904 bis 1935 die Freimaurer-Loge „Charlotte zu den drei Nelken“. Im Giebel des Hauses ist noch heute ein großes rundes Loch zu erkennen, das früher einmal das Dreieck der Freimaurer mit dem Gottesauge enthalten hatte. Als die Nationalsozialisten die Loge aufgelöst hatten, bezog die Kreisleitung Meiningen der NSDAP das Gebäude, welches nach 3 4 5 Vgl. Archiv der Stadt Meiningen, Bauamt 370/41, Bd. 101, 1901–03; ebenda, Bauordnungsamt 6578. Vgl. Archiv der Stadt Meiningen, Bauamt 2184; ebenda, 4/1891-92, 372, 131/37 sowie 156/56. Vgl. Archiv der Stadt Meiningen, Bauamt 187, Bd. 31 1819-24; ebenda 4299/371 und 373. Vgl. hierzu Peter Schmidt-Raßmann: Meiningen wie es früher war. GudensbergGleichen 1992, S. 52 f. 11 1946 das „Haus der SED“ hieß und fortan die SED-Kreisleitung beherbergte. Dem Haus wurden verschiedene Anbauten beigefügt.6 Neben der SED-Kreisleitung befand sich die sowjetische Kommandantur. Einstmals war darin die Augenklinik untergebracht.7 Gegenüber, auf einer kleinen Anhöhe, befand sich die Kreisdienststelle der Staatssicherheit in der Nummer 5, die sie aber erst später bezogen hatte, denn in den 1950er Jahren war dort noch die Kommunale Wohnungsverwaltung untergebracht.8 Heute befindet sich darin der Pflegedienst des Kreisverbandes des Deutschen Roten Kreuzes. Von der roten Fahne zum roten Kreuz, von der Beobachtung des Volkes hin zur Betreuung Pflegebedürftiger. Damals lag aber die Kreisdienststelle mitten im Zentrum der Macht. Der verschlossene Ort Für die Bürger Meiningens war die Kreisdienststelle bis Dezember 1989 ein verschlossener Ort. Tage der offenen Tür kannte die Staatssicherheit nicht. Betreten durfte man das Gebäude als Zivilist nur über die ErnstThälmann-Straße und mit Personalausweis. Dafür gab es feste Zeiten, die heute nur noch schwer vorstellbar sind: Werktags von 6.00 bis 19.00 Uhr und samstags von 6.00 bis 13.00 Uhr. Kam jemand außerhalb dieser Zeiten, so die Hausordnung, war die Person über die Wechselsprechanlage, durch den Außenposten oder durch das Fenster der Objektwache „höflich aufzufordern“, am nächsten Tag erneut vorzusprechen – oder zur Deutschen Volkspolizei zu gehen. Ins Gebäude durfte sie jedoch außerhalb der Dienstzeit nicht gelassen werden. Erschien der Bürger zur Dienstzeit, sollte der Posten außerhalb des Gebäudes stets – dies war der erste Punkt der Regeln – „mit provokatorischen bzw. einem Gewaltakt (Angriff) rechnen und darauf vorbereitet sein (Waffen einsatzbereit und zugriffsicher)“. Vertrauen wird man vermutlich anders buchstabieren. Der Posten hatte den Bürger zur Dienststelle zu führen, allerdings einen Abstand von gut zwei Metern zu halten. Befand sich der Bürger nun endlich am Einlass, waren „Verhalten, Gangart und Gesichtsausdruck zu beobachten. Es ist auf mitgeführte Gegenstände wie Koffer, Taschen, Pakete … zu achten.“ Stand der Bürger nun in der Personenschleuse, war der Personalausweis vorzulegen, das Passbild mit der Person zu vergleichen, die 6 7 8 12 Vgl. Stadtarchiv Meiningen, Bauamt, 2054, 3910a und 378; Schmidt-Raßmann: Meiningen, a. a. O., S. 53. Vgl. Stadtarchiv Meiningen, Bauamt, 3976 und 380. Vgl. Stadtarchiv Meiningen, Bauamt, 4010 und 376. Personenkennzahl zu prüfen und das Geburtsjahr mit dem scheinbaren Alter zu vergleichen. Der Ausweis war auf Radierungen, Überschreibungen, das Prägesiegel auf dem Passbild zu prüfen, wobei besonders auf den toten Raum zwischen Prägesiegel auf dem Passbild und dem Restsiegel zu achten war. Schließlich waren Ausstellungsort und -datum mit den Buchstaben der Ausweisnummer zu vergleichen. Dann war der Bürger nach Personalien, Ausstellungsort des Ausweises und Bezirk zu befragen. Erfolgte all das unbeanstandet, hatte es der Bürger offiziell zur Staatssicherheit in Meiningen geschafft.9 War jedoch etwas nicht in Ordnung, der Ausweis vielleicht abgelaufen, verblieb der Bürger in der Personenschleuse. Darüber wurde der Leiter der Kreisdienststelle informiert, der einen Mitarbeiter der Festnahmegruppe in das Besucherzimmer bestellte. Der Bürger wurde dann abermals nach seinen Personalien befragt. Falls sich der Sachverhalt nicht klären ließ, war er mit den Worten zu unterrichten: „Sie haben mit einem falschen Dokument ein Objekt des MfS betreten. Entsprechend § 125 StPO [Strafprozessordnung] nehme ich Sie vorläufig fest.“ Handelte es sich jedoch um einen ausländischen Bürger, war er dem Leiter der Kreisdienststelle zu melden. Es waren seine Personalien aufzunehmen und sofort dem Referat Auswertung/Information zur Prüfung zu übergeben. Das Besucherzimmer durfte er nicht betreten.10 Mithin war es als Bürger nicht leicht, mit der Dienststelle Kontakt aufzunehmen. Immerhin war die Kreisdienststelle als Ministerium für Staatssicherheit im Telefonbuch ausgewiesen – wenn auch ohne Hausnummer.11 Das Gebäude war in die Jahre gekommen, im April 1988 stand die Renovierung an. Auch unter Sicherheitsaspekten bedurfte es einiger Investitionen. Die Einfahrt von der Ernst-Thälmann-Straße war zu verbreitern, eine Fahrzeugschleuse zu errichten und endlich sollte ein selbstöffnendes Tor eingebaut werden. Das ließ sich der Staat 15 000 Mark kosten.12 Allein für die Renovierung waren 129 Rollen Tapete, 35 Tüten Tapetenleim und 30 Kilogramm geleimte weiße Wandfarbe vorgesehen. Während lediglich ein Schreibtisch erneuert werden sollte, gab es offenbar erheblichen Bedarf an Gartengeräten: Straßenbesen, Rasenbesen, Holzrechen wurden ebenso benötigt wie jeweils zwei Flachrandschaufeln oder Spitzrundschaufeln. Nicht zu vergessen die Sensenwürfe, Stiele für Kreuzhacken, Spatenstiele.13 9 10 11 12 13 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1110, Bl. 133–135. Vgl. ebenda, Bl. 135 f. Vgl. Fernsprechbuch Deutsche Post. Bezirk Suhl. Berlin 1981 S. 80. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1110, Bl. 103. Vgl. ebenda, Bl. 117 f. 13 Räumlichkeiten Das Erdgeschoss der Kreisdienststelle wurde über eine Treppe an der Stirnseite des Gebäudes erreicht. Mit Betreten stand man in der schon erwähnten „Personenschleuse“. Rechter Hand befand sich die Wache, linker Hand der Besucherraum. Aus einem Raumverteilungsplan aus dem Jahre 1985 ergibt sich folgendes Bild: Nach der Schleuse kamen eine Reihe Arbeitszimmer. Zunächst das des Operativen Diensthabenden, drei Räume beanspruchten die für Sicherheitsüberprüfungen zuständigen Mitarbeiter, einen Raum der Mitarbeiter für Passkontrolle und Tourismus (Linie VI), der Offizier für Aufklärung (Linie XV) und weitere Räume die für die Volkswirtschaft zuständigen Mitarbeiter (Linie XVIII). Die Treppe zum Obergeschoss befand sich direkt nach der Personenschleuse. Dort hatten die für das Kreisgebiet (Referat 4) und die für die militärische Objektsicherung (Referat 3) zuständigen Mitarbeiter ihre Räume. Zugleich befanden sich auf dieser Etage die Räume des Leitungsstabs, also des Leiters der Kreisdienststelle, seines Stellvertreters, der Sekretärinnen, des Beauftragten des Leiters und des Funkers. Im 2. Obergeschoss befanden sich die acht Zimmer des für Auswertung und Information zuständigen Referates 1, die drei Zimmer der Spionageabwehr des Referates 2 und jeweils ein Zimmer für den Personenschutz und den Mitarbeiter, der für die operative Arbeit bei der Volkspolizei zuständig war. Es gab noch einen Kartenraum und eine Dunkelkammer. All diese Räume waren um den Versammlungsraum gruppiert.14 – Für über vierzig Mitarbeiter wird es in diesem Haus eng gewesen sein. 14 14 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1110, Bl. 125 – 127. 2 Leiter und Stellvertreter Der letzte Leiter der Kreisdienststelle Meiningen war Oberstleutnant Rudi Lang, dem als Stellvertreter Oberstleutnant Hubertus Bräuning zur Seite stand. Beide hatten in der über 40jährigen Geschichte der Meininger Staatssicherheit einige Vorgänger (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1 Leiter und Stellvertreter der KD Meiningen (1949–1989) Zeitraum Leiter Stellvertreter 1949–1952 Otto Glauder15 Ernst Hoch16 1951–1952 1952–1953 Ernst Hoch 1953–1955 Fritz Amm17 1955–1956 Erwin Hauzenberger18 1957–1964 Oberleutnant Erhard Schurz Herbert Möcker19 1962 1964–1969 Hans Heumann20 Oberleutnant Roland Hoffmann21 1965–1973 1969–1975 Major Dieter Richter22 Major Oswald Prosch23 1973–1974 1974–1975 Oberleutnant Oswald Prosch 1975–1990 Oberstleutnant Rudi Lang 1989–1990 Hauptmann Bernd Cudok Major Hubertus Bräuning Die Personalakten – seinerzeit Kaderakten genannt – sind nicht vollständig überliefert. Somit wissen wir nur wenig von den frühen leitenden Mitarbeitern der Kreisdienststelle. Der erste Dienststellenleiter war Otto Glauder (Jg. 1896). Er war im tschechischen Hombok gebürtig, erlernte den Beruf des Kernmachers und gehörte seit dem 1. Oktober 1949 einem der Vorläufer der Staatssicherheit, der K 5, an.24 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 5321/90, S. 9. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 531/90, S. 11. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 5321/90, S. 21. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 16. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 19. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 25; ebenda, KS Nr. 1083/90, Bl. 53. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90, Bl. 58. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. 15 Sein Nachfolger war Ernst Hoch (Jg. 1903), gebürtig in Henskischken.25 Er trat seinen Dienst beim MfS am 22. November 1949 an und wurde im Dezember 1951 Stellvertreter des Leiters, dessen Aufgaben er kommissarisch übernahm. Im Februar 1953 wurde er entlassen. Die Fluktuation in der Leitung hielt auch in den nächsten Jahren an. Zu den nächsten Leitern wie Fritz Amm, Erwin Hauzenberger oder später Hans Heumann liegen kaum Angaben vor. Aufgefunden wurden bislang lediglich deren Besoldungsunterlagen und Vorgangshefte, in denen die Akten verzeichnet wurden, die sie über Bürger führten, seien es inoffizielle Mitarbeiter oder „bearbeitete“ Bürger. Zu Hans Heumann (Jg. 1921) aus Ostfelderschmiede kann immerhin ermittelt werden, dass er ein gelernter Klempner war, der im April 1954 bei der Staatssicherheit anfing und von 1964 bis 1969 die Leitung der Kreisdienststelle inne hatte.26 Allen Leitern und Stellvertretern ist die Herkunft aus kleinen Verhältnissen gemeinsam. Nahezu durchgehend erwarben sie – wie auch zahlreiche Mitarbeiter der Kreisdienststelle – einen Fach- bzw. Hochschulabschluss an der Juristischen Hochschule der Staatssicherheit. Mithin bot ihnen das Ministerium für Staatssicherheit Aufstiegschancen, die sie andernorts nicht ohne Weiteres gehabt hätten. Auffallend ist auch, dass auf der Leitungsebene überwiegend die Jahrgänge 1923 bis 1937 vertreten waren. Mithin waren diese leitenden Kader durch den Nationalsozialismus, die Sowjetische Besatzungszone oder die frühen Jahre der DDR, besonders also durch die Zeit Stalins geprägt worden. 2.1 Erhard Schurz Erhard Schurz (Jg. 1923) gehörte der Staatssicherheit seit Juli 1952 an. Der gelernte Fleischer, dann Waldarbeiter, kam nach Stationen in Pirna und Sebnitz 1955 als Sachbearbeiter zur Kreisdienststelle in Meiningen mit dem Schwerpunkt „Richtung V“,27 womit vor allem oppositionelle Bestrebungen gemeint waren. Er war zunächst Sachbearbeiter, ein halbes Jahr später stellvertretender und ab Mai 1957 als Oberleutnant Leiter der Kreisdienststelle.28 Im September 1964 wechselte er zur Außenstelle der Hauptverwaltung A (Auslandsspionage bzw. HV A) in der Bezirksverwaltung Suhl. Von Seiten der Bezirksverwaltung war man mit Erhard Schurz unzu25 26 27 28 16 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 15/84, Bl. 3. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 531/90, S. 16. frieden. Nachdem Jahre lang stets sein Engagement in Meiningen gewürdigt worden war, hieß es 1963 überraschend, seine Leitung habe „größere Schwächen“.29 Das IM-Netz sei schwach, seine Mitarbeiter würden mit der „strikten Einhaltung der Disziplin“ hadern und auch zu wenig kontrolliert werden.30 Kurz: Wegen „mangelhafter Leitungstätigkeit“ wurde er „von dieser Funktion entbunden“.31 Tatsächlich finden sich in seiner Kaderakte einige Handlungen, die das MfS zum Eingreifen zwangen. Beispielsweise schoss er 1960 in Grenznähe nachts auf Hasen, so dass die Grenzbereitschaft Alarm auslöste. Für ein halbes Jahr wurde ihm dafür der Jagdteilnahmeschein entzogen.32 2.2 Dieter Richter Major Dieter Richter (Jg. 1940) gehörte zunächst von 1958 bis 1962 dem Wachregiment als Wach- und Sicherungsposten an, wurde dann operativer Sachbearbeiter in der Kreisdienststelle in Hildburghausen, wo er bis 1968 zum Arbeitsgruppenleiter aufstieg. Von dieser Position aus wurde er am 1. September 1969 zum Leiter der Kreisdienststelle Meiningen ernannt, was er bis zum 1. Januar 1976 blieb. Danach fand er eine Verwendung in der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Bezirksverwaltung in Suhl. Seine Leistungen wurden von der Bezirksverwaltung anerkannt, was seinen sichtbaren Ausdruck darin fand, dass in den Jahren 1970 und 1971 der „Dr.-Richard-Sorge-Wimpel“ an die Kreisdienststelle ging.33 2.3 Roland Hoffmann Im Oktober 1955 nahm Roland Hoffmann (Jg. 1929) mit dem Dienstrang eines Oberfeldwebels den Dienst bei der Kreisdienststelle auf. Der gelernte Autoschlosser wurde bald jährlich prämiert und im August 1965 im Rang eines Leutnants kommissarisch als Stellvertreter des Leiters eingesetzt, was er bis zu seinem Wechsel zur Bezirksverwaltung im April 1973 blieb.34 29 30 31 32 33 34 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 15/84, Bl. 73. Vgl. ebenda, Bl. 73. Vgl. ebenda, Bl. 76. Vgl. ebenda, Bl. 232; ebenda, KS Nr. 525/90, S. 7. Ferner BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 969 und 970. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Abt. K/S Nr. 1534. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, Kaderkarteikarte. 17 2.4 Oswald Prosch Als Grenzposten begann die Karriere von Oswald Prosch (Jg. 1938), einem gelernten Facharbeiter für Landwirtschaft. Im Mai 1965 kam er als Hilfssachbearbeiter zur Kreisdienststelle Meiningen und stieg bis Mai 1973 zum Stellvertreter des Leiters auf. In den Jahren zuvor war er auf der Linie XX (Staat, Parteien, Jugend, Opposition etc.) eingesetzt. Dort arbeitete er mit sechs inoffiziellen Mitarbeitern, die vornehmlich unter Jugendlichen aktiv waren.35 Im Mai 1966 wechselte er innerhalb der Kreisdienststelle zur Linie II, die sich mit Spionageabwehr befasste. Faktisch beteiligte er sich an der Außensicherung militärischer Objekte mit inoffiziellen Mitarbeitern, was prämiert wurde. Ab Oktober 1967 wurde er persönlicher Mitarbeiter des Leiters der Kreisdienststelle, Hauptmann Hans Heumann.36 Als 1974/75 Kreisdienststellenleiter Major Dieter Richter ausfiel, übernahm Oswald Prosch dessen Aufgaben.37 Nach fast elf Jahren als Stellvertreter ging er im Dezember 1984 als Leiter der Kreisdienststelle nach Neuhaus. 2.5 Rudi Lang Im September 1955 begann der gelernte Werkzeugmacher Rudi Lang (Jg. 1937) seinen Dienst bei der Bereitschaftspolizei als Oberwachtmeister, wechselte aber im Oktober 1961 zur Kreisdienststelle Hildburghausen, deren Leiter er von 1970 bis 1975 war. Im September 1975 wurde er als Leiter der Kreisdienststelle Meiningen im Dienstrang eines Majors eingesetzt (ab 1980 Oberstleutnant). Damit löste er den bisherigen Leiter ab, der aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden musste.38 Der neue Leiter scheint hoch motiviert gewesen zu sein, denn im Jahre 1981 erzielte die Kreisdienststelle im „sozialistischen Wettbewerb“ mit den anderen Kreisdienststellen den 2. Platz im Bezirk und wurde mit dem Ehrenwimpel „Held der Sowjetunion – Dr. Richard Sorge“ ausgezeichnet.39 Dieser Platz konnte zwar in den Folgejahren nicht gehalten werden, aber noch bis 1985 wurden der Kreisdienststelle „vordere Plätze im sozialistischen Wettbewerb“ bescheinigt.40 Für Rudi Lang ist als letzter Arbeitstag bei der Kreisdienststel35 36 37 38 39 40 18 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 624/90, Bl. 61. Vgl. ebenda, Bl. 75. Vgl. ebenda, Bl. 112. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 15/92, Bl. 92. Vgl. ebenda, Bl. 96 und 103. Vgl. ebenda, Bl. 99. le der 30. April 1990 vermerkt. Wenn dieses Datum stimmen sollte, war er der letzte Mitarbeiter dieser Diensteinheit. 2.6 Bernd Cudok Hauptmann Bernd Cudok (Jg. 1948) war von 1985 bis März 1989 stellvertretender Leiter der Kreisdienststelle. Der gelernte Agrotechniker hat in der Kreisdienststelle 1973 als Sachbearbeiter angefangen, absolvierte ein vierjähriges Studium an der Juristischen Hochschule des MfS und brachte es zuletzt zum Leiter der Kreisdienststelle in Hildburghausen.41 2.7 Hubertus Bräuning Major Hubertus Bräuning (Jg. 1950) wurde am 1. April 1989 als Stellvertreter des Leiters der Kreisdienststelle Meiningen eingesetzt. Dies war für ihn ein langer Weg dorthin. Vier Jahre lang arbeitete er als inoffizieller Mitarbeiter, im August 1978 trat er als Leutnant in den Dienst der Kreisdienststelle. In den Folgejahren kam er mit mehreren Aufgabenbereichen der Kreisdienststelle in Kontakt: Er wurde als Abschnittsoffizier für den Sicherungsbereich Süd – Staatsgrenze, Grenzgebiet und grenznahen Raum – eingesetzt.42 Ab 1980 befasste er sich als Abwehroffizier mit der Deutschen Volkspolizei, ab 1984 war er auf der Linie XX der Kreisdienststelle als operativer Hauptsachbearbeiter tätig.43 Er spezialisierte sich auf die Werbung von IM unter Jugendlichen und Jungerwachsenen.44 Im August 1985 wurde er Leiter des Referates 4, zuständig für die Sicherung territorialer Bereiche.45 Der gelernte Lehrer für Biologie und Chemie durfte seine letzte Funktion als Stellvertreter des Leiters der Kreisdienststelle kaum ein Jahr ausüben.46 41 42 43 44 45 46 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 120/90, Bl. 9; ebenda, KS Nr. 321/90, Bl. 38. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1148/90, Bl. 63. Vgl. ebenda, Bl. 65. Vgl. ebenda, Bl. 75. Vgl. ebenda, Bl. 76. Vgl. ebenda, Bl. 9; ebenda, KS Nr. 401/90, Bl. 84. 19 3 Leitungsbereich Im Leitungsbereich wurde der Leiter zuletzt von zehn weiteren Mitarbeitern unterstützt, darunter der Beauftragte des Leiters, der Funker, zwei bis drei Sekretärinnen, ein Kraftfahrer, ein Objektverwalter, ein Gebäudereiniger, der Offizier für Kadergewinnung und der Offizier für Aufklärung. Darüber hinaus war die Kreisdienststelle rund um die Uhr durch den Offizier vom Dienst besetzt.47 3.1 Funker Die Funktion des 1. Funkers und Chiffreurs der Kreisdienststelle hatte seit 1985 Oberleutnant Wolfgang Gramann (Jg. 1950) inne. Der gelernte Maschinenschlosser – er arbeitete vor seiner Einstellung als Fräser im VEB Rechenelektronik Zella-Mehlis – gehörte der Kreisdienststelle seit 1973 als Wachmann an, was er gut ein Dutzend Jahre blieb.48 Nach einem dreimonatigen Funkerlehrgang übernahm er, trotz großer Mühen die Morsezeichen aufzunehmen und umzusetzen, seine neue Funktion.49 Sein Arbeitszimmer in der Kreisdienststelle befand sich im 1. Obergeschoss, linker Hand von der Treppe zwischen Toilette und Waffenkammer.50 Die Waffenkammer war nicht schlecht ausgerüstet. Sie beherbergte Panzer brechende Granaten (PG 7), Handgranaten (RDG 5), Reizwurfkörper (RWK) und MPi-, LMG- und Pistolenmunition. Verantwortlich war der Waffenwart der Kreisdienststelle.51 3.2 Offizier für Kadergewinnung Waldemar Sauer (Jg. 1933) kam aus Walldorf, hatte dort den Beruf des Zimmermanns gelernt und war beim VEG Gartenbau in Meiningen tätig. Zwischendurch verdiente er als Schrabberfahrer (Baggerfahrer für Erdbewegungen) im VEB Kali-Kombinat Merkers sein Einkommen. In den Dienst der Kreisdienststelle trat er 1960, war bis 1985 operativ tätig und danach zuständig für die Gewinnung von Kadern. Mit seinem Eintritt war 47 48 49 50 51 20 Die Aufgabe des Offiziers vom Dienst wurde abwechselnd übernommen. Die zu führenden Protokolle sind weithin ab 1972 bis einschließlich Dezember 1989 erhalten geblieben. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1109 und 1114–1121. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1102/90, Bl. 6. Vgl. ebenda, Bl. 60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1110, Bl. 126. Vgl. ebenda, Bl. 122. er für die Volkspolizisten des Volkspolizeikreisamtes Meiningen zuständig (Linie VII/1), die er operativ im Auge zu behalten hatte.52 Im August 1967 wechselte er zum Sachgebiet Grenzsicherung der Kreisdienststelle Meiningen.53 Zu seinen Aufgaben gehörte es, Kontakte von Bürgern Meiningens ins „westliche Vorfeld“ aufzuklären.54 Sein inoffizielles Netz umfasste 1971 39 Personen.55 Er war auch sonst recht engagiert. Im gleichen Jahr erhielt er eine Belobigung, weil er zur Verschönerung von Einrichtungen der Staatssicherheit beigetragen hatte.56 In den 1980er Jahren war er mit der „Abwehrarbeit“ im Wehrkreiskommando befasst, zugleich fungierte er bereits als Offizier für Kaderwerbung. Jeder angenommene Kadervorschlag wurde mit mindestens 100 Mark prämiert.57 Nach 26 Jahren Zugehörigkeit zum MfS war es 1986 soweit: Waldemar Sauer wurde Offizier für Kadergewinnung.58 3.3 Offizier für Aufklärung Die Auslandsspionage des MfS lag in Händen der Hauptverwaltung A (HV A), die in jeder Bezirksverwaltung über eine Außenstelle verfügte (intern Linie XV genannt). Eine solche Abteilung XV gab es auch in der Bezirksverwaltung Suhl. Die wiederum hatte in jeder Kreisdienststelle einen Ansprechpartner, der ihr zuarbeitete und auch Aufgaben übernahm. In der Kreisdienststelle hatte diese Funktion Peter Schmidt (Jg. 1954) inne. Diese Stelle übernahm er im November 1982 als Oberfeldwebel. Innerhalb der Kreisdienststelle befand sich sein Arbeitszimmer im Erdgeschoss, am Ende des Ganges und konnte lediglich über das Zimmer des für die Linie VI (Passkontrolle, Tourismus) zuständigen Mitarbeiters erreicht werden.59 Intern wurden diese Mitarbeiter als Offiziere für Aufklärung (OfA) ausgewiesen. Peter Schmidt hatte zunächst in der Abteilung XV in Suhl eine Ausbildung erfahren.60 Er sollte geeignete Kandidaten „für die Arbeit im und nach dem Operationsgebiet“ finden, was bei der HV A die zielgerichtete Suche nach „operativen Ausgangsmaterialien“ hieß.61 Zu diesem 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 10. Vgl. ebenda, S. 20. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 36. Vgl. ebenda, S. 41. Vgl. ebenda, S. 75. Vgl. ebenda, S. 81. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1110, Bl. 125. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1317/90, Bl. 55. Vgl. ebenda, Bl. 64. 21 Zweck arbeitete er mit inoffiziellen Mitarbeitern zusammen – bis Dezember 1988. Dann wurde er zum Referat 5 als Führungsoffizier versetzt.62 Die Aufgaben übernahm offenkundig Oberleutnant Thomas Schubert. Aus Planungsunterlagen der Kreisdienststelle wird ersichtlich, welche Schwerpunkte der Offizier für Aufklärung in der Kreisdienststelle in den Jahren 1988/89 hatte: Er sollte bei zehn Meininger inoffiziellen Mitarbeitern prüfen, ob ihre Verbindungen nach Westdeutschland für nachrichtendienstliche Zwecke genutzt werden konnten. Dabei handelte es sich insbesondere um die IMS „Gitta Schmidt“, „Maik“ und „Hans Koch“. Als „bearbeitungswürdig“ galten „Alexander Fuchs“, „Anders“, „Michael“, „Werrathal“ und „Prinz“.63 62 63 22 Vgl. ebenda, Bl. 84. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 5. 4 Die Partei So wie innerhalb des gesamten Ministeriums für Staatssicherheit gab es auch innerhalb der Kreisdienststelle eine doppelte Struktur. Das Ministerium für Staatssicherheit war militärisch organisiert und folgte einer Hierarchie bis zum Minister. Gleichzeitig war das MfS den Vorgaben der Partei, der SED, unterworfen. Innerhalb des Zentralkomitees der SED gab es eine Abteilung Sicherheitsfragen, die sich nicht nur direkt an den Minister für Staatssicherheit, sondern auch an die Leiter der Bezirksverwaltungen wenden konnte. Tabelle 2 1. und 2. Sekretäre der SED in der KD Meiningen (1954–1989) Zeitraum 1. Sekretär 2. Sekretär 1954 – 1958 Herbert Möcker64 1959 Kurt Nößler65 1961 Oberfeldwebel Klaus Köhler66 1963 – 1964 Leutnant Heinrich Liehr67 1965 Roland Hoffmann68 1965 – 1966 Leutnant Karl-Heinz Unger69 1967 Klaus Köhler70 1969 – 1988 Major Waldemar Sauer71 1969 – 1982 Hauptmann Herbert Möcker72 1985 – 1988 Hauptmann Hubertus Bräuning73 Mithin war die Partei auch innerhalb der Kreisdienststelle die führende Kraft, auch wenn es wiederholt zu Personalunion von dienstlicher und politischer Funktion kam. Grundsätzlich gehörten alle Mitarbeiter der Staatssicherheit der SED an – andere Parteimitgliedschaften sind nicht bekannt 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 531/90. Vgl. ebenda, S. 20. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 7; ebenda, KS Nr. 1142/90. Vgl. ebenda, S. 11. Vgl. ebenda, S. 13. Vgl. ebenda, S. 16. Vgl. ebenda, S. 19. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1083/90, Bl. 53. Für das Jahr 1971 wird auch Oberleutnant Gerhard Heer als 2., dann 1972 als 1. Sekretär ausgewiesen. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 30 und 57. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 37; ebenda, KS Nr. 5312/90, S. 61. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90, S. 77. 23 geworden, auch nicht innerhalb der Kreisdienststelle Meiningen. Überdies gehörte der Leiter der Kreisdienststelle immer der Kreisleitung der SED und seinem Sekretariat wie auch der Kreiseinsatzleitung an. Mithin verfügte er über einen engen Kontakt zum 1. Sekretär der Kreisleitung. Gern gesehen wurde die Übernahme von gesellschaftlichen Funktionen durch Mitarbeiter. Innerhalb der Kreisdienststelle gab es eine Grundorganisation der SED, der zumeist ein 1. und ein 2. Sekretär vorstanden. Diese Funktionen waren oftmals eine wichtige Zwischenetappe für Leitungsfunktionen innerhalb der Staatssicherheit. Der Sekretär der SED wirkte an zahlreichen Entscheidungen mit, bei Beurteilungen und Beförderungen war stets seine Stellungnahme mitentscheidend. Angesichts dieses Stellenwertes der Partei sind deren Sekretäre gesondert auszuweisen, was bislang nur bedingt vollständig möglich ist (vgl. Tabelle 2).74 74 24 Vgl. Silke Schumann: Die Parteiorganisation der SED im MfS. Berlin 2002. 5 Die Referate Bis Juni 1985 war die Kreisdienststelle wesentlich durch Arbeitsgruppen geprägt. Danach begann die Bildung von Referaten, von denen zuletzt sechs nachweisbar sind. Die Kreisdienststelle Meiningen hatte zum Schluss 46 hauptamtliche Mitarbeiter. 5.1 Referat 1 – Auswertung und Information In der Geschichte der Kreisdienststelle Meiningen dürfte es wohl kaum jemanden gegeben haben, der dort länger gearbeitet hat als Herbert Möcker (Jg. 1929). Er trat am 1. Februar 1952 in den Dienst der damals noch Kreisverwaltung genannten Staatssicherheit in Meiningen. Er wurde in der Abteilung II („innere Spionageabwehr“) der Kreisdienststelle eingesetzt. Er arbeitete dann ab 1959 für die Abteilung II der Bezirksverwaltung (Spionageabwehr), konnte dort aber nicht punkten und kehrte 1965 als Auswerter und Analytiker zurück zur Kreisdienststelle.75 Von 1974 bis 1984 war er dort Arbeitsgruppenleiter von drei Mitarbeitern. Die Leitungsfunktion gab er altersbedingt ab, arbeitete aber weiter als Auswerter.76 Gelernt hatte Herbert Möcker ursprünglich bei der Gemeindeverwaltung Breitungen den Beruf des Verwaltungsangestellten und arbeitete beim VEB Holzbau Breitungen als Statistiker. 1985 wurde die bisherige Arbeitsgruppe Auswertung und Information zum Referat 1 aufgewertet. Die Leitung übernahm der bisherige Leiter Major Helmut Schmidt.77 Er gehörte der Kreisdienststelle Meiningen seit März 1970 an. Anfangs wurde er auf der Linie XX/7 eingesetzt und dort vor allem auf dem Gebiet Jugend und Kultur.78 Er führte zunächst 15 inoffizielle Mitarbeiter in diesem Bereich, 1972 bereits über zwanzig.79 Im Oktober 1978 wurde er zur Arbeitsgruppe Auswertung und Information versetzt.80 Am 28. Februar 1990 war sein letzter Arbeitstag. Dem Referat 1 gehörten zuletzt neben dem Leiter vier Mitarbeiter an. Es gab zwei Offiziere für drei Verantwortungsbereiche, die bestimmte Themen bedienten: Das fing bei den Informationen für die Partei, für die Auswertungs- und Kontrollgruppe der Bezirksverwaltung an und endete bei 75 76 77 78 79 80 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 5321/90, S. 27. Vgl. ebenda, S. 73. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 531/90, S. 78. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1383/90, Bl. 58. Vgl. ebenda, Bl. 62 und 66. Vgl. ebenda, Bl. 86. 25 statistischen Übersichten zur Anzahl der inoffiziellen Mitarbeiter und der beobachteten Personen.81 Zu den wenigen Frauen, die in der Kreisdienststelle tätig waren, gehörte Christa Baumbach (Jg. 1949). Sie hatte im Januar 1969 zunächst als Schreibkraft angefangen, wurde dann ab 1971 während ihrer Erziehungszeit als hauptamtliche IM für bestimmte Schreibarbeiten herangezogen.82 Im Juni 1972 trat sie wieder voll in den Dienst ein und wurde seit April 1978 als Schreibkraft und Auswerterin in der Arbeitsgruppe Auswertung/Information eingesetzt.83 Zuletzt führte sie als Oberleutnant die Kartei des Referates 1 und war für Archivierungen und Auskünfte zuständig.84 Alle vierzehn Tage verfasste das Referat „Einschätzungen der politischoperativen Lage“. Ein Beispiel für den Zeitraum vom 19. November bis zum 3. Dezember 1987. Darin wurde für jedes Referat gelistet und mitgeteilt, wie viele Treffs stattfanden, welcher Führungsoffizier sie durchführte und wie viele Informationen er gewinnen konnte. Die Führungsoffiziere des Referates 2 führten beispielsweise 29 Treffs durch. Führungsoffizier Günther erfuhr von seinem IMS „Erich Richter“, dass eine beobachtete Person (OV „Kontakt“) einen Passierschein für den Besuch ihrer Verwandten in der Grenzgemeinde Sülzfeld erhalten hatte. Vom gleichen IM erfuhr er folgendes: „Am 6.11.1987 reisten 4 Rentnerinnen aus Helmershausen nach Mellrichstadt. Neben dem Empfang des Begrüßungsgeldes sowie dem Tätigen von Einkäufen suchten sie auch Kontakte zu BRDBürgern und bettelten diese nach Geld an. In einer kirchlichen Verkaufsstelle erwarben sie für wenig Geld gebrauchte Bekleidungsstücke, die ihnen dann zugesandt werden.“85 Auf diese Weise wurden die Arbeitsergebnisse eines jeden Führungsoffiziers vermerkt und seine Informationsausbeute referiert. Einen großen Anteil unter diesen Informationen bildeten "Stimmungsberichte".86 5.2 Referat 2 – Sicherung der Staatsgrenze Das Referat 2 befasste sich mit der „Sicherung der Staatsgrenze“. Das hieß für die Kreisdienststelle, dass der Kreis „für die Tätigkeit feindlicher Ge81 82 83 84 85 86 26 Vgl. ebenda, Bl. 89. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 640/90, Bl. 59. Vgl. ebenda, Bl. 74. Vgl. ebenda, Bl. 98. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1087, Bl. 97. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1086–1090. heimdienststellen stets ein geeignetes Angriffsobjekt darstellt.“87 Es war mithin das wichtigste Referat der Kreisdienststelle, was angesichts des langen Grenzabschnittes, an dem der Kreis Meiningen lag, nicht verwunderlich ist. Major Roland Günther war der Leiter des Referates, dem fünf Mitarbeiter unterstanden. Von denen waren vier spezielle Führungsoffiziere – intern Abschnittsoffiziere genannt – und einer „bearbeitete“ operativ die Mitarbeiter der Deutschen Volkspolizei bzw. des Volkspolizeikreisamtes in Meiningen.88 Die alphabetisch sortierten Berichte über die Meininger Polizisten sind für die Jahre von 1956 bis 1989 überliefert, beginnend bei „Altm“ bis zu „Zma“. Die sind ebenso überliefert wie Urlaubspläne, Zulagenlisten oder Listen für Belehrungen.89 Roland Günther (Jg. 1950) arbeitete seit 1973 bei der Kreisdienststelle Meiningen, zuletzt seit 1986 als Leiter des Referates im Rang eines Hauptmanns.90 Er war in Henneberg aufgewachsen, hatte den Beruf eines KfzHandwerkers in Meiningen gelernt, die Offiziersschule in Löbau besucht und gelangte von dort 23-jährig zum MfS. Anfangs arbeitete er im Sachgebiet Grenzsicherung und führte dort als Abschnittsoffizier inoffizielle Mitarbeiter.91 Anfang der 1970er Jahre gehörte er der Arbeitsgruppe Linie II an und war für die Sicherung eines politisch-operativen Schwerpunktes militärischer Objekte verantwortlich,92 doch 1983 ging er zur Arbeitsgruppe (II) Grenzsicherung,93 was ihm immerhin auf seinem Gehaltsstreifen einen „Grenzzuschlag“ einbrachte. Dort führte er ein Netz mit zwanzig inoffiziellen Mitarbeitern.94 1986 wurde er mit der Leitung des Referates 2 (Staatsgrenze) betraut.95 Sein letzter Arbeitstag in der Kreisdienststelle war der 28. Februar 1990. Zu seinem Referat gehörte seit 1973 auch Hauptmann Peter Kühhirt (Jg. 1946), zuletzt im Rang eines Majors. Im Grenzvorfeld hatte er möglichst unerlaubte Grenzübertritte zu vereiteln und das westliche Grenzvor87 88 89 90 91 92 93 94 95 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS II Nr. 15/84, Bl. 73. Die hierzu erforderlichen exakten topographischen Karten zum Grenzraum sind ebenso überliefert wie Verzeichnisse grenznaher Orte. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 961 und 962. Dazu gehörte auch eine Analyse der "Staatsgrenze West", soweit es den Kreis Meiningen betraf. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 968. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 957 und 958. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 949–956. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1083/90, Bl. 5. Vgl. ebenda, Bl. 52. Vgl. ebenda, Bl. 60. Vgl. ebenda, Bl. 76. Vgl. ebenda, Bl. 82. Vgl. ebenda, Bl. 71. 27 feld zu beurteilen.96 Hierzu führte er ein IM-Netz. Er befasste sich u. a. auch mit dem „Rhönclub e. V.“ auf der westlichen Grenzseite. Aus der Planung für das Jahr 1988 wird ersichtlich, dass eben dieser „Rhönclub“, dem ehemalige Thüringer in Bayern angehörten, das wichtigste Aufklärungsziel war. Die Beobachtung des Clubs ist in der Feinobjektakte (FOA) „Silberdistel“ dokumentiert. Alle Zweigvereine des Clubs in Ostheim, Mellrichstadt, Bad Neustadt sowie in Tann waren ebenfalls aufzuklären. IMB „Fleischmann“ (XI 17/79) unterhielt bereits Kontakte zu führenden Mitgliedern des „Rhönclubs“ in Bad Neustadt, die er weiter ausbauen sollte. IMB „Bergmann“ (XI 456/77) sollte sich auf die Dependance in Tann konzentrieren.97 Neben diesen IM sollten auch IMS „Günther“ (XI 278/76), IMS „Erna“ (XI 12/79), IMS „Schwalbe“ (XI 1224/80) und IMS „Willi“ (XI 569/84) zum Zuge kommen. Das Referat wollte sich aber nicht allein mit dem Einsatz von IM aus der DDR begnügen, sondern plante auch Werbungen aus dem „Rhönclub“ im Westen: So in Ostheim „Star“ (XI 194/87), aus Mellrichstadt „Gerhard“ (XI 748/87) und aus Irmelshausen/Höchheim „Landwirt“ (XI 381/85). Zu diesem Zeitpunkt war für das MfS noch nicht absehbar, ob die ins Visier genommenen Bundesbürger dem Ansinnen entsprechen würden. Wohl auch deshalb wurden zwei weitere Kandidaten aus dem westlichen Grenzvorfeld gesucht, vor allem aus den Ortschaften Fladungen, Oberfladungen, Leubach und Wilmars.98 Über diese Aktivitäten hinaus war für 1988 geplant, einen IM mit Reisemöglichkeiten zu finden, der im Raum Mellrichstadt/Irmelshausen aktiv werden könnte. Ziel war in allen Fällen, „feindliche“ Tätigkeiten zu ermitteln. Einen besonderen regionalen Schwerpunkt bildete dabei Helmershausen – Stedtlingen und auch die Orte Wohlmuthausen/Gerthausen.99 Einigen DDR-Bürgern unterstellte das MfS, „feindliche“ Beziehungen in den Westen zu unterhalten, weshalb jeweils strafrechtlich relevante Beweise gefunden werden sollten. Diese Untersuchung wurde im operativen Vorgang OV „Kontakt“ (XI 282/82) dokumentiert, der die Ausreiseersuchen verfolgte, auf die IMS „Müller“ angesetzt war. Im OV „Trennung“ (XI 388/86) befassten sich die IMS „Petra“ und GMS „Charlie“ mit den DDR-Bürgern, denen „feindliche“ Beziehungen zum Westen unterstellt wurden.100 96 97 98 99 100 28 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 678/90, Bl. 98. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, Bl. 7. Vgl. ebenda, Bl. 8. Vgl. ebenda, Bl. 9. Vgl. ebenda, Bl. 10. Eine zentrale Aufgabe des Referates bestand darin, Fluchten in den Westen zu verhindern, in der Sprache des MfS ausgedrückt die „Verhinderung ungesetzlicher Grenzübertritte“. Dazu gehörte es, „aus der Tiefe des Territoriums als auch dem unmittelbaren Grenzgebiet“ folgende Ortschaften bzw. „Räume“ abzusichern: Sülzfeld – Henneberg, Hermannsfeld – Stedtlingen, Römhild – Milz – Mendhausen, Kaltensundheim – Frankenheim – Kaltenwestheim – Oberweid – Unterweid“. Absichern meint die Analyse des „Wer ist wer?“ „unter den Zielgruppen des Gegners“.101 In diesem Zusammenhang sollte 1988 vor allem der OV „Rhönkunst“ (XI 763/87) im Mittelpunkt stehen, bei dem IMS „G. Schmidt“ die strafrechtlich relevanten Beweise erbringen sollte.102 Als kurios müssen die Erlebnisse von Jürgen Mehlhase angesehen werden, dessen Hund "Lumpi" im Juli 1977 „republikflüchtig“ wurde. Er landete in einem Tierschutzverein in Bad Neustadt (Saale) und kehrte erst nach langwierigen Mühen wieder zurück in die DDR.103 Hinsichtlich des Volkspolizeikreisamtes sollte 1988 der Schwerpunkt auf der Abteilung K (Kriminalpolizei) und dort auf der Arbeitsrichtung I liegen, um wirksam die dortige Arbeit mit konspirativen Mitteln zu unterstützen. Diese Diensteinheit der Volkspolizei arbeitete selbst mit IM, die jedoch inoffizielle kriminalpolizeiliche Mitarbeiter (IKM) genannt wurden. Dieses IKM-Netz wollte das Referat 2 überprüfen.104 Die Beobachtungen galten gleichfalls den Kampfgruppen der Arbeiterklasse und dem Wehrkreiskommando.105 5.3 Referat 3 – Sicherung militärischer Objekte Letzter Leiter des Referates 3 war 1988 Major Frank Spörer,106 der diese Aufgabe von Hauptmann Hans-Joachim Menger übernommen hat.107 Ihm 101 102 103 104 105 106 107 Erfolgreiche Fluchten dokumentierte die Kreisdienststelle ebenso wie verhinderte Fluchten. Vernehmungsprotokolle, Listen zu Versuchen und Verdächtige der Jahre 1973 bis 1989 sind überliefert. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 964–967. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, Bl. 12. Vgl. Schikanen eines Regimes am Beispiel eines Dackels, in: Rhön- und Saalepost vom 26. Februar 1990, S. 1; Peter Schmidt-Raßmann: Lumpi kam durch, in: Freies Wort vom 9. November 2006. Vgl. ferner BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Hinweis MPost vom 24. Juli 1977 und 5. August 1977. Vgl. ebenda, Bl. 44. Vgl. ebenda, Bl. 50; BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 959. Zur Zivilverteidigung vgl. ebenda, KD Meiningen Nr. 960. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90, Bl. 80. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1330/90, Bl. 81b. 29 unterstanden neun Mitarbeiter, davon jeweils vier Führungsoffiziere (drei waren auf Spionageabwehr fixiert) und Beobachter sowie sein Stellvertreter. In der Stadt Meiningen gab es die Stadtkaserne und im Norden die Barbarakaserne. Im Juli 1945 haben Truppen der Roten Armee – konkret das 23. Panzerbataillon und das 11. Aufklärerbataillon der 8. Gardearmee – die Kaserne übernommen. Auf dem Gelände der ehemaligen Stadtkaserne befindet sich heute die Polizeidirektion Meiningen und das Justizzentrum; auf dem Gelände der ehemaligen Barbarakaserne wurden Wohnhäuser gebaut. Andere wie die Mannschafts- und Stabsgebäude wurden später abgetragen und was blieb, zerfällt langsam. Damals jedoch hatte das Referat 3 die Außensicherung der Kaserne wahrzunehmen wie auch den Hubschrauberlandeplatz auf dem Rohrer Berg und die sowjetischerseits genutzten militärischen Anlagen in Römhild, Geba, Melpers und den Truppenübungsplatz in Dreißigacker. Sowohl die Stadt-, als auch die Barbarakaserne waren rundherum sorgfältigst dokumentiert und abgesichert.108 Da die westlichen Alliierten im Rahmen der Militärverbindungsmissionen (MVM) das Recht hatten, sich auch im Kreis Meiningen aufzuhalten, bedurfte es sorgfältig durchkomponierter Sperrzonen und „Meldepunkte“, wenn einmal ein Fahrzeug der MVM auftauchte.109 Im Kern ging es diesem Referat um Spionageabwehr – MfS-intern Linie II genannt. Das Referat selbst ging im Juni 1985 aus einer entsprechenden Arbeitsgruppe der Linie II der Kreisdienststelle hervor, die selbst erst 1982 entstanden war. Vermutlich war sie wiederum aus der Arbeitsgruppe Grenzsicherung entstanden. Leiter dieser Arbeitsgruppe und langjähriger Referatesleiter war Major Hans-Joachim Menger,110 der im April 1988 zur Bezirksverwaltung nach Suhl versetzt wurde.111 Zu diesem Referat stieß 1988 Frank Geißhirt hinzu – und es blieb für ihn eine Episode.112 Eine Aufgabe des Referates 3 war es, Wehrpflichtige für Grenztruppen und Spezialeinheiten vor ihrer Berufung zum Wehrdienst als inoffizielle Mitarbeiter zu rekrutieren. In den Worten des MfS: „Die Zuführung von IM und GMS für die HA I“.113 Die zu diesem Zweck von 1960 bis 1989 über Angehörige der Armee geführten Listen füllen heute mehrere Regal108 109 110 111 112 113 30 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 899. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 900. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1359/90, Bl. 76, 88 und 96. Vgl. ebenda, Bl. 103. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90, Bl. 84. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1330/90, Bl. 81b. meter.114 Konkret war damit ab Mai 1987 Oberleutnant Eugen Luck befasst. Kurz: Eugen Luck war mit dem gesamten Komplex Wehrkreiskommando beschäftigt.115 Im Jahresarbeitsplan für 1988 stand wie in den Jahren zuvor die „Bekämpfung subversiver Tätigkeit imperialistischer Geheimdienste“ im Mittelpunkt. Das Referat 3 beabsichtigte dabei, nicht allein entsprechenden Hinweisen im Kreis nachzugehen, sondern auch offensiv im „Operationsgebiet“ zu arbeiten, wie am Beispiel der IMS „Petra Heinze“ (XI 738/86) ersichtlich wird. Sie sollte sich im Raum Stuttgart ins Blickfeld bundesdeutscher Nachrichtendienste bringen und sich auf einen entsprechenden Kontakt einlassen.116 Des Weiteren sollte ermittelt werden, wie die „imperialistischen Geheimdienste“ die nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen die von der sowjetischen Armee genutzte Barbara- und Stadtkaserne gestalteten. Auch 1988 sollte die Sicherungskonzeption für die Kaserne überarbeitet werden. So hatte das Referat beispielsweise die OPK (operative Personenkontrolle) „Palme“ (XI 498/86) im Verdacht, für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig zu sein.117 Bei der OPK „Karneval“ (XI 331/83) gab es die Vermutung, er würde für den amerikanischen Nachrichtendienst arbeiten. IMS „Gottlieb“ erhielt den Auftrag, die Interessenlage bei „Karneval“ abzuklopfen.118 Speziell zur Außensicherung der Kaserne gab es ein vierköpfiges IM-Netz, das vom FIM (IM der andere IM anleitet oder „führt“) „Koch“ geführt wurde.119 Man konnte in Meiningen schnell in den Verdacht kommen, in „Richtung Spionage“ aktiv zu sein. So gibt es eine Liste, auf der sind alle Bürger verzeichnet, die öfter als achtmal im Jahr oder innerhalb von fünf Jahren an der Barbarakaserne vorbeigefahren sind. So war ein 29jähriger Bürger, der in der Leninstraße 31 wohnte, zwischen Oktober 1983 und Oktober 1984 achtmal vorbeigefahren. Im anderen Fall war ein 56jähriger, der in der Straße der DSF 114 wohnte, zwischen 1980 und 1985 achtmal vorbeigefahren.120 Solche Listen weisen daraufhin, dass jedes vorbeifahrende Fahrzeug notiert wurde. 