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Niels von Dollen
Musiktherapeutische
Förderung von Menschen mit
autistischem Verhalten
Erste Staatsexamensarbeit
––– 1999 –––
föpädn.et
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Dollen, Niels von: Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem
Verhalten. Online im Internet: URL:
http://www.foepaed.net/volltexte/dollen/musiktherapie.pdf.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ........................................................................................................................ 1
2. Autismus ......................................................................................................................... 2
2.1 Definition und Terminologie ................................................................................... 2
2.2 Symptomatik ............................................................................................................ 3
2.3 Das autistische Spektrum ......................................................................................... 9
2.3.1 Frühkindlicher Autismus............................................................................ 11
2.3.2 Asperger-Syndrom ..................................................................................... 12
2.4 Autismus und geistige Behinderung ...................................................................... 12
2.5 Ursachenforschung ................................................................................................ 13
2.5.1 Wahrnehmungsverarbeitung ...................................................................... 13
2.5.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörung ........................................................... 14
2.5.3 Entstehungshypothesen .............................................................................. 16
2.5.3.1 Die Vier-Ursachen-Hypothese nach Kehrer ................................ 16
2.5.3.2 Prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende
Bedingungen nach Kusch und Petermann ................................... 19
2.5.3.3 Psychologische Erklärungsmodelle ............................................. 22
3. Musiktherapie............................................................................................................... 26
3.1 Wirkung von Musik auf den Menschen ................................................................. 26
3.1.1 Grundlagen der Musik................................................................................ 26
3.1.2 Wirkungsweisen der Musik ....................................................................... 27
3.2 Geschichte der Musiktherapie................................................................................ 29
3.3 Definition und Zielsetzung .................................................................................... 30
3.4 Musik im Schnittfeld zwischen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie ........ 31
3.5 Methodik der Musiktherapie .................................................................................. 32
3.5.1 Das Setting ................................................................................................. 33
3.5.2 Rezeptive und aktive Musiktherapie ......................................................... 34
3.5.3 Therapeutische Improvisation .................................................................... 35
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3.5.4 Zentrierung der Arbeit................................................................................ 37
3.5.5 Einzel- und Gruppentherapie ..................................................................... 39
3.5.6 Verlauf der Therapie .................................................................................. 39
3.6 Musiktherapie in der Sonderpädagogik ................................................................. 41
3.6.1 Musiktherapie bei Menschen mit schwerster Behinderung ....................... 42
3.6.2 Musiktherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung........................... 44
3.7 Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten ........ 45
4. Musiktherapeutische Förderung von zwei autistischen Jungen an der Schule für
Geistigbehinderte in Ellerbeck ................................................................................... 50
4.1 Methodisches Vorgehen ........................................................................................ 50
4.2 Beschreibung der Rahmenbedingungen ................................................................ 50
4.3 Beschreibung der Kinder ....................................................................................... 52
4.3.1 Kind A ........................................................................................................ 52
4.3.2 Kind B ........................................................................................................ 54
4.4 Die Förderung ........................................................................................................ 56
4.4.1 Förderung von Kind A ............................................................................... 57
4.4.2 Förderung von Kind B ............................................................................... 58
4.5 Beurteilung der Therapie ....................................................................................... 60
5. Schlussbetrachtung ...................................................................................................... 63
6. Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 64
7. Anhang .......................................................................................................................... 68
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1. Einleitung
Zur Laufbahn des Sonderschullehrers habe ich mich nach meiner Zivildienstzeit in einer
Tagesbildungststätte für Geistigbehinderte entschieden. In meiner Klasse war ich
hauptsächlich für die Betreuung eines autistischen Jungen zuständig. Im Laufe der 15
Monate habe ich begonnen, sein Verhalten besser zu verstehen und versucht, ihn meinen
Möglichkeiten entsprechend zu fördern. Dabei fehlte mir allerdings oft der theoretische
Hintergrund, um entscheiden zu können, was für ihn sinnvoll war und was nicht. Da ich zu
dieser Zeit in einer Band Baß gespielt habe und mir meine Klassenleiterin viel Freiraum
eingeräumt hat, habe ich auch probiert, mit ihm zu musizieren. Diese Erlebnisse waren für
mich entscheidend bei der Wahl des Themas meiner wissenschaftlichen Hausarbeit.
Aufgrund des großen Spektrums an autistischen Verhaltensweisen sollte eine Förderung
der betroffenen Menschen immer individuell auf deren Kompetenzen, Probleme und
Interessen abgestimmt sein. Viele Menschen mit autistischem Verhalten sind, wie auch
viele nicht-autistische Menschen, sehr an Musik interessiert. Daher bietet sich
musiktherapeutische Förderung als Möglichkeit des Zugangs und der Förderung von
kommunikativen Kompetenzen im nonverbalen Bereich an.
Mit der vorliegenden Arbeit möchte ich klären, inwieweit Musiktherapie im Problemfeld
Autismus sinnvoll einsetzbar ist. Des weiteren ist für mich von besonderem Interesse,
welche musikalischen Kompetenzen beim Therapeuten vorauszusetzen sind, da ich das
Fach Musik nicht studiert habe.
Bevor man sich mit dem Thema „musiktherapeutische Förderung von Menschen mit
autistischem Verhalten“ auseinandersetzt, müssen die Begriffe „Autismus“ und
„Musiktherapie“ unabhängig voneinander geklärt werden. Dazu werde ich zunächst den
Begriff Autismus klären, die möglichen Symptome beschreiben und verschiedene
Hypothesen zu den Ursachen des autistischen Verhaltens vorstellen. Dann werde ich mich
mit der Musiktherapie als Förderungsansatz innerhalb der Heilpädagogik beschäftigen.
Dabei soll geklärt werden, wie Musiktherapie aufgebaut sein kann und welche
Möglichkeiten der Förderung gegeben sind.
Abschließend möchte ich die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten durch
Musiktherapie anhand der Literatur beschreiben, um dann auf meine musiktherapeutische
Förderung an der Schule für Geistigbehinderte – Ellerbeck einzugehen.
Damit die vorliegende Arbeit besser zu lesen ist, verwende ich bei Personen immer die
männliche Form, gemeint ist aber immer auch die weibliche Form.
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2. Autismus
2.1 Definition und Terminologie
Das Wort „Autismus“ ist vom griechischen
(selbst) abgeleitet. Die Begriffe
„Autismus“ und „autistisch“ wird zum ersten Mal 1914 vom Schweizer Psychiater
EUGEN BLEULER verwendet.
Damit bezeichnet er ein einseitig auf sich selbst
bezogenes Denken, das vor allem bei Schizophrenen zu beobachten ist. Später verwendet
er den Begriff „autistisch“ auch in anderen Zusammenhängen. Der Begriff „Autismus“,
wie wir ihn heute verstehen, wird von dem amerikanischen Kinderpsychiater LEO
KANNER und dem österreichischen Pädiater HANS ASPERGER unabhängig voneinander
geprägt. 1943 beschreibt LEO KANNER in seiner Arbeit „Autistic disturbances of
affective contact“ Kinder als autistisch, deren Verhalten von einer starken Kontaktstörung
und extremer Bezogenheit auf sich selbst geprägt ist. Das beschriebene Krankheitsbild
bezeichnet er später als „early infantile autism“, also frühkindlichen Autismus (vgl. Kehrer
1995, S. 9).
Gleichzeitig verwendet HANS ASPERGER den Begriff „Autismus“ zur Beschreibung
einer erwachsenen Patientengruppe mit sehr ähnlichen Verhaltensweisen (vgl. Kehrer
1995, S. 9). Er bezeichnet das beobachtete Krankheitsbild als „autistische Psychopathie“.
In der heutigen Literatur wird diese Autismusform „Asperger-Syndrom“ oder „AspergerAutismus“ genannt (vgl. Walburg 1996, S. 20 und Bundesverband „Hilfe für das
autistische Kind“ 1996, S. 6).
Beide Autoren bezeichnen Autismus als eine Form der Kindheitspsychose. Dabei wird der
Entwicklungsaspekt der Kinder und der Unterschied zu Psychosen des Erwachsenenalters
lediglich durch die Beachtung des Alters bei Krankheitsbeginn berücksichtigt. RUTTER
(1978) ersetzt den Begriff „Psychose“ durch die Bezeichnung „Entwicklungsstörung“ und
drückt damit einen Wandel in der Sichtweise des Autismus aus. Er geht davon aus, daß bei
Menschen mit autistischem Verhalten nicht die zunächst normale Entwicklung durch
Fehlentwicklungen negativ beeinflußt wird, sondern daß eben der Entwicklungsprozeß
selbst gestört ist (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 11 f).
So unterscheidet sich Autismus auch von den Entwicklungsverzögerungen normaler oder
geistig behinderter Kinder. Der Entwicklungsprozeß der Kinder mit autistischem Verhalten
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ist nicht verzögert, sondern ist von Geburt an oder seit der frühen Kindheit verändert.
Durch die tiefgreifende Störung des Entwicklungsprozesses kommt es zu einer
autismusspezifischen Entwicklung, die weder der normalen Entwicklung noch der
verzögerten Entwicklung gleicht. Daher wird die autistische Störung im Rahmen der
dritten revidierten Auflage des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“
(DSM-III-R) als tiefgreifende Entwicklungsstörung klassifiziert (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 12 und 15).
Den ersten Veröffentlichungen von KANNER und ASPERGER folgen eine Vielzahl von
Publikationen anderer Autoren, die den Begriff „Autismus“ unterschiedlich ausdeuten.
Anfänglich zielt die Forschung hauptsächlich auf die Diagnose und die Abklärung der
Ursachen der autistischen Störungen ab. Die Frage der Diagnose ist inzwischen
befriedigend beantwortet worden, eine endgültige Klärung der Ursachen ist jedoch bis
heute nicht gelungen (vgl. Kehrer 1995, S. 11).
Daher bleibt die Definition auf die Syndrombeschreibung angewiesen, die Autismus als
„eine schwere chronische Verhaltensstörung (beschreibt), bei der die Einschränkung des
Kontakts, die Bezogenheit auf sich selbst im Vordergrund steht“ (Kehrer 1995, S. 11).
Im DSM-III-R werden die zu beobachtenden Symptome wie folgt gegliedert:
Beziehungsstörungen
(Beziehungen zu Mitmenschen werden nicht / eingeschränkt / ungewöhnlich
aufgebaut)
Kommunikationsstörungen
(Kommunikation wird nicht gesucht / ist nicht möglich)
Bewältigungsversuche
(Stereotypien / zwanghaftes Verhalten)
2.2 Symptomatik
Die Handlungsweisen von Menschen mit autistischem Verhalten können sehr
unterschiedlich sein. Die Diagnose der autistischen Störungen geschieht heute international
auf der Basis des DSM-III-R (vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und
Weiterbildung - Rheinland-Pfalz 1997, S. 8 f).
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Im DSM-III-R werden psychische Störungen auf folgenden fünf Achsen klassifiziert (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 15) :
I.
Klinisch – psychiatrisches Syndrom
II.
Entwicklungs- und Persönlichkeitsstörungen
III.
Somatische Störungen und Bedingungen
IV.
Schweregrad psychosozialer Stressoren
V.
Globale Einschätzung des Funktionsniveaus
Es werden neben den schon im DSM-III aufgeführten Klassifikationen „geistige
Behinderung“ und „umschriebene Entwicklungsstörungen“ im DSM-III-R erstmals auch
die „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ auf der Achse II in der Gruppe der
Entwicklungsstörungen aufgeführt. Die autistischen Störungen bilden die Hauptkategorie
der „tiefgreifenden Entwicklungsstörungen“ (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 16).
Um das große Spektrum an Verhaltensweisen von Menschen mit autistischem Verhalten
zu verdeutlichen, werde ich im folgenden diagnostische Kriterien für autistische Störungen
in Anlehnung an das DSM-III-R darstellen.
