Bericht von Andreas Brandt

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Bericht von Andreas Brandt
Seefahrtszeit
Stellenwechsel: von Flensburg nach Hamburg
Die letzte Zeit im Flensburger Lehrgang war mit gespannter Erwartung erfüllt, da sich
entscheiden sollte, wie und wo wir nach unserer Ausbildung für die restlichen neun
Monate eingesetzt werden würden. Ich hatte große Lust auf die Seefahrt, sie war mir
aber keineswegs sicher, denn für die Funker gab es etwa gleichviele Stellen an Bord wie
an Land. Wir konnten Wünsche äußern, die im Rahmen des Personalbedarfs nach
Möglichkeit berücksichtigt wurden. Ich kreuzte Borddienst an, machte aber sonst
ziemlich unbestimmte Angaben: Zerstörer, Fregatte oder Versorger, als bevorzugter
Standort Kiel (wegen der urbanen Kultur reizvoller als Wilhelmshaven, Olpenitz oder
ähnlich abgelegene Orte).
Wir genehmigten uns zu dritt (Matrosen F., K. und ich) einen kleinen Vorgeschmack, indem wir an einem Wochenende Freikarten für eine Butterfahrt ausnutzten,
die die Marinefernmeldeschule regelmäßig von den Reedereien erhielt. Es ging an
einem rauhen, aber hellen Sonntag Anfang Dezember über die Ostsee nach Søby, Dänemark (Insel Aerø). So waren wir mehrere Stunden auf See. Sie war etwas aufgerauht bei
kaltem Wind und Sonne; durch das Schiff liefen ganz leichte Schwingungen, es machte
Spaß. Den dänischen Hafen mit den bunten, in der Wintersonne leuchtetenden Häusern
liefen wir nur kurz an. Auf der Rückfahrt spekulierten wir über kommende Erlebnisse
an Bord. Wohin würde es wohl gehen? Würden wir mit einer Fregatte nach Amerika
fahren, auf einem Zerstörer ins Mittelmeer? F. erzählte von einem Bruder oder Bekannten, der sofort nach dem Stellenwechsel Anfang Januar mit der Fregatte »Augsburg«
nach Amerika ausgelaufen sei; die Neuen hätten, nicht an Seegang gewöhnt, auf dem
Atlantik das ganze Schiff vollgekotzt. Und das Versorgerfahren? Es konnte öde werden,
aber man konnte auch Glück haben. Alle Jubeljahr, so hatte man uns gesagt, fährt
einmal ein Versorger hinter der »Gorch Fock« oder der »Deutschland« her, an irgendeinen Ort der Welt, das wäre das große Los. Noch besser: ein Platz unter dem Stammpersonal dieser Schiffe selbst. Damit konnte man nicht rechnen, aber es war möglich.
Oder würden wir auf einer Landdienststelle bleiben? Das wäre stinklangweilig, das
wollten wir nicht.
Am 12. Dezember war durchgesickert, daß es an Bord geht, und ich gab das Olivzeug ab. Am 13. erfuhr ich endgültig das Kommando. Es lautete: 1. Versorgungsgeschwader, Troßschiff »Offenburg«, Heimathafen Kiel, z.Zt. Hamburg Norderwerft.
Mein Gruppenleiter versicherte mir, der Dienst auf einem Versorger sei »ein ruhiges
Fahren«, vergleichsweise angenehm. Zuerst war ich etwas enttäuscht, weil es »nur« ein
Versorger war, denn in meiner Naivität erschienen mir die Kampfschiffe interessanter,
aber das sollte sich als gründliche Fehleinschätzung erweisen, es war am besten so.
Der Kurs war am 15. Dezember zuende, wir konnten anschließend nach Hause
fahren und hatten dadurch einen langen Weihnachtsurlaub. Er sollte noch länger
werden. Kurz vor dem Jahreswechsel 1978/79 versank Schleswig-Holstein im Schnee.
Die Bahnstrecken waren unbefahrbar, viele Autofahrer und Bewohner abgelegener Höfe
mußten von THW, Feuerwehr und Bundeswehr befreit oder versorgt werden, in
Flensburg wurden die am Hafen gelegenen Straßenzüge überschwemmt und froren
völlig ein. Der Stellenwechsel wurde wegen der Schneekatastrophe um eine Woche,
also auf den 8.1. verschoben. Ich fuhr am 2.1. nach Flensburg, sobald man mit dem Zug
wieder durchkam, und verbrachte daher noch ein paar ruhige Tage in der Kaserne, an
denen kaum etwas zu tun war; nur gelegentliches Schneeschippen, Reinschiffmachen
und Wachegehen. Nach und nach trafen weitere Kollegen ein, die meisten am Mittwoch
und Donnerstag, einer aus meiner Gruppe war auch am Tag des Stellenwechsels nicht
da. Ein paar Stunden Hören und Geben wurden eingerichtet, damit wir nicht ganz aus
der Übung kämen. Es war viel Zeit zum Lesen und Spazierengehen. Ich hatte mir
Bücher mitgenommen und beschäftigte mich damit, auch fuhr ich hinaus an die fast
zugefrorene Förde, lief auf den Eisschollen umher und machte Fotos von den bizarren
Formationen, die ich in dieser Art noch nie gesehen hatte.
Jener Tag des Stellenwechsels war trist. Wir wurden in Sonderzüge verfrachtet, die
endlos lange unterwegs waren, ich weiß nicht ob wegen der noch immer verschneiten
Strecken oder aus anderen betriebstechnischen Gründen. Viele Stunden hockten wir in
den ungemütlichen Waggons, die zeitweise kaum von der Stelle kamen; aus den
Fenstern sah man fast nichts als Weiß. Zwei Fernmeldebetriebsgasten (21er) und ein
Signalgast (27er) waren für die »Offenburg« angefordert. M. hatte mich angesprochen
und wir hatten uns zusammengetan, da wir allein in Hamburg aussteigen und dort vom
Bahnhof aus weiterkommen mußten. Wir riefen vom Hauptbahnhof aus einen Fahrdienst der BW an, der uns zur Norderwerft brachte. Der Fahrer war nett und kannte sich
aus. Ellerholzdamm, so hieß die Straße, soweit man das eine Straße nennen kann.
Unvergeßlich ist mir die Ankunft auf dem Werftgelände. Diese Gegend ist an sich
schon filmreif, man stellt sich dergleichen als Schauplatz übler Verbrechen in Kriminalfilmen vor. Es herrschte Frost, das Gelände war verschneit, man befand sich in einem
Labyrinth zwischen Armen der Unterelbe, die kurz vor dem Zufrieren waren. Eine zähe
Soße von Treibeis, die in den befahrenen Hauptarmen ab und zu von kleinen Fahrzeugen, Fähren, Barkassen umgerührt wurde; die Nebenarme lagen nur tot und eiskalt
da, über sie führten kleinere Brücken aus Stahlträgern. Sonst Kräne, Docks, Schuppen,
herumliegendes Material. Wir kamen am späteren Nachmittag an, als die verlöschende
Dämmerung über dieser unwirtlichen Szenerie lag, erhellt durch die farbigen Lichter der
Werftscheinwerfer. Kalt war es, saukalt, sehr trübes, dunstiges Wetter, überall verschneiter und vereister Dreck; und da lag nun in der düster-fahlen Mischbeleuchtung,
inmitten von Schläuchen und Kränen nur teilweise erkennbar, in leichter Schräglage am
Werftliegeplatz vertäut, das Schiff.
Wir stiegen aus, nahmen unser Handgepäck, meldeten uns bei der Wache, und es
wurde jemand gerufen, um uns an der Wache abzuholen und zu unserer Unterkunft zu
bringen. Es war nach Dienstschluß, viele waren von Bord gegangen. Zu unserem Glück
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kam gleich unser älterer Funkerkollege, der Obergefreite K., der uns unerwartet nett
empfing und in die Gegebenheiten einführte. Als wir zum erstenmal durch das
Außenschott ins Schiffsinnere gelangten, hatte ich nur undeutliche Vorstellungen, alles
war zu fremd. Ein Gewirr von verwinkelten Gängen und Türen, Rohren, Kabeln,
Schläuchen, in dem man sich anfangs gar nicht zurechtfand und erst lernen mußte, wo
vorn und hinten ist. Wir saßen erstmal eine Weile im ungemütlichen, aber doch
einigermaßen geräumigen »Funktionärsdeck« zusammen, der Wohnstube für die
Mannschaften der Schiffsführungsdienste (Funker, Signäler und Navigatoren), die nun
unsere neue Behausung werden sollte. Acht oder neun Kojen, zur Zeit fünf Bewohner,
uns eingerechnet. Fast alles war aus Metall und mit mehr oder weniger ekligen Lackfarben gestrichen, nur Tisch und Bänke teilweise aus Kunststoff, alles fest montiert;
oben unter der Decke verliefen dicke Heizungsrohre, Kabel und ein Luftschacht, und
von vornherein hatte man jenen typischen warmen Schmierölgeruch in der Nase, der auf
solchen Schiffen immer herrscht. Wir waren aber froh über die Ankunft und die
freundliche Aufnahme. H., der Signäler, traf auch irgendwann ein. Möglicherweise
bekamen wir in der Mannschaftsmesse noch etwas zu essen. K. erzählte uns viel über
das Bordleben, dann zeigte er uns das Schiff. Wir gingen durch diverse Schotten und auf
engen, steilen Niedergängen hoch zum Navigationsraum, zum Funkraum, auf die
Brücke (ich folgte nur immer, hatte überhaupt noch keinen Plan); anschließend ging es
außen an Oberdeck zurück, wobei ich erstmals das ganze Schiff von oben überblicken
konnte, aber nur im Halbdunkel der nächtlichen Werft und unter Schnee und Eis. Es
kam mir riesig vor, aber die Vorstellung blieb undeutlich. – Die Heizung war defekt, die
Toiletten (ganz im Achterbereich, noch hinter den Unteroffiziersdecks) waren eingefroren; ungemütlicher ging es kaum noch, aber ich hatte mich ja auf einiges gefaßt
gemacht und dachte nun: Aha, so ist das also auf einem Kriegsschiff, und ich werde es
schon akzeptieren lernen. Wir richteten uns ein, packten unsere Sachen aus. Jeder
konnte sich einen oder vorläufig zwei der eng bemessenen Spinte aussuchen, in denen
nicht viel unterzubringen war. Die Kojen waren schmal (80 cm), die Decken waren
einfache braune BW-Decken, die Matratze ein Stück Schaumstoff, zum Schlafen konnte
ein Vorhang zugezogen werden. In der ersten Nacht hörte ich an der Außenseite Wasser
plätschern und nahm leichte Bewegungen des Schiffs wahr, wenn draußen ein anderes
vorüberfuhr. Ich war gespannt, was kommen würde, aber erst einmal schlief ich gut.
Bordleben in der winterlichen Werft
Am nächsten Morgen begannen wir den regulären Dienst an Bord kennenzulernen.
Wecken war um – ich weiß nicht mehr: 6 Uhr 30? Es erfolgte jedenfalls durch mehr
oder weniger virtuosen Gebrauch der Bootsmannsmaatenpfeife durch den wachhabenden Unteroffizier, der die Töne ins Mikrofon der Schiffslautsprecheranlage (SLA)
hineinblies, mit anschließendem Kommando »Reise, reise, aufstehn!«. Beim Pfeifen ins
Mikrofon wurden natürlich auch die Windgeräusche mit übertragen – ein wahrlich
grauenhaftes Gefiepse, das da aus dem Deckslautsprecher ertönte. Bescheidene Körper-
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pflege im Wasch- und Duschraum im Achterbereich; die Spiegel dort waren aus
poliertem Metall, da es aus Sicherheitsgründen keinerlei Glasscheiben an Bord gab (nur
die wenigen Bullaugen auf der Brücke waren aus Glas, sonst gab es auch keine
Bullaugen, keinen Blick nach draußen). Dann »Backen und Banken« in der Mannschaftsmesse, wo ich erstmals die anderen Kollegen sah, die nicht zu den Führungsdiensten gehörten: Versorger, seemännisches Personal (»Ziegen«) und Schiffstechniker
(»Heizer«). K. hatte uns allerhand von ihnen und ihren Sitten erzählt, von den autoritären Verhältnissen, die in ihren Decks herrschten, und er hatte uns ungefähr als erstes
gesagt, daß es bei uns im Funktionärsdeck ganz anders, nämlich menschenfreundlicher,
zivilisierter, liberaler zugeht als bei denen und daß wir den Blödsinn, der dort üblich ist,
nicht mitmachen. Er sprach von Einstandssitten und Decksgesetzen.
Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß die Mannschaften unter sich solidarisch seien
und etwa gegen die höheren Dienstgrade zusammenhielten. Im Gegenteil: Weil sie
gegen »die da oben« ohnehin nicht ankommen, machen sie untereinander eine eigene
Hierarchie auf, wollen nach unten weitergeben, was sie von oben empfangen, obwohl
sie untereinander überhaupt keine militärische Befehlsgewalt haben. Viele kommen
direkt aus der Lehre und bringen von dort die Gewöhnung an strenge Hackordnungen
und Rangfolgen mit. Jeder kleine Arsch kommt sich groß vor, wenn er irgendwo auf
unterster Ebene noch etwas zu sagen, noch irgendjemanden unter sich hat; und die
Untersten sind immer die Neuen, die sich erst langsam und geduldig hochdienen
müssen, bis sie selbst an der Reihe sind. Dies ist das wahre proletarische Bewußtsein.
Besonders hart war traditionell das Heizerdeck drauf, dicht gefolgt vom Ziegendeck.
Der »Decksbulle« (in der Regel der Dienstälteste) konnte zuweilen herrschen wie ein
Tyrann. Die »Rotärsche« mußten erst einmal einiges an Einstandssitten über sich
ergehen lassen, wobei das Schiffchentrinken noch zu den harmloseren Übungen gehörte.
Das blaue Schiffchen (Mütze) wird mit irgendeinem Alkohol gefüllt, der Rotarsch muß
trinken und wird davon überrascht, daß ihm dabei das Schiffchen samt Inhalt ins
Gesicht geschlagen wird. Man erzählte uns aus früheren Zeiten, als im Ziegendeck ein
nahezu Verrückter herrschte, der jüngere Kameraden in unglaublicher Weise demütigte;
er zwang sie, Wasser aus dem Mülleimer zu trinken und ähnliches, bedrohte auch
einmal jemanden mit einem Messer, die Leute zitterten aus Angst vor ihm. – Die
Decksgesetze sind strenge Ordnungsvorschriften (z.B. gegen »Sachen herumliegenlassen« oder »mit Klamotten im Bock«); ihre Verletzung wird mit Geldstrafen belegt,
die in die Deckskasse fließen, und von Zeit zu Zeit wird dann der Inhalt der Deckskasse
in wüsten Gelagen gemeinschaftlich versoffen. Bei uns Funktionären gab es weder
Decksgesetze noch Deckskasse noch einen Decksbullen, stattdessen einen fast zivilen,
humanen Umgang.
Zum Frühstück: Kaffee, Tee, Weißbrot, Butter, Marmelade, Nutella. Das Weißbrot
hatte immer den typischen Kühllast-Beigeschmack. In der Mannschaftsmesse – einem
relativ großen Saal auf der Backbordseite – gab es zwar keine absolut festen Sitzordnungen, aber doch Bereiche, in denen man als Funktionär besser nicht Platz nahm;
insbesondere die Heizer hatten ihre angestammten Bänke und hätten es als Provokation
empfunden, wenn jemand von uns dort erschienen wäre. Offiziere und PUO’s (Boots-
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leute) besaßen jeweils eigene Messen, das waren kleinere Räume auf der Steuerbordseite. Reihum mußte Personal zum »Aufbacken«, »Abbacken« und »Aufklaren« sowie
zum Kombüsendienst gestellt werden, also Tisch- und Küchendienst zu den Mahlzeiten.
So war jeder von uns mehr oder weniger oft »Backschafter«. Man durfte sich dabei nicht
veräppeln lassen, manche betrachteten den Backschafter als untergeordnetes Bedienungspersonal und versuchten ihn herumzukommandieren. Auch mußten immer einige
von uns »Potackendrehen«, d.h. Kartoffeln für das Mittagessen schälen. Die Potacken
waren von ziemlich schlechter Qualität, schmeckten süß und hatten dunkle Stellen,
manche waren ganz verfault. (Im Skagerrak schnitzen wir aus den Kartoffeln einmal
zum Spaß kleine gelbe U-Boote, die in dem tiefen, klaren Wasser sanken und dabei
lange sichtbar blieben.)
Nach dem Frühstück Reinschiff, wobei jeder für eine bestimmte Reinschiffstation
eingeteilt war, dann Morgenmusterung mit Arbeitsverteilung im achteren Bereitstellungsraum (später, als das Wetter besser wurde, draußen auf der Schanz), anschließend
Arbeiten im jeweiligen Abschnitt. Eine 15- oder 20minütige Pause etwa um 9 Uhr; der
genaue Ablauf ist mir nicht mehr gegenwärtig. Manchmal (jedoch eher selten) wurde in
dieser Pause im Deck schon das erste Bier getrunken. Mittags konnte man, wenn man
sich mit dem Essen beeilte, fast eine Stunde schlafen. Zeitweise verabredeten wir im
Funkerdeck, dann das Licht auszumachen, und sackten in Tiefschlaf ab. Wenn dann um
14 Uhr erneut zur Arbeitsverteilung gepfiffen wurde, taumelten wir schlaftrunken
hinaus. Dienstausscheiden irgendwann nachmittags, vielleicht 16.30 Uhr, jedenfalls so,
daß man zu jener Jahreszeit Hamburg immer nur bei Dunkelheit kennenlernte, falls man
nicht sowieso an Bord blieb, denn es war aufwendig, aus der Werft hinaus und zu
irgendeinem Ziel in der Stadt zu gelangen. Wenn man das Abendessen noch mitnahm
und danach endlich hinauskam, war schon späte Dämmerung.
Die »Offenburg« lag wegen einer Kollision mit dem Tender »Neckar« seit drei
Monaten in der Werft. Die Schiffe waren bei einem Seeversorgungsmanöver (Treibstoffübernahme) zusammengestoßen und die »Offenburg« an der Seite eingedrückt
worden, ein Treibstoffschlauch war dabei gerissen und einer der Bootsleute an Deck war
von oben bis unten mit Dieselöl besudelt worden. Die Reparaturen waren aber fast
abgeschlossen, und man rechnete mit der Verlegung nach Kiel innerhalb weniger
Wochen. – Wir lernten wohl schon am ersten Tag unsere speziellen Vorgesetzten
kennen. Für uns am wichtigsten war der FMO (Fernmeldeoffizier) Oberfähnrich zur See
S., ein höflicher und kollegialer Mann, noch jung, sehr schlank, strohblond und hellhäutig, Wasseraugen, etwas stupsnasig. Außerdem Obermaat S. (Fernmeldeabschnittsleiter), der aber, wenn ich mich recht entsinne, in den ersten Tagen nicht da war.
Oberster Chef (Kommandant) war Korvettenkapitän Schöber, ein Mann in den Vierzigern, eine etwas spröde Autoritätsperson, kaum nahbar, jedoch auf keine Weise tyrannisch, er behandelte uns absolut korrekt. Ich hatte immer etwas Angst vor ihm, wenn ich
Unterschriften von ihm einholte oder in seinem Deck Reinschiff machte (meine Station
waren die Decks der Offiziere und Bootsleute im Mittelschiff, eine Etage über der
Hauptebene). Indirekt betroffen waren wir von unserem Abschnittsnachbarn, dem NO
(Navigationsoffizier) Oberfähnrich zur See L.; ferner vom »Schmadding« (Decks-
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meister) Hauptbootsmann Reich, einem altgedienten, väterlichen Soldaten, der uns
einseitig duzte. Er hatte immer zuwenig Ziegenpersonal und lauerte darauf, uns Funker
beschäftigen zu können. Wenn wir ihm jedoch erzählten, was für wichtige und
schwierige Dinge wir im Funkraum zu tun hatten, von denen er nichts verstand – z.B.
»NAVCOMEX« – dann klappte er nur vor Staunen den Unterkiefer ’runter und ließ uns
in Ruhe. Ebenfalls sehr väterlich und anständig, wenn auch streng, war der SVO,
Kapitänleutnant Körner. Er war (so hieß es) Kapitän auf großer Fahrt gewesen und hatte
800 000 Seemeilen hinter sich, bevor er Marineoffizier wurde; ein reifer, gestandener
Mann. – „Rauh aber herzlich“, wie er sich selbst beschrieb (ich meine, eher rauh) war
der Zahlmeister, Hauptbootsmann W.; seine versauten Sprüche übertrafen alles, was ich
in Schulklassen pubertierender Jungen gehört hatte. Weniger zu tun hatten wir mit der
Heizer-Fakultät und deren Vorgesetzen, also dem STO, dem Antriebsmeister und dem
E-Meister (evtl. noch ein Schiffssicherungsmeister, Erinnerung unklar). Der Antriebsmeister machte einmal eine Schiffsführung für die Neuen, wobei er uns mit der
unverständlichen Systematik der Decksbezeichnungen bombardierte; er warf nur so mit
Kombinationen römischer und arabischer Zahlen und Buchstaben um sich (IIb5, IIIc10
usw.), keiner blickte durch. In der Freizeit bemalte er Wappen. Der Versorgungsmeister,
Bootsmann H., war blass und bürokratisch, zitierte ZDV (zentrale Dienstvorschriften)
auswendig, obwohl seine mündliche Rede durch ständiges Einfügen von »hier« ein
wenig verwahrlost war; der Sanitätsmeister ein schlanker und nervöser, nicht besonders
gewandter, aber doch halbwegs freundlicher und zurückhaltender Typ. Der Feuerwerksmeister, genannt »Bumbum«, verwaltete auch den Proviant (er war es, der später in der
Nordsee die Sonderration Zwieback herausrückte, als wir kotzten). Zu feuerwerken gab
es für ihn nicht viel, die »Offenburg« besaß zwar zur Abwehr von Luftangriffen zwei
Zwillingsflakgeschütze, die aber einkokonniert waren und nie benutzt wurden. Seine
große Stunde schlug beim »Wochenende bei der Marine« in Pelzerhaken, als er auf dem
Signaldeck das Abschlußfeuerwerk durchführte. Maat Hensel leitete die Schreibstube, er
bearbeitete Urlaubsanträge und Papierkram aller Art; rötliche Haare und Vollbart, etwas
untersetzt, klare Tenorstimme und bestimmtes Auftreten, er hatte äußerlich etwas
Seebärenhaftes. Von den niederen Unteroffizieren (Maaten und Obermaaten) wichtig
war für uns unmittelbar nur ‚Chico‘, unser Abschnittsleiter, der nach einem Quartal
durch Wagner ersetzt wurde. Schmidtgen von den 11ern fanden wir noch ganz nett, mit
den anderen war wenig anzufangen. Signal-Abschnittsleiter war OMt Hoppe, hochgewachsen und eitel, mit Popperschnitt und Schnauzer, ein typischer Diskothekenbesucher
und zur gerade aktuellen Discowelle passend; ich glaube, wir nannten ihn dann auch
»Travolta«. Er war schon dienstälter, tat groß mit seiner Erfahrung, provozierte uns mit
Sprüchen, aber wenn er gut aufgelegt war, war nicht schlecht mit ihm auszukommen.
Die Navigation hatte, glaube ich, außer dem NO keinen Abschnittsleiter, erst ein Quartal
später kam Marcus Graw als Maat dazu. – Chico war ein bißchen borstig und brummelig, aber berechenbar und in der Grundhaltung wohlwollend. K. erzählte uns von ihm,
daß er wichtige Arbeiten am liebsten selbst machte; am Fernschreiber und an der Taste
gab er sich als »der große Zampano«, wurde es ihm aber zuviel, dann sagte er etwas wie:
»Ich geh’ nur schnell mal eine Büroklammer holen«, und dann konnte man sicher sein,
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daß man ihn bis Dienstschluß nicht wiedersah. Angenehm war, daß er (wie auch der
FMO) uns mit »Herr« und nicht mit unserem Dienstgrad anredete. Der FMO war wohl
der beste Vorgesetzte, den man überhaupt haben konnte: permanent um faire Kooperation und um unser Wohl bemüht und sich für unsere Interessen einsetzend, z.B. wenn es
um erträgliche Arbeitsbedingungen oder um notwendigen Sonderurlaub ging. Auch
insofern eine Ausnahmeerscheinung, als er keinen Alkohol trank und ihm Widerwille
gegen viele Mißstände anzumerken war, die sonst kaum jemanden störten. Ein oft zu
hörender Spruch von ihm war: »Wenn wir die Bundeswehr nicht hätten, bräuchten wir
viel mehr Irrenhäuser.« Wir hatten großes Glück mit unseren Vorgesetzten, fühlten uns
als Personen ernstgenommen und wurden sehr fair und fürsorglich behandelt. M. und
ich atmeten auf, waren dankbar für das angenehme Klima unter den Funktionären.
