Erfahrungsbericht ERASMUS-Semester WS 2014/15
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Erfahrungsbericht ERASMUS-Semester WS 2014/15
Erfahrungsbericht ERASMUS-Semester WS 2014/15 Queen's University Belfast Belfast ist ein recht ruhiger Ort. Dafür, dass es eine sehr turbulente Geschichte in den letzten Jahrzehnten hatte und dafür, dass es eine sehr kontrovers disputable "Hauptstadt" ist, hatte ich nie das Gefühl, dass Ängste noch offen mit herumgetragen werden, oder Sicherheitsmaßnahmen übertrieben ins Auge fallen. Belfast gibt einem den Eindruck von kumulativer irischer Kleinstädterei in all seiner Ruhe und Spannungslosigkeit und hat doch einiges unter der Oberfläche zu bieten - wenn man weiß wo man suchen muss. Gründe, sich für Belfast zu entscheiden Meine Gründe, nach Belfast zu kommen, waren vor meiner Abreise: – Es ist in Irland und an der Küste – tolle Landschaften etc., – Es ist eine der günstigeren Großstädte in Großbritannien, – Es ist eine der besseren Unis (#30 ca.) im Land, – Es hat eine spannende Geschichte – Der Akzent ist sehr interessant, – Es gibt eine riesige Auswahl an Clubs und Societies. Auf einige dieser Punkte will ich mich gleich weiter beziehen. Irland - Land und Leute Erstmal muss man natürlich sagen, Belfast liegt per se nicht in Irland sondern Großbritannien. Aber da streiten sich selbst die Einheimischen schon seit sie das erste Mal Kontakt mit England hatten. Nordirland selbst hat einiges zu bieten. Eine wunderschöne Küstenlandschaft, an der man perfekt Wandern, Spazieren oder auch mal Campen gehen kann. Sogar Surfen lässt sich gut an der Nord-West-Küste arrangieren und wird von einem Club an der Uni angeboten. Von (London)Derry über den Giant's Causeway bis wieder runter nach Belfast und Bangor gibt es einige schöne Flecken (Inseln, Brücken, Burgen, Strände, ...) und mit einem Mietwagen oder sogar einem Fahrrad lässt sich die Gegend an ein, zwei Wochenenden einfach erkunden. Auch im Inland gibt es einiges zu entdecken. Es lohnt sich also wirklich, die Wochenenden auch mal mit Einheimischen ein wenig die Provinz zu erkunden - die selbst haben meist auch noch nicht viel gesehen. Man kommt aber auch gut nach Irland selbst hinein. Grenzkontrollen gibt es an sich kaum / gar nicht und die Verbindung per Straße oder Bahn ist sehr gut. Busse fahren auch in fast jeden Teil Irlands. Mit ein bisschen mehr Geld in der Hand kann man sich auch einfach ein Auto mieten (Sixt im Titanic Quarter hat oft gute Angebote) und damit ein wenig die Insel erkunden. Plant aber ein bisschen Zeit ein, um euch an die andere Straßenseite und vor allem auch das Lenkrad auf der anderen Seite zu gewöhnen! Die Leute sind überall wo man hinkommt immer super freundlich. In den Einführungsveranstaltungen in der ersten Woche wird auch oft betont, dass die Iren immer zum Reden und für alles bereit sind - selten aber den ersten Schritt machen wollen. Hat man also mal das klein bisschen Mut zusammengefasst und den nächsten wildfremden Iren im Kurs oder auf der Straße angesprochen, kann man sicher sein, dass man meist ein interessantes Gespräch, viel Hilfsbereitschaft und auf jeden Fall ein bisschen Fluchen (oder dunkle Vorahnungen) über das Wetter bekommt. Politisch haben die meisten jungen Leute das Thema über die Trennung (der Stadt selbst in katholisch / protestantisch, aber auch das Land: Nordirland / Irland) bzw. über Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten schon ein wenig satt, aber mit manchen kann man dennoch viel darüber reden, gerade von älteren Leuten auch noch persönliche Geschichten mitbekommen und auch in der Stadt noch viele Überbleibsel und Memorials finden. Der Großteil der Legislatur und Regierung auf der ganzen Insel ist jedoch noch sehr konservativ religiös geprägt, was sich auf einige andere Bereiche auswirkt. Feiern Was Feiern gehen angeht, hat die konservative Haltung z.B. auch einen kulturellen