114 115 116 117 118 119 120 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 901–948. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 71. Vgl. ebenda, S. 18. Vgl. ebenda, S. 19. Vgl. ebenda, S. 20. Vgl. ebenda, S. 23. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1163, o. Pag. 31 5.4 Referat 4 – Sicherung territorialer Bereiche Das Referat 4 konzentrierte seine Arbeit auf die „Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit“ im Kreis Meiningen. Dazu gehörte die „politisch-ideologische Diversion“, „feindliche Kontaktpolitik“, der „staatsfeindliche Menschenhandel“, das „ungesetzliche Verlassen“ der DDR und auch die „Verhinderung/Unterbindung eines feindlichen Wirksamwerdens“ unter kirchlichen Kreisen, Jugendlichen und Ausreiseinteressierten.121 Leiter des Referates 4 war von Juli 1985 bis März 1989 Major Hubertus Bräuning.122 Ihm folgte Major Karl-Heinz Praus. Sein Stellvertreter war von 1985 bis 1989 Hauptmann Hans-Georg Bohn.123 Dieses Referat hatte den Gesamtkreis Meiningen im Fokus, wobei insbesondere zwei Themenfelder im Mittelpunkt standen. Zum einen die staatlichen Einrichtungen wie der Rat des Kreises, die „Blockparteien“, Jugendorganisationen124 – intern Linie XX genannt – und die Linie VI. Drei Vorgangsführer waren auf der Linie XX tätig, zwei auf der Linie VI. Einer der Mitarbeiter war Frank Geißhirt. 1981 fing er als Feldwebel auf der Linie XIX der KD Meiningen an, alsbald als Sachbearbeiter auf der Linie XX; zuletzt war er Oberleutnant. Er hatte zuvor als Werkzeugmacher beim VEB Robotron-Elektronik Meiningen gelernt.125 Für die Kreisdienststelle steuerte er „ein zahlenmäßig großes Netz an IM/GMS“.126 Damit war er „vorrangig zur Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit eingesetzt.“127 In einer Beurteilung im Jahre 1986 wurde insbesondere sein Engagement im OV „Schwalbe“ (XI 461/86) hervorgehoben. Es ging darum, dass jemand in den Westen geschleust werden sollte und Geißhirt das verhindert hat.128 Nach einem kurzen Ausflug ins Referat 3 kehrte Geißhirt im April 1989 wieder ins das Referat 4 zurück. Es bestand „die Notwendigkeit“, „unter Beachtung der politisch-operativen Lage zur Bekämpfung der PUT [Politische Untergrundtätigkeit] und der ihr vorgelagerter Erscheinungen, der zunehmenden Bedeutung des Reiseverkehrs im Zusammenhang mit der komplexen Spionagebekämpfung, das Referat 4 in kürzester 121 122 123 124 125 126 127 128 32 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 24. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90, Bl. 71; ebenda, KS 1448/90, Bl. 88. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1466/90, Bl. 92. Zur FDJ vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1098 und 1126. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90, Bl. 57. Vgl. ebenda, Bl. 66. Vgl. ebenda, Bl. 70. Vgl. ebenda, Bl. 73. Zeit durch einen erfahrenen operativen Mitarbeiter zu stärken.“129 Geißhirt sollte langfristig stellvertretender Leiter des Referates 4 werden. Eugen Luck (Jg. 1955), ein gelernter Landmaschinenschlosser, nahm seine Tätigkeit bei der Kreisdienststelle Meiningen im Mai 1976 im Wach- und Sicherungsbereich auf. Zuletzt war er Oberleutnant. Im Mai 1981 wurde er auf der Linie VI – die schon längere Zeit unbesetzt war – eingesetzt, war also mit Sicherheitsüberprüfungen befasst.130 Mit der Bildung des Referates 4 1975 gehörte er dem darin enthaltenen Bereich Sicherheitsüberprüfungen an.131 Zwei Jahre später wechselte er zum Referat 3. Oberleutnant Albert Werner (Jg. 1949) arbeitete auf der Linie XX als operativer Sachbearbeiter und gehört nach seiner Tätigkeit als Fernmeldemechaniker seit 1978 zur Kreisdienststelle Meiningen.132 Für das Jahr 1988 standen gleich reihenweise Bürger im Verdacht, die DDR heimlich verlassen zu wollen. Auch diese Bürger wurden in Operativen Vorgängen wie beispielsweise „Zentrum“ (XI 269/86), „Schuldner“ (XI 312/85), „Hai“ (XI 309/85), „Sonne“ (XI 499/87), „Chamäleon“ (XI 204/86) „bearbeitet“. Auf diese Vorgänge wird noch an anderer Stelle eingegangen werden. Dass hier eine große Anzahl von IM zum Einsatz gelangten, zeigt das Beispiel des OV „Zentrum“ (XI 269/86): Auf ihn waren die IMS „Wartburg“, „Michael“ und „Sybille“ sowie der GMS „Ernst“ angesetzt.133 Neben diesen „Übersiedlungsersuchen“ galt die Aufmerksamkeit des Referates auch dem kirchlichen Milieu. Im OV „Klerus“ (XI 356/82) sollte vorbeugend verhindert werden, das der „Gesprächskreis Frieden und Ökologie“ „feindlich-negativ“ wirksam wurde oder Einfluss auf Jugendliche gewann. Dies sollte mit Hilfe der IMS „Funk“, „Backert“ und „Felix“ verhindert werden.134 Insbesondere galt das Interesse bestimmten Pfarrern in Meiningen und Solz sowie einem freischaffenden Maler. Bei dem Pfarrer aus Solz sollte explizit verhindert werden, dass es einen „Missbrauch kirchlicher Arbeitsmöglichkeiten“ durch ihn gäbe. IMS „Felix“ sollte das verhindern. Auch die Partnerschaften zu Gemeinden in der Bundesrepublik waren dem Refe129 130 131 132 133 134 Vgl. ebenda, Bl. 84. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1330/90, Bl. 60. Vgl. ebenda, Bl. 75. Vgl. ebenda, Bl. 89. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 24. Fragen zu Übersiedlungsanträgen wurden zwischen der Kreisdienststelle und der Arbeitsgruppe Ordnung der Abteilung Innere Angelegenheiten beim Rat des Kreises Meiningen intensiv erörtert – wie aus überlieferten Protokollen hervorgeht. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1099. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 28. 33 rat ein Dorn im Auge. Die „besondere Beobachtung“ galt dabei den Gemeinden in Bibra, Herpf und Ritschenhausen.135 Insbesondere die Partnerschaftsbeziehungen zwischen Bibra und dem baden-württembergischen Ruit sollte IMS „Rolf Anschütz“ „aufklären“.136 Im Kreis Meiningen hatte sich in den 80er Jahren eine Heavy-Metal-Szene, insbesondere in Wasungen, gebildet, die teilweise Kontakte in die Bundesrepublik unterhielt, was ebenfalls das Interesse des Referates erregte.137 Aus diesem Grund sollten verstärkt jugendliche IM in Meiningen, auch in der „Jungen Gemeinde“, und in Wasungen geworben werden.138 Zu den Aufgaben des Referates 4 gehörten Aspekte der Kontrolle des Einund Ausreiseverkehrs, bei dem insbesondere Hinweise auf interessante Bundesbürger erarbeitet werden sollten.139 Für das Jahr 1988 nahm sich das Referat 4 vor, den Personalbestand von „Schloß Landsberg“, „Helenenhöhe“ und „Sächsischen Hof“ genauer unter die Lupe zu nehmen, um „feindlich-negative Handlungen in diesen touristischen Zentren“ mit Hilfe von IM zu verhindern.140 Ein weiteres operatives Feld war die Sicherung des Bezirkskrankenhauses,141 die Fachschulen, der Bereich Volksbildung, die staatlichen Institutionen wie der Rat des Kreises in der August-Bebel-Straße oder der Rat der Stadt Meiningen142 und die gesellschaftlichen Organisationen. Im Jahre 1988 stand im Mittelpunkt ein Arzt am Bezirkskrankenhaus, der erwog, die DDR zu verlassen.143 Überhaupt sollte der Bestand des medizinischen Personals am Krankenhaus untersucht werden. Ebenso ein leitender Mitarbeiter des Rates des Kreises wegen Pflichtverletzungen.144 Gleichfalls stand die 1. und 2. Leitungsebene des Rates der Stadt im Visier.145 Hinzu kam die Städtepartnerschaft Meiningen – Neu-Ulm.146 Am Wasunger Karneval wirkten gut 1 300 Bürger mit, hinzu kamen 20 000 Besucher jährlich. Es sollten aber nicht alle teilnehmen dürfen. 1988 wurden beispielsweise 17 Personen vorübergehend verhaftet, fünf 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 34 Vgl. ebenda, S. 29. Vgl. ebenda, S. 30. Vgl. ebenda, S. 31. Vgl. ebenda, S.32. Vgl. ebenda, S. 40. Vgl. ebenda, S. 41. Vgl. hierzu BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1100. Die Leitungsebene des Rates des Kreises Meiningen stand wiederholt im Visier der Kreisdienststelle. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 898. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 50. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, S. 51. Vgl. ebenda. davon erhielten ein Ermittlungsverfahren und 41 Personen wurden schon während der Anreise zurückgewiesen. Dabei schien die Bevölkerung durchaus Zustimmung zum Gebaren der Kreisdienststelle zu signalisieren: „Der überwiegende Teil der Bewohner lehnt die Anwesenheit überörtlich angereister negativ-dekadenter Personen ab.“, heißt es in einem Bericht. „Diesen Personen müsste noch mehr gezeigt werden, wer die Macht bei uns ausübt“, die Schutz- und Sicherheitsorgane lassen sich zu viel bieten, sollen Bürger geäußert haben.147 Zu erwähnen wären schließlich noch die Evangelische Kirche, deren Jugendarbeit und die "Jungen Gemeinden" sowie der Ferienaustausch mit Polen und die Friedensdekade der Evangelischen Kirche.148 Zum Referat gehören zudem die Katholische Kirche in Meiningen,149 die Zeugen Jehovas150 sowie die Freikirchen (die Evangelische-freikirchliche Gemeinschaft, die Landeskirchliche Gemeinschaft, die Sieben-Tages-Adventisten, die Neuapostolische Kirche und die Charismatische Bewegung). Deren Gottesdienste, Veranstaltungen und Mitglieder sowie Prediger standen stets im Visier der Kreisdienststelle.151 Eine besondere Aufmerksamkeit erhielten die kirchlichen Partnerschaftsbeziehungen zwischen bundesdeutschen und den Gemeinden in Meiningen.152 Die Gespräche zwischen der Abteilung Kirchenfragen des Rates des Kreises Meiningen oder der Arbeitsgruppe "Christliche Kreise" beim Kreisausschuss der Nationalen Front mit Vertretern der Kirche können für die Jahre von 1980 bis zum Herbst 1989 rekonstruiert werden.153 5.5 Referat 5 – Sicherung Volkswirtschaft und Sicherheitsüberprüfungen Die Volkswirtschaft war für die Kreisdienststelle Meiningen eher ein randständiges Problem, zumal es ohnehin kaum Industrie gab. Operatives Interesse galt dem VEB Werra-Möbel und VEB Welton in Meiningen und dem 147 148 149 150 151 152 153 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 52; ebenda, AKG Nr. 199, Bl. 33–35. Zum Wasunger Karneval für die Jahre von 1979 bis 1985 vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meinignen, Nr. 1, 1079 und 1095 (dort auch zum Karneval in Jüchsen, Behrungen, Römhild, Unterweid und Weidach. Ferner Hans-Joachim Föller: Lügensäcke. Die Stasi, ihre Helfer und ihre Opfer beim Wasunger Karneval. Erfurt 1999. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 52. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1081. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1082. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1083 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1084. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1085. 35 VEB Töpferhof in Römhild,154 auf den gleich sechs inoffizielle Mitarbeiter angesetzt waren.155 Ferner ist das Möbelprojekt II und dessen Lackierstraße im Betriebsteil Kaltennordheim des VEB Werra-Möbel Meiningen zu nennen. Schließlich sind die Biogasanlage im VEB (T) Rippershausen,156 das Heizwerk im VEB Robotron-Elektronik Zella-Mehlis (Werk Meiningen), der VEB Plattenwerk Walldorf und das Giftlager MTV Ritschenhausen anzuführen – und natürlich die LPG im Kreis und der Grenzüberschreitende Verkehr.157 Das bedeutende Reichsbahnausbesserungswerk "Helmut Scholz" in Meiningen mit seinen rund 2 000 Beschäftigten lag nicht in der Zuständigkeit der Kreisdienststelle, sondern in der mit Verkehrsfragen befassten Abteilung XIX der Bezirksverwaltung in Suhl.158 Letzter Leiter des Referates 5 war Hauptmann Hans-Georg Bohn. Er hatte von der Pike auf die operative Arbeit in Meiningen gelernt. Von 1974 bis 1976 war er inoffiziell tätig und gehörte der Beobachtergruppe der Linie II der Kreisdienststelle an.159 Er war also in die Absicherung der militärischen Objekte der GSSD eingebunden.160 Anschließend war er als Feldwebel zur Kreisdienststelle gekommen, arbeitete von 1981 bis 1984 für die Hauptverwaltung A in den USA, kehrte nach Meiningen zurück, befasste 154 155 156 157 158 159 160 36 Der VEB Töpferhof in Römhild geriet wiederholt mit dem Verdacht in die Schlagzeilen, es haben dort Treffen zwischen Händlern, die Embargowaren anboten, und Mitarbeitern des MfS gegeben. Vgl. Das jüngste Gerücht, in: Der Spiegel (1998)10, S. 34 und 36 f.; Andreas Förster: Weiter Rätsel um Mord an Rohwedder, in: Berliner Zeitung vom 20. Februar 1998; Hans Schwenke: Das Geheimnis des alten Töpferhofes "Drehscheibe Römhild" – Politprominenz und MfS im letzten Winkel der DDR, in: Gerbergasse 18 (1999)1. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 872, S. 33 f. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 971 Vgl. ebenda, S. 35–38. Eberhard Landgraf, der von 1957 bis 1991 im RAW Meiningen gearbeitet hatte, zuletzt als 1. Stellvertreter des Technischen Direktors, geriet mehrfach ins Visier der Staatssicherheit, insbesondere durch die für Verkehrsverbindungen zuständigen Abteilung XIX der MfS-Bezirksverwaltung Suhl. Nach seiner Einsicht in die ihn betreffenden Unterlagen musste er die Überwachung seiner Korrespondenz mit seiner in Westdeutschland lebenden Verwandtschaft feststellen. Vgl. Mitteilung von Eberhard Landgraf vom 15. Dezember 2011. Vgl. ferner BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XIX ZMA Nr. 673; ebenda, AOPK 52/78. Der ehemalige Beschäftigte beim RAW, Bernd Krautwurst, musste bei Sichtung seiner Akten feststellen, dass nicht nur seine Korrespondenz mit der westlichen Verwandtschaft seit 1968 von der Staatssicherheit kontrolliert wurde, sondern auch die seines Sohnes, der ab 1982 Fußballvereine nach Souvenirs angefragt hatte. Arbeitskollegen wie "Rolf Heß" (XI 379/66; AIM 1923/94) berichteten ebenso über ihn wie "Boxer" und "Friedrich". Vgl. Mitteilung von Bernd Krautwurst vom 6. Dezember 2011. Vgl. ferner BStU, MfS, BV Suhl, AOG 218/84. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1466/90, Bl. 60; ferner BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 971. Vgl. ebenda, Bl. 96. sich mit Sicherheitsüberprüfungen und stieg im August 1985 zum stellvertretenden Leiter des Referates 4 auf, bis er im März 1989 das Referat 5 übernahm.161 Hauptmann Bohn unterstanden sechs Mitarbeiter. Darunter zwei Führungsoffiziere auf der für Volkswirtschaft zuständigen Linie XVIII, zwei Mitarbeiter, die sich mit Sicherheitsüberprüfungen befassten sowie eine Mitarbeiterin, die die Karteien für Sicherheitsüberprüfungen verwaltete. Bernd Cudok war der sechste Mitarbeiter der Linie XVIII, der 1974 immerhin ein Netz von 15 IM/GMS führte.162 In den Berichten der Kreisdienststelle an die Bezirksverwaltungen nahmen die Problembeschreibungen in der Volkswirtschaft zu. Beim VEB Kraftverkehr Meiningen waren beispielsweise von 30 Fahrzeugen zwölf in der Reparatur, weil entweder der Motor, die Bremsanlage, die Hinterachse oder die Lenkung defekt waren. In der Folge konnten Vertragsfahrten nicht ausgeführt werden. Der Schaden belief sich in den ersten zehn Tagen des Monats Dezember 1987 bereits auf 70 000 Mark.163 5.6 Militärische Sicherungsgruppe Vermutlich war die militärische Sicherungsgruppe nicht in der Kreisdienststelle aktiv, sondern außerhalb untergebracht. Als Leiter kann Oberfähnrich Thomas Liborius (Jg. 1964) ausgemacht werden, sowie vier weitere Mitarbeiter, denen jeweils die Aufgaben „militärisch-operative Sicherung von Objekten“ zugewiesen war. Liborius stellte seine Aktivitäten für die Kreisdienststelle am 31. Dezember 1989 ein. 161 162 163 Vgl. ebenda, Bl. 85. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 120/90, Bl. 68. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 199, Bl. 22. 37 6 Der Stellenplan Die Kreisdienststelle Meiningen führte einen Stellenplan für ihre hauptamtlichen Mitarbeiter, der intern "Planstellenbesetzungsnachweis" hieß. Dieser Nachweis liegt bislang lediglich für November 1989 vor, sodass sich eine Rekonstruktion der Stellenpläne früherer Jahre vornehmlich auf die Kaderkarteikarten (Kurzangaben zu den Mitarbeitern), die Vorgangshefte der IM-führenden Mitarbeiter (die von ihnen geführten operativen Akten) und gegebenenfalls die Kaderakten (Personalunterlagen) stützen muss. Aus diesem Grund wird zunächst der überlieferte Stellenplan in der numerischen Reihenfolge dargestellt. Im Weiteren werden dann hilfsweise die bislang ermittelten operativen Mitarbeiter benannt, geordnet nach dem Beginn ihres Einsatzes in der Kreisdienststelle. Der bereits vorgestellte Leiter der Kreisdienststelle, Oberstleutnant Rudi Lang (Jg. 1937) hatte die Planstellennummer 1. Sein Stellvertreter, Major Hubertus Bräuning (Jg. 1950) die 2. Der Beauftragte des Leiters, Oberleutnant Reimund Wiets (Jg. 1955) die 3. Dem Stellenplan nach mussten diese drei leitenden Mitarbeiter einen Hochschulabschluss aufweisen. Über die Qualifikation des Facharbeiters für Nachrichtentechnik musste der Funker/Chiffreur, Oberleutnant Wolfgang Gramann (Jg. 1950) verfügen, der als Nummer 4 ausgewiesen ist. Die Planstellennummer 5 hatte die Sekretärin des Leiters (Jg. 1956) inne, Planstelle 6 mit dem vorgesehenen Dienstrang Leutnant war offenbar unbesetzt. Beide Stelleninhaberinnen sollten auf eine Fachausbildung als geprüfte Sekretärin zurückblicken können. Die Facharbeiterin für Schreibtechnik, ein Feldwebel (Jg. 1965) mit der Planstelle 7 sollte eine entsprechende Ausbildung vorweisen. Der Kraftfahrer des Leiters, ein Stabsfeldwebel (Jg. 1959) mit der Planstelle 8, sollte Berufskraftfahrer sein und hatte den Beruf des Fahrzeugschlossers gelernt. Die Planstelle 9 war dem Objektverwalter zugeschrieben, einem Oberfeldwebel (Jg. 1961), mit dem gelernten Beruf eines Malers. Planstelle 10 war der Gebäudereinigerin, einer Oberfeldwebel (Jg. 1930) zugewiesen. Der IM-führende Mitarbeiter auf der "Linie XV" auf der Planstelle 11 war Oberleutnant Thomas Schubert (Jg. 60), bei dem ein rechtswissenschaftliches Studium ebenso vorausgesetzt wurde wie bei dem Offizier für Kadergewinnung, Major Waldemar Sauer (Jg. 1933), der die Planstelle 12 innehatte. Dem Leiter des Referates 1, Major Helmut Schmidt (Jg. 1947), war die Planstelle 101 zugewiesen. Der Offizier für Auswertung und Information mit dem Verantwortungsbereich I, Major Herbert Möcker (Jg. 1929), hatte 38 die Planstelle 102 inne. Diese beiden Mitarbeiter hatten ein rechtswissenschaftliches Hochschulstudium vorzuweisen, während die drei weiteren Mitarbeiter lediglich ein solches an der Fachschule absolviert haben mussten. Die Planstelle 103 hatte der Offizier für Auswertung und Information mit dem Verantwortungsbereich II, Hauptmann Gudrun Malsch (Jg. 1938), inne; die Planstelle 104 die Mitarbeiterin für operative Kartei-, Archiv- und Auskunftstätigkeit mit dem Verantwortungsbereich III war Hauptmann Christa Baumbach (Jg. 1949). Hauptmann Roland Günther (Jg. 1950) war Leiter des Referates 2 mit der Planstellennummer 201. Die 202 hatte der IM-führende Mitarbeiter Sicherung der Staatsgrenze, Major Peter Kühhirt (Jg. 1946), inne. Sowohl Günther als auch Kühhirt sollten ein rechtswissenschaftliches Studium an der Hochschule abgeschlossen haben, verfügten jedoch nur über ein solches an einer Fachschule – so wie alle weiteren vier Mitarbeiter. Die IM-führenden Mitarbeiter Unterleutnant Jens Linser (Jg. 1965), Oberfeldwebel Frank Meier (Jg. 1965) sowie Unterleutnant Frank Eisold (Jg. 1949) waren den Planstellen 203 bis 205 zugewiesen und jeweils mit der Sicherung der Staatsgrenze betraut worden. Die Planstelle 206 war dem IM-führenden Mitarbeiter Hauptmann Werner Albert (Jg. 1949) zugewiesen, der auf der "Linie VII" tätig war. Oberleutnant Frank Spörer (Jg. 1957) war Leiter des Referates 3 (Planstelle 301). Sein Stellvertreter war Oberfeldwebel Andreas Dittmar (Jg. 1965) mit der Planstelle 302. Beide sollten ein rechtswissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen haben. Drei IM-führende Mitarbeiter waren auf den Planstellen 303 bis 305 auf der "Linie II" eingesetzt: Unterleutnant Günter Schneider (Jg. 1958), Oberleutnant Rainer Nickel (Jg. 1957) und Oberfeldwebel Mario Metsch (Jg. 1966). Auf der "Linie I" war der IMführende Mitarbeiter Oberleutnant Eugen Luck (Jg. 1955) tätig. Vier weitere Planstellen (307 bis 310) waren Mitarbeitern für Beobachtung vorbehalten, von denen aber ausweislich des Planstellenbesetzungsnachweises lediglich zwei besetzt waren. Die Planstelle 308 hatte Oberfeldwebel Uwe März (Jg. 1966) und die Planstelle 309 Unterfeldwebel Holger Glardstz (Jg. 1967) inne. Die beiden unbesetzten Planstellen sollten wie alle weiteren – ohne den Leiter und seinen Stellvertreter – mit Mitarbeitern im Dienstrang eines Hauptmanns besetzt werden. Dem Leiter des Referates 4, Leutnant Karl-Heinz Praus (Jg. 1959), war die Planstelle 401 zugewiesen. Auf den Planstellen 402 bis 404 war drei IMführende Mitarbeiter der "Linie XX" eingesetzt. Dabei handelt es sich um Oberleutnant Jens-Peter Viehrig (Jg. 1961), Oberleutnant Volkmar Spieß 39 (Jg. 1948) und Oberfeldwebel Dirk Jakob (Jg. 1964). Die IM-führenden Mitarbeiter auf den Planstellen 405 und 406 befassten sich mit Fragen der "Linie VI": Oberleutnant Frank Geißhirt (Jg. 1958) und Oberleutnant Brigitte Härtrich (Jg. 1951). Während Praus und Viehrig ein rechtswissenschaftliches Hochschulstudium vorweisen sollten, die anderen ein Fachschulstudium, erfüllten tatsächlich alle nur die Voraussetzung eines Fachschulstudiums. Hauptmann Hans-Georg Bohn (Jg. 1955) war Leiter des Referates 5 (Planstelle 501). Sein Stellvertreter sollte Unterleutnant Dieter Anschütz (Jg. 1958) mit der Planstelle 502 sein. Beide sollten über ein rechtswissenschaftliches Hochschulstudium verfügen, was nicht der Fall war. Bei ihnen wie bei allen weiteren Mitarbeitern des Referates lag ein rechtswissenschaftliches Fachschulstudium vor. Die Planstellen 503 und 504 waren den IM-führenden Mitarbeitern für die "Linie XVIII" vorbehalten: Oberleutnant Peter Schmidt (Jg. 1954) und Oberfeldwebel Ingolf Wedler (Jg. 1961). Zwei Mitarbeiter waren für die operative Dienststellung "Sicherheitsüberprüfungen" mit den Planstellen 505 und 506 vorgesehen, doch war mit Oberleutnant Jürgen Baumbach (Jg. 1955) lediglich die Planstelle 505 besetzt. Schließlich hatte die Planstelle 507 Oberleutnant Irene Wirthwein (Jg. 1935) inne, die für die Kartei-, Archiv- und Auskunftstätigkeit bei der Sicherheitsüberprüfung zuständig war. Die Planstelle 4101 hatte der Leiter der militärischen Sicherungsgruppe, Stabsfeldwebel Thomas Liborius (Jg. 1964), inne. Die Planstellen 4102 bis 4105 war den Mitarbeitern für militärisch-operative Sicherung von Objekten vorbehalten: Leutnant Karl-Günter Koll (Jg. 1945), Oberfeldwebel Lutz Gleicher (Jg. 1961), Feldwebel Thomas Lawin (Jg. 1968) und Feldwebel Thomas Ganz (Jg. 1968). Im September 1989 verfügte die Kreisdienststelle über einen Offiziersschüler (Jg. 1968). Im November sollten Major Johann Graf, Major Karl-Heinz Unger, Hauptmann Harald Hanf sowie Klaus Hinske hinzukommen, doch kam es zu keiner Zuweisung einer Planstelle mehr. Den IM-führenden Mitarbeitern (auch operativen Mitarbeitern oder Führungsoffizieren) fiel die Aufgabe zu, Bürger für die inoffizielle Arbeit auszuwählen, zu werben und zu führen. Insoweit kommt ihnen eine herausgehobene Stellung zu. Es war ihre Aufgabe, auf die IM Einfluss zu nehmen und festzulegen, welche Informationen oder Leistungen sie zu erbringen hatten. Ihre Bedeutung wird oftmals unterbewertet. Anhand der Vorgangshefte lässt sich ermitteln, wer in der Kreisdienststelle Meiningen mit diesen Aufgaben betraut war. 40 Fünfziger Jahre Bei gleich sieben operativen Mitarbeitern verzeichnen die Vorgangshefte den Beginn der Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern mit dem 15. März 1954. Dabei handelt es sich um Oberleutnant Günter Kupfer164 (bis 29. November 1954), Kurt Tischer165 (bis 5. Mai 1960), Günter Zobel166 (bis 5. Mai 1960), Oberleutnant Franz Wieden (bis 1. Oktober 1965), Leutnant Ernst Reder167 (bis 31. März 1969), Major Gerhard Henneberger168 (bis 31. März 1981) und der lang gediente Major Herbert Möcker169 (bis 31. Januar 1990). Im gleichen Jahr traten vier weitere operative Mitarbeiter in den Dienst der Kreisdienststelle: am 9. April 1954 Fritz Amm170 (bis 5. Mai 1960), am 20. April 1954 Oberfeldwebel Julius Oberst171 (bis 2. März 1962), am 13. Oktober 1954 Kurt Radloff172 (bis 5. Mai 1960) und am 15. November 1954 Christian Wagner173 (bis vermutlich 1960). Nachdem allein im Jahr 1954 elf operative Mitarbeiter für die Kreisdienststelle Meiningen zum Einsatz gelangten, verlangsamte sich der Einstellungsprozess im Folgejahr deutlich. Bis 1959 waren dies dann lediglich ein bis zwei Mitarbeiter pro Jahr. Im Jahr 1955 wurden immerhin noch vier Hauptamtliche eingestellt: am 7. April 1955 Unterleutnant Franz Popp174 (bis 31. Dezember 1965), am 11. Mai 1955 Hauptmann und Leiter der Kreisdienststelle Erhard Schurz175 (bis 1964), am 24. September 1955 ein Schneider176 (bis 1960) und am 24. Oktober 1955 Oberstleutnant Roland Hoffmann177 (bis 31. Mai 1989). Im Laufe des Jahres 1956 kamen zwei Mitarbeiter hinzu: am 6. März 1956 Hauptmann Heinrich Liehr178 (bis 1. März 1981) und am 28. Juni 1956 Gerd Hoffmann179 (bis 6. Januar 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 1/82. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 62/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 61/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 4/72. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 58/77. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 531/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 59/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 60/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 80/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 83/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 86/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 3/85. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 139/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 59/77. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 60/77. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 5/65. 41 1956). Damit dürfte das Personaltableu der Kreisdienststelle Meiningen aufgefüllt gewesen sein, denn mit dem 25. November 1958 scheinen mit Hauptmann Josef Placht180 (bis 28. Februar 1982), am 27. November 1959 mit Rolf Lindner181 (bis etwa 1968) und am 15. Dezember 1959 mit Major Wolfgang Unger (bis 18. Dezember 1966) frei gewordene Stellen neu besetzt worden zu sein. Sechziger Jahre Ein Jahr vor dem Mauerbau erhielt die Kreisdienststelle Meiningen personelle Verstärkung. Allein 1960 traten sieben Hauptamtliche in den Dienst ein. Dies kann einerseits Hinweis auf einen verstärkten operativen Bedarf dieser grenznahen Dienststelle gelesen werden. Anderseits schieden am 5. Mai 1960 gleich vier Mitarbeiter in Meiningen aus. Das kann Ursachen innerhalb der Dienststelle haben. Neu hinzu kamen am 9. Februar 1960 Feldwebel Helmut Heinholdt182 (bis 31. Oktober 1962), am 11. Februar 1960 Richard Köhler183 (bis 10. Februar 1972), am 5. Mai 1960 Ernst Müller184 (nur kurzzeitig), am 12. Mai 1960 Unterleutnant Heinz Rüttinger185 (bis 31. Mai 1967), am 19. August 1960 Unterleutnant Horst Selbmann186 (bis 31. August 1965), am 20. August 1960 Major Erich Schneider187 (bis 31. Oktober 1987) und am 1. November 1960 Major Waldemar Sauer188 (bis 31. Januar 1990). Nach dieser beachtlichen Personalaufstockung- bzw. -rochade beruhigten sich die Verschiebungen im Stellenplan. Bis Ende 1969 kamen lediglich acht hauptamtliche Mitarbeiter hinzu, was vermutlich dazu diente, abberufene Mitarbeiter zu ersetzen. Dabei handelte es sich am 29. Dezember 1962 um Hauptmann Gerhard Heer189 (bis 31. Dezember 1982), am 12. Oktober 1965 um Oberstleutnant Oswald Prosch190 (bis 30. November 1984), am 28. Dezember 1966 um Rolf Arnold191 (bis 26. Januar 1972), am 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 42 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Nr. 1454. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 9/68. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 21/62. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Meiningen Nr. 5. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 126/60. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Nr. 347. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 8/66. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 112/93. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 525/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 370/83. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 624/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 26/72. 16. Oktober 1967 um Oberstleutnant Horst Liborius192 (bis 17. April 1973), um Major Dieter Richter193 (bis 31. Dezember 1975), am 24. Januar 1969 um Hauptmann Rolf Recknagel194 (bis 14. Juni 1984), am 28. Juli 1969 um Oberfeldwebel Werner Sömmer195 (bis 31. Oktober 1972) und schließlich am 16. Dezember 1969 um Feldwebel Rolf Danz196 (bis 31. Oktober 1970). Siebziger Jahre Im Vergleich zu den fünfziger und sechziger Jahren beruhigte sich die Personalfluktuation vergleichsweise. Es kam lediglich zu vierzehn Zugängen bei der Kreisdienststelle Meiningen. In den fünfziger Jahren waren dies noch zwanzig, in den sechziger Jahren fünfzehn und – wie noch zu zeigen sein wird – in den achtziger Jahren 26 Neuzugänge. Den Anfang machte am 13. Juli 1970 Adelbert Ricks197 (bis 10. Februar 1972), dann am 30. November 1970 folgte Major Helmut Schmidt198 (bis 28. Februar 1990), am 30. Dezember 1970 Hauptmann Peter Kühhirt199 (bis 14. Februar 1990). Bald drei Jahre lang ist kein Personalzuwachs festzustellen. Die fünf Neuzugänge in den Jahren 1973/74 dürften nicht als Reaktion auf die Entspannungspolitik und zunehmende Kontaktmöglichkeiten zwischen Ost und West zu werten sein. Vielmehr handelt es sich um Neubesetzungen für umgesetzte bzw. ausgeschiedene Mitarbeiter. Hinzu kamen am 19. April 1973 Major Reinhard Langner200 (bis 31. Oktober 1980), am 22. Oktober 1973 Oberstleutnant Bernd Cudok201 (bis 31. März 1989), am 23. November 1973 Major Klaus Hinske202 (bis 15. Januar 1990) und jeweils am 10. Januar 1974 Hauptmann Hartmut Ruppe203 (bis 25. Oktober 1976) und Hauptmann Roland Günther204 (bis 28. Februar 1990). In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kamen sechs Mitarbeiter hinzu: am 18. März 1976 Joachim Lindner205 (bis 1982), am 5. Mai 1976 Hauptmann 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 128/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Nr. 1534. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Nr. 1160. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, PSE Nr. 572. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 39/72. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 40/72. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1383/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 678/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 126/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 120/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1251/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 9/82. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1083/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 925/90. 43 Hans-Joachim Menger206 (bis 30. April 1988), am 30. Juni 1976 Hauptmann Helmut Hauck207 (bis 31. August 1978), am 9. Mai 1977 Hauptmann Hans-Georg Bohn208 (bis 28. Februar 1990), am 12. September 1978 Major Hubertus Bräuning209 (bis 28. Februar 1990) und am 30. November 1978 Hauptmann Albert Werner210 (bis 28. Februar 1990). Achtziger Jahre Wie schon erwähnt erhielt die Kreisdienststelle Meiningen in den achtziger Jahren den größten Personalzuwachs ihrer Geschichte. Das ist nicht mehr als gewöhnliche Nachbesetzung zu interpretieren, sondern eher auf operative Erfordernisse zurückzuführen. Der geheimpolizeiliche Apparat verstärkte erheblich Repressionsenergien und Informationsinteressen. Allein von 1980 bis 1982 wurden gleich zehn neue Mitarbeiter eingestellt: am 23. Juni 1980 Oberleutnant Frank Spörer211 (bis 28. Februar 1990), am 1. September 1980 Hauptmann Frank Schmidt212 (bis 28. Februar 1990), am 22. Dezember 1980 Oberleutnant Eugen Luck213 (bis 24. Februar 1990), am 17. März 1981 Hauptmann Klaus Siegel214 (bis 31. Dezember 1987), am 11. Mai 1981 Oberleutnant Reimund Wiets215 (bis 28. Februar 1990), am 18. August 1981 Oberleutnant Thomas Schubert216 (bis 31. Januar 1990), am 27. Oktober 1981 Oberleutnant Frank Geißhirt217 (bis 28. Februar 1990), am 10. Februar 1982 Oberleutnant Volkmar Spieß218 (bis 14. Februar 1990), am 2. Juni 1982 Leutnant Jens-Peter Viehrig219 (bis 7. Januar 1990) und am 6. Juli 1990 Oberleutnant Rainer Nickel220 (bis 27. Februar 1990). Jeweils am 24. März 1983 kamen hinzu: Leutnant Norbert Hauck221 (bis 31. Juli 1989) und Oberleutnant Peter Schmidt222 (bis 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 44 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1359/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1468/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 86/82. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1448/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 321/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 329/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 778/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1330/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 786/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1275/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1346/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 401/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1343/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 620/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1715/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1262/90. 30. November 1989). Am 16. November 1984 kam Unterleutnant Gunter Schneider223 (bis 30. November 1989) hinzu. In den letzten fünf Jahren ihres Bestehens nahm die Kreisdienststelle in der Summe dreizehn Mitarbeiter auf, deutlich mehr, als im gleichen Zeitraum aus ihrem Dienst ausschieden. Neu hinzu traten am 15. Januar 1985 Hauptmann Karl-Heinz Praus224 (bis 28. Februar 1990), am 28. März 1985 Leutnant Karl-Günter Koll225 (bis 28. Januar 1990), am 12. August 1986 Oberfeldwebel Jens Linser226 (bis 28. Februar 1990), am 15. August 1987 Oberfeldwebel Frank Meier227 (bis 28. Februar 1990), am 24. August 1987 Oberfeldwebel Mario Metsch228 (bis 14. Februar 1990), am 26. November 1987 Unterleutnant Dieter Anschütz229 (bis 28. Februar 1990), am 7. Mai 1988 jeweils Oberfeldwebel Andreas Dittmar230 (bis 31. Dezember 1989) und Feldwebel Ingolf Wedler231 (bis 31. Januar 1990), am 19. September 1988 Oberfeldwebel Dirk Jakob232 (bis 28. Februar 1990) und am 24. Juni 1989 Oberleutnant Jürgen Baumbach233 (bis 28. Februar 1990). Noch im November 1989 wurden drei Mitarbeiter eingestellt: am 1. November 1989 Major Karl-Heinz Unger234 (bis 31. Januar 1990), am 21. November 1989 jeweils Major Johann Graf235 (bis 31. Januar 1990) und Hauptmann Harald Hanf236 (bis 14. Februar 1990). 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AS Nr. 145/93. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 328/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 653/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 718/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 418/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 594/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 595/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 29/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1463/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 1264/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 342/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 641/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 193/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 405/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KS Nr. 435/90. 45 7 Die inoffiziellen Mitarbeiter Die Bezirksverwaltung Suhl führte zuletzt ungefähr 5 300 IM. Davon verzeichneten die acht Kreisdienststellen 3 059 IM.237 In den Jahren 1985/86 kam die Bezirksverwaltung mit einem IM auf 95 bzw. 99 Einwohner. Im Republikvergleich lag die Suhler Bezirksverwaltung bei der Durchdringung der Gesellschaft damit im Schnitt auf Platz 5 (Bezirk Cottbus 1 : 79, Bezirk Halle 1 : 165).238 Über die Kreisdienststelle Meiningen selbst können gegenwärtig noch keine sicheren Angaben ermittelt werden. Im Juni 1989 werden es zwischen 500 und 600 inoffizielle Mitarbeiter gewesen sein.239 Tabelle 3 240 Statistik für das IM-Netz der Kreisdienststelle Meiningen IM-Kategorien 1.1.–30.6.1987 1.1.–30.6.1988 1.1.–30.6.1989 IMS, IME, FIM, IMB 321 322 329 GMS 136 127 120 IMK/KW k. A. k. A. 88 ∑ k. A. k. A. 537 7.1 Das Netz Eine statistische Übersicht zeigt, in welchen Bereichen die inoffiziellen Mitarbeiter der Kreisdienststelle eingesetzt waren.241 Ein besonderer Schwerpunkt stellte die Sicherung der Staatsgrenze (95) und der militärischen Objekte (111) dar. Bemerkenswert ist der hohe Anteil an vorbestraften IM. Die Präsenz in den Kirchen fällt vergleichsweise gering aus. Ein inoffizieller Mitarbeiter war bei der Kirche angestellt, zwei IM gehörten Kirchenvorständen an. 237 238 239 240 241 46 Vgl. Helmut Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Teil 3: Statistiken. Berlin 2008, S. 844 und 853 und 855 Vgl. Helmut Müller-Enbergs: IM-Statistik. Berlin 1993, S. 26. Vgl. Müller-Enbergs: IM 3, S. 855. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 750. Die Angaben zu den IMK beruhen auf eine Auszählung der Karteikarten (F 78) zu den von der Kreisdienststelle Meininingen zuletzt geführten konspirativen Wohnungen. Die Kartei ist als unvollständig anzusehen, sodass von einer Mindestanzahl auszugehen ist. Die errechneten Angaben sind kursiv gehalten. In der nachfolgenden Tabelle berücksichtigte die Kreisdienststelle einige IM-Kategorien nicht. Die tatsächlichen Angaben sind daher höher zu veranschlagen. Tabelle 4 Arbeitsfelder der inoffiziellen Mitarbeiter der Kreisdienststelle Meiningen242 1.1.– 1.1.– 1.1.– 30.6.1987 30.6.1988 30.6.1989 Bundesrepublik Deutschland 2 2 2 – davon im Raum Bayern 2 2 2 Einsetzbar in der Bundesrepublik Deutschland 8 16 16 Sicherung der Staatsgrenze 108 93 95 Sicherung militärischer Objekte 103 103 111 Bewaffnete Organe 60 40 49 Geheimnisträger 80 50 49 Forschung 1 0 0 Reisekader 14 11 11 Energieversorgung 3 2 2 Wasserwirtschaft 13 6 6 Verkehrswesen 19 k. A. 20 Post- und Fernmeldewesen 5 4 3 Landwirtschaft 42 36 31 Forstwirtschaft 12 13 14 Handel 12 12 11 Volksbildung 17 19 19 – davon Lehrer an POS und EOS 7 8 8 – davon Lehrer an BS und BBS 3 4 3 Kultur 7 13 12 Gesundheitswesen 25 26 26 Reise- und Tourismus 24 14 15 Zurückgekehrte DDR-Bürger 7 4 5 Strafgefangene 1 0 0 Vorbestrafte 32 17 15 Kirchliche Angestellte 0 1 1 Mitglieder von Kirchenvorständen 2 2 2 Studenten 1 2 2 in jugendliche Gruppen 7 9 14 in Lehrwerkstätten 1 2 2 Schüler 1 0 2 Politische Orientierung Nahezu die Hälfte der inoffiziellen Mitarbeiter der Kreisdienststelle gehörte der SED an (254). Die stärkste Durchdringung bei den Blockparteien gab es bei CDU (11) und LDPD (10), deutlich schwächer war sie bei NDPD (4) und DBD (6). Vergleiche hierzu die Tabelle 5. Dass sich die Kreisdienststelle auch in ihrer Arbeit recht intensiv mit den Blockparteien auseinandersetzte, wird anhand der Aktenüberlieferung deutlich.243 242 243 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 750. Zur CDU und LDPD vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 920; zur DBD ebenda, Nr. 923; zur NDPD und Nationalen Front, ebenda, Nr. 921. 47 Tabelle 5 Parteizugehörigkeit inoffizieller Mitarbeiter der Kreisdienststelle Meiningen244 1.1.– 1.1.– 1.1.– 30.6.1987 30.6.1988 30.6.1989 SED 275 253 254 CDU 7 11 11 LDPD 5 9 10 NDPD 6 5 4 DBD 6 8 6 Geschlecht und Alter Der Frauenanteil unter den IM betrug im Durchschnitt gut 17 Prozent. Obgleich noch keine abschließende Beurteilung hinsichtlich des IMUmfanges im Kreis Meiningen möglich ist, deuten aber die bislang lediglich 63 nachgewiesene Frauen-IM auf eine besonders niedrige Quote. Zuletzt arbeitete die Kreisdienststelle mit zwei Minderjährigen als IM. Dabei wird es sich um Schüler gehandelt haben. Darüber hinaus waren zuletzt elf Lehrer als IM tätig. Besonderes Augenmerk erfuhren die MartinLuther-Oberschule, Friedrich-Schiller-Oberschule, Hans-Beimler-Oberschule, Rudolf-Baumbach-Oberschule und die Kommunale Berufsschule.245 Tabelle 6 Alter und Geschlecht der inoffiziellen Mitarbeiter der Kreisdienststelle Meiningen246 1.1.– 1.1.– 1.1.– 30.6.1987 30.6.1988 30.6.1989 IM unter 25 Jahren 30 25 29 IM unter 18 Jahren 0 1 2 Frauen-IM 56 58 63 Die Staatssicherheit machte unter ihren IM deutliche Unterschiede. Für sie war IM nicht gleich IM. Erkennbar wird das an den internen Regelwerken, die sie für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern angelegt hatte. Dort wird bei den IM zwischen verschiedenen Funktionstypen unterschieden. 244 245 246 48 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 750. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1001, Bd. 1–3. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 750. Das MfS hatte also ihre IM kategorisiert, eine Differenzierung, der im Weiteren gefolgt wird.247 7.2 Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit Eine recht eigenwillige Art von IM waren die Gesellschaftlichen Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), die regelmäßig im Staatsdienst beschäftigt waren. Sie unterhielten mitunter auch dienstlichen Kontakt zum MfS und gehörten, zumeist der SED an. Bei ihnen waren die zeitweise aufwändigen Anforderungen an die Aktenführung etwas moderater gehalten. Gleichwohl sind sie als IM anzusehen, da ihre Informationen überwiegend über den dienstlichen Rahmen hinausgingen und die Kontakte konspirativer Natur waren. Das Ministerium für Staatssicherheit verfügte zuletzt über 33 354 dieser GMS, ihre Bezirksverwaltung in Suhl über 1 164. Die Kreisdienststelle Meiningen führte im Schnitt 130 GMS,248 zuletzt mit fallender Tendenz. GMS „Karin Müller“ (XI 410/82) „Karin Müller“ (Jg. 1947) arbeitete als Krankenschwester im Bezirkskrankenhaus (BKH) in Meiningen. Sie wurde im Mai 1982 für die Tätigkeit als GMS von Unterleutnant Werner „in einem vorbereiteten Zimmer des BKH Meiningen“ berufen.249 Die Berufung schien der Kreisdienststelle aus vier Gründen erforderlich: „Die Schaffung eines GMS unter den Kreisen der Leitung des BKH macht sich notwendig, – die Verbindungen der Mitarbeiter des BKH ins NSA [nichtsozialistische Ausland] herauszuarbeiten und ein Wirksamwerden gegnerischer Kräfte in diesen Kreisen zu verhindern, – bei der Umsetzung gefasster Beschlüsse durch Partei und Regierung positiven Einfluss zu nehmen, – das MfS bei der Lösung spezifischer Sicherungsaufgaben zu unterstützen, – den Klärungsprozeß ‚Wer ist wer?’ zu aktivieren.