Spannungen gab es dagegen mit den anderen Fraktionen, besonders den Heizern. Die
älteren Gefreiten und Obergefreiten erwarteten von uns Rotärschen Respekt und
Unterwürfigkeit, die wir ihnen nicht gaben; es kamen schon mal Handgreiflichkeiten
vor, bei denen die Matrosenbluse am Halsausschnitt eingerissen (»gefetzt«) wurde. Man
mußte sich einen groben Umgangston und sicheres Auftreten angewöhnen, was mir
damals nicht schwerfiel: humane Selbstbehauptung gegen solche Leute war Ehrensache
und zugleich eine Notwendigkeit, so sah ich das damals
Relativ zu seiner Größe war das Schiff mit wenig Personal besetzt (insgesamt etwa
80), so daß man alle wenigstens vom Sehen und ungefähr mit Namen kannte und den
Überblick behielt; auch war im Vergleich zu anderen Kriegsschiffen ungewöhnlich viel
Platz. Das Schiff war schon allein deswegen groß, weil es in seinem Rumpf riesige
Treibstoff- und Wassertanks sowie Platz für die umfangreiche Versorgungsbeladung
(Munition und Ausrüstungsgegenstände aller Art) besaß; andererseits gab es kein
spezielles waffentechnisches Personal, so wie es Zerstörer und Fregatten benötigen. Das
Versorgerfahren ist deutlich komfortabler und ruhiger als der Dienst auf Kampfschiffen,
denn dort ist viel mehr Besatzung (bis zu über 300 Mann) auf engerem Raum
zusammengedrängt. Später in Kiel fragten uns Besucher vom Zerstörer »Lütjens«, ob
das ein Sanatorium wäre: »Ihr lebt ja hier wie Gott in Frankreich!« Und der arme S. aus
meiner Flensburger Gruppe, der so gern auf der »Rommel« fahren wollte und auch
dorthin kam, sah immer blaß, gestreßt und erschöpft aus, wenn ich ihn im Kieler
Stützpunkt traf; er war enttäuscht und sagte mir, es sei völliger Mist.
Um das Schiff noch etwas vollständiger zu beschreiben: Die Wohndecks für die
Mannschaften und einfachen Unteroffiziere lagen alle im Achterschiff. Durch dieses
führte ein Mittelgang, der ganz hinten mittschiffs und etwas weiter vorn mehr auf der
Steuerbordseite verlief. Wenn man vom Eingangsschott auf dem Steuerbord-Seitendeck
aus nach hinten durch ging, kam man zuerst an den Messen vorbei, – irgendwo
Backbord ein Niedergang ins Reich der Heizer, d.h. zur Maschine, und Steuerbord ein
Aufgang auf die Schanz –, danach kamen die Mannschaftsdecks (auf der Backbordseite
die Heizer und Versorger, Steuerbord die 11er und Funktionäre), noch weiter hinten
lagen zu beiden Seiten die Unteroffiziersdecks und ganz am Ende, in der Heckrundung,
ein Raum mit Toiletten und Duschen. In umgekehrter Richtung, zum Vorderschiff hin,
kam man an der Wache vorbei in den achteren Bereitstellungsraum (mittschiffs ein
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Aufzug, an dem man rechts vorbei ging), dann ging man rechts weiter an dem großen
Raum entlang und am Ende einen Niedergang hinauf zur Ebene der Offiziere und
Bootsleute im mittleren Schiff, die dort jeweils eigene Decks besaßen. Hier gab es einen
Rundgang (im Rechteck außen um die Decks herum), der mit roten Läufern ausgelegt
war, ebenso in der Mitte einen Quergang, von dem aus ein weiterer Niedergang zum
nächsthöheren Ebene führte, auf der unsere Betriebsräume lagen (Funk-, Navigationsund Signalraum). Unten irgendwo zwischen den Offiziers- und PUO-Decks war die dem
Funkraum nächstgelegene Toilette, wo wir bei Seegang kotzen konnten, sowie die
Schreibstube und das San-Deck. Der Niedergang führte hinauf durch ein verschließbares
Schott in eine Art Vorraum, von dem aus man rechts den Signalraum erreichte, links
einen kleinen Stauraum für Fernmeldematerial sowie auf beiden Seiten Außenschotten,
durch die man hinaus an Oberdeck gelangte. Geradeaus nach vorn ging man durch eine
Tür zum Navigationsraum, von dem mir hauptsächlich ein großer Kartentisch und eine
Art Couch in Erinnerung ist sowie eine Musikanlage, mit der wir bei Seefahrten den
Leuten unten in der Maschine die Wachen erträglicher machen mußten (sie gaben uns
Cassetten zum Wechseln); links war die Tür zum Funkraum, der auf der Backbordseite
lag, und weiter geradeaus der Aufgang zur Brücke. Der Signalraum war ein sehr kleines
Schapp mit Schiebetür auf der Steuerbordseite. Im hinteren Teil dieses Stockwerks,
hinter den Außenschotten, vielleicht noch weitere Stauräume, an die ich keine klare
Erinnerung habe. Ganz oben, auf dem Dach der Funktionsräume, war das Signaldeck,
sozusagen das Sonnendeck, wo man draußen den besten Überblick hatte; allerdings
hatten wir Funker wie auch die meisten anderen normalerweise dort nichts zu suchen
und waren nur gelegentlich mal oben. – Das gesamte Erscheinungsbild des Schiffes
fand ich plump und häßlich, vor allem der große, schräge Schornstein, der sich im
hinteren Drittel über der wuchtigen Schanz erhob, beleidigte mein Auge. Die Zerstörer
und Fregatten waren natürlich schlanker und schneidiger, aber hier kam es nicht auf
Ästhetik, sondern auf Funktionalität an.
Die Zeit im Hamburg währte etwa sieben Wochen (einschließlich der unbeabsichtigten Verlängerung, dazu später). Wir wurden im täglichen Abschnittsdienst nach
und nach in unsere Arbeiten eingewiesen. Es gab nicht viel zu tun, aber es wurde uns
alles erklärt, was es irgendwann zu tun geben würde oder könnte. Das Einarbeiten von
Korrekturen in die Dienstvorschriften (Fernschreib-Adressbücher und dergleichen) war
eine ständige Aufgabe, die wir immer wieder einmal vornahmen, ohne jemals ganz auf
dem neuesten Stand zu sein. Botengänge zur Fernschreibstelle. Wenn das Schiff ins
Trockendock kam, mußte man Toilettenhäuschen an Land benutzen, ziemlich unangenehm. Nach Dienst konnte man die Gegend besser kennen lernen und gelegentlich
etwas in Hamburg unternehmen. Man ging zu Fuß durch den alten Elbtunnel und kam
bei den Landungsbrücken heraus, dann ging es je nach Ziel mit der S-Bahn weiter. Nach
Dienstschluß war es, wie gesagt, immer schon fast dunkel. Ich besuchte Konzerte in der
Jacobikirche und in der Musikhalle, besuchtre einmal auch einen Freund, der in Hamburg studierte. Das winterliche Werftgelände faszinierte mich durch seine absolute
Tristesse; es war so auserlesen öde und deprimierend, daß es schon wieder gut war.
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Eisige Probefahrten und langweilige Hafenwachen. Transit nach Kiel
Ein erstes nennenswertes Ereignis in dieser Zeit war eine Werftprobefahrt (18.1.) auf der
Unterelbe hinaus in die Nordsee bis kurz vor Helgoland und zurück – eine schauerliche
Fahrt in der öden, vereisten Elbmündung. Auslaufen 7 Uhr morgens, Einlaufen erst 2
Uhr nachts, weil die Steuerbord-Maschine kaputt war. An sich überhaupt nichts Attraktives, dennoch für mich hochinteressant, weil ja alles neu war. Bei Seefahrten herrschte
eine andere Atmosphäre als sonst, es war etwas los, ich nahm Anteil daran und ließ
mich faszinieren. Die Standardbeschäftigung im Funkabschnitt war der BroadcastEmpfang. Der Broadcast ist ein zentraler Funkdienst, der von zwei Stellen aus (Glücksburg für die Ostsee und Wilhelmshaven für die Nordsee) an alle Schiffe in See
ausgestrahlt wird. In unregelmäßigen Abständen sprang der Fernschreiber im BroadcastSchapp an, und es tickerten Meldungen darüber. Dieser Arbeitsplatz war relativ gemütlich, man saß in einem sehr engen Raum an einem kleinen Schreibtisch, auf der anderen
Seite (im Rücken) der Fernschreiber und diverse Empfangsgeräte – oder, wenn man
gedreht saß, der Tisch links und die Geräte rechts, geradeaus blickte man dann an der
Tür vorbei in den Hauptraum. Beim Broadcast-Dienst mußte man die eingehenden
Sprüche (Fernschreiben) abreißen, katalogisieren (IN-Stempel plus Nummer), ins
Betriebsbuch eintragen und daraufhin durchsehen, ob sie an uns adressiert waren,
entweder direkt oder als Info. Die betreffenden Sprüche sammelte man auf einem
Klemmbrett, das man zu gegebener Zeit, unter Beachtung der Dringlichkeitsstufen, dem
Kommandanten vorlegte; manchmal kam er auch selbst vorbei, um nach den eingegangenen Fernschreiben zu sehen. Der Rest wurde einfach abgeheftet, Verschlußmaterial wurde nach Gebrauch durch den Reißwolf geschickt. Im Broadcast-Schapp saß
man von dem sonstigen Treiben im Funkraum etwas abgeschirmt; war die Luft rein und
nichts zu tun, konnte man lesen, aber es war (anfangs) auch interessant, die Meldungen
zu verfolgen, die auf dem Fernschreiber erschienen. Es gab ganz unterschiedliche Arten
von Sprüchen, viel Routine, Verwaltungskram, oft kaum verständlich nach irgendwelchen Formblatt-Schemata codiert, aber auch Wetterberichte, dpa-Nachrichten oder
echte Ereignisse; z.B. wurden die Positionen der Schiffe in See regelmäßig durchgegeben. Wenn viel los war, kam man mit dem Eintragen kaum nach (einmal haben wir
zu mehreren im Fließbandbetrieb einen Rückstand aufgearbeitet), zu anderen Zeiten,
besonders nachts, rührte sich nur selten etwas. Auf See hatten tagsüber alle Abschnittsdienst, wobei immer zwei von vier Funkern Seewache gingen (4-Stunden-Rhythmus),
die anderen hatten normalen Dienst oder halfen je nach Bedarf auch bei den 11ern aus,
was immer mal eine gute Abwechslung war, weil man an Oberdeck oder auf die Brücke
kam und andere Dinge sah; dann war es im Funkraum ruhiger. Nach Dienstschluß ging
der Seewachenbetrieb in alternierenden Schichten (»Zweierstropp«) weiter. Das
bedeutete im Normalfall weniger als vier Stunden Schlaf pro Nacht, vielleicht noch ein
bißchen in einer anderen Freiwache, soweit sie außerhalb der Dienstzeiten lag. Bei uns
genehmigte der FMO oft ab 20 Uhr als humane Lösung den »Viererstropp« mit nur
einem Funker auf Wache, was meistens ganz gut ging. Nur gelegentlich, wenn der
Empfang schlecht war und der Broadcast dauernd ’raussprang, wenn dazu noch der
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Kryptowechsel oder noch etwas anderes anstand, kam man allein schon mal in
Schwierigkeiten. Jedenfalls konnten so alle länger schlafen. Beim übrigen Personal, das
ständig Zweierstropp fuhr, zehrte der Schlafmangel bei mehrtägigen Fahrten an den
Kräften. Nachts machte mir das Fahren meist mehr Spaß als tagsüber, weil weniger los
war und man die Ruhe genießen und leichter eigenen Beschäftigungen nachgehen
konnte, als wenn im Abschnitt alles anwesend war. Es hatte auch mehr »Atmosphäre«,
die Stimmung war anders. Quälend konnte es jedoch sein, wenn man zu müde war, um
etwas mit sich anzufangen, man sehnte dann nur noch die Ablösung herbei. Waren wir
tagsüber auf See, so hatte ich oft das Verlangen, draußen an Oberdeck zu sein und das
Wasser zu sehen, wozu meistens nur mal kurz zwischendurch Gelegenheit bestand.
Interessanter und herausfordernder als der Broadcast-Empfang war das Absetzen
von eigenen Funksprüchen. Dafür gab einen weiteren Fernschreibarbeitsplatz, der mit
dem Sender verbunden war. Man stellte erst den Sender auf die richtige Frequenz ein,
drückte dann einen Knopf, der ein paar Senderimpulse hinausschickte (hörbar und auf
einem kleinen grünen Monitor auch sichtbar), und wenn die Verbindung mit der
Landdienststelle stand, konnte der Spruch gesendet werden. Den tippte man natürlich
nicht online in den Fernschreiber, sondern hatte ihn, nach dem Entwurf des Kommandanten auf einem speziellen Formular, vorher geschrieben und dabei einen Lochstreifen
gestanzt, der nun eingelegt und schnell abgespult werden konnte. Der Lochstreifen – ein
mechanisches Speichermedium, das heute vermutlich durch digitale Elektronik ersetzt
ist – bestand aus einem hellgelben, relativ strapazierfähigen Material (hartes Papier, fast
wie Kunststoff), das sich auch zweckentfremden ließ, z.B. um ein »Funkermaßband«
daraus zu stanzen: eine besondere Alternative zu dem üblichen Schneidermaßband, auf
dem die anderen Soldaten ihre Tageszahlen abschnitten. Ein echtes Funkerprivileg, das
gelegentlich auch ein wertvolles Verhandlungsobjekt gegenüber Nicht-Funkern war, die
gern eins haben wollten, um damit bei anderen Nicht-Funkern anzugeben. Zur Herstellung mußte man über einen Code verfügen, nämlich wissen, welches Tastaturzeichen
welches Lochmuster auf den fünf Lochspuren des Streifens erzeugt, um daraus Ziffern
zusammensetzen zu können. Aber das war nur Spielerei.
