Dr. Alf-Henrik Bischke
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Dr. Alf-Henrik Bischke
Minderheitsbeteiligungen zwischen deutscher und EU-Fusionskontrolle Dr. Alf-Henrik Bischke FIW, 41. Brüsseler Informationstagung Brüssel, 7. November 2012 Überblick Einleitung Bestandsaufnahme: Anwendbarkeit der EU-Fusionskontrolle auf Minderheitsbeteiligungen Bestandsaufnahme: Kontrolle des Erwerbs von Minderheitsbeteiligungen nach Art. 101 AEUV Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen nach dem GWB Rechtslage in anderen Jurisdiktionen Was ist die „theory of harm“? Mögliche Reformen auf EU-Ebene Ausblick/Thesen 2 Einleitung 2001 befasste sich DG COMP mit der Frage, ob die FKVO auf nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligungen ausgesetzt werden sollte. Mit folgendem Ergebnis (Grünbuch vom 11.12.2001, Rn. 109): „Derzeit liegen der Kommission noch keine umfassenden Angaben über die zunehmende Bedeutung von Minderheitsbeteiligungen und personellen Verflechtungen vor. Nach den bisherigen Erfahrungen zu urteilen dürfte es nur bei einigen wenigen solcher Transaktionen zu wettbewerbsrechtlichen Bedenken kommen, die sich nicht mit Hilfe von Artikel 81 und 82 EG-Vertrag zufriedenstellend lösen ließen. Sollte dem so sein, wäre es unverhältnismäßig, jeden Erwerb einer Minderheitsbeteiligung der in der Fusionskontrollverordnung vorgeschriebenen Ex-ante-Kontrolle unterziehen zu wollen. Außerdem scheint es fraglich, ob sich eine Definition finden lässt, die diejenigen Fälle von Minderheitsbeteiligungen und personellen Verflechtungen herausfiltert, bei denen ein solches Vorgehen gerechtfertigt wäre.“ 3 Einleitung Seit (spätestens) Anfang 2011 beschäftigt sich DG Comp erneut mit dem Thema Aussage von Kommissar Almunia März 2011: „We are probably looking at an enforcement gap“ Diese Aussage bezog sich auf nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligungen Wesentlicher Anlass: Der Fall Ryanair/Air Lingus −Ryanair gab 2006 hostile bid für Aer Lingus ab −Erwerb in mehreren Schritten insgesamt 29.3% −Kommission untersagte angemeldeten Kontrollerwerb − Aer Lingus begehrte Entflechtung − Kommission und Gericht lehnten dies ab. Argument: Kein Verstoß gegen Vollzugsverbot mangels Kontrollerwerbs − OFT eröffnete eigenes Verfahren, das noch andauert − Beteiligung besteht bis heute 4 Bestandsaufnahme: Anwendbarkeit der EUFusionskontrolle auf Minderheitsbeteiligungen EU-Zusammenschlusskontrolle nach FKVO setzt grundsätzlich Erwerb von Kontrolle, Art. 3(1) FKVO voraus ● alleinige Kontrolle ● gemeinsame Kontrolle Nur der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung, die (Mit-) Kontrolle verschafft, stellt einen Zusammenschluss dar ● Kontrolle = Möglichkeit, einen bestimmten Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben ● Vetorechte bezüglich strategischer Entscheidungen (Besetzung Leitungsorgane, Budget, Geschäftsplan, wesentliche Jurisdiktionen) begründen (Mit-)Kontrolle Beispiel: CCIE/GTE (Kontrollerwerb bei Beteiligung von ca. 19%) ● Faktische Kontrolle ausreichend Beispiel: Arjomari/Wiggins (faktische Kontrolle aufgrund HV-Mehrheit aufgrund Beteiligung von 39%) 5 Bestandsaufnahme: Anwendbarkeit der EUFusionskontrolle auf Minderheitsbeteiligungen Erwerb einer Minderheitsbeteiligung, die keine (Mit-) Kontrolle verschafft, stellt keinen Zusammenschluss dar aber: DG Comp hat in vielen Fällen Minderheitsbeteiligungen kritisch beurteilt und diese zum Gegenstand von Zusagen gemacht Beispiele: −Allianz/Dresdner Bank (Reduzierung Beteiligung an Münchener Rück) −Siemens/VA Tech (Abgabe Beteiligung SMS) −IPIC/MAN Ferrostaal (Abgabe Beteiligung Eurotechnica) 6 Bestandsaufnahme: Kontrolle des Erwerbs von Minderheitsbeteiligungen nach Art. 101 AEUV 7 Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen nach dem GWB Neben dem Kontrollerwerb kennt GWB zusätzliche Zusammenschlusstatbestände ● Erwerb von 25% der Stimmrecht oder des Kapitals, § 37 Abs. 1 Nr. 2 lit b) GWB ● Erwerb der Möglichkeit, einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben zu können, § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB 8 − gesellschaftsrechtlich vermittelte Unternehmensverbindung (Anteilserwerb) − keine „Untergrenze“ beim Anteilserwerb − Möglichkeit wettbewerblich erheblichen Einflusses auszuüben ist ausreichend − horizontale oder vertikale Beziehung zwischen beteiligten Unternehmen erforderlich − „Plusfaktoren“: Informations- und Mitspracherechte, jedoch sind bei Erwerb faktischer Sperrminoritäten keine „Plusfaktoren“ erforderlich Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen nach dem GWB Zusammenschlusskontrolle nach GWB deutlich unter der „Kontroll“-Schwelle ●„Vorfeldwirkungen“ ●„Auffangtatbestand“ Folgen: ●Fusionskontrolle nach GWB greift früher ein ●z.T. parallele Anwendung von FKVO und GWB auf gleichen Fall – Hoechst/Clariant – Erwerb Messer Griesheim durch Goldman Sachs und Allianz Capital Partners D Prüfung des Kontrollerwerbs durch Kommission nach der FKVO und des Erwerbs einer Minderheitsbeteiligung durch Bundeskartellamt nach dem GWB 9 Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen nach dem GWB ● Fallpraxis zu § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB • Du Mont Schauberg / Bonner Zeitungsdruckerei • A-TEC / Norddeutsche Affinerie • Mainova / Aschaffenburger Versorgungs GmbH • GM / Peugeot ● Besonders kritische Fallgruppe: • Erwerb einer Beteiligung an börsennotierter Gesellschaft • Kritische Schwelle: Erwerb einer de facto Sperrminorität (25% der Stimmen auf HV), ● Wertung: „Es lässt sich im Einzelfall kaum sagen, wann eine neu entstandene Unternehmensverbindung mit einem „wettbewerblich erheblichen Einfluss“ verbunden ist“ (Bechtold) D erhebliche Bewertungsspielräume, Rechtsunsicherheit 10 Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen nach dem GWB ● Keine Änderung des § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB in der 8. GWB Novelle ● Anregung zum früheren System der nachträglichen Kontrolle zurückzukehren, wurden nicht aufgenommen. ● BKartA begrüßt Beibehaltung der „bewährten Regelungen“ zur Kontrolle von Minderheitsbeteiligungen aber: Bagatellmärkte in der 8. GWB-Novelle zum Gegenstand der materiellen Prüfung gemacht, entscheiden nicht länger über Anmeldepflicht („Rechtsüberheit bei unüblichen Auslegungs- und Tatsachenfragen“) 11 Rechtslage in anderen Jurisdiktionen ● UK - ● Vermutung: Material influence ist ab 25%-Beteiligung gegeben - Praxis: OFT prüft auch bei Erwerb von Beteiligung zwischen 15 und 25%, ob „material influence“ entsteht, z.T. auch bei Fällen unter 15% Erwerb von 25% stellt Zusammenschlusstatbestand dar. USA - 12 - Österreich - ● Aufgriffschwellen/Zusammenschluss: „ability to exercise material influence“ Cracker Barrel Old Country Store, Inc. (25.09.2012) - Erwerb von 8,7% - Bestreben, Repräsentanten im Board zu haben und Einfluss auf Geschäftspolitik zu nehmen - FTC: „investment only“ Ausnahme in HSR Rules nicht anwendbar - Folge: Verstoß gegen Anmeldepflicht, Bußgeld (USD 850.000) Was ist die „theory of harm“? Mögliche unilaterale Effekte – Verringerter Anreiz für Erwerber zu Wettbewerb mit Zielgesellschaft – Ausübung von Einfluss auf Zielgesellschaft um Wettbewerb durch diese zu verhindern – Preissetzung – Produkt-/Dienstleistungsangebot – Tätigkeit in bestimmten geographischen Märkten – Interesse potentieller Erwerber dürfte durch Beteiligung des Konkurrenten sinken Mögliche koordinierende Effekte – Informationsgewinn bzw. –austausch könnte Koordinierung des Wettbewerbsvorhabens ermöglichen Marktverschließungseffekte bei vertikalen Beziehungen – 13 Einwirkung des Minderheitsbeteiligten auf Bezugs-, Vertriebs- oder Lizenzpolitik des Beteiligungsunternehmens, die zu Beschränkungen von Wettbewerbern oder Kunden führen Was ist die „theory of harm“? Was sagen die Ökonomen? „... economic theory strongly suggests that minority shareholdings are in general significantly less likely to give rise to the incentive or ability for unilateral or coordinated effects than would be the case for fullfledged mergers. As a result, we are skeptical as to whether these potential concerns, when weighed against the very real costs of investigating minority shareholdings, are sufficient to justify increasing the Commission‘s jurisdiction in this area.