Madonna - Evangelische Akademie Tutzing
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Madonna - Evangelische Akademie Tutzing
Madonna ein Gesamtkunstwerk? Starkult und Ikonografie wollen entschlüsselt sein Madonna - nahezu jeder kennt dieses Mädchen Madonna Louise Veronica Ciccone. Sie ist einer der berühmtesten Stars der neueren Pop-Kultur, hat über Jahre als Sängerin die meisten Platten verkauft und besitzt als Kultfigur das höchste Renommee. Und doch lässt sich ihre legendäre Karriere nicht einfach auf die Klischees der Popmusik reduzieren. Seit Beginn ihrer Karriere hat Madonna gekonnt alle Register der multimedialen Selbstrepräsentation und Vermarktung gezogen und wurde so zu einem Medienstar. Perfekt verkörpert sie alle Klischees des amerikanischen Traums: von Glamour, Macht, Reichtum, Sex und Religion bis hin zur kleinen schmutzigen Phantasie über Perversionen. Madonna stellt vor allem die Schizophrenien dieser Begehren heraus und erhielt dadurch schon früh die Anerkennung der akademischen Kulturtheorie und auch der Gender-Theorie. Neben der Musik war sie von Anfang an auch auf den anderen Schauplätzen der Modefotografie, des Films und des Theaters präsent. So entwickelte sich Madonna schließlich zu einem vieldeutigen Gesamtkunstwerk. In Zusammenarbeit mit Professor Michael Wetzel, Philosophische Fakultät der Universität Bonn, unternahm Studienleiterin Karin Andert den Versuch, die wichtigsten Bezüge und Aspekte dieses Gesamtkunstwerkes herauszuarbeiten. Lesen Sie nachfolgend die Zusammenfassung des Vortrages von Professor Laurenz Volkmann vom Fachbereich 3 / Anglistik an der Universität Paderborn: Laurenz Volkmann -------------------------------------------- Madonna I-III. Die Logik postmoderner Identitätskonstruktionen Madonna: Das ist mehr als nur eine Popmusikerin, Schauspielerin und Videoartistin: Madonna: Das ist ein Gesamtkunst- und Kommerzwerk, welches zum Paradeexempel postmoderner Kulturtheoretiker geworden ist. Gelingt es Madonna doch, den Fleisch gewordenen Beweis für die Machbarkeit der Selbstkonstruktion, der ständigen Ich-Erneuerung in geradezu einmaliger Weise zu liefern. Noch dazu liefern ihre anspielungsreichen Videoclips inzwischen auch von Lehrern gern benutztes Anschauungsmaterial für Collagetechniken und Zitierstrategien postmoderner (Pop)Kunst. Sie machen augenzwinkernd und selbstironisch auf den Plagiatcharakter des Präsentierten aufmerksam. Und sie verknüpfen auf höchst subversiv wirkende Weise bisher als antagonistisch gewertete Kulturmuster wie Sexualität und Religion, männliches und weibliches Verhalten sowie Dominanz- und Gegenkultur. Schließlich ist Madonna ein weiterer Brückenschlag im Sinne des Urtheoretikers der Postmoderne, Leslie Fiedler ("bridge the gap"), gelungen. Durch ihr listiges, gezieltes Überschreiten sexueller Spielregeln und Geschlechterrollen ist sie einerseits zur Ikone der homosexuellen Subkultur geworden; andererseits bedient ihre italo-amerikanische, weibliche Erfolgsbiographie die Phantasien "konventioneller" Konsumenten der Populärkultur. Diese Vermittlerfunktion verschafft ihr eine ideologische Immunität, die es selbst den traditionell der Popkultur indifferent bis ablehnend gegenüberstehenden deutschen Kulturtheoretikern schwer macht, sie und ihre Produkte abzuwerten. Im Lager postmoderner Denker wiederum haben sie vor allem Angriffe religiöser Fundamentalisten – im Zuge der in den USA heraufbeschworenen Gefahr der Kulturverdummung durch übermäßigen Genuß von Rockmusik – zur quasi unantastbaren Popgigantin erhoben. So gliedern sich sogar renommierte deutsche Rock-Kritiker in die Reihen derer ein, die ihr vorbildliche politische Korrektheit, egalitäre oder subversive Tendenzen zuschreiben – bzw. zumindest ihren enorm hohen empowerment-Faktor zur Kenntnis nehmen, also ihre Fähigkeit, den Fans ein hohes Selbstwertgefühl zu vermitteln. Gemäß dieser verbreiteten Deutungsart bedient sich Madonna bei der visuellen Symbolik, den Mythen und Archetypen der dominanten Kultur und funktioniert diese für sich um – es geht also, so erklären Semiotiker, um eine Umformung des "Zeichensystems" von Patriarchat, Kapitalismus und Klerus, mit deren Züchtigungsinstrumenten von restriktiver Religiosität und prüden Sexualvorstellungen. Die Performerin wählt dabei bewußt Gesten wie weibliche Unterwürfigkeit oder Befriedigung von maskulinen Phantasien und schlüpft in bisher männlich bestimmte Frauenrollen. Sie unterminiere deren ursprüngliche, repressive Bedeutung, indem sie diese ins Groteske überspannt, parodiert und damit als patriarchale "Konstrukte" bloßstellt. Schließlich münde, so Madonnas akademische Befürworter, der Prozeß der Bedeutungsumwandlung ins weibliche empowerment, wobei die befreiende Schwelle zur Produktion von männerunabhängigen, selbst zusammengestellten Bedeutungsmustern