Die zweite Werftprobefahrt war schon fünf Tage später am 23.1. Wir hatten außer
dem Funkabschnittsdienst noch andere Aufgaben, die wir für die zu wenigen 11er mit
übernahmen: Hilfe beim An- und Ablegen und an Oberdeck Posten stehen (Back oder
Schanz). Selten auch noch anderes, wie z.B. Posten Maschinentelegraph auf der Brücke.
Außerdem – und dies war wiederum eine genuine Funkeraufgabe – standen wir manchmal Wache auf der Brücke für das Bordtelefon, das bei Manövern vorgeschrieben war,
aber kaum gebraucht wurde, so daß wir schön dem Betrieb zugucken, teilweise uns
sogar mit den Funkerkollegen am anderen Ende der Leitung privat unterhalten konnten,
während andere schwer rödelten. Ich habe zwei deutliche Eindrücke von diesen Postendiensten, die von den beiden Werftprobefahrten stammen. Einmal stand ich vormittags
Posten auf der Back, als wir bei gutem Winterwetter auf der Unterelbe hinausfuhren.
Man stelle sich eine völlig flache, kahle, weiße Winterlandschaft bei leicht verschleierter Sonne vor, in der nur hier und da einzelne Masten mit Seezeichen emporragen.
Flaches, verschneites Marschland, der Deich, der breite Strom, sonst nichts. Durch diese
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Landschaft schieben sich ab und zu, sehr langsam, riesige Ungetüme, rostige und
häßliche Fracht- oder Industrieschiffe aus aller Herren Länder; man sieht sie kilometerweit entgegenkommen, und es dauert irre lange, bis sie heran sind und seitlich
passieren. Der Elbstrom eine weißlich-zähe Eissuppe, die von ihnen durchpflügt wird.
Ich fand diese Szenerie eindrucksvoll, auch wegen ihrer Neuheit und Fremdheit; ein
Stadtbewohner sieht so etwas normalerweise nicht. – Der andere Eindruck (das muß
beim ersten Mal gewesen sein): nachts bis 2 Uhr auf der Brücke beim Brückenpersonal,
während wir mit einem Lotsen fuhren und dieser höllisch aufpassen mußte, um auf der
engen und vielbefahrenen Unterelbe den richtigen Kurs zu halten; sehen konnte man in
der Dunkelheit nicht viel, man fuhr nach Leuchttonnen, Decca-Gerät (Funkpeilung) und
Radar. Auf der Elbe war es eng und die Hektik auf der Brücke groß, was mich erstaunte.
Ich fuhr damals aushilfsweise für die 11er als Posten Maschinentelegraph, es war aufregend. Rudergänger war immer ein 11er. Er empfing Kommandos für Kursänderungen,
die er zur Kontrolle wiederholen mußte (z.B. »nach Backbord auf eins zwo null
gehen«), und meldete zurück, wenn der neue Kurs erreicht war (»eins zwo null liegt an«,
Antwort des Offiziers: »Verstanden«). Das Schiff fuhr der jeweils wachhabende Offizier, soweit der Kommandant es nicht selbst tat, außerdem waren die Navigationsleute
und ein Signäler für den Sprechfunk oben.
Das Langweiligste überhaupt waren die Hafenwachen, die wir im Prinzip ja schon
aus der Grundausbildung und dem Fachlehrgang kannten. Die monatliche Veröffentlichung des Wachplans, den Maat Hensel in der Schreibstube entwarf und vom
Kommandanten genehmigen ließ, sorgte immer wieder für Aufregung, da sich daran
entschied, wer wann von Bord durfte oder nicht. Zu Urlaubszeiten, wenn es personalmäßig eng wurde, konnte man ganz schön oft dran sein, und nicht alle hatten immer den
Eindruck, gerecht behandelt zu werden. Wem bestimmte Wachtermine durchaus ungelegen kamen, der konnte natürlich tauschen, sofern er einen Tauschpartner fand. Das
Wachegehen selbst wurde in der Hamburger Werft relativ locker gehandhabt, man
mußte nicht die ganze Zeit auf einem Fleck stehen, sondern konnte ein bißchen umhergehen. Angenehm war vor allem, daß wir eine Pistole tragen durften anstatt des sonst
üblichen Gewehrs; das G 3 drückte nämlich spätestens nach einer Stunde ziemlich
schmerzhaft auf die Schulter, was auch durch dicke Polsterungen mit Handtüchern und
dergleichen nie ganz behebbar war. Wir haßten die Knarre, und ich kann mir nicht
vorstellen, daß wir sie in irgendeiner Situation benutzt hätten.– Zwei Stunden sind ganz
schön lang, wenn man dabei nichts tun darf. Es ist gut, dabei nicht zu oft auf die Uhr zu
schauen; manchmal gelingt es, irgendwelchen Gedanken nachzuhängen und die Zeit zu
vergessen, und dann ist man angenehm überrascht, daß schon so viel verstrichen ist,
anders als wenn man jede Minute zählt.
Die Hamburger Zeit verlängerte sich ungewollt dadurch, daß uns beim Auslaufen
nach Kiel (am 24.1., also gleich am nächsten Tag nach der zweiten Probefahrt) ein
Schlepper rammte und an der Steuerbordseite eine große Delle zurückließ. Ich saß
gerade im Funkraum am Broadcast und hatte alles seeklar, als ein heftiger Ruck durch
das Schiff lief. M. kam herauf und erzählte mir, was passiert war. Die Enttäuschung war
groß, denn wir hatten uns schon auf den Wechsel nach Kiel gefreut, der sich nun
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verschob. Das eingebeulte Stück Eisen mußte aus dem Schiffsrumpf herausgetrennt und
ersetzt werden, was vielleicht zwei Wochen dauerte. Ich weiß noch, wie ich als
Wachposten bei den Schweißarbeiten zusah (es wurden Sonderposten als Brandwache
aufgestellt, weil die Funken recht kräftig sprühten). Wir lästerten, daß wir zum Gegenstand einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zugunsten der deutschen Werftindustrie
gemacht worden wären, und erduldeten die Verlängerung.
Der verschobene Transit nach Kiel fand dann an einem Tag und einer Nacht im
Februar mit fürchterlichem Schneetreiben statt (13./14.2.). Abends stand ich wieder
Posten Back, diesmal bei Dunkelheit und scheußlichem Wetter mit ungeheurem Wind,
Eisregen und Schnee. Es war ein Segen, daß wir einige BW-Parkas, Wintermützen und
dicke Handschuhe an Bord hatten; natürlich inoffiziell, da Olivzeug in unserer regulären
Bekleidung nicht vorgesehen war. Sie boten einen phantastischen Schutz gegen die
Witterung, ich brauchte nicht zu frieren, hielt es gut aus und war ein bißchen stolz. Die
Nacht wurde lang. In Brunsbüttel mußten wir ’raus, um beim Anlegen an der Schleuse
zu helfen. Später, während wir durch den Nordostsee-Kanal fuhren, hatte ich Funkwache. Schlafen konnte ich nur eine Stunde, ungefähr von halb sechs bis halb sieben
Uhr morgens, weil wir auch zum Anlegen an der Schleuse Kiel-Holtenau wieder aus
den Kojen geholt wurden. Bei der kurzen Weiterfahrt war ich auf der Brücke und bekam
mit, wie der Kommandant entschied, bis zum Morgen in der Heikendorfer Bucht vor
Anker zu gehen (das ging sehr schnell, und zu sehen war draußen sehr wenig; ich
bewunderte die Leute, daß sie das Schiff so fahren konnten und den Überblick
behielten). Wir waren hundemüde. Nach Tagesanbruch liefen wir in den Tirpitzhafen
ein und machten an unserem regulären Liegeplatz an der Scheermole fest.
Im Kieler Stützpunkt
Nun begann die Normalität des Hafenbetriebes. Als erstes lernten wir die Fernschreibstelle im »Moselhaus« kennen, wo wir unsere Fernschreiben ablieferten bzw.
abholten (später mit einem Fahrrad), dann die Geschwaderverwaltung (den Stab). Der
Geschwaderfunkmeister, Bootsmann oder Oberbootsmann Schwedhelm, unterrichtete
uns einmal wöchentlich und gab Schulungsbriefe aus; es fand auch einmal eine
chaotische Geschwaderfunkübung im Hafen statt mit den Schiffen, die gerade da waren.
Ich weiß noch, wie ich wegen schlechter Hörbarkeit der Signale und zu schneller
Gebeweise der Funker überhaupt nicht folgen konnte und wütend die Betriebskladde zu
Boden warf (wegen der großen Nähe der Schiffe waren die Impulse zu stark und gingen
ineinander über). Es gab auch anderen Unterricht, etwa vom San-Meister, vom
Schmadding etc. (Einweisungen in immer neue Gebiete: Schiffssicherung, Feuerlöschen, Gebrauch von Schwimmwesten und Rettungsbojen und dergleichen). Ganz
selten »lebenskundlicher Unterricht« beim Militärgeistlichen, ich glaube, er kam nur
einmal an Bord. An Abschnittsdienst war sonst wenig zu tun. Sehr langweilig, da wir ja
zur Dienstzeit anwesend sein und den Anschein erwecken mußten, daß wir zu tun
hatten. Wir machten das »Blähen« (sich von der Arbeit verdrücken) zu einem Sport,
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man durfte dafür nicht um faule Ausreden und fadenscheinige Gründe verlegen sein.
Am besten war es, wenn man einmal allein hinauskam, etwa mit einem Gang zur
Kleiderkammer oder zum Geschwader; da blieb man gleich doppelt so lange weg wie
nötig, und wenn es einigermaßen paßte, bis Dienstschluß. Kein Vorgesetzter war
darüber unglücklich, und die Kollegen honorierten neidvoll die Leistung (»Mensch, wo
hast du dich denn wieder gebläht?«).
Wache gehen mußten wir nun wieder mit dem Gewehr. Der Posten hatte immer vor
dem Schiff zu stehen, auf der Pier neben der Stelling, um zu kontrollieren, wer an Bord
ging; der Unteroffizier hielt sich auf dem Schiff im Wachschapp auf, gleich beim
Eingangsschott, oder kam auch mal heraus aufs Seitendeck. Der Februar war kalt, wir
hatten neue Schneestürme und eine lange Frostperiode, in der auch die Innenförde
zufror, so daß ein gutes Dutzend Schiffe im Bereich vor der Kanalschleuse festlagen. Es
hieß, wir würden zu einer größeren Fahrt nach Norwegen auslaufen, obwohl doch jeder
sehen konnte, daß es völlig unmöglich war, in der gefrorenen Förde irgendetwas zu
bewegen. Noch am Morgen des Auslauftermins war man fest davon überzeugt, daß es
losging, was mir total idiotisch vorkam. Als dann endlich vom Flottenkommando die
Meldung kam, daß die Fahrt verschoben würde, lästerten wir, da habe wohl jemand mal
zufällig aus dem Fenster geschaut. – Das Postenstehen in diesen Winternächten gehörte
zum Unangenehmsten, was unsere Art von Wehrdienst zu bieten hatte. Wir zogen uns
gegen die Kälte fast alles an, was wir hatten, und fühlten uns in dem dicken Panzer doch
unwohl, schwitzten und froren zugleich. An Parka und Wintermütze war hier im
Stützpunkt nicht zu denken, es mußte die Wachuniform (2. Geige blau) sein und die
Matrosenmütze, deren Bänder schmerzhaft gegen die kalten, geröteten Ohren schlugen.
Die Winterbekleidung der Marinesoldaten war unzulänglich. Es gab ein Wachhäuschen,
das gegen den Wind schützte, gerade so groß, daß ein Mann darin stehen konnte. Darin
schlief ich einmal im Stehen ein, jedenfalls kurz. Ich merkte nur, daß plötzlich der FMO
vor mir stand und mich mit großen Augen ansah. Eine kleine Erleichterung der Qualen
bot ein »Lassiter«-Roman (Western auf Groschenheft-Niveau), den jemand im Dach des
Häuschens versteckt hatte. Das war eine passende, leichte Lektüre, bei der man sich
über die billigen Klischees amüsieren konnte, aber man durfte damit nicht gesehen
werden. (Im Funkraum lag zeitweise noch eine andere Art Lektüre, die man selbst bei
allergrößter Abstumpfung und Müdigkeit noch versteht.)
Zum Wachdienst gehörte als tägliches Ritual die Flaggenparade. Jeden Tag wurde
an Bug und Heck die Flagge bei Sonnenaufgang gehißt, bei Sonnenuntergang wieder
eingeholt; die Freiwachen mußten morgens die Flaggen rechtzeitig (nach Zeittafel)
holen und anschäkeln, damit sie pünktlich gehißt werden konnten, während der Unteroffizier auf der Bootsmannsmaatenpfeife die Begleitmusik spielte. Alles, was zufällig in
der Nähe war, mußte entweder vorher abhauen oder bis zum Ende der Zeremonie
stillstehen. Klappte etwas nicht, dann war das eine unentschuldbare Schande. Einmal
wurde eine Flagge versehentlich nur oben, nicht auch unten angeschäkelt, so daß sie
dann nach dem Aufziehen wie ein Handtuch im Wind flatterte (es sah absolut Klasse
aus); der Wachoffizier, Hauptbootsmann Westphal, schnaubte vor Wut, tobte und
brüllte herum, bis das Ärgernis abgestellt war.