“250 247 248 249 250 Die im Weiteren genannten Angaben zum Umfang des IM-Netzes des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. der Bezirksverwaltung Suhl sind entnommen aus: Helmut MüllerEnbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Teil 3: Statistiken. Berlin 2008. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AGMS 1200/94, Bl. 9. Vgl. ebenda, Bl. 13. 49 Im Januar 1984 berichtete „Karin Müller“ über Studentinnen, die „regelmäßig Bibelstunden“ an der Schule durchführen würden. „Insbesondere die … tritt dabei aggressiv in Erscheinung. Sie vertritt die Meinung, dass man in der DDR gegen die Friedensdemonstrationen mit eigenen Plakaten auftreten muss. Durch sie werden auch andere Studenten angesprochen, um in der Bibelgemeinschaft mitzuwirken.“ Im gleichen Bericht heißt es über diese Studentin: Sie „selbst tritt durch häufigen Wechsel ihrer Männerbekanntschaften in Erscheinung. Oft ist sie in der Bauarbeiterunterkunft anzutreffen.“251 „Karin Müller“ berichtete auch über ihre Kollegen und Vorgesetzten im Krankenhaus. Typisch dafür ist folgender Bericht vom Juli 1985: „Der Chefarzt … tritt gegenwärtig dadurch in Erscheinung, dass er mit den Chefärzten persönliche Gespräche führt, um sich Verbündete zu verschaffen. Die ihm angetragene Kritik erkennt [er] nicht an. Insbesondere guten Kontakt unterhält [er] zu der Chefärztin.“ Seine Ehefrau fahre „mit ihrem PKW Wartburg fast täglich in die Kleingartenanlage Rohrerstraße. Diese Beobachtung führte der GMS selbst durch.“252 Für solche Informationen gab es Geschenke und Zahlungen zwischen acht und einhundert Mark. GMS „Gottlieb“ (XI 1179/80) „Gottlieb“ (Jg. 1928) war seit 1954 Lehrer an der Erweiterten Oberschule in Meiningen, unterrichtete Russisch und hatte die Funktion des stellvertretenden Direktors inne. Von 1972 bis 1988 war er als GMS erfasst. Dass auch die Informationen eines GMS nicht folgenlos blieben, sollen Beispiele belegen. Im Januar 1980 notierte sein Führungsoffizier Finkler: „Gottlieb“ habe von den „bisherigen Ablehnungen von Studienbewerbungen innerhalb seines Sicherungsbereiches“ berichtet. Er benannte vier Schüler und fügte an: „Diese Schüler hatten sich alle zu einem Lehrerstudium beworben. Bei dem erstgenannten Schüler handelt es sich um einen Schüler mit äußerst labilen Charaktereigenschaften. Äußerst schlechte Leistungen sowie eine negative Lerneinstellung sind weitere negative Merkmale seines bisherigen Verhaltens. Bei diesem Schüler könnten nach Meinung des [‚Gottlieb’] Konfliktsituationen entstehen. Bei allen übrigen genannten Schülern gibt es keinerlei negative Hinweise. Die Gründe der Ablehnung sind lediglich 251 252 50 Vgl. ebenda, Bl. 135. Vgl. ebenda, Bl. 229. Fragen der Kontingentierung und stehen nicht im Zusammenhang mit den Leistungen der Schüler. Es wird beabsichtigt, mit diesen Schülern Gespräche hinsichtlich Offiziersbewerber zu führen.“253 In einem Bericht vom Juni 1980 geht „Gottlieb“ auf drei Schüler der 9. Klasse der EOS Meiningen ein, die er „bandenmäßigen Zusammenrottungen“ verdächtigte. „So werden mit noch anderen Jugendlichen dieses Wohngebietes regelmäßige Treffs in einem Wäldchen durchgeführt, welches sie als ‚Dschungel’ bezeichnen. Die Schülerin … soll sexuell sehr stark veranlagt sein und wechselt häufig den Partner. Diese Verhaltensweisen wirken sich nach Meinung des [‚Gottlieb’] äußerst negativ auf die Lerneinstellung dieser Jugendlichen aus.“254 In einem Bericht vom Januar 1986 heißt es über einen Schüler, dass der während des Staatsbürgerschaftsunterrichts erklärt habe: „Sie werden doch nicht der Meinung sein, dass das die Schüler glauben, was Sie ihnen erzählten.“ Ferner äußerte er, „den Marxismus nicht anzuerkennen und fühle sich zum Pluralismus hingezogen.“ Für „Gottlieb“ war das eine „staatsfeindliche Position“.255 GMS „Doktor“ (XI 1298/80) Der Direktor im Staatsarchiv Meiningen (Jg. 1931) galt der Kreisdienststelle als ihr GMS „Doktor“. Er war von 1973 bis 1989 beim MfS erfasst. Seine Aufgaben waren es, die Mitarbeiter des Staatsarchivs gegenüber der Kreisdienststelle einzuschätzen, die Geheimhaltung zu garantieren und etwaige Nutzer aus der Bundesrepublik zu überwachen und zu kontrollieren. Oberleutnant Wieth fand, dass „Doktor“ diese Aufgaben „engagiert und zuverlässig“ erfüllt hat.256 In seiner Akte befinden sich Originalbriefe,257 die er in seiner Funktion als Leiter des Staatsarchivs Meiningen erhalten hat. Informationen zu Mitarbeitern unterschrieb er teils mit seinem bürgerlichen Namen, was für GMS nicht unüblich ist, oder mit dem Decknamen „Doktor“. 253 254 255 256 257 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AGMS 712/94, Bl. 175. Vgl. ebenda, Bl. 196. Vgl. ebenda, Bl. 444. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AGMS 1296/94, Bd. 1, Bl. 443. Vgl. ebenda, Bl. 49 f. 51 GMS „Kurt“ (XI 350/84) Der Kreistierarzt „Kurt“ (Jg. 1940) unterschrieb seine Berufung 1984. Darin heißt es: „Die Organe für Staatssicherheit der DDR stützen sich in ihrem Kampf gegen die Feinde der DDR auf die aktive und breite Mitarbeit der Bevölkerung unserer sozialistischen Heimat. … Auf Grund Ihres Staatsbewußtseins und Ihrer Bereitschaft zum Schutze unserer sozialistischen Errungenschaften berufen wir Sie zur Beteiligung an der Ausübung der Schutzfunktion.“258 In einer mündlichen Information heißt es beispielsweise: „Am 6.5.89 kam es in der LPG (P) Jüchsen zur Verendung von 44 Schafen. Beim Passieren des Weges, der an beiden Seiten mit Hecken bewachsen ist, kam es durch das plötzliche Ineinanderlaufen einer Schafherde zum Erdrücken von 44 Schafen.“259 7.3 Sicherung des Verantwortungsbereiches Die meisten IM waren der IM-Kategorie zur Sicherung und Durchdringung des Verantwortungsbereiches (IMS) zugewiesen. Das Ministerium hatte zuletzt 93 629 IMS in ihren Statistiken eingetragen, die Bezirksverwaltung in Suhl 3 041. Beinahe die Hälfte aller IM der Kreisdienststelle – 216 IMS – zählte zu dieser Kategorie.260 Die örtliche und berufliche Verteilung wird an der Tabelle 7 über die bei der Kreisdienststelle als IMS verzeichneten Personen deutlich, die aber lediglich besagt, dass die Kreisdienststelle Meiningen bestimmte Personen als IMS erfasst hat. Ob und mit welcher Intensität eine Tätigkeit als IMS erfolgt ist, wird im Einzelfall zu prüfen sein. Wie unterschiedlich das gestaltet sein kann, zeigen die folgenden Beispiele: IMS „Balduin“ (XI 181/76) Die Kreisdienststelle Meiningen suchte einen Bürger, der die „verstärkten Angriffe des Gegners mittels der PiD [politisch-ideologischen Diversion] und Kontaktpolitik/-tätigkeit Künstlerkreisen des Meininger Theaters“261 258 259 260 261 52 Vgl. BStU, Mfs, BV Suhl, AGMS 890/94, Bl. 8. Vgl. ebenda, Bl. 169. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. Zum Meininger Theater vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1095. ins Visier nehmen und die Staatssicherheit darüber unterrichten sollte. Der Bürger sollte beim Theater beschäftigt, künstlerisch aktiv und familiär ungebunden und zwischen 20 und 30 Jahre alt sein. Ferner heißt es: „Der Kandidat kann weiblichen oder männlichen Geschlechts sein“, darf aber politisch nicht organisiert und er muss mehrere Spielzeiten am Theater tätig sein. Subjektiv sollte er „Kenntnisse über Verhalten und Umgang am Theater, im Schauspielerensemble“ besitzen sowie „Kontaktfreudigkeit, entwickelte Menschenkenntnis, Anpassungsfähigkeit“, „angenehme äußere Erscheinung, gepflegtes Aussehen, moderne Kleidung“ mitbringen.262 Im Ergebnis wählte die Kreisdienststelle „Balduin“ (Jg. 1952) aus, der zwar am Meininger Theater gearbeitet hatte, aber während der Auswahlphase als Filmvorführer beim Kreislichtspielbetrieb in Meiningen angefangen hatte.263 „Seine Verbindungen zum Meininger Theater und zu den Schauspielern wurden jedoch zur Informationsbeschaffung genutzt. … Er berichtete schriftlich und mündlich. Seine Berichte hatten operativen Wert. Er belastete Personen und hielt sich bei der Durchführung von Aufträgen an die gegebene Verhaltenslinie. Er ist Spezialist auf dem Gebiet des Fotografierens und der Filmtechnik. Dieses wurde operativ genutzt. Er war 1977 und 1978 zur Sicherung des Wasunger Karnevals eingesetzt mit der Aufgabe Kontrolle und fotographische Sicherung von negativ dekadenten Jugendlichen.“264 Im Mai 1985 endete die Kooperation, da „Balduin“ nach Waltershausen verzog.265 Seine Berichte besaßen oftmals eine direkte Sprache, so einem Bericht vom März 1977 über eine Frau zu entnehmen: „Sehr großer Bekanntenkreis, besonders Männer. Starker sexueller Trieb, den sie mit zahlreichen, auch verheirateten Männern erfüllt. Eigene Aussage: ‚Der Mann, mit dem ich ins Bett gehe, muß ein Auto und viel Geld haben.’“266 IMS „Enzian“ (XI 165/74) Apotheker „Enzian“ (Jg. 1936) fand im August 1978 das Interesse der Kreisdienststelle, weil er „innerhalb des Kreises Meiningen Verbindungen zu allen leitenden Ärzten des Bezirkskrankenhauses Meiningen sowie zu allen Landärzten, Zahnärzten und lose Verbindungen zu den übrigen Ärz262 263 264 265 266 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 705/94, Teil I, Bl. 9 f. Vgl. ebenda, Bl. 41. Vgl. ebenda, Bl. 78. Vgl. ebenda, Bl. 98. Vgl. ebenda, Teil II, Bl. 20. 53 ten“ unterhält. „Ferner bestehen Verbindungen zu führenden Kreisen der CDU, zu einigen Pfarrern und zu Funktionären des Rates des Kreises Meiningen, zu Funktionären der Zivilverteidigung sowie zu allen Apothekenangestellten seines Verantwortungsbereiches.“267 Da die Kreisdienststelle „nicht über eine genügende Anzahl von IM unter den Ärzten“ verfügte, war „Enzian“ interessant.268 Nach der Aktenüberlieferung soll es am 11. Dezember 1974 zu einer Werbung in der Apotheke gekommen sein. „Die einstweilige Verpflichtung wurde durch Handschlag bestätigt. Als Pseudonym wurde der Name ‚Enzian’ vereinbart. Der Kandidat bat darum, ihn künftig nur zu besonderen Anlässen in seinem Büro aufzusuchen. Dies wurde ihm bestätigt und versichert, dass die nächsten Treffs an einem ihm unbekannten Ort stattfinden.“269 Tatsächlich hätten sie alle und nur im Bedarfsfall etwa alle acht Wochen in seinem Büro stattgefunden, heißt es in der Akte im September 1979.270 Die Akte selbst vermerkt zwar zahlreiche mündliche, aber keinen schriftlichen Bericht. Sie enthält zahlreiche Belege für geldwerte Geschenke und vereinzelt Geldbeträge bis zu 100 Mark. Das diesbezügliche Belobigungsschreiben der Kreisdienststelle wurde mit Unterschrift zur „Kenntnis genommen“.271 Tabelle 7 Als IMS von der Kreisdienststelle Meiningen erfasste Personen Deckname Reg.-Nr. Archivsign. Region „Achim“ XVIII 344/61 AIM 752/94 Meiningen „Adalbert“ XI 36/69 AIM 632/94 Öpfershausen „Adler“ XI 235/70 AIM 190/94 Sülzfeld „Adler“ XI 400/67 AIM 127/77 Meiningen „Adolf“ XI 877/60 AIM 456/94 Bettenhausen „Alex“ XI 122/60 AIM 111/72 Haselbach „Andrea“ XI 37/86 AIM 1005/94 Römhild „Ansorg“ XI 409/72 AIM 922/94 Meiningen „Balduin“ XI 181/76 AIM 705/94 Meiningen „Becker“ I 291/66 AIM 741/94 „Bernhard“ XI 149/76 AIM 935/94 Meiningen „Bernhard“ XI 565/61 AIM 2/94 Meiningen „Bratscher“ XI 315/71 AIM 1072/82 Meiningen „Brauer“ XI 348/71 AIM 743/93 Wölfershausen „Brückner“ XI 199/73 AIM 1267/94 Helmershausen „Bubi“ XI 179/74 AIM 888/94 Frankenheim 267 268 269 270 271 54 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 937/94, Teil I, Bl. 45. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, Bl. 51. Vgl. ebenda, Bl. 94 f. Vgl. ebenda, Bl. 112. Funktion VPKA Kampfgruppe Kraftverkehr Meiningen RAW Meiningen Rentner Förster LPG Hermannsfeld Töpferhof Römhild STK Meiningen Filmvorführer Veterinär Robotron NDPD Theater Meiningen Brauerei Meiningen Möbellager Rat der Gemeinde „Celsius“ „Columba“ „D. Rochus“ „Ditte“ „Doris Berger“ „E. Sorge“ „Elisabeth“ „Enzian“ „Ernst“ „Ernst“ „Erwin Blum“ „Erwin“ „Felix Maier“ „Fritz“ „Funk“ „G. Leutholf“ „General“ „Georg“ „Georg“ „Gerhard“ „Gerhard“ „Grünwald“ „Günter“ „Gustav“ „H. Lehmann“ „H. Wagner“ „Hans Koch“ „Hans Weiß“ „Hans“ „Hans“ HAI 913/61 XI 441/66 XI 4619/65 XI 528/84 XI 347/84 XI 244/71 XI 835/81 XI 165/74 XI 400/65 XI 416/85 XI 272/65 XI 524/71 XI 466/83 XI 477/83 XI 324/85 VII 980/61 XI 89/79 XI 239/72 XI 406/71 XI 153/69 XI 193/73 XI 852/60 XI 381/84 XI 1783/61 XI 388/77 XI 82/74 XI 128/77 XI 123/68 XI 315/64 XI 273/63 AIM 769/94 AIM 1639/90 AIM 620/94 AIM 505/88 AIM 891/94 AIM 710/94 AIM 200/94 AIM 937/94 AIM 106/77 AIM 849/94 AIM 454/94 AIM 266/73 AIM 1084/94 AIM 1081/94 AIM 851/94 AIM 556/94 AIM 697/94 AIM 8/94 AIM 847/94 AIM 266/89 AIM 956/94 AIM 1116/82 AIM 489/94 AIM 407/76 AIM 638/86 AIM 664/94 AIM 32/93 AGI 847/73 AIM 554/94 Meiningen Seeba Behrungen Meiningen Meiningen Meiningen Untermaßfeld Meiningen Meiningen Meiningen Bauerbach Hermannsfeld Meiningen Reichenhausen Meiningen Ritschenhausen Vachdorf Meiningen Meiningen Meiningen Mgn–Helba Meiningen Stedtlingen Meiningen Helmershausen Hermannsfeld Ritschenhausen Veilsdorf Meiningen Meiningen Taxifahrer Kulturbund LPG Bezirkskrankenhaus Ärztin Rat der Stadt Meiningen VPKA Apotheker Gebäudewirtschaft VPKA Meiningen VPKA LPG Signalfernmeldemeisterei LPG Kaltensundheim Fernmeldebau Rat der Gemeinde VPKA Lehrer VPKA Amt für Statistik Malermeister Kellner Robotron VPKA Koch Schriftsteller Koch Post Schornsteinfeger Stahlgabelwerk „Hardi“ „Hartmut“ „Hartmut“ „Horst“ „Ingeborg“ „Ingo Stein“ „J. Schäfer“ „Jochen“ „Jörg Lochner“ „K. Zypanski“ „Karin“ „Klaus Dieter“ „Klaus“ „Kurt“ „Liana“ „Lindner“ „Ludwig“ „M. Richter“ „Marcus“ XI 79/71 XI 47/81 XI 118/73 XI 13/72 XI 165/76 XI 304/68 XI 4/72 XI 148/77 XI 319/76 XI 277/78 XI 460/66 XI 37/69 XI 261/68 XI 328/71 XI 161/73 XI 754/87 XI 230/78 XI 378/86 HA I 2636/69 AIM 711/94 AIM 658/87 AIM 102/93 AIM 1393/84 AIM 744/93 AIM 576/94 AIM 161/93 AIM 1346/84 AIM 1067/94 AIM 196/93 AIM 1245/84 AIM 534/88 AIM 575/94 AIM 954/94 AIM 1010/94 AIM 197/94 AIM 1229/84 AIM 751/94 AIM 626/94 Obermaßfeld Meiningen Meiningen Haina Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen HO-Kreisbetrieb VPKA-Stabschef VPKA VPKA Bezirkskrankenhaus RAW Gesundheitswesen Bezirkskrankenhaus VPKA Hallenwart Kraftfahrer Kraftverkehr Gebäudereiniger Auktionator Bezirkskrankenhaus VPKA Konsumfleischerei Welton Energiekombinat 55 „Naumann“ „Nora“ „Oper“ „Otto Heil“ „Otto“ „P. Schwarz“ „Pasche“ „Paul“ „Peter Kranich“ „Petersen“ „Petra Heinze“ „R. Lindner“ „Richard“ „Richard“ „Rita“ „Robert“ „Roland I“ „Roland II“ „Rolf Krüger“ „Rolf“ „Rudolf“ „Saft“ „Schneider“ „Schulze“ „Sebastian“ „Sepp“ „Storch“ „Trabant“ „U. Fischer“ „Ute“ „Uwe Seifert“ „Uwe“ „W. Friedrich“ „Walter Braun“ „Walter“ „Wartburg“ „Wenzel“ „Werner“ „Werrathal“ „Wilhelm“ „Winkler“ 7.4 XI 11/80 XI 188/76 XI 21/72 XI 283/70 XI 1325/60 XI 502/77 XI 216/70 XI 611/83 XI 210/76 XI 837/81 XI 738/86 XI 172/73 XI 460/76 XI 78/71 XI 592/87 XI 94/69 XI 362/77 XI 141/82 XI 14/75 XI 289/72 XI 434/84 XI 518/63 XI 83/76 XI 6/64 XI 33/83 MfS 5128/60 XI 195/67 XI 26/75 XI 755/87 XI 551/84 XI 171/73 XI 764/81 XI 70/63 XI 79/85 XI 47/67 XI 499/85 XI 52/71 XI 106/83 XI 162/70 XI 562/77 XI 575/86 AIM 107/93 AIM 499/94 AIM 1114/82 AIM 722/77 AIM 1371/84 AIM 367/93 AIM 131/94 AIM 1201/94 AIM 830/94 AIM 300/94 AIM 921/94 AIM 1295/94 AIM 1282/94 AIM 1019/88 AIM 635/93 AIM 631/94 AIM 1169/94 AIM 510/87 AIM 1009/94 AIM 507/94 AIM 491/94 AIM 730/76 AIM 1297/94 AIM 1372/84 AIM 202/94 AIM 723/93 AIM 482/94 AIM 1301/94 AIM 687/94 AIM 531/94 AIM 223/93 AIM 911/94 AGI 168/75 AIM 1204/94 AIM 488/94 AIM 93/89 AIM 442/94 AIM 95/94 AIM 181/93 AIM 203/94 AIM 1181/94 Meiningen Meiningen Meiningen Meiningen Behrungen Meiningen Nordheim Bettenhausen Meiningen Meiningen Meiningen Rippershausen Meiningen Walldorf Meiningen Milz Reichenhausen Unterweid Meiningen Meiningen Jüchsen Obermaßfeld Meiningen Jüchsen Meiningen Meiningen Gerthausen Mendhausen Meiningen Römhild Meiningen Bettenhausen Frankenheim Meiningen Kaltenw.-heim Meiningen Meiningen Oberkatz Meiningen Meiningen Meiningen Kindergärtnerin Gesundheitswesen Theater Meiningen Robotron LPG Abschnittsbevollmächtiger Förster VPKA WAB Druckerei „Freies Wort“ Rentnerin Rat der Gemeinde WAB Meiningen Plattenwerk Altersheim Kalininring Landwirtschaft Kr. Mgn Gastwirt Maurer VPKA Theater Meiningen Kindergarten Gasturbinenkraftwerk Abschnittsbevollmächtiger Versicherungsvertreter Arzt Bezirkskrankenhaus Getränkekombinat LPG VPKA Sero Rat der Gemeinde Rat des Kreises LPG VPKA PGH Elektro LPG Fahrschullehrer Schulinspektor VEG Rippershausen Kreiskulturhaus VPKA Betriebsleiter Kraftverkehr Ermittler und IM in Schlüsselpositionen Das Informationsbedürfnis des MfS und seiner Kreisdienststelle in Meiningen wuchs von Jahr zu Jahr. Sicherheitsüberprüfungen nahmen immer größeren Raum ein, nicht allein für die Rekrutierung neuer Kader und die 56 Überprüfung bisheriger Kader, sondern auch für die Überprüfung der Reisekader und all jener, die in das „nichtsozialistische Währungsgebiet“ reisen wollten oder aus anderen Gründen geheimpolizeiliche Aufmerksamkeit erregten. Zuständig für die Informationsbeschaffung, insbesondere aus dem Wohnumfeld, war eine eigene IM-Kategorie, die IM im besonderen Einsatz (IME). Sie ermittelten und beobachteten und sie sorgten dafür, dass die Aktivitäten anderer IM – wie etwa die Abwesenheit während der Arbeitszeit – plausible Erklärung fanden. Die Kreisdienststelle Meiningen führte zuletzt über elf IME.272 Manche IME arbeiteten mit Beobachtergruppen in Meiningen. So etwa IME „Helmut“ (XI 74/72),273 spezialisiert auf die Barbara- und auf die Stadtkaserne, oder IME „Henry“ (XI 138/82).274 Andere IME hatten andere Schwerpunkte, wie IME „Otto“ (XI 221/73)275 oder IME „Frank Anders“ (XI 8/77) in Schwallungen.276 IME „Dieter Stein“ (XI 618/87) konzentrierte sich auf Schwickershausen und Meiningen. Ansonsten war er zuständig für Übersiedlungsersuchen beim Rat des Kreises Meiningen.277 IME „Helmut“ (XI 74/72) „Helmut“ (Jg. 1953) arbeitete als Werkzeugmacher beim VEB Fajas in Suhl, als er im November 1971 von einem Mitarbeiter der Kreisdienststelle Suhl zur inoffiziellen Arbeit verpflichtet wurde.278 Zwei Jahre später wurde er hauptamtlicher IME. Damit arbeitete er nicht weiter in seinem Beruf. Ein Scheinarbeitsplatz diente zur Verdeckung seiner inoffiziellen Tätigkeit für die Kreisdienststelle. „Helmut“ sollte in einer Gruppe arbeiten, die militärische Objekte, speziell die Barbara- und die Stadtkaserne, beobachtete. Er war also im Rahmen der Spionageabwehr unterwegs.279 Dafür wurde er 1973 monatlich mit 975 Mark entlohnt.280 Ab 1975 arbeitete IME „Helmut“ für die Kreisdienststelle Meiningen. Seiner Beobachtungsgruppe gehörten die hauptamtlichen IME „Volker Ott“ (XI 114/74) und „Fred Müller“ (XI 192/75) an. Sie trafen sich in der konspirativen Wohnung „Visier“ in Meiningen, aber auch im Objekt „Waldhaus“ in Dreißigacker. Sie arbei272 273 274 275 276 277 278 279 280 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 368/78. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 16324/85. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 770/78. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 8367/88. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 316/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 368/78, Teil I, Bl. 33. Vgl. ebenda, Bl. 62. Vgl. ebenda, Bl. 63. 57 teten auch mit „getarnter Fototechnik“, einem „System getarnte Robotkamera“.281 In den Wintermonaten arbeitete „Helmut“ von 8.00 bis 18.00 Uhr, einmal monatlich gab es Wochenendarbeit, hinzu kamen zwei Sondereinsätze. Einmal war er in eine Fahndung eingebunden, ein anderes Mal sicherte er den Besuch Erich Honeckers im Bezirk ab, was offensichtlich seinen Unmut hervorrief. Die Akte vermerkt: „’Warum müssen wir in Meiningen Dienst tun, wenn Gen. Honecker sich in Bad Salzungen aufhält. Bad Salzungen ist doch weit weg von Meiningen.’ Er diskutierte auch darüber, dass man ihn zur Einholung von Informationen während des Besuches des Genossen Honecker im Bezirk Suhl in den Abendstunden in Schwerpunktgaststätten der Stadt Meiningen einsetzte. Er erklärte, diese Informationen könne man auch am Tage während ihrer normalen Arbeitszeit erlangen.“282 Die Kreisdienststelle löste daraufhin die Arbeitsbeziehung auf. Offiziell wurde ihm bescheinigt, als Zivilangestellter des Innenministeriums im Dienst der sowjetischen Stadtkommandantur in Meiningen gestanden zu haben.283 „Helmuts“ Berichte lesen sich meist so wie der vom 1. Juni 1977: „Am 29.5.77 kam um 9.15 Uhr aus Richtung Stadt ein BRD-Fahrzeug Typ Audi, Farbe dunkelgrün und hielt unterhalb von ‚Visier’ auf dem dort befindlichen Parkplatz. Nach ca. 1 Minute entstiegen dem PKW eine männl[iche] Person und ein Kind. Danach fuhr der PKW wieder in Richtung Stadt, während sich die männl[iche] Person mit dem Kind zum Block Nr. 185 begab. Bei der männl. Person handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen DDR-Bürger.“284 Am 15. Juni 1977 hieß es: „Die Mitarbeiter berichten in schriftlicher Form über den Anfall von 8 BRD-Fahrzeugen im Neubaugebiet, den Anfall von 1 Fahrzeug (Schweiz) im Neubaugebiet.“ Das veranlasste die Kreisdienststelle zu weiteren Maßnahmen: „Die 8 BRD-Fahrzeuge wurden in die KfzKartei – Anfall Neubaugebiet – eingegliedert [gemeint: verzeichnet]. Das 1 Fahrzeug aus der Schweiz wurde in die Kfz-Kartei – Anfall Neubaugebiet – eingegliedert.“285 281 282 283 284 285 58 Vgl. ebenda, Bl. 258. Vgl. ebenda, Bl. 248–250. Vgl. ebenda, Bl. 285. Vgl. ebenda, Teil II, Bd. 2, S. 159. Vgl. ebenda, S. 161. IME „Otto“ (XI 221/73) Der Tipp auf „Otto“ kam von der Mitarbeiterin der Kreisdienststelle, Christa Baumbach. „Otto“ war ihr Vater, der Ende 1973 aus dem Polizeidienst ausschied.286 Die Kreisdienststelle Meiningen setzte ihn in Schwallungen als halbhauptamtlichen IME ein, wofür er ab März 1974 für vier Jahre monatlich 700 Mark erhalten sollte.287 Er verfügte über einen Dienststellenausweis der NVA und, um die Sperrzone betreten zu können, erhielt er einen Passierschein.288 In den vier Arbeitsakten finden sich in den ca. 1 200 Blatt rund einhundert Personenbeschreibungen, stets mit Wertung. „Abschließend kann eingeschätzt werden, dass es sich bei dem Genannten um einen politisch vollkommen verlässlichen Bürger handelt, der stets und überall die Interessen unseres Staates vertritt“, heißt es über einen Bürger in Hindfeld.289 Ein Traktorist aus Rentwertshausen kam weniger gut weg: „keinesfalls als politisch zuverlässig zu bezeichnen.“290 HIME „Bernd“ Bereits während seiner Schulzeit wurde „Bernd“ auf eine mögliche Wehrdienstzeit beim Wachregiment Feliks Dzierzynski angesprochen. Dazu kam es jedoch nicht, u. a. auch weil die Eltern seine ortsnahe Verwendung wünschten. So wurde der 19Jährige als HIME „Bernd“ von Frank Spörer (Referat 3) verpflichtet. Seine Tätigkeit nahm er am 1. Oktober 1984 auf.291 Die Beobachtergruppe, der er und weitere IME angehörten, hatten die Stadt- und Barbarakaserne abzusichern. Die im Schichtbetrieb arbeitende, recht junge Gruppe konnte zu diesem Zweck drei konspirative Wohnungen – „Einsicht“ (XI 39/80) am Kalininring, „Berg“ (XI 4/84) an der Straße der DSF und „Signal“ (XI 122/77) an der Leninstraße292 – sowie ein konspiratives Objekt in der Stadtkaserne – nutzen. Von diesen Wohnungen aus erfolgten Beobachtungen und auch Fotoaufnahmen, teils mit Objektiven. Hier traf sich „Bernds“ Hobby mit den operativen Interessen der Kreis286 287 288 289 290 291 292 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 770/78, Teil I, Bl. 13. Vgl. ebenda, Bl. 9. Vgl. ebenda, Bl. 250–252. Vgl. ebenda, Teil II, Bd. 4, Bl. 206. Vgl. ebenda, Bl. 202. Mitteilungen des ehemaligen HIME „Bernd“ vom 12. und 13. Februar 2011. Vgl. zu seinen überprüften Angaben BStU, MfS, BV Suhl, AS 116/93; ebenda, AS 110/93; ebenda, KS 594/90. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 826/94; ebenda, AIM 665/94; ebenda, AIM 1194/94. 59 dienststelle. Die KW „Einsicht“ sei modern ausgerüstet gewesen. Sie verfügte über eine fest stehende und eine bewegliche Kamera. Die Überwachungsaufnahmen konnten auf zwei Fernsehern angesehen werden, ein drittes Gerät diente zum Prüfen der Aufnahmen. Eine weitere Kamera befand sich in der Barbarakaserne. Die meiste Arbeit fiel an den Wochenenden oder Feiertagen an. Ebenfalls beobachtet wurden auch die Anrainer der Kasernen. Sie wurden mit einer Notiz erfasst, wenn sie auffällig in die Kaserne hineinsahen. Mitunter war die Identität der Personen unbekannt, so dass die Beobachtergruppe Observationen vornahm, teils mit privaten Personenkraftwagen. Das kam Mitte der 1980er Jahre zwei bis dreimal im Monat vor. HIME „Bernd“ erinnert sich dabei an keine aufgedeckte Operation eines westlichen Nachrichtendienstes. Die operative Arbeit erstreckte sich auch auf Ermittlungsaufträge. Die Beobachtergruppe nahm Überprüfungen in den beiden Neubaugebieten Kalininring und Leninstraße (heute Utendorferstraße und Kiliansberg) vor. Das erfolgte fast täglich, stets nur nachts. 7.5 IM zur Führung anderer IM Die Anzahl der IM in der Kreisdienststelle Meiningen war so groß, dass die Führungsoffiziere einer Entlastung bedurften. Zu diesem Zweck schuf das MfS die IM-Kategorie Führungs-IM (FIM). Die Kreisdienststelle führte in den 1980er Jahren in einer Kurzübersicht etwa 15 FIM.293 Diese leiteten im Juni 1987 72 IM und 53 GMS an.294 Wir haben bei unseren Recherchen zehn FIM-Akten finden können. Darunter „Klaus“ (XVIII 1308/73). Sein Schwerpunkt lag auf der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Bereich Kaltensundheim und Bettenhausen,295. FIM „Finkler“ (XI 964/60) konzentrierte sich auf Wasungen – auf ihn gehen zwanzig Aktenbände zurück. 296FIM „Forelle“ (XI 293 294 295 296 60 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1143, Bd. 1, Bl. 74. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 784/94. Hartmut Kammerzell, der seinerzeit bei der LPG (P) Bettenhausen, arbeitete, hat im Sommer 1989 miterlebt, wie sich Wildschweine in den Grenzanlagen verirrt hatten und mit Traktoren und Mähdreschern gejagt wurden. Westliche Medien berichteten unter der Überschrift „Wilde Schweinejagd in der Ostzone“, was die Meininger Staatssicherheit veranlasste, in der Kantine des Pflegestützpunktes Herrmannsfeld Befragungen durchzuführen. Vgl. Mitteilung von Hartmut Kammerzell vom 5. und 12. Dezember 2011. Vgl. ferner BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, VSH. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 472/94. 9/70), richtete sein Augenmerk auf Frankenheim.297 Ferner gab es den Lehrer „Gerd“ (IX 4667/60) aus Kaltensundheim298 oder den Sicherheitsbeauftragten im Plattenwerk Walldorf mit Decknamen „Horst Meier“ (XI 340/74).299 FIM „Koch“ (IX 3648/60) war Sicherheitsinspektor im Bezirkskrankenhaus in Meiningen,300 FIM „Lada“ (XI 139/85) war Kaderoffizier beim Volkspolizeikreisamt in Meiningen.301 FIM „Meier“ (XI 370/73) konzentrierte sich auf die Landwirtschaft im Raum Milz, Queienfeld und Schwickershausen.302 Das FIM-Netz von „Tischler“ (XI 624/82) war in Untermaßfeld aktiv,303 und das von FIM „Wolfgang Renner“ (XI 1326/60), in Jüchsen.304 FIM „Wolfgang Renner“ (XI 1326/60) Der Vorgang von „Wolfgang Renner“ (Jg. 1931) zählt neun Bände, in der Summe gut 2 700 Blatt. Als zuständiger Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei in Jüchsen nahm er seine inoffizielle Arbeit für die Kreisdienststelle Meiningen im August 1960 auf. Sie endete erst knapp dreißig Jahre später. Dabei hätte manches dagegen gesprochen, ihn an die Staatssicherheit zu binden. Als Grenzpolizist hatte er 1956 gelegentlich einen kleinen Ausflug in das westlich gelegene Mellrichstadt unternommen, worüber die örtlichen Medien berichtet hatten.305 Aus Sicht der Kreisdienststelle hatte „Wolfgang Renner“ aber eine Perspektive. Denn in den ersten drei Monaten hatte er für die „Richtung III“ – wie die Kreisdienststelle zum damaligen Zeitpunkt intern die Sicherung der Grenze nannte – schon zwei Personen in Jüchsen festnehmen lassen. Diese hatten sich kritisch über die LPG geäußert.306 Die Perspektive als FIM sah man in Suhl gänzlich anders. “Wolfgang Renner“ sollte keinesfalls als FührungsIM arbeiten dürfen – eben wegen jenes Westausfluges.307 Das beeindruckte 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 175/93. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 188/93. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 887/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 142/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 1144/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 521/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 476/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 649/94. Vgl. BStU, Mfs, BV Suhl, AIM 649/94, Teil I, Bl. 23. Vgl. ebenda, Bl. 53. Vgl. ebenda, Bl. 55. 61 den damaligen Dienststellenleiter Hauptmann Erhard Schurz ebenso wenig wie den Vorgangsführer Leutnant Josef Placht.308 „Wolfgang Renner“ führte anfangs drei, dann fünf und 1978 acht inoffizielle Mitarbeiter.309 Er ging im Januar 1985 in Rente, sollte aber seine Tätigkeit als FIM weiter fortsetzen. Zu diesem Zweck erhielt er eine Urkunde, die ihn als „Beauftragten für militärische Nachwuchssicherung des Wehrkreiskommandos“ auswies – ein Scheinarbeitsverhältnis, das seine Aktivitäten gegenüber Außenstehenden plausibel erklären sollte.310 Sein Engagement erhielt er vergütet. Fast jeden Monat gab es 50 Mark, bis etwa 1970 hatte er darüber hinaus über 3 700 Mark als Auszeichnung und Unterstützung erhalten.311 Ab Januar 1985 gab es monatlich 450 Mark.312 „Wolfgang Renner“ führte nicht nur IM, er schrieb auch Berichte, u. a. den vom 5. Oktober 1961 über die Zwangsaussiedlungen in Wolfmannshausen: „Am 4.10.61 wurde mir durch den LPG-Vorsitzenden Karl Fröhlich bekannt, dass die Frauen vom LPG Typ III über die Aussiedlungen im Grenzgebiet diskutierten. Sie brachten zum Ausdruck, dass die Wolfmannshäuser Einwohner alle zusammengehalten haben und aus diesem Grunde die geplante Aussiedlung der betreffenden Familie in Wolfmannshausen nicht durchgeführt worden ist.“313 Er war auch als Ermittler in Jüchsen unterwegs und dürfte auf diese Weise bald das wichtigste Grundlagenmaterial zur Rekonstruktion der Sozialgeschichte des Ortes geschrieben haben. Er verzeichnete über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren wer zu- oder wegzog, wer mit wem verbunden oder wieder getrennt war usw. Ein Beispiel: „Er ist als Melker in der LPG … tätig. Bevor er nach Jüchsen kam, war er bei Torgau in einer LPG als Melker beschäftigt. … Zurzeit ist er nicht verheiratet. Es muss aber bemerkt werden, dass er mit der Frau … eine Lebensgemeinschaft führt. … Auf Grund dessen, dass … schon sehr oft vorbestraft ist, muss man ihn als einen Unsicherheitsfaktor in der LPG ansehen.“314 Sein letzter Treff mit der Staatssicherheit fand am 23. November 1989 statt. Beim Treff zuvor berichtete er: „Während des Zeitraums der vergangenen Tage werden in der Gemeinde Jüchsen verstärkt Aktivitäten im Zusammenhang mit der Bildung der oppositionellen Gruppierung ‚Neues 308 309 310 311 312 313 314 62 Vgl. ebenda, Bl. 56. Vgl. ebenda, Bl. 183. Vgl. ebenda, Bl. 304. Vgl. ebenda, Bl. 90. Vgl. ebenda, Bl. 304. Vgl. ebenda, Teil II, Bd. 1, Bl. 180. Vgl. ebenda, Bl. 114. Forum’ entwickelt, was sich vorwiegend auf das Sammeln von Unterschriften bezieht. Als Hauptinitiator tritt hierbei insbesondere der Bürger … sowie dessen ebenfalls in Jüchsen wohnende Tochter … in Erscheinung.“315 FIM „Gerd“ (XI 4667/60) Seit März 1954 war FIM „Gerd“ inoffiziell für die Staatssicherheit aktiv. Die Kooperation des Lehrers (Jg. 1929) an der Oberschule in Kaltensundheim endete wegen der Herbstrevolution 1989 – nach 35 Jahren. Seine letzte monatliche Zuwendung in Höhe von 400 Mark ist für den 17. Oktober 1989 nachweisbar.316 Wie „Wolfgang Renner“ war „Gerd“ mit Unterbrechungen seit 1963 als FIM im Grenzbereich eingesetzt. Er führte in der Regel bis zu fünf inoffizielle Mitarbeiter.317 Was „Renner“ für Jüchsen, ist „Gerd“ für Kaltensundheim. In seinen vierbändigen Arbeitsakten finden sich Hunderte von „Personeneinschätzungen“ und Gesprächswiedergaben. So eine vom 6. März 1989, als FIM „Gerd“ mit dem Bürgermeister von Kaltensundheim sprach. Dieser „brachte zum Ausdruck, dass die Wahlkommission übereinstimmend einschätzt, dass bisher keine ernstzunehmenden Hinweise auf eventuelle Nichtwähler vorliegen. [Er] ist der Meinung, ‚man kann optimistisch die Wahl in Angriff nehmen’.“318 FIM „Koch“ (XI 3648/60) Der Sicherheitsinspektor des Bezirkskrankenhauses in Meiningen, „Koch“ (Jg. 1938) war von 1958 bis zur Auflösung der Kreisdienststelle inoffiziell für die Staatssicherheit tätig – über dreißig Jahre. Seit 1976 wurde er als FIM kategorisiert, zuvor war er überwiegend IMS. Auch „Koch“ sollte der Linie II der Kreisdienststelle, der Spionageabwehr, dienlich sein. In der entsprechenden Arbeitsgruppe, heißt es in der Begründung, stünde seit mehreren Jahren kein FIM-Netz mehr zur Verfügung, das die „militärischen Objekte“ schützen würde.319 Als Sicherheitsinspektor galt „Koch“ „in der Planung, Organisierung und Durchführung seiner Arbeit relativ selbständig“. „Er ist lediglich dem Ärztlichen Direktor und Chefarzt der 315 316 317 318 319 Vgl. ebenda, Teil II, Bd. 8, Bl. 297. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 188/93, Teil I, Bl. 223. Vgl. ebenda, Bl. 254. Vgl. ebenda, Teil II, Bd. 4, Bl. 338. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 142/94, Teil I, Bl. 140. 63 Chirurgischen Klinik … rechenschaftspflichtig.“ Da die von „Koch“ verantworteten Einrichtungen im gesamten Stadtgebiet Meiningens verteilt seien, könne er seine berufliche Tätigkeit mit der des FIM vereinbaren.320 1977 sollten ihm IM und GMS übergeben werden, die in der Umgebung der Barbara-Kaserne wohnten. Dabei handelte es sich um IMS „Elster“ und die GMS „Norbert“ und „Mägdefrau“.321 Bald zehn Jahre später, 1986, übte „Koch“ die Tätigkeit als FIM hauptamtlich aus.322 7.6 IM mit logistischen Aufgaben Die Kooperation von IM mit der Kreisdienststelle bedurfte einiger logistischer Unterstützung. Das MfS schuf auch dafür eine eigene IM-Kategorie – die IM zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens (IMK), bei denen es fünf Untergruppen gab. Konspirative Wohnungen (KW), konspirative Objekte (KO), Deckadressen (DA), Decktelefone (DT) und Personen, die auch Treffs absicherten (S). Insgesamt verfügte die Kreisdienststelle Meiningen über etwa 48 IMK.323 Bei unseren Recherchen fanden wir über hundert konspirative Wohnungen und Objekte im Kreis Meiningen, die nicht allein von der Kreisdienststelle, sondern auch von anderen Diensteinheiten der Staatssicherheit geführt wurden. In Tabelle 9 werden jeweils die Straßen, die Anzahl und die Decknamen angegeben, auf die Verzeichnung von Hausnummern wurde verzichtet. Während die Staatssicherheit konspirative Wohnungen und konspirative Objekte unterschied, nannte die Volkspolizei ihre konspirativen Wohnungen und Objekte Treffquartier (TQ). Unterlagen, die in der StasiUnterlagen-Behörde selten überliefert sind, befinden sich möglicherweise in Polizei-Archiven. Die Angaben zu Registriernummern und Archivsignaturen dienen nicht nur als Nachweis, sondern sollen auch helfen, Unterlagen im Rahmen eines Forschungsantrages zu beantragen. 320 321 322 323 64 Vgl. ebenda, Bl. 141. Vgl. ebenda, Bl. 143. Vgl. ebenda, Bl. 277. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 1005, o. Pag. KW „Siegfried“ (XI 136/80) Der Abschnittsbevollmächtigte des Volkspolizeikreisamtes „Siegfried“ (Jg. 1945) wurde im April 1980 geworben. Er hatte ein Dienstzimmer im Kellergeschoss eines Wohnhauses in der Meininger Gutsstraße 18. „Siegfried“ kam in die engere Auswahl, weil in dem Wohnhaus überwiegend alleinstehende Personen wohnten, die im Bezirkskrankenhaus oder im Meininger Theater arbeiteten. Es herrschte also „reger Publikumsverkehr“ und es erregte kein Aufsehen, „wenn fremde Personen“ das Haus betraten. Da es über zwei Eingänge verfügte „ist es günstig zum Betreten und Verlassen“, und man gelangte „schnell in das Dienstzimmer des Kandidaten“. Außerdem konnte das konspirative Betreten des Hauses „ganztägig bis in den späten Abendstunden erfolgen.“324 In anderen Fällen wurden stets alle Mieter des Hauses überprüft, um mögliche Risiken auszuschließen. Angesichts der Mieterkonstellation im Haus der KW „Siegfried“ verzichtete die Staatssicherheit darauf. Bei der Werbung übergab „Siegfried“ seinem Führungsoffizier, Unterleutnant Hans-Georg Bohn, einen Schlüssel und erhielt den Auftrag, Ermittlungen zu einer Person im Baumschulenweg aufzunehmen.325 Üblicherweise erhielt der Wohnungsmieter einen Teil seiner Miete von der Staatssicherheit ersetzt. Das konnte in diesem Fall entfallen. Dafür erhielt „Siegfried“ regelmäßig Geschenke. Die Nutzung des Zimmers wurde lediglich durch den Bau von Heizungsrohren unterbrochen. Ansonsten wurde – wie es im Oktober 1981 heißt –, „die Sicherheit in der KW … durch einen schweren, dunklen Vorhang an der Eingangstür“ erhöht.326 Im Dezember 1986 endete die Kooperation. KW „Panorama“ (XI 846/88) Der Leiter einer Gaststätte (Jg. 1955) stellte eine Treffmöglichkeit zur Verfügung, die von der Kreisdienststelle als KW „Panorama“ verzeichnet wurde.327 Die schriftliche Verpflichtung erfolgte am 7. November 1988.328 Es wurde nach Aktenlage dort lediglich die IMS „Regina“ (XI 709/82) in 324 325 326 327 328 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 1249/86, Bl. 16. Vgl. ebenda, Bl. 19. Vgl. ebenda, Bl. 47. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 841/94, Bl. 8. Vgl. ebenda, Bl. 42. 65 einem im Parterre zwischen Gastraum und Kiosk befindlichen Zimmer getroffen.329 Tabelle 9 Konspirative Wohnungen und Objekte in Meiningen (meist 1989)330 Straße Anzahl Name (Reg.