Das DSM-III-R gibt sechzehn Hauptmerkmale an, die auf eine autistische Störung
hinweisen. Von diesen müssen insgesamt mindestens acht zutreffen, damit von einer
autistischen Störung gesprochen werden kann. Dabei müssen zwei Merkmale aus der
Gruppe A zutreffen und je eins aus den Gruppen B und C. Die Kriterien der Gruppen A, B
und C werden im folgenden noch näher erläutert. Sie sind in Abhängigkeit von Lebensalter
und Intelligenzniveau in unterschiedlicher Ausprägung beobachtbar. Die sozialen und
kommunikativen Beeinträchtigungen sind bei allen Menschen mit autistischem Verhalten
vorhanden. Stereotype Verhaltensweisen hingegen müssen nicht unbedingt vorliegen (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 22). INNERHOFER und KLIEPERA (1988) geben
allerdings an, daß bei 97% einer größeren Gruppe autistischer Kinder Stereotypien
beobachtet wurden (vgl. Innerhofer / Kliepera 1988, S. 135).
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A. Qualitative Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen (reziproken) Beziehung
Die Betroffenen können kaum zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen. Dieser
Mangel
zeigt
sich
bereits
im
Kleinkindalter,
z.B.
durch
ein
fehlendes
Zärtlichkeitsbedürfnis, mangelnden Blickkontakt und eingeschränkte Mimik. Zuneigung
und Körperkontakt werden von diesen Kindern als unangenehm empfunden (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 23). Zärtlichkeiten werden allerdings nur bei einem kleinen Teil der
Kinder
aktiv
zurückgewiesen.
Trotz
der
beträchtlichen
Auffälligkeiten
im
Kontaktverhalten haben viele Eltern ein Gefühl der Nähe im Umgang mit ihrem Kind. Oft
zeigt sich jedoch eine Unsicherheit in der Einschätzung der Beziehung zum Kind. Von
Eltern werden folgende frühe Verhaltensmerkmale angegeben (vgl. Innerhofer & Kliepera
1988, S. 104):
Kleinkinder strecken seltener die Arme hoch, um aufgenommen zu werden.
Sie passen ihre Haltung weniger an, wenn sie von den Eltern getragen werden.
Daher erscheinen sie steif und wenig anschmiegsam.
Sie zeigen selten auf Gegenstände, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu
gewinnen.
Nach dem Laufenlernen laufen sie nicht mit Gegenständen, die sie zu
interessieren scheinen, zu den Eltern, um sie zu beteiligen.
Bezugspersonen sind häufig völlig austauschbar oder aber das Kind klammert sich
mechanisch an eine bestimmte Person. Die Bindung zu den Eltern kann sehr
ungewöhnliche Formen annehmen. So ist es z.B. möglich, daß das Kind seine Mutter
vorwiegend am Geruch erkennt. Das Kind zeigt kein oder ein stark beeinträchtigtes
Nachahmungsverhalten, z.B. ahmt es die häuslichen Aktivitäten der Eltern nicht nach oder
imitiert die Aktivitäten anderer zusammenhanglos und mechanisch (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 23).
Die größten Auffälligkeiten im Sozialverhalten sind im Umgang mit anderen Kindern zu
beobachten. Selbst wenn der Kontakt zu Erwachsenen bei älteren Kindern und
Jugendlichen besser wird, kommt es nur selten zu normalen Beziehungen zu Gleichaltrigen
(vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 105).
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Auch wenn die Störung in einigen Fällen erst nach einer relativ normalen sozialen
Entwicklung in den ersten Lebensjahren auftritt, wird von den betreffenden Kindern auch
in früher Kindheit kein kooperatives und phantasievolles Spiel entwickelt, und es werden
keine Freundschaften geschlossen. Werden die Kinder älter, können sie ein größeres
Bewußtsein für soziale Interessen entwickeln und Gleichaltrige unter Umständen als
„mechanische Hilfe“ in ihre stereotypen Spiele integrieren (vgl. Kusch & Petermann 1990,
S. 23).
Grundsätzlich lassen sich die Defizite im sozialen Bereich auf die mangelnde Fähigkeit,
soziale Beziehungen zu bilden und aufrechtzuerhalten, Emotionen einzuschätzen und
soziale Signale zu gebrauchen, zurückführen. So reagieren autistische Kinder z.B. nicht auf
die Gefühle anderer. Augenkontakt, Gesichtsausdruck, Körperhaltung und Gestik werden
nur wenig zu Regulation der sozialen Interaktion eingesetzt (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 16 f und 23 f).
B. Qualitative Beeinträchtigung der verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie der
Phantasie
Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind sowohl die verbale als auch die nonverbale
Kommunikation beeinträchtigt. Die Sprachfähigkeit fehlt bei ca. 30% (vgl. Schmidt 1998,
S. 21) der Betroffenen völlig (Mutismus). Entwickelt das Kind Sprache, so kommt es beim
Spracherwerb
häufig
zu
Sprachentwicklungsstörungen,
die
aber
mit
dem
entwicklungsverzögerten Spracherwerb nicht-autistischer Kinder vergleichbar sind. Die
Art der Fehler bei der Artikulation läßt darauf schließen, daß Kinder mit autistischem
Verhalten ihr phonologisches System entsprechend der normalen Sprachentwicklung
verzögert entwickeln. (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 80). Die Sprache von Kindern
mit autistischem Verhalten ist charakterisiert durch (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 24):
unterentwickelte, im wesentlichen normale grammatikalische Struktur
sofortige und verzögerte Echolalie
pronominale Umkehr (Vertauschen von „Du“ und „Ich“)
Unfähigkeit, Objekte zu benennen oder abstrakte Begriffe zu verwenden
idiosynkratische Äußerungen (Bedeutung nur für Personen verständlich,
die sehr mit dem Kind und seiner Entwicklung vertraut sind)
abnormer Tonfall (z.B. fragendes Anheben der Stimme)
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Auch wenn die sprachlichen Fähigkeiten mit denen nicht-autistischer Kinder vergleichbar
sind, kommt es häufig durch umständliche oder belanglose Äußerungen des Kindes zu
Störungen in der Kommunikation. Die abweichende Sprachentwicklung zeigt sich also
weniger in der Aussprache als in der Interaktion mit anderen Personen. Autistische Kinder
scheinen Sprache kaum für die Kommunikation einzusetzen und haben folglich große
Schwierigkeiten im pragmatischen Bereich. Eine weitere Problematik, die sich negativ auf
die pragmatischen Fähigkeiten der Kinder auswirkt, sind mangelnde Fähigkeiten, beim
Abstimmen der Sprache auf die Situation (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 24 und
Innerhofer & Kliepera 1988, S. 91 f).
Im Bereich der nonverbalen Kommunikation zeigt sich, daß Mimik, Gestik und
Körpersprache nie oder nicht in angemessener Form eingesetzt werden. Kinder mit
autistischem Verhalten lernen erst sehr spät, sich durch Zeigen auf Objekte oder Personen,
Kopfschütteln und Nicken verständlich zu machen (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S.
119). Des weiteren sind Störungen in der Intonation, der sprachlichen Modulation und
anderer Aspekte der Stimme (wie Stimmlage und Tonhöhe) zu beobachten. Die
Sprechweise autistischer Kinder wird häufig als hölzern, monoton, singend oder
papageienhaft bezeichnet (vgl. Innerhofer & Kliepera 1988, S. 88).
Dem Kind fehlt es meist an symbolischen und phantasievollen Spielen. Spielen bleibt auf
sich ständig wiederholende Handlungsmuster beschränkt. Das Kind ist nicht in der Lage,
erwachsenentypische Rollen einzunehmen oder Tiere nachzuahmen (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 17 und 26). Durch verbale und nonverbale Anregung ist es jedoch
möglich, symbolisches Spielverhalten zu fördern. Dabei erlernte Fähigkeiten können aber
meist nicht auf alltägliche Situationen übertragen werden (vgl. Innerhofer & Kliepera
1988, S. 73).
C. Deutlich beschränktes Repertoire von Aktivitäten und Interessen
Die tiefgreifende Störung des Kontakts zur Umwelt zeigt sich auch im Umgang mit
unbelebten Gegenständen. Kinder mit autistischem Verhalten beschäftigen sich häufig
lange mit dem Betasten, Belecken, und Beriechen von Gegenständen beziehungsweise
deren Oberflächen (vgl. Kehrer 1988, S. 22 ).
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Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind heftige Reaktionen schon bei geringfügiger
Änderung des Umfelds beobachtbar. Es zeigt sich weiter eine abnorme Bindung an
Objekte (Schnüre, Gummibänder,...) und stereotype Bewegungen (Händeklatschen,
Schwanken mit dem ganzen Körper,...). Ältere Kinder bestehen häufig auf das genaue
Einhalten gewohnter Abläufe bei wiederkehrenden Aktivitäten. Viele Kinder mit
autistischem Verhalten sind von Bewegungen verschiedenster Art fasziniert. So können sie
sehr lange und konzentriert einem elektrischen Ventilator oder einer laufenden
Waschmaschine zusehen. Häufig beobachtet wird auch das Kreiselnlassen verschiedener
runder Objekte. Die Kinder entwickeln häufig eine erstaunliche Geschicklichkeit, wenn es
darum geht, Dinge in Bewegung zu versetzen (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 25 und
Innerhofer & Kliepera 1988, S. 135 f) .
Auch im Bereich der Sprache sind - wie schon erwähnt - Stereotypien beobachtbar. Das
Kind mit autistischem Verhalten wiederholt bedeutungslose Wörter und Sätze. Diese
Echolalien wurden im Rahmen verschiedener Untersuchungen bei 75% der sprechenden
Kinder mit autistischem Verhalten gefunden. Ältere Kinder zeigen zum Teil ein
hervorragendes Langzeitgedächtnis, wenn sie Wortlaute, Lieder, Zugfahrpläne oder
ähnliches in exakter Form wiedergeben. Dieses Wissen wird meist ständig wiederholt,
auch wenn es nicht in den sozialen Kontext paßt. Echolalien machen auch bei anderen
Kindern mit wenig ausgebildeten sprachlichen Fähigkeiten weniger als die Hälfte der
sprachlichen Äußerungen aus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 25 und Innerhofer &
Kliepera 1988, S. 98).
Die eingeschränkten Verhaltensmuster sind für das Kind von genereller Bedeutung. Sie
werden auf neue Aktivitäten übertragen und treten sowohl bei autistischen Kindern mit
schwerer geistiger Behinderung als auch bei denen mit normaler Intelligenz auf (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 25).
D. Beginn im Kleinkindalter oder in der Kindheit (nach Vollendung des 3. Lebensjahres)
Dem DSM-III-R zufolge berichten die meisten Eltern von einem Beginn der Störung vor
dem Ende des 3. Lebensjahres. Selten wird von einem Beginn nach dem 5. oder 6.
Lebensjahr berichtet. Da die Kinder erst nach dem Auftreten der Schwierigkeiten
untersucht werden, ist die Festlegung des Alters bei Störungsbeginn allerdings auf
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Aussagen der Bezugspersonen angewiesen und damit sehr schwierig und ungenau. Die
ersten Anzeichen autistischer Störungen im Kleinkindalter sind schwerer zu bemerken als
die später zu beobachtenden Merkmale und werden daher von den Eltern meist übersehen.
Oft bemerken die Eltern erst Probleme, wenn sie ihr Kind zusammen mit anderen Kindern
beobachten. Sie neigen dann dazu, den Beginn der Störung auf diesen Zeitpunkt
festzulegen. Eine genauere Untersuchung ergibt in diesen Fällen häufig einen wesentlich
früheren Beginn. Es ist auch möglich, daß die Eltern ein für das Kind schwerwiegendes
Ereignis, z.B. den Tod eines nahen Verwandten, mit dem Beginn der Störung verbinden
(vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 27).