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Freitags, vor dem Wochenende, war Großreinschiff (im Gegensatz zu dem täglichen
Reinschiff morgens vor der Musterung). Jeder hatte seine Stationen, und es wurde auch
am Ende die Putzleistung kontrolliert; war etwas nicht in Ordnung, so verzögerte sich
das Dienstausscheiden, und alle, die nach Haus fahren wollten, wurden dann unglaublich aggressiv, bis hin zu Prügeleien mit blauen Augen. Meistens etwa um 15 Uhr setze
dann die wöchentliche »NATO-Ralley« ein. Viele fuhren mit dem Auto nach Haus,
bildeten Fahrgemeinschaften, was nicht ganz risikofrei war, wenn sie eine anstrengende
Woche hinter sich hatten (typisches Bild: vier Soldaten im Auto, drei davon schlafen
fest, und der Fahrer hält auch nur noch mit Mühe die Augen offen). Wenn ich nach
Haus fuhr – selbstverständlich in Zivilklamotten –, nahm ich die Bahn, die mich nichts
kostete. Die Freitagszüge waren oft unangenehm mit besoffenen, lärmenden Soldaten
überfüllt, so daß die Bundesbahndirektion erwog, die Soldaten in gesonderten Waggons
zu befördern (mir drängt sich die Vorstellung von Viehwagen auf). So weit kam es aber
nicht, ich benutzte fast immer die schnelle IC-Verbindung Kiel-Hamburg und HamburgHannover, mit der ich in gut vier Stunden nach Braunschweig kam. Zurück fuhr man am
Sonntagabend, natürlich möglichst spät mit dem letzten Zug, schlief oft im Abteil,
wankte dann so gegen 1 oder 2 Uhr benommen zu den Taxen oder Minicars und nahm
sich zu dritt oder viert einen Wagen zum Stützpunkt. Von all dem merkte man nicht
viel, wandelte eher automatenhaft funktionierend im Halbschlaf durch die Gegend, bis
man endlich in der Koje war. Manche kamen auch erst morgens zum Dienstbeginn
angereist. Ich tat das nur einmal während der Hamburger Zeit, denn das frühe Aufstehen
war lästig, und der Tag wurde dann sehr lang. Ich verstand nicht, warum die Leute
gerade am Wochenende und in den Zügen so viel saufen mußten; ich pflegte das unter
der Woche im Stützpunkt zu tun, aber die Freizeit am Wochenende gehörte mir, da
wurde ich wieder Mensch, und da wollte ich einen klaren Kopf haben. Es war auf dem
Schiff oft schwierig, die Zeit nach Dienstschluß zu nutzen, wenn man nicht von Bord
ging, denn im Deck war man selten allein. Manchmal setzte ich mich in den Funkraum,
aber die Wache sah das nicht gern und verlangte den Schlüssel zurück. Oft wurde
abends gesoffen, sehr viel Bier wurde getrunken, das man an Bord zu den Öffnungszeiten des Kiosks kaufen konnte; täglich wurden unglaubliche Mengen leerer Flaschen
hinausgetragen. Ich meinte, man müßte im Stützpunkt vor jedem Schiff einen Altglascontainer aufstellen, das würde sich lohnen. Bei längeren Fahrten stand auf der Schanz
ein solcher Container, aber die Flaschen mußten zerschlagen werden, weil sonst das
Volumen zu groß gewesen wäre. Gleichzeitig wies Verteidigungsminister Hans Apel
empört den Vorwurf zurück, die Bundeswehr sei eine Säuferarmee. Auf See konnte man
in begrenzten Mengen zollfrei einkaufen; man deckte sich dann mit dem guten
Budweiser oder Pilsener Urquell ein. Wir horteten es in den Spinten als Vorrat für die
Liegezeiten, leider wurde in der Sommerhitze einiges davon schlecht. Außerdem waren
holländische Lakritzbonbons (Hollandse Drops) und Spirituosen (maximal 1 Flasche
pro Person und Monat!) beliebt.
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Die ersten Übungsfahrten
Die eigentliche, reguläre Seefahrtszeit nach dem Werftaufenthalt begann im März mit
einer dreitägigen Ausbildungsfahrt auf der Ostsee (ISEX Westbalt, 6.3. bis 8.3.). Wir
fuhren in der Kieler Bucht bis etwa Fehmarn und führten dabei Übungsmanöver durch.
Nach den drei langweiligen Wochen im zugefrorenen Kieler Hafen war das ein
Aufschwung, der meine Begeisterungsfähigkeit neu erweckte. »Vom Eise befreit sind
Strom und Bäche«: es wurde Frühling, die Tage länger, das Wetter freundlicher. Ich war
gutgelaunt, als wir bei sonnigem Wetter mit Hilfe zweier Schlepper ablegten und dann
aus der Kieler Förde hinausfuhren, es war schön, auf See zu sein, und auch den
Fernmeldebetrieb und die anderen Dinge fand ich interessant.
Auf dieser Fahrt lernten wir im Funkabschnitt zum erstenmal die Spielchen mit
»verdächtigen« Schiffen aus dem Ostblock kennen. Die Russen interessierten sich
immer sehr für unsere Schiffe und die neueste Technik, die sie an Bord hatten, und
beobachteten uns gelegentlich mit kleinen, als normale Kutter getarnten Aufklärungsschiffen; natürlich tat die Bundesmarine Ähnliches in umgekehrter Richtung. Es gab in
Flensburg eine spezielle Ausbildungsreihe »Horchfunker« (22er), Leute, die etwas FachRussisch lernten und nur zum Hören auf russischen Frequenzen ausgebildet wurden. Sie
fuhren auf drei Spezialschiffen in die östliche Ostsee, um dort den Funkverkehr
abzuhören. An Bord erzählte man uns aber auch von speziellen Aufklärungsfahrten der
Offenburg, genannt »AF-Ost«, bei denen so ungefähr alles, was einem irgend auf See
begegnete, mit absurdem Eifer beobachtet, fotografiert und gemeldet wurde. Aber auch
sonst beachtete man Fischkutter mit verdächtig großen Antennen und dergleichen,
besonders wenn sie unsere Nähe zu suchen schienen. So auch auf dieser Fahrt, als wir
eine Zeitlang ein Gefährt beschatteten, das für uns in der NATO-Terminologie unter der
Bezeichnung »surf 23ca ›Baltyk‹« rangierte. Sämtliche Schiffstypen des Ostblocks
waren bekannt und klassifiziert. Als ich endlich an Oberdeck kam, sah dann auch ich
den kleinen schwarzen Schlepper in der Abenddämmerung. Man fuhr in einem zugleich
prickelnden und amüsanten Katz-und-Maus-Spiel umeinander herum, und wir gaben
Meldungen über diese Begegnung ans Flottenkommando (alle sechs Stunden eine).
Eine weitere Neuheit war die Gefechtsausbildung an Bord. Es wurde richtig Krieg
gespielt. Dazu gehörte das Herstellen der verschiedenen Verschlußzustände. Es gibt
Vorschriften darüber, welche Schotten in welcher Situation geöffnet sein dürfen und
welche geschlossen sein müssen; je brenzliger die Lage, desto dichter ist das Schiff, und
es sind dafür verschiedene Stufen definiert (z.B. »Kriegsmarsch«, »Gefecht«, »ABC«).
Beim ABC-Verschlußzustand ist intern so gut wie alles dicht, keiner kann sich mehr im
Schiff bewegen (notwendige Ausnahmen müssen von höchster Instanz genehmigt
werden), außerdem wird durch zahlreiche Düsen an Oberdeck eine Dunstglocke aus
Sprühwasser erzeugt, die das Schiff einhüllt und den radioaktiven Fallout weitgehend
von ihm abhält (er fällt dann großenteils ins Wasser); auch wird im Schiff ein
Überdruck hergestellt, so daß keine Außenluft ins Innere dringt. In der Übung wurden
diese Zustände nacheinander realisiert. Die Besatzung mußte die ABC-Schutzmaske
»am Mann fahren«, um sie jederzeit aufsetzen zu können, und das Ganze wurde mit
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fiktiven Meldungen untermalt wie z.B.: »Auf dem Radarschirm sind in 200 Meilen
Entfernung feindliche Flugzeuge aufgefaßt worden, so daß mit Luftangriff zu rechnen
ist« und dergleichen. Wenn man Funkwache hatte, konnte man aber meist die Tür von
innen verriegeln und die Leute draußen Krieg spielen lassen. Schikora hat zu meiner
Zeit nie eine ABC-Maske aufgesetzt.
Andere Übungen waren die Boje-über-Bord-Manöver. Eine Boje wird über Bord
geworfen, die einen Menschen darstellen soll, und der erste Test besteht schon einmal
darin, ob der Posten auf der Schanz sie sieht (wehe, wenn nicht!). Das Schiff muß dann
in kürzestmöglicher Zeit wenden, einen Kutter aussetzen und die Boje wieder an Bord
holen. Im Ernstfall, wenn ein Mensch über Bord geht, zählt dabei jede Minute, denn im
Winter kühlt man im Wasser so schnell aus, daß man sich schon nach 3-4 Minuten (so
hieß es) nicht mehr an irgendwelchen Rettungsgegenständen festhalten kann.
Der März war gut mit Seefahrt angefüllt. Schon wenige Tage nach der Ausbildungsfahrt in der Kieler Bucht ging es durch den Nordostseekanal hinaus auf die
Nordsee zur Insel Borkum, wo wir den 11ern zu Ausbildungszwecken behilflich waren.
Ich weiß noch, wie wir morgens bei Sonne und steifem Wind irgendwo vor der Insel
lagen und ich zum erstenmal die Nordsee sah: überraschend grünlich-bräunliches
Wasser, das offenbar recht flach war und viel aufgewühlten Schlick enthielt. Die
Szenerie war viel wilder und kahler, als ich es von der vergleichsweise gemütlichen
Ostsee her kannte. An der Küste keine Kurhäuser, Pensionen und Strandkörbe,
stattdessen Pipelines, Raffinerien und Tanker. Borkum ist bei der Marine als die
»Ziegeninsel« bekannt, denn das gesamte seemännische Personal der Ausbildungsreihe
11 absolviert dort seine Grundausbildung. Den 12. und 13.3. verbrachten wir im
Borkumer Hafen (für die dortigen Verhältnisse ein vergleichsweise riesiges Schiff),
wobei wir auch Landgang hatten und uns einmal in den Ort ungefähr am anderen Ende
der Insel begaben. Los war dort nichts um diese Jahreszeit, aber man hatte es mal
gesehen. Dann übten wir zwei Tage lang Seeversorgung mit dem Tanker »Tegernsee«,
bis die Manöver wegen zu hohen Seegangs abgebrochen wurden. Diese Übungen waren
aufregend. Die beiden Schiffe fuhren in der südlichen Nordsee irgendwo draußen vor
den ostfriesischen Inseln parallel nebeneinander her, es wurden Seile herübergeschossen, mit denen man die schweren Treibstoffschläuche an Bord ziehen konnte, und wenn
sie angeschlossen waren, wurde Treibstoff von einem Schiff zum anderen gepumpt. Ich
fand das rauhe Wetter und den Seegang toll, aber die Manöver waren schließlich nicht
mehr sicher durchführbar und wurden eingestellt. Auf der Rückfahrt nach Wilhelmshaven waren die Wellen noch höher; ich saß eine Zeitlang mit K. im Nav-Raum, uns
beiden war übel, und wir machten Witze über fettige Leberwurstbrote, die wir essen
wollten, und anderes. Am 15. liefen wir in Wilhelmshaven ein, um dann wieder durch
den Kanal nach Kiel zurückzufahren, wo wir am 17.3. morgens eintrafen.
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NATO-Depots an einsamen Küsten, Kotzen auf der Nordsee
Nur zwei Tage später begann eine etwas längere Reise, die erstmals zaghaft in Auslandsgewässer und auf ausländischen Boden führte; sie dauerte eine knappe Woche,
vom 19. bis zum 24.3. Es war eine Depotumlagerungsfahrt, bei der Material zwischen
verschiedenen NATO-Depots transportiert wurde. Die »Offenburg« war wohl deshalb
für diese Aufgabe ausersehen worden, weil sie gerade leer war; die Versorgungsbeladung, mit der die Versorger normalerweise bestückt sind, war vor der Werftzeit
ausgelagert worden. Die Route führte in der Ostsee hinauf über Olpenitz, Lyngsbaek
Pier (Dänemark), um Skagen herum, dann durch die Nordsee wieder herunter nach
Wilhelmshaven und erneut durch den Kanal zurück nach Kiel. Der Beginn war ruhig
und angenehm, wir liefen morgens aus, waren schnell in Olpenitz und blieben dort für
einige Vormittags- oder Mittagsstunden, um Material zu laden; diese Arbeit erledigten
Versorger mit Unterstützung von 11ern oder Heizern, jedenfalls andere, während wir
oben in der Frühlingssonne blähen konnten. Es lag noch Schnee. Später fuhren wir
zwischen den dänischen Inseln hindurch, unter anderem an der verschneiten Ostküste
von Langeland entlang, um dann am 20. an einer abgelegenen Mole in der Ebeltoft
Wyk, Lyngsbaek Pier, festzumachen.