-Nr., Archiv-Sign. in der BStU Suhl Alte Henneberger Straße 1 KW „Brückner“ (XI 232/88; 568/90) Am Dittrich 1 KW „Sonnenblick“ (XI 437/78; 774/94) Am Drachenberg 2 KW „Jürgen Näther“ (XI 48/87; 638/90) KW „Waldfrieden“ (XI 219/89; 677/94) Am Flutgraben 2 KW „Flut“ (XI 755/85; 110/86) KW „Franz Müller“ (XIII 3444/89; –) Am Frauenbrunnen 2 KW „Rudi Eibert“ (XI 682/86; 545/90) KW (XI 720/88; 87/89) Am Kirchbrunnen 2 „Ludwig“ (XI 216/89; –) KW „Übergang“ (XI 1258/80; 1304/94) Am kurzen Weg 1 KW „Ausblick“ (XI 432/86; –) Am Schelmengraben 1 KW „Anna“ (XI 431/83; 698/90) Am Schnitzersberg 1 – Am Steingraben 1 – Am Weidig 3 „Peter“ (XI 290/78; 1206/90) KW „Arnold“ (XI 113/88; 793/89) KW „Werra“ (XI 957/84; 229/85) Amönenhoferstraße 1 KW „Wald“ (XI 351/79; 495/90) Anton-Ullrich-Staße 4 KW „Hein“ (XI 143/74; 163/88) KW „Schwarze Pumpe“ (XI 98/83; 896/94) KW „Sonne“ (XI 160/70; 860/94) KW „Ullrich“ (XI 844/83; 1050/94) August Bebel-Straße 2 KW „Feuerzeug“ (XI 138/72; 401/89) KW „Villa“ (XI 15/89; 689/94) Baumbachstraße 1 TQ Baumschulenweg 1 TQ „Henkel“ (5071/79) Berliner Straße 5 KW „Schloß“ (XI 434/77; 1248/86) KW „Kristall“ (XI 23/86; 615/90) KO „Spedition“ (XI 907/88; 1170/94) KW „Paris“ (XI 583/84; 534/94) KW „Werner“ (XI 866/80; 345/93) Bodenweg 1 KW „Ludwig“ (XI 161/60; 620/87) Burggasse 1 KW „Otto“ (XI 690/85; 168/94) Damaschkestraße 1 KW „Gartenblick“ (XI 228/75; 1028/94) Dammstraße 1 KW „Gärtner“ (XI 275/81; 388/89) Dollmarstraße 2 KW „Stadion“ (XI 726/89; 1192/94) TQ Donopskuppe 1 KW „Panorama“ (XI 846/88; 841/94) Dreißigackerstraße 1 KW „Schneider“ (XI 260/82; 881/89) Ellenbogen 1 KO „Wasserkuppe“ (XVIII 2610/64; –) 329 330 66 Vgl. ebenda, Bl. 37 und 41. Grundlage für diese Angaben ist die vom MfS in Berlin geführte Kartei F 78. Ernestinerstraße Ernst-Thälmann-Straße Ernststraße Fasaneriestraße Freiheitsstraße Friedenssiedlung Friedrichstraße Georgstraße Goethestraße Günter-Raphael-Straße Gutsstraße Hans von Bülow-Sraße Hauptstraße Heinrich-Heine-Straße Hennebergerstraße Heugasse Heurichstraße Hildburghäuser Straße Kalininring 5 KW „Werra“ (XI 896/83; 422/89) TQ TQ „Klause“ (5052/82) KW „Aufbau“ (XI 579/89; 652/94) KW „Eva“ (XVIII 974/84; –) 8 KW „Erika Klein“ (XI 204/83; 698/88) KW „Turm“ (XI 628/89; –) KW „Akademie“ (XI 413/79; 609/94) KW „Parkplatz“ (XI 27/75; 198/94) „Schule“ (XI 37/75; 1299/94) KW „Nelke“ (XI 1262/80; 1303/94) KW „Otto“ (XI 53/85; 1207/94) (110532/01) 1 KW „Gisela May“ (XI 653/89; 1426/90) 1 KW „Schlossberg“ (XI 74/84; –) 1 KW (XIII 3209/88; –) 4 KW „Jugend“ (XI 293/89; 1124/90) KW „Rosel“ (XI 773/86; 1024/88) KW „Sonne“ (XI 765/86; 1142/90) KW „Wartburg“ (XI 764/86; 1123/90) 1 KW „Sommer“ (XI 408/81; 776/94) 6 KO „Kreuzung“ (XI 857/88; 839/94) KW „Tulpe“ (XI 751/65; 2051/94) KW „Franconia“ (XI 196/63; 1748/94) KW „Nest“ (XI 467/86; 748/94) KW „Ausblick“ (XI 593/86; 1273/94) TQ 5 KW „Wolfgang Müller“ (XI 331/68; 73/93) KW „Schilling“ (XI 224/81; 108/93) KW „Rose“ (XI 233/68; –) KW „Stab“ (XIV 3534/86; –) (110532/03) 1 KW „Franz“ (XI 524/79; 2017/94) 1 KW „Siegfried“ (XI 136/80; 1249/86) 1 KW „Balkon“ (XI 601/84; 162/92) 1 KW „Tann“ (XI 390/84; 1402/85) 2 KW „Frank“ (IX 3508/60; 2041/94) KW „Herbst“ (XI 615/85; 759/94) 4 KW „Georg“ (XI 237/88; 637/90) TQ KW „Kreuzberg“ (XI 386/84; 912/84) KW „Köpenick“ (XI 908/84; 1666/90) 1 TQ 1 KW ”Star” (XI 102/76; 1240/86) 1 KO „Tanne“ (XVIII 3739/67; –) 10 KW „Aussicht“ (XI 779/85; 1110/87) KW „Burg“ (XI 553/89; –) KW „Lutz Röhner“ (XI 172/83; 1018/90) TQ KW „Zukunft“ (XI 416/88; 808/94) KW „Einsicht“ (XI 39/86; 1199/94) 67 Karl-Marx-Straße 9 Käthe-Kollwitz-Straße Kohlberg Kreuzstraße 1 1 3 Kufsteiner Weg Landsberger Straße 1 7 Leipziger Straße 9 Leninstraße 7 Luisenstraße 2 Maßfelderstraße 2 Mauergasse Mehmelser Straße Otto-Nuschke-Straße 1 1 2 Panoramaweg 1 68 KW „Turm“ (XI 390/85; –) KW „Unterkunft“ (XI 5/76; 1180/94) KW „Gut“ (XI 2/85; 1205/94) KW „Buch“ (XI 296/88; 417/93) KW (XI 398/88; 1234/94) KW „Zentrum“ (XI 561/84; 535/94) KW „Ernst Neumann“ (XVIII 2760/71; –) KW „Fischer“ (XI 126/88; –) KW „Freund“ (XI 829/62; 614/90) TQ KW „Kastell“ (XI 782/86; 235/89) KW „Wasserburg“ (XI 121/88; 1030/90) KW „Werratal“ (XI 781/86; 796/88) KW (XI 406/88; –) „Thomas“ (XI 303/89; –) KW „Klaus Ritter“ (XI 220/87; 616/90) „Tunnel“ (XI 22/79; 1163/87) TQ KW „Ringsburg“ (XVIII 3990/85; –) KW „Bernhard Lesser“ (XI 263/85; 278/89) KW „Landberg“ (XI 526/88; 549/90) KW „Ralf“ (XI 136/77; 1134/90) KW „Mulde“ (XI 728/85; 767/94) „Schulze“ (XI 168/73; 649/88) – (XI 200/76; 623/88) KO „Verkehr“ (XI 769/88; 838/94) KW „Meister“ (XI 5321/82; –) TQ TQ KW „Jens“ (XI 219/79; 560/94) KW „Ural“ (XI 549/89; –) KW „Rolf“ (XI 1403/80; 1628/94) KW „Ramona“ (XI 475/80; –) KO „Kabinett“ (XI 230/80; 1218/94) KW „Martina“ (XI 446/82; 61/87) KW „Weihrauch“ (XI 158/64; –) KW Carmen Michalke“ (XI 1229/80; 903/80) KW „Barbara“ (XI 69/86; –) KW „Wolfgang Kreuzberg“ (XI 163/68; 799/88) „Walter“ (XI 332/71; –) KW „Signal“ (XI 122/77; 665/94) KW „Marga“ (XI 197/88; –) KW „Wolfgang Lenz“ (XI 789/82; 814/88) KW „Landsberg“ (XVIII 3785/81; –) KW „Durst Egon“ (XI 17/70; 789/88) KO „Siedlung“ (XI 165/77; 1289/90) KW „Otto“ (XI 690/85; 168/94) KO „Maienluft“ (XI 434/85; –) KW „Egon Motz“ (XI 99/88; 617/90) TQ KW „August Hartel“ (XI 174/82; 934/90) Petersgärten Platz der Jugend Platz der Republik Puschkinplatz Puschkinstraße Regerstraße Robert-Blum-Straße Robert-Koch-Straße Rudolf-Breitscheid-Straße Saarbrückner Straße Schaubachstraße Scheideweg Schillerstraße Schloß Schlundgasse Schöne Aussicht Schwabenberg Schwedenstraße Spitalstraße Steinweg Stiefelgraben Straße der Befreiung Straße der DSF 1 KW „Depot“ (XI 599/87; 636/93) 1 KW „Werra“ (XI 560/84; 474/94) 2 KW „Adam Müller“ (XVIII 1039/66; –) KW „Frühling“ (XI 393/83; 1078/94) 1 KO „Burg“ (XI 157/89; 676/94) 4 KW „Gerhard Müller“ (XVIII 2725/82; –) KW „Perle“ (XI 828/88; 1901/94) KW „Willi“ (XI 740/82; 208/94) TQ 1 KW „Siegrid“ (XI 241/75; 856/90) 3 KW „Werra“ (XI 424/86; 1270/90) TQ KW „Nelke“ (XI 595/89; 650/94) 5 KW „Schlegel“ (IX 385/62; 283/93) KW „Taube“ (XI 461/88; 571/90) KW „Krebs“ (XI 528/87; 648/90) KW „Post“ (XI 790/87; 530/90) KW „Felix“ (XI 900/83; 1051/94) 8 TQ TQ „Sonntag“ (XI 15/65; 613/94) KW „Bergmann“ (XI 490/86; 1176/90) KW „Heinz“ (XI 566/85; –) KW „Chromat“ (XI 360/78; –) KW „Meier“ (XI 220/72; 2042/94) „Bettina“ (XI 313/70; 728/94) 2 KW „Schuster“ (XI 447/87; 782/90) KW „Eger“ (XI 217/76; 837/87) 1 KW „Depot“ (XI 293/80; 2029/94) 1 „Paradies“ (XI 17/77; 663/94) 1 KW „Werra“ (XI 614/86; 1270/94) 1 KW „Burg“ (XI 183/81; 1014/87) 2 „Unterkunft“ (XI 5/76; –) KW „Bund“ (XI 235/88; 670/94) 6 KW „Casino“ (XI 455/89; 769/90) KW „Horst“ (XI 45/82; –) KW „Rausch“ (XI 312/82; 1951/94) KW „Margret“ (XI 129/70; 1021/87) KW „Aussicht“ (XI 18/84; 1269/86) KW „Steffen“ (XI 231/84; 1277/94) 1 TQ 2 KW „Werra“ (XI 899/82; 908/88) KW „Adler“ (XI 491/78; 2010/94) 1 KW „Fröhlich“ (XVIII 485/88; –) 2 TQ KW „Baumschule“ (XI 832/85; 778/94) 1 KO „Club“ (XI 37/80; –) 2 KW „Alfred“ (XI 338/80; 1998/94) KW „Schmidt“ (XI 346/80; 2002/94) 6 KW „Ausblick“ (XI 490/89; 569/90) 69 Straße der Gesundheit 2 Straße des 7. Oktober 4 Tanzberg Untere Ecke Untere Kaplaneistraße 1 1 2 Ziegelhüttenstraße 1 KW „Carmen Michalke“ (XI 1229/80; 903/88) KW „Franz Schmidt“ (XI 554/87; 971/90) KW „Freund“ (XI 829/62; 614/94) KW „Sputnik“ (XVIII 2276/84; –) KW „Berg“ (XI 4/84; 826/94) KW „Signal“ (XI 5/84; 376/85) KW „Reise“ (XI 729/85; 768/94) KW „Salon“ (XI 296/89; 570/90) KW „Birke“ (XI 496/82; –) KW „Karl Merten“ (XI 271/76; 883/89) KW „Schloß“ (XI 101/79; 704/94) TQ „Schanze“ (XI 76/71; 713/94) KW „Konrad“ (XI 1719/61; 669/90) KW „Centrum“ (XI 542/83; –) KO „Frank“ (XI 905/80; 495/87) Naherholungsobjekte der Kreisdienststelle In einer aus dem Jahre 1980 stammenden Unterlage werden für die Kreisdienststelle einige „Objekte“ ausgewiesen, die der „Naherholung“ dienen sollten. Dabei handelt es sich um einen Bungalow „Helenenhöhe“, ein Blockhaus in Dreißigacker sowie zwei Bungalows in Römhild.331 Das Objekt „Römhild“ mit der Deckbezeichnung KO „Waldblick“ (XI 59/75) befand sich in der Nähe der Rindermastanlage, die an der Straße nach Römhild bzw. Hildburghausen lag.332 Im Keller befand sich eine Sauna. Umgehend, so Leiter Oberstleutnant Lang im Mai 1988, bedurfte es der Bereitstellung einiger Gegenstände. Er wünschte eine mechanische Schreibmaschine, damit das Referat „Sicherheitsüberprüfungen“ Berichte tippen konnte. Darüber hinaus orderte er zwanzig Hand- und Geschirrtücher, jeweils zwölf Bestecke und Wein-, Bier-, Schnaps- und Sektgläser, jeweils zehn Tischdecken und Badetücher sowie jeweils zwei Radios und GummiFußabtreter für die Dusche.333 Das Naherholungsobjekt „Dreißigacker“ befand sich in der Nähe der Straße nach Gleimershausen. Es bot vier Schlafräume, davon einen im Dachgeschoss, einen Aufenthaltsraum und eine Küche.334 331 332 333 334 70 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 191, Bd. 1, Bl. 126 f.; ebenda, KD Meiningen Nr. 1110. Vgl. ebenda, Bl. 130 f. Vgl. ebenda, Bl. 105. Vgl. ebenda, Bl. 128 f. Wo wohnten die hauptamtlichen Mitarbeiter? Irgendwo mussten auch die Mitarbeiter der Staatssicherheit in Meiningen wohnen. Die Staatssicherheit verfügte über Wohnungen, die an Dienststellen gebunden waren. Sie befanden sich in der Leninstraße und am Kalininring. In der Summe immerhin 51 Wohnungen. Die Kreisdienststelle beanspruchte davon lediglich 13 Wohnungen. In den anderen wohnten überwiegend Mitarbeiter der Passkontrolleinheiten, einzelne Mitarbeiter der Abteilung III oder XIX.335 7.7 IMB Nur wenigen IM gestattete die Staatssicherheit den direkten Kontakt zu „Feinden“. Das war den IMB vorbehalten. Sie galten als „Perle“ unter den inoffiziellen Mitarbeitern. Ihre Bezeichnung lautet korrekt: "IM der Abwehr mit Feindverbindung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen". Insgesamt gab es n der DDR zuletzt lediglich 3 894 von ihnen (insgesamt gab es 189 000 IM), im Bezirk Suhl 83. Für die Kreisdienststelle Meiningen werden im Schnitt etwa die bemerkenswert hohe Anzahl von acht IMB verzeichnet gewesen sein.336 Bei unseren Recherchen konnten wir für den Zeitraum von 1980 bis 1989 insgesamt 25 feststellen. Einige IMB ragen besonders heraus. Etwa der Arzt „Karl August“ (XI 62/78) in Wasungen,337 der Bundesbürger „Fleischmann“ (XI 17/79) aus Bad Neustadt (Saale),338 der Mitarbeiter der Staatlichen Versicherung Rhöngebiet mit dem Decknamen „Egon“ (XI 13/71).339 Ferner die Musikerin am Meininger Theater „Carmen“ (XI 760/88),340 der Rentner „Bergmann“ (XI 456/77) aus Kaltensundheim mit seinen Reisen ins westliche Grenzgebiet341 oder ein Mitarbeiter der Produktionsgenossenschaft Handwerk Grabfeldpforte mit dem Decknamen „Felix“ (XI 128/76).342 335 336 337 338 339 340 341 342 Vgl. ebenda, Bl. 109–111. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 821/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 856/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 516/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 842/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 717/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 394/88. 71 IMB „Peter Wittenberg“ (I 479/63) Der Chefarzt einer Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Meiningen ist als IMB „Peter Wittenberg“ verzeichnet. Im Jahre 1973 übernahm der damals 46-Jährige diese Funktion im Krankenhaus. Bis dahin hatte er als inoffizieller Mitarbeiter schon einige Erfahrungen sammeln können, wie seinen Berichten zu entnehmen ist, die er mit „Wittenberg“ unterzeichnet hat. Nach den Akten zu urteilen war er in Stralsund noch als Pflichtassistent geworben worden. Im Februar 1971 heißt es über ihn: „Der IM wurde nach dem Prinzip der ideologischen Überzeugung geworben. Er wurde mit dem Ziel der politisch-operativen Absicherung im Gesundheitsbereich geworben.“343 „Peter Wittenberg“ war bestätigter Reisekader, vor allem, weil er als „Mannschaftsbetreuer und internationaler Schiedsrichter im Hockeyverband der DDR“ aktiv war.344 Aus einer Konzeption aus dem April 1976 wird ersichtlich, welche Aufgaben ihm zugedacht waren: Er sollte bei dem Bürger „Tänzer“ den Charakter seiner Westkontakte feststellen, über „negative Verhaltensweisen im Chefarzt- und Oberarztbereich“ des Bezirkskrankenhauses berichten, die Ambulanz der Volkspolizei absichern und schließlich über „feindliche Handlungen gegen Angehörige der medizinischen Intelligenz des BKH [Bezirkskrankenhauses] Meiningen im Rahmen der PiD [politisch-ideologischen Diversion], der feindlichen Kontaktpolitik und des staatsfeindlichen Menschenhandels“ informieren.345 Sein Führungsoffizier Oberleutnant Frank Spörer zeigte sich, wie einem Bericht vom 6. September 1989 zu entnehmen ist, zufrieden mit seinem IMB „Peter Wittenberg“: Er „hat im Rahmen seiner langjährigen inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS nachgewiesen, dass er ehrlich und zuverlässig ist. Die ihm übertragenen Aufgaben realisiert er gewissenhaft und auftragsgemäß. Er besitzt eine hohe Treffdisziplin. Der IMB wurde in der Vergangenheit wiederholt im Operationsgebiet zum Einsatz gebracht. Dabei beachtete er konsequent die ihm vorgegebene Verhaltenslinie und Hinweise auf eine Dekonspiration konnten bisher nicht erarbeitet werden.“346 Tatsächlich werden sich nicht wenige Kollegen von IMB „Peter Wittenberg“ in dessen Akte wiederfinden. Zum Beispiel seine Sekretärin, über die er nach Aktenlage am 17. Februar 1977 ausführte: Seine Sekretärin hätte 343 344 345 346 72 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 514/94, Bd. I, Bl. 130. Vgl. ebenda, Bl. 149. Vgl. ebenda, Bl. 166 und168. Vgl. ebenda, Bl. 405. „sich bereits mehrmals bei ihm erkundigt, wer denn der Herr ‚Wittenberg’ wäre, der ihn immer persönlich zu sprechen wünsche. Er hätte eine Stimme und ein Verhalten wie ein Lehrer. Der IM bestätigte, dass es sich bei dem Anrufer um einen Lehrer handele, den er persönlich kenne.“ Tatsächlich meldete sich sein Führungsoffizier mit seinem Decknamen an, weshalb der IM vorschlug, fortan diesen Namen nicht weiter zu verwenden.347 Bei einer Privatreise nach Frankfurt/Main im Sommer 1989 erhielt er einen komplexen Auftrag, bei dem er nicht nur den „Ablauf beim Empfang des Begrüßungsgeldes“ beschreiben, sondern auch die Gäste bei der Familienfeier feststellen sollte. Die letzten Treffen mit dem IM fanden ausweislich der Akte am 16. und 18. Oktober 1989 statt: Das Ärztekollektiv, so „Wittenberg“, akzeptiere nicht den Wechsel zu Egon Krenz. Man hatte sich vielmehr jemanden mit großer Ausstrahlungskraft gewünscht.348 IMB „Felix“ (XI 128/76) „Felix“ war 61 Jahre alt und Rentner als er 1971 für die Staatssicherheit verpflichtet wurde. Ausgangspunkt für seinen Führungsoffizier Leutnant Waldemar Sauer war die Möglichkeit in die Bundesrepublik reisen zu dürfen sowie seine Verwandtschaft in Mellrichstadt, Münnerstadt, Mühlfeld und Gingen. Er sollte als Kurier in den Westen genutzt werden. Doch daraus wurde zunächst nichts.349 Der Vorgang ruhte, bis ihn drei Jahre später Waldemar Sauer, nun zum Hauptmann befördert, wieder aufgriff. „Felix“ sollte im westlichen Grenzvorfeld spionieren, um die „operative Basis“ der Kreisdienststelle zu erweitern.350 Bei einer Reise im Dezember 1981 sollte „Felix“ das Meinungsbild zum Besuch des sowjetischen Parteiführers Breschnew im Grenzvorfeld in Erfahrung bringen. Außerdem sollte er für die Sekretärinnen der Kreisdienststelle „Tipp-Ex“ mitbringen, wozu ihm „Westgeld“ ausgehändigt wurde. Als ihn bei der Ausreise die DDRZollkontrolle ansprach, erzählte „Felix“ unglücklicherweise, dass er „Westgeld“ von einem Hauptmann des MfS erhalten habe, um „Tipp-Ex“ und „kosmetische Artikel“ einzukaufen.351 Hauptmann Waldemar Sauer räumte diesen Auftrag ein – und „Felix“ reiste weiter in den Westen. Seine Tätigkeiten und seine Reisen endeten erst mit seinem Tod im Jahr 1988.352 347 348 349 350 351 352 Vgl. ebenda, Teil I, Bl. 189. Vgl. ebenda, Teil II, Bl. 109 f. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 394/88, Teil I, Bl. 101. Vgl. ebenda, Bl. 107. Vgl. ebenda, Bl. 120. Vgl. ebenda, Bl. 252. 73 IMB „Egon“ (XI 13/71) „Egon“ war mit einem jungen Mann befreundet, der einen Antrag auf ständige Ausreise aus der DDR gestellt hatte. Sein Führungsoffizier Josef Placht bat ihn im März 1977, einen „positiven Einfluss“ auszuüben, damit der Freund C. den Übersiedlungsantrag zurückzieht. „Der IM soll dabei dem … mitteilen, dass er in der BRD auf Grund der derzeitigen Situation nur Ungewissheiten zu erwarten hat. In der DDR dagegen hätte er eine gesicherte Perspektive und bei entsprechenden Leistungen würde er auch wieder eine Tätigkeit erhalten, welche ihm zusagt und er eine bessere Bezahlung erhält.“353 In den nächsten vierzehn Tagen kam es zu drei Begegnungen, jeweils im Stadtcafé in Meiningen, ohne den gewünschten Erfolg.354 Beim nächsten Treffen mit „Egon“ hieß es: „Im Zusammenhang mit dem Auftrag C. wurde dem IM erläutert, mit welchen Methoden der Feind ständig versucht unsere Bürger zu beeinflussen. An Beispielen wurde ihm erklärt, wie dieses erfolgt, und dass dieses ein Bestandteil der Politik des Imperialismus ist.“355 Da seinem Freund C. aus Mehmels einige Offerten zur Verbesserung der Arbeitssituation in Aussicht gestellt wurden, verflog die Absicht auszureisen zusehends.356 IMB „Bergmann“ (XI 456/77) Rentner „Bergmann“ (Jg. 1933) aus Kaltensundheim sollte sich auf den bayerischen Verein „Rhönclub“ spezialisieren. „Der IM ‚Bergmann’ ist zielgerichtet zur Bearbeitung des OV ‚Silberdistel’ eingesetzt. Er hat mehrfach Einsätze im westlichen Grenzvorfeld durchgeführt und operativ-bedeutsame Informationen zum ‚Rhönclub’, insbesondere der Zweigvereine Osteheim, Mellrichstadt, erarbeitet. Dabei hat er Kontakte zu führenden Funktionären und Mitgliedern dieser revanchistischen Organisation hergestellt und Voraussetzungen zum weiteren Ausbau dieser Verbindungen geschaffen.“357 So fuhr „Bergmann“ regelmäßig auf Staatskosten mit seinem privaten Fahrzeug über die Grenzübergangsstelle Meiningen in den Westen, besuchte seinen Bruder – zuletzt laut Plan vom 9. bis 11. November 1989 – und beschaffte Informationen. Er hatte zahlreiche Kontakte zu Mit353 354 355 356 357 74 Vgl. BSTU, MfS, BV Suhl, AIM 516/94, Teil II, Bl. 303. Vgl. ebenda, Bl. 308. Vgl. ebenda, Bl. 310. Vgl. ebenda, Bl. 312. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 717/94, Teil I, Bl. 6. gliedern des „Rhönclubs“ bis hin zu dessen Präsidentin. Seine Arbeitsergebnisse „bildeten eine wesentliche Grundlage für die offensive Bearbeitung“ des „Rhönclubs“.358 IMB „Carmen“ (XI 760/88) Die Geigerin am Meininger Theater, „Carmen“, hatte sich mit einem amerikanischen Staatsbürger zu befassen, der im OV „Karneval“ (XI 331/83) wegen Spionageverdachts „bearbeitet“ wurde.359 Sie war Gattin des Wasunger Arztes, IMB „Karl August (XI 62/78), der sich schon länger mit dieser Frage auseinandergesetzt hat.360 Doch von der gut zehn Jahre währenden Kooperation ihres Mannes mit der Kreisdienststelle hatte sie – wie es in der Akte heißt – keine Kenntnis.361 Sie sollte sich ausschließlich mit dem OV „Karneval“, einem Übersetzer, befassen – und erst danach sollte die Entscheidung gefasst werden, ob die Kooperation fortgesetzt wird.362 In ihrer vom 24. August 1988 datierenden „Erklärung“ heißt es: „Ich … wurde heute von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit entsprechend des Wunsches meines Mannes darüber informiert, dass dieser Kontakt zum Ministerium für Staatssicherheit hat und dieses Organ bei der Lösung von Aufgaben, die der Sicherung des Friedens dienen, unterstützt. Dagegen gibt es meinerseits keine Einwände. Mit ist auch klar, dass er damit einer guten Sache dient. Über das heute geführte Gespräch mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit und möglicherweise weitere, die sich noch notwendig machen, werde ich gegenüber jedermann, auch gegenüber meinen engsten Verwandten, Bekannten, Freunden und auch Bürgern der BRD strengstes Stillschweigen bewahren. Bei Offenbarung würde ich mich selbst als auch meinen Ehemann einer Gefahr aussetzen. Ich erkläre auch meine Bereitschaft, entsprechend meinen Möglichkeiten meinen Ehemann bei bestimmten ihm übertragenen Aufgaben durch das Ministerium für Staatssicherheit zu unterstützen.“ Es folgt die Unterschrift.363 Im Dezember 1988 fasste die Kreisdienststelle die bisherige Kooperation so zusammen: „Im Ergebnis der bisher mit ‚Carmen’ durchgeführten Kontaktgespräche und Treffs kann eingeschätzt werden, dass sie konsequent 358 359 360 361 362 363 Vgl. ebenda, Bl. 402; ebenda, Teil II, Bd. 2, Bl. 77. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 842/94, Teil I, Bl. 7 und 243–265. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 821/94. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 842/94, Teil I, Bl. 9. Vgl. ebenda, Bl. 13. Vgl. ebenda, Bl. 51. 75 die ihr vorgetragene Verhaltenslinie beachtet und übertragene Aufgabenstellungen im Rahmen der Bearbeitung … mit einer hohen Einsatzbereitschaft erfüllt. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang die durch ‚Carmen’ erarbeiteten operativ bedeutsamen Hinweise zu ‚Karneval’ während ihres ersten Einsatzes im Operationsgebiet – im November 1988 – hervorzuheben.“364 Das Ehepaar „Karl August“ und „Carmen“ reiste zu „Karneval“ im September 1989 nach Hessen, um Näheres über ihn in Erfahrung zu bringen.365 IMB „Fleischmann“ (XI 17/79) Der gebürtige Ostheimer „Fleischmann“ (Jg. 1917) lebte in Bad Neustadt (Saale). Im Januar 1979 geriet er ins Visier der Kreisdienststelle Meiningen,366 weil im „westlichen Grenzvorfeld“ ein IM-Netz entstehen sollte.367 Das IM-Ehepaar „Ludwig“ (XI 230/78) – er war Fleischer in Meiningen – sollte den Kontakt zum Vater von „Fleischmann“ intensivieren.368 Bei einer Einreise „Fleischmanns“ in Meiningen nahm Hauptmann Josef Placht den Gesprächskontakt auf, den das IMS-Ehepaar „Ludwig“ ermöglicht hatte.369 Zu einer Werbung soll es am 25. November 1980 gekommen sein. In der Akte heißt es: „Seit der Werbung nahm er eine positive Entwicklung, … und zeigt Bereitschaft, unser Organ bei der Lösung übertragener Aufgaben zu unterstützen. Durch ihn konnten vor allem operativ relevante Informationen zu Plänen und Absichten von revanchistischen Organisationen, insbesondere des ‚Rhönclubs’, erarbeitet werden. Er belastet Personen. Seine Berichterstattung trägt nach bisherigen Überprüfungen objektiven Charakter.“370 Major Oswald Prosch beantragte für ihn 1980 300 DM, 1981 und 1982 jeweils 200 DM.371 Dem „M.f.S.“ quittierte „Fleischmann“ den Empfang.372 Bis zum Februar 1989 ist eine regelmäßige, wenn auch mündliche Berichterstattung zum „Rhönclub“ belegt.373 364 365 366 367 368 369 370 371 372 373 76 Vgl. ebenda, Bl. 129. Vgl. ebenda, Bl. 118. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM 856/94, Teil I, Bl. 5. Vgl. ebenda, Bl. 10. Vgl. ebenda, Bl. 14 und 20. Vgl. ebenda, Bl. 89 und 92. Vgl. ebenda, Bl. 133. Vgl. ebenda, Bl. 139. Vgl. ebenda, Bl. 138 und 140. Vgl. ebenda, Teil II. IMB „Hans“ (XI 656/83) Bis Februar 1984, als er in die Bundesrepublik übersiedelte, war „Hans“ (Jg. 1923) Fuhrparkleiter. Im Mai 1986 trat die Staatssicherheit an ihn anlässlich eines Verwandtenbesuchs in der DDR heran. „Hans“ wohnte seinerzeit in Schweinfurt, später in Ingolstadt. In einem zusammenfassenden Bericht heißt es im Februar 1989: „Der IMB realisierte entsprechend seiner Möglichkeiten die ihm übertragenen Aufgaben im westlichen Grenzvorfeld. Die Aufklärung der Dienststelle des US-GD [amerikanischen Geheimdienstes] in Bad Neustadt stand hierbei im Mittelpunkt.“374 Dies ließ sich die Kreisdienststelle etwas kosten. Im November 1987 stellte sie dafür 350 DM ein.375 374 375 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AIM; 680/89, Teil I, Bl. 251. Vgl. ebenda, Teil II, Bl. 36. 77 8 „Bearbeitete“ Bürger 8.1 „Negative Konzentrationen“ Die Kreisdienststelle Meiningen erstellte eine Übersicht über „negative Konzentrationen“ im Kreis. Sie ging dabei von 212 Bürgern aus, von denen fünfzig in 15 „negativen Gruppierungen“ aktiv sein würden. Für die Stadt Meiningen ermittelte sie acht solcher Gruppen mit 25 Personen sowie 85 Einzelpersonen, für Wasungen sechs Gruppen mit 23 Personen sowie 53 Einzelpersonen. Ansonsten wurden noch für Neubrunn vier, Römhild und Kaltenwestheim mit jeweils drei Personen verzeichnet.376 Gleichfalls ermittelte die Kreisdienststelle mögliche Stellen an der Grenze, wo „gegnerische Kräfte“ eingeschleust werden konnten. Sie führte zwölf auf; wie Weidbach, Staufelsberg, Huflarer Wald, Schmerbach, oder die Flussläufe bei Milz und Beigraben.377 Außerdem listete sie „mögliche Räume für subversive Handlungen“, darunter beispielsweise die Waldmassive links und rechts der Werra, nördlich Frankenheim oder nördlich WahnsMehmels-Walldorf.378 Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren führte die Kreisdienststelle Listen über Personen, die ehemals in der Sowjetunion interniert waren und im Kreis Meiningen lebten.379 8.2 Vorbereitungen für den Spannungsfall Im Falle einer Spannungsperiode sollten Bürger der DDR besonders kontrolliert werden. Im Dezember 1988 waren vom MfS insgesamt 85 939 Personen erfasst, die nach fünf Kategorien (Kennziffern – KZ) differenziert wurden. Mit solchen Aufgaben war auch die Kreisdienststelle Meiningen befasst.380 KZ 4.1.1: Diese Personen sollten inhaftiert werden. DDR-weit betraf dies 2 955 Personen, im Kreis Meiningen betraf dies zwei Personen – eine aus 376 377 378 379 380 78 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 1105, o. Pag. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 3–6. Zu diesem Komplex sind Sicherungsprotokolle für "zentrale Objekte", insbesondere die Brücken über die Werra bei Untermaßfeld, in Walldorf und bei Leutersdorf, die Brücke über den Bauernbach in Obermaßfeld und Grimmenthal zu zählen. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1078. Diese Angaben sind einem Arbeitsbuch entnommen, das vermutlich vom Leiter der Kreisdienststelle geführt wurde. Daraus entstammen die im Folgenden genannten Angaben, die zeitlich nicht sicher einzuordnen sind; die 1980er Jahre sind jedoch anzunehmen. Vgl. BStU, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1105, o. Pag. der Stadt Meiningen (Jg. 1940), eine weitere aus Dreißigacker (Jg. 1952). Diese beiden galten als „potentielle Kräfte des Gegners“. KZ 4.1.3: Personen mit diesem Merkmal sollten in ein Isolierungslager verbracht werden. DDR-weit betraf dies 10.726 Personen, im Kreis Meiningen 17 Personen. Davon lebten sieben in Meiningen, je zwei in Mehmels und Rippershausen, und jeweils eine in Wahns, Obermaßfeld, Wasungen, Stepfershausen, Kaltensundheim und Untermaßfeld. Der älteste zu isolierende Bürger war am 19. März 1915, die jüngste am 12. September 1958 geboren. Nicht nur die Kreisdienststelle sollte ein Isolierungslager unterhalten. Weniger bekannt ist, dass auch das Volkspolizeikreisamt ein Lager einrichten soll. Das MfS bezeichnete es als “Internierungslager“. Es sollte im Klubhaus der Eisenbahner in Meiningen eingerichtet werden. Im Falle einer Spannungsperiode sollten Mobilmachungspunkte aufgesucht werden. Die Mitarbeiter der Kreisdienststelle hatten sich im Haus des Handwerks in Meiningen einzufinden, die VPKA-Sicherungseinheit im Volkshaus in Meiningen, das VPKA selbst in der Baracke der Abteilung VK in der Meininger Leipziger Straße. Naheliegend sollte sich die 13. VPBereitschaft in der Drachenbergkaserne aufhalten. Ebenfalls in diesem Zusammenhang untersuchte die Kreisdienststelle mögliche „Unterschlupf- und Versteckmöglichkeiten“ und ermittelte 310, wobei Meiningen, Wasungen und Römhild Schwerpunkte bildeten. Sollte die Grenzübergangsstelle geschlossen werden, sollten die Fahrzeuge auf dem Sportplatz in Wahns, Bürger im Tanzsaal der Gaststätte in Wahns konzentriert werden. Hauptaufgabe der Kreisdienststelle war die „Verbindungsaufnahme und Aufrechterhaltung der inoffiziellen und offiziellen Verbindungen“ sowie die „Herstellung weiterer inoffizieller Verbindungen zu ausgewählten Kräften“ und die „Sicherstellung der Informationstätigkeit“. Dazu gehörten Festnahmen und die „Ablösung von unzuverlässigen Kadern, Einsetzung vorbereiteter Kader“. Im „Verteidigungszustand“ sollte mit 180 IM weiter gearbeitet werden. Im Falle eines westlichen Angriffes sollten sich 26 IM „überrollen“ lassen, mit ihnen sollte im Kriegszustand weitergearbeitet werden.381 8.3 Operative Personenkontrollen Die Anzahl der Bürger im Kreis Meiningen, die von der Staatssicherheit in „Operativen Personenkontrollen“ „bearbeitet“ wurden, stieg an. Im Juni 381 Vgl. ebenda. 79 1989 hatte sie sich mit vierzig beinahe verdoppelt. Manch ein Bürger – in den letzten Jahren bis zu drei – stand zu diesem Zeitpunkt bereits über vier Jahre unter Beobachtung; neun von ihnen galt die Aufmerksamkeit der Kreisdienststelle zwischen zwei und vier Jahren.382 Die Akten geben Auskunft darüber, was die Staatssicherheit dazu motivierte. An erster Stelle stand in den 1980er Jahren die „vorbeugende Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch Übersiedlungsersuchende sowie Personen, die Liebesverhältnisse mit BRD-Bürgern unterhalten“. Schon deutlich nachgeordnet war die Prüfung, ob Bürger Kontakt mit westlichen Nachrichtendiensten unterhielten oder ihre Befugnisse beim Grenzverkehr überschritten hatten.383 Mit nachrichtendienstlichen Kontakten ist hier gemeint, das Bundesbürger Verwandte in Meiningen aufsuchten, die in der Nähe militärischer Einrichtungen der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland wohnten. Erst gegen Ende der DDR trat ein weiteres Motiv zunehmend mehr in den Mittelpunkt: Die „Klärung des Charakters von PUT-Kontakten durch kirchliche Personenkreise“.384 Die gesellschaftliche Unruhe, die teils Schutz unter den Kirchendächern fand, hielt auch in Meiningen ihren Einzug. Im Kern hatte die Meininger Staatssicherheit jedoch nur zwei Entwicklungen im Auge: Die aufkeimende Protestbewegung und die Zunahme von Ausreisewünschen aus der DDR. Das musste auch Wolfgang Gläser erfahren. Als seine Eltern von einer Besuchsreise nach West-Berlin nicht zurückkehrten, musste der Offizier aus der Nationalen Volksarmee ausscheiden. Erst durch die Akteneinsicht Jahre später "habe ich begriffen, warum ich zehn Jahre lang ständig im Visier der Stasi war". Im Juli 1987 stellten er und seine Familie einen Ausreiseantrag, der dann 1988 genehmigt wurde.385 Zur Beobachtung der "Antragssteller für Ausreise" setzte die Kreisdienststelle einen beachtlichen Teil ihres IM-Netzes ein. Und der stieg in den letzten Jahren an. Waren es im Juni 1987 noch 64 IM/GMS, die auf in einer OPK „bearbeiteten“ Bürger angesetzt waren, so stieg dieser in den nächsten zwei Jahren auf 99 IM/GMS an (vgl. Tabelle 10). Mithin war zwar bald jeder vierte IM/GMS der Kreisdienststelle damit befasst, doch die Nachrichtenlage nahm dennoch nicht zu. Im Gegenteil: Entfielen im Juni 1987 noch gut zehn Berichte auf eine OPK, waren es zwei Jahre spä382 383 384 385 80 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 750, Bl. 77. Vgl. ebenda, Bl. 80 und 90. Vgl. ebenda, Bl. 99 und 106. Vgl. Mittelung von Wolfgang Gläser vom 4. Dezember 2011. Vgl. ferner BStU, MfS, BV Suhl, BKG, ZMA Nr. 1156; ebenda, AOPK Nr. 23/89; ebenda, AKG, ZMA Nr. 1709; ebenda, KD Bad Salzungen, SMAS 5205. ter nur noch vier Berichte. Ist etwa anzunehmen, dass mit zunehmendem Unbehagen in der Gesellschaft auch die Berichtsleidenschaft von IM abnahm? – Zumindest, was die Berichte über den in OPK „bearbeiteten“ Bürger betraf, scheint es zumindest so, denn auch in anderen Berichtsfeldern ist zuletzt ein Rückgang zu verzeichnen. Tabelle 10 Operative Personenkontrollen der KD Meiningen (1987–1989) 386 1.1.–30.6.1987 1.1.–30.6.1988 OPK 27 27 IM an OPK 67 65 IM-Berichte zu OPK 261 147 8.4 1.1.–30.6.1989 40 99 174 „Wer ist wer?“ Auch die Kreisdienststelle in Meiningen war bemüht, möglichst umfangreich über die Bürger des Kreises unterrichtet zu werden – vollständig unabhängig davon, ob gegen sie etwas vorlag oder nicht. Dies lässt sich mit dem Informationsaufkommen belegen, das auf den „Kerblochkarten“ (KK) und der „Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei“ (VSH) vermerkt wurde. Das jährlich in Karteien verzeichnete und von IM beschaffte Informationsaufkommen lag bei gut 2 600 Informationen. Bezogen auf die rund 69 000 Einwohner des Kreises Meiningen im Dezember 1989 bedeutet dies, dass im mathematischen Mittel jährlich zu jedem 26. Bürger Daten zusammengetragen wurden. Es bedarf nicht viel Phantasie für die Annahme, dass über vierzig Jahre hinweg, besonders jedoch in den 1980er Jahren, weit über die Hälfte der Einwohner des Kreises Meiningen auf Karteikarten bei der Staatssicherheit erfasst waren – Karteikarten, die jedoch weithin vernichtet worden sind. Überliefert sind große Stapel an Karteikarten mit Kurzpersonalien, ohne weitere Informationen zu den Personen.387 Diese Vorgehensweise darf als Hinweis gesehen werden, dass die Kreisdienstelle umfassend informiert sein wollte. Tabelle 11 Das auf Karteien erfasste Informationsaufkommen der IM der KD Meiningen (1987–1989) 388 1.1.–30.6.1987 1.1.–30.6.1988 1.1.–30.6.1989 In der KK 302 290 267 In der VSH 1091 1070 905 386 387 388 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 750, Bl. 74–115. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 1153–1156. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 750, Bl. 74–115. 81 8.5 Operative Vorgänge Die Kreisdienststelle Meiningen führte in den letzten Jahren ihrer operativen Arbeit etwa neun „Operativen Vorgänge“ (OV). Das konnte lediglich eine Person treffen oder gleich ein Dutzend wie im OV „Zentrum“. Im Vorgang „Zentrum“ wurde gegen zwei Personen ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet, gegen sieben weitere „vorbeugende Maßnahmen durchgeführt“ und bei weiteren drei Personen wusste die Kreisdienststelle nicht, wie sie weiter ermitteln sollte. Letztlich konnten neun der zwölf im Frühjahr 1989 in die Bundesrepublik übersiedeln. Im Schnitt setzte die Kreisdienststelle auf einen „Operativen Vorgang“ zwei bis drei inoffizielle Mitarbeiter an. Wie schon bei den „Operativen Personenkontrollen“, so ist auch bei den „Operativen Vorgängen“ ein Rückgang der Informationslieferungen von IM zu verzeichnen. Entfielen von Januar bis Juni 1987 noch 23 Berichte von IM auf einen „Operativen Vorgang“, waren es zwei Jahre später für diesen Zeitraum nur noch die Hälfte (11). Tabelle 12 Operative Vorgänge der KD Meiningen (1987–1989)389 1.1.–30.6.1987 1.1.–30.6.1988 1.1.–30.6.1989 OV 9 8 10 OV, IM angesetzt 19 24 22 IM-Berichte zu OV 205 172 110 In den 1970er und 1980er Jahren überwog in der Einleitung von Operativen Vorgängen eindeutig der „Straftatbestand“ § 213. Damit war der geplante „ungesetzliche Grenzübertritt“ gemeint (vgl. Tabelle 13). Tabelle 13 Vermutete „Straftatbestände“ bei Operativen Vorgängen der Kreisdienststelle (1987–1989) Beginn Ende Vorgang „Straftatbestand“ Folgen 1987 OV „Absicht“ § 213 StGB ohne Haft 1987 OV „Steiger“ § 213 StGB ohne Haft 1987 OV Chamäleon“ § 213 StGB 1987 OV „Zentrum“ § 214, 220 StGB EV mit Haft (2 Personen) 1987 OV „Handballer“ § 213 StGB „Zersetzung des Liebesverhältnisses“ 1987 OV „Blender“ § 245 StGB wegen Geringfügigkeit eingestellt 1987 OV „Hüter“ „Zurückdrängung des ÜSE“ 1987 OV „Trennung“ § 213 StGB wegen Umzugs eingestellt 1987 OV „Sonne“ § 213, 214, 220 389 82 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, BdL Nr. 750, Bl. 74–115. 1987 1988 1988 1988 OV „Rhönkunst“ OV „Anze“390 OV „Gewalt“ 1988 OV „Hai“ 1988 1988 1988 OV „Schädling“ OV „Karneval“ OV „Koordinator“ 1988 1989 OV „Schmierer“ OV „Simson“ StGB § 185 StGB § 213, 225 StGB § 217 a StGB § 219 StGB EV ohne Haft; EV eingestellt EV mit Haft in die Bundesrepublik übergesiedelt § 185 StGB § 97 StGB § 132, 213, 214 StGB § 217 a StGB §§ 213, 214, 220 StGB Vorlauf-Operativ „Rheingold“ (XI 177/69) Im August 1969 vermutete der damalige Oberfeldwebel Horst Liborius eine Straftat nach § 213 StGB. Er hegte den Verdacht, dass ein Zahnarzt mit seiner Geliebten die DDR im August 1969 nach Bulgarien verlassen wolle. Er schloss nicht aus, dass sie sich gefälschte Papiere beschafft haben könnten. Beide hätten sich wiederholt mit Bundesbürgern auf der Transitstrecke getroffen. Er legte den Vorgang „Rheingold“ an.391 Die Angaben beruhten auf einen Bericht des IMB „Müller“.392 Vier Jahre ging die Kreisdienststelle diesem Hinweis nach, setzte zahlreiche IM auf die beiden Bürger an, untersuchte Stück für Stück deren bisherigen Lebensweg, schaltete mehrere Diensteinheiten der Staatssicherheit ein – und stellte nach rund 900 Seiten im März 1973 fest: „Die Bearbeitung ergab, dass die Personen keine strafbaren Handlungen im Sinne des § 213 StGB begangen haben.“393 OV „Schuldner“ Eine Ehe war in der Krise. Die Ehefrau wollte zu einer Verwandten in die Bundesrepublik ziehen. Sie plante, ihre Mutter wegen einer „dringenden familiären Angelegenheit“ zu besuchen und dort zu bleiben. Sollte das nicht gelingen, beabsichtigte sie, einen Ausreiseantrag zu stellen. In einem Gespräch äußerte der Ehemann: „Kann sein, ich gehe illegal. Es sei dahingestellt, ob ich es schaffe oder nicht. Es kann nicht sein, dass man jahre- 390 391 392 393 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1159. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, A-Op. 346/73, Bd. 1, Bl. 6. Vgl. ebenda, Bl. 8. Vgl. ebenda, Bd. 3, Bl. 295. 83 lang darauf wartet.“ Maßnahmen der Kreisdienststelle: Weitere „operative Bearbeitung“.394 OV „Zentrum“ Ein Mitarbeiter des VEB Katzhütte und seine Ehefrau hatten einen Ausreiseantrag gestellt. Es fanden Aussprachen statt, aber das Ehepaar ließ sich nicht beirren. Maßnahmen der Kreisdienststelle: Weitere „operative Beobachtung“.395 OV „Sonne“ Eine junge Frau hatte einen Ausreiseantrag gestellt, auf dem sie beharrte. Sie sah „keine Perspektive mehr in der DDR. Sie fühle sich in ihrer Freiheit eingeengt“. Sie habe die Frage gestellt, „was ein Bürger überhaupt noch für Rechte habe. Weiterhin brachte sie zum Ausdruck, in der DDR darf man nur arbeiten, den Mund halten und alles schön finden.“ Maßnahmen der Kreisdienststelle: Weitere „operative Beobachtung“.396 394 395 396 84 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 199, Bl. 5 und 20. Vgl. ebenda, Bl. 20. Vgl. ebenda. 9 Das Ende Die Herbstrevolution in Meiningen hat Dr. Horst Strohbusch, selbst aktiv beteiligt, umfassend in der Publikation „Das Licht kam aus der Kirche – Die Wende in Meiningen 1989/90“ beschrieben.397 Aus diesem Grund wird hier lediglich dem Blickwinkel, wie er sich aus den Akten der Kreisdienststelle Meiningen ergibt, nachgegangen. In der Nacht vom 4. auf den 5. September 1989 wurden mit schwarzer Farbe auf Hauswänden in Meiningen Losungen wie „Reformen“, „Flickschusterei“, „Bildung statt Propaganda“ und „Verbessern“ geschrieben. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 1989 gab es weitere Losungen, diesmal in Rot: „Für freie Wahlen“, „Für ein freies Land mit freien Bürgern“ oder „Für eine unabhängige Presse“. Die Kreisdienststelle begann zu ermitteln.398 Spätestens im Oktober machte das „Neue Forum“ die Runde. Bürger trafen sich, um darüber zu diskutieren. Die Kreisdienststelle war informiert. Beispielsweise durch FIM „Tischler“, der von einem Bürgertreffen aus den Gemeinden Herpf, Obermaßfeld und Jüchsen in Untermaßfeld berichtete. Die Bürger trafen sich, um entsprechende Aktivitäten zu koordinieren. Mit dem „Hauptinitiator“, einem Lehrer der POS Jüchsen, hatte die Kreisdienststelle gar nicht gerechnet, er war bislang nicht einmal in einer Kartei erfasst.399 Die Stimmung in Meiningen wurde rauer. Resolutionen wurden in Schaukästen ausgehängt wie im Plattenwerk Walldorf am 10. Oktober 1989400 oder vervielfältigt wie von Schülern an der EOS Meiningen. Es kursierten Aufrufe, sich im Pfarrhaus in Meiningen am 24. Oktober 1989 zu treffen, um über das „Neue Forum“ zu diskutieren.401 Für den 19. November 1989 wollten zwei Meininger am 20. Oktober 1989 im Volkspolizeikreisamt eine Demonstration vom Meininger Theater bis zum Platz der Republik für 200 „Kulturschaffende“ anmelden. Die Antwort: „Durch den Genossen der Objektsicherung wurde ihnen mitgeteilt, dass gegenwärtig keine Sprechzeit in dieser Abteilung ist.“402 Doch die Ereignisse überschlugen sich. Am 24. Oktober 1989 fand das Friedensgebet in der 397 398 399 400 401 402 Die Publikation erschien im Börner PR Werbung & Druck GmbH in Meiningen 1999. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 3. Eine bemerkenswerte Rekonstruktion veröffentliche das „Meininger Tagblatt“ anlässlich des 10. Jahrestages in der Serie „Momente der Wende“ im November /Dezember 1999. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1,, Bl. 44. Vgl. ebenda, Bl. 54. Vgl. ebenda, Bl. 55. Vgl. ebenda, Bl. 65. 85 Stadtkirche Meiningen statt. Im Anschluss daran demonstrierten gut 1 000 Meininger, darunter nach Ansicht der Kreisdienststelle gut 800 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 25 Jahren403 – ganz ohne Genehmigung. Als der Demonstrationszug vor der Kreisdienststelle stand, hieß es: „Staaasi raus“, „Staaasi in die Produktion“, „Schämt euch was“ oder „wir müssen euer Geld verdienen“.404 Gut 100 brennende Kerzen wurden abgestellt. Die Kreisdienststelle versuchte die Demonstranten zu identifizieren: „Bisher wurden 11 Personen identifiziert, die am Demonstrationszug teilnahmen und sich aktiv beteiligten. Darunter befinden sich 2 Angestellte des Rates der Stadt Meiningen, eine Ärztin des BKH Meiningen sowie Personen, die mehrfach vorbestraft sind.“405 Die Macht erodierte. Mit Besorgnis registrierte die Kreisdienststelle inoffizielle Hinweise auf angekündigte Veranstaltungen wie die am 29. Oktober im Meininger Theater oder zwei Tage später in der Stadtkirche.406 Dort machte sich IM „Günter“ zu allen Beiträgen Notizen, etwa die: „Chirurg. Wohnt in Meiningen im Elternhaus, ist aber in Erfurt tätig. Er hat sich beschwert bzw. darüber aufgeregt, dass es keine Reisefreiheit gibt. Er zitierte Wilhelm Busch: 'Wie freut man sich im Wanderkittel, vorausgesetzt, man hat die Mittel.' Brachte zum Ausdruck, wenn die Funktionäre mit Westmark bezahlt werden, müssten auch die Arbeiter einen Teil bekommen.“407 Schließlich listete „Günter“ alle Personen auf, die er identifizieren konnte.408 In der Morgenberatung der Kreisdienststelle Meiningen vom 2. November 1989 heißt es: „Hauptproblem in Meiningen – müssen die finden, die die Unruhe in die Demonstrationen“ bringen.409 In diesen Tagen sollen Mitarbeiter in der Kreisdienststelle damit begonnen haben, aus den Akten Hinweise auf Post- und Telefonkontrollen zu entfernen.410 Morgenberatung am 6. November: „Bekannte Veranstaltungen in Meiningen, Wasungen, Jüchsen sind ohne Vorkommnisse verlaufen; in Wasungen ca. 900 Personen – wurde von der CDU-Ortsgruppe organisiert.“411 403 404 405 406 407 408 409 410 86 Vgl. ebenda, Bl. 70. Vgl. ebenda, Bl. 71. Vgl. ebenda, Bl. 72. Vgl. ebenda, Bl. 94. Vgl. ebenda, Bl. 111. Vgl. ebenda, Bl. 112. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, TVN 142, BStU, Sach 142, Karton 9, Mappe 420. Tatsächlich findet sich in den überlieferten Unterlagen ein beachtlicher Bestand an Briefen – teils kopiert, teils im Original – aus den Jahren zwischen 1961 bis 1989. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 976–1013. Für den 7. November 1989 verzeichnete die Kreisdienststelle schon 1 200 Personen in und vor der Stadtkirche,412 am 21. November waren es schon 900 Personen in der Stadtkirche, mit denen davor sogar 2 500 Personen.413 Morgenberatung am 8. November: „Telefonanruf auf der KD – ‚Schweinehunde’. … Friedensgebet Kirche Wasungen, in der Kirche 500 Personen, anschließende Demonstration 2 500 Personen.“414 Morgenberatung am 9. November: „Unsere Hauptaufgabe ist es, die IM bei der Stange zu halten.“415 Morgenberatung am 13. November: „IM-Arbeit bleibt nach wie vor bestehen, wir brauchen Stimmungen und Meinungen. … Aufhebung der Sperrzonen; Posten und Hunde am Dienst ins Haus“ der Kreisdienststelle.416 Morgenberatung am 15. November: „Freitag Gespräch mit Kirche durch 1. Kreissekretär; Eröffnung weiterer Grenzübergangsstellen.“417 Morgenberatung am 21. November: „Vorbereitung auf Demonstration nach dem Friedensgebet; KEL [Kreiseinsatzleitung]-Sitzung: Sekretariat zurückgetreten; bisher 655 Austritte aus SED.“ 418 Morgenberatung am 27. November: „Bestandsaufnahme IM, Mittwoch bzw. Donnerstag diskutieren über konzeptionelle Vorhaben. Ref[erats]L[ei]t[e]r. Gedanken machen, welche IM vorrangig zu beachten sind; Arbeit nach den jetzigen Aufgaben – Stimmungslage, insbesondere der Andersdenkenden; kein leichtfertiger Umgang mit IM.“ 419 Der Umbruch verunsicherte auch die IM. Als IMS „Andrea“ sich am 28. November 1989 mit ihrem Führungsoffizier Oberleutnant Reimund Wiets traf, berichtete sie von der Stadtverordnetenversammlung. Hier wurden Forderungen laut, „dass durch das MfS die Personen benannt werden, die für das MfS als Spitzel in den Betrieben arbeiten. Dabei sei der Vorschlag unterbreitetet worden, dieses Anliegen an den Leiter der Kreisdienststelle heranzutragen. In dem Bericht heißt es weiter: „Die sich darauf aufbauenden Bedenken seitens des IM bezüglich des Schutzes der Konspi411 412 413 414 415 416 417 418 419 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, TVN 142, BStU, Sach 142, Karton 9, Mappe 420. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl.153. Vgl. ebenda, Bd. 2, Bl. 34. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, TVN 142, BStU, Sach 142, Karton 9, Mappe 420. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda. 87 ration wurden entkräftet. Dem IMS wurde dargelegt, dass seine Konspiration durch den Unterzeichnenden gewährleistet wird. Der IMS selbst wird sich gleichfalls entsprechend dem vereinbarten Verbindungssystem verhalten und die Regeln der Konspiration strikt einhalten.“420 Morgenberatung am 30. November 1989: „Bildung einer Menschenkette am 3.12.89, 12.00 Uhr.“ 421 Auf einer Dienstbesprechung am 4. Dezember wurde festgelegt, dass die Kreisdienststellen, nun Kreisämter genannt, sich bis zum 20. Dezember aufzulösen hätten.422 Am gleichen Tag entdeckten vier Forstarbeiter im Waldgebiet von Neubrunn gegen 13 Uhr ein Feuer. Sie sahen zwei Personen, wie diese Akten verbrannten, teilte uns Jürgen Sando mit. Die Forstarbeiter vermuteten, hier würden Akten der Staatssicherheit verbrannt. Egon Bartholomeus und Roland Werner (beide Jüchsen), Bodo Rußwurm (Rentwertshausen) und Ulf Seidel (Haina) stellten sie zur Rede. Zugleich versuchten sie, die noch brauchbaren Papierstücke aus dem Feuer zu ziehen. Dabei handelte es sich um Quittungen für ausgegebene Operativgelder, deren Beträge von vier bis 1 990 Mark reichten. Am nächsten Tag stellte Jürgen Sando Anzeige bei der Kriminalpolizei in Meiningen wegen Brandstiftung. Noch am Nachmittag suchten Dr. Gerhard Victor, Ulrich Töpfer und Karl-Heinz Busch gemeinsam mit zwei Staatsanwälten die Kreisdienststelle in der ErnstThälmann-Straße auf, durchsuchten die Räume und ließen die Räume versiegeln. „Wir kamen zu spät, fanden lauter Säcke mit geschnipselten Unterlagen vor.“ Als am 12. Dezember 1989 die Unterlagen nach Suhl gebracht werden sollten, zeigte sich, dass die Siegel aufgebrochen waren – die Waffenkammer war leer. Verblieben waren 48 Schlagstöcke.423 Was mag in den Köpfen der Mitarbeiter der Kreisdienststelle im November vor sich gegangen sein? Einen Einblick gibt ein Hauptmann der Kreisdienststelle, der sich in einem Schreiben am 2. November 1989 an den Minister für Staatssicherheit gewandt hat. „Werter Genosse Minister! Gestatten Sie mir, auf diesem auch für mich bisher ungewöhnlichen Wege, meine Haltung als Genosse und stolzer Mitarbeiter des Ministeriums für 420 421 422 423 88 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 1145, Bd. 2, Bl. 58. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, Bl. 70. Vgl. Schreiben von Jürgen Sando an die Autoren vom 7. November 2011. Staatssicherheit zur gegenwärtigen Situation in unserer Republik darzulegen. … Leider wurde mein Vertrauen in unsere Partei und auch unser Organ in den letzten 14 Tagen mehrfach auf Grund persönlicher Erlebnisse und Zwischenfälle erschüttert. … In der Nacht vom 12. zum 13.10.1989 randalierten erstmals 7 Personen vor dem Wohnhaus meines Vaters (er ist seit 1953 inoffizieller Mitarbeiter unseres Organs und seit 1971 als hauptamtlicher IM der KD Meiningen tätig; meine Mutter ist langjähriges Mitglied der SED und gehört der OPOLeitung in ihrem Wohnort an; eine Schwester von mir und deren Ehemann sind Mitarbeiter des MfS Berlin; mein Bruder wurde im August 1989 zur WSE [Wachschutzeinheit] der BV Suhl berufen) und brüllten dort Parolen wie ‚Stasi raus’ und dergleichen mehr. Am 31.10.1989 hing dann ein Plakat mit der Aufschrift „Stasi in die Produktion“ am Gartenzaun des Grundstücks meiner Eltern. Die Randalierer vom 12.10.1989 konnten ermittelt werden, es wurden jedoch im Ergebnis zentraler Entscheidungen keine strafrechtlichen Konsequenzen eingeleitet. Meine andere Schwester, die Mitarbeiter des Rates der Stadt Wasungen und ebenfalls Genossin ist, wurde bereits mehrfach mit ‚rotes Schwein’, ‚Spitzel’ u. a. beleidigenden Worten betitelt. Sowohl meine Mutter als auch meine Schwester brachten mir gegenüber ihre Angst zum Ausdruck, in den Abendstunden allein das Haus zu verlassen. Dies in unserer Republik … Am 24.10.1989 fand dann erstmals eine nichtgenehmigte Demonstration in Meiningen statt. Hier wurde ich persönlich zum ersten Mal schmerzlich mit der gegenwärtigen Situation und dem Haß einiger Personen auf unser Organ konfrontiert. Vor unserem Dienstobjekt wurden Kerzen abgestellt und Parolen wie ‚Staasi raus’, ‚Staasi in die Produktion’ und dergleichen mehr gebrüllt. Diese Parolen fassen ich und auch zahlreiche Mitarbeiter unserer Diensteinheit als Verleumdung und Diffamierung unserer politisch-operativen Arbeit auf, denn dafür habe ich nicht bisher fast 16 Jahre meinen Dienst im MfS versehen. Am 31.10.1989 dann das gleiche ‚Schauspiel’, nur unter Teilnahme wesentlich mehr Personen als am 24.10.1989. ‚Wir verdienen Euer Geld’, ‚Wo seid Ihr denn?’, ‚Macht das Licht an’, „Staasi in die Volkswirtschaft“. Zwar wurde die Parole ‚Aufhängen’ nur durch Einzelne gebrüllt, aber wie viele werden es bei der nächsten Demonstration am 7.11.1989 sein? Wir dagegen müssen Ruhe bewahren und es wird Besonnenheit gefordert. Doch jeder, der ehrlich und gewissenhaft für unsere Sache arbeitet, emp89 findet Abscheu und Wut gegen solche Handlungsweisen. Und das für mich Traurige und Unverständliche hierbei ist, dass weder die Partei noch unser Organ offiziell und konsequent in den Medien dieser Hetze eine entscheidende Abfuhr erteilen. Aus meinem Blickwinkel erscheint es mir sogar so, dass wir uns immer weiter in die Defensive drängen lassen und lediglich auf die Ereignisse reagieren, anstatt selbst in die Offensive zu gehen. Auch gibt es hierzu in meiner eigenen Familie viele Fragen und wenig Antworten und auch meine Frau (sie ist ehrenamtlicher Parteisekretär) hat zunehmend Angst, dass sich die Lage im Innern der DDR weiter zuspitzt und sich die Angriffe auf unser Organ weiter eskalieren.“424 Man kann diesen Brief in einen Satz zusammenfassen: Die Angst, die die Staatssicherheit über vierzig Jahre manch einem bereitet hat, durften für ein paar Tage die eigenen Mitarbeiter erleben. – Und heute können die Verfolgten der SED-Diktatur ebenso angstfrei leben wie die ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit. 424 90 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 531, Bl. 5–7. 10 Geheime Aktion „Licht“ 1962 Von Norbert Moczarski Vor fast genau 50 Jahren, am 6. Januar 1962, einem Samstag, startete das Ministerium für Staatssicherheit eine lange vorbereitete, mehrere Monate anhaltende Geheimaktion zur Öffnung Tausender verschlossener Behältern in Banken, Sparkassen, Wirtschaftseinheiten und Kultureinrichtungen der DDR. Davon war auch der Kreis betroffen. Donnerstag [11. Januar 1962] hatte ich Besuch von der Geh[eimen] Staatspolizei! Darüber genügt es, wenn wir uns persönlich unterhalten!, so schrieb Friedrich Heide (1895–1971), Archivar im Landesarchiv Meiningen, am 13. Januar 1962 im turnusgemäßen Wochenbericht an seinen Chef, Dr. Ernst Müller, nach Weimar. Zu groß war die Angst des 66jährigen altgedienten Archivars vor möglichen Konsequenzen, wenn er seinem Chef über die geplante Ungeheuerlichkeit der DDRStaatssicherheit in seinem Archiv schriftlich Bericht erstattet hätte. Heide wurde am 11. Januar 1962 überraschend von zwei Mitarbeitern der Kreisdienststelle des MfS Meiningen aufgesucht und darüber in Kenntnis gesetzt, dass in Kürze zwei alte Panzerschränke, die sich im Südflügel des Schlosses, also in den Magazinräumen des Landesarchivs befinden, aufgeschweißt werden. Die darin deponierten Gegenstände, man vermutete in erster Linie Schmuck und andere Wertsachen der herzoglichen Familie, sollten umgehend konfisziert werden. Allerdings ahnte Heide, der seit 1945 im Schloss tätig war, dass in den Panzerschränken Teile des Nachlasses der herzoglichen Familie sein müssten. Eine Öffnung war bis dahin unterblieben, da es eine Verfügung des ehemaligen Herzoglichen Hauses unter Ernst von Sachsen-Meiningen vom 2. August 1941 gab, die besagte, dass der Inhalt erst im Jahr 1964, also genau 50 Jahre nach dem Tod Georg II. der Öffentlichkeit präsentiert werden könnte. Vielleicht hatte Heide diese Regelung und seine Vermutung zum Inhalt der Panzerschränke auch den Offizieren der Staatssicherheit mitgeteilt. Doch da deren Befehl lautete, zunächst alle vermeintlich herrenlosen Panzerschränke und Schließfächer im Kreis Meiningen zu öffnen und dessen Inhalt zu beschlagnahmen, nahmen die Geschehnisse auch in der Werrastadt ihren Lauf. 91 Lange geplante Geheimaktion Was Friedrich Heide und der weitaus größte Teil der Bevölkerung des Kreises Meiningen nicht wissen konnten, war die Tatsache, dass die Aktivitäten der Kreisverwaltung Meiningen des MfS Bestandteil der lange geplanten und unter größter Geheimhaltung durchgeführten „Aktion Licht“ der Staatssicherheit in der gesamten DDR waren. Nach dem Mauerbau im August 1961 sah die DDR-Partei- und Staatsführung den Zeitpunkt gekommen, sich endlich der Frage der seit 1945 verschlossenen Panzerschränke, Bankschließfächer und anderen Behältnissen anzunehmen. Diese gehörten in erster Linie im Krieg verschollenen bzw. nach 1945 in den Westen geflüchteten Bürgern. Da alle staatlichen Enteignungsaktionen spätestens in den 1950er Jahren ihren Abschluss gefunden hatten, war die geplante Aktion zur Öffnung und Beschlagnahme von Privateigentum rechtlich äußerst problematisch. So konnte man zwar für die sogenannten Republikflüchtigen noch die berüchtigte „Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952“ heranziehen, aber für das Eigentum vom im Krieg verschollenen Bürgern gab es eigentlich keine rechtliche Handhabe für eine entschädigungslose Beschlagnahme. Auf jeden Fall musste für die „Aktion Licht“, mit deren Durchführung im Spätherbst 1961 das Ministerium für Staatssicherheit der DDR beauftragt wurde, dass Bankgeheimnis außer Kraft gesetzt werden, um nicht in einem Fehlschlag zu enden. Zudem hatte das MfS die Order herausgegeben, sich grundsätzlich nicht an ungeklärten Eigentumsfragen aufzuhalten. Das bedeutete, dass die in den Panzerschränken, Schließfächern und anderen Behältnissen aufgefundenen Gegenstände sofort weiterverwertet bzw. verkauft werden sollten. Den beauftragten Mitarbeitern des MfS der Kreisdienststellen wurde ein kleiner, ausgewählter und streng überprüfter Kreis von Geld- und Kunstexperten beigegeben. Diese hatten als Gutachter nach Öffnung der Behältnisse die Aufgabe, umgehend den Wert zu taxieren und die weitere Verwertung zu empfehlen. Zunächst war geplant, die „Aktion Licht“ am Samstagnachmittag, den 6. Januar 1962, möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit durchzuführen. Dabei wollte man sich zunächst auf die Schließfächer in den Banken, Sparkassen und anderen Finanzinstituten konzentrieren. Bereits bei der stabsmäßigen Vorbereitung der Aktion wurde dem MfS dann relativ schnell klar, dass diese Aktion nicht an einem Tag bewältigt werden kann, zumal man möglichst zum Anbruch der Dunkelheit zum Ende kommen musste, um die Bevölkerung nicht durch er92 leuchtete Fenster in den Banken und Sparkassen zu beunruhigen. Und in der Tat wurde diese Befürchtung dann tatsächlich Realität, als man in einigen Orten, im Kreisgebiet Meiningen war es zum Beispiel Milz, annahm, eine erneute Währungsreform würde vorbereitet. Aktion dauerte länger als ursprünglich geplant Auf jeden Fall wurde das MfS durch die örtlichen Gegebenheiten in vielen Banken und Sparkassen gezwungen, die Aktion zeitlich weiter auszudehnen. Einerseits wurde man von der Anzahl der ungenutzten Schließfächer überrascht, in der gesamten DDR waren es 83 770 Fächer, und zum anderen ließen sich vor allem die alten, schlüssellosen Panzerschränke in den Banken nicht so einfach „knacken“, wie erhofft. Es wurden zusätzliches Gerät und verlässliche Arbeitskräfte für die Öffnung der verschlossenen Behältnisse benötigt. Hinzu kam, dass das MfS, welches zu Beginn der 1960er Jahre noch relativ überschaubar strukturiert war, auch personell an seine Grenzen stieß. Wenige ausgewählte Spezialisten die Brisanz, die in dieser geheimen Aktion steckte, zwang die Staatssicherheit, möglichst mit eigenen Kräften und wenigen, auserlesenen Spezialisten auszukommen. So zog sich diese „Aktion Licht“ insbesondere in den Großstädten über Monate hin. Ein weiterer Grund für die Zeitverzögerung war die vom Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, unmittelbar nach dem 6. Januar 1962 getroffene Entscheidung, nicht nur die verschlossenen Fächer und Schränke in den Banken und Sparkassen öffnen zu lassen, sondern auch die vermeintlich herrenlosen Behältnisse in den Bereichen der Volkswirtschaft, der Landwirtschaft, des Handels und der Kultur in die Aktion mit einzubeziehen. Dadurch wurde die Aktion auf viele Betriebe und Einrichtungen ausgedehnt. Das betraf auch im Wesentlichen den Kreis Meiningen, indem alle Mitarbeiter der Kreisverwaltung Meiningen des MfS in die Aktion eingebunden waren. So konnte man die sogenannte erste Phase der „Aktion Licht“, also Prüfung und ggf. Öffnung der betreffenden Schließfächer und Panzerschränke in den Finanzinstituten bereits am Sonntag, den 7. Januar 1962, 11 Uhr abschließen. Folgende Objekte wurden gemäß eines Maßnahmeplanes der Kreisdienststelle Meiningen des MfS vom 5. Januar 1962 dabei überprüft: Kreissparkasse Meiningen mit ihren Zweigstellen Helmershausen, Rentwertshausen, Römhild, Wasungen und Walldorf, BHG (Bäuerliche Handelsgenossenschaft) – Hauptstellen Behrungen, Helmershausen, Her93 mannsfeld, Kaltenwestheim, Rentwertshausen, Römhild, Grimmenthal, Kaltensundheim, Meiningen, Stepfershausen, Sitz Rippershausen, Walldorf und Wasungen, Gebäude der 11. Grenzbrigade/BDVP425, Leipziger Straße 4, wo sich früher die ehemalige Deutsche Hypothekenbank befand; Gebäude der Staatsanwaltschaft, Leipziger Straße 2, wo sich die ehemalige Heeresstandortkasse befand; der Schlossrundbau, wo sich die herzogliche Rentenkammer befand; das Gebäude des Rates des Kreises Meiningen, Puschkinstraße (heute Marienstraße) 10, wo sich das ehemalige Thüringische Rentamt befand. Ohne Bankhaus Meinhardt und Kommandantur Außen vor musste für das Meininger MfS das Gebäude des ehemaligen Bankhauses Meinhardt in der Friedrich-Engelsstraße 7 (heute EduardFritze-Straße) und das Gebäude der ehemaligen Thüringer Staatsbank in der August-Bebel-Straße 2 (heute Bernhardstraße) bleiben, da im ersten Haus nun private Wohnungen waren und im zweiten noch die sowjetische Kommandantur residierte. Der eigentliche Beginn der „Aktion Licht“ war in Meiningen am 6. Januar 1962. Der vom MfS instruierte 1. Kreissekretär der SED, Walter Eichhorn, bestellte für 10 Uhr die Leiter der Kreissparkasse Meiningen, der Kreisfiliale der Deutschen Notenbank, der Kreisstelle Bauernbank, der Kreisfiliale der Deutschen Investitionsbank und den VdgB426-Kreissekretär als verantwortlichen für die BHG unter dem Vorwand in die SED-Kreisleitung, eine Sicherheits- und Alarmkontrolle würde stattfinden. Außerdem ordnete er an, dass alle Bankangestellten, die im Besitz von Tresor- bzw. Safe-Schlüsseln waren, ebenfalls zu erscheinen hätten. Letztendlich wurden in die Prüfung und Öffnung der Schließfächer und Panzerschränke im Kreis Meiningen am 6. und 7. Januar 1962 insgesamt 58 Zivilpersonen einbezogen und dementsprechend verpflichtet. Der Text der Verpflichtung lautete: „Ich wurde für die Durchführung von Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit eingesetzt und werde den erhaltenen Auftrag nach besten Wissen und Gewissen erfüllen. Über Alles, was ich im Zusammenhang damit erfahren habe, werde ich auch nach Beendigung der Maßnahme gegenüber Jedermann – auch gegenüber meinen nächsten Familienangehörigen und meinen dienstlichen Vorgesetzten, Stillschweigen bewahren.“ 425 426 94 BDVP: Bezirksdirektion der Deutschen Volkspolizei. VdGB: Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe. Bei der Geheimaktion zur Öffnung von Tausenden verschlossenen Behältern in Banken, Sparkassen, Wirtschaftseinheiten und Kultureinrichtungen fanden die Meininger Tschekisten im Kreisgebiet zwar kaum Schmuck und Wertpapiere, dafür aber im Schloss den wertvollen Briefnachlass Georg II. und der Freifrau von Heldburg. Danach galt dieser für Jahrzehnte als verschollen. Erst im Jahre 1993 kehrte er glücklicherweise wieder nach Meiningen zurück. Am 8. Januar musste der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen des MfS, Hauptmann Erhard Schurz, dem Leiter der Bezirksverwaltung Suhl des MfS vermelden, dass diese erste Phase der „Aktion Licht“ im Kreis Meiningen im Grunde genommen ein Schlag ins Leere gewesen ist. Lediglich im Schließfach 44 der Hauptzweigstelle Wasungen der Kreissparkasse Meiningen wurden „5 Silberlöffel, 2 Ahnenurkunden, 4 Briefe und Brandnotgeld von 1921“ gefunden und man ging davon aus, dass der Inhaber des in Salzwedel (heute Sachsen-Anhalt) wohnhaft war. Ein Beleg dafür, dass bei der Öffnung der Schließfächer letztendlich keine Rücksicht darauf genommen wurde, ob der Inhaber Staatsbürger der Bundesrepublik oder der DDR war. So oder so war das Ergebnis der „Aktion Licht“ für das MfS im Kreisgebiet Meiningen ernüchternd, nahm man doch im Vorfeld an, dass zumindest in Meiningen mit seiner Dichte an Banken vor 1945 noch erheblich mehr Wertsachen deponiert waren. Doch in dieser Beziehung kam das MfS sicher 17 Jahre zu spät. Hier hatten vermutlich kurz vor 1945 und nach 1945 bereits mehrere Befehlsorgane unterschiedlichen Couleurs ihre Hände im Spiel gehabt. Für die DDR insgesamt hatte sich dieser erste Schlag sicher ausgezahlt. Die Organe des MfS und ihre Helfer stellten nach damaligen vorläufigen Schätzungen insgesamt Wertgegenstände im Umfang von ca. vier Millionen DM sicher, darunter Gold- und Schmuckwaren sowie Edelsteine im Umfang von zwei Millionen DM. Falsche Entscheidungen getroffen Nicht immer wurden bei der Durchführung der Aktion, bedingt durch die Kürze der Zeit, die richtigen Entscheidungen getroffen. Zum Beispiel fand man bei der Öffnung eines Schließfaches der Gewerbebank Bad Salzungen angeblich über 190 000 Briefmarken vor 1945. Da man diese Briefmarken ohne nähere Prüfung durch Philatelisten für wertlos hielt, beschloss man deren umgehende Vernichtung. Eine wertvolle Handschrift aus dem 17. Jahrhundert, gefunden in der Hauptzweigstelle Schleusingen der 95 Kreissparkasse Suhl, übergab man nicht folgerichtig einem Archiv, sondern der SED-Bezirksleitung Suhl. Diese wusste damit nichts anzufangen und sandte die Handschrift an ein historisches Institut nach Berlin. Damit ging sie vermutlich für die Region verloren. Für den kleinsten Bezirk der DDR konstatierte die Bezirksverwaltung Suhl des MfS Mitte Januar 1962 gegenüber Minister Erich Mielke den wesentlichen Abschluss der Aktion, was die Öffnung von Schließfächern in Banken und in den Finanzinstituten betraf. Andere Bezirksverwaltungen des MfS mussten infolge der Vielzahl von Banken in den Großstädten die Termine mehrfach nach hinten korrigieren, so dass sich diese Phase der Aktion noch Monate hinzog. Nur etwas zeitversetzt, zum Beginn der „Aktion Licht“ am 6. Januar 1962, hatte das MfS bereits die zweite Phase dieser Geheimaktion gestartet. Dabei ging es um das Aufspüren von verschlossenen Behältern und deren Öffnung außerhalb von Finanzinstituten. In den Mittelpunkt der Fortsetzung der MfS-Aktion gerieten somit Betriebe der Volkswirtschaft, der Landwirtschaft, Schlösser und Kultureinrichtungen. Im Kreis Meiningen stand bis zum 15. Januar 1962 die Überprüfung von 42 Objekten an. Aber auch hier wurden die Tschekisten des Kreises Meiningen bis auf eine Ausnahme nicht fündig. Diese Ausnahme betraf ausgerechnet das Thüringische Staatsarchiv Meiningen, welches sich seit 1923 im Schloss Elisabethenburg befand. Im Südflügel des Magazinbereiches des Staatsarchivs befanden sich vermutlich seit den 1920er Jahren zwei Panzerschränke. Die Räume wurden bis mindestens 1925 als Büros für die herzogliche Ministerialverwaltung und später für die Gebietsvertretung des Freistaates Sachsen-Meiningen genutzt. Die Panzerschränke wurden zu keiner Zeit geöffnet, da bekannt war, dass der Herzog Georg II. (1826–1914) verfügt hatte, dass die Panzerschränke erst 50 Jahre nach seinem Tode zu öffnen wären. Das wäre dann 1964 gewesen. Diese Bestimmung hatte der Chef des Herzoglichen Hauses, Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen, 1941 nochmals schriftlich bestätigt. Er und andere Eingeweihte wussten sicherlich, dass sich in den Panzerschränken Teile des schriftlichen Nachlasses von Georg II. bzw. seiner dritten Frau, Helene Freifrau von Heldburg (1839– 1923) befanden. Der Hauptteil des schriftlichen Nachlasses des herzoglichen Ehepaares befand sich allerdings vor 1945 in den Privaträumen von Bernhard III. (1851–1928), des letzten regierenden Herzogs von SachsenMeiningen und ging nach seinem Tod an den bereits genannten Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen (1859–1941) über. 96 Stadt zur Verwahrung übergeben Noch vor seinem Tod übergab der nun auf Schloss Altenstein wohnende Ernst von Sachsen-Meiningen den schriftlichen Nachlass seiner Familie der Stadt Meiningen zur treuhänderischen Verwahrung. Diese hatte in den Kriegsjahren andere Sorgen und deponierte den mittlerweile in acht Stahlblechkisten verpackten Briefnachlass im Tresor der Deutschen Hypothekenbank Meiningen. Dort überstand der Nachlass wohlbehalten die Wirren des Krieges und die nachfolgende Besatzungszeit. Im Jahr 1950 sah die nun dort residierende Deutsche Notenbank aus historischen Gründen oder auch nur aus Platzgründen die Zeit gekommen, den Nachlass an das Landesarchiv Meiningen im Schloss abzugeben. Das erfolgte nach einigen bürokratischen Hindernissen dann 1952. Der Nachlass bzw. die Blechkisten mit dem Nachlass wurden in der Nähe der beiden genannten Panzerschränke abgelegt. Zum Ende der 1950er Jahre begann der Archivar Friedrich Heide mit der Aufarbeitung des Nachlasses in den Stahlblechbehältern. Alle bearbeiteten Briefe wurden dann verpackt und an einer anderen Stelle im Magazin deponiert. Heide hatte vermutlich mehr als die Hälfte des Nachlasses, „Hausarchiv“ genannt, aufgearbeitet, als er am 11. Januar 1962 völlig überraschend Besuch von zwei Vertretern der Kreisdienststelle Meiningen des MfS bekam. Diese gingen vermutlich einem Hinweis eines im Bereich der Stadtverwaltung arbeitenden inoffiziellen Mitarbeiter (IM) nach und verlangten von Heide eine Besichtigung der Panzerschränke. Danach wurde Heide darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Panzerschränke am 24. Januar 1962 mit Schweißtechnik geöffnet werden. Dabei sollte es außer Heide keine Zeugen geben. Die Öffnung der Panzerschränke am 24. Januar 1962 verlief aus der Sicht des MfS wiederum enttäuschend. Statt des vermuteten Schmucks bzw. anderer Wertsachen der herzoglichen Familie enthielt ein Panzerschrank einen weiteren Teil des Briefnachlasses von Georg II. und der Freifrau von Heldburg. Der zweite Panzerschrank war, warum auch immer, sogar leer. An dieser Stelle ist es müßig darüber zu spekulieren, was die Leitung der Kreisdienststelle Meiningen des MfS letztendlich bewogen hat, den Entschluss zu fassen, den Inhalt des Panzerschrankes zu beschlagnahmen. Vielleicht wollte man nach den ganzen Fehlschlägen der „Aktion Licht“ gegenüber Suhl und Berlin nicht mit völlig leeren Händen dastehen. Jedenfalls nahm man den Inhalt des einen Panzerschrankes an sich und zum Erschrecken des der Aktion beiwohnenden, sicher nicht protestierenden Heide auch Teile des Nachlasses, die noch nicht bearbeitet waren. 97 Schwarzer Tag für Landesarchiv im Schloss Späteren Schätzungen nach hatte das MfS an diesem schwarzen Tag für das Landesarchiv etwa ein Drittel des Briefnachlasses der herzoglichen Familie, immerhin fast 3 500 Briefe, beschlagnahmt. Von Meiningen wurde der Teilnachlass in das Ministerium für Staatssicherheit verbracht. Dort war die Hauptabteilung III (nach 1970 umbenannt in HA XVIII) zuständig. Diese Hauptabteilung war im MfS für die Überwachung der Volkswirtschaft und der Finanzorgane verantwortlich. Wie viele andere beschlagnahmte Gegenstände der „Aktion Licht“ ging der briefliche Teilnachlass nach Prüfung nicht etwa wieder den Weg zurück zum Entstehungsort, sondern wurde der Tresorverwaltung des Ministeriums für Finanzen der DDR übergeben. Dort lagerte der Teilnachlass fast drei Jahre, ehe entschieden wurde, die 3 500 Briefe der Handschriftenabteilung der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin zu übergeben. Über diesen Schritt wurde weder das nunmehrige Staatsarchiv Meiningen noch eine andere Meininger Institution unterrichtet. In den späten 1970er Jahren wurde der Teilnachlass von den Mitarbeitern der Handschriftenabteilung geordnet und verzeichnet. Im Zuge der verstärkten Forschungen zur Biografie Georg II. zum Ende der 1980er Jahre wurde der Aufenthaltsort des Teilnachlasses, Berliner Bestand bezeichnet, bekannt. Erst nach der politischen Wende 1989/90 bestand endlich die Möglichkeit, eine Rückholung in Erwägung zu ziehen. Es bedurfte jedoch noch drei Jahre zähen Ringens des Thüringischen Staatsarchivs und des damaligen Thüringer Ministeriums für Wissenschaft, Technik und Kunst, ehe der Teilnachlass am 28. Juli 1993 seine Odyssee beendete und den Weg wieder nach Meiningen zurückfand. 98 11 „Parteiinformationen“ Den 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Meiningen bediente die Kreisdienststelle Meiningen mit Informationen. Im internen Diskurs trugen diese Informationen die Bezeichnung „Parteiinformationen“. Mindestens zwei Personen im Sekretariat der SED-Kreisleitung verfügten somit über Erkenntnisse aus der operativen Arbeit der Staatssicherheit. Neben dem 1. Sekretär auch der Leiter der Kreisdienststelle des MfS, womit – was häufig genug nicht bedacht wird – auch die Staatssicherheit jeweils durch ihren Leiter an der Lösung konkreter Probleme auch politisch eingebunden war. Misserfolge, von denen in den Berichten zu lesen ist, waren mithin auch Misserfolge der politischen Arbeit des Kreisdienststellenleiters im Sekretariat der Kreisleitung, was einzugestehen nicht als selbstverständlich anzusehen ist. Insoweit ist von der Annahme auszugehen, dass die „Parteiinformationen“ inhaltlich austariert gewesen sein werden, also längst nicht die gesamte Kenntnislage der Kreisdienststelle abbildeten. Im Vergleich zu anderen Kreisdienststellen fällt die hohe Anzahl an Berichten auf: 1986 waren dies 152, 1987 128 und 1988 102 Informationen.427 Außerdem ist eine Zurückhaltung, insbesondere gegenüber dem Rat des Kreises, der Stadt und der Gemeinden erkennbar, die andernorts – etwa in Greiz – deutliche Kritik enthielt.428 Im Weiteren werden die überlieferten „Parteiinformationen“ aus dem Zeitraum von September bis November 1989 abgedruckt. Information 62/89 vom 5. September 1989 zur Reaktion der Bevölkerung429 Im Mittelpunkt der Meinungsäußerungen unter allen Bevölkerungsschichten stehen – das ungesetzliche Verlassen von DDR-Bürgern nach der BRD430 über die Staatsgrenze der VR431 Ungarn, – das Aufsuchen von Botschaften der BRD in Ungarn und der CSSR durch Antragsteller auf ständige Ausreise, 427 428 429 430 431 Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen 123, Bd. 2, Bl. 149 – 151. Vgl. Helmut Müller-Enbergs: Die Kreisdienststelle Greiz und ihr inoffizielles Netz. Erfurt 2011. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, Bl. 67–69. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. BRD: Bundesrepublik Deutschland. VR: Volksrepublik. 99 – Handels- und Versorgungsfragen. Mit großer Aufmerksamkeit werden unter allen Bevölkerungsschichten nach wie vor die Informationen zur sogenannten Fluchtwelle von DDRBürgern über die Staatsgrenze der VR Ungarn verfolgt. In diesem Fall bedient man sich in erster Linie Informationen aus westlichen Massenmedien, woran auch ein Großteil von Genossen beteiligt ist. Nach ihrer Darstellung reichen die Hinweise der Kommunikationsorgane der DDR nicht aus, um sich allseitig zu informieren. Aus ihren Meinungsäußerungen klingt zwangsläufig eine gewisse Skepsis, und es wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie soll es eigentlich weitergehen, was muß verändert werden und stehen wir das als kleine DDR überhaupt durch. In dem Zusammenhang führt die Diskussion dann immer zu Handels- und Versorgungsfragen, die nach ihrer Meinung immer angespannter würden. Dabei wird vor allem das Angebot an Obst und Gemüse, Erzeugnissen im Bereich der Damenunterwäsche sowie das Ersatzteilproblem für Fahrzeuge aller Typen angeführt. Der überwiegende Teil der Genossen hat wenig Verständnis für die Ausreisepraxis einiger DDR-Bürger, insbesondere über die ungarische Grenze. Völlig unverständlich ist dabei das ungesetzliche Verlassen eines Großteils junger Menschen. Warum geben gerade junge Menschen aus der DDR ihre gesicherte Existenz auf, wird immer wieder gefragt. Im Einzelnen stellen sich die Meinungsäußerungen wie folgt dar: Genossen des Bereiches SGB432 Schuhe- und Lederwaren Grimmenthal sind über die Haltung der Regierung der VR Ungarn empört. Es wurde die Frage aufgeworfen, wann werden endlich Maßnahmen seitens der DDR eingeleitet, um das ungesetzliche Verlassen über Ungarn zu unterbinden. Welcher Schaden dadurch der DDR zugefügt werde, sei im Moment überhaupt noch nicht einschätzbar. Unbefriedigend äußerte man sich über die bisherigen Veröffentlichungen seitens der Massenmedien der DDR und betonte, warum kritisiert man nicht in aller Öffentlichkeit die Haltung der Regierung der VR Ungarn? In diesem Zusammenhang wurde die mangelhafte politisch-ideologische Arbeit in der Gemeinde Obermaßfeld angesprochen. Die Ortsleitung der SED433 werde nach ihrer Meinung kaum wirksam und seit den Kommunalwahlen434 sei keine Ortsleitungssitzung mehr durchgeführt worden. 432 433 434 100 SGB: Sozialistischer Großhandelsbetrieb. SED: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Jegliche Wahlen bedeutete für die Kreisdienststelle Meiningen eine besondere Anstrengung. Die operative Seite der Vorbereitung – das Führen von Nichtwählerlisten etc. – erhielt Aktionsbezeichnungen wie "Appell" (1957), „Geschlossenheit“ (1958), „Ham- Werktätige im Großhandel WtS435 Meiningen stellten sich die Frage, ob der Weg des ungesetzlichen Verlassens über Ungarn der richtige Weg sei. In Einzelmeinungen unter Arbeitern wird die Meinung vertreten, sollen sie nur fortgehen, vielleicht würde man dann auf einige Missstände in der DDR aufmerksam. Dabei wird auf die Versorgungslage angespielt. Unter Angestellten des StFB436 Meiningen wird sich gefragt, mit welchen Maßnahmen und Schritten man dem ungesetzlichen Verlassen der DDR begegnen will. Mitglieder der LDPD437 aus Meiningen und Bürger aus Ritschenhausen bezeichnen die Haltung der BRD als grobe Einmischung in die Inneren Angelegenheiten der DDR. Zu Handels- und Versorgungsfragen gibt es folgende Äußerungen: Werktätige des VEB438 Metallwerk Wasungen sowie Bürger der Stadt Wasungen brachten zum Ausdruck: – Es wird immer mehr gearbeitet, die Pläne werden erfüllt und trotzdem ist das Angebot unzureichend. – Die Versorgung mit Obst und Gemüse entspricht nicht den Erfordernissen. – Die DDR verkauft sich an den Westen. – Die Ersatzteilfrage ist ungeklärt. Bürger und Gemeinde Untermaßfeld stellten die Frage, weshalb keine Besserung in der Versorgung auftrete. In den Verkaufsstellen gehe das Warenangebot kontinuierlich zurück. Für sein Geld könne man sich nichts kaufen, zählen würde nur BRD-Währung. Personen, die über ausreichend westliche Währung verfügen, könnten sich alles leisten. Das Warenangebot würde sich negativ auf die Arbeitsmoral der Werktätigen auswirken. Genossenschaftsbauern der LPG (P)439 Jüchsen kritisieren die Ersatzteilversorgung in ihrem Betrieb sowie deren Qualität. Bürger aus den Gemeinden Jüchsen, Obendorf, Exdorf sowie der Stadt Römhild argumentierten: 435 436 437 438 439 merschlag“ (1961), „Bilanz“ (1963) und bis einschließlich der Kommunalwahl im Mai 1989 dokumentiert. Vgl. BStU, MfS, KD Meiningen Nr. 1094. WtS: Waffentechnik in Suhl. StFB: Staatlicher Fortswirtschaftsbetrieb. LDPD: Liberaldemokratische Partei Deutschlands. VEB: Volkseigener Betrieb. LPG (P): Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (Pflanzenproduktion). 101 – Das Leben in der BRD ist billiger als in der DDR. Man bekommt alles problemlos, nicht wie in der DDR, wo nur in den Verkaufsstellen der Kopf geschüttelt wird. – Die Unzufriedenheit wächst immer mehr unter allen Bürgern, man muß doch endlich eine Lösung finden. – Die BRD ist eine ganz andere Welt, und man kann auch verstehen, weshalb keiner in die DDR möchte. – Warum ist das Warenangebot so unzureichend, und das nach 40 Jahren, auf was soll man stolz sein? Information 63/89 vom 20. September 1989 über den Jugendclub „Buch und Bühne“440 Der Jugendclub „Buch und Bühne“441 wurde 1977 auf Initiative der FDJ442Kreisleitung Meiningen gebildet. Er hat seinen Hauptsitz im „Stanislawski Klub“ des Kreissekretariats des Kulturbundes der DDR in Meiningen. Die Jugendclubarbeit wird im Wesentlichen getragen durch die FDJKreisleitung Meiningen, und diese wird unterstützt durch den Klub des Kulturbundes des Meininger Theaters. Nach Gründung dieses Jugendclubs stagnierte die Arbeit über mehrere Jahre, da keine geeigneten initiativreichen Führungskader vorhanden waren. Zu einer Belebung der Arbeit kam es, als die Schauspielerin T. […], Schauspielerin/Meininger Theater, 1988 aus der SED ausgetreten, 1986 den Parteiauftrag erhielt, in der Leitung des Jugendclubs aktiv mitzuarbeiten. Die Arbeit des Jugendclubs wird im Wesentlichen durch die Personen bestimmt, die die Leitung darstellen. Die Institutionen FDJ-Kreisleitung, Klub des Kulturbundes und Meininger Theater nehmen kaum Einfluß auf Inhalte und Programme. Der Club wird überwiegend von Jugendlichen nachfolgender Einrichtungen besucht: – Medizinische Fachschule Meiningen, – Institut für Lehrerbildung Meiningen, – EOS443 Meiningen, 440 441 442 102 BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, Bl. 71–73. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. Zum Jugendclub „Buch und Bühne“ vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1095. FDJ: Freie Deutsche Jugend. – Stadt- und Kreisbibliothek Meiningen. Gegenwärtig gehören dem Jugendclub 14 feste Mitglieder an, die im Wesentlichen die Veranstaltungen organisieren und durchführen. Konzipiertes Ziel der Clubveranstaltungen ist, den Jugendlichen der Stadt Meiningen die künstlerischen Mittel des Theaters, des Films und des Buches nahezubringen. Zu den Veranstaltungen kamen ausnahmslos Bücher, Stücke, Autoren und Personen zum Einsatz, die in der DDR verlegt wurden bzw. eine staatliche Zulassung haben. Zu den durchgeführten Lesungen, Inszenierungen u. a. Veranstaltungen wurden in mehreren Fällen Bücher, Texte, Filme u. a. von solchen Autoren behandelt, wo kritische Haltungen bekannt sind, so zum Beispiel – [Jürgen] Kuczynski – „Dialog mit meinem Urenkel“, – [Tschingis] Aitmatow – „Richtstatt“, – Christa Wolf, – Liedermacher M, […], Berlin, – L. […], Berlin. Durch diese u. a. Veranstaltungen fühlten sich Personen mit negativen Verhaltensweisen zu den Zusammenkünften hingezogen und beeinflußten damit die Aussagen derselben negativ. Begünstigend wirkt sich dabei aus, daß die leitenden Mitarbeiter des Jugendclubs negative und schwankende Haltungen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR einnehmen. Der Jugendclub hatte in den letzten Jahren, besonders durch die Aktivitäten der T. […] an Attraktivität gewonnen und hat somit größeren Zulauf sowohl an Mitgliedern als auch an Publikum. In Meiningen ist bekannt, daß dieser Jugendclub etwas Besonderes macht und anziehend wirkt unter den Jugendlichen in Meiningen. Das gelang ihr durch Beschäftigung mit kritischen, problemhaften, heiklen Themen, die die Jugendlichen besonders ansprachen, weil sie hier mit diesen Inhalten konfrontiert wurden, sie sich mit diesen beschäftigen konnten, die in ihrem sonstigen gesellschaftlichen, schulischen, beruflichen und persönlichen Leben verschlossen bzw. vorenthalten blieben. Unter anderem wurde das erreicht, durch die Lesungen zu Schatrows Stück „Brester Frieden“ und den Auftritt des Liedermachers M. […]. In beiden Fällen ging es darum, besonders kritische, die gesellschaftliche Situation belastende Aspekte zu betonen, ohne dabei zu feindlich-negativen Handlungen bzw. Schlussfolgerungen zu kommen. Durch den M. […] kam es 443 EOS: Erweiterte Oberschule. 103 jedoch zu provozierenden Äußerungen, die die Jugendlichen nicht unbeeindruckt ließen. Dabei muß man sagen, daß von den gesellschaftlichen Partnern bzw. den Trägern eine zu geringe Einflußnahme erfolgt. Die inhaltliche Organisierung wird der Leitung des Clubs überlassen, die ihrer Informationspflicht nachkommt und schriftlich über das jeweilige Jahresprogramm informiert. Durch die FDJ-Kreisleitung wurde lediglich zuletzt eingeschritten, als es zu dem negativen Auftritt des M. […] kam. Hier erfolgte eine Aussprache mit der Leitung. In ihren geistigen Programmen sehen verschiedene Clubmitglieder sich als „Avantgarde“. Diese Tendenz, und damit ist stark zu rechnen, wird sich noch verstärken, nachdem es zu leistungsmäßig-personellen Veränderungen kommt. Der neue Leiter des Clubs L. […], Dramaturg/Das Meininger Theater, hat sich in der Vergangenheit durch staatliche Eingabentätigkeit und Verbindungen zu alternativen und Untergrundgruppen in Berlin hervorgetan. Er wird gegenwärtig als sehr aktivitätshungrig eingeschätzt. Er möchte etwas bewegen, verändern, ohne sich jedoch darin festzulegen. Offensichtlich sind ihm in seinen spontanen Absichten mitunter nicht die Grenzen bekannt. Z. B. hatte er nach der Absetzung der Soli-Veranstaltung vom 01.11.1988 in Schmalkalden eine Unterschriftensammlung organisiert, die nur durch Einschreiten des Oberspielleiters verhindert wurde. Information 64/89 vom 25. September 1989 über den Ablauf der Festwoche anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Stadtkirche Meiningen (Marienkirche) in ihrer heutigen Gestalt444 Anläßlich des 100-jährigen Bestehens der Marienkirche Meiningen fand in der Zeit vom 19.09. bis 24.09.1989 in Meiningen eine Festwoche statt, die durch kirchliche Kreise vorbereitet und durchgeführt wurde. Während der Festwoche fanden folgende Veranstaltungen statt: – „Gemeindeabend“ am 19.09.1989, 19.30 Uhr im Martin-Luther-Saal von Meiningen mit dem Kirchenrat G. […] aus Eisenach. Dieser sprach über den Inhalt des 3. Gebotes. – „Stunde der Orgelmusik“ am 20.09.1989, 20.00 Uhr in der Stadtkirche Meiningen. Es spielte der Organist des Gewandhauses Leipzig, S. […] 444 104 BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, Bl. 74–76. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. – „Gemeindenachmittag“ am 23.09.1989 im Martin-Luther-Saal von Meiningen. Alle angeführten Veranstaltungen waren nur mäßig besucht, wobei in der Mehrzahl ältere Personen an diesen teilnahmen. Zu diesen Veranstaltungen kam es zu keinerlei Vorkommnissen. Als Höhepunkt der Festwoche fand am 24.09.1989 von 10.00 Uhr bis 11.45 Uhr in der evangelischen Marienkirche Meiningen zum Abschluß der Festwoche – anläßlich des 100. Jahrestages der Kircheneinweihung – nach erfolgter Renovierung ein Festgottesdienst statt. Die Veranstaltung wurde von ca. 700 Personen besucht. Neben Landesbischof L. […] waren Gäste der Partnergemeinden aus Stuttgart und Neustadt in der BRD sowie aus Amsterdam zur Teilnahme am Festgottesdienst angereist. Als offizielle Vertreter des Staatsapparates nahmen der Stellv[ertretende Leiter] Inneres des Rat[es] des Kreises Meiningen und der Meininger Bürgermeister teil. Im Zusammenhang mit dem Festgottesdienst kam es zu keinen Vorkommnissen. Teilnehmende Antragsteller auf ständige Ausreise in die BRD traten nicht mit öffentlichkeitswirksamen demonstrativen Aktivitäten in Erscheinung. Nach erfolgter Begrüßung der Festgottesdienstteilnehmer durch Superintendent V. […] wurde durch Landesbischof L. […] die Festpredigt gehalten. Nach einer theologisch geprägten Einleitung im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Marienkirche in Meiningen und ihre aktuelle Bedeutung ging Landesbischof L. […] in seinen Ausführungen, unter Bezugnahme auf die Tagung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen, den „Offenen Brief“ der KKL445 an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR vom 04.09.1989 und die Eisenacher Bundessynode auf gesellschaftspolitische Fragen und Aspekte ein. Unter anderem wurden dabei durch ihn folgende inhaltliche Aussagen getroffen: – Versuch der Kirche, die sich mit der Lage des Volkes beschäftigt und anstehende Probleme genannt habe zum Dialog mit dem Staat, seien gescheitert; auf die Forderung nach offener Auseinandersetzung mit Fehlern und Schwächen habe die Partei- und Staatsführung formale, nichtssagende Antworten gegeben. Die Kirche hätte Grund, den Staat als Gegner zu betrachten, sie sehe aber in der Parteiführung die Menschen und hoffe auf bessere Entscheidungen. 445 KKL: Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen. 105 – 40 Jahre DDR sollten auch Anlaß sein, das Wahlgesetz in der DDR zu ändern. Jedem Bürger müßte eingeräumt werden, die Personen seines Vertrauens und das ihm zusagende Programm zu wählen. – Die Medien seien zu einer offenen und ehrlichen Berichterstattung aufgefordert. Während die Kirche versucht habe, auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der VR Ungarn eine Antwort zu geben, hätten die Medien nur allgemeine Aussagen getroffen. Das sei Ausdruck der Ratlosigkeit des Staates, der mit keiner Lösung aufwarten könne. – Der Bevölkerung müsse die Reisefreiheit gewährt werden, jeder müsse in Länder reisen können, die ihre Grenzen offenhalten. – Der Staat verschließt sich gegenüber Argumenten der Kirche, dessen ungeachtet rufe die Kirche zur Besonnenheit auf und stelle sich weiterhin als Diskussionspartner zur Verfügung. – Man könne nicht gelten lassen, daß von der staatlichen Haltung abweichende Meinungen als staatsfeindlich gewertet bzw. die sie vertretende Personen als Staatsfeinde bezeichnet werden. Im Anschluß an die Predigt von Landesbischof L. […], zu der es durch die Festgottesdienstteilnehmer keine besonderen Reaktionen gab, sprach Oberkirchenrat H. […]/Meiningen ein abschließendes Gebet. Die Teilnehmer des Festgottesdienstes verließen diszipliniert geordnet die Marienkirche. Landesbischof L. […] begab sich mit dem PKW446 in die Superintendantur. Information 65/89 vom 2. Oktober 1989 zur Städtepartnerschaft Meiningen – Neu-Ulm im Zusammenhang mit dem durchgeführten Besuch einer Delegation aus Neu-Ulm in der Zeit vom 21.09. bis 23.09.1989447 Entsprechend dem Jahresarbeitsplan 1989 zur Durchführung der Städtepartnerschaft Meiningen – Neu-Ulm weilte eine Delegation aus Neu-Ulm im Zeitraum vom 21.09.–23.09.1989 in Meiningen. Ihr gehörten an: 1 Sch. […] (Delegationsleiter) […] Stadtrat Neu-Ulm, Mitglied der CSU448 2 S. […] Firma Klöckner-Humboldt-Deutz in Ulm 3 H. […] Stadtverwaltung Neu-Ulm 4 S. […] Firma Milkana in Neu-Ulm 446 447 448 106 PKW: Personenkraftwagen. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 20–23. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. CSU: Christlich-Soziale Union. 5 L. […] Neu-Ulm […], Mitglied der SPD449 6 V. […] DGB Neu-Ulm, Mitglied der SPD 7 H. […] Katholisches Hilfswerk, Mitglied der CSU 8 O. […] Firma Klöckner-Humboldt-Deutz, Mitglied der SPD Unterbringungsobjekt der Delegation aus Neu-Ulm war das Hotel „Schloß Landsberg“ in Meiningen. Über den gesamten Zeitraum des Aufenthaltes der Delegation aus NeuUlm kam es nach vorliegenden Hinweisen zu keinen negativen Handlungen. Die Einreise der Delegation aus Neu-Ulm erfolgte am 21.09.89 gegen 12.30 Uhr über die GÜSt450 Henneberg. Nach dem Eintreffen der Delegation in Meiningen wurde diese durch den Stellv[ertreter] des Bürgermeisters, Gen[osse] F. […] von Meiningen im Hotel „Schloß Landsberg“ offiziell begrüßt. Gleichzeitig erfolgte die Bekanntgabe des Ablaufplanes. Nach Einnahme des Mittagessens wurde die Besichtigung der Ausstellung der „Zeugen der Stadtgeschichte“ im Schloßrundbau – Rat der Stadt Meiningen, die Besichtigung der Georgstraße, des Büchnerischen Hinterhauses und der Stadt- und Kreisbibliothek durchgeführt. Während dieser Veranstaltungen war das Interesse am „kulturellen Erbe“ der Stadt Meiningen zu erkennen und was zu dessen Erhalt zu tun wäre. Danach erfolgte die Begrüßung der Delegation durch den Bürgermeister der Stadt Meiningen, Gen[osse] W. […], sowie ein Informationsgespräch zum politischen Geschehen in Europa, zur Kommunalpolitik und der Gewerkschaftsarbeit in der DDR. Während dieses Gespräches waren weiterhin der – Stellv[ertreter] des Bürgermeisters, Gen[osse]. Z. […], – Sekr[etär] des Rates, Gen[osse] K. […], – Vors[itzender des] FDGB451-Kreisvorstand, Gen[osse] S. […]. anwesend. Die Gesprächsführung wurde bewußt auf die Verleumdungskampagne und die Anmaßung der BRD sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen ausgerichtet. Dabei wurde die Sorge zum Ausdruck gebracht, daß solch eine Politik der BRD die erreichten Beziehungen DDR/BRD ernsthaft gefährden und sich negativ auf die bestehende Städtepartnerschaft zwischen Meiningen und Neu-Ulm auswirken könnte. 