RUTTER und SCHOPLER setzen für die Diagnose des autistischen Syndroms ein
Vorhandensein der eher autismusspezifischen Entwicklungsbeeinträchtigungen vor dem
30. und 36. Lebensmonat voraus. Eine dazu von SHORT und SCHOPLER durchgeführte
Untersuchung ergab, daß 76% der Eltern von Kindern mit autistischem Verhalten ihr Kind
vor dem 24. Lebensmonat und 94% vor dem 36. Lebensmonat als autistisch identifizieren.
Die sehr spät als autistisch diagnostizierten Kinder weisen häufig eine höhere intellektuelle
Leistungsfähigkeit auf. Kinder mit größeren kognitiven Beeinträchtigungen werden
unabhängig vom tatsächlichen Störungsbeginn von ihren Eltern früher als autistisch
erkannt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S.28).
2.3 Das autistische Spektrum
In der älteren Literatur wird häufig „frühkindlicher Autismus“ und „Asperger-Syndrom“
unterschieden. Diese zwei Formen des Autismus, auf die ich später noch genauer eingehe,
werden allerdings zunehmend als Bestandteile eines „Autismusspektrums“ betrachtet.
ROLLETT und KASTNER-KOLLER sehen neben den klassischen Formen des Autismus
(„Asperger´scher“ und „Kanner´scher Autismus“) noch den „somatogenen“ und den
„psychogenen Autismus“ als Teil dieses Spektrums. Beim „somatogenen Autismus“ liegen
massive körperliche Schädigungen vor. Dieser Form der autistischen Störung werden also
auch Personen zugeordnet, die das autistische Verhalten aufgrund schwerer Erkrankungen
entwickeln. Dem psychogenen Autismus liegen nur geringe oder keine neurologischen
Schädigungen zugrunde. Er entwickelt sich aufgrund von lang anhaltenden belastenden
Umweltbedingungen wie Isolierung oder Mißhandlung (vgl. Rollett / Kastner-Koller 1994,
S. 4 f).
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Asperger -
Kanner-
Syndrom
Syndrom
Psychogener
Somatogener
Autismus
Autismus
AutismusFaktor
(vgl. Rollett / Kastner-Koller 1994, S.4 f)
KEHRER beschreibt in seinem Kapitel „Differentialdiagnostische Alternativen“ mehrere
Störungen des zwischenmenschlichen Kontakts, die er nicht zu den autistischen Störungen
zählt. Dabei ist besonders zu erwähnen, daß er auch das Deprivationssyndrom, das
aufgrund seiner Symptomatik nur schwer vom Autismus zu unterscheiden ist, nicht dem
autistischen Spektrum zuordnet. Deprivation entsteht durch die Isolierung des Säuglings
oder Kleinkindes und das Vorenthalten von Reizen in einer frühen Entwicklungsphase.
Diese Entstehungsgeschichte gleicht der des von ROLLETT und KASTNER-KOLLER
beschriebenen
„psychogenen
Autismus“.
Folglich
wäre
diese
Form
der
Entwicklungsstörung nach KEHRERS Meinung nicht im Spektrum der autistischen
Störungen enthalten (vgl. Kehrer 1995, 60 f).
KUSCH und PETERMANN sehen in mitbeteiligten - vom Autismus unabhängigen Beeinträchtigungen den Grund für die Breite des Verhaltensspektrums der vom Autismus
betroffenen Menschen. Diese Faktoren verändern nicht nur das Verhalten der betreffenden
Personen direkt, sondern beeinflußt auch rückwirkend die „autismusspezifische“ Störung
(vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 13 f und 20).
Um nun die „typische“ autistische Störung zu beschreiben, müssen autismusspezifische
Aspekte von den mitbeteiligten Anteilen des Störungsbildes unterschieden werden. Die
typischen autistischen Störungen fassen KUSCH und PETERMANN mit dem Begriff
„autistische soziale Dysfunktion“ zusammen. Diese autismusspezifischen sozialen
Beeinträchtigungen finden sich weder bei sehr jungen nicht-behinderten Kindern noch bei
Kindern
mit
geistiger
Behinderung
und
sind
daher
nicht
Ausdruck
einer
Entwicklungsverzögerung. Die „autistische soziale Dysfunktion“ beschreibt daher
Verhaltensweisen, die der tiefgreifenden Entwicklungsstörung zuzuschreiben sind (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 15 u. 20-22) .
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Die „autistische soziale Dysfunktion“ beinhaltet drei Störungsaspekte:
1. zwischenmenschliche Interaktion und soziale Kommunikation
(verbal sowie nonverbal)
2. mangelndes Verstehen und Äußern von Gefühlen
3. verändertes Kontaktverhalten und Anhänglichkeit
Neben diesen Verhaltensdefiziten zeigen sich drei besondere Kompetenzen:
1. durchschnittliche oder annähernd durchschnittliche Intelligenz
(teilweise nur im Verbal- bzw. im Handlungsteil)
2. rezeptive und expressive Sprachfähigkeit
(ohne pragmatisches Verständnis)
3. funktionale und teilweise symbolische Spielfähigkeit
(ohne die Fähigkeit, so zu tun „als ob“)
Diese autismusspezifischen Auffälligkeiten sind charakteristisch für alle Kinder mit
autistischem
Verhalten.
Wahrnehmungsprobleme,
verzögerungen
sehen
Ungewöhnliche
Reaktionen
Aussprachestörungen
die
Autoren
als
nicht
und
auf
die
kognitive
autismusspezifisch
Umwelt,
Entwicklungsan.
Diese
Beeinträchtigungen sind auf mitbeteiligte Störungen zurückzuführen und nicht bei allen
Kindern beobachtbar (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 22).
2.3.1 Frühkindlicher Autismus
Das Erscheinungsbild des frühkindlichen Autismus wandelt sich während der Entwicklung
des Kindes. Schon der Säugling zeigt eine extreme autistische Abkapselung gegenüber
seiner menschlichen Umwelt. Andere Personen scheinen für diese Kinder nicht zu
existieren. Es zeigt sich weiter, daß diese Kinder auf Veränderungen mit ängstlichen
Erregungszuständen reagieren und zu „Zwangsritualen“ neigen. Des weiteren sind noch
Symptome zu nennen, die sich erst im Laufe der weiteren Entwicklung des Kindes zeigen.
Dazu zählen z.B. Sprachentwicklungsverzögerungen. Kinder, die dem frühkindlichen
Autismus zuzuschreiben sind, zeigen ein enges und positives Verhältnis zu Gegenständen.
Motorische Auffälligkeiten sind z.B. Stereotypien, häufiges Beriechen und Belecken von
Gegenständen, Augen- und Ohrenbohren, Grimmassieren oder völlige mimische Armut,
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gesteigerte Bewegungsunruhe und Zehenspitzengang. Häufig werden diese Kinder als sehr
impulsiv beschrieben. Sie zeigen unmotivierte Ängste, und oft fehlt es an normalen
emotionalen Reaktionen (vgl. Walburg 1996, S. 48 und 49).
2.3.2 Asperger-Syndrom
Kinder, die als Asperger-Autisten bezeichnet werden, zeigen erst ab dem dritten
Lebensjahr die typischen Auffälligkeiten. Als wichtigste Symptome sind wieder die
Abkapselung von der Umwelt und eine massive Kontaktstörung zu nennen. Diese
Merkmale sind jedoch nicht so ausgeprägt wie bei Menschen, die dem frühkindlichen
Autismus zuzuordnen sind. Beziehungen zu anderen Personen werden meist als
disharmonisch und widersprüchlich beschrieben. Häufig ist auch eine Neigung zu
aggressivem Verhalten zu beobachten. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus kommt
es nur sehr selten zu Veränderungsängsten. Die Sprachentwicklung setzt bei diesen
Kindern schon sehr früh ein. Es zeigen sich auffällige Bewegungsstereotypien. Außerdem
werden Asperger-Autisten häufig als motorisch ungeschickt beschrieben. Des weiteren
besteht oft eine Überempfindlichkeit für Lärm, Geschmacksempfindungen oder
Bewegungen von Menschen. Die intellektuellen Fähigkeiten werden meist als
überdurchschnittlich bezeichnet. Dabei zeigen sich häufig Sonderinteressen, mit
außerordentlichen Kenntnissen. Die Bereiche des Gemüts und der Gefühle sind stark
eingeschränkt bzw. gestört. Gefühle können dabei nicht adäquat ausgedrückt oder
empfunden werden. Bei sehr hoher Intelligenz ist mit Hilfe einer unterstützenden Therapie
eine teilweise Kompensation der autistischen Symptomatik möglich (vgl. Walburg 1996,
S. 48 f).
2.4 Autismus und geistige Behinderung
Bis zum Ende der 60er Jahre galten Menschen mit autistischem Verhalten als mit
testpsychologischen Verfahren untestbar. Diese Auffassung wurde allerdings widerlegt. Es
gibt verschiedene standardisierte psychometrische Verfahren, die sich als durchführbar
erwiesen haben und deren Aussagen sich als zutreffend herausstellten (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 12).
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12
Die „Handreichungen zu den Empfehlungen zur Förderung von Schülerinnen und Schülern
mit autistischem Verhalten“ aus Rheinland-Pfalz empfehlen mehrere „Verfahren zur
Einschätzung intellektueller Kompetenzen“ bei Schülern mit autistischem Verhalten (BM
und CM aus dem TBGB, CMM, CFT 1 und SON 2 ½ -7).
Bei Kindern mit autistischem Verhalten sind seither häufig auch Intelligenzdefizite
beobachtet worden. Es zeigten sich nach KUSCH und PETERMANN bei ca. 70% der
Kinder mit autistischem Verhalten intellektuelle Leistungen im Bereich der geistigen
Behinderung (IQ unter 70) (vgl. Kusch Petermann 1990, S. 160). KEHRER hingegen gibt
an, daß etwa ein Drittel der von ihm beobachten Kinder als geistig behindert eingeschätzt
werden können (vgl. Kehrer 1988, S. 22). Dieser Widerspruch ist jedoch nicht
verwunderlich, da die Begriffe „Autismus“ und „Geistige Behinderung“ stark von der
Definition der entsprechenden Autoren abhängen.
Die Befunde sind vermutlich nicht autismusspezifisch. Da sich auch Kinder mit
autistischem Verhalten finden, die in der Überprüfung der Intelligenz mit standardisierten
Verfahren normale Leistungen zeigen, sind die zu beobachtenden intellektuellen Defizite
vermutlich einer vom Autismus unabhängigen Störung zuzuordnen (Kusch & Petermann
1990, S. 13 f).
2.5 Ursachenforschung
2.5.1 Wahrnehmungsverarbeitung
Die Ursachen des autistischen Syndroms konnten bisher nicht eindeutig bestimmt werden.
Man geht davon aus, daß mehrere Ursachenfaktoren zusammenwirken. Es steht allerdings
fest, daß beim autistischen Syndrom eine Störung der Wahrnehmungsverarbeitung
vorliegt. Sensible und sensorische Reize aus der Umwelt können nicht richtig koordiniert
werden. Dies gilt wahrscheinlich auch für Reize aus dem eigenen Körper. Die
Schwierigkeiten, Wahrnehmungen zu verarbeiten, beginnen vermutlich schon bei der
Auswahl der angebotenen Reize. Um sich in der Umwelt orientieren zu können, müssen
relevante von irrelevanten Informationen unterschieden werden und zur Verarbeitung
weitergeleitet oder ignoriert werden. Es wird vermutet, daß dieser Prozeß bei Menschen
mit autistischem Verhalten gestört ist (vgl. Kehrer 1995, S.69 ff).