Einfluss. Iren gehen oft recht früh und recht effizient feiern, bzw. einen trinken. Um 1, spätestens aber 2 Uhr nachts machen auch die letzten Locations zu und die Party ist vorbei. Daher bietet es sich an, früh Leute in privaten Wohnungen kennenzulernen, da dort meist die Party weitergeht. Mit den meisten Iren kann man aber auch ganz gemütlich ein, zwei Bier im Pub trinken und sich einen gemütlichen Abend machen. Günstige Großstadt Wenn man nach Belfast kommt, muss man sich im Klaren sein, dass es so oder so eins der teureren Länder in Europa ist. Ich komme für Essen mit ca. 200€ im Monat hin (wenn ich nicht grad jeden Tag essen gehe), Tesco oder Lidl bieten da auch immer recht günstig Gemüse und andere Nahrungsmittel. Allerdings ist Alkohol - wie in der ganzen Insel - sehr teuer. In der eigenen Bar der Student's Union kostet ein Bier ca. 2,50 - 3,00 Pfund, was etwa 3,50 - 4,00€ entspricht. In anderen Bars ist es meist noch ein wenig teurer. Aber auch in normalen Läden muss man mit höheren Preisen (ca. 25%) rechnen. Essen gehen ist auch nicht gerade billig - aber es gibt einige Läden, wo die Preise ganz OK sind, wie z.B. "Maggie Mays" oder fertige Sandwiches aus den Uni-Cafes. Eine klassische UniMensa gibt es allerdings nirgends wirklich! Wohnen Zu den teureren Geschichten gehören die Wohnheime. Ich kann allen nur raten zu versuchen in privaten Unterkünften und WGs etwas zu finden - da lassen sich Preise von ca. 200-300 Pfund pro Monat rausschlagen. Der günstigste Wohnheimsplatz fängt schon bei ca. 500 Pfund pro Monat an und hat - aus meiner deutschen Perspektive wirklich wenig, um so einen Preis zu rechtfertigen. Besonders im Vergleich zu den privat-WGs. "Elm's Village" und die University Accommodation insgesamt kümmern sich zwar mit einem sehr guten Rahmenprogramm gut um die dort Wohnenden - auch studentische Gäste sind immer willkommen, bspw. wenn man nachts nach 2 Uhr noch irgendwo ein wenig weiter abhängen möchte und dann mit zum "Tree House", dem zentralen "Common-House" im Elm's kommt und da auf gemütlichen Couches den Rest der Nacht verbringen kann. Aber die "Floors" und die Zimmer an sich stehen privaten Unter- / Zwischenvermietungen in einigem nach. Und die Küche und andere Wohnungsteile sauber zu halten mit bis zu 16 Leuten ist wesentlich schwieriger als mit lediglich 4, 5. Private Wohnungen und ähnliches kann man z.B. über Gumtree (www.gumtree.co.uk) finden (in Belfast, "to share" oder "to rent"). Shoppen Shoppen kann man an sich in Belfast auch ganz gut. Im Stadtzentrum gibt es einiges an Klamottenläden, darunter die ganz günstigen wie TK Max und Primark, aber auch H&M und noch bessere Standards. Aber auch hier muss man mit ein bisschen mehr Geld planen, wenn man sich vor Ort neue Kleidung zulegen will. Aber insgesamt ist das Stadtzentrum mit mehrere Shopping Malls (Castle Court oder Victoria Square) ganz gut ausgestattet und man findet in der Regel alles was man braucht. Das Studium Die Uni selbst ist sehr gut ausgestattet und bietet einiges an guten Kursen. Ich habe Englisch studiert und die Lehre dort als sehr gut empfunden. Die Dozenten sind sehr begeistert für ihre Themen gewesen und konnten diese multimedial, frei und partizipativ vermitteln. Auch was ich von anderen Studiengängen mitbekommen habe war überwiegend positiv (z.B. Geografie, Geschichte, Soziologie, Ethnologie, Ingenieurswissenschaften, ...), bis auf die ein oder andere Ausnahme in Form einer Schlaftablette oder ähnlichem. Das Studium ist allerdings sehr viel mehr Arbeit, als ggf. von zu Hause gewohnt. Über den Lauf des Semesters müssen z.T. lange, intensive Essays geschrieben und eingereicht werden und die Benotung ist ebenfalls sehr strikt. Die Bibliothek oder der eigene Schreibtisch sind einem länger näher als einem in einem Erasmus-Semester lieb sein könnte. Dafür wird man allerdings mit guten Diskussionen und inhaltsreichen Kursen belohnt. Und die 10 