“ Bojana Ignjatovic / Derek Ridyard, RBB Economics (CPI Antitrust Chronicle, January 2012 (1)) Aber: Weswegen gibt ein Unternehmen Geld für die Beteiligung an einem Konkurrenten? Wird ein Premium in Vergleich zu Beteiligungen an einem Nicht-Wettbewerber gezahlt? Wenn ja, warum? 14 Mögliche Reformen auf EU-Ebene ● DG Comp März 2012: Bericht von Claude Rakovsky zum Stand der Überlegungen Was hat die DG Comp bislang gemacht? –Literaturstudium –Analyse der Erfahrungen von Wettbewerbsbehörden mit Minderheitsgesellschaftern – In 20 Fällen der Kommission (1991-2011) riefen Minderheitsbeteiligungen der Beteiligten (bei angemeldetem Kontrollerwerb) Bedenken hervor, die alle durch Auflagen ausgeräumt wurden – In Deutschland, UK und Österreich machen Minderheitserwerbe 5-15% aller Anmeldungen aus – Hoher Anteil an Untersagungen (In Deutschland nur 11% aller Anmeldungen, aber über 20% aller Untersagungen von 1990-2010 bezüglich Minderheitsbeteiligungen) –Empirische Studie über Minderheitsbeteiligungen (in-house und mittels eigens ausgeschriebener Datenbanken) zu – Minderheitsübernahmen in den vergangenen 6 Jahren – aktuellen Beteiligungsstrukturen in ausgewählten Sektoren / Mitgliedstaaten ● Ergebnisse deuten nach Ansicht von DG Comp auf Handlungsbedarf hin, aber Fact-FindingPhase noch nicht abgeschlossen 15 Mögliche Reformen auf EU-Ebene Folgende Regelungsmöglichkeiten werden von DG Comp erwogen ● Ex ante Kontrolle durch Anmeldepflicht und Vollzugsverbot – Welche Aufgreifkriterien? Ergänzung/Erweiterung des Zusammenschlussbegriffs in Art. 3 FKVO? – Folgen für Arbeitsbelastung der Kommission? – Bedeutungsverlust nationaler Wettbewerbsbehörden? – Wertungswidersprüche: EU-Recht wäre weitergehend als viele nationale Rechte – absehbare Folge: „Nachziehen“ auf nationaler Ebene? – Anpassungsbedarf in Deutschland? – Auswirkungen auf Verweisungsregelungen (Art. 4, 9, 22 FKVO)? 16 Mögliche Reformen auf EU-Ebene ● Ex post Kontrolle (mit oder ohne Anmeldepflicht) – Aufgreifermessen der Kommission? – (Lange) Rechtsunsicherheit? – Effektivität der ex-post Kontrolle – Bedeutungsverlust nationaler Wettbewerbsbehörden? – Verhältnis zu nationalem Recht (welchen „Wert“ hätte Anmeldung/Freigabe nach deutschem Recht?) Erstreckt sich Aufgreifermessen auf laufende nationale Verfahren? – Was bedeutet dies für die Verweisungsregelungen nach Art. 4, 9 und 22 FKVO? ● Nur erweiterte Entflechtungsbefugnisse in Art. 8 Abs. 4 FKVO, die auch Minderheitsbeteiligungen erfassen, wenn Kontrollerwerb untersagt wurde – Zusammenhang mit Kontrollerwerbsversuch? – Ausmaß der Entflechtung? – Adressiert „Problem“ wettbewerblich bedeutsamer, nicht kontrollierender Minderheitsbeteiligungen nur unzureichend 17 Mögliche Reformen auf EU-Ebene ● Kontrolle nach Art. 101 AEUV – Anknüpfen an Gillette und Philipp Morris? – „reine Verhaltenskontrolle“ – Gillette knüpft an wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, nicht Anteilserwerb an – Verfahren nach VO1/2003 nicht zur „Strukturkontrolle“ geeignet 18 Ausblick/Thesen ● Zeitnahe Vorstellung der Kommissionsergebnisse und Konsultationen dürften nächste Schritte sein ● Änderung des status quo nur bei deutlichen Vorzügen sinnvoll ● Wettbewerblich bedenkliche nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligungen dürften eher selten sein, so das jedenfalls umfangreiche Reformen kaum angezeigt sein dürften. ● Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit ist es erforderlich, den Aufgreiftatbestand (was ist eine kontrollpflichtige Minderheitsbeteiligung?) möglichst präzise zu bestimmen. Zudem bedarf es eines „safe harbour“. ● Eine etwaige Erstreckung der FKVO auf nicht-kontrollierende Minderheitsbeteiligungen sollten nur bei gleichzeitiger Vereinfachung des FKVO-Verfahrens eingeführt werden. ● Erneute Überprüfung beim Ausbau nicht-kontrollierender Minderheitsbeteiligung zu kontrollierender Beteiligung? Wenn ja, was heißt das für den anzuwendenden Prüfungsmaßstab? ● Erweiterung des Anwendungsbereichs der FKVO wird zur vermehrter Inanspruchnahme des Konsultationsverfahrens führen. Dieses muss insbesondere in Hinsicht auf Fristen verbessert werden. ● Auswirkungen auf Verweisungsmöglichkeiten müssen sorgfältig bedacht werden. ● GWB sollte mit eventuell ergänzten EU-Regeln harmonisiert werden. 19