Nach Dienstschluß zog ich mir Jeans, Pullover und Dufflecoat an, nahm meine
Kamera und spazierte an dem verschneiten Strand entlang. Ein sehr schöner, erholsamer, die Seele weitender Gang, der vielleicht eine gute halbe Stunde dauerte. Das
Tageslicht begann schon zu schwinden, Strand und See lagen in ruhigen, kühlen, zarten
Pastellfarben da, eine eigentümliche Bewölkung warf eine sonderbare Helligkeit von
oben herab. Etwas Dunst, von der Seeseite her rauher Wind; der Strand war schneebedeckt, vorn an der Wasserkante stellenweise aufgetürmte, schräg emporragende
Eisschollen, sonst schwarzer, verwesender Tang und viele tote Seevögel, die den Winter
nicht überlebt hatten. Es wurde dämmerig, ich ging wieder an Bord; andere machten
einen Ausflug in den nächstgelegenen Ort, worauf ich keine Lust hatte. Wir lagen wohl
noch einen weiteren Tag dort, an dem mir kein Landgang zustand. Dann ein obskures
Auslaufen um Punkt Mitternacht. Schaurig, wie wir in der Dunkelheit ablegten und uns
davonstahlen.
Am nächsten Morgen waren wir ein gutes Stück nach Norden vorangekommen.
Gegen Mittag passierten wir Skagen und bogen in die Nordsee ein, was sehr bald an
dem einsetzenden Seegang zu bemerken war. Zuerst war noch schönes Wetter, dann
wurde es immer trüber, und der Seegang nahm noch weiter zu, als wir aus dem
Windschatten von Jütland herauskamen. Nun lernten wir die Nordsee erst richtig
kennen. Windstärke 7-8, Wellenhöhe 3 Meter oder noch darüber. Vom Nachmittag an
wurde gekotzt. Der Wind blies uns frontal von Süden an, so daß wir nur langsam
vorankamen und eineinhalb oder zwei Tage bis Wilhelmshaven brauchten.
Wie ist das Fahren unter solchen Verhältnissen? Es hat Ähnlichkeiten mit unablässigem Fahrstuhlfahren. Ab einer bestimmten Wellenhöhe sind die Abstände von
einem Wellenberg zum nächsten so lang, daß das Schiff die Bewegung fast voll
mitmacht und wie eine Berg- und Talbahn auf und ab fährt. An Oberdeck ist das
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einigermaßen auszuhalten. Sehr eindrucksvoll und erhaben, die schaumbedeckten
Wasserberge vorüberwandern zu sehen und sich mit Gischt bespritzen zu lassen; unter
Deck jedoch fehlt die visuelle Orientierung, man spürt nur die Bewegungen, ohne daß
der Gleichgewichtssinn sie richtig verarbeiten könnte, und spätestens nach einigen
Stunden rebelliert der Magen. Die stickige Luft und die Wärme, die die Sender
abstrahlen, verstärken noch die Übelkeit. Entleerungen des Mageninhalts mußte man
rechtzeitig voraussehen, denn wenn man allein auf Funkwache war, mußte man erst den
Funkraum abschließen, den Niedergang hinunter und noch ein Stück durch die Gänge
laufen, bis man die nächste Toilette erreichte. Ein einmaliges Übergeben ist nicht
schlimm, aber wenn die Situation länger dauert und der schon leere Magen sich immer
wieder umstülpt, wird es unangenehm. Der sprichwörtliche Zwieback wird dann zu
einer wahren Wohltat. Wir konnten Bumbum überreden, für das Brückenpersonal eine
Sonderration Zwieback herauszurücken, wobei wir die Tüte in den Funkraum abzweigten und somit ein unglaublich wertvolles Privileg besaßen; ich weiß noch, wie der FMO
mit grünem Gesicht und Leidensmiene bei uns erschien und demütig um ein halbes
Stück Zwieback bat. Den Kommandanten sah man überhaupt nicht mehr. Am besten
war es, wenn man flach in der Koje lag, dann war alles gut, man merkte gar nichts mehr.
Einmal ließen meine Kollegen mich schlafen (anstatt mich zur Funkwache zu wecken),
und ich wäre vor Dankbarkeit darüber fast auf Knien herumgerutscht. In besonderen
Fällen kamen Durchsagen über die SLA, etwa: »Wahrschau, Schiff kommt quer zur
See!« Dann hieß es nur noch sich irgendwo festhalten und abwarten, was passierte. Aber
auch im Normalbetrieb war es ein permanentes Fahrstuhlfahren. Wenn man durch die
Gänge lief, stieß man links und rechts an den Wänden an, und auf den Niedergängen
paßte man sich beim Hochklettern dem Rhythmus des Schiffes an: Fuhr es einen
Wellenberg hinauf, dann kam man gar nicht voran, aber beim anschließenden Abstieg
ins Wellental schoss man plötzlich ganz schnell nach oben. Ganz fatal soll der Reigen
der an den Wänden aufgehängten Küchengeräte (Kochlöffel usw.) in der Kombüse
gewesen sein, es hieß, daß einem vom bloßen Hinsehen schlecht wurde. Im Funkraum
fielen uns die Vorschriften aus dem Regal, auch die Seenotfunkboje fiel um und kollerte
umher. Ich war nicht dabei, als am Fernmeldearbeitsplatz der Fernschreiber aus der
Halterung rutschte und herunterfiel; Schikora sagte später, mit der Hand zu Boden
zeigend, »da unten hat er gelegen!« Die Krönung war, daß der Reißwolf umfiel und die
Papierschnipsel im ganzen Funkabschnitt umherflogen. Der NO lachte immer nur
schadenfroh, wenn er draußen vorbeiging, für ihn war es ein herzerfrischender Anblick.
Lachen konnten auch die wenigen Besatzungsmitglieder, denen der Seegang nichts
ausmachte. Sie saßen in der Messe und machten sich lustig. OMt Hoppe scherzte:
»Schaut euch mal das Gesicht des Gefreiten Brandt an, da sieht man doch endlich mal
ein stilles Wasser!« Ich hielt mich gern draußen auf der Schanz auf (die Back durfte
niemand mehr betreten), aber es war nicht viel Zeit dafür. Draußen war es angenehmer,
weil man den Horizont sehen und damit die Bewegungen besser verarbeiten konnte,
außerdem hatte man frische Luft und das herrliche, einzigartige Erlebnis des
aufgewühlten Meeres. M. nahm noch ein Foto von mir auf dem Steuerbord-Seitendeck
auf, wo man am besten den vorüberwandernden Wellenbergen zuschauen konnte. Die
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nächtliche Wache in dem stickigen Funkraum wurde lang, in Augenblicken größter
Übelkeit war es fast zum Verzweifeln. Gegen Morgen war sogar der erfahrene SVO
beeindruckt, er sagte, als ich auf die Brücke kam, »Hier ist was los!«. Einzelne Wellen
sollen bis zu 5 Meter hoch gewesen sein. Gefahr für das Schiff bestand nicht, aber wir
fragten uns, wie weit oder wie lange die Besatzung unter solchen Bedingungen noch
imstande wäre, das Schiff zu fahren. – Als wir uns Wilhelmshaven näherten, klang der
Seegang allmählich ab, und man war erst einmal froh darüber, daß der Boden unter den
Füßen wieder fest und ruhig wurde; aber es war noch nicht vorbei, denn unser
Gleichgewichtssinn war so durcheinander, daß es in uns noch lange schwankte. Wir
wurden nicht so schnell glücklich, nur langsam stellte sich Erholung ein.
Nach diesen Erlebnissen hatte ich erst einmal genug von der Seefahrt. Nachdem das
leere Schiff für die Depotumlagerung genutzt worden war, kamen wir jetzt nach KielDietrichsdorf am Ostufer der Förde, um die vor der Werftzeit ausgelagerte Versorgungsbeladung wieder zu übernehmen. Bei der Wiedereinlagerung stießen wir auf Unmengen
von Dingen, die man nicht alle unbedingt auf Kriegsschiffen erwarten würde: Sekt-,
Wein- und Cognacgläser, Schlachtermesser, Schweinehaken, Obstmesser, Kannen und
Pfannen, Tiegel und Tassen, Medikamente und Verbandsmaterial, Vordrucke und
Formblätter, Nägel und Schrauben. Es war leichte Arbeit, man konnte nachts wieder
schlafen, kam auch mal wieder zum Wochenendurlaub nach Hause. Die Seefahrerei
begann erst wieder nach knapp einem Monat mit einer kurzen Maschinenerprobungsfahrt in der Kieler Bucht am 18. April (Mittwoch nach Ostern). –
Geschwaderübung im Kattegat
Eine besonders anstrengende, aber auch vielseitige und interessante Aktion war die
Geschwaderübung im Kattegat, die vom 23. bis zum 27.4., also eine Arbeitswoche lang
dauerte. Etliche Schiffe des 1. Versorgungsgeschwaders – nach meinen Notizen außer
uns die Troßschiffe Lüneburg, Meersburg, Westerwald sowie die Tanker Spessart und
Ammersee – begaben sich hinaus auf hohe See, um einmal so richtig miteinander zu
rödeln; und wir waren Führungsschiff, also Rödelzentrum, in dessen Funkraum ein
großer Teil der Kommunikation zusammenlief, soweit sie nicht über Sprechfunk abgewickelt wurde. Der Geschwaderkommandant KptzS Teerling war an Bord, ebenso Geschwaderfunkmeister OB Schwedhelm, der zum Glück immer noch alles einigermaßen
im Griff hatte, wenn wir Funkgasten überfordert waren.
Was wurde geübt? Soweit ich weiß, das ganze Repertoire an Seeversorgungsmanövern. Treibstoffübernahme und Personentransport von Schiff zu Schiff, daran
erinnere ich mich besonders, am letzten Tag noch Personentransport mit Hubschraubern. Bei den ersten beiden Arten fahren die Schiffe parallel nebeneinander her, was
einigermaßen gut geht, wenn die See ruhig ist und man Platz hat, um lange Strecken
geradeaus zu fahren, was im Kattegat der Fall war. Nur die Fahrgeschwindigkeit muß
ständig angepaßt werden. Es wurde aber auch probiert, dabei Kursänderungen durchzuführen, was nicht so leicht ist und eine gute Koordination per Sprechfunk erfordert.
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Beim Personentransport wird ein Käfig, der wie eine Seilbahnkabine an der Hauptverbindungstrosse hängt, herübergezogen, diese Trosse wird nicht befestigt oder maschinell
aufgewickelt, sondern nur um eine Rolle oder ähnliches herumgelegt und von ca. 15 bis
20 Leuten manuell festgehalten, um flexibel angepaßt und im Notfall blitzschnell gelöst
werden zu können (durch einfaches Loslassen). Wir haben diese Manver öfter gemacht;
bei einer Personenübernahme mit der »Lüneburg« stand ich als Telefonposten auf dem
achteren Versorgungsdeck, ein andermal oben auf der Brücke, sozusagen auf einem
Logenplatz mit bester Übersicht. Ich habe von einem Kollegen Fotos erhalten, die ein
solches Manöver mit der »Westerwald« zeigen. In der Ferne sahen wir den Tanker
»Spessart«, wie er zwei Schiffe gleichzeitig betankte, die Backbord und Steuerbord
neben ihm herfuhren; die »Spessart« besaß große Ausleger, an denen die Schläuche
hingen, während bei uns die Schläuche an einem Geschirr mit Rollen an herübergeschossenen Leinen geführt wurden. Natürlich gab es auch eine Geschwaderfunkübung, bei der Funkmeister Schwedhelm am FM-Arbeitsplatz saß und L. am Broadcast,
während W., M. und ich uns zu dritt (abwechselnd) am GRC-9 mit Tastfunk vergnügten. W. hatte die meisten Probleme damit.
Als am letzten Tag Hubschrauber kamen, die mit uns übten, Personen von der
Schanz aus aufzunehmen und wieder abzusetzen, konnten einige Leute sich transportieren lassen und einen kleinen Rundflug im Hubschrauber mitmachen.