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13
Eine weitere Störung der Wahrnehmung kann auch eine mangelhafte Koordination der
Reize auf verschiedenen Sinnesgebieten sein. Damit eine Sinneswahrnehmung richtig
verarbeitet werden kann, muß sie einem bestimmten Wahrnehmungskanal zugeordnet
werden. Die empirischen Untersuchungen von HERMELIN und O´CONNER (1970, 1978)
ergaben, daß bei autistischen Kindern vor allem optische und akustische Reize nicht richtig
koordiniert wurden. Bei bestimmten Versuchsanordnungen verhielten sie sich wie Blinde,
bzw. wie Taube, obwohl die periphere Wahrnehmung der Augen und Ohren intakt war
(vgl. Kehrer 1995, S. 69).
DELACATO beschreibt die Wahrnehmungsstörung als eine Störung der Nervenbahnen
von den Sinnen zum Gehirn. Diese Bahnen können in folgender Weise gestört sein:
Hyperempfindlichkeit:
Eine überempfindliches Sinnessystem übermittelt zu viele Sinneseindrücke an das
Gehirn.
Hypoempfindlichkeit:
Ein träges Sinnessystem übermittelt zu wenig Sinneseindrücke an das Gehirn.
Weißes Rauschen:
Ein minderwertiges Sinnessystem übermittelt von Eigenreizen überlagerte und
somit unverständliche Reize an das Gehirn.
Diese Störung der sensorischen Integration erklärt das Ausweichen autistischer Menschen
auf die „niederen Sinne“, wie Riechen, Tasten und Schmecken, das stereotype Verhalten
sowie die Abkapselung von der aufgrund der Wahrnehmungsstörung verwirrenden Welt
(vgl. Delacato in: Walburg 1996, S. 57 und Kehrer 1988, S. 24).
2.5.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörung
Wie schon erwähnt werden die autistischen Störungen im DSM-III-R als tiefgreifende
Entwicklungsstörung verstanden. RUTTER (1978) berücksichtigt den Entwicklungsaspekt
der Entstehung des Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 29).
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14
„Diagnostische Kriterien des Infantilen Autismus (nach Rutter, 1978).
Krankheitsbeginn vor dem 30. Lebensmonat.
Gestörte Sozialentwicklung, die eine Anzahl spezieller Kennzeichen aufweist und
nicht in Beziehung zum Intelligenzniveau des Kindes steht.
Verzögerte und abweichende Sprachentwicklung, die ebenfalls bestimmte
Besonderheiten besitzt und nicht in Beziehung zum Intelligenzniveau steht.
Beharren auf Gleichförmigkeit, wie stereotype Spielgewohnheiten, abnorme
Vorlieben und Widerstand gegen Veränderungen.“
(Kusch & Petermann 1990, S.12)
Dieser Wechsel im Verständnis der autistischen Störungen führt zur Erforschung
verschiedener Entwicklungsaspekte, die an der Entstehung beteiligt sein könnten. Daraus
werden differenzierte Ansätze zur Definition und Klärung des Autismus abgeleitet. Der
Autismus ist demnach auf angeborene oder erworbene Fehlfunktionen zurückzuführen.
Außerdem sind verschiedene prä-, peri-, und postnatale Faktoren (siehe Kapitel 2.5.3)
beteiligt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 29).
Beim Autismus werden spezifische Beeinträchtigungen der kommunikativen, affektiven
und kognitiven Entwicklung und eine wechselseitige Beeinflussung dieser Bereiche
vermutet. Durch die Beeinträchtigung dieser Gebiete in der frühen Kindheit kommt es zu
einer tiefgreifenden und lang anhaltenden Beeinflussung aller anderen Bereiche der
Entwicklung. Daher ist die Festlegung auf einen spezifischen psychologischen Faktor nicht
möglich. Eine endgültige Definition des Autismus wird erst möglich sein, wenn die
Zusammenhänge der neuronalen und psychischen Entwicklung geklärt sind (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 30).
Autismus wird heute als lebenslange andauernde Störung angesehen, die nicht auf Kindheit
oder Jugendalter begrenzt ist. Bei der Mehrheit der erwachsenen Menschen mit
autistischem
Verhalten
findet
man
auch
weiterhin
die
autistischen
sozialen
Beeinträchtigungen. Trotzdem ist es für einige Personen möglich, im Erwachsenenalter
nicht mehr alle wesentlichen Merkmale des Autismus zu zeigen (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 31).
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15
2.5.3
Entstehungshypothesen
Die Entstehung der autistischen Störungen ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Im
folgenden werde ich Hypothesen darstellen, die mögliche Ursachen für das autistische
Syndrom anführen. Dabei wird heute im allgemeinen von einer multikausalen Entstehung
des Autismus-Syndroms ausgegangen, d.h. verschiedene Ursachenfaktoren werden
gemeinsam zur Erklärung herangezogen (vgl. Kehrer 1995, S. 74).
2.5.3.1 Die Vier-Ursachen-Hypothese nach Kehrer
KEHRER geht von einer multikausalen Entstehung der autistischen Störung aus. Er
unterscheidet dabei vier Ursachenfaktoren:
a) Psychogene Entstehung
Ein bedeutender Vertreter dieses Aspekts ist KANNER. Er beschreibt die Eltern
autistischer Kinder als „emotional frigide“ und „ungesellig“ und hält die Kinder aufgrund
der „mechanischen“ und „perfektionierten“ Erziehung der Eltern für emotional frustriert.
Der Erziehung der Eltern fehle die „emotional-affektive Wärme“ und die „positive
Einstellung“, die das Kind zur Entwicklung benötige (vgl. Feuser 1980, S. 23).
KEHRER relativiert den Einfluß der Betreuung auf die Symptomatik des Autismus. Eine
exakte Prüfung des Zusammenhangs von autistischem Verhalten und der Betreuungspraxis
der Mütter von DE MEYER (1979) ergibt, daß der Umgang der Mütter mit dem Kind als
Ursache des Autismus nicht ausreicht, sondern daß diese negativen Umwelteinflüsse die
Symptomatik lediglich verschlimmern können (vgl. Kehrer 1995, S. 75).
Des weiteren ist zu berücksichtigen, daß man im Umgang mit Eltern autistischer Kinder
sehr feinfühlig vorgehen muß. Die Eltern behinderter Kinder - im weitesten Sinne - neigen
ohnehin dazu, sich die Schuld an der Behinderung ihrer Kinder zu geben. Daher sollte auch
unter Berücksichtigung der Untersuchungen, die eine Entstehung der autistischen
Störungen durch Betreuungsfehler ausschließen, von einer Schuldzuweisung an die Eltern
abgesehen werden (vgl. Kehrer 1988, S. 23).
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16
b) Erbbiologische Aspekte
Bereits ASPERGER unterstellte mit der Beschreibung einer besonderen Form des
Autismus, der „autistischen Psychopathie“, daß das autistische Syndrom von den Eltern an
die Kinder weitervererbt wird, denn Psychopathie ist eine erbliche und angeborene
Persönlichkeitsstörung. Er beschreibt dementsprechend auch die Väter der entsprechenden
Kinder als autistisch. Für diese Aussage gibt es allerdings bisher keine empirischen Belege
(vgl. Kehrer 1988, S. 77).
KEHRER sieht die Vererbung als eine Ursache neben anderen. Er ist der Meinung, daß
sich Menschen mit einem voll ausgeprägten autistischen Verhalten aufgrund der
entsprechenden Symptomatik kaum fortpflanzen und die Vererbung daher als alleinige
Ursache auszuschließen ist. Die Vererbung von Wesenseigentümlichkeiten, wie z.B.
Kontaktarmut oder Zwangsmechanismen, die eine gewisse Ähnlichkeit zu den Symptomen
des Autismus haben, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Es muß aber einschränkend
erwähnt werden, daß exakte empirische Untersuchungen an größeren Populationen bisher
fehlen (vgl. Kehrer 1995, S. 77).
Neuere Untersuchungen scheinen auf das Vorliegen einer genetischen Ursache
hinzuweisen. So zeigte sich z.B., daß Brüder und Schwestern autistischer Kinder viel
häufiger
Wahrnehmungsstörungen,
Sprachentwicklungsverzögerungen,
Lern-
schwierigkeiten und geistige Behinderungen aufwiesen als die Geschwister nicht
autistischer Kinder. FOLSTEIN und PIVEN sind der Meinung, daß bei Geschwistern
autistischer Kinder ein erhöhtes genetisches Risiko für autistisches Verhalten vorliege.
Außerdem zeige sich bei ihnen eine Tendenz zu anderen sozialen und kognitiven Defiziten
(vgl. Kehrer 1995, S. 79).
Der Nachweis einer erblichen Ursache bleibt bei den vorliegenden Untersuchungen sehr
unspezifisch. Es wird nicht geklärt, ob der genetische Einfluß auf eine kognitive Störung
beschränkt ist oder ob er auch eine hirnorganische Störung beinhaltet. Wenn man
berücksichtigt, daß sehr viele Krankheiten eine erbliche Disposition als Voraussetzung
haben (Krebs, Psychopathie, ...), muß auch der genetische Einfluß relativiert werden. Es
handelt sich wahrscheinlich um eine Ursache unter vielen (vgl. Kehrer 1995, S. 79).
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17
c) Hirnschädigung als Ursache
Ein weiterer Faktor der multikausalen Entstehung des Autismus, den KEHRER anführt,
sind negative Einflüsse von außen, die zu Gehirnschäden führen. Dazu gehört auch ein
Sauerstoffmangel des Kindes während der Geburt. Eine Untersuchung von 80 autistischen
Kindern von WILHELM (1977) zeigte, daß bei 64% der Kinder von einem prä- oder
perinatalem Hirnschaden ausgegangen wurde (vgl. Kehrer 1995, S. 79). Bei ähnlichen
Studien, die POLLACK und WOERNER (1966) und TORREY und Mitarbeiter (1975)
durchführten, konnte ein Zusammenhang von Schwangerschaftskomplikationen und dem
autistischen Syndrom nachgewiesen werden (vgl. Kehrer 1995, S. 80).
Ein Zusammenhang mit perinatalen und postnatalen Störungen ist bisher nicht statistisch
gesichert. Allerdings gibt es einige Studien, die auf eine Verbindung zwischen
Schädigungen des Gehirns in der frühen Kindheit (bis ca. 2 Jahren) und der Entstehung des
autistischen Syndroms hinweisen (vgl. Kehrer 1995, S. 80 f).
d) Hirnkrankheiten als Ursache
Die autistische Störung kann auch durch Krankheiten verursacht werden, die schon seit der
Zeugung vorhanden, also in den Chromosomen vorgegeben sind. Dazu gehören z.B. das
Down-Syndrom oder das Klinefelter-Syndrom. Vereinzelt wird von Kindern mit
autistischem Verhalten berichtet, die gleichzeitig Chromosomenanomalien aufweisen.
Fraglich erscheint allerdings, ob es einen Zusammenhang zwischen der Entstehung des
Autismus-Syndroms und solchen Chromosomenanomalien gibt (vgl. Kehrer 1995, S. 82).
Es läßt sich zusammenfassend feststellen, daß KEHRER einige Ursachen des autistischen
Syndroms als geklärt ansieht. Das Zusammenspiel der vier einzelnen Ursachenfaktoren
sind jedoch noch nicht ausreichend geklärt. Seiner Meinung nach handelt es sich
ursächlich gesehen nicht um eine einheitliche Krankheit. Einheitlich erscheint nur die
Symptomatik, die auf eine Störung der Wahrnehmungsverarbeitung zurückzuführen ist, die
bereits in Kapitel 2.5.1 behandelt wurde (vgl. Kehrer 1995, S. 86).
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18
2.5.3.2 Prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren nach Kusch und
Petermann
KUSCH und PETERMANN unterscheiden an der Entstehung, dem Ausbruch und der
Aufrechterhaltung des Autismus beteiligte Faktoren. Diese Faktoren können biologischer,
psychologischer und sozialer Natur sein. Prädisponierende Faktoren wirken in einer frühen
Phase der Entstehung einer Störung und werden im allgemeinen als die eigentliche
Ursache verstanden. Durch die prädisponierenden Faktoren wird aber nur die
Anpassungsfunktion des Organismus beeinträchtigt, was nicht notwendigerweise zur
Ausbildung der Symptomatik führen muß. Dazu sind zusätzlich noch auslösende Faktoren
nötig. Das Ausmaß der prädisponierenden Faktoren bestimmt, welcher Art die auslösenden
Faktoren sein müssen, damit es zur Entwicklung einer Symptomatik kommt. Neben den
prädisponierenden und auslösenden Faktoren sind vor allem die aufrechterhaltenden für
den Verlauf der Störung verantwortlich (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 37).