überschritten werde. Für Madonnas Fans nun erweise sich diese Emanzipationsbewegung als Quelle eigenen Selbstbewußtseins. Madonna I - III: Entwicklungsphasen eines Stars Madonna hat an bestimmten zeitlichen Punkten eine exakt geplante Umformung ihres Images vorgenommen. Als "Madonna I" ließe sich die Phase Mitte der 1980er Jahre bezeichnen, in welcher Madonna zum Star wird. Sie tritt dabei als schillernde Girlie-Version auf, aufreizend in trashiger Rüschenkleidung und mit lasziven Gesten, dazu mit modischem Kruzifix um den Hals. In Videos wie "Like a Virgin" oder "Like a Prayer" macht sie zudem mit Tabubruch im kirchlichen Rahmen auf sich aufmerksam. "Madonna II" findet etwa um 1990 statt, als Madonna gezielt in sexuelle Randzonen eindringt und damit ihr altes Image umakzentuiert. Sie ist nun nicht mehr Flittchen, sondern Femme fatale, Vamp, und schockiert bewusst mit sexuellen Grenzüberschreitungen. Neben dem Bildband Sex (1992), einer äußerst professionell und publicityträchtig inszenierten Provokation mit diversen sexuellen Praktiken, auch aus dem Sadomaso-Bereich, und dem Album Erotica ist das Kernprodukt dieser Phase der Videofilm In Bed with Madonna. Wie bei den anderen käuflichen Angeboten dieser Phase verspricht Madonna auch hier unverblümte und ungenierte Zurschaustellung ihrer intimsten Momente und die Entblätterung bisher noch durch aufreizende Verhüllung verborgener Körperteile. Marktschreierische Versprechungen auf der Videohülle von In Bed with Madonna (1991) laden zu letztlich den Konsumenten nie absolut befriedigenden Einblicken in die Welt des Stars ein. Je näher der Videobetrachter der privaten Madonna ohne Schminke und Kleidung kommt, desto deutlicher wird die Einsicht, dass auch der private Star nur eine weitere Rolle, eine weitere Version bereits bekannter Images ist. Der im Video gezeigte ungeheure Bühnenaufwand und die perfekt choreographierte Show verweisen mit ihren weiteren Elementen auf das Kernbedürfnis der gemeinsamen Veranstaltung von Madonna und Publikum: Es geht um die hemmungslose Entfesselung von Narzissmus und Hedonismus. Alles gerät ihr zum Instrument der eigenen Bespiegelung, Erhöhung und Befriedigung: Dazu gehören auch Elemente des Martialischen, in der Begeisterung für die Ästhetik gestählter Körper und uniformartiger Kostüme. Die Show trägt Züge eines wohl inszenierten Karnevals in sich, bei der sich die Grenzen zwischen Ernsthaftigkeit und verlachender Parodie auflösen; sie ist Beschwörung des Sexus und Parodie zugleich. "Madonna III" schließlich beginnt mit dem Ende der 1990er Jahre. Erneut hat sich Madonna ein neues Image verpasst, das dieses Mal ältere Spielarten ihrer Person überhöht. Diese werden im anti- materialistischen Gestus in eine "holistisch" zu bezeichnende Vervollständigung des Pop-Stars zusammenführt. Vorbei ist die Zeit des Brüskierens, der vordergründigen Pose, des narzisstischen Blendwerks; gefragt sind nun erstmals Ernst und Authentizität, Glaubwürdigkeit, Tiefe – Sein statt Schein. Madonna ist in eine neue Persona hineingewachsen, nach einigen Geburtswehen beim Experimentieren mit weniger geschätzten Rollen. Frühere, nun als spätjugendliche Probephasen erklärte Exzesse werden akzeptiert und als Teil des eigenen Wachstums zur gereiften und ausgewogenen Persönlichkeit erkannt. Eine derartige Abgeklärtheit gegenüber der eigenen Biographie ist Teil einer umfassenden Neugestaltung der Madonna-Figur, die nichts als nicht integrierbar ablehnt und alles auf den Wert zur Konstruktion von persönlicher Ganzheitlichkeit hin abgrast. Es ist noch nicht das Ende, aber das Zurückweichen von Gestus, Inszenierung, Performanz, Pose und grotesker Übersteigerung oder Karikierung des verwendeten kulturellen Zeichensystems. Erstmals bei Madonna schieben sich Kategorien wie Ernsthaftigkeit, Sinnhaltigkeit und vor allem Authentizität über das Spiel mit den Zeichen – Kategorien, die freilich erneut künstlich inszeniert sind. Madonna führt uns, wie neue Videos, z. B. "Die Another Day", zeigen, ein irrlichterndes Fluktuieren zwischen immer neuen und schneller wechselnden Optionen der Imagegestaltung vor. Es ist inzwischen allerdings von einem ethischen, ja quasi-religiösen Esoterikdach überspannt. Sinnstiftung findet bei ihr statt als pick and choose im Supermarkt der Religionen, Welterklärungen und Ideologien. Neue Videos, Alben und Interviews sind durchtränkt von esoterischem Gedankengut, vom Kabbala-Wissen bis zu südostasiatischen Lebensweisheiten, vom Buddhismus bis zum Konfuzianismus – was sich visuell durch entsprechende Kleidung, mystische Gesten und Stilisierung der jeweils gewählten Auftrittsverkleidung ausdrückt, von der Geisha über die dunkle Seherin bis zum flippigen Hippie-Mädchen. Analog dazu werden Echtheit und Engagiertheit ausstrahlende Modeerscheinungen der Flower-Power-Generation wiederentdeckt.