Credit Points lassen sich in Englisch mit 3 Kursen (zu je 10P) schon abdecken, geben einem rund 20-30h Lesearbeit in der Woche und somit auch genug Zeit, abends und an Wochenenden etwas zu unternehmen. In Naturwissenschaftlichen Fächern kann das allerdings tlw. schon mal mehr werden. Insgesamt würde ich schon sagen, dass es sich akademisch gelohnt hat, in Belfast zu studieren - das Studium ist sehr gut durchorganisiert und lässt trotzdem noch viel Freiheit zum eigenständigen Orientieren. Und durch die gute Begleitung durch die Lehrkräfte, die Betreuer (Erasmus-Koordinator und persönliche Betreuung), und die Student's Union ist es recht leicht sich in das Uni-Leben einzufinden. Sprache Wer sich auf gutes Queen's English freut ist hier völlig fehl am Platz. Nicht nur haben die jungen Leute so ihren eigenen Slang, sondern auch noch einen Dialekt, der sehr viele undeutliche Laute beinhaltet und sich - um englisches Jargon zu nutzen - einem eigenen "Vowel Shift" unterzogen hat. Je mehr man mit Iren zu tun hat, desto schneller geht es besser, daher würde ich jedem empfehlen, sich weitestgehend von den Internationals fernzuhalten und lieber so früh wie möglich auf die Iren zuzugehen. Auch wenn das sehr schwer ist, wenn man hauptsächlich Internationals in der International Welcome Week kennengelernt hat und mehr mit ihnen machen möchte. Es gibt auch einige Organisationen und Schulen, wo man Irisch (also Gälisch) lernen kann, was die sprachlichen Eigenheiten des irischen Dialekts ein wenig schlüssiger erscheinen lässt. Außerdem ist es eine eigene, schöne Sprache, mit der man sich auch in der Republik Irland orientieren kann. Clubs und Societies und Sport An der Uni gibt es eine wahnsinnig große Auswahl an Clubs und Societies. Fast jede beliebige Sportart ist verfügbar und auch darüber hinaus gibt es einige Interessensgruppen, die sich lohnen, um mehr Einblick in Land und Leute zu bekommen. So zum Beispiel die Comic-Society, Islamic Society, Irish Society, Drama Society, Debating Society etc. Ich fand es sehr spannend, einmal durch ein paar Societies durchzuschauen, um zu sehen was es alles gibt, was für Leute in den Societies sind und in der ein oder anderen auch Freunde zu finden. Eine bessere Möglichkeit als die Societies tatsächlich irische Freunde zu finden gibt es fast nicht. Auch und besonders im Sportangebot gibt es alles was das Herz begehrt. Belfast hat viele Parks, sodass das Laufen draußen sehr schön ist (insb. auch mit dem regelmäßigen "Park Run" Samstag morgens). Mit vielen Spielplätzen und einigen Outdoor-Fitness-Plätzen gibt es auch genug Möglichkeiten ein paar mehr Übungen draußen zu machen - vorausgesetzt man findet diese Plätze. Einfach ein wenig querfeldein laufen. Allerdings gibt es auch eine sehr gut ausgestattete Gym, die mit sehr vielen, modernen Geräten glänzt. Zwar kostet die bis zu 20 Pfund im Monat, aber m.E. lohnt es sich echt. Man kann sich jederzeit eine kostenlose Führung geben lassen. Und auch die restlichen Clubs, die sich rund ums Sportangebot drehen lassen sich sehen. Für fast jeden Sport gibt es einen eigenen Club mit einigen Anhängern, sodass man kaum auf das heimisch gewohnte verzichten muss - gerade beim Fußball freuen die Iren sich über Verstärkung. Ich kann aber auch sehr die typisch irischen Sportarten empfehlen: Hurling und Gaelic Football. In den "Fresher Teams" kommt man meist auch ohne Vorkenntnisse gut zurecht und bekommt so auch einen Einblick in tiefste irische Kultur, was ihre Sportarten angeht. Und einige blaue Flecke. Irischer Sport ist traditionell ein wenig rauer. In Belfast lässt sich sehr viel erleben und machen, durch den Großstadtstatus hat man z.B. auch die Möglichkeiten viele Konzerte mitzunehmen und andere größere Events. Ich kann nur eine riesige Empfehlung aussprechen und falls ihr irgendwelche Fragen haben solltet, kannt ich jederzeit versuchen weiterzuhelfen! Best, Matthias Meiering.