Prädisponierende Faktoren
Eine genaue Klärung der prädisponierenden Faktoren des Autismus ist bisher noch nicht
gelungen. Aufgrund der sehr unterschiedlichen neurologischen Befunde wird im
allgemeinen von multiplen prädisponierenden Faktoren ausgegangen. Die beeinträchtigten
Hirnareale sind vermutlich für die Störung der sozialen Interaktion und der symbolischen
Vorstellung verantwortlich, lassen aber andere kognitive Funktionen und bestimmte
Sprachfunktionen unbeeinträchtigt. KUSCH und PETERMANN schließen daraus, daß ein
spezifischer
Prozeß
zu
einem
bestimmten
Zeitpunkt
die
Entwicklung
des
Zentralnervensystems beeinträchtigt. Dadurch kommt es zu anhaltenden strukturellen und
funktionalen Beeinträchtigungen bestimmter Hirnareale, die wiederum den im Kapitel 2.2
beschriebenen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen zugeordnet werden können (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 37).
Bei den meisten Menschen mit autistischem Verhalten lassen sich keinerlei
grobstrukturelle
Veränderungen
des
Zentralnervensystems
nachweisen.
Bisher
identifizierte organische Störungen sind nur bei einer geringen Anzahl der betroffenen
Personen zu finden. Die meisten grobstrukturellen Veränderungen lassen sich auf die
mitbeteiligte geistige Behinderung zurückführen. Störungen in der ersten Phase der
zentralnervösen
Entwicklung
(grobstrukturelle
Entwicklung)
führen
zu
leicht
identifizierbaren organischen Veränderungen. Daher muß der für die autistischen
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19
Störungen verantwortliche Prozeß in der zweiten Phase der zentralnervösen Entwicklung
(feinstrukturelle Entwicklung) wirksam sein, in der es zur neuronalen Differenzierung, zur
Ausbildung von Synapsen und zur Myelisierung der Nervenbahnen kommt. Dieses
Endstadium der zentralnervösen Entwicklung liegt kurz vor und kurz nach der Geburt (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 38 ff).
Für die Lokalisierung der neurologischen Störung gibt es nach KUSCH und
PETERMANN drei Möglichkeiten. Sie kann als Dysfunktion der Strukturen im
Temporallappen, Mesolimbische-striatale Dysfunktion oder als gestörte sensorische
Modulation auf Hirnstamm-Ebene vorliegen. Alle drei Hypothesen lassen sich durch eine
Anzahl von Studien bestätigen. Zum Teil überschneiden sie sich in der Erklärung der
autistischen Symptome und der betroffenen neuronalen Systeme (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 40).
Da die für den Autismus verantwortliche neurologische Störung in den späten Stadien der
zentralnervösen Entwicklung eintritt, können feinstrukturelle neuroanatomische und
neurochemische Fehlfunktionen vorliegen. Zu feinstrukturellen Veränderungen wurden
bisher nur wenige Untersuchungen an Einzelpersonen durchgeführt, die bisher keine
bedeutsamen Befunde nachweisen konnten. Dies ist damit zu begründen, daß nicht die
Anzahl der Neuronen bei Menschen mit autistischem Verhalten verändert ist, sondern die
Neuronendifferenzierung, die Synapsenentwicklung oder die Myelinisierung. Solche
Veränderungen sind zur Zeit nicht ausreichend zu erforschen, so daß feinstrukturelle
Veränderungen bei Menschen mit autistischem Verhalten heute noch nicht nachweisbar
sind. In letzter Zeit werden auch neurochemische Prozesse als mögliche Ursache der
autistischen Störungen in Betracht gezogen. Für diesen Erklärungsansatz sprechen auch
neurochemische Studien. Bisher gibt es drei wichtige neurochemische Hypothesen zum
Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 41 f):
1. Die Serotonin – Hypothese
Bei 25% aller Kinder mit autistischem Verhalten ist ein erhöhter
Serotoninspiegel
nachweisbar.
Diese
Befunde
sind
vermutlich
nicht
autismusspezifisch, da sie häufig mit einer geistigen Behinderung einhergehen.
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2. Die Dopamin – Hypothese
Bei 50% aller Kinder mit autistischem Verhalten ist ein erhöter Dopaminwert
nachweisbar. Eine mögliche Beteiligung des Dopamins an den autistischen
Störungen wird durch die Bemühungen der pharmakologischen Therapie
unterstützt. Die Auffälligkeiten der Dopaminwerte ist unabhängig von einer
geistigen Behinderung beobachtbar.
3. Die Neuropeptid – Hypothese
Bei 54% der Kinder mit autistischem Verhalten liegen Störungen bestimmter
Neuropeptidmuster vor. Weitere Befunde liegen zu dieser Hypothese noch nicht
vor.
Die prädisponierenden Faktoren beeinträchtigen nur die Anpassungsfunktionen des
Organismus. Das Auftreten von Symptomen ist damit noch nicht zwingend gegeben. Es
müssen außerdem auslösende Faktoren hinzukommen, die den Ausbruch der Störung
bewirken (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 42).
Auslösende Faktoren
Über die auslösenden Faktoren der autistischen Störungen ist bisher noch sehr wenig
bekannt. Sie können biologischer, psychologischer und sozialer Natur sein und führen im
Gegensatz zu den prädisponierenden Faktoren direkt zu einer Veränderung des Verhaltens.
KUSCH und PETERMANN nennen zwei auslösende Faktoren, die identifizierbar sind.
Zum einen das Geburtsereignis selbst, das an das Zentralnervensystem völlig neue
Anforderungen stellt und damit zu einer Symptomentwicklung beitragen kann. Zum
anderen die entwicklungsbedingten psychischen Anforderungen des 8. bis 24.
Lebensmonats. In dieser Zeit werden spezifische psychologische Funktionen ausgebildet.
Es werden zwei voneinander relativ unabhängige auslösende Bedingungskonstellationen
vermutet. Dies wird damit begründet, daß 76% der Kinder mit autistischem Verhalten vor
dem 24. Lebensmonat Entwicklungsstörungen zeigen, was sich durch die oben erwähnten
Anforderungen erklären ließe. Da es aber auch zu einer Ausbildung der autistischen
Symptomatik nach einer annähernd normalen Entwicklung in den ersten Lebensjahren
kommen kann, wird außerdem von auslösenden Bedingungen ausgegangen, die an einem
Beginn der Symptomatik nach dem 3. Lebensjahr beteiligt sind (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 42 ff).
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21
Aufrechterhaltende Faktoren
Die für den Verlauf der autistischen Störung verantwortlichen aufrechterhaltenden
Bedingungen sind relativ gut bekannt. Dazu gehört vor allem die Intelligenz. So führt ein
IQ-Wert über 55 bis 60 zu einer günstigen Prognose, was den weiteren Verlauf der Störung
angeht. Ein Intelligenzquotient von 70 oder darüber spricht nicht zwangsläufig für einen
günstigen Verlauf der Entwicklung. Bildet das Kind vor dem 5. Lebensjahr eine sinnvolle
Sprache aus, so wirkt sich das positiv auf den weiteren Verlauf aus. Kinder mit einem IQWert unter 50 haben kaum eine Möglichkeit, sinnvolle Sprachfähigkeiten nach dem 5.
Lebensjahr zu entwickeln. Die Sprachentwicklung ist damit auch von der Intelligenz
beeinflußt (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 46).
2.5.3.3 Psychologische Erklärungsmodelle
Mit Hilfe der psychologischen Erklärungsmodelle wird versucht, grundlegende psychische
Störungsaspekte
aufrechterhalten.
zu
beschreiben,
KUSCH
und
welche
die
PETERMANN
autismusspezifische
stellen
fünf
Symptomatik
psychologische
Erklärungsmodelle gleichberechtigt vor, weil sie das psychologische Kernproblem der
Kinder mit autistischem Verhalten aus unterschiedlichen Perspektiven darstellen. Es wird
im allgemeinen davon ausgegangen, daß nicht einzelne psychische Aspekte gestört sind,
sondern die Interaktion zwischen ihnen.
Logico – affektive Theorie nach HERMELIN und O`CONNER
Dieser Theorie zufolge ist der Autismus in einer Störung des kognitiv-emotionalen
Bereichs begründet. Demnach liegt zwischen dem Plan einer Handlung (Regung) und der
Handlung selbst häufig eine spontane emotionale Reaktion (Affekt). Daher wird eine
Handlung von einen kognitiv-emotionalen Zustand bestimmt. HERMELIN und
O`CONNER belegen anhand von Studien, daß sowohl gestörte kognitive als auch gestörte
affektive Prozesse so miteinander interagieren können, daß sie nicht mehr funktionieren.
Diese Situation nennen HERMELIN und O`CONNER einen „logico-affektiven Zustand“.
Dadurch werden vor allem die Verhaltensbereiche beeinträchtigt, die einer Interaktion der
kognitiven und affektiven Funktionen bedürfen, wie z.B. Aufmerksamkeit, die Auswahl
wesentlicher Reize aus einem Reizmuster sowie die verbale und nonverbale
Kommunikation. Der Logico-affekiven Theorie lassen sich die im folgenden dargestellten
Theorien der sozialen Störung, der affektiven Störung und der kognitiven Störung
zuordnen. (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 51 ff).
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22
Theorie einer sozialen Störung nach FEIN et al.
FEIN et al. zufolge sind soziale Störungen grundlegend für die Symptomatik des Autismus
verantwortlich. Sie begründen diese These damit, daß Kinder mit autistischem Verhalten in
Testsituationen gerade in den Bereichen Schwächen zeigen, in denen soziale und affektive
Anforderungen an sie gestellt werden. Außerdem ist die für die autistischen Störungen so
typische soziale Zurückgezogenheit selbst bei schwer gestörten Säuglingen nur sehr selten
zu finden und somit autismusspezifisch. Kognitive und affektive Funktionen, die sich
normalerweise parallel entwickeln, unterscheiden sich bei diesen Kindern qualitativ stark
voneinander. Das Neugeborene besitzt normalerweise bereits eine Vielzahl genetisch
bedingter Kompetenzen, die es ihm ermöglichen sich der neuen Umwelt anzupassen. Bei
Kindern mit autistischem Verhalten sind nun die neuronalen Systeme gestört, die für das
Kontakt- und Sozialverhalten verantwortlich sind. Dadurch werden gerade die kognitiven
Funktionen beeinträchtigt, die stark von sozialen Beziehungen und sozialer Motivation
abhängen, wie z.B. symbolisches Spiel und kommunikative Sprache (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 53 f).
Affekt – Theorie nach HOBSON
Nach HOBSON ist die soziale und kommunikative Störung von Kindern mit autistischem
Verhalten primär affektiv. Nicht-autistische Kinder sind von Geburt an und unabhängig
von der Kognition in der Lage, für die Gefühle anderer Personen sensibel zu sein. Beim
Autismus ist diese angeborene Fähigkeit gestört. Dadurch ist das Kind mit autistischem
Verhalten nicht in der Lage, persönliche Beziehungen aufzubauen. Um sich eine
Vorstellung von der Welt zu machen, bedarf es aber der Beziehung zu anderen Personen.
Da bei Kindern mit autistischem Verhalten die Fähigkeit zum Aufbau solcher Beziehungen
fehlt, sind sie nicht in der Lage, andere Personen als Menschen mit eigenen Gefühlen,
Gedanken, Wünschen und Intentionen zu erkennen. Dadurch kommt es zu einer schweren
Beeinträchtigung im abstrakten und symbolischen Denken. Der größte Teil der Störungen
von Kindern mit autistischem Verhalten hängt mit diesen Fähigkeiten zusammen (vgl.