Mit U-Booten im Skagerrak und in Kristiansand
Die schönste Fahrt von allen war die nach Norwegen. Sie dauerte vom 7. bis zum 17.5.
und lief unter der offiziellen Bezeichnung ÜAG 406/79 Torpex Skagerrak. Die
»Offenburg« wurde dem 3. U-Boot-Geschwader unterstellt für ein paar Tage Torpedoschießen im Skagerrak mit Besuch in Kristiansand am 14./15.5. Die ersten zwei Tage
dieser Reise waren verhältnismäßig ruhig, da wir von Kiel aus zunächst allein unterwegs
waren, um erst später im Übungsgebiet mit den U-Booten zusammenzutreffen. Uns
stand eine knappe Woche anstrengender Rödelei bevor. Im Skagerrak angelangt, trafen
wir mit drei U-Booten (U 15, U 18, U 19) sowie dem Bergungsschlepper »Norderney«
zusammen, nahmen ein paar Leute vom U-Geschwader an Bord und führten unter ihrer
Leitung Manöver durch, bei denen mitunter eine beträchtliche Hektik aufkam. Wenn die
U-Boote Torpedoschießen übten, rotierte bei uns das Personal im Brückenbereich, das
ging einmal bis 23 Uhr. Auch wir Funker waren gefordert, wenn es darum ging, Daten
der Übungen per Tastfunk durchzugeben, was wir inzwischen kaum mehr gewohnt
waren (normalerweise machten wir nur Schreibfunk, den die U-Boote aber nicht
besaßen). Dann stand einer der Übungsleiter (Kaleu Böhm) in der offenen Funkraumtür
und brüllte dem Mann an der Taste Zahlen ’rüber, die ›live‹, d.h. ohne vorher aufgeschriebenes Konzept zu übermitteln waren, das war Streß. Per Tastfunk gaben wir auch
einmal eine Ersatzteilanforderung auf – das war spannend, denn die »Norderney«, mit
der wir verkehrten, war schon so weit entfernt, daß die Signale ganz schwach waren. Es
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gab also genug Aufregung. Leider habe ich versäumt, eines der U-Boote zu besichtigen,
als Gelegenheit dazu bestand.
Erholsam war das Pönen (Anstreichen) oben auf dem Signaldeck in der schon
warmen Maisonne. Es gibt zwei Fotos von H. und mir im Blaumann, die wir während
dieser leichten, fast urlaubsmäßigen Arbeiten schossen. Da wir in dem tiefen (und
unglaublich klaren) Wasser im Skagerrak nicht ankern konnten, ließen wir uns, wenn
keine Manöverfahrten anstanden, einfach treiben, auch nachts. Das Wetter war herrlich,
wir hatten eine Hochdruckwetterlage mit blankem Himmel und fast völliger Windstille.
Bei Sonnenuntergang schien die Welt nur aus dem Schiff und einer es umgebenden
Sphäre von Wasser und Luft zu bestehen, die in den phantastischsten Farben leuchtete –
massives Goldgelb im Westen, dazu blaue und rosa Pastelltöne, zwischen denen auf der
Ostseite der volle Mond aufging. Die glatte Wasseroberfläche spiegelte die Farben des
Himmels wider, nur leicht von dem sehr langsam fahrenden Schiff gekräuselt; ab und zu
tauchte mal ein U-Boot oder die »Norderney« am Horizont auf und fügte sich in die
zauberhafte Szenerie ein (Fotos!). Ähnlich einmal um vier Uhr früh nach beendeter
Funkwache das rosige Morgenlicht, in dem man vom Signaldeck aus in ganz weiter
Entfernung Norwegens felsige Küste sehen konnte.
In Kristiansand gab es abends an Bord eine Cocktailparty mit irgendeinem höheren
diplomatischen Tier (Militärattaché oder so etwas). Ich besorgte die Garderobe. Mein
Kollege TS, der bediente, kam öfters vorbei und belieferte mich mit Drinks (»Sieh’ zu,
Junge, in ’ner Viertelstunde kommt der nächste!«) mit dem Resultat, daß die Gäste sich
am Ende ihren Mantel selbst vom Kleiderbügel holen mußten. Am nächsten Vormittag
Landgang in Uniform. Wir spazierten zu viert im Stadtzentrum umher, wobei uns die
schönen norwegischen Mädchen auffielen, tauschten etwas Geld bei der ›Christianssands Sparebank‹, begaben uns zur Post, um Briefe aufzugeben, saßen eine Zeitlang auf
einer Parkbank unweit der Hauptkirche, sahen uns ein Freilichtmuseum mit nachgebauten Holzhäusern von früheren Einwohnern an und fuhren schließlich mit einem Taxi
zurück zum Hafen. Ich weiß nicht mehr, woher der Eindruck rührte, daß wir als
deutsche Soldaten nicht allzu willkommen waren (allenfalls unser Geld). Später, nachmittags, ging ich noch einmal in Zivil an Land, um eine Postkarte abzuschicken und ein
bißchen allein zu sein. Abends war ich mit ungefähr sechs Kollegen unterwegs, die ich
an Land getroffen hatte. Wir saßen auf einem Felsen, von dem aus wir die Stadt bestens
überblicken konnten, und tranken Bier in einer Menge, wie sie für die Einheimischen
wegen der hohen Alkoholsteuer in Norwegen wohl unerschwinglich gewesen wäre. In
deutlicher Erinnerung habe ich auch noch das Auslaufen am nächsten Tag, bei dem die
norwegische Felsenküste mit den kleinen Holzhäusern allmählich im Dunst verschwand.
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Blähen und Saufen auf der Ostsee
Ein paar andere Fahrten in jenem Frühjahr waren kürzer, führten nur für 1–2 Tage auf
die Ostsee hinaus. So die bereits erwähnte Maschinenerprobungsfahrt am 18.4. in der
Kieler Bucht, die nach 8 Stunden beendet war, ein Tagesausflug ohne besondere
Ereignisse (das war die erste Aktion nach der Wiedereinlagerung der Beladung,
abgesehen von der kurzen Verlegung von Dietrichsdorf zurück in den Stützpunkt, und
kurz vor der Geschwaderübung, die am 23.4. begann). Ähnlich kurz, obwohl von ganz
anderem Charakter, war die Familienfahrt am 26.5., die immerhin noch bis zur Geltinger Bucht hinauf führte; das Schiff war voll mit Besuchern, hauptsächlich Angehörigen der Besatzungsmitglieder und Ehemaligen, eine Vergnügungstour ohne höheren
militärischen Sinn. Kurz darauf eine zweitägige Übungsfahrt (28./29.5.) zwecks Schießübungen mit Westerwald, wobei wir am 28. vor Olpenitz ankerten und einen ganz
herrlichen, warmen Frühlingsabend oben auf dem Signaldeck verbrachten. Das war
reines Vergnügen und pures Behagen, eine meiner schönsten Erinnerungen aus dieser
Zeit. Ein einziger hatte an diesem Abend schlechte Laune, das war der FMO, der Antialkoholiker war, während die ganze restliche Besatzung sich in Bierdunst einnebelte.
Wir fragten uns, wie es wohl wäre, wenn jetzt vom Flottenkommando über Funk ein
Einsatzbefehl käme mit der Anweisung, sofort da und da hin zu fahren. Mit einer
komplett besoffenen Besatzung. Das wäre heiter geworden, das hätte ich gern erlebt.
Vermessungsfahrten im Kattegat
Im Juni, nach Pfingsten, gab es wieder eine längere Hochsee-Tour, die uns noch einmal
für eine Woche ins Kattegat führte (7.–14.6.). Nach einer Notiz ging es dabei um
»Vermessungsfahrten, Versuche BWB, ankern, Rollendienst«, wobei ich mich hauptsächlich daran erinnere, wie wir ab Freitag, 8.6., vor Frederikshavn in unmittelbarer
Nachbarschaft der SEF 792 ankerten. Das war eine Manövergruppe, zu der Z 2, Z 4,
Z 5, Rommel, Bayern, Coburg, Westensee, Ammersee, Spessart, Sachsenwald sowie UBoote, Minensucher und Schnellboote gehörten. Sie führten ein größeres Manöver
durch, das auch uns keine Ruhe ließ, obwohl wir nicht dazugehörten, denn wenn
gerödelt wurde, ratterten dauernd Sprüche über den Fernschreiber, die den Verlauf der
Kriegsspielchen dokumentierten. Zeitweise war es sogar spannend. Immer blue gegen
orange (zwei Parteien, die einen die Guten, die anderen die Bösen). Irgendein Verband,
so die Fiktion, hat einen ganzen Küstenabschnitt erobert, das Marinestützpunktkommando Olpenitz wird durch einen Kampfschwimmereinsatz im Handstreich
genommen, usw.
“orange force turning to nw–slow attacked. attack details: 1 kormoran and bombs
on ddg rommel se of zz/turn off to east, 1 kormoran on dd fletcher (second hit), 1
bomb attack on ao spessart [...]”
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so und ähnlich nahm sich das aus. Die Meldungen kamen über den Broadcast, den wir
ständig empfingen. Am Samstag, 9.6., ankerten wird den ganzen Tag eine halbe
Seemeile vor Frederikshavn und konnten den Hafen mit seinem regen Schiffsverkehr
beobachten. Die Situation wurde als »Tierquälerei« empfunden, da es schön gewesen
wäre, mal einzulaufen und an Land zu gehen. In der Nacht auf Sonntag kam die
»Rommel« in der Dunkelheit angeschlichen und ankerte neben uns; nachts um 1 Uhr sah
ich den Zerstörer in der beginnenden Dämmerung. Schaurig. Morgens lagen Rommel,
Z 4, Z 5, Bayern, Sachsenwald und Z 2 nebeneinander; Schnellboote, Minensucher und
U-Boote waren in Frederikshavn eingelaufen. Zum Abschluß des Manövers machten die
Schiffe nacheinander eine Art Parade, zogen alle in einer Reihe an dem Führungsschiff
vorbei, um den Kommandeur zu grüßen, und ein kleiner Spion (ein Beobachtungsboot)
aus dem Ostblock erlaubte sich den Spaß oder die Frechheit, sich dabei mit einzureihen.
Sonst liefen wir im Juni nur noch für einen zweitägigen Aufenthalt in Flensburg
aus, ich weiß nicht mehr, zu welchem Zweck. In Kiel lag das Schiff irgendwann wieder
am Ostufer der Förde, diesmal nicht in Dietrichsdorf, sondern im Marinearsenal etwas
weiter zur Innenförde hin, wobei wohl Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Auch
wieder im Dock, wahrscheinlich in der relativ langen Pause Ende Juni.
Wochenende bei der Marine und Schiffssicherungsausbildung
In der ersten Julihälfte fand meine persönliche Seefahrtszeit einen runden Abschluß mit
einem ordentlichen Doppelpack, das noch einmal neuartige Erlebnisse bot.
Eine Spaß-Veranstaltung war das »Wochenende bei der Marine« in Pelzerhaken
(6.–8.7.). Ein Stück Öffentlichkeitsarbeit, um das Image der Marine zu pflegen und sich
unter dem Volk sehen zu lassen. Wir lagen zwei Tage lang vor Pelzerhaken auf Reede
und boten nachmittags den Kurgästen die Möglichkeit, das Schiff zu besichtigen, was
auch gern und viel in Anspruch genommen wurde; während der Öffnungszeiten fuhren
unsere zwei Kutter ständig hin und her, um Besucher an Bord und wieder zurück zu
bringen. An den beiden Abenden war dann jeweils ein Teil der Besatzung an Land und
ließ es sich wohl (oder auch weniger wohl) ergehen, außerdem gab es eine offizielle
Strandparty und Empfänge. Das Treiben der Gäste an Bord tangierte mich nicht
besonders, ich erledigte meinen Abschnittsdienst und blähte sonst ziellos herum. Im
Vorfeld des abendlichen Landgangs gab es dann unerfreuliche Szenen und eine gereizte
Atmosphäre, weil Leute blau waren und ein Streit um Landgangsrechte entstand. Als ich
mit einem Teil der Besatzung von Bord war, geriet ich irgendwie in die falsche Gruppe;
es ergab sich, daß wir in einer Diskothek total versackten, wobei ich so alkoholisiert wie
nur ganz selten war. Plötzlich, ehe man sich versieht, ist man in einem Zustand nahe am
Filmriß. Klüger waren diejenigen, die nicht so viel tranken, sondern sich unter das Volk
mischten, mit den Leuten redeten und sich Freundinnen anlachten, was meist nett und
harmlos war, obwohl es in Einzelfällen auch weiter gegangen sein soll. Ich dagegen
hatte mich nur sinnlos vollaufen lassen und kam ich weiß nicht mehr wie zurück an
Bord, um meinen Rausch auszuschlafen.
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Am Sonntagvormittag gab der Bürgermeister einen Empfang, zu dem eine
Delegation der Besatzung geladen war. Dabei erlebte ich zum ersten und einzigen Mal
ein dienstlich verordnetes Saufen. In der ganzen Situation lag eine ziemliche Komik.