449 450 451 SPD: Sozialdemokratische Partei Deutschlands. GÜSt: Grenzübergangsstelle. FDGB: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund. 107 Die BRD müsse endlich die Staatsbürgerschaft der DDR respektieren. Von seiten der Delegation aus Neu-Ulm wurde der Standpunkt vertreten, das Erreichte in den Beziehungen beider deutschen Staaten nicht zu gefährden und alles dafür zu tun, um die Städtepartnerschaft nicht zu gefährden. Während der Diskussion war eine unterschiedliche Auffassung zu den aufgeworfenen Problemen von seiten der Vertreter der CSU/DGB452 und der SPD festzustellen. Die CSU-Mitglieder wollten auf die negativen Fakten, wie – Abwerbung von DDR-Bürgern in der VR Ungarn, – Grenzprovokation Wahlhausen, – Konfrontationspolitik der BRD-Regierung in den geführten Gesprächen kaum eingehen. Dagegen ließen sich die SPD-Mitglieder, insbesondere die Arbeiter, zu spontanen Äußerungen hinreißen. Nach ihrer Meinung hat die BRD-Regierung kein Recht dazu, sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen. Abwerbung von DDR-Bürgern sei nur eine zeitweilige Lösung, von den eigenen Problemen wie – Arbeitslosigkeit, – Drogen, Kriminalität, – zu wenig Sozialwohnungen abzulenken. Von seiten eines Vertreters des DGB V. […] Jurist wurde der Versuch unternommen, die Äußerungen der Mitglieder der SPD abzuschwächen. Nach seiner Meinung – gehören zum Verführen und Abwerbung von DDR-Bürgern 2 Personen, „der Verführte und der Verführer“, – in der DDR müßten sich auch Reformen, wie in den anderen sozialistischen Längern durchsetzen, um das Leben der Menschen zu erleichtern, denn dann würden die Menschen auch in der DDR bleiben. Dies sind jedoch Probleme der DDR, in die sich die BRD nicht einmischen dürfe. Die am 22.09.1989 stattgefundenen Veranstaltungen, wie – Besuch im Uhrenkombinat Ruhla, Sitz Meiningen – Besuch im VEB Welton – Besichtigung des Meininger Staatlichen Museums verliefen in einer freundschaftlich-aufgeschlossenen Atmosphäre. 452 108 DGB: Deutscher Gewerkschaftsbund. Eine geplante Betriebsbesichtigung im VEB Uhrenkombinat Ruhla konnte nicht durchgeführt werden, da die Zustimmung des Kombinates nicht vorlag. Gespräche fanden mit dem Betriebsdirektor und Bereichsleitern statt. Insgesamt zeigten sich die Gäste aus Neu-Ulm beeindruckt über die sozialpolitischen Maßnahmen in der DDR, z. B. Arbeitszeit der Frauen im VEB Uhrenkombinat Ruhla nur bis zum Mittag. In der BRD wäre so etwas nicht möglich. Ferner standen während des Besuches im VEB Uhrenkombinat Ruhla, BT453 Meiningen solche Fragen im Mittelpunkt, wie die Vertragserfüllung der Betriebe und die Erfüllung der Kundenwünsche. Während des Stadtrundganges in Meiningen, gegen 16.00 Uhr, kam es zu keinerlei Kontaktgesprächen und Adressenaustauschen. Durch die BRDBürger wurden vor allem Kinderbücher, Schallplatten und kunstgewerbliche Produkte gekauft. Auch der Besuch des Sinfoniekonzertes im Meininger Theater, gegen 19.30 Uhr, verlief ohne Vorkommnisse. Die Delegation war begeistert von dem Theaterbesuch. Diesbezüglich wurde durch die einzelnen Delegationsmitglieder aus Neu-Ulm übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, daß die Stadt Meiningen den Namen „Theaterstadt“ zu recht trägt. In dem am 23.09.1989 durchgeführten Auswertungsgespräch hatten die Delegationsmitglieder einstimmig zum Ausdruck gebracht, daß sie vom Besuch der Stadt Meiningen begeistert waren. Man wäre all ihren Wünschen entgegengekommen und dies würde dazu dienen, die Beziehungen zwischen der DDR und der BRD zu verbessern. Des weiteren wurden während dem Auswertungsgespräch Gastgeschenke ausgetauscht. Von seiten des Rat[es] der Stadt erhielten die Mitglieder der Delegation aus Neu-Ulm Schallplatten und „Räuchermännchen“. Von seiten der Delegation erhielten die Betreuer und der Bürgermeister je eine Tischuhr. Die Person Sch. […] Sekr[etariat]. des FDGB-Kreisvorstandes Meiningen erhielt außerdem durch die Delegationsleiterin aus Neu-Ulm einen Plastebeutel voll Konsumgüter. Hinweise auf die Nutzung des Aufenthaltes der Delegation aus Neu-Ulm zum Ausbau persönlicher Beziehungen und Kontakte konnten nur bei der Person Sch. […] festgestellt werden. 453 BT: Betriebsteil. 109 Eine zielgerichtete Vorbereitung dieser Reisegruppe durch feindliche Kräfte der BRD war nicht zu erkennen. Information 66/89 vom 5. Oktober 1989 über den geplanten Mißbrauch einer kulturellen Veranstaltung in Meiningen454 Der Leiter des Jugendklubs „Buch und Bühne“ L. […] Dramaturg am Meininger Theater plant für die von ihm für den 09. Okt. 1989 im „Stanislawski-Klub“ des Kulturbundes in Meiningen organisierte Veranstaltung „Atheisten und Christen; Der Verband der Freidenker und die Kirche“ in der Veranstaltungsreihe „Talkshow – Das heiße Eisen“ eine Konfrontation bekannter feindlich-negativer Kräfte mit Funktionären von Partei und Staatsorganen. Es ist mit Gesprächsthemen wie „innergesellschaftlicher Dialog“, „Neues Forum“, „Massenflucht“ zu rechnen. Durch L. […] wird verbreitet, daß er Einladungen an den – 1. Sekretär der Kreisleitung Meiningen der SED, Gen[ossen] P. […], – Sekretär für Agitation und Propaganda der Kreisleitung Meiningen der SED, Gen[ossen] H. […], – stellv[ertretenden]. Vorsitzenden des Rates des Kreises Meiningen für Inneres, Gen[ossen] H. […], – Intendanten des Meininger Theaters, Gen[osse]. J. […], – Stellv[ertretenden] Direktor des Musiktheaters des Meininger Theaters, H. […] sowie an einen Vertreter des Reisebüros gesandt hat. L. […] lud weiterhin die dem MfS hinlänglich bekannten Initiatoren politischer Untergrundtätigkeit – Kreisjugendwart T. […], Meiningen – Pfarrer K. […], Manebach – Studentenpfarrer L. […], Jena ein und stellte ihnen das Mitbringen weiterer Personen frei. Zu dieser Veranstaltung will T. […] die Mitglieder des „Gesprächskreises für Frieden und Ökologie“455 mitnehmen. Die feindlich-negativen Kräfte 454 110 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 25 f. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. haben sich abgesprochen, gezielte Fragen zu stellen und nach ca. 2 Stunden zur „offenen Diskussion“ überzugehen. Der Studentenpfarrer L. […] verbreitete bei den letzten Veranstaltungen den Aufruf des „Neuen Forum“. Es ist zu erwarten, daß er auch diese Veranstaltung nutzt, um im Sinne der Bildung der oppositionellen Bewegung „Neues Forum“ aufzutreten. Es werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen: – Zur Verhinderung des Mißbrauchs der Veranstaltung, zur Unterbindung einer möglichen Gruppenbildung im Sinne des „Neuen Forum“ sowie zum offensiven Vorgehen gegen feindlich-negative Kräfte sind ausgewählte qualifizierte Agitatoren einzusetzen. – Die einzusetzenden Kräfte sind konkret auf ihren Einsatz vorzubereiten und auf ein offensives Auftreten einzustellen. – Mit dem Organisator der Veranstaltung – L. […] – ist durch Vertreter des Staatsapparates eine Auseinandersetzung zu führen, in der das Unterlassen jeglicher Provokationen und anderer feindlich-negativer Handlungen gefordert wird. Dazu sollte auch das von ihm für den 06.10.89 erbetene Gespräch bei der Kreisleitung der SED genutzt werden. Information 67/89 vom 10. Oktober 1989 über weitere negative Äußerungen des Liedermachers D. […] am 03.10.1989 im Kulturhaus „Artur Becker“ Meiningen 456 Am 03.10.1989 fanden im Kulturhaus „Artur Becker“ Meiningen zwei Veranstaltungen mit dem Liedermacher D. […] statt, an denen insgesamt etwa 330 Bürger teilnahmen. 50 Prozent der Besucher setzten sich aus Pädagogen, Kindergärtnerinnen und Studenten des Institutes für Lehrerbildung Meiningen zusammen. Die Veranstaltungen standen unter dem Motto „Macht, Macht, Staat“. D. […] trat während der Nachmittag- und Abendvorstellung in ähnlich feindlich-negativer und provokatorischer Art und Weise wie in Suhl auf. In seinen ersten Liedern wandte er sich gegen spießige DDR-Bürger, kommentierte menschliche Schwächen und sang über das „gelobte DDR-Land, wie es in den Zeitungen dargestellt wird“. 455 456 Die Friedens- und Ökologiebewegung im Rahmen der Evangelischen Kirche in Meiningen erhielt in den Jahren von 1983 bis 1989 besondere Aufmerksamkeit. Vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1080. BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, S. 85 f. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. 111 Ein weiteres Lied D. […] war „unserer Botschafterin“ W. […] gewidmet, die schon viele Dollars für die DDR verdient habe, auf die die Republik ja so dringend angewiesen sei. In dem Lied über den „Montag in Leipzig“ brachte D. […] wiederholt zum Ausdruck, daß er dabeigewesen sei und mit eigenen Augen gesehen habe, wie das ZDF457 nicht rein und daß ARD458 nicht senden durften. Alle Beteiligten von Leipzig hätten sich ein rotes Band gereicht, immer mehr wären dazu gekommen, die nicht mehr hinter sich geblickt, sondern nur mehr Demokratie für den Staat verlangt hätten. Die Zulassung des „Neuen Forums“ sei kein Nachteil für die DDR, sondern Fortschritt für alle. In dem „Lied für die Sicherheitskräfte“ äußerte D. […], daß von der stillen Polizei immer einer dabei sei, der alles notiere und festhalte und die Telefongespräche abhöre. D. […] verlas während beiden Veranstaltungen die bereits bekannte Resolution und brachte zum Ausdruck, daß das „Neue Forum“ viele Gedanken entwickele, über die alle nachdenken sollten, um den Sozialismus und das Leben in der DDR weiter voranzubringen. D. […] äußerte, daß die DDRMassenmedien die o. g. Resolution nicht veröffentlichten, er jedoch einen Artikel für die „Junge Welt“ geschrieben habe, den bereits 150 000 Bürger unterzeichnet hätten. D. […] sprach sich wiederholt gegen die „Einseitigkeit der Information von Oben“ in den Massenmedien aus. In Abstimmung mit dem 1. Sekretär der Kreisleitung Meiningen der SED wurden 20 Mitarbeiter der SED-Kreisleitung, des Rates des Kreises Meiningen, Abteilung Kultur, des Rates der Stadt Meiningen sowie der FDJKreisleitung Meiningen instruiert und zum Einsatz gebracht. Es ist kritisch einzuschätzen, daß der Einsatz der gesellschaftlichen Kräfte, entsprechend der Zielstellung, in der Veranstaltung am Nachmittag wirkungslos blieb, da in keiner Weise gegen die negativen Inhalte der Liedtexte sowie die verlesene Resolution eingeschritten wurde. Nach nochmaliger Abstimmung mit dem 1. Sekretär der Kreisleitung der SED kamen weitere gesellschaftliche Kräfte aus den vorgenannten gesellschaftlichen Bereichen zum Einsatz. Mit Beginn des Verlesens der Resolution durch D. […] während der Abendveranstaltung erhoben die instruierten gesellschaftlichen Kräfte Einspruch und zeigten sich über die massive Herabwürdigung der gesell- 457 458 112 ZDF: Zweites Deutsches Fernsehen. ARD: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland. schaftlichen Verhältnisse in der DDR empört. Durch Pfiffe und Fußtrampeln sollten die Gegenargumentationen unterstützt werden. D. […] ging auf die dargelegten Argumente ein und betonte, daß es sein Ziel sei, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, den Dialog zu finden und mit allen Bewegungen, einschließlich solchen mit oppositionellem Charakter, in Kontakt zu bleiben. Trotz ständig vorgebrachter Mißfallensäußerungen der eingesetzten Kräfte, verlas D. […] die „Resolution der Kunst- und Kulturschaffenden“. Von den übrigen Veranstaltungsteilnehmern waren die Liedtexte und die Resolution begrüßt worden. Obwohl vor Veranstaltungsbeginn am 3.10.1989 durch den Abteilungsleiter der Konzert- und Gastspieldirektion Suhl, Gen[ossen]. F. […], und das Ratsmitglied für Kultur des Rates des Kreises Meiningen, Gen[ossen] A. […], mit dem Liedermacher D. […] mehrere Aussprachen geführt wurden, in denen er zum Nichtverlesen der Resolution veranlaßt worden war, ignorierte D. […] diese Forderungen. Vorliegenden Informationen zufolge war während eines Gespräches zwischen Genossen L. […], Rat des Bezirkes Suhl, und dem stellvertretenden Minister für Kultur, Genossen Dr. G. […], die Festlegung getroffen worden, die Auftritte des D. […] auch beim Verlesen der Resolution nicht zu unterbrechen. Information 68/89 vom 10. Oktober 1989 aus dem westlichen Grenzvorfeld459 In der BRD-Lokalpresse erschien im August 1989 ein Artikel mit der Überschrift: „Gemetzel an der Grenze“. Berichtet wird über eine Wildschweinjagd in einem Getreidefeld unmittelbar an der Staatsgrenze zwischen den Grenzgemeinden Henneberg und Hermannsfeld auf dem Territorium der DDR. So haben nach ihrer Darstellung 6 Mähdrescher eine Hetzjagd auf Sauen und ihre Frischlinge unternommen, die sich in dem Getreidefeld befanden, was abgemäht wurde. Wörtlich wird ausgeführt: „Nach Wildwestmanie kreisen die Mähdrescher die Frischlinge ein, hetzen und jagen sie in einer Sternfahrt mit den Mähdreschern und mit den LKW`s460, bis schließlich die Bauern mit Knüppeln und Spaten die Frisch459 460 BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, S. 87. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. LKW: Lastkraftwagen. 113 linge erschlagen. Klägliches Gewimmer und Angst- und Todesschreie der nicht richtig getroffenen Tiere hallen über den Grenzzaun in bundesdeutsches Gebiet.“ Verglichen wird diese Aktion mit dem gewissenlosen Abschlachten der Robbenbabys in der Antarktis. In diesem Zusammenhang wurden durch eine Reihe BRD-Bürger der Ortschaft Eußenhausen, vorrangig Mitglieder der dortigen Jagdgesellschaft, feindlich-negative Äußerungen gegen die DDR getätigt. So wurde zum Ausdruck gebracht: „Wenn die geschilderten Umstände auch nur annähernd stimmen, sollten Bürgermeisterhaus und LPG niedergebrannt und anschließend dem Erdboden gleichgemacht werden. Den Einwohnern von Henneberg und dem dortigen Bürgermeister wurde gewünscht, daß sie 10 Stunden nach einem Stück stinkenden Fleisch anstehen müßten, denn sie verdienten es nicht besser. Abschließend wurde betont, daß Schweinereien nicht verjähren und auch niemand wüßte, was aus der russischen Besatzungsgrenze und der Ortschaft Henneberg werden wird.“ Information [69]/89 vom 10. Oktober 1989 zum Klub „Buch und Bühne“ Meiningen461 Die geplante Veranstaltung des Jugendklubs „Buch und Bühne“ Meiningen am 09.10.1989 fand entsprechend den getroffenen Festlegungen nicht statt. Gegen 20.00 Uhr erschienen ca. 20 Personen im Alter von 18–35 Jahren vor dem Kreiskulturhaus „Artur Becker“ und äußerten ihre Verwunderung darüber, daß die geplante Klubveranstaltung nicht statt fand. Darunter befand sich Dr. D. […] Es wurde geäußert, daß man es nicht verstehen könne, daß diese Veranstaltung nicht offiziell in der Presse oder durch einen Aushang am Kreiskulturhaus abgesagt wurde. Weiterhin kamen solche Äußerungen wie „Die haben wohl Angst, daß etwas passiert. Da passiert doch sowieso nichts.“ Gegen 20.15 Uhr löste sich dieser Personenkreis Richtung Stadtmitte auf. Gegen 20.25 Uhr wurde festgestellt, daß sich ca. 20 Personen in das Pfarrhaus – Meiningen, Am Mittleren Rasen – begaben. Es kann nicht eindeutig ausgesagt werden, ob diese Personen mit jenen identisch sind, die vor dem Kreiskulturhaus standen. Die Veranstaltung – Am Mittleren Rasen –, zu 461 114 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 27 f. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. Diese Information blieb ohne Angabe einer Nummer. deren Inhalt zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Auskunft getroffen werden kann, endete 22.00 Uhr. 31 Personen verließen das Pfarrhaus Am Mittleren Rasen und lösten sich ohne Vorkommnisse in Richtung Stadtzentrum auf. Personifiziert wurden u. a. die Mitglieder des „Gesprächskreises Frieden und Ökologie“ sowie die Punker Sch. […] und R. […] Anhand der nachfolgend aufgeführten Kfz-Kennzeichen wurden auch nachstehende Personen als Teilnehmer dieser Veranstaltung identifiziert: OZ […] Meiningen, Leipziger Str. 34 OKB […] Meiningen, Kalininring 76 OKB […] Sülzfeld, Mühlstr. […] OL […] Suhl. Zur inhaltlichen Gestaltung der Veranstaltung sowie zur weiteren Personifizierung des Teilnehmerkreises wird nachberichtet. Information 70/89 vom 10. Oktober 1989 zur Reaktion der Bevölkerung462 Unter der Mehrheit der Bevölkerung herrscht gegenwärtig große Unzufriedenheit. Teilweise werden sehr negative Meinungsäußerungen geführt, die sich gegen alle gesellschaftlichen Bereiche in der DDR richten. Die Bürger verfolgen vorrangig die Sendungen der westlichen Massenmedien und werten diese in ihren Arbeitskollektiven oder bei Gesprächen bzw. Diskussionen aus. In diesem Zusammenhang kritisiert man die nach ihrer Auffassung unzureichende objektive und aktuelle Berichterstattung der Massenmedien der DDR. Eine Reihe Personen übt Schadenfreude darüber, daß Tausende DDRBürger auf die Hetzkampagnen des BRD-Fernsehens reingefallen sind. In der Mehrzahl der Diskussionen spielen vor allem – Handels- und Versorgungsfragen in der DDR, – Offenheit in den Massenmedien der DDR, – Freizügigkeit im Reiseverkehr für alle DDR-Bürger, – Durchführung von Reformen in der DDR eine Rolle. 462 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen, Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 39–41. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. 115 Es wird auch die Auffassung vertreten, daß die Partei und Regierung ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen ist und es zweckmäßig wäre, jüngere Personen mit diesen Aufgaben zu betrauen. Insgesamt bestehen Erwartungshaltungen zu kurzfristigen Veränderungen in der DDR, denn so könne es nach ihrer Meinung nicht mehr weitergehen. Gewalt wird in diesem Zusammenhang verurteilt, denn die bestehenden Probleme könnten auch durch andere Maßnahmen gelöst werden. Im Einzelnen stellen sich die Meinungsäußerungen wie folgt dar: Im VEB463 Denkmalpflege Meiningen464 werden unter Jugendlichen und jungen Facharbeitern Auffassungen vertreten wie: – Wenn sich bei uns nichts tut, dann müssen die jungen Leute doch unser Land verlassen. – Die Lösung des Wohnungsproblems ist versprochen worden, aber nichts wird eingehalten, dafür gibt es immer weniger zu kaufen. Die FDJ-Leitungsmitglieder des Betriebes Sch. […] Steinmetz, parteilos, G., […] Zimmerer, Mitgl[ied] der CDU465, V. […] Bautischler, parteilos, erklärten, nicht mehr in der FDJ-Leitung mitzuarbeiten, da ihnen nichts geboten würde. Außerdem betonten sie, daß sich in der DDR nichts ändere und es immer schlechter würde, deshalb sei jedes politische Engagement sinnlos. G. […] äußerte: – Ihr von der Partei seid bald alleine. Die Ziele der SED sind nicht die des Volkes. Die Bürger wollen frei sein, reisen können und für gute Arbeit sich etwas leisten. – In der DDR gehe es nur bergab. – Man könne nirgends seine Meinung frei äußern. – Die alte Regierung müßte endlich junge Leute einsetzen. – Im DDR-Fernsehen hat Karl-Eduard von Schnitzler die DDR-Flüchtlinge beschimpft. Er habe Idioten, Asoziale u. a. Bezeichnungen von sich gegeben. Solange solche Meinungen vorherrschen, wird sich auch bei uns nichts ändern. Wenn Schnitzler im Fernsehen ist, kann man getrost wegschalten, den sieht doch niemand. 463 464 465 116 VEB: Volkseigener Betrieb. Zum VEB Denkmalpflege Meiningen vgl. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1095. CDU: Christlich-Demokratische Union. Ältere Werktätige des Betriebes sind im Gegensatz dazu sehr besorgt über die derzeitige Entwicklung. Die Ausreisenden werden als Verräter bezeichnet. Bezüglich der Jugendpolitik wird von großen Fehlern gesprochen. Es sei falsch gewesen, der Jugend das Leben so leicht zu machen. Die Meinung war vorherrschend, daß sich diesbezüglich etwas ändern muß, da die FDJ keinen Einfluß unter den Jugendlichen mehr habe. Selbständige Handwerker aus Meiningen argumentierten: – Wo sind die wirtschaftlichen Erfolge der DDR? – In den Zeitungen belügen wir uns selbst, nach den Ausführungen in der Presse müßte in der DDR alles in Ordnung sein und es alles geben, aber dem ist nicht so. – Die Massenmedien sollten objektiv berichten. Bürger des Wohngebietes XX der Kreisstadt brachten zum Ausdruck: – Als DDR-Bürger muß man für eine Auslandsreise das ganze Jahr sparen. – Die DDR ist nach 40 Jahren arm. – Bei uns geht es nicht vorwärts, sondern rückwärts. – Der DDR-Bürger ist im sozialistischen Ausland unbeliebt. Angestellte und mittlere leitende Kader im VEB [B] StK466 Suhl, Sitz Meiningen, erklären sich auch mit der Medienpolitik in der DDR nicht einverstanden. Man hätte keine Reaktion gezeigt, nachdem bereits Tausende DDR-Bürger die Republik über Ungarn in die BRD verlassen hätten. Auch gegenwärtig sei keine ausreichende aktuelle Informationsgewinnung in den Massenmedien der DDR gegeben. Nach ihrer Auffassung sei man gezwungen, sich im BRD-Fernsehen über die „wahre Situation“ in der DDR zu informieren. Einzelne vertraten den Standpunkt, daß die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag nicht angebracht waren. Man hätte die Probleme lieber in Angriff nehmen sollen, die bestehen bzw. ein Zeichen setzen, wie es in der DDR weitergehen soll. Im Zusammenhang mit dem Eigentum der ehemaligen DDR-Bürger wird betont, daß sich Leiter und Funktionäre diese Gegenstände bzw. Wohnungen aneignen. Werktätige des VEB Plattenwerk Walldorf sagten: – Die Berichterstattung an zentrale staatliche Organe ist nicht objektiv, es wird Schönfärberei betrieben. Die Regierung weiß nicht, wie es in den einzelnen Kreisen und Betrieben aussieht. – Die Regierung ist überaltert. – Warum transportieren wir noch die DDR-Bürger mit dem Zug in die BRD? 466 VEB (B) StK: Volkseigener Betrieb (Bezirksgeleitet) – Straßen- und Tiefbaukombinat. 117 Arbeiter im VEB Metallwerk Wasungen sprachen sich dafür aus, nicht erst größere Zusammenrottungen zuzulassen, sondern bei den kleinsten negativen Erscheinungen zu reagieren und die Ordnung durchzusetzen. Die Arbeitsatmosphäre in diesem Betrieb ist angespannt. Einzelne Arbeiter bringen zum Ausdruck, jetzt sind erst einmal die Werktätigen am Zuge, und die Leitung bzw. Parteiorganisationen im Zugzwang. Genossen der dortigen GO467 betonten: – Wer an den Grundfesten unseres Staates rüttelt, muß zur Rechenschaft gezogen werden. – Wenn ein anderer Sozialismus zugelassen werden sollte, denn möchten sie nicht mehr Mitglied der SED sein. Bürger der Kreisstadt diskutierten in Gaststätten, daß die derzeitige Lage in der DDR vorausschaubar war. Da sich keine Lösung bei den Antragstellern auf ständige Ausreise abzeichnete, hätten diese die Gelegenheit genutzt, über Ungarn die DDR ungesetzlich zu verlassen bzw. über die Botschaften der BRD legal auszureisen. Nach ihrer Darstellung müßte den DDR-Bürgern mehr Reisefreiheit zugesichert werden. In Einzelmeinungen wurde geäußert, das „Neue Forum“ zuzulassen, weil in der DDR eine Oppositionspartei notwendig wäre, da die Blockparteien keinerlei Einfluß ausüben könnten. Diese Meinung fand Resonanz unter den anderen Gästen. Unter Bürgern der Stadt Wasungen werden Kritiken geübt an der Versorgungslage in der DDR und vor allem des Bezirkes Suhl. Es werden Ursachen für diese sogenannte „Fluchtwelle“ gesucht. Weiter wird betont, wer keine Beziehungen hat, bekommt nichts. Heftig diskutiert wird die These „Sozialismus als Leistungsgesellschaft“. Gegenwärtig sei noch zu verzeichnen, daß Arbeiter ohne Facharbeiter den gleichen Lohn erhalten als mittlere leitende Kader. Das stehe nicht im Verhältnis in einer Leistungsgesellschaft. Der Dachdeckermeister im VEB Gebäudewirtschaft Meiningen, R. […] Mitglied der SED, sprach sich gegen die Gewaltanwendung der DVP468 gegen Demonstranten in Dresden, Leipzig und Berlin aus. Er versteht nicht, wie sich Menschen dazu hergeben können, andere zusammenzuprügeln. Gen[osse] Honecker stelle sich im Gegensatz dazu am Wochenende in seinen Reden hin, als ob alles in der DDR in Ordnung wäre. Er vertrat die 467 468 118 GO: Grundorganisation. DVP: Deutsche Volkspolizei. Meinung, daß unsere Regierung überaltert ist und nicht mehr fähig sei, die Aufgaben zu lösen. Er überlege ernsthaft, ob er nicht aus der SED austritt. Die Mitglieder der NDPD T. […], P. […], W. […], M. […] äußerten während einer Mitgliederversammlung, an der 28 Personen aus 4 Wohngebietsverbänden teilnahmen: – An der ganzen Misere in der DDR hat Erich Honecker Schuld. Diese Alten müssen endlich von ihren Stühlen weichen. Die Bonzen sehen nur ihren Vorteil und kümmern sich um nichts. – Die DDR ist in ihrer Gesamtheit ein Saustaat. – Wir müssen die Schuld nicht bei anderen suchen, sondern zuerst bei uns selbst. – Wir brauchen eine andere Partei in der DDR. – Die jetzigen Funktionäre sind geistig nicht in der Lage, den Staat weiter zu führen. – Erfolgt keine Änderung im wirtschaftlichen Bereich, ist dies der Untergang der DDR. – So kann ein Staat nicht weiter existieren, die Spitze muß verändert werden, und das auch im Bezirk und im Kreis. Die hauptamtlichen Kader des NDPD-Kreisvorstandes Meiningen empfanden am 09.10.1989 Freude über die Demonstrationen in Großstädten der DDR und entrüsteten sich über das Vorgehen der Sicherheitsorgane. Nachdem der Kreissekretär A. […] Kenntnis von den Schmierereien in Meiningen in der Nacht vom 06.10. zum 07.10.1989 erhielt, sagte er: Es ist noch viel zu wenig, die müßten noch viel mehr tun, denn man kann doch diese Ungerechtigkeit nicht mehr mit ansehen. Die Entscheidung der DDR bezüglich des zeitweiligen Aussetzens des paß- und visafreien Reiseverkehrs ist nach Auffassung des A. […] ein Akt der Machtlosigkeit der DDR. Nach seiner Darstellung gehe es nicht mehr lange, und der Staat breche zusammen. 119 Information 71/89 vom 13. Oktober 1989 zu M. […], Sportlehrer469 M. […] hielt sich in den Abendstunden des 10.10.1989 in der Gaststätte „Walfisch“ Meiningen auf und nahm erhebliche Mengen Alkohol zu sich. Unter den anwesenden Gästen wurde über aktuelle Tagesthemen Polemik geführt, so fielen die Aussprüche Reformen, die Alten müssen weg, Armeegeneral Heinz Kessler konnte kaum die Parade abnehmen. Er solle sich lieber in Zivil hinstellen und Verbeugungen machen. M. […] rief lautstark in diesem Zusammenhang in provokatorischer Weise: „Vorwärts zum XII. Parteitag!“ Einzelne Gäste in der Gaststätte betitelte er mit „Kommunistenschweine, die nur das große Maul und ihren Schreibtisch hätten“. Weiterhin schrie er: „Sollen sie mich doch einsperren, die Hauptsache meine Schüler stehen zu mir.“ Nähere Einzelheiten und Auskünfte dazu kann der Gaststättenleiter geben. Es wird empfohlen, parteierzieherische Maßnahmen zu M. […] einzuleiten. Information 72/89 vom 13. Oktober 1989 zum VEB Innenprojekt Meiningen470 Unter Genossen und Mitarbeitern des o. g. Betriebes kursieren Gerüchte über den Parteisekretär und stellvertr[etenden]. Direktor des Betriebes […]. Grundlage bildet, daß Gen[osse] […]vor ca. 2 Wochen seinen Parteiaustritt erklärte mit der Begründung, nicht mehr mit der Politik von Partei und Regierung einverstanden zu sein. Daraufhin sei mit ihm eine Aussprache in der SED-Kreisleitung erfolgt. Über deren Ergebnis wurde bisher keine Rückantwort an die Betriebsleitung bzw. Grundorganisation gegeben. Einige Genossen äußerten, setze man den Genossen […] wiederum als Parteisekretär ein, hätten sie keine Veranlassung mehr, weiter Mitglied der SED zu bleiben. Außerdem wird angeführt, daß Gen[osse] […] vorzeitig einen PKW „Wartburg“ aufgrund seiner angeblichen „Beziehungen“ erhalte. So etwas 469 470 120 BStU, MfS, BV Suhl, AKG Nr. 47, Bd. 2, Bl. 93. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 50. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. vereinbare sich nach ihrer Meinung nicht mit einer Leiterpersönlichkeit bzw. einem Funktionär. Information 73/89 vom 19. Oktober 1989 zur Reaktion der Bevölkerung471 Zu den Ergebnissen der 9. ZK472-Tagung, vor allem der Einsatz des Genossen Egon Krenz als neuen Generalsekretär des ZK der SED und dessen Ausführungen am gestrigen Abend im DDR-Fernsehen, werden nach vorliegenden Hinweisen unter allen Bevölkerungsschichten umfangreiche Diskussionen geführt. Die Meinungsäußerungen reichen von positiven Standpunkten über abwartende Haltungen bis zu negativen Haltungen zur Politik der SED und der Person des Genossen Krenz. Es ist in diesem Zusammenhang unverkennbar, daß die Mehrheit der Bürger den westlichen Massenmedien glauben schenkt, deren Beiträge vom gestrigen Abend auswertet und die Argumente anerkennt bzw. gleiche Auffassungen dazu vertritt. Im einzelnen stellen sich die Meinungsäußerungen wie folgt dar: – Erzieher der BBS des BMK473 Meiningen begrüßen den Einsatz des Genossen Krenz als neuen Generalsekretär. Sie betonten, daß sich aufgrund der gesamten innenpolitischen Situation und des Gesundheitszustandes des Genossen Honecker eine solche Entscheidung notwendig mache. Genosse Krenz sei bereits bekannt und besitze auch die entsprechende Ausstrahlungskraft. In ihn werden große Erwartungen gesetzt. Gewürdigt wurde die Politik des Gen[ossen] Honecker. – Beschäftigte der Kaufhalle Leninstraße in Meiningen brachten zum Ausdruck: – Kaderveränderungen waren zu erwarten, wobei man damit rechnete, daß der 1. Sekretär der Bezirksleitung Dresden als Nachfolger von Gen[osse] Honecker fungiert und nicht Egon Krenz, da dieser bereits gesundheitlich angeschlagen sei. – Es aber auch nicht so sein kann, Genossen Honecker alle Schuld an der entstandenen Situation zuzuschieben, zumal auch Genosse Krenz als Po471 472 473 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 45 – 49. Die Information unterzeichnete der Stellvertretende Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Major Hubertus Bräuning. ZK: Zentralkomitee. BBS: Betriebsberufsschule; BMK: Bau- und Montagekombinat. 121 litbüromitglied jahrelang diese Politik mit duldete und nichts dagegen unternahm. – Es alleine mit Kaderveränderungen nicht getan ist, sondern unverzüglich an die Lösung der bestehenden Probleme herangegangen werden muß, um Ergebnisse zu sehen. – Die Mehrheit der Ärzte des BKH474 Meiningen akzeptiert die Veränderungen in der Parteiführung nicht. Man hätte dort vor allem einen Politiker erwartet, der eine große Ausstrahlungskraft besitzt und bisher nicht zum unmittelbaren „Vertrauenskreis“ Erich Honeckers gehörte. Schließlich habe auch ein Egon Krenz in seiner Funktion dazu beigetragen, daß derartige Probleme in der DDR entstehen konnten und die Lage, wie in seiner Ansprache betont, nicht objektiv eingeschätzt wurde. Es wird angezweifelt, ob die angesprochenen Probleme auch in vollem Umfang geklärt werden. Jetzt gelte es, konkrete Lösungsvorschläge darzulegen und allen die Möglichkeit zu geben, mitzuwirken. Dabei dürften keine Initiativen gestoppt bzw. die tatsächlichen Zustände weiter beschönigt werden. Geschlußfolgert wird, daß dieser Wechsel nur vorübergehend ist und nach dem XII. Parteitag [der SED] eine erneute Kaderveränderung erfolgen wird. – Einzelne Mitarbeiter des Rates des Kreises Meiningen sind skeptisch, ob Genosse Krenz die Aufgaben erfüllen kann, da er gesundheitliche Probleme habe. Man war überrascht, daß Genosse Honecker so kurzfristig abberufen wurde. Gerechnet wurde damit, daß als neuer Generalsekretär ein 1. Sekretär einer Bezirksleitung eingesetzt wird. Genossen des Rates des Kreises bezeichneten die Wahl des Genossen Krenz zum Generalsekretär als einen notwendigen Schritt unserer Parteiführung, der allerdings bereits längst fällig gewesen wäre. Beeindruckt waren die Genossen von der Rede des Gen[ossen] Krenz, die ihrer Meinung nach wieder Zuversicht gegeben habe. Begrüßt wurde auch die Herauslösung der Genossen Günter Mittag sowie Hans-Joachim Herrmann aus ihren Funktionen im Politbüro. Daran anschließen müßten sich weitere Veränderungen, insbesondere hinsichtlich der Verjüngung des Partei- und Staatsapparates auch auf Bezirksebene. In diesem Zusammenhang wurde vor allem auch der Gen[osse] Hans Albrecht, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Suhl, angesprochen, 474 122 BKH: Bezirkskrankenhaus. zu dem es gerade in den letzten Tagen umfangreiche Diskussionen gibt. Diese beziehen sich vor allem auf angebliche Urlaubsreisen in das NSW. – Angestellte im VEB Robotron-Elektronik/BT475 Meiningen äußern Vorbehalte zum Einsatz des Gen[ossen] Krenz als Generalsekretär. Nach ihrer Auffassung dürfen nun aber sachliche Kritik und das Ansprechen von Problemen nicht den Abschluß bilden, sondern es müßten konkrete Taten folgen. – Vor allem wurden genannt Reiseerleichterungen sowie Klärung der Versorgungsprobleme. Erst dann sollte man weitere anstehende Fragen klären. – Die werktätigen Frauen des VEB UMK Ruhla476/BT Wasungen bezeichnen den Einsatz des Gen. Egon Krenz als neuen Generalsekretär als nicht vielversprechend und sehen darin keine großen Veränderungen in der Politik unseres Staates. – Egon Krenz sei ein persönlicher Freund von Erich Honecker und schon daraus werden solche Meinungen abgeleitet. Egon Krenz würde in seiner Politik nur glaubwürdig erscheinen, wenn er auf die drei vorgeschlagenen Punkte seitens der BRD eingehen würde. Diese 3 Punke beinhalten angeblich – Reisefreiheit – Pressefreiheit – wirtschaftliche Reformen. Sollte er auf diese Punkte nicht eingehen, hätte er sich schon vor dem XII. Parteitag abgewirtschaftet. Weitere Diskussionen gab es in diesem Betriebsteil zu sogenannten „Sonderläden“ für führende Funktionäre des Partei- und Staatsapparates sowie Angehörige des MfS. Manche Werktätige wollten genau wissen, daß es solche Läden gibt. – Jugendliche der Kreisstadt erwarten eine Wende zu ihren Gunsten, können aber nicht konkret sagen, was dies im Einzelnen sein könnte. Weiterhin wird unter Bürgern der Kreisstadt zum Ausdruck gebracht, daß man in der gegenwärtigen Situation zwischen konterrevolutionären Kräften und Unzufriedenen unterscheiden müsse. Letztgenannte würden nicht den Sozialismus in Frage stellen, ihnen gehe es darum, solche Erscheinungen zu beseitigen wie Korruption und Privilegien bzw. formale, starre und nicht vorwärtsweisende Haltungen. Weiterhin wurden genannt: 475 476 BT: Betriebsteil. VEB UMK Ruhla: Volkseigener Betrieb Uhren- und Maschinenkombinat Ruhla. 123 – Reisetätigkeit – Preispolitik – Leistungsprinzip – Besitz von DM und Einkauf in Intershop-Läden – Umweltschutz – Medienpolitik. Besonders zum letztgenannten Problem wurde bekannt, daß die Bürger unseren Medien keinen Glauben mehr schenken. Sie äußern kritische Standpunkte zu angeblichen privilegiertem Verhalten von Funktionären. Dabei wird immer wieder der 1. Sekretär der BL477 der SED, Genosse Hans Albrecht, genannt. Herausgestellt werden dabei – private NSA-Reisen – Besitz von westlicher Währung und Einkauf in speziellen Geschäften – Nutzung von PKW aus der NSW478-Produktion. Angeführt wird, daß Gen[osse] Albrecht seinen Urlaub in Spanien und Italien verlebte. – Der Direktor im VEB Denkmalpflege Suhl, Sitz Meiningen, L. […] äußerte in Anwesenheit von 3 FDJ-Leitungsmitgliedern sowie des Justitiars des Betriebes zu aktuellen Fragen am 11.10.89: – Er sei für Reformen und Neuerungen, es müsse sich etwas bei uns tun. Solche Leute wie Hans Albrecht, die sich Prominenteneingänge ins Kulturhaus bauen lassen, Thüringer Erde in ihr Haus nach Berlin fahren lassen und mit Westgeld um sich werfen, haben das Vertrauen der Partei untergraben. Die Auszeichnung mit dem „Vaterländischen Verdienstorden“ sei einfach lächerlich. Damit hat die Partei kein Vertrauen mehr unter den Menschen. – Wir brauchen ein neues Wahlsystem. Eine Wahl, die mit 98% endet sei Betrug. Es werde immer Andersdenkende geben. 65–70% „Ja-Stimmen“ sind nach seiner Meinung objektiv. Alle Wähler müßten Kabinen benutzen. – Wir werden nicht umhin kommen, den anderen Parteien und der Kirche mehr Rechte einzuräumen. In jedem Land spielt die Opposition eine fruchtende Rolle. Bei uns wolle man das nicht wahrhaben. – Die alten Köpfe in Berlin haben sich zuviel herausgenommen. Ihr Tisch ist überladen, jetzt bricht er auseinander. 477 478 124 BL: Bezirksleitung. NSW: Nichtsozialistisches Währungsgebiet. Der 1. Sekretär von Dresden, er kenne ihn schon viele Jahre sehr gut, habe im Westen Stil und Haltung bewiesen. Er sei der Mann der Zukunft. – Das Gespräch durch die FDJ-Leitungsmitglieder auf die Rolle des MfS hingelenkt gab L. […] zu verstehen, daß man darüber bald anderer Meinung sein wird. Die Tage von Personen, die wörtlich alles aufschreiben was man sagt, sind bald vorüber. Man wird freier seine Meinung sagen können. Analoge Äußerungen tätigte L. […] auch am 10.10.89 in einer Beratung mit der Produktionsleitung. Bauleiter betonten, L. […] stellt seine Fahne in den neuen Wind. Unter Mitarbeitern im Großhandelsbetrieb WtB479 Meiningen wurde zur Situation in der DDR zum Ausdruck gebracht, wenn die Bürger nicht auf die Straße gegangen wären, wäre alles so weitergelaufen. In der SU hat man gestreikt, hätten sie das nicht getan, hätten sie keine Seife erhalten. Es werden große Erwartungen in den neuen Generalsekretär gesetzt. Viele erhoffen sich Reiseerleichterungen. Angestellte des Kreispionierhauses Meiningen vergleichen die gegenwärtige Situation in der DDR mit einem aufgeheizten Ballon, der Luft ablassen müßte. Jahrelang wären die Parteien und Organisationen in Selbstzufriedenheit, Routine, Schematismus und Bürokratie versunken. Auch in der politisch-ideologischen Arbeit habe man große Abstriche zugelassen. Die Kreisleitungen der SED und FDJ sind nach ihrer Meinung nur noch Papierapparate, Arbeit mit den Menschen fehle ganz. Zur Medienpolitik wird eingeschätzt, daß gegenwärtig nur die „Junge Welt“ aktuell und wahrheitsgetreu berichtet. Weiterhin wird der Standpunkt vertreten, eine Partei zuzulassen, in der Bürger vereint sind, die Veränderungen wollen, ohne den Sozialismus zu beseitigen. Angehörige der VP-Bereitschaft Meiningen schätzen ein, daß ein gewaltsamer Zusammenstoß zwischen Staatsmacht und den sogenannten Reformkräften nicht ausgeschlossen werden kann. Auswertung der Information zu L. […] nur nach Rücksprache. 479 WtB: Waren täglicher Bedarf. 125 Information 74/89 vom 20. Oktober 1989: Unter Bürgern der Gemeinde Jüchsen werden Diskussionen zum Vorsitzenden des Rates des […] geführt480 So wird zum Ausdruck gebracht, daß Gen[osse] […] an seine ledige Tochter eine Kennziffer für den Bau eines Eigenheimes vergeben hat. Diese Kennziffer laufe nicht direkt auf seine Tochter, sondern über einen Betrieb, um Diskussionen aus dem Wege zu gehen. Das Baugrundstück sei von 5 ar auf 7 ar erweitert worden. Den anliegenden Eigenheimbauern habe Gen[osse] […] angeblich die Zusicherung gegeben, daß ihr Baugrundstück ebenfalls erweitert wird. Weiterhin wird diskutiert, daß man ihm aus Anlaß seines 50. Geburtstags unentgeltlich eine Jagdhütte errichten ließ und die Zufahrtsstraße zu diesem Objekt gepflastert worden sei. Die Bürger verstehen solche Handlungen eines Funktionärs nicht. Sie fordern eine sofortige Überprüfung und bei Bestätigung eine entsprechende Bestrafung. Einzelne Bürger äußerten sich, an zentrale staatliche Organe zu wenden und dort über die Verhaltensweisen des Gen[ossen] […] zu informieren. Information 75/89 vom 20. Oktober 1989 [zu einer Unterschriftensammlung im RAW Meiningen]481 Am 19.10.89 kam es unter den Produktionsarbeitern im RAW482 Meiningen zu einer Unterschriftensammlung, die sich mit den Urlaubsansprüchen für 3-Schicht-Arbeiter befaßte. Organisiert wurde sie von dem RAW-Beschäftigten B. […] B. […] forderte in der Unterschriftensammlung, die von ca. 40 bis 50 Kollegen unterschrieben wurde, einen Zusatzurlaub von 5 Tagen für alle Schichtarbeiter anstelle der bisherigen 3 Tage. Es gäbe im RAW Meiningen einen Widerspruch dahingehend, daß langjährige Kollegen 3 Tage und neueingestellte Kollegen 5 Tage Zusatzurlaub erhalten würden. 480 481 482 126 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 53. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 52. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. RAW: Reichsbahnausbesserungswerk [„Helmut Scholz“]. B. […] wollte seine Unterschriftensammlung an die Redaktion „Prisma“ beim Fernsehen der DDR schicken. Der Werkdirektor des RAW wurde am 20.10.89 um 07.00 Uhr durch den Meister B. über diesen Sachverhalt informiert. Bereits vor 2 Jahren hatte B. […] versucht, die Beschäftigten des Bereiches Ucv483 im RAW Meiningen mit einer Unterschriftensammlung zur Durchsetzung höherer Lohnforderungen zu bewegen. Es wird vorgeschlagen, über die Gewerkschaftsleitung des RAW Meiningen dieses Problem zu klären und einer Lösung zuzuführen. Information 76/89 vom 23. Oktober 1989 über Beantragung der Genehmigung einer friedlichen Demonstration in der Kreisstadt Meiningen484 Die am Meininger Theater beschäftigten K. […] und L. […] erschienen am 20.10.89 gegen 15.20 Uhr bei der Objektsicherung des VPKA485 Meiningen und wollten zur Abt[eilung] Erlaubniswesen. Auf Befragen des Postens geben sie folgende Auskunft: Sie wollen eine Genehmigung beantragen für den 19.11.89 10.15 Uhr für eine friedliche Demonstration gemäß Artikel 27 und 28 der Verfassung der DDR, an der ca. 200 Kulturschaffende des Bezirkes Suhl teilnehmen wollen. Die Wegstrecke der Demonstration sei vom Meininger Theater über die August-Bebel-Straße zum Platz der Republik in Meiningen vorgesehen. Dort soll diese Demonstration in einer Kundgebung enden. Beide führten ein entsprechendes Schriftstück bei sich. Durch den Genossen der Objektsicherung wurde ihnen mitgeteilt, daß gegenwärtig keine Sprechzeit in dieser Abteilung ist. Daraufhin äußerten sich die K. […] und […], am Dienstag, den 24.10.89 vorzusprechen. 483 484 485 Bei Ucv handelt es sich um eine Güterwagengattung. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 52. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. VPKA: Volkspolizeikreisamt. 127 Information 77/89 vom 23. Oktober 1989 über Aktivitäten des „Neuen Forum“486 Am Mittwoch, den 18.10.89, wurde durch Schüler der EOS487 Meiningen, welche gegenwärtig einen Computerlehrgang im RAW Meiningen absolvieren, der Aufruf „Aufbruch 89 – Neues Forum“ mittels Computer 3 mal vervielfältigt. Als Vorlage diente ein Ormig-Abzug des Aufrufes. Im Rahmen vorgenommener Überprüfungsmaßnahmen konnte die Herkunft des als Vorlage dienenden Ormig-Abzuges nicht festgestellt werden. Die Schüler, welche den Computerlehrgang im RAW Meiningen besuchen, wurden namentlich ermittelt. Ferner wurde in diesem Zusammenhang bekannt, daß die Schülerin der 12. Klasse der EOS Meiningen H. […] wh. Meiningen, Am mittleren Rasen […] ihr Klassenkollektiv dazu aufrief, am Mittwoch, den 24.10.89 mit in das Pfarrhaus in Meiningen zu kommen, um über gegenwärtig existierende Probleme in der DDR sowie über das „Neue Forum“ zu diskutieren. Bei der H. […] handelt es sich um die Tochter des Meininger Pfarrers H. […] wh. Meiningen, Am mittleren Rasen […]. Information 79/89 vom 24. Oktober 1989 [zur Anleitung der APOSekretäre im RAW Meiningen]488 In der am 23.10.1989 stattgefundenen Anleitung der APO489-Sekretäre im RAW Meiningen wurden durch den APO-Sekretär D. […] die bisher gültigen Prinzipien und Verfahrensweisen bei Parteiwahlen angegriffen. Im einzelnen forderte D. […], daß der APO mehr Selbständigkeit zukommen muß und die Parteiwahlen demokratischer ablaufen sollen. Dabei forderte er, daß die Kandidaten von der APO und BPO490 nicht mehr vorgegeben werden sollten. Aus jeder Parteigruppe sollten 8 Vorschläge für die 486 487 488 489 490 128 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 52. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. EOS: Erweiterte Oberschule. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 67. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. APO: Abteilungsparteiorganisation. BPO: Betriebsparteiorganisation. Kandidaten gefordert werden und nach dem Mehrheitsprinzip soll die Kandidatenliste in der APO aufgestellt werden. Weiter soll nach seiner Auffassung die Wahl des APO-Sekretärs aus der APO heraus erfolgen. Die Statistik der SED-Kreisleitung, insbesondere bezogen auf den prozentualen Anteil von 12% Jugend, 12% Frauen, 70% Arbeitern und der Rest Intelligenz sei nach seiner Meinung völlig uninteressant. Information 80/89 vom 25. Oktober 1989 zur Reaktion der Bevölkerung491 Nach wie vor werden unter allen Bevölkerungsschichten umfangreiche Diskussionen zur gegenwärtigen Situation in der DDR sowie über die ausgelösten Aktivitäten der Parteiführung geführt. Insgesamt werden hohe Erwartungen an Gen[ossen Egon] Krenz gestellt, die Aufgaben zu lösen. Trotz positiver Haltungen bestehen unter allen Bevölkerungsschichten Unzufriedenheit, deren ausschließliche Ursachen in der SED gesucht werden. Im einzelnen stellen sich die Meinungsäußerungen wie folgt dar: – Das Pädagogenkollektiv der EOS Meiningen begrüßt übereinstimmend die Wahl des Gen[ossen] Krenz zum Generalsekretär. Es wurde aber auch geäußert, daß Gen[osse] Honecker einen solchen Abgang nicht verdient habe, denn schließlich habe auch er bedeutende Erfolge beim Aufbau des Sozialismus in der DDR erringen können. – Lehrer und Lehrlinge an der BBS des BMK Meiningen fordern sofortige Lösungen bei der Bereitstellung eines kontinuierlichen Warenangebotes, zur Erleichterung der Reisetätigkeit und Schaffung neuer Möglichkeiten sowie zur Sauberkeit unserer Städte und Gemeinden. Man bezieht eine abwartende Haltung und äußert teilweise Skepsis zur Lösung der aufgezeigten Probleme. Nach ihrer Auffassung sei über die bestehenden Fragen in der DDR schon jahrelang diskutiert und berichtet worden. Das Vertrauensverhältnis sei zur Partei verlorengegangen. – Bürger der Kreisstadt sehen in der Neuwahl des Gen[ossen] Krenz keine Veränderungen in der Politik der SED. Ihnen geht es um kurzfristige Lösungen bei Reisen und der Versorgungslage. In der Kreisstadt wird vor allem die Gemüseverkaufsstelle in der Leipziger Straße kritisiert. Eingaben an den Rat der Stadt hätten bisher keine 491 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 73–76. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 129 Veränderung herbeigeführt. Weiter wurde zum Ausdruck gebracht, warum mußte es erst soweit kommen, diese Probleme stehen doch nicht erst seit Monaten auf der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang wurden Fragen gestellt: • Was wird mit den Devisen, die unser Staat monatlich einnimmt? • Warum wurden keine Kontrollen durchgeführt? • Sind unsere Bürger weniger wert bei der Versorgung mit Südfrüchten? • Warum wurden solche Unterschiede zugelassen? – Mitarbeiter des WKK492 Meiningen sind der Auffassung, daß der Zeitpunkt der Wahl des Gen. Krenz zum Generalsekretär und Vorsitzenden des Staatsrates ein halbes Jahr früher kommen müßte. Mit Spannung erwartet man Veränderungen in der Verfassung sowie neue Gesetze. Man hofft auf eine Verbesserung der Versorgungslage bis Jahresende, vor allem bei Südfrüchten. – Unter Mitarbeitern der Verwaltung des RAW Meiningen wurde die Wahl des neuen Generalsekretärs als dringend notwendig dargestellt. Gleiche Auffassungen werden bezüglich der Ablösung des Gen[ossen] Mittag und Herrmann vertreten. Veränderungen seien auch in den Bezirks- und Kreisleitungen der SED notwendig. – Die Veränderungen in der Partei- und Staatsführung in der DDR fanden bei Schülern der EOS Meiningen große Resonanz. Man setzt hohe Erwartungen in Gen[ossen] Krenz. Besonders wird die Offenheit in der Aktuellen Kamera herausgestellt. Nach ihrer Auffassung sollte man den Inhalt der Resolution des „Neuen Forum“ allen Bürgern zur Kenntnis geben. – Unter Angestellten der Abt[eilung] Volksbildung beim Rat des Kreises Meiningen werden alle anstehenden Probleme offen diskutiert. Der Führungswechsel im Politbüro sei unbedingt angebracht gewesen. Gen[osse] Honecker habe nicht mehr genügend Vitalität und Kraft besessen, um alle Probleme zu überschauen und zu lösen. Für die SED-KL wäre es nunmehr an der Zeit, in den Betrieben mit den Arbeitern zu sprechen und Antworten auf stehende Fragen zu geben. Die Ablösung des Gen[ossen] Mittag wurde als positiv aufgenommen, denn er trage die Hauptschuld am wirtschaftlichen Rückgang der DDR. – Angestellte und Arbeiter des VEB TGA493 Meiningen verwiesen darauf, daß die bisher öffentlich vorgebrachten Kritiken alles Dinge seien, worauf die Werktätigen schon immer hingewiesen hätten. Andere Meinun492 493 130 WKK: Wehrkreiskommando. TGA: Technische Gebäudeausrüstung. gen gehen dahingehend, daß man schon früher mit dieser offenen Kritik hätte beginnen müssen. Heute gäbe man in der Presse die begangenen Fehler zu. In diesem Zusammenhang wird auf das ungesetzliche Verlassen der DDR-Bürger in die BRD hingewiesen. Daraus sei für die DDR ein unübersehbarer Schaden entstanden. Es wurde die Frage gestellt, wer dafür zur Verantwortung gezogen wird. Für die Wahl des Gen[ossen] Krenz zum neuen Generalsekretär wird im o. g. Betrieb wenig Verständnis aufgebracht. Man ist der Meinung, nur die Person ausgewechselt zu haben, aber die Linie bleibe die gleiche. Zur Person Egon Krenz werden solche Meinungen vertreten, er sei Alkoholiker und hätte sich bereits mehreren Entziehungskuren unterziehen müssen. Andererseits wurde darauf verwiesen, erst einmal abzuwarten. Gen[osse] Krenz müsse selbst den Beweis antreten, einiges in der DDR zu verändern. – Unter Arbeitern im VE494 Kühlbetrieb Grimmenthal wird die Wahl von Egon Krenz nur als eine Übergangslösung bezeichnet, da man zur Zeit keinen besseren habe. Zur Verbesserung der Lage in der DDR müßten entscheidende Veränderungen getroffen werden. – Mitarbeiter des Rates des Kreises Meiningen bewerten die Offenheit in den Massenmedien der DDR als eine positive Lösung. Diskussionen sowohl im Rat des Kreises, dem Rat der Stadt Meiningen als auch unter Frauen des VEB UMK Ruhla, BT Wasungen gibt es nach wie vor zum bevorstehenden Wohnungswechsel des Gen[ossen] S. […], 2. Sekretär der SED-KL495 Meiningen. Dabei bringt man solche Argumente zur Sprache, daß sein Vorgehen nicht richtig gewesen sei, denn er hätte das Ratsmitglied für Wohnungspolitik beim Rat der Stadt Meiningen zu sich geladen und ihr die Auflage erteilt, diese Frage zu seinem Gunsten zu klären. Andererseits will man wissen, daß in der vorgesehenen Wohnung bereits bauliche Veränderungen vorgenommen wurden, die nach Wunsch des Gen[ossen] S. […] erfolgt seien. In diesem Zusammenhang wird auch der Bau eines Bungalow des Gen[ossen] S. […] zur Sprache gebracht, der auf ähnliche Weise errichtet worden sei. – Unter Mitgliedern der NDPD496 des Kreises wurde zur Wahl des Gen[ossen] Krenz als Generalsekretär geäußert: 494 495 496 VE: Versorgungseinrichtung. KL: Kreisleitung. NDPD: Nationaldemokratische Partei Deutschlands. 131 • da hat man den Bock zum Gärtner gemacht, • er wird nur bis zum XII. Parteitag [der SED] dieses Amt bekleiden. Weiter wurde bekannt: • Genossen der Bezirksleitung der SED fahren in das kapitalistische Ausland, die verbrauchen unsere Devisen und wir müssen sie erarbeiten, • das Wahlsystem in der DDR muß geändert werden, • es wird in Zukunft an vielen Ecken unseres Staates Einschränkungen geben, denn wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. • Wir hatten nichts zu sagen, nur die SED. • Wir sind nicht mehr einverstanden mit einer Arbeiter- und BauernMacht. • Die NDPD muß auch schon etwas zu sagen haben. Ein Direktor für Produktion eines VEB argumentierte: Wir brauchen greifbare Veränderungen. Hoffentlich bleibt Krenz nur bis zum XII. Parteitag der SED. Damit stoppen sie die Fluchtwelle nicht, die Bürger gehen weiter auf die Straße. Ein Handwerker des gleichen Betriebes bezweifelt, daß durch die Wahl des Gen[ossen] Krenz die Partei das Vertrauen wieder zurückgewinnt. Alle diejenigen müssen sofort abgelöst werden, die Schmiergelder entgegennahmen oder andere Bürger zum eigenen Vorteil Schmiergelder zukommen ließen. Er nannte dabei den Direktor des VEB Denkmalpflege Suhl, Sitz Meiningen, Gen[osse] L. […], den Vorsitzenden Rat des Kreises Meiningen, Gen[ossen] R. […] und den Mitarbeiter der SEDKreisleitung, Gen. A. […]. Ein Dachdecker betonte, Egon Krenz ist Lehrer, der kennt doch die Sorgen der Arbeiter nicht. Die Neuwahl war doch nur ein Mittel, damit wieder Ruhe wird, denn sonst hätte es einen Aufstand gegeben. Information 81/89 vom 25. Oktober 1989 [zur Diskussion in der Gemeinde Walldorf]497 In Diskussionen und Auseinandersetzungen der Bürger der Gemeinde Walldorf über die schlechte Versorgung mit Baumaterialien kommt die Unzufriedenheit über diesen Zustand zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang werden Fragen von den Bürgern dahingehend aufgeworfen, warum bestimmte Funktionäre keine Probleme mit der Versorgung bei Bau497 132 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 77. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. stoffen für den Bau ihres Eigenheimes oder Bungalows haben, sondern noch bevorzugt damit beliefert werden. Als Beispiel hierfür wurde der Mitarbeiter der SED-Kreisleitung Gen[osse] A. […] genannt. Dieser Sachverhalt wurde auch wiederholt heftig in der Mitgliederversammlung der OPO498 der Gemeinde Walldorf diskutiert. Die Genossen verstehen nicht, wie der Gen. A. […] seine Funktion in der SEDKreisleitung in dieser Art und Weise ausnutzen kann. Mit diesem Zustand erklären sich die Genossen absolut nicht einverstanden. Darüber hinaus forderten sie, daß für jeden Bürger die gleichen Bedingungen vorhanden sein sollten und nicht ein Teil der Bürger durch ihre gesellschaftliche oder berufliche Tätigkeit bevorzugt behandelt wird. Information 82/89 vom 23. Oktober 1989 zur Stimmungslage unter den Beschäftigten der Betriebe und Einrichtungen des Verkehrs- und Nachrichtenwesens im Kreis Meiningen499 Die Diskussionen und Meinungsäußerungen der Werktätigen in den Betrieben und Einrichtungen des Verkehrs- und Nachrichtenwesens im Kreis Meiningen zeigen, daß großes Interesse an der gegenwärtigen politischen Lage und der weiteren Entwicklung besteht. Es wird eingeschätzt, daß der größte Teil der Beschäftigten hinter der Politik der Partei steht und gewillt ist, zur weiteren gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR beizutragen. Kritisch werden aber auch bestehende Mängel und Mißstände angesprochen und notwendige Veränderungen im täglichen Leben immer öfter gefordert, wobei es aber nicht immer gleich Reformen sein müßten. Nach und nach sollten die Umstände beseitigt werden, die den Bürger täglich verärgern. Das beginnt mit 2–3 Tagen Schließzeit für Fachgeschäfte pro Woche, wobei sich als absoluter Schwerpunkt die Verkaufseinrichtung „1 000 kleine Dinge“ in Meiningen, Luisenstraße herauskristallisierte und endet bei der prekären Situation auf dem Ersatzteilsektor für PKW. 498 499 OPO: Ortsparteiorganisation. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 56–58. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 133 Von den Arbeitern wird immer öfter die Frage gestellt, warum Sonderschichten geleistet werden sollen, wenn das notwendige Material hierfür gar nicht vorhanden ist. Es müsse endlich dazu übergegangen werden, mit der Schönfärberei Schluß zu machen und durchzusetzen, daß jeder täglich in seiner Funktion seiner Verantwortung vollauf gerecht wird, insbesondere auf dem Gebiet Handel und Versorgung. Am 09.09.89 kam es in der Kaufhalle Leninstraße zu Diskussionen unter den Kunden zum Angebot an Industriewaren. Nachdem sich anfangs eine Kundin gegenüber einer Verkäuferin lobend über das im Gegensatz zu anderen Tagen verhältnismäßig gute Angebot an Industriewaren äußerte, entgegnete diese, daß sie erst einmal sehen müßte, was alles noch im Lager stünde. Auf die Frage der Kundin, warum diese Dinge denn nicht zum Verkauf angeboten würden, entgegnete die Verkäuferin, daß sie keine Leute zum Auspacken der Waren hätten. Diese Äußerung entfachte dann Diskussionen dahingehend, daß man da eben an Wochentagen nicht schon um 17.30 Uhr mit der Reinigung der Kaufhalle beginnen bzw. den Stand für Fleisch- und Wurstwaren schließen dürfe. Man werde ja schon fast feindselig von einigen Verkäuferinnen angesehen, wenn man 17.30 Uhr noch Wurst oder Fleisch verlangt, da dies bereits weggeräumt sei. Weiterhin gab es unter Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn Diskussionen darüber, daß es vor der Schuleinführung in Dreißigacker keine Kartoffeln gegeben habe, was wiederum auf subjektive Fehlverhaltensweisen zurückzuführen war. Am 31.08.89 fuhr ein Lieferfahrzeug des Handelstransportes zur Konsumverkaufsstelle nach Dreißigacker, um Kartoffeln anzuliefern. Die Rampe der Verkaufsstelle war aber 20 cm zu hoch, und so erklärten Kraftfahrer und Beifahrer, daß sie hier nicht entladen würden. Sie brachten zum Ausdruck, daß sie eine Zigarettenpause machen und danach wieder wegfahren würden, wenn in dieser Zeit das Fahrzeug nicht von den 3 Frauen der Verkaufsstelle entladen wäre. Da diese Frauen, es handelt sich um Rentnerinnen, das Fahrzeug nicht entladen konnten, fuhr dieses wieder weg, ohne den Konsum mit Kartoffeln beliefert zu haben. Diskussionen gibt es auch darüber, daß die Beschäftigten des Handels zwar regelmäßig mittwochs handelspolitisch geschult werden, dies aber bisher keinen spürbaren Niederschlag in der Verkaufskultur aufweisen würde. 134 So wollte eine Beschäftigte der DR500 am 07.09.89 im Möbelgeschäft am Platz der Republik in Meiningen für ihre Tochter ein Bett kaufen. Da gerade Lieferung war, stellte sie lediglich die Frage, ob Betten dabei wären bzw. wann sie nachfragen könne. Sie erhielt die Antwort, wenn sie ein Bett brauchen würde, so solle sie sich eines schnitzen. Die aufgeführten Beispiele stellen in der Stadt Meiningen keine Einzelfälle dar und bedürfen unbedingt einer Minderung, da sie Unzufriedenheit unter der Bevölkerung hervorrufen und Ausgangspunkt für spontane Handlungen sein können. Die Ursache für die entstandene, gegenwärtig gespannte Lage in der DDR wird vom Großteil der Beschäftigten des Verkehrs- und Nachrichtenwesens im Kreisgebiet in erster Linie in der DDR selbst gesucht. Die herrschende Unzufriedenheit käme vor allem zustande durch – mangelhafte und meist zu späte Berichterstattung in unseren Medien, – unverständliche Entscheidungen staatlicher Leiter, ohne die Meinung der Werktätigen zu hören, – ungerechte Verteilung der produzierten Waren und Bevorzugung von Berlin auf allen Gebieten, – begrenzte Reisemöglichkeiten. Im Zusammenhang mit der Wahl des Gen[ossen] Egon Krenz zum Generalsekretär des ZK der SED gibt es unter den Beschäftigten der genannten Bereiche zum Teil gegensätzliche Meinungen. Allgemein wird dieser Schritt begrüßt, wobei sich ein großer Teil der Beschäftigten nicht mit der Art und Weise der Ablösung des Gen[ossen] Erich Honecker einverstanden erklärt. So einen sang- und klanglosen Rücktritt habe er nicht verdient, da das Volk der DDR ihm viel zu verdanken habe. Bedenken wurden von älteren Beschäftigten dahingehend geäußert, daß die Jugend jetzt noch mehr als bisher bevorzugt werde, da Egon Krenz ja maßgeblichen Anteil daran hatte, daß dies bisher so war. Der Leiter der Polit[itischen] Abteilung des Reichsbahnamtes Meiningen, G. […] und der amtierende Leiter des Reichsbahnamtes, Z. […], vertraten die Auffassung, daß die Rede von Egon Krenz auf der 9. Tagung gut angekommen sei und in allen seinen Punkten begrüßt werde. Weiterhin äußerten sie, daß es richtig sei, daß Günter Mittag und Joachim Hermann gleich mit abgelöst wurden und es sei zu hoffen, daß Krenz auch 500 DR: Deutsche Reichsbahn. 135 den Mielke und andere alte Politiker ablösen werden, damit sich jüngere Genossen bewähren könnten. Die Erklärung des Politbüros des ZK der SED wurde in den Arbeitskollektiven erst einmal positiv aufgenommen, aber teilweise auch skeptisch hinsichtlich dessen Realisierung betrachtet. Von einigen Beschäftigten wird die Erklärung als taktischer Schritt der Partei gewertet, der keine Veränderung in irgendeine Richtung bringt. Man sollte über die Probleme nicht nur reden, sondern auch konkret handeln. Insgesamt wird die Auffassung vertreten, die jetzt gezeigten Aktivitäten und eingeleiteten Maßnahmen kämen einige Wochen zu spät, sonst hätte man bestimmt Erscheinungen wie z. B. der massenweisen Ausreise von DDR-Bürgern in die BRD sowie die Demonstrationen und Ausschreitungen möglicherweise verhindern können. Vordergründig wird eine realistische und offene Berichterstattung über alle Fragen und Probleme in unseren Medien gefordert. Information 83/89 vom 27. Oktober 1989 [zur Unterschriftssammlung im RAW]501 Am 26.10.89 kam es in der Meisterei 109 des RAW Meiningen zu einer Unterschriftensammlung, in der zum Austritt aus dem FDGB aufgefordert wurde und die 40 Beschäftigten unterschrieben haben. Als Begründung wurde angegeben, daß die Gewerkschaft nicht mehr die Interessen der Arbeiter vertritt. Konkret wurden die Arbeits- und Lebensbedingungen im Bereich UcV sowie die Verteilung der Urlaubsplätze angesprochen. Initiator der Unterschriftensammlung war der Schlosser Sch. […], der selbst kein Mitglied des FDGB ist und sich zu einer oppositionellen Gruppierung bekennt, in deren Auftrag er gehandelt hat. Während der am 27.10.89 mit der Belegschaft der Meisterei 109 geführten Aussprache, an der der BGL502-Vorsitzende K., der stellv[ertretende] BGLVorsitzende M. […], der Abt[eilungs]-L[ei]t[e]r. PA 1 K. […], der 501 502 136 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 82. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. BGL: Betriebsgewerkschaftsleitung. AGL503-Vorsitzende P. […] und der Vertreter der APO K. […] teilgenommen haben, wurde die Unterschriftensammlung übergeben. Gleichzeitig wurde zum Ausdruck gebracht, daß diese Unterschriftensammlung wieder zurückgezogen wird, wenn die Gewerkschaft ihre Aufgaben erfüllt. Schwerpunktmäßig wurden folgende Forderungen gestellt: – Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen im Bereich Ucv, insbesondere der Aufbau einer Vorreinigung für Ucv-Wagen. Über dieses Problem wurde die SED-Kreisleitung bereits 1987 und 1988 informiert. – Klärung von Lohnfragen; konkret wurde die Frage gestellt weshalb von gleicher Lohngruppe 7 für alle Beschäftigten des Bereiches Unterschiede in der Bezahlung gemacht werden. – Durchgängige Beheizung der Werkhallen. Zur Durchsetzung dieser Forderungen wurden durch verantwortliche Funktionäre im RAW am 27.10.89 eine Beratung durchgeführt und erste Maßnahmen eingeleitet. Da es sich um tatsächlich zu realisierende Forderungen der Werktätigen handelt, bitten wir darum, über die BPO504 [der SED] Einfluß auf die Realisierung der Forderungen zu nehmen, da es sonst nach Aussagen einzelner Beschäftigter zu Arbeitsniederlegungen kommen kann. Information 84/89 vom 31. Oktober 1989 zu einem geplanten Bürgergespräch in Wasungen505 Am 31.10.1989, um 18.00 Uhr, findet auf Wunsch der Bürger des Wohngebietes Gräfenthal in Wasungen ein Gespräch statt. Ausgangspunkt bildet der Schadstoffausstoß der neuen Wäscherei der PGH506 „Hygiene“ Meiningen im Bereich dieses Neubaugebietes der Stadt Wasungen. Im Rahmen einer Begehung durch den Bürgermeister der Stadt Wasungen, dessen Stellvertreter und Mitglieder der Arbeitsgruppe „Wäscherei Gräfenthal“ am 25.10.1989 mußte festgestellt werden, daß eine Reihe vorgeschlagener Maßnahmen zur Reduzierung der Belastungen nicht realisiert wurden. Dabei geht es um Maßnahmen, die wenig Aufwand an materiellen und finanziellen Mitteln bedürfen, wie z. B. 503 504 505 506 AGL: Abteilungsgewerkschaftsleitung. BPO: Betriebsparteiorganisation. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 114. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. PGH: Produktionsgenossenschaft des Handwerks. 137 – Rohrumverlegung für den Dampfaustritt, – Geräuschdämmung der Staubzugmotoren, – Verlegung der Ausströmungsrichtung des Entlüfters der Produktionshalle. Nach den Äußerungen der Bürger dieses Wohngebietes ist nicht auszuschließen, daß sich die Situation im Wohngebiet weiter zuspitzt, wenn keine kurzfristigen Veränderungen herbeigeführt werden. Seitens des Mitbewohners dieses Wohngebietes, P. […], selbständiger Taxifahrer, Mitglied der CDU, wurde angedeutet, gegebenenfalls den Forderungen der Bürger, die lufthygienische Situation sowie Geräuschbelästigung zu verbessern, durch demonstrative Handlungen Nachdruck zu verleihen. Information 85/89 vom 31. Oktober 1989 zur Konsumgaststätte „Hirsch“ in Wasungen507 In der Konsumgaststätte „Hirsch“ Wasungen bestehen erneut unzumutbare hygienische Zustände. Das wurde am 18.10.1989 wiederum festgestellt. Der Gaststättenbereich und der Küchentrakt sind teilweise so verdreckt, daß der Anblick ekelerregend ist. Verdorbene Wurstwaren sowie andere Küchenabfälle lagern in der Küche herum und boten diesen genannten Anblick. Auch im Gaststättenbereich gab es analoge Erscheinungen. Nicht gereinigte Gläser und Tische, angebrochene offen stehende Schnapsflaschen, die normalerweise unter Verschluß sein müßten, standen umher und waren für das gesamte Personal zugänglich. Seitens des Konsum-Kreisverbandes Meiningen wird dieser Situation nicht die notwendige Aufmerksamkeit entgegengebracht. 507 138 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 113. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. Information 86/89 vom 31. Oktober 1989 zur Reaktion der Teilnehmer an der Kreisparteischule 508 Zu dem 1. Kurzlehrgang der Kreisparteischule vom 23.10. bis 27.10.1989 wurde seitens der Teilnehmer Kritik zum Ablauf geübt. In diesem Zusammenhang wird von reiner Beschäftigungstheorie gesprochen und die stattfindenden Vorträge werden als überaltert bezeichnet. Über mehrere Stunden hinweg waren die Lehrgangsteilnehmer sich selbst überlassen. Während dieser Zeit sollten sie selbständig ein Seminar, ohne Vorgabe des Themas, durchführen. Auch die zeitliche Auslastung wurde kritisiert, da als Beispiel sich die Mittagspause an verschiedenen Tagen über den Zeitraum von 1½ Stunden erstreckte. Nicht akzeptiert wurden von einem Teil der Lehrgangsteilnehmer die Ausführungen des Generalstaatsanwaltes der DDR hinsichtlich des Eingreifens der Sicherheitskräfte während der Ausschreitungen von Demonstrationsteilnehmern in Berlin und anderen Städten der DDR. Mit diesen Ausführungen sei man den Sicherheitskräften der DDR voll in den Rücken gefallen. Auch die Ausführungen Kurt Hagers lösten unter den Lehrgangsteilnehmern der Kreisparteischule Diskussionen aus. Diese bezogen sich inhaltlich vor allem auf die Aussage Kurt Hagers zum Personenkult gegenüber Erich Honecker. Daß Kurt Hager gerade die Friedenspolitik Erich Honeckers als Element des Personenkults bezeichnete, sei völlig unreal. Information 87/89 vom 30. Oktober 1989 [zu Missständen im VEB WerraMöbel Meiningen]509 Am 28.10.89 wandte sich der Bürger […] VEB Werra-Möbel Meiningen mit einem Anliegen an unsere Dienststelle. T. […] informierte, daß er in seinem Betrieb ständig Schwierigkeiten erhält, da er offen gegen Mängel, Mißstände und Schlampereien im Betrieb auftritt. 508 509 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 113. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 103 f. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 139 Über diese Probleme hat er immer den Betriebsdirektor und teilweise auch die SED-Kreisleitung informiert. Im Ergebnis solcher Informationen wurde er insbesondere durch den BTLeiter […] sowie dem Bereichsleiter […] verwarnt, solche Informationen aus dem Betriebsteil zu tragen. In der weiteren Folge erhielt er einen Verweis durch den BT-Leiter […] ausgesprochen. Dieser wurde im BT auf diskriminierende Art und Weise verbreitet, indem in regelmäßigen Abständen Durchschläge des Verweises an der Wandzeitung ausgehängt wurden. Am 26.10.89 wandte sich T. erneut mit einem Anliegen an die SED-KL, da der Meister […] (SED-Mitglied, Kampfgruppenkommandeur) gegenüber der verdienstvollen Arbeiterin B. (25 Jahre im Betrieb) mit abfälligen und beleidigenden Äußerungen aufgetreten ist. Er drohte ihr mit einer fristlosen Kündigung, da sie Vorschläge zur Veränderung der Arbeit tätigte, die nicht den Vorstellungen des [Meisters] entsprachen. Solche Handlungsweisen waren in der Vergangenheit bereits mehrfach von [dem Meister] zu verzeichnen. Auf den Anruf des Koll[egen] T. hin informierte die SED-KL den Parteisekretär […]. [Der Parteisekretär] befragte nicht die Arbeiterin, um die es eigentlich ging, sondern beriet sich nur mit dem BT-Leiter […] und dem Koll[egen] […]. Im Ergebnis dieser Beratung wurde der Koll[ege] T. telefonisch von [dem Parteisekretär] informiert, daß er in Zukunft keinen Außenstehenden über betriebliche Dinge informieren darf und daß am 27.10.89 eine Aussprache mit ihm durchgeführt wird. Die Aussprache fand am 27.10.89 um 14.00 Uhr statt. Daran nahmen teil Parteisekretär […] BT-Leiter […] Meister […] Bereichsleiter […] Arbeiter […] [Der BT-Leiter] teilte dem T. mit, daß ihm betrieblicherseits verboten wurde, Außenstehende über betriebliche Dinge zu informieren. Dies sei ganz allein Sache des BT. […] sprach ihm für sein Verhalten einen strengen Verweis aus. [Der Parteisekretär] fand das Verhalten des [BT-Leiters] richtig. T. wollte die Teilnahme der anderen Arbeiter fordern, daraufhin stellten sich [der Meister, der Bereichsleiter und ein Arbeiter] vor die Tür und [der BTLeiter] legte den Telefonhörer neben das Telefon. 140 T. konnte also das Zimmer nicht verlassen. Auf seinen Hinweis, daß der Gen[osse] Krenz gefordert hat, daß alle Bürger gebraucht werden, um den Sozialismus zu verbessern, äußerten [der Parteisekretär] und [der BT-Leiter]: „Das geht uns nichts an, hier bestimmen wir, Du machst bloß Stimmung, das brauchen wird nicht.“ [Der BTLeiter] teilte dem T. abschließend noch mit, daß er ab übernächste Woche wieder in der Produktion arbeiten wird. Hinzuzufügen ist noch, daß T. in der Vergangenheit mehrfach Eintragungen im Wachbuch zu Verstößen gegen Ordnung und Sicherheit vorgenommen hat. Dabei ging es insbesondere um Verunreinigungen an Maschinen, die Einhaltung der Arbeitszeit und diw Gewährleistung der Objektsicherheit. Zu diesen Problemen kann der Koll[ege] T. jederzeit befragt werden. Aufgrund dieser Eintragungen wurde er von betrieblicher Seite mehrfach mündlich und schriftlich aufgefordert, solche Eintragungen zu unterlassen, da solche Feststellungen ihn nichts angehen und nicht seine Aufgabe sind. […] Diese Information wurde durch uns nicht überprüft. Information 88/89 vom 2. November 1989 zum VEB Getränkekombinat510 Am 30.10.1989, gegen 08.00 Uhr, wurde vor dem Speiseraum des VEB Getränkekombinat „Rennsteig“ Meiningen an der Wandtafel ein Aufruf festgestellt. Der Verfasser ist der Leiter Mikroelektronik im VEB Getränkekombinat G. […] parteilos, kirchlich stark engagiert. Der Aufruf hat folgenden Inhalt: Überschrift: Ich habe Fragen. Darunter stand in Klammern geschrieben: und ich möchte Antworten. Danach steht folgender Text: Wo ich diese Zeilen aushänge, befindet sich schräg gegenüber eine Tafel der Kombinatsleitung, wo laufend zu Beratungen während der Arbeitszeit eingeladen wird, z. B. Parteileitung, FDJ-Leitung, Gewerkschaftsleitung, Kampfgruppe, Feuerwehr. Wenn man das alles besuchen wolle, brauche man nicht zu arbeiten. Ich schlage vor, die Arbeitszeit effektiv zu nutzen, Privilegien abzuschaffen und das Chaos im Fuhrpark zu beseitigen. Außer510 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 131 f. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 141 dem sollte nicht nur manuelle, sondern auch geistige Arbeit stimuliert werden. Weiterhin sollten Teile des innerbetrieblichen Transportes modernisiert werden. Abschließend bedauert G. […], daß das neue Denken noch nicht in den Bezirk Suhl gelangt ist und dieser Bezirk eine Enklave sei. Er ruft die Genossen zum Gespräch auf. Mit G. […] wurde am gleichen Tag durch den Parteisekretär, den Kombinatsdirektor und den BGL-Vorsitzenden eine Aussprache geführt. Die Reaktion war, daß er am 31.10.89 einen erneuten Aushang anbrachte mit den gleichen Forderungen. Außerdem verlangte er eine Stellungnahme vom Kombinatsdirektor bezüglich dieser Ausspracheführung. Er legte u. a. dar, was ihn der Kombinatsdirektor befragt habe. So angeblich: „Wer schickt dich und wer steht hinter dir?“ Zu dieser Fragestellung forderte G. vom Kombinatsdirektor eine öffentliche Entschuldigung bzw. forderte eine disziplinarische Bestrafung seitens der BPKK511 [der SED], an die sich G. mit einem Brief gewandt habe. Reaktion auf diesen neuerlichen Aushang von G. war, daß sich eine ganze Reihe von Werktätigen zu Wort meldete und an Beispielen anführten, daß es in anderen Kreisen und Bezirken möglich ist, zu solchen Aushängen zu diskutieren. Aufgrund der Maßnahme gegen G. wurde eine Unterschriftensammlung in der Abfüllbrigade Flaschenbier durch 20 Personen einschließlich des Brigadiers vorgenommen, die sich gegen die Handlungsweise des Kombinatsdirektors gewandt haben. Am 1.11.89 wurde durch die Parteileitung des Betriebes ein Aufruf ausgehängt, daß am 6.11.89 eine öffentliche Parteiversammlung stattfindet und die Belegschaft aufgerufen wurde, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten, u. a. zu Arbeitsgruppen, die im Betrieb gebildet werden sollen (Arbeits- und Lebensbedingungen, betriebliche Belange). Dieser Aushang der Parteileitung wurde kurz darauf entfernt. 511 142 BPKK: Bezirksparteikontrollkommission. Information 89/89 vom 2. November 1989 zum am 31.10.1989, von 18.00 bis 21.00 Uhr im Rathaussaal in Wasungen durchgeführten Bürgergespräch. 512 An o. g. Veranstaltung nahmen Bürgermeister der Stadt Wasungen, Gen[osse] K. […] Leiter der Kreisplankommission, Genn[ossin] K. […] Gen[osse] F. […], Rat des Kreises Koll[ege] H. […], Ratsmitglied ÖVW513/Rat des Kreises Koll[ege] B. […], PGH „Hygiene“ Meiningen sowie 10 Anwohner des Neubaugebietes Gräfenthaler Weg in Wasungen teil. Unter diesen Anwohnern befanden sich u. a. P. […], selbständiger Taxifahrer O. […], Betriebsleiter VEB Papier- und Pappenfabrik Wernshausen, BT Wasungen. C. […], Lehrer. Während der 3stündigen Aussprache wurde durch jeden Anwesenden zur Diskussion gesprochen. Seitens der Bürger dieses Wohngebietes wurde gefordert, die 2. Schicht in der neuen Wäscherei in Wasungen sofort einzustellen. Ergebe sich keine Veränderung bei dem Schadstoffausstoß, sollte die Schließung dieser Wäscherei erfolgen. Ratsmitglied H. […] legte im Ergebnis der Diskussion fest, daß ab Montag, dem 6.11.1989, die 2. Schicht in diesem Betrieb eingestellt wird. Als Wortführer bei den Forderungen trat vor allem P. […] in Erscheinung. Am 1.11.1989, gegen 07.30 Uhr, erschien der Betriebsleiter, O. […], beim Bürgermeister der Stadt Wasungen und teilte ihm mit, daß er sich von beabsichtigten Maßnahmen des P. […] hinsichtlich eines möglichen Sitzprotestes der Anwohner des Neubaugebietes vor der neuen Wäscherei in Wasungen distanziert. (Vermutlich wurde darüber durch die Anwohner im Anschluß an dieses Gespräch diskutiert.) Im Verlauf des Vormittags des 1.11.89 erschien auch der P. […] beim Bürgermeister und forderte diesen auf, nun endlich zu einem Dialoggespräch mit der Bevölkerung bereit zu sein. Er sprach sich gegen das Vertrauen des Orts-Parteisekretärs der Stadt Wasungen, Gen. K. […], aus und führte u. a. 512 513 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 131 f. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. ÖVW: Örtliche Versorgungswirtschaft. 143 dabei den PKW-Kauf und arrogantes Verhalten an. Außerdem sprach er sich gegen das Vertrauen des Ratsmitgliedes beim Rat der Stadt Wasungen, Gen. B. […], aus. Angeblich habe Gen. B. […] Äußerungen getätigt, die sich gegen einen Einsatz des P. […] in der Kaufhalle in Wasungen sowie für eine Ablehnung seiner BRD-Reisen richten. P. […] äußerte, '“arüber müßte unbedingt gesprochen werden, es gebe genug Stoff dafür“. Der Bürgermeister hat dieses Ansinnen abgelehnt, zusätzliche Dialoge zu führen mit dem Hinweis auf die bevorstehende Stadtverordnetenversammlung am 9.11.1989. Zu dieser öffentlichen Veranstaltung werden alle Bürger der Stadt Wasungen mittels Plakataushang aufgerufen, daran teilzunehmen. Information 90/89 vom 2. November 1989 zu Personen, die bisher als Initiatoren des „Neuen Forum“ in Erscheinung traten514 F. […] Lehrer, POS Behrungen-Römhild, Mitglied der LDPD F. […] trat erstmals am 17.10.89 innerhalb der Gemeinde Untermaßfeld zusammen mit seinem Vater F. […] parteilos, Invalidenrentner mit einer Unterschriftensammlung für das „Neue Forum“ in Erscheinung. Am gleichen Tag organisierte er eine Veranstaltung im Gemeindehaus Untermaßfeld zum Thema „Auf dem Weg zum Neuen Forum“. Dort gab er vor den anwesenden 19 Teilnehmern (ausschließlich Bürger der Gemeinde Untermaßfeld) bekannt, daß er eine weitere Unterschriftensammlung durchführen will. Nachdem er 500 derartige Unterschriften zusammenhabe, beabsichtigt F. […] sich an zentrale staatliche Stellen zu wenden mit dem Ziel, Reformen in der DDR mit durchzusetzen. Weiter gab er zu verstehen, unter dem Kollektiv der Lehrer für die Ziele des „Neuen Forum“ zu werben. In Abständen von 14 Tagen führt F. […] im Gemeindehaus in Untermaßfeld analoge Veranstaltungen durch, um weitere Personen für das „Neue Forum“ zu gewinnen. Der Anhängerkreis hat sich durch seine bisherigen Aktivitäten auf ca. 40 Personen erweitert. Aufgrund seiner Initiativen konnte er nach vorliegenden Erkenntnissen bisher 4 weitere Bürger für die Sammlung von Unterschriften für das „Neue Forum“ gewinnen. 514 144 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 126–130. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. In diesem Zusammenhang trat F. […] am 26.10.89 als Initiator einer Unterschriftensammlung für das „Neue Forum“ in der PGH Wohnraummöbel Bibra erneut in Erscheinung. Hierbei leistete der überwiegende Teil der Belegschaft seine Unterschrift. F. […] besitzt eine negative Grundeinstellung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR und äußerte diese offen in Gesprächen und Diskussionen. Sein Vater war ehemaliger Antragsteller auf ständige Ausreise in die BRD, reist regelmäßig in die BRD und bestärkt F. […] in seiner negativen Haltung. Die Schwester des F. […] war Antragstellerin auf ständige Ausreise in die BRD und ist im Rahmen des humanitären Aktes am 1.10.89 mit dem Zug von Prag in die BRD ausgereist. Die Schwiegereltern des F. […] sind Antragsteller auf ständige Ausreise in die BRD. F. […] ist der aktive Kern im Rahmen des „Neuen Forum“. St. […] Pfarrer in Sülzfeld St. […] brachte ein selbstgefertigtes Plakat im Fenster des Pfarrhauses in der Grenzgemeinde Sülzfeld am 13.10.89 mit folgendem Inhalt an: „Was ist – und was will das Neue Forum. Allen Bestrebungen, denen das Neue Forum Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt in dem Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zu Grunde. Es ist dieser Impuls, den wir bei der kommenden Umgestaltung in allen Bereichen erfüllt wissen wollen. Dies ist ein Auszug aus dem Informationspapier „Aufruf 89 Neues Forum“ Wir geben ihnen gern an Interessenten weiter und sind zu Gesprächen bereit.' Unterzeichnet war das Schriftstück mit St. […] und […]. St. […] nahm an den Friedensgebeten am 24.10.89 und 31.10.89 in der Stadtkirche Meiningen teil. Am 24.10.89 durchfuhr er mit brennender Kerze den Kontrollpunkt zum Grenzgebiet. St. […] ist bestrebt in den Kirchengemeinden Sülzfeld/Henneberg die kirchliche Jugendarbeit sowie die Patenschaftsarbeit mit einer Kirchgemeinde aus Stuttgart zu aktivieren und zu stabilisieren. Dazu unterhält er engen Kontakt zum Jugendwart Töpfer, Ulrich, welcher den Gesprächskreis „Frieden und Ökologie“ der evangelischen Kirche in Meiningen leitet. 145 Bei St. […] selbst handelt es sich um den Kreisjugendpfarrer der Superintendentur Meiningen, der Inhalt, Form und Methodik der kirchlichen Jugendarbeit maßgeblich bestimmt. N. […] Kraftfahrer VEB Plattenwerk Walldorf N. trat 1988 als Antragsteller auf ständige Ausreise in die BRD in Erscheinung. Ein erneuter Antrag wurde entsprechend der RVO515 nicht wieder gestellt. N. brachte am 10.10.89 im Schaukasten des Sozialgebäudes im VEB Plattenwerk Walldorf einen Abzug des Aufrufes des „Neuen Forum“ an. Nach vorliegenden Erkenntnissen stellt er eine Verbindungsperson zu überörtlich existierenden Gruppen des „Neuen Forum“ dar. N. ist aktives Mitglied des Gesprächskreises „Frieden und Ökologie“ der evangelischen Kirche in Meiningen. H. […] Stellv[ertretender] Leiter der Gaststätte „Kalinin“, Mitglied der LDPD, Abgeordneter der Stadtverordnetenversammlung H. hat in seinem Arbeitskollektiv Anfang Oktober 1989 den Aufruf „Aufbruch 89 – Neues Forum“ verlesen. Zur Verbreitung von Schriften des „Neuen Forum“ bezog H. seinen Bruder, welcher gegenwärtig seinen Dienst in der 13. VP516-Bereitschaft Meiningen versieht, mit ein. H. unterhält aktive Verbindungen in die BRD. B. […] RAW Meiningen/Schlosser, parteilos B. äußerte Anfang Oktober 1989, daß er sich mit an die Spitze des „Neuen Forum“ stellen würde. H. […] Schülerin EOS Meiningen Die H. rief am 24.8.89 ihr Klassenkollektiv dazu auf, mit in das Pfarrhaus in Meiningen zu kommen und über gegenwärtig existierende Probleme in der DDR sowie über das „Neue Forum“ zu diskutieren. Bei der H. handelt es sich um die Tochter des Pfarrers H. […]. Ferner trat Genannte am 18.10.89 während der Absolvierung eines Computerlehrganges im RAW Meiningen mit weiteren 4 Schülern durch Vervielfältigung des Aufrufes „Aufbruch 89 – Neues Forum“ mittels Computertechnik in Erscheinung. 515 516 146 RVO: Verordnung über Reisen von Bürgern der DDR nach dem Ausland. VP: Volkspolizei. Die H. ist Mitglied einer negativen Gruppierung an der EOS Meiningen, welche Verbindung zum Gesprächskreis „Frieden und Ökologie“ der evangelischen Kirche in Meiningen unterhält. Der Gesprächskreis selbst will sich nach Aussagen des Jugendwartes Töpfer, Ulrich zum „Neuen Forum“ bekennen, aber nicht „Das Neue Forum“ sein. H. […] Jugendbrigadier/Abt[eilung] Alkoholfreie Getränke, VEB Getränkekombinat „Rennsteig“ Meiningen, parteilos H. ist der Verfasser eines Aufrufs zur Bildung des „Neuen Forum“ und hat dieses Schriftstück an der Wandtafel vor dem Speiseraum des VEB Getränkekombinat Meiningen am 2.11.89 angebracht. Information 91/89 vom 3. November 1989 zu Stimmungen und Meinungen in ausgewählten Industriebetrieben des Kreises517 VEB Eliog518 Römhild Ein Kollektiv drohte am 26.10.89 an, die Arbeit nicht wieder aufzunehmen, wenn im Betrieb für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt werde als im Kombinatsbetrieb LEW Henningsdorf519. Durch Sofortmaßnahmen der Betriebsleitung wurde der Sachverhalt geklärt und ein normaler Produktionsablauf gewährleistet. Wie schon mündlich informiert, sind die Arbeiter nach wie vor unzufrieden, da man ihre Anliegen und Forderungen nicht genügend berücksichtigt. Es herrscht keine gute Stimmung unter der Belegschaft. VEB Plattenwerk Walldorf Entgegen der offiziellen Wertung des politisch-moralischen Zustandes des Kampfgruppenzuges 241 „Rudolf Uferstädt“ ist einzuschätzen, daß nur ca. 40–50% der Kämpfer in der gegenwärtigen Situation an Ordnungseinsätzen gegen Demonstrationen teilnehmen würden, da eventuelle Verwandte unter den Demonstranten sein könnten, gegen die sie nicht vorge517 518 519 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 139–141. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. Eliog: Elektro Industrieofen- und Gerätebau. LEW Henningsdorf: Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ Hennigsdorf. 147 hen wollen. Im Rahmen einer Dienstberatung des Betriebsdirektors am 25.10.89 wurde von mehreren Leitungskadern die Auffassung vertreten, daß die SED derzeit kein Vertrauen unter den Werktätigen genießt und sich dieses erst wieder erwerben muß. Gleichzeitig wurde gefordert, daß die jetzt herausgekommenen Dokumente zum Parteilehrjahr 1989/90 wieder verschwinden müssen, da sie nicht den heutigen Anforderungen entsprechen. Hinweise auf Arbeitsniederlegungen gibt es derzeit nicht. VEB Töpferhof Römhild Im o. g. Betrieb kam es bisher zu keinen Arbeitsausfällen. Während eines Besuches einer Delegation aus Luxemburg am 26.10.89 waren an einer Tür die Aufschriften „Neues Forum“ und „Reisefreiheit“ angebracht. Diese Aufschriften wurden nach Feststellung sofort beseitigt und von der o. g. Delegation nicht wahrgenommen. VEB Kraftverkehr Meiningen In den vergangenen Tagen wurden durch die staatliche Leitung in allen Bereichen des o. g. Betriebes Gespräche mit den Beschäftigten durchgeführt. Während der Diskussionen wurden alle gegenwärtigen Fragen und Probleme angesprochen und es gab teilweise Forderungen nach Ablösung des Gen[ossen] H[ans] Albrecht. Ingesamt wurden die Gespräche in offener und sachlicher Diskussion geführt. Erhebliche Probleme bereitet die gegenwärtige Ersatzteilsituation, die unter den Werktätigen kein Verständnis mehr findet. So wurden bis zum jetzigen Zeitpunkt lediglich 14 Winterreifen (4 Reifen – GÜV, 10 Reifen – KOM) zur Verfügung gestellt und es besteht keine Aussicht auf Verbesserung dieser Situation. Hinweise auf Arbeitsniederlegungen liegen im VEB Kraftverkehr Meiningen nicht vor. VEB TGA Meiningen Hinweise auf Arbeitsniederlegungen liegen nicht vor. Diskussionen ruft unter den Werktätigen des TGA den Umstand hervor, daß in diesem Betrieb lt. Kombinatsvorgaben die niedrigsten Löhne be148 zahlt werden. Der Produktionsrückstand in der Gabelherstellung beträgt gegenwärtig ca. 9 000 Stück. Auch in der Heizplattenproduktion konnte der Plan bisher nicht erfüllt werden, was auf das Fehlen qualifizierter Schweißer sowie die ungenügende Belieferung mit Oralrohren zurückzuführen ist. Negativ wirkt sich gleichzeitig aus, daß der Einsatz eines Schweißroboters in der Heizkörperproduktion bisher nicht realisiert werden konnte. Während geführter Parteiaussprachen wurde von mehreren Genossen die Ansicht vertreten, daß die Mitgliedsbeiträge zu hoch sind. Es ist eine ständig steigende Fluktuation aus dem VEB TGA in nichtproduktive Bereiche zu verzeichnen. Gründe hierfür liegen z. T. in den niedrigen Löhnen als auch in den fehlenden Möglichkeiten, während der Arbeitszeit Einkäufe zu tätigen. Als Beispiele werden hierfür der Rat der Stadt, der Rat des Kreises von den Werktätigen angeführt. VEB Südthüringer Fleischkombinat Suhl/Verarbeitungsbetrieb Meiningen Von der Mehrheit der Werktätigen werden die neuen Beschlüsse und die Offenheit unserer Staatsführung begrüßt. Hinweise von Arbeitsniederlegungen liegen nicht vor. Als problematisch für die weitere Gewährleistung der Versorgungsaufgaben wird der veraltete Maschinenpark sowie ständiger Arbeitskräftemangel angesehen. VEB Metallwerk Wasungen Seit Juni 1989 ist im Produktionsprozeß eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen bzw. es wird nicht mehr vertragsgerecht produziert. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß die vor 12 Jahren aus der Schweiz gekauften Anlagen enorme Verschleißerscheinungen aufweisen und keine stabile Ersatzteillieferung mehr gewährleistet wird. Eine weitere Ursache für die gegenwärtigen innerbetrieblichen Probleme liegt in der relativ hohen Fluktuation von Arbeitskräften vorwiegend aus dem produktiven Bereich und es tragen sich zahlreiche Beschäftigte mit dem Gedanken, zum Jahresende einen Arbeitsstellenwechsel vorzunehmen. Diese Entschlußfassung erfolgt in erster Linie aus finanziellen Gründen (unterschiedliches Lohngefüge innerhalb des Kombinates). Innerhalb des Betriebes liegen z. Z. keine Hinweise auf Arbeitsniederlegungen vor. Die Mehrzahl der Werktätigen steht dem gegenwärtigen Er149 neuerungsprozeß in der DDR positiv gegenüber, andererseits werden jedoch auch pessimistische Meinungen verbreitet, worin zum Ausdruck kommt, daß die gegenwärtigen Probleme nicht gelöst werden können. VEB Rationalisierungsmittelbau Grimmenthal Innerhalb der letzten Tage traten 8 Genossen aus der SED aus (ca. die Hälfte der GO). Seinen Austritt erklärte auch der ökonomische Direktor W. […] und schrieb dazu eine zweiseitige Stellungnahme, die er am 1.11.89 an verschiedenen Stellen im Betrieb aushängte. In dieser Stellungnahme äußerte W. sein Mißfallen über die eingetretenen Zustände und forderte die Ablösung von Funktionären (von Gen[ossen] [Hans] Albrecht bis Gen[ossen Erich] Mielke). Weiterhin kritisierte er sowie weitere ehemalige Genossen die hohen Parteibeiträge. Von der Produktionsleitung des Betriebes wird eingeschätzt, daß die Arbeitsproduktivität in den letzten Tagen sehr nachgelassen hat, da kaum gearbeitet wird, sondern nur in kleinen Gruppen diskutiert wird. Information 92/89 vom 3. November 1989 zur Reaktion der Bevölkerung. 520 Nach wie vor herrscht unter allen Bevölkerungsschichten große Unzufriedenheit über bestehende Probleme im Kreis Meiningen. Immer wieder wird geäußert, daß man das Vertrauen zur Partei verloren hat und sie dieses nur durch Taten wiedererringen könne. Ein Großteil der Bürger zeigt Erwartungshaltungen und hofft, daß eine Wende zum Besseren eintritt ohne daß es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Bürger aus Grenzgemeinden und dem grenznahen Raum diskutieren über den Wegfall des Sperrgebietes. Im Einzelnen stellen sich die Meinungsäußerungen wie folgt dar: – Bürger der Kreisstadt argumentieren 520 150 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 135–138. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. • wenn man heute die Aktuelle Kamera und die Presse verfolgt, so komme man zu der Annahme, als ob die Partei und Regierung nichts von der Stimmung im Volk gewußt hat oder nicht wissen wollte; • warum tritt die SED nicht offen auf und sagt, daß sie Schuld an dieser ganzen Sache trägt; • warum versuchen einzelne Funktionäre, die Schuld auf die Schutz- und Sicherheitsorgane abzuladen, die lediglich eins gemacht haben, im Auftrag der Partei die Befehle und Weisungen zu erfüllen; • wer hat denn die Informationen schön gefärbt, gestrichen und so geschrieben, daß alles in Ordnung ist; • was heute die Bürger fordern, über das wurde schon lange informiert; • man sollte jene bestrafen, die falsche Informationen weiterleiteten; • wie kommen wir aus dieser Situation heraus, die Bevölkerung will moderne Kleidung, keine Ladenhüter, ein allseitiges Warenangebot und Klärung der Ersatzteilfrage, Reisefreiheit und nicht auf PKW 15 Jahre warten; • mit dem Entscheid der Rückkehr von ehemaligen DDR-Bürgern erklärt man sich nicht einverstanden. Diese Personen hätten sich als Feinde der DDR ausgegeben und wenn sie zurückkommen, wollten sie wieder Wohnungen. Der ehrliche Bürger, der hier geblieben ist, müßte wieder darunter leiden. – Mitarbeiter des Rates des Kreises Meiningen äußerten, daß es noch lange dauern würde, bis das Vertrauensverhältnis wieder erreicht sei. Nunmehr müßten auch im Bezirk und Kreis Kaderveränderungen vorgenommen werden. – Diskotheker aus Meiningen bezeichneten Gen[osse Egon] Krenz als Lügner, denn unter seiner Führung würde sich in der DDR sowieso nichts ändern. – Mitglieder der LDPD machen für politische Fehlentscheidungen das MfS521 verantwortlich, sagen aber auch, daß diese ja im Auftrag der Partei gehandelt haben und sich überall hineinhängen mußten. Der ehemalige stellv[ertretende] Bürgermeister und Stadtrat für Handel und Versorgung, Sp. […], betonte, durch das MfS sei die DDR zum totalen Polizeistaat geworden. Nach seiner Auffassung müßte das MfS um 50 % verringert werden. Gen. Krenz genießt kaum Sympathisanten unter den Mitgliedern der LDPD. Jetzt spreche er von Reformen und Dialogpolitik. So schnell 521 MfS: Ministerium für Staatssicherheit. 151 könne sich keiner ändern. Das sei nur zeitweilig, denn er gehörte zum Lieblingskind des Gen[ossen] Honecker. Von Harry Tisch erwartet man, daß er von seiner Funktion entbunden wird. Kritisiert wird auch Gen[osse Hans] Albrecht. Seine Sonderrechte und Privilegien werden verurteilt. Er sei mitschuldig, daß es in der DDR soweit kommen mußte. Es wird gefordert, Gen[osse] Albrecht zur Verantwortung zu ziehen. Als ein Mann der Zukunft wird der Vorsitzende der LDPD, Manfred Gerlach, angesehen. Durch ihn sei eine Umgestaltung in der DDR erfolgreich. Er spreche alle Fragen offen an. In Gerlach sieht man den zukünftigen Präsidenten der Volkskammer. – Bürger der Grenzgemeinde Frankenheim fordern sichtbare Veränderungen bei Ersatzteilen, in der Versorgung mit Konsumgütern sowie eine reale Entlohnung. Sowohl unter Arbeitern dieser Grenzgemeinde als auch Funktionären im Rat des Kreises wird die Meinung vertreten, daß weitere Kaderveränderungen schrittweise bis auf Bezirks- und Kreisebene, vorrangig im Parteiapparat erfolgen müssen. Verlangt wird auch, daß solche Funktionäre, die unreale Einschätzungen vornahmen, zur Verantwortung gezogen werden. Verwunderung wird darüber geäußert, daß Harry Tisch so auftritt, als ob er sich völlig gewandelt hätte. Man stellt die Frage, warum Gen[osse] Tisch die Rolle der Gewerkschaften, wie er sie jetzt fordere, nicht schon vor Jahren im Politbüro angesprochen hat. – Mitarbeiter des Kreiskabinettes für Kulturarbeit sagten: • die SED muß endlich mit Andersdenkenden sprechen, sie kann nicht alleine den Führungsanspruch behaupten. Die Diktatur muß endlich verschwinden; • man glaubt nicht mehr an den Sieg des Sozialismus, er sei überholt, denn es gehe schon Jahre rückwärts; • das Feindbild vom Westen muß abgebaut werden. – Bürger der Gemeinde Helmershausen vertraten den Standpunkt: • die gemachten Fehler müssen schnellstens beseitigt werden; • die Verantwortung in den Betrieben muß durchgesetzt werden, vor allem die Auslastung der Arbeitszeit; • der Rolle der Kirchen muß mehr Beachtung geschenkt werden, damit sie nicht noch wirksamer werden können; • die Offenheit unserer Medien muß noch mehr zum Tragen kommen. 152 – Bürger der Gemeinde Gerthausen versprechen sich eine Stabilisierung bei der Versorgung mit Kfz522-Ersatzteilen sowie Bekleidungsartikeln. Die DDR sollte ihre Exporte einschränken und dem Binnenmarkt den Vorrang geben. – Mittlere leitende Kader im VEB Plattenwerk Walldorf bezweifeln, daß der eingeschlagene Weg mit den „alten“ Genossen an der Spitze fortgeführt werden kann. Für sie sei der Führungswechsel nur eine Formsache, die dazu diene, die alten Verhältnisse zu untermauern und weiter das privilegierte Leben der Funktionäre zu sichern. – Genossenschaftsbauern der LPG (T)523 Hermannsfeld verstehen nicht, daß man heute so viel über die Vergangenheit spricht, die Fehler hätten alle mitgemacht und jetzt stehe die Aufgabe, die aktuellen Probleme zu lösen. Nicht einverstanden erklärte man sich mit den Demonstrationen, denn die Probleme würden dadurch nicht gelöst. Reformen seien notwendig, aber nach einem bestimmten System und nicht alles gleichzeitig. – Mitarbeiter des HO524-Kreisbetriebes Meiningen bedauern, daß es erst soweit kommen mußte. Es könne aber nun nicht so gehen, alles mit einmal zu lösen, denn sonst könnten die Aktivitäten in kurzer Zeit in das Gegenteil umschlagen. – Werktätige des VEB Metallwerk Wasungen äußern Skepsis und glauben nicht, daß sichtbare Veränderungen in nächster Zeit zu erwarten sind. Die Unzufriedenheit unter der Bevölkerung resultiere daraus, daß man nur arbeiten müsse und nichts zu kaufen bekäme. Einzelne hätten alles und andere nichts. Ein Bauarbeiter aus Römhild äußerte zu den Demonstrationen in Berlin „Wir kriegen die schon hin, wo wir sie hinhaben wollen. Wir machen weiter. Als nächstes werden wir den Bonzen die Kaufhäuser wegnehmen“. Ein Beschäftigter im VEB Eliog Römhild argumentierte: „In Meiningen wurde demonstriert, jetzt wird es denen endlich einmal gezeigt.“ Bürger der Gemeinden Bettenhausen, Kaltenwestheim, Mittelsdorf und Berkach führen Diskussionen über den Wegfall des Grenzgebietes. Man beruft sich auf Meldungen westlicher Massenmedien bzw. Aussagen von Funktionären. 522 523 524 Kfz: Kraftfahrzeug. LPG (T): Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (Tierproduktion). HO: Handelsorganisation. 153 Eine Reihe Bürger der Kreisstadt sowie aus der Grenzgemeinde Henneberg lehnen Demonstrationen als Mittel zur Durchsetzung von Zielen ab. Nach ihrer Meinung sei es besser, Ruhe zu bewahren und durch Taten den Sozialismus in der DDR zu stärken. Information 93/89 vom 6. November 1989 über eine durchgeführte Veranstaltung im Meininger Theater unter der Thematik: Massenmedien der DDR525 Am 5.11.1989, von 10.30–13.30 Uhr fand o. g. Veranstaltung, an der ca. 900 Personen aller Bevölkerungsschichten teilnahmen, statt. Gesprächspartner waren u. a.: Gen[osse] H. […] Sekretär für Agitation/Propaganda SED-Kreisleitung Meiningen Gen[osse] J. […] Intendant des Meininger Theaters Gen[osse] L. […] Chefredakteur sowie Redakteure – der Bezirkspresse, – des Thüringer Tageblattes, – der RAW-Zeitung und ein Vertreter der Aktuellen Kamera. Die Veranstaltung verlief ohne Vorkommnisse, jedoch in einer kritischen Atmosphäre. Die Beiträge wurden emotional vorgetragen. Als erster Diskussionsredner sprach erneut der Chefarzt der Augenklinik des BKH Meiningen, Dr. St. […]. Er kritisierte vor allem den Wahrheitsgehalt unserer Medien. Die Mehrheit der 25 Diskussionsredner bezogen sich erneut auf den ehemaligen 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Suhl, Gen[ossen] Hans Albrecht, wobei vor allem in den Mittelpunkt gestellt wurden: – Besitz westlicher Währung, – Bungalow in Berlin im Wert von 400 TM, – Lebensstandard in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit. Es wurde gefordert, gegen Gen[ossen Hans] Albrecht strafrechtlich vorzugehen und sein Vermögen einzuziehen. Der schreibende Arbeiter im RAW Meiningen, Sch. […], argumentierte: 525 154 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 145–148. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. Ein Brief an Hans Albrecht bei einem Umfang von 3 Seiten dauerte bis zur endgültigen Fertigstellung 3 Tage, weil ich mir nicht sicher war, ob ich diesen Brief für Albrecht gut genug aufgesetzt hatte. In den Diskussionsbeiträgen standen weiterhin folgende Problemstellungen im Vordergrund: – Kein Vertrauen zu Abgeordneten der Stadtverordnetenversammlung von Meiningen, da Bürgermeister W. […] wieder gewählt wurde; – Inhalt und Qualität der Zusammenstellung im Kreisteil des Freien Wortes; – Was sind wir überhaupt – ein Arbeiter-und-Bauern-Staat oder ein Sicherheitsstaat? Die Angestellten und Angehörigen der Sicherheitsorgane würden überall bevorzugt – eine Wende bei den Sicherheitsorganen muß auch kommen. – In der Zeitung wird geschrieben, die SED hat die große Wende organisiert. Das entspricht nicht der Wahrheit. Das Volk hat die große Wende eingeleitet. – Neuwahl 1990, bis dorthin kann Egon Krenz sich beweisen, ansonsten wird er nicht wieder gewählt. – Die Wende hat erst begonnen. – Eine junge Mutter berief sich auf eine leerstehende Wohnung im Neubaugebiet der Kreisstadt. Sie selbst benötige eine sehr dringend. Der Sohn des Bürgermeisters habe eine überdurchschnittlich große Wohnung, wie sie ihm nicht zustehe. Es wurde nochmals auf die genehmigte Demonstration am 19.11.89 verwiesen. Dazu wurde im Anschluß eine Geldsammlung durchgeführt, weil angeblich der Rat der Stadt für Absperrmaßnahmen (Aufstellen von Schildern, Straßensperrung) finanzielle Mittel verlangt hat. Man stellte dabei einen Vergleich an zum 1. Mai, der sicherlich mehr Geld kostete. Auf den Vorschlag, eine Klärung mit dem Rat der Stadt herbeizuführen, wurde die Meinung vertreten, dieses gesammelte Geld Unicef526 zur Verfügung zu stellen. In der Stadt Wasungen wurde am 5.11.89 von 10.00 bis 12.30 Uhr in der Speisehalle der POS527 ein Bürgerforum, Veranstalter die CDU-Ortsgruppe Wasungen, Teilnahme 600 Personen zum Thema „Aktuelle Situation in der DDR“ durchgeführt. Als offizielle Vertreter haben teilgenommen: – Gen[ossin] K. […] Vorsitzende der Kreisplankommission 526 527 Unicef: United Nations Children's Fund. POS: Polytechnische Oberschule. 155 – Gen[osse] H. […] Ratsmitglied des Kreises Meiningen – Gen[osse] H. […] 1. Stellv[ertreter] Inneres beim Rat des Kreises Meiningen – Gen[osse] K. […] Bürgermeister der Stadt Wasungen – Koll[ege] S. […] Vorsitzender CDU-Kreisvorstand Meiningen – Gen[osse] K. […] Sekretär der Ortsleitung Wasungen – Gen[osse] B. […] Ratsmitglied Rat der Stadt Wasungen Veranstaltungsleiter P. […] Mitglied der CDU-Ortsgruppe Wasungen. Es sprachen 15 Personen zur Diskussion. Zunächst machte der Veranstaltungsleiter darauf aufmerksam, daß offensichtlich erst die CDU die Wende in Wasungen einleiten mußte, da bisher das örtliche Organ noch nicht auf die derzeitige Situation reagiert hat. Seitens des Genossen K. […] wurde dahingehend argumentiert, daß bereits eine ganze Reihe Foren in der Stadt Wasungen stattgefunden haben. Der Antragsteller auf ständige Ausreise in die BRD, Sch. […] aus Wasungen, forderte spontan die Abschaffung der Grenzen. Er wurde seitens des P. […] vom Saal verwiesen. Zunächst bat das Ratsmitglied K. […], Mitglied der LDPD Ortsgruppe Wasungen, ums Wort und stellte in seinen Ausführungen die führende Rolle der SED in Frage. Er betonte, daß die SED in ihrer Führungsrolle versagt habe und damit abtreten müsse. Diesen Ausführungen schlossen sich eine ganze Reihe von Bürgern der Stadt Wasungen an und stellten ebenfalls die Führungsrolle der SED in Frage. Gefordert wurde auch, die Kampfgruppen aufzulösen. In diesem Zusammenhang kamen immer wieder Privilegien zur Sprache, die führende Funktionäre unseres Staates, auch im Kreis und der Stadt Wasungen in Anspruch genommen hätten. Genannte wurden dabei der ehemalige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Suhl, Hans Albrecht, die Gen[ossin] K. […] bezüglich ihrer möglichen hohen Staatsrente sowie der Gen[osse] K. […] hinsichtlich des Kaufs eines PKW „Golf“. Eine Lehrerin sprach sich kritisch über die Schulpolitik aus und forderte grundlegende Veränderungen, insbesondere hinsichtlich der wehrpolitischen Erziehungsarbeit. An das Ratsmitglied B. […] wurde eine Frage hinsichtlich seiner beruflichen Tätigkeit gestellt, die entsprechend beantwortet wurde. Dabei gab es Zwischenrufe, wie „Gehe wieder in die Produktion und lerne das Arbeiten.“ 156 Der Bürger B. […], Rentner, bezeichnete die im Präsidium sitzenden Genossen als Faschisten, und sie seien nicht mehr tragbar, die Macht auszuüben. Dagegen wurde sich von allen Genossen verwahrt. Im Ergebnis dieser Anschuldigung wird Gen[osse] B. […] an die Abgeordneten der Stadt Wasungen am 9.11.1989 im Rahmen der Stadtverordnetenversammlung die Vertrauensfrage stellen. Abschließend rief P. […] zu einem Friedensgebet in der Stadtkirche Wasungen am 8.11.1989 auf, woran sich alle im Saal befindlichen Bürger beteiligen sollten. Als Abschluß dieses Gebetes wurde ein Schweigemarsch angekündigt, der beim VPKA Meiningen angemeldet werden soll. Diese Veranstaltung verlief ohne Vorkommnisse. P. […] verwies bereits zu Beginn dieses Bürgerforums auf Disziplin und Ordnung. Information 94/89 vom 6. November 1989 zur Frauenklinik Meiningen. 528 Durch den Rat der Stadt Meiningen wurde dem Leiter der Frauenklinik Meiningen, L. […], der Kauf eines Einfamilienhauses eines Antragstellers auf ständige Ausreise in die BRD zugesichert und in diesem Zusammenhang ein Kredit in Höhe von 30 TM gewährt. Am 3.11.89 wurde L. […] seitens des Rates der Stadt Meiningen mitgeteilt, daß ihm aufgrund der gegenwärtigen innenpolitischen Situation dieses Wohnhaus nicht zugesprochen wird. Eine Ersatzlösung wurde ihm nicht aufgezeigt. Nach Äußerungen des L. […] wäre das Haus kurzfristig an Kinder des Direktors des Kombinates für Milchwirtschaft Suhl, Sitz Obermaßfeld, Gen[osse] U. […], verkauft worden. L. […] verlangt eine sofortige Klärung des o. g. Sachverhaltes sowie Bereitstellung eines entsprechenden Wohnraumes, ansonsten wird er kurzfristig eine Tätigkeit in einem anderen Bezirk der DDR aufnehmen. Diesbezüglich gibt es heftige Diskussionen unter dem medizinischen Personal der Frauenklinik, da es für sie unverständlich ist, daß aufgrund der komplizierten Situation im Bereich der medizinischen Versorgung derartige falsche Entscheidungen getroffen werden und sich bereits mehr Ärzte 528 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 149. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 157 dahingehend geäußert haben, bei einer Aufrechterhaltung dieser Entscheidung ebenfalls ihr Arbeitsverhältnis mit dem BKH Meiningen zu lösen. Weiterhin werden solche Handlungen zur Klärung des o. g. Sachverhalts diskutiert, wie Anfertigung entsprechender Plakate und Mitführung dieser während der Demonstration am 7.11.89 sowie mögliche kurzfristige Arbeitsniederlegungen. Information 95/89 vom 7. November 1989 zu durchgeführten Bürgerforen529 Am 2.11.89 fand in der Gemeinde Kaltensundheim ein Einwohnerforum statt unter dem Thema: Aktuelle Fragen der Gesellschaft in der DDR. Im Verlaufe dieser Veranstaltung trat der Vorsitzende der LDPDOrtsgruppe Kaltensundheim F. […] mit einem 9-Punkte-Programm auf, welches folgende Forderungen enthielt: – Abschaffung der führenden Rolle der SED, – Trennung Partei – Wirtschaft, – Wegfall des Grenzgebietes, – Einführung der freien Marktwirtschaft statt Planwirtschaft, – Durchführung freier Wahlen, – Durchsetzung des Leistungsprinzips, – Bekanntgabe der Anzahl der Angehörigen des MfS bzw. Abschaffung des MfS, da es nur seine Arbeit darin sehe, kritische Bürger zu bespitzeln. Als Beispiel führt F. an, daß der Fußballclub Kaltensundheim mit einer BRD-Fußballmannschaft in Kontakt treten wollte, was aber durch das MfS verhindert worden sei. Das MfS wurde mit der Gestapo verglichen. Die DVP530 und die Grenztruppen der DDR wurden kaum genannt. Diesbezüglich brachte man zum Ausdruck, daß die Staatsgrenze auch weiterhin gesichert werden müsse, nur der Aufwand sei zu senken. Am gleichen Tag wurde in der Grenzgemeinde Stedtlingen ein Jugendforum durchgeführt. Eingeladen hatte der Rat der Gemeinde, der Parteisekre529 530 158 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 151 f. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. DVP: Deutsche Volkspolizei. tär, Gen[osse] F. […] sowie der LPG-Vorsitzende B. […]. Anwesend waren 51 Jugendliche/Jungerwachsene. Unter den Teilnehmern befand sich auch der Jugendstaatsanwalt, Gen. Sch. […]. Durch sein Auftreten wurde ein sachlicher Dialog unmöglich. Sch. […] stellte selbst Fragen und beantwortete sie mit teilweise diffamierenden Äußerungen. Unter anderem behauptete er, – das MfS hat die ganze Zeit in die falsche Richtung ermittelt, – er selbst hat den Auftrag, gegen Angehörige der Schutzpolizei, die in Ilmenau zum Einsatz kamen, zu ermitteln, – wenn jemand einen Passierschein für das Grenzgebiet benötige, solle er sich an die BDVP wenden und nicht an das VPKA, – Er forderte die Anwesenden auf, zur Demonstration nach Meiningen zu gehen. Weiterhin sagte Sch. […], in der DDR gibt es genau solche Berufsverbote wie in der BRD. Analog negativ äußerte sich auch der LPG-Vorsitzende B. […]. Information 96/89 vom 8. November 1989 über das durchgeführte Friedensgebet am 7.11.89 in der Stadtkirche Meiningen mit anschließender Demonstration531 Am 7.11.89 in der Zeit von 18.00 Uhr bis 19.10 Uhr wurde in der Stadtkirche Meiningen das Friedensgebet durchgeführt. In der Stadtkirche befanden sich ca. 1 200 Personen. Der Platz der Republik sowie die angrenzenden Seitenstraßen waren mit Personen angefüllt. Die Veranstaltung wurde durch die Kirche mit angebrachter Außenbeschallung übertragen. Bei den Teilnehmern handelt es sich um alle Alterskategorien, einschließlich der Familienangehörigen mit Kindern aus der Kreisstadt, dem gesamten Kreisgebiet u. a. Kreisen und Bezirken (Bezirke Dresden, Erfurt, Leipzig sowie Berlin). Pfarrer H. […] eröffnete das Friedensgebet und legte nochmals dar, daß man sich heute hier in Massen versammelt habe, in der zurückliegenden Zeit dies aber nur durch Wenige in der Stille der Kirche geschah, auch wenn es für manche unbequem wurde. Heute sind wir herausgetreten, um für die Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. In dem Zusammenhang forderte er zur anschließenden Demonstration auf. 531 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 1, Bl. 153–158. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 159 Eine weibliche Person, die sich als Sch. […] (phonetisch) vorstellte, sprach anschließend und zitierte ein Gedicht von Uwe Gröning, das sich inhaltlich mit der Machtfrage beschäftigte und darauf verwies, daß bis vor kurzem ein Mann regierte, der die Wirklichkeit abgeschafft habe und seine Unterregenten, die Bezirke, die Kreise und Betriebe behandelte, als wären sie sein Privateigentum. Sie brachte weiter zum Ausdruck, daß dieser Machtapparat alles geheimgehalten habe, selbst Untersuchungsgefangene zu nah trat, sie unterschreiben ließ, daß nichts geschehen war. Sie brachte weiter zum Ausdruck, daß die Dialoge Gnadenerweise sind und sich nichts geändert hat. Absolutismus würde auch noch gegenwärtig in unserem Lande geführt. Das notwendige Wort der Schuld wäre von Egon Krenz bisher nicht gesprochen worden. Vielleicht schaffen wir die Wirklichkeit wieder ab, es ist 12 Uhr und vielleicht schaffen wir uns selbst ab. Anschließend sprach Pfarrer B. […], der in seinem Gebet von einer Vision ausging, die Wirklichkeit werden kann, er sprach von einem demokratischen Land, in dem die Bürger wieder aufrecht gehen könnten, den Führungsanspruch einer Partei gibt es nicht mehr, die Bürger reden frei mit politischen Vertretern, Macht könne nur jemand in Anspruch nehmen, der sich des Vertrauens erweist, Verantwortung tragen Bürger mit hoher Sachkenntnis, an die Zeiten, wo ein bestimmtes Parteibuch und ein Jawort dazu die entscheidende Rolle spielte, an diese würden sich die Menschen nur ungern erinnern. Der Weg dorthin sei voll von Hindernissen, es gab Zuckerbrot und Gnadenerweise, wie es oft der Fall war, wir haben viele Vorspeisen angeboten, aber das Hauptgericht blieb aus, wir sollen wieder eingeschläfert werden, wie es so oft war. Er wurde mehrfach durch starken Beifall unterbrochen. Im Anschluß sprach eine bisher namentlich nicht bekannte weibliche Person zu „Einem Beschluß zur gegenwärtigen Lage“, aus dem hervorgeht, daß man den offenen Dialog genau analysieren sollte und ob wir den großen Reden Vertrauen schenken könnten. Zu fest sitze die jahrelange Einschüchterung und das Schweigen. Es gab nie Offenheit, die Medien richteten sich nur nach dem Wort der Partei und des Staates, Eingaben an die Partei wurden totgeschwiegen. Die Erneuerung ist zu abrupt. 40 Jahre mußten wir den Mund halten und nur durch die Demonstrationen wurde die Wende eingeleitet. Die SED trägt die Hauptschuld, sie maßt [sic!] sich an, für 10 Mio Bürger zu sprechen, obwohl sie nur 2,2 Mio habe. Auch die Blockparteien hätten die Befehle der Partei (SED) ausgeführt. Die wichtigste Forderung würde 160 lauten, die SED müßte ihre Führungsrolle und ihre Vormachtstellung aufgeben. An dieser Stelle wurde sie durch starken Beifall unterbrochen. Sie erklärte weiter, man könne nicht mit den Wahlen bis 1991 warten, nicht mit verknöcherten Funktionären reden, es müßten Taten folgen, sie forderte alle diejenigen auf, die ehrlichen Herzens mit ihnen gehen wollen, aber nicht zwischen den Mächtigen und Unmächtigen, sondern als gleichberechtigte Partner. Ein Dialog nütze nichts, wenn man sich nicht zur Schuld bekenne und Taten folgen läßt. Bezugnehmend auf die erneute Ausreisewelle brachte sie zum Ausdruck, daß sie vor einem tiefen Abgrund stehen, die Uhr stehe schon lange nicht mehr 5 Minuten vor 12, es sei nun die Zeit, etwas zu tun. Im Anschluß daran sprach Dr. St. […] bezogen auf seine beiden Reden in den vorangegangenen Friedensgebeten brachte er zum Ausdruck, daß man die Vergangenheit nur bewältigen kann, wenn man sie selbst verträgt. Als Schwerpunkt seiner Ausführungen nannte er die Wirkung des Mauerbaus nach außen. Die herrschende Klasse braucht eine Rechtfertigung. Diese war schnell gefunden, man machte dafür den imperialistischen Gegner in der BRD verantwortlich. Er schuldigte jedoch auch an, daß die Politik unter Adenauer nicht dazu angetan war, das Feindbild abzubauen. Das Gespenst – der Kommunismus – welches Adenauer aufbaute, führte zu der historischen Hypothek, daß sich die BRD damit noch bis in die 80er Jahre herumschlagen musste und die 2 deutschen Staaten immer mehr aufeinanderprallten. Wir als Deutsche hatten darunter zu leiden, die Mauer hätte zunächst zur politischen Stabilität beigetragen. Die Völker Europas konnten ruhig schlafen, die Mauer verhinderte weitgehend die Konfrontation. Wie die Westeuropäer die Mauer sehen, belegte er anhand eines Gespräches mit dem ehemaligen Meininger und heute kirchlichen Amtsträger und führenden Vertreter der britischen Friedensbewegung. Dieser hätte ihm in einem Gespräch gesagt, es ist ein Segen, daß es die Mauer gibt. Er habe ihm darauf geantwortet, ja, für diejenigen, die vor der Mauer leben. Im Laufe der Jahre, wie der Redner formulierte, sei jedoch die Sinnlosigkeit der Mauer immer deutlicher geworden. Insbesondere durch Gorbatschow wurde der Teufelskreis des Feindbildes durchbrochen. Zusammenarbeit zwischen Ost und West kam in Gang. Auch die DDR hat einen bedeutenden Beitrag zur Friedenspolitik geleistet, das wolle er ausdrücklich betonen. Während die Mauer nach außen hin zur längsten Friedensperiode beitrug hat die Führung unseres Landes auf der anderen Seite nicht begriffen, daß zur Friedenspolitik auch eine Öffnung nach innen gehört. Diese Isola- 161 tion habe viele tausende Menschen von uns weggetrieben, deshalb sei sie zu einem Fossil geworden und müsse abgerissen werden. Nur dann sei die Politik der Parteiführung glaubwürdig und würde den Prozeß des friedlichen Zusammenlebens beider deutscher Staaten fördern. Sollte sie dennoch stehen bleiben, dann nur als „Gigantisches Denkmal“, woran unsere Enkel die DDR-Geschichte studieren können. Unter starkem Beifall verkündete ein Redner, daß laut ADN532 der Rechtsausschuß der Volkskammer den Entwurf des Reisegesetzes als untragbar abgelehnt hat. Wie bereits beim letzten Friedensgebet, nahm erneut die Tochter des Antragstellers auf ständige Ausreise – K. […] – G. […] Stellung und erklärte, daß ihrem Vater beim letzten Dialog im Volkshaus viel Unrecht angetan wurde, da man seine Abberufung als Schwimmtrainer mit einer strafbaren Handlung begründet hätte, was nicht den Tatsachen entspricht. Sie habe der Kreisstaatsanwaltschaft alle Unterlagen zur Prüfung übergeben und will die Abschrift ihrer Ausführung der Staatssicherheit zur Verfügung stellen, damit ihre Akte vervollständigt werde und ihr nicht noch mehr Unheil geschehe. Im Anschluß wurde ein Schriftstück des Bürgers R. […], wohnhaft Untermaßfeld, in welchem er fordere, auch Funktionsträger der unteren Organe zur Verantwortung zu ziehen, die ihre Funktion mißbrauchen. Eine L. […], Mitarbeiterin des Kreiskirchenamtes, die im Namen kirchlicher Mitarbeiter sprach, forderte für unsere Kinder künftig ihre Weltanschauung selbst frei wählen zu können, daß wieder christliche Kindergärten eröffnet, evtl. Räume aus staatlichen Kindereinrichtungen dafür zur Verfügung gestellt werden, die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation und FDJ und die Teilnahme an der Jugendweihe auf Freiwilligkeit basieren. Sie verlangte eine Trennung zwischen Bildungseinrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen. Der bereits zurückliegend aufgetretene Dr. A. […] verwies darauf, daß in einer Sitzung in Suhl gefordert wurde, gegen die Demonstrationen einzuschreiten. Er forderte deshalb zur Verhinderung dieser Fehler ein Mehrparteiensystem, zumal er die im In- und Ausland geschulte 2. Staffel für den Ersatz der Regierung nicht für beruhigend hält. Trotz aller Für und Wider zu dem ehemaligen Generaloberst [Markus] Wolf, unterstütze er seinen Vorschlag, daß die Staatssicherheit unter parlamentarische Kontrolle zu stellen ist, da angeblich kein Land der Welt oh532 162 ADN: Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst. ne eine solche Institution auskommen könne. Diese Kontrolle sei unter einem Mehrparteiensystem sicherer. Er forderte, die Warnung unserer Pfarrer „vor Gewalt und Hetze“ unbedingt zu beherzigen. Ein E. […] aus Walldorf bedankte sich bei der Kirche dafür, daß es nur die Gotteshäuser waren, wo sich die Reformkraft, voran die Christen, formieren konnten. Es können alle Christen, Atheisten und Genossen in die Kirche kommen, sollten aber so viel Courage haben, keinem 2. Herrn zu dienen. Er brachte weiter zum Ausdruck, daß die Stimmungslage unter der Bevölkerung von Angst, Resignation, Armut, gelähmte Arbeitsmoral geprägt ist und wir Opfer dieser 40jährigen Politik sind. Die SED müsse auf ihren Führungsanspruch verzichten. Er bezeichnete das System als scheinheilig, in dem sich Potenzen nicht frei entfalten könnten. Mit dem gleichen Machtapparat könnte man keine Wende erreichen. Wie dumm und naiv wird das Volk wieder gehalten. Er forderte eine Vergangenheitsbewältigung, die die Rehabilitierung der zu Unrecht Verurteilten einschließt. Er forderte gerichtliches Verfahren für alle diejenigen, die sich zu Unrecht bereichert haben. In den Betrieben sei die Gewerkschaft nur ein Instrument der SED. In den weiteren Diskussionen wurden analoge Probleme angesprochen. Um 19.20 Uhr formierte sich ein Demonstrationszug vor der Kirche mit ca. 20 000 Menschen, der vom Platz der Republik über die Georgenstraße, Leipziger Straße, Straße der Gesundheit, Lindenallee, Puschkinstraße, E[rnst]-Thälmann-Str., Anton-Ullrich-Str. zum Platz der Republik führte. Die mitgeführten Plakate und Spruchbänder beinhalteten: – „Krenz zu Tisch“ – „Mauer muß weg“ – „Wir wollen ein Jahresvisa“ – „Neue Regierung durch Volksentscheid“ – „Möbelbude ohne Filter – Leuterdorf Bild auf Bild“ – „40 Jahre Sperrzone – 40 Jahre zurück“ – „Landschaftsschutzgebiet“ – „Die führende Kraft ist das Volk“ – „SED treibt die Masse zur Massenflucht“ – „Egon, wir sind nicht die Olsenbande“ – „Grabfeld, grenzenlos – Sperrzone weg“ – „Freie und geheime Wahlen – keinen Führungsanspruch der SED“ – „Grenzgebiet weg – Reisen für alle innerhalb der DDR“ 163 – „Weg mit der SED-Macht“ – „Kampfgruppen und Grenzgebiet weg“ – „Ändert alles, vor allem die Verfassung“ – „Wir wollen frei wählen“ – „Neue Männer braucht das Land“, während bis unmittelbar vor der Kreisdienststelle vorwiegend solche Losungen gerufen wurden wie – „Demokratie jetzt oder nie“ – „Wir bleiben hier“ – „40 Jahre Pfusch“ – „Mindestrente fürs ZK“ – „Schließt euch ein“, nahmen die Sprechchöre am Objekt der K[reis]D[ienststelle] an Intensität und Lautstärke mit folgendem Inhalt zu – „Staasi weg – Bürgerschreck“ – „Schließt euch ein“ – „Staasi in die Volkswirtschaft“ – „Ihr Schweine (vereinzelt)“ – „Schließt euch an“ – „Staasi raus“ – „Schämt euch“ – „Tretet ab“ – „SED, das tun weh“ – „Wir verdienen euer Geld“ – „Staasi in die Produktion (Gesang)“ – „Staasi in die Produktion, wir verdienen euern Lohn“ – „Egon reiß die Mauer ab …“ – „Trapo weg, hat kein Zweck“ Die Sprechchöre wurden ständig mit Puh-Rufen und Pfeifkonzert untermauert. Über den Begrenzungszaun der KD wurden 2 Silvesterknaller geworfen. An der Objektumzäunung E[rnst]-Thälmann-Str. wurden auf dem Zaun als auch auf dem Bürgersteig ca. 900 brennende Kerzen abgestellt. Vor dem Gebäude der SED-KL stellte man ca. 150, dem VPKA ca. 100, dem Rat des Kreises ca. 150 und am Bezirksgericht/Staatsbank auch ca. die gleiche Anzahl Kerzen ab. An der Objektumzäunung der SED-KL wurden 8 Transparente und Plakate abgestellt, die folgenden Inhalt hatten: – „Ändert Artikel 1 der Verfassung – wir fordern freie Wahlen“ 164 – „Führungsanspruch der SED treibt Tausende in die BRD“ – „Krenz zu Tisch“ – 2 x Abbildung symb[olischer] Händedruck zur Vereinigung von KPD und SPD – darunter Tschüs – „Egon, wir sind nicht die Olsenbande“ – „Weg mit SED-Macht, den Kampfgruppen und dem Grenzgebiet“ – „Wie sollen wir reisen, wenn notwendige Devisen uns die hohe Obrigkeit vermiesen“ In der Kirche wurde bekanntgegeben, daß am Samstag, den 11.11.89, 15.00 Uhr in der Stadtkirche eine Veranstaltung zur Eröffnung der Friedensdekade und am Dienstag, den 14.11.89, ein erneutes Friedensgebet in der Stadtkirche durchgeführt wird. Information 97/89 vom 15. November 1989 . [über die Mitgliederversammlung der SED im RAW]533 Am 13.11.89 fand im RAW „Helmut Scholz“ Meiningen eine Mitgliederversammlung der SED-Grundorganisation statt. Als Parteisekretär leitete R. […] selbst die Versammlung und verzichtete auf ein Präsidium. In seinen Ausführungen stellte R. dar, daß die von ihm eingeleiteten Maßnahmen bisher stets dem RAW zugute kamen. Für aufgetretene Probleme und Schwierigkeiten machte er jedoch die Werkleitung, die Fachdirektoren und SED-Kreisleitung verantwortlich. Insbesondere der SED-Kreisleitung warf er mangelhafte Anleitungstätigkeit, diktatorischen Leitungsstil und keine Sachkenntnis bei Entscheidungen und Beschlüssen vor. Diese Darstellung wurde von den anwesenden Genossen mit Rufen wie „Schauspieler“ und „Lügner“ sowie starken Gelächter beantwortet. Einzelne Genossen, z. B. L. […], P. […] und H. […] widerlegten in der Diskussion eindeutig die Darstellung von R., daß bestimmte Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen nur durch seine Initiative zustande kamen und daß er sich stets um die Interessen der Werktätigen gekümmert habe. In dieser Mitgliederversammlung sprachen sich fast alle Genossen gegen den Parteisekretär aus. Dieser erwiderte lediglich, daß ein Rücktritt für ihn nicht in Frage käme. 533 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 2, Bl. 5 f. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. 165 Anschließend verkündete er ein 10-Punkte-Programm über die weiteren Aufgaben, welches angeblich mit der Parteileitung abgestimmt sein sollte. Doch auch dies entsprach nicht der Realität, eine Abstimmung erfolgte, wie R. auf Anfragen zugeben mußte, nur mit ausgewählten Leitungsmitgliedern. Auf Grund des gezeigten Verhaltens von R. trat am heutigen Tag die Parteileitung des RAW Meiningen geschlossen zurück. Information 98/89 vom 22. November 1989 über das durchgeführte Friedensgebet am 21.11.89 in der Stadtkirche Meiningen mit anschließender Demonstration534 Am 21.11.89 in der Zeit von 18.00–19.00 Uhr wurde in der Stadtkirche Meiningen das Friedensgebet durchgeführt. In der Stadtkirche befanden sich ca. 900 Personen. Der Platz der Republik war mit ca. 2 500 Personen angefüllt. Die Veranstaltung wurde durch die Kirche mit angebrachter Außenbeschallung übertragen. Bei den Teilnehmern handelte es sich um alle Altersgruppen mit überwiegendem Anteil von Jugendlichen und Jungerwachsenen sowie Personen aus anderen Kreisen und Bezirken. Das Friedensgebet wurde von Jugendwart Töpfer eröffnet, der zum Ausdruck brachte, daß man schon einiges bei uns erreicht habe, dies aber noch nicht alles sein könne. Im Verlaufe der Veranstaltung sprachen 5 Diskussionsredner, die zusammengefaßt folgende Aussagen zum Inhalt hatten: – Angriffe auf die führende Rolle der Partei mit der Forderung, den Artikel 1 der Verfassung zu ändern; – die SED trage die volle Schuld an der gegenwärtigen Situation; – durch Manipulation und Korruption dürfe der wahre Gedanke der Ideologie nicht verwischt werden; – Reisetätigkeit sei eine Errungenschaft der Wende, man müsse aber aufpassen, daß dies alles in ordentlichen Bahnen verlaufe, – die Staatssicherheit wäre ein gut organisierter und aufgeblähter Apparat, der nicht so einfach abgeschafft werden könne; 534 166 BStU, MfS, BV Suhl, KD Meiningen Nr. 1145, Bd. 2, Bl. 34–36. Die Information unterzeichnete der Leiter der Kreisdienststelle Meiningen, Oberstleutnant Rudi Lang. – sollte die Staatssicherheit bestehen bleiben, dann nur mit solchen Mitarbeitern, die sich bisher nichts zuschulden haben kommen lassen, nicht gegen die Menschlichkeit verstießen und gut beleumdet sind. Sie sollten sich auf den Schutz nach außen und auf die Bekämpfung des Neofaschismus konzentrieren; – Die Kollegen der Staatssicherheit, die bereits im Westen waren, sollten das Begrüßungsgeld zweckmäßiger Weise der Zahlstelle in Salzgitter überweisen; – Forderung nach starkem Abbau der Staatssicherheit und VP-Bereitschaft. Bei den Rednern handelte es sich um den bereits bekannten Dr. St. […], Dr. A. […], Chirurg in Erfurt, das Mitglied des Gesprächskreises „Frieden und Ökologie“, B. […] sowie um einen Dr. M. […] (ph). Zum Abschluß des Friedensgebetes wurde vom Superintendenten V. […] zur Ruhe und Besonnenheit aufgerufen, wenn sich wieder eine Demonstration formieren sollte. Die Losung der Demonstration müßte sein: – freie Wahlen – Änderung der Verfassung – Einbringung der Umweltfragen in die Verfassung – Sofortige Durchsetzung einer Bildungsreform. Um 19.05. Uhr formierte sich vor der Stadtkirche ein Demonstrationszug mit insgesamt 5 000 Personen, der über den Platz der Republik, Georgstraße, Puschkinstraße, Ernst-Thälmann-Straße, untere Kaplaneigasse führte und sich auf dem Platz der Republik mit noch ca. 500 Personen auflöste. Die mitgeführten Plakate und Spruchbänder beinhalteten: – SED und Stasi lacht, sie haben das Volk mit Visa besoffen gemacht! – Solange Stasi und Stalinisten regieren, wird das Volk auf der Straße marschieren! – Auch die Tschechen werden mit den Bonzen brechen! – Lenin machte aus Arbeitern Kommunisten, jetzt werden aus Bonzen Arbeiter gemacht! – Puttje, Puttje SED, ihr zieht nun um ins RAW! – Egon und Hans, Zeigt Distanz! – Schütz die Natur, aber nicht die Wendehälse! Vor dem Kreisamt [für Nationale Sicherheit Meiningen] und dem Objekt der SED-Kreisleitung wurden folgende Losungen gerufen: – Stasi in die Produktion! – SED, das tut weh! – zeigt Euch! 167 – Faulenzer – wir verdienen Euer Geld! – Stasi, wie viel seid Ihr! – Für was kriegt Ihr Euer Geld? – Stasi in die Volkswirtschaft (als Lied gesungen) – Lumpen-Pack (Einzelstimme) – Weg mit der Staatssicherheit – [Hans] Albrecht vor den Staatsanwalt – Schämt Euch was – Egon rück das Westgeld raus – Ihr faulen Schweine (Einzelstimme) – Weg mit dem Artikel 1 Die Sprechchöre wurden mehrfach mit Puhrufen und Pfeifkonzerten untermauert. An der Objektumzäunung Ernst-Thälmann-Straße wurden auf dem Zaun als auch auf dem Bürgersteig ca. 400 brennende Kerzen abgestellt; die gleiche Anzahl stand gegenüber der SED-Kreisleitung. An der Objektumzäunung der SED-KL wurden 2 Plakate mit folgender Aufschrift aufgestellt: – SED und Stasi lacht, sie haben das Volk mit Visa besoffen gemacht! – Schützt die Natur, aber nicht die Wendehälse. Der Rückreiseverkehr von der BRD war in der E[rnst]-Thälmann-Straße durch die Demonstration stark behindert. Es wurde bekannt, daß die Kirche nicht beabsichtigt, sich solche Demonstrationen genehmigen zu lassen, da sie keine Verantwortung übernehmen wolle. Für sie sei mit Abschluß des Friedensgebetes die Veranstaltung an sich beendet. 168 12 Personenregister Aitmatow, Tschingis 103 Albert, Werner 39 Albrecht, Hans 122, 124, 150, 152, 154, 156 Amm, Fritz 15, 16, 41 Anschütz, Dieter 34, 40, 45 Apelt, Sandy 9 Arnold, Rolf 42 Aschenbach, Monika 9 Bartholomeus, Egon 88 Baumbach, Christa 26, 39, 59 Baumbach, Jürgen 40, 45 Bernhard III 96 Bohn, Hans-Georg 32, 36, 37, 40, 44, 65 Bräuning, Hubertus 15, 19, 23, 32, 38, 44, 99, 104, 106, 110, 111, 113, 114, 115, 120, 121 Busch, Karl-Heinz 86, 88 Cudok, Bernd 15, 19, 37, 43 Danz, Rolf 43 Dittmar, Andreas 39, 45 Eichhorn, Walter 94 Eisold, Frank 39 Föller, Hans-Joachim 35 Förster, Andreas 36 Ganz, Thomas 40 Geißhirt, Frank 30, 32, 33, 40, 44 Georg II 91, 95, 96 Gerlach, Manfred 152 Glardstz, Holger 39 Gläser, Wolfgang 80, 138 Glauder, Otto 15 Gleicher, Lutz 40 Graf, Johann 45 Gramann, Wolfgang 20, 38 Günther, Doris 9 Günther, Roland 27, 39 Hager, Kurt 139 Hanf, Harald 40, 45 Härtrich, Brigitte 40 Hauck, Norbert 44 Hauzenberger, Erwin 15, 16 Heer, Gerhard 23, 42 Heide, Friedrich 91, 92, 97 Heinholdt, Helmut 42 Henneberger, Gerhard 41 Herrmann, Hans-Joachim 122 Heumann, Hans 15, 16, 18 Hinske, Klaus 40, 43 Hoch, Ernst 15, 16 Hoffmann, Gerd 41 Hoffmann, Roland 15, 17, 23, 41 Honecker, Erich 58, 118, 119, 121, 122, 123, 129, 130, 135, 139, 152 Jahn, Roland 5 Jakob, Dirk 40, 45 Kammerzell, Hartmut 60 Kessler, Heinz 120 Köhler, Klaus 23 Köhler, Richard 42 Koll, Karl-Günter 40, 45 Krautwurst, Bernd 36 Krenz, Egon 73, 121, 122, 123, 129, 130, 131, 132, 135, 141, 151, 155, 160, 163, 165 Kuczynski, Jürgen 103 Kühhirt, Peter 27, 39, 43 Kupfer, Günter 41 Landgraf, Eberhard 36 Lang, Rudi 15, 18, 38, 70, 102, 126, 127, 128, 129, 132, 133, 136, 137, 138, 139, 141, 143, 144, 147, 150, 154, 157, 158, 159, 165, 166 Langenhan, Silvia 9 Langner, Reinhard 43 Lawin, Thomas 40 Liborius, Horst 43 Liborius, Thomas 37, 40, 83 Liehr, Heinrich 23, 41 Lindner, Rolf 42 Linser, Jens 39, 45 Luck, Eugen 31, 33, 39, 44 Malsch, Gudrun 39 März, Uwe 39 Mehlhase, Jürgen 29 Meier, Frank 39, 45, 61, 69 Menger, Hans-Joachim 29, 30 Metsch, Mario 39, 45 Mielke, Erich 93, 96, 136, 150 Möcker, Herbert 15, 23, 25, 38, 41 Moczarski, Norbert 9, 91, 171 Müller, Ernst 42, 91 Müller-Enbergs, Helmut 46 Nickel, Rainer 39, 44 Nößler, Kurt 23 Oberst, Julius 41 Placht, Josef 42, 62, 74, 76 Popp, Franz 41 Praus, Karl-Heinz 32, 39, 40, 45 Prosch, Oswald 15, 18, 42, 76 Rach, Steffen 7 Radloff, Kurt 41 Recknagel, Rolf 43 Richter, Dieter 15, 17, 43 Ricks, Adelbert 43 Rußwurm, Bodo 88 Rüttinger, Heinz 42 Sauer, Waldemar 20, 21, 23, 38, 42, 73 Scheinak, Silke 7 Schmidt, Frank 44 Schmidt, Helmut 25, 38, 43 Schmidt, Peter 21, 40, 44 Schmidt-Raßmann, Peter 11, 12, 29 Schneider, Erich 42 Schneider, Günter 39, 45 Schnitzler, Karl-Eduard von 116 Schubert, Thomas 22, 38, 44 Schurz, Erhard 15, 16, 41, 62, 95 Schwenke, Hans 36 Seidel, Ulf 88 Selbmann, Horst 42 170 Siegel, Klaus 44 Sömmer, Werner 43 Spieß, Volkmar 39, 44 Spörer, Frank 29, 39, 44, 72 Stobbe, Andrea 9 Tisch, Harry 152 Tischer, Kurt 41 Töpfer, Ulrich 9, 88, 145, 147, 166 Unger, Karl-Heinz 23, 40, 45 Unger, Wolfgang 42 Victor, Dr. Gerhard 88 Viehrig, Jens-Peter 39, 40, 44 Wagner, Christian 41 Wedler, Ingolf 40, 45 Werner, Albert 33, 44 Werner, Roland 88 Wieden, Franz 41 Wiets, Reimund 38, 44, 87 Wirthwein, Irene 40 Wolf, Christa 103 Wolf, Markus 162 Zobel, Günter 41 13 Autoren Dr. Helmut Müller-Enbergs Jg. 1960; wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagenbehörde; Adj.-Professor an der Syddansk Universitet in Odense (Dänemark); 2011/12 Gast-Professor an der Högskolan pa Gotland (Schweden). Kontakt: Helmut.Mueller-Enbergs@BStU.Bund.de Tom Pleiner Jg. 1990, 2000–2008 Staatliches Gymnasium Suhl, Abitur; 2008–2011 Ausbildung zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste bei der Stasi-Unterlagenbehörde in Suhl, dort angestellt. Kontakt: Tom.Pleiner@BStU.Bund.de Dr. Norbert Moczarski Oberarchivrat Dr. Norbert Moczarski, Abteilung für neuere Bestände des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen. 171