Kusch & Petermann 1990, S. 55 f).
Die Kognitionstheorie nach BARON-COHEN
Diese Theorie geht von einer primär kognitiven Erklärung der sozialen Beeinträchtigung
von Menschen mit autistischem Verhalten aus. BARON-COHEN geht grundsätzlich davon
aus, daß jeder Mensch die geistigen Zustände anderer Personen erst erschließen muß, da
sie nicht direkt beobachtbar sind. Die Fähigkeit, anderen Personen bestimmte geistige
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23
Zustände zuzuschreiben, wird als „Theory of Mind“ bezeichnet und erfordert komplexe
kognitive Strukturen. Eigene Überzeugungen von der physikalischen Welt werden
„primäre Repräsentationen“ genannt. Vorstellungen von den geistigen Zuständen anderer
Personen sind also Repräsentationen von den Repräsentationen der anderen und werden
daher auch „Metarepräsentationen“ genannt. BARON-COHEN geht davon aus, daß die
metarepräsentationalen
Fähigkeiten
bei
Menschen
mit
autistischem
Verhalten
beeinträchtigt sind. Diese Beeinträchtigung wird durch ein zentrales kognitives Defizit
verursacht. Dadurch lassen sich die Mängel bei bestimmten sozialen Fertigkeiten,
pragmatische Defizite und Störungen im vorstellungsmäßigen Spiel erklären (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 56 ff).
Theorie des sozialen Lernens nach STERNBERG
STERNBERG
führt
den
Autismus
auf
eine
Störung
der
kognitiven
Informationsverarbeitung zurück. Das Kernproblem der Menschen mit autistischem
Verhalten ist seiner Meinung nach eine Funktionsstörung des Wissenserwerbs. Drei
Bereiche der Intelligenz sind für den Aufbau von Wissen von Bedeutung: die Verbindung
der Intelligenz mit der inneren Welt eines Individuums, mit der äußeren Welt und mit den
bereits gemachten Erfahrungen. Der Prozeß des Wissenserwerbs, der Voraussetzung für
jegliches Lernen ist, erfordert drei Verarbeitungsprozesse, die zunächst relativ unabhängig
von der Problematik des Autismus beschrieben werden (vgl. Kusch & Petermann 1990, S.
59):
Das selektive Entschlüsseln beschreibt das Trennen von wesentlichen und unwesentlichen
Informationen. Als wichtig werden dabei solche erachtet, die im allgemeinen als zentral
gelten. Erst durch das Herstellen einer gemeinsamen Bedeutung ist es möglich, daß wir in
einer Welt leben, die auch von anderen Personen verstanden wird. Diese Gemeinsamkeit in
der Wahrnehmung ist eine wichtige Voraussetzung für Kommunikation (vgl. Kusch &
Petermann 1990, S. 59).
Das selektive Kombinieren beschreibt das Zusammenfügen der bereits selektierten
Informationen zu intern konsistenten Erfahrungsstrukturen. Auch diese Strukturen sind so
beschaffen, daß sie im wesentlichen mit denen anderer Personen übereinstimmen. Es
kommt zu einem Konsens, der es ermöglicht, sich über die gemachten Erfahrungen mit
anderen Menschen auszutauschen. Würden bestimmte Erfahrungen für verschiedene
Personen etwas völlig anderes bedeuten, so könnten sich die Gesprächspartner nicht
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24
verstehen und eine Kommunikation wäre kaum aufrechtzuerhalten. Dadurch würde es
letztlich zu einer sehr großen emotionalen Distanz kommen (vgl. Kusch & Petermann
1990, S. 59 f).
Das selektive Vergleichen beschreibt das Verknüpfen von neuen Informationen mit bereits
bekannten Informationen. Dadurch werden die neuen Strukturen in das bereits vorhandene
Wissen eingearbeitet und es entsteht ein neues kognitives Schema. Würden neue
Informationen unabhängig von bereits gemachten Erfahrungen verarbeitet werden, wäre
jedes Ereignis völlig neu und ohne Zusammenhang (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 60).
STERNBERG geht davon aus, daß bei Menschen mit autistischem Verhalten alle drei
Verarbeitungsprozesse gestört sind. Dadurch hat das Kind mit autistischem Verhalten vor
allem Schwierigkeiten mit neuen Aufgaben oder in unbekannten Situationen. Aufgrund der
qualitativ veränderten Verarbeitungsprozesse kommt es zu Wissensstrukturen, die für
andere nicht nachvollziehbar sind. Davon werden auch Sprache und Kommunikation
beeinflußt. Die frühe Störung der drei Verarbeitungsprozesse führt außerdem zu schweren
Beeinträchtigungen der sozialen Beziehungen (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 61).
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die verschiedenen psychologischen
Erklärungsmodelle versuchen, die autistischen Störungen auf das Zusammenspiel der
kognitiven und affektiven Fähigkeiten zurückzuführen. Dabei beziehen sie sich auf
unterschiedliche Störungsaspekte, sehen aber besonders in den Bereichen Schwierigkeiten,
in denen andere Personen eine Rolle spielen. Die Erklärungsmodelle sind rein
hypothetische Überlegungen und ersetzen daher nicht die weitere Erforschung des
Phänomens Autismus (vgl. Kusch & Petermann 1990, S. 61).
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25
3. Musiktherapie
3.1 Wirkung von Musik auf den Menschen
Jeder Mensch hat vermutlich verschiedenste Erfahrungen mit der Wirkung von Musik im
alltäglichen Leben gemacht. Mit der Wirkung der Musik auf den Menschen beschäftigt
sich die Musikpsychologie. Im folgenden stelle ich die Musik im Rahmen der
Musikpsychologie dar und beschreibe unterschiedliche Wirkungen der Musik auf den
Menschen.
3.1.1 Grundlagen der Musik
Musik ist eine Möglichkeit des Menschen, sich künstlerisch zu äußern. Dazu stehen Töne,
Klänge und Geräusche zur Verfügung, die nach bestimmten Regeln miteinander
verbunden, geordnet und geformt werden können. Bei regelmäßigen Schwingungen eines
Körpers oder Gases entsteht ein Klang oder Ton, bei unregelmäßigen ein Geräusch. Die
wichtigsten Eigenschaften eines Tones sind seine Höhe, die Lautstärke und seine
Klangfarbe. Um der Musik Ausdruck zu verleihen, werden Melodie, Harmonie, Rhythmus,
Metrum und Tempo eingesetzt (vgl. Ziegenrücker 1986, S. 11 und 14).
„Jede Epoche und Kultur hat einen eigenen Musikbegriff geprägt.
Gemeinsam scheint nur, daß es sich um absichtsvoll gestaltete akustische
Vorgänge handelt. Die Mittel der musikalischen Gestaltung sind Rhythmus,
Melodie, Instrumentation, Tonstärke und harmonische bzw. disharmonische
Ordnungsstrukturen.“
(vgl. Bertelsmann Electronic Publishing GmbH 1997)
Der Musikbegriff innerhalb der Musikpsychologie hat drei verschiedene Daseinsebenen,
die einander ergänzen:
1. Musik als extern
koordinierte Information
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Musik wird auf Tonträgern oder
in Form von Noten festgehalten.
26
2. Musik als akustische
Klänge in Form physikalischer
Struktur
Schallwellen durchdringen den Raum.
3. Musik als Phänomen
Musik wird über das menschliche
menschlichen Erlebens
Ohr aufgenommen und durch das
Gehirn verarbeitet.
In der Musiktherapie sind alle drei Ebenen der Musik von Bedeutung. Die ersten beiden
sind für den therapeutischen Prozeß von untergeordneter Bedeutung. Therapeutisch
wirksam ist die Musik nur als Phänomen der menschlichen Wahrnehmung.
„Musik wird zur Musik durch das Erleben des Menschen“ (Bruhn 1999, S. 18).
Damit soll verdeutlicht werden, daß Musik zunächst als physikalisches Ereignis entsteht,
aber erst durch die Wahrnehmung und die damit verbundenen Vorstellungen und
Emotionen zu dem wird, was wir als Musik bezeichnen. Der Zusammenhang zwischen der
Musik und den physikalischen Eigenschaften der Klänge ist nicht eindeutig, weil sie in
unterschiedlicher Genauigkeit aufgenommen, in Wechselbeziehung zu der momentanen
Befindlichkeit und den bereits gemachten Erfahrungen verarbeitet werden (vgl. Bruhn
1999, S. 18).
3.1.2 Wirkungsweisen der Musik
Musik führt zu emotionalen und affektiven Erregungen, die sich als vegetative
Funktionsveränderungen
im
körperlichen
Bereich
bemerkbar
machen.
Diese
psychophysiologischen Veränderungen konnten durch wissenschaftliche Untersuchungen
bestätigt werden (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 221). SCHEYTT beschreibt die
Auswirkungen von Musik auf verschiedene Funktionen des menschlichen Körpers:
Musik und Herztätigkeit – Der eigene Herzrhythmus spielt bei der Beurteilung der
sinnlichen Wahrnehmung eine entscheidende Rolle, wenn es um die Beurteilung des
Tempos geht. Es ist aber auch möglich, den Herzschlag mit akustischen, insbesondere
musikalischen Reizen zu beeinflussen. Dies liegt daran, daß vom Hörnerv aus direkte
Reflexleitungen zu den motorischen Teilen im Hirnstamm verlaufen, die für die
Herzfunktion verantwortlich sind (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 223).
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27
Musik und Atmung – Die Atmung wird beim Anhören von Musik je nach Art der Musik
unterschiedlich
beeinflußt.
Die
zu
beobachtenden
Veränderungen
sind
bei
unterschiedlichen Menschen unterschiedlich groß, aber in Art und Weise vergleichbar. Bei
schneller, sich beschleunigender Musik, beschleunigt sich auch die Puls- und
Atemfrequenz. Die Änderung der Atmung wird subjektiv nicht wahrgenommen (vgl.
Scheytt in: Decker – Voigt 1983, S. 223).
Musik und Hirntätigkeit – Auch die Hirntätigkeit wird vom Rhythmus der Musik
beeinflußt. Die Gehirnwellen nehmen einen Rhythmus ein, der ansonsten in Ruhe- und
Entspannungsphasen auftritt. Andererseits ist es auch möglich, daß durch besonders
rhythmische Musik epileptische Anfälle ausgelöst werden (vgl. Scheytt in: Decker – Voigt
1983, S. 223).
Neben den genannten Wirkungsweisen ist für die musiktherapeutische Arbeit besonders
die emotionale Wirkung der Musik von Bedeutung. Dabei handelt es sich vor allem um
gedanklich-assoziative
und
emotional-affektive
Einflüsse.
Gedanklich-assoziative
Reaktionen lassen sich kaum vorausbestimmen. Durch das Empfinden von Musik werden
auch unterschiedliche Gefühle und Affekte ausgelöst. Dabei ist besonders zu erwähnen,
daß sich bei verschiedenen Personen eine überraschende Übereinstimmung in der Art der
empfundenen Emotionen zeigt (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 33 ff).
Von großer Bedeutung ist außerdem die kommunikative Funktion der Musik. Sie steht
dabei als nonverbale Kommunikationsmöglichkeit im Zentrum der Arbeit (vgl. Huppmann
& Strobel 1997, S. 52 f). Dabei kann die Musik sprachliche Kommunikation einleiten oder
Sprache ersetzen, wenn Sprache als Kommunikationsmittel nicht zur Verfügung steht (vgl.