Nach ein paar wohlgesetzten Worten des Bürgermeisters sowie des Kommandanten, auf
deren Inhalt es wenig anzukommen schien, stieß man mit Bier an. Ich hatte noch vom
Vorabend einen dicken Kopf, mochte nicht schon wieder Alkohol trinken und griff zu
einer Fanta, woraufhin der E-Meister mich diskret beiseite nahm und sagte: »Sagen Sie
mal, sind Sie krank? Sie können doch nicht hier auf einem Empfang Limonade trinken!«
Recht hatte er, es ging um Imagepflege, und zum Image eines anständigen Marinesoldaten gehört nun einmal, daß er Alkohol trinkt. – Am Sonntagabend war ich dann
noch einmal an Land und ging diesmal zu zweit mit dem Sani los, um ein erneutes
Besäufnis zu vermeiden. Wir wollten es nüchtern und gepflegt angehen, um mehr von
dem Abend zu haben, und hatten dann auch Gelegenheit, uns in der Sympathie zu
sonnen, die uns vielfältig entgegengebracht wurde. Als wir in einem Strandlokal Steak
essen gingen, spendierten Gäste am Nachbartisch uns Getränke. Junge Marinesoldaten
wirken äußerlich anders als die oliven Heeresmuffel, die blauen Uniformen haben etwas
Elegantes und Exotisches, vielleicht schwingt auch ein Hauch von fernen Ländern mit.
Man behandelte uns sehr freundlich. Wir trafen noch einige der jüngeren Besatzungsmitglieder und redeten. Die Veranstaltung ging mit dem von Bumbum abgebrannten
Feuerwerk auf dem Signaldeck zuende.
Die anschließende Schiffssicherungsausbildung ›C‹ vom 9. bis 12.7. war eine
ziemliche Rödelei, aber auf ihre Weise auch spaßig. Wir ankerten immer abends in der
Lübecker Bucht vor Neustadt und fuhren tagsüber hinaus auf die Ostsee, an Fehmarn
vorbei oder so, wobei das Ausbildungsteam aus Neustadt mit von der Partie war und
einiges für uns auf Lager hatte. Es wurde richtig Krieg gespielt, zum Lachen realistisch
inszeniert mit allerhand Simulationen, Rauchbomben, Verlöschen des Lichtes; sogar
Knaller haben sie detonieren lassen. Wir waren aufgefordert, unsere Phantasie spielen
zu lassen und so zu tun, als ob alles echt wäre. Gespielte Verletzte wurden täuschend
ähnlich und ekelhaft zurechtgeschminkt und mußten aus den unzugänglichsten Winkeln
des Schiffsinneren geborgen werden, was eine ziemliche Plackerei bedeutete (neben
meinem Funkerjob war ich als Hilfskrankenträger eingesetzt). Die Mannschaftsmesse
wurde zum Lazarett umfunktioniert. Es war nur die erste Stufe dieser Ausbildung, daher
waren die Übungen nicht allzu hart; von Unteroffizieren hörten wir, daß bei den
fortgeschrittenen Stufen die Kandidaten noch ganz anders fertiggemacht werden, z.B
wenn sie in teilweise brennenden Schiffswracks bis zum Oberkörper im Wasser stehen
und sich dann in Leckabdichtung, Feuerlöschen und ähnlichem bewähren müssen. Und
die Kampfschiffe, so hieß es, werden zur Ausbildung im internationalen FlottenTrainingszentrum in Portland (NATO-Rödelcenter) geschickt, wo die Rödelei Tag und
Nacht andauert. Dagegen war es bei uns harmlos. Einmal mußten wir bei ABC-Alarm
ganz weit hinunter ins Schiff (um im Ernstfall möglichst wenig Strahlung abzukommen)
und hockten dann mit aufgesetzter ABC-Maske und Stahlhelm direkt über dem
Backbord-Wellentunnel, das Ende des Alarms abwartend. Ich habe noch mitten in dem
Lärm und Gestank gepoft, denn sobald man untätig und stumpfsinnig dasaß, packte
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einen die Müdigkeit, noch gefördert durch die Wärme und das monotone Dröhnen von
Dieselmotor und Schraubenwelle sowie einen gewissen Sauerstoffmangel wegen der
ABC-Maske. Eher lustig war das Besteigen einer aufblasbaren Rettungsinsel, mit der
man sich auf der Ostsee schwimmend ein Stück vom Mutterschiff entfernte. Wenn ich
Seewache hatte und Funkabschnittsdienst machte, saß ich oft innerlich total distanziert
und unbeteiligt im Broadcast-Schapp und beobachtete das absurde Treiben. Unvergeßlich ist mir der Anblick von Maat W. mit Helm und ABC-Maske am Fernschreiber
(Profilansicht, es sah total skurril aus); ich hätte etwas darum gegeben, ihn so fotografieren zu können, und prägte mir stattdessen das Bild tief ins Gedächtnis ein.
Ebenfalls unvergeßlich ist mir der letzte Abend auf See, als wir in der Lübecker Bucht
ankerten, deren Lichterkette mir von früheren Urlauben her vertraut war. Ich habe es
außerordentlich genossen, an jenem Abend die Funkwache zu gehen. Im Funkraum
machte ich gedämpftes Licht, ließ alle Türen offen, spazierte im Brückenbereich herum
und blickte auf die Bucht, die ruhig in der Abenddämmerung lag. Es war mein letzter
Abend mit der »Offenburg« auf See und fast schon das Ende der Seefahrtszeit, da ich an
den letzten beiden Fahrten zu meiner Dienstzeit wegen Urlaubs nicht teilnahm.
In Kiel und am Ende wieder in Hamburg
Nach diesen Abenteuern nahm ich mir Zeit für einen Krankenhausaufenthalt wegen
einer fälligen kleinen Operation. Ich ließ mich vom Truppenarzt in das Bundeswehrkrankenhaus Kiel-Kronshagen einweisen (ca. 10 Tage Aufenthalt, wohl 16.–26.7.). Nur
die ersten ein bis zwei Tage nach der Operation waren unangenehm, sonst fand ich die
Zeit, die ich dort verbrachte, eigentlich ganz schön, zumal das Haus unterbelegt war und
ich zunächst kaum durch Nachbarn gestört wurde. Ich las fast den ganzen Tag, teils
eigene Bücher, teils solche aus der Krankenhausbücherei. Nach der Entlassung ließ ich
mich von einem Routine-Fahrdienst wieder zum Schiff bringen, erhielt dort zu meiner
freudigen Überraschung erstmal eine Woche Genesungsurlaub, der noch um zwei
Wochen normalen Urlaub verlängert wurde, und fuhr sogleich nach Hause. Ich konnte
die Zeit auch nutzen, um mir für das bevorstehende Studium in Münster ein Zimmer zu
suchen.
Wieder im Stützpunkt angelangt – das muß schon Mitte August gewesen sein –, gab
es fast nur noch langweilige Hafenroutine. Relativ breiten Raum nahm noch einmal das
Pönen ein; ich weiß noch, daß ich mehrere Tage bei heißem Sommerwetter ganz oben
auf Signaldeck und Brücke war und dabei auch den großen Schriftzug »A 1417« auf
dem Brückendach nachzeichnete. Es ging aber hauptsächlich darum, die rostigen Stellen
auszubessern, wozu man erstmal mit Hammer und Schleifpapier den alten Lack und die
Roststellen zertrümmerte und den Staub beseitigte, bevor man Rostschutzfarbe und
schließlich neuen Außenanstrich auftrug. Neu gestrichen wurde auch das Funkerdeck.
Wir durften uns die Farben aussuchen und einigten uns auf eine für meinen Geschmack
nicht optimale Kompromißlinie mit ziemlich viel Weiß und Rot, viel zu leuchtenden
Farben, deren Anblick auf Dauer kaum erträglich war. Es kam mir vor wie bei der
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Feuerwehr und ging umsomehr auf die Augen und die Nerven, als einem beim Streichen
noch von dem in den Lacken enthaltenen Lösungsmittel schlecht wurde und der Gestank
sich nur langsam verflüchtigte. Immer wieder mußten wir (Th. und ich, die bei einer
Wochenendwache einen Großteil dieser Arbeit machten), das Pönen unterbrechen, um
draußen frische Luft zu schnappen.
Der Funkabschnittsdienst war nicht mehr der Rede wert. Ich zitiere den FMO mit
einer Bemerkung zur Arbeitsverteilung: »Also, Herr Brandt, einer von uns muß heute
noch diese Vorschrift ins Regal zurückstellen, und einer muß die Seenotfunkboje
aufladen, was von beiden wollen Sie übernehmen?« Ich nahm die Vorschrift, er die
Boje, und dann machte jeder wieder seinen eigenen Kram. Das sagte er, nachdem wir
eine halbe Stunde geklönt hatten; er langweilte sich genauso wie ich, ließ sich ab und zu
für ein Schwätzchen im Funkraum blicken und ging dann wieder. Als die anderen
Urlaub hatten (das war vielleicht schon im September in Hamburg), habe ich manchmal
die Funkraumtür von innen verriegelt und gelesen, geschrieben oder sogar geschlafen. –
Bei den Wochenendwachen gingen wir dazu über, drei statt zwei Stunden auf einmal zu
gehen, um dafür nur zwei- satt dreimal pro Tag dran zu sein und dazwischen längere
Freiwachen zu haben. In den lauen Sommernächten war das besser erträglich, als es im
Winter gewesen wäre, und obwohl drei Stunden am Stück zu gehen hart war,
verbesserte es doch den Komfort ein wenig, man konnte besser schlafen und tagsüber
die freie Zeit an Bord besser nutzen.
Mittlerweile stellte ich mich auf die Zeit nach dem Wehrdienst ein, bewarb mich
wohl noch vor dem Krankenhausaufenthalt für den Studienplatz, der mir dann am
28./29. August Sonderurlaub zur Immatrikulation verschaffte. Dieser Sonderurlaub fiel
mit einer Übungsfahrt (ISEX Westbalt, Ankern Olpenitz) zusammen, die ohne mich
stattfand. Als ich vormittags zurück war und die »Offenburg« beim Einlaufen in Kiel
beobachtete (nochmal ein ganz neuer Anblick), wußte ich noch nicht, daß es mal wieder
eine Kollision bei der Seeversorgung gegeben hatte, diesmal mit dem Troßschiff
»Lüneburg«, was einen neuen Werftaufenthalt notwendig machte. Damit war die
Perspektive für den Rest der Zeit vorgegeben: Hamburg Norderwerft. Außerdem waren
Läuse aufgetreten, und die ganze Besatzung mußte auf Läuse hin untersucht werden.
Wir standen vor dem San-Deck Schlange und traten einzeln ein; der San-Meister, der
die Untersuchung durchführen mußte, war darum nicht zu beneiden.
Auch den Transit nach Hamburg am 3./4. September – wieder durch den Kanal und
wieder zur Norderwerft, wo im Januar alles angefangen hatte – erlebte ich nicht mit,
weil ich meinen restlichen regulären Urlaub nahm (Freitag 31.8. nach Dienstschluß war
ich weg). Als der Urlaub um war, ging es nach Hamburg zu der mir schon bekannten
Werft, um die allerletzten zwei Wochen meiner Dienstzeit abzureißen, die nicht mehr
aufregend waren, sondern mich fast nur noch anödeten. Das Schiff lag zeitweilig an der
Außenseite eines Docks, dann wieder an der Pier, nebenan der große Tanker »Spessart«
aus unserem Geschwader, den wir gut kannten. Einmal konnten wir zusehen, wie sie ihn
etwas unvorsichtig ins Dock schleppten und dabei eine kleine Kollision verursachten,
bei der am Dock etwas verbogen wurde. Ansonsten langweilten wir uns fast nur noch.
Außer Reinschiff, Abschnittsblähen, Wachegehen und Gammeln spielte sich nichts
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mehr ab. Am Sonntag, dem 23.9. – es war die letzte Wochenendwache – lag ich
vollkommen stumpfsinnig nachmittags drei Stunden lang in der Koje, bevor ich mich an
den Tisch setzte und in einer Art Brainstorming einen konfusen Rückblick auf die
Bordzeit zusammenschrieb. Ein andermal nahm ich mir in einem lichten Moment den
Ordner mit den Ein- und Auslaufmeldungen vor und erstellte eine Liste der Fahrten, die
die »Offenburg« während meiner Dienstzeit unternommen hatte (ohne diese Maßnahmen wäre es nicht möglich gewesen, den vorliegenden Bericht so zu schreiben). Eine
letzte Seefahrt, die vom 24. bis 27.9. dauern sollte, fiel aus, vielleicht weil das Schiff
nicht fertig war. Ich fotografierte noch viel auf dem Werftgelände, nachdem ich von den
besseren Gelegenheiten viel versäumt hatte, und ließ den Wehrdienst prosaisch
ausklingen. Am Ende mußte ich noch allerhand Zeug ersetzen, das ich mir hatte klauen
lassen, u.a. das Bordmesser und die Bootsmannsmaatenpfeife, beides begehrte Objekte,
die ich weniger leichtsinnig hätte aufbewahren sollen. M. und ich verabschiedeten uns
nach der Entlassung ohne viel Aufhebens am Bahnhof, fuhren im Sommerhemd als
wirkliche Zivilisten nach Haus, d.h. ohne lärmendes Reservistengetue, Hüte, Paddel
etc., wie die meisten Heizer und Ziegen sie sich angefertigt hatten, um den Entlassungstag zu feiern. Das brauchten und wollten wir nicht, es war für uns schon ganz vorbei und
wir gehörten wieder uns selbst.
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