Bruhn 1999, S. 30). PFEFFER (1973) unterscheidet drei verschiedene Wirkungen von
Musik (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 35):
1. Aktivierung:
durch rhythmische Musik
2. ordnende / regulierende Wirkung:
durch langsame, getragene Musik
3. Ruhe / Stille / Geborgenheit / Vertrauen:
durch verhallende Klänge
Akustische Reize führen im Vergleich zu allen anderen Sinnesreizen zu den stärksten
vegetativen Wirkungen. Dies läßt sich vielleicht durch die enge Verknüpfung des
Gehörsinnes mit dem Thalamus, dem Limbischen System und den emotionalen Bereichen
des Gehirns, der Thymopsyche, erklären (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 222).
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28
Die emotionale Beteiligung beim Musizieren ist sehr viel größer als beim eher passiven
Musikhören. Dies zeigt sich wiederum an den stärkeren vegetativen Veränderung beim
Musizieren (vgl. Scheytt in: Decker-Voigt 1983, S. 225).
3.2 Geschichte der Musiktherapie
Die heilende Wirkung der Musik war schon vor 3000 Jahren bekannt. Papyrusrollen aus
dem alten Ägypten (1500 Jahre v. Chr.) berichten über den Einfluß der Musik in der
Medizin. Auch in der frühen griechischen Antike und im Alten Testament werden der
Musik heilende Eigenschaften zugesprochen (vgl. Bruhn 1999, S.8 und Huppmann &
Strobel 1997, S. 16 f). Die Erklärung der Wirkung von Musik auf den Menschen geschieht
auf drei verschiedenen Wegen (vgl. Bruhn 1999, S. 8 ff):
1. Musik als mystisches Werkzeug:
Den ältesten Quellen zufolge wird der Musik eine magische Kraft zugesprochen, die
nicht weiter erklärt wird. Die Abgrenzung zu esoterischen Mythen ist auch heute noch
nicht ausreichend. Besonders in der New Age-Philosophie wird der Musik nach wie
vor noch eine mystische Wirkung zugesprochen.
2. Musik als Abbild kosmischer Ordnung:
In der antiken griechischen Philosophie wurden Körper und Seele als geordnetes
Ganzes verstanden. Die Musik spiegelte diese Ordnung wider, und Gesetzmäßigkeiten
von Musik, Körper und Seele wurden als analog angesehen. Die Wirkung der Musik
wurde aus einer wechselseitigen Beeinflussung abgeleitet.
3. Musik als Medikament:
Mit der Entdeckung des Blutkreislaufes (17. / 18. Jh.) und der Wirkungsweise
chemischer Substanzen auf den Körper wurden auch neue theoretische Überlegungen
zur Wirkung der Musik angestellt. Ergebnis war die sogenannte Iatromusik, die als
chemisch-physikalische Intervention betrachtet wurde. Sie wurde rezeptiv bis in die
50er Jahre dieses Jahrhunderts eingesetzt.
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29
Bis weit ins 20. Jahrhundert war man der Meinung, man müsse Musik passiv auf sich
einwirken lassen. In den 40er und 50er Jahren zeigte sich, daß die therapeutische Wirkung
des reinen Musikhörens nicht nachweisbar ist. Darauf wurde in den USA der Begriff
Musiktherapie stark ausgeweitet und der amerikanische Dachverband „National
Association for Music Therapy“ (NAMT) gegründet. Musik wird seither in die
Sonderpädagogik mit einbezogen (vgl. Bruhn 1999, S. 13).
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Schulmedizin, insbesondere die Psychiatrie, den
größten
Einfluß
auf
die
musiktherapeutische
Arbeit.
Bei
traditionellen
Behandlungsmethoden wurde die Musiktherapie als Hilfsmittel eingesetzt, um auf das
Verhalten des Patienten einzuwirken. Aus der Sozialpädagogik stammten die ersten
Musiktherapieprojekte, die wissenschaftlich orientiert waren. Von der Musikpädagogik
angeregt wurde der Umgang mit Musik auch auf das heilpädagogische Gebiet übertragen
(vgl. Bruhn / Oerter / Rösing 1994, S. 405 f).
In Europa wurde die Musiktherapie in den 70er Jahren hauptsächlich von Autodidakten
betrieben. Wichtige Impulse sind von der anthroposophischen Musiktherapie der SteinerBewegung ausgegangen. Die passive Musiktherapie wurde dadurch zunehmend von der
aktiven verdrängt und die therapeutische Improvisation zu einer zentralen Methode. Mit
dem Auftreten der ersten Absolventen der neu gegründeten Institute in den 90er Jahren
wurde der Einfluß der Autodidakten geringer und die konfliktzentrierte Arbeit, im Sinne
einer Psychotherapie, als zentrales Anliegen der Musiktherapie verstanden. Dadurch geriet
die Arbeit mit Behinderten an den Sonderschulen zeitweise in den Hintergrund (vgl. Bruhn
1999, S. 13 f).
3.3 Definition und Zielsetzung
Der Begriff „Musiktherapie“ ist nur schwer zu definieren, weil er eine große Spannweite
an Aktivitäten umfaßt (Musikhören zur Entspannung, Musikmachen mit Behinderten,
Psychotherapie mit musikalischen Mitteln). Dies liegt vermutlich daran, daß sich die
Musiktherapie aus mehreren voneinander unabhängigen Fachrichtungen entwickelt hat.
Als wesentliche Richtungen sind die Schulmedizin, klinische Psychologie, Pädagogik und
Sonderschulpädagogik zu nennen. Ich möchte mich der Musiktherapie-Definition der
NAMT anschließen (vgl. Bruhn 1999, S. 1):
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30
„Musiktherapie ist die gezielte Anwendung von Musik oder musikalischen
Elementen, um therapeutische Ziele zu erreichen [...]. Durch Musiktherapie
soll dem Patienten Gelegenheit gegeben werden, sich selbst und seine Umwelt
besser zu verstehen, sich in ihr freier und effektiver zu bewegen und eine
bessere psychische Stabilität und Flexibilität zu entwickeln.“
(Übersetzung Eschen 1979, S. 548)
Die Definition eines zu erreichenden Therapieziels hängt einerseits von der Art der
Störung des Patienten ab, zum anderen aber auch von den Vorstellungen des Therapeuten.
Als anzustrebende Ziele können z.B. das Funktionieren in der Gesellschaft oder das
Wohlbefinden des Patienten gelten (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 14).
In der musiktherapeutischen Arbeit mit Menschen mit autistischem Verhalten ist die
größtmögliche Kommunikationsfähigkeit ein wesentliches Therapieziel. Die Musik wird
dabei als Möglichkeit des Zugangs eingesetzt, ohne Angst beim Menschen mit
autistischem Verhalten auszulösen. Dazu sollte zu Beginn der Therapie in Einzelsituation
gearbeitet werden. Als erste Kontaktaufnahme sind die Improvisation des Therapeuten, das
Wecken des Interesses am Instrument, Singen, Musizieren, Tanz und Bewegung
einsetzbar. Es hat sich gezeigt, daß mit Hilfe der Musiktherapie große Erfolge im Bereich
der autistischen Störungen zu erreichen sind. Das läßt sich vor allem mit den vielen bisher
veröffentlichten Fallstudien belegen (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 134 und 138 ff).
3.4 Musik im Schnittfeld zwischen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie
Die Arbeit mit Musik in den Bereichen Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie läßt
sich unterscheiden (vgl. Bruhn 1999, S. 2):
Pädagogik
-
Veränderung und Differenzierung von Kenntnissen und
Fertigkeiten von einem mittleren auf ein höheres Niveau
Sonderpädagogik
-
Lernen im Umgang mit dauerhaften Behinderungen
Therapie
-
Beseitigung von Beeinträchtigungen und Behinderungen
und Veränderung vom Krankhaften zum Normalen
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31
In
der
älteren
Literatur
werden
Musikpädagogik
und
-therapie
anhand
der
unterschiedlichen Orientierungen voneinander getrennt. Musiktherapie wird dabei als
prozeßorientiert eingestuft. Es ist demnach nicht wichtig, wie die produzierte Musik klingt.
Der Schwerpunkt der musiktherapeutischen Arbeit liegt auf dem mit Hilfe der Musik
einzuleitenden Prozeß. Die Musikpädagogik hingegen verfolgt die Vermittlung von
Wissen und Fertigkeiten die Musik betreffend. Das Ziel der Arbeit ist auf Musik bezogenes
Faktenwissen oder die tatsächliche Aufführung von Musik als Endprodukt (vgl. Bruhn
199, S. 2).
Diese Sichtweise führt allerdings zu einer künstlichen Trennung von Pädagogik und
Therapie. Gerade bei der Arbeit im sonderpädagogischen Bereich zeigt sich, daß diese
Trennung nicht sinnvoll ist. Beide Bereiche sind eng miteinander verbunden (vgl. Bruhn
1999, S. 2). In der folgenden Grafik von TISCHLER wird deutlich, daß die Übergänge von
Therapie und Pädagogik fließend sind:
Musiktherapie
Intensitätsgrad /
Ausmaß der
Störung
Therapie
klinisch-therapeutische
Maßnahmen und Ziele
Sonder pädagogik
sonderpädagogische, sozial integrative Maßnahmen / Ziele
Pädagogik
(schul -) pädagogische,
psychoprophylaktische und hygienische Maßnahmen / Ziele
Musikpädagogik
Musik im Schnittfeld von Pädagogik, Sonderpädagogik und Therapie
(vgl. Tischler / Moroder-Tischler 1998, S. 13)
3.5 Methodik der Musiktherapie
Die musiktherapeutische Arbeit läßt sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen.
Bei der Arbeit mit Menschen mit autistischem Verhalten sind bestimmte Methoden zu
bevorzugen.
Im
folgenden
werde
ich
verschiedene
Arbeitsweisen
unter
der
Berücksichtigung der autistischen Störungen vorstellen.
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32
3.5.1 Das Setting
Als Setting wird die Umgebung, in der die Therapie durchgeführt wird, bezeichnet. Dazu
gehören Raum, Ausstattung, Instrumente und Einflüsse von außen. Auch Therapeut und
Klient/en sind Teil des Settings. Das Setting sollte immer auf die Bedürfnisse des Klienten
abgestimmt sein (vgl. Bruhn 1999, S. 43).
Der Therapieraum sollte möglichst von Geräuschen isoliert sein. Störungen von außen sind
generell zu vermeiden. Der Raum sollte hell und ausreichend belüftet sein. BENENZON
ist der Meinung, daß er ca. 5 x 5 Meter groß und in gedämpften Farben gestrichen sein
sollte. Schmückende Gegenstände wie Poster oder Bilder sollen nicht vorhanden sein, da
sie von der therapeutischen Arbeit ablenken (vgl. Benenzon 1983, S. 48).
Da die Instrumente als Brücke zwischen den Beteiligten auch dem Ausdrucksbedürfnis des
Klienten entsprechen müssen, muß das Angebot an Instrumenten sehr reichhaltig sein.
BRUHN nennt Instrumente, die zur Minimalausstattung eines Musiktherapeuten gehören
sollten (vgl. Bruhn 1999, S. 35):
Fellinstrumente:
eine Pauke, verschiedene Bongos und Kongas,
mehrere kleine Folklore-Instrumente
Mallet-Instrumente:
ein Vibraphon, eventuell ein Marimbaphon,
geeignete Schlegel
Folklore – Instrumente:
Schlitztrommel, Ethnopercussion, geeignete Schlegel
Effekt – Instrumente:
ein Gong, ein Sound-Creation-Set, ein Synthesizer
Tasteninstrumente:
ein Klavier oder Flügel
Saiteninstrumente:
ein Monochord, zwei bis drei Leiern
Bei Menschen mit autistischem Verhalten sollte bei der Einrichtung des Raums darauf
geachtet werden, daß der Raum auf den Klienten nicht reizüberflutend wirkt. BRUHN
schlägt vor, einen gesonderten Raum für die Therapie mit Menschen mit autistischem
Verhalten bereitzustellen und die Zahl der Musikinstrumente zu begrenzen (vgl. Bruhn
1999, S. 43 und 83).
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33
3.5.2 Rezeptive und aktive Musiktherapie
Mit aktiver Musiktherapie wird allgemein das aktive Musizieren verbunden. In der
sogenannten rezeptiven Musiktherapie wird Musik nicht produziert, sondern gehört. Diese
Einteilung ist jedoch problematisch. Bei der „rezeptiven“ Musiktherapie wird die Musik
aktiv aufgenommen. Außerdem ist eine aktive Hinwendung zur Musik nötig. Bei der
„aktiven“ Musiktherapie sind auch rezeptive Handlungen nötig. Aufgrund der
geschichtlichen Entwicklung der Musiktherapie gibt es aber Bereiche, in denen die
Therapie größtenteils durch das Hören von Musik geschieht. In der klassischen Form der
rezeptiven Musiktherapie wird dem Klienten Musik vorgespielt, um körperliche und
psychische Prozesse in Gang zu setzen, die zur Heilung führen sollen. Dabei kann der
Prozeß durch ein folgendes Gespräch oder das Malen von Bildern während des Hörens
beschleunigt, verstärkt oder verändert werden (vgl. Frank-Bleckwedel in: Decker-Voigt /
Knill / Weymann 1996, S. 326 ff).
Die rezeptive Musiktherapie wird heute jedoch zunehmend vom aktiven Musizieren
verdrängt. Die aktive Musiktherapie faßt alle Arten der Musiktherapie zusammen, bei
denen der Klient selbst mit seiner Stimme oder einem Instrument „aktiv“ beteiligt ist. Der
Therapeut beteiligt sich im Regelfall am gemeinsamen Spiel und ist somit stark in das
musikalische Geschehen eingebunden. Gleichzeitig muß er den durch die Musik
eingeleiteten Prozeß beobachten und gegebenenfalls steuernd eingreifen (vgl. Eschen in:
Decker-Voigt / Knill / Weymann 1996, S. 5 und Bruhn 1999, S. 14).
Ins Zentrum der musiktherapeutischen Arbeit ist seit den 70er Jahren die therapeutische
Improvisation gerückt (vgl. Bruhn 1999, S. 46). Wegen der besonderen Bedeutung der
therapeutischen Improvisation in der Musiktherapie im allgemeinen und meiner
praktischen Arbeit im speziellen, gehe ich im folgenden Kapitel darauf genauer ein. In der
Therapie mit autistischen Kindern wird meist die aktive Musiktherapie angestrebt.
Zunächst ist aber häufig aufgrund des autistischen Verhaltens kein gemeinsames
Musizieren möglich. Daher kann der Therapeut als Einstieg in die Therapie dem Kind auf
verschiedenen Instrumenten Musik vorspielen, also eine regulative Form der
Musiktherapie wählen. Dabei ist es sehr wichtig, das Kind genau zu beobachten, um auf
die meist sehr schwer wahrzunehmenden Angebote des Kindes zur Kommunikation oder
Versuche des Rückzuges eingehen zu können (vgl. Bruhn 1999, S. 82 ff).
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34
3.5.3 Therapeutische Improvisation
Ursprung dieser therapeutischen Arbeitsweise sind Formen des anthroposophischen
Musizierens und Impulse aus der Musikpädagogik. Es zeigte sich, daß diese Form der
Musiktherapie sehr effektiv einzusetzen ist. Anliegen der ersten Überlegungen zu diesem
Thema war es, die Komposition für jeden zugänglich zu machen. Durch die Improvisation
soll versucht werden, das Innenleben des Klienten zu erforschen und seine
Wachstumsbereitschaft zu fördern. Der Therapeut nimmt die vom Klienten improvisierten
Äußerungen auf und kann mit einer der folgenden Arbeitstechniken reagieren (vgl. Bruhn
1999, S. 47):
1. Assoziative Improvisation
Die assoziative Improvisation ist als Standard-Setting meist die Ausgangsbasis der
Musiktherapie. Die Arbeit wird sehr offen gestaltet, es wird nur die Anfangsstimmung
oder ein Start-Bild festgelegt. Danach ist die weitere Entwicklung jeder Sitzung völlig
offen. Die Beteiligten überlassen sich dem freien Spiel und der Assoziation.
Voraussetzung für die assoziative Improvisation ist ein Vertrauen in den Therapeuten,
die Musikinstrumente und die Situation (vgl. Eschen in: Decker-Voigt / Knill /
Weymann 1996, S. 29 ff und Bruhn 1996, S. 47).
2. Probehandlungen
Während des freien musikalischen Spiels werden Nähe und Distanz zum Therapeuten
bzw. den Gruppenmitgliedern ausprobiert. Mit Hilfe der Improvisation wird die
Befindlichkeit des Klienten ausgedrückt. Dabei kann der Klient je nach Instrument eher
auf Distanz bleiben oder die Nähe der anderen Gruppenmitglieder suchen. Je näher der
Klient die Entstehung des Klangs am eigenen Leib erfährt, desto näher ist ihm das
Instrument und desto intimer ist die musikalische Botschaft. Die Wahl des Instruments
ist dem Klienten zunächst freigestellt und damit eine erste Botschaft an den
Therapeuten. Je näher das Instrument, desto intimer und unter Umständen auch
angstbesetzter ist die Aussage des Klienten (vgl. Bruhn 1999, S. 35 und 47 und Seidel
in: Decker-Voigt 1983, S. 48 ff).
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3. Spielregeln
Bei der Arbeit mit Erwachsenen sind Spielregeln häufig nötig, weil sie Schwierigkeiten
haben, spontan und spielerisch mit den Instrumenten umzugehen. Sie orientieren sich
an der gesellschaftlichen Bedeutung von Handlungen und zeigen Blockaden, wenn sie
den Sinn einer Handlung nicht erkennen. Bei den Spielregeln handelt es sich allerdings
nur um Eingangsregeln, die dem Klienten den Einstieg in die therapeutische Situation
erleichtern sollen. Arbeitet man mit Kindern, sind Spielregeln meist nicht nötig, weil
der improvisatorische Prozeß spontan entsteht. Die Improvisation liegt Kindern mehr,
weil sie spielerisch mit den Instrumenten umgehen. Sollte sich jedoch zeigen, daß
Kinder vor dem scheinbaren Chaos der freien Improvisation Angst haben oder sich
dem freien Austausch über die Musik verweigern, sollte der Therapeut auch bei der
Arbeit mit Kindern Spielregeln vereinbaren. Die Spielregeln werden vom Therapeuten
verbal oder handelnd vorgegeben. Außerdem können sich Spielregeln nach und nach
aus dem musikalischen Spiel ergeben. Durch die Spielregeln wird das Spiel formal
geordnet (vgl. Bruhn 1999, S. 47 ff).
Mit Hilfe der musiktherapeutischen Improvisation wird dem Therapeuten ein Einblick in
die psychischen Vorgänge des Klienten ermöglicht. Es kommt zu einer nonverbalen
musikalischen Kommunikation, die jedoch nicht eindeutig interpretierbar ist. Um sich
trotzdem ein Bild zu machen, verwendet der Therapeut eine Vielzahl von Techniken:
„
imitating
- Der Therapeut versucht, den Gefühlsinhalt der Improvisation
nachzuahmen und möglichst genau zu treffen.
synchronising - Der Therapeut spielt gleichzeitig mit dem Klienten.
incorporation - Der Therapeut übernimmt ein Spielmotiv des Klienten
und entwickelt es weiter.
placing
- Der Therapeut versucht, sich dem Klienten in der Spielart
anzupassen (wörtlich: Schritt halten).
reflecting
- Der Therapeut spiegelt dem Klienten wider, wie er dessen
Stimmung wahrnimmt.
clarifying
- In der Improvisation vermittelte Informationen werden verbal
überprüft.
confronting - Die Klienten werden auf Diskrepanzen zwischen
musikalischem Spiel und verbaler Aussage aufmerksam
gemacht.
connecting
- Zwischen der Improvisation und realen Lebensereignissen
werden verbal Beziehungen hergestellt.
summarising - Die Erlebnisse einer Therapiesitzung werden rekapituliert.“
(Bruhn 1999, S. 49)
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36
Die musiktherapeutische Improvisation bietet eine besonders gute Möglichkeit der
Kontaktaufnahme zu Menschen mit autistischem Verhalten. Über die Musik wird eine
nonverbale Kommunikation initiiert, bei der auch unbewußte Gefühle ausgedrückt werden
können (vgl. Bruhn / Oerter / Rösing, S. 408 f).
3.5.4 Zentrierung der Therapie
Die musiktherapeutische Arbeit kann unterschiedliche Intentionen haben. Sie kann
konfliktzentriert, erlebniszentriert oder übungszentriert ausgerichtet sein. Diese Systematik
wurde von BEATE und WOLFGANG MAHNS aus einer Aussage von PETZHOLD
(1974) abgeleitet, wonach in allen künstlerischen Medien „übend“, „erlebniszentriert“ und
„konfliktzentriert“ gearbeitet werden kann. Diese Einteilung wird auch „Rendsburger
Modell“ genannt, weil im Musiktherapie Institut Rendsburg danach gearbeitet wird. Die
Auswahl der Zentrierung hängt im allgemeinen von der therapeutischen Notwendigkeit
und dem zu behandelnden Problem ab (vgl. Bruhn 1999, S. 4 und Frohne in: Decker-Voigt
1983, 184 f).
Konfliktzentrierte Musiktherapie
Die musiktherapeutische Arbeit ist auf die Bearbeitung eines Konflikts zentriert. Es
werden durch den Umgang mit dem Medium Musik Gefühle und emotionale
Befindlichkeiten des Klienten erkundet, verborgene Konflikte herausgearbeitet und
bewußtgemacht. Außerdem werden Lebensumstände, die zu Konflikten führen, bearbeitet
und soweit wie möglich verändert. Ausgangspunkt kann die erlebniszentrierte Arbeit sein,
bei der ein Konflikt durch den Umgang mit der Musik und das damit verbundene Erleben
sichtbar wird (vgl. Bruhn 1999, S. 4 f).
Erlebniszentrierte Musiktherapie
Diese Form der Musikherapie ist besonders dann angezeigt, wenn die Therapie aus
unterschiedlichen Gründen nonverbal durchgeführt werden soll. Der Konflikt des Klienten
gilt als Ausgangspunkt der Arbeit. Im Zentrum der Musiktherapie steht jedoch nicht die
Lösung des Problems, sondern das Sammeln von neuen Erfahrungen mit sich und anderen
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37
Menschen. Der Klient soll durch die Musik eine neue Qualität von Geborgenheit und
Neugier entdecken. Die gemachten Erfahrungen lassen sich gut in andere künstlerische
Ausdrucksformen übersetzen, wie z.B. das Malen von Bildern oder das Schreiben von
Gedichten (vgl. Bruhn 1999, S. 5 f und Frohne in: Decker-Voigt 1983, 185 f).
Übungszentrierte Musiktherapie
Das übende Vorgehen verfolgt den Aufbau neuer Verhaltensmöglichkeiten oder die
Stabilisierung eines bereits erlernten Verhaltens. Diese Form der Musiktherapie findet
hauptsächlich in der Sonderpädagogik ihre Anwendung. So kann z.B. das Einüben von
Texten durch Rhythmus und Melodie erleichtert oder das Erlernen rhythmischer
Bewegungen durch Musik unterstützt werden. Konzentration und Durchhaltevermögen
können durch das Beibehalten eines Rhythmusmotivs innerhalb der Gruppenimprovisation
erlernt und gefestigt werden (vgl. Bruhn 1999, S. 6 und Frohne in: Decker-Voigt 1983, S.
187).
Therapeutisches Musizieren
Dieser Typus der Musiktherapie hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Das
Therapeutische Musizieren ist stark an die Musikpädagogik angelehnt, ist aber nicht
produktorientiert, sondern im Sinne der Musiktherapie prozeßorientiert. Ausgangspunkt
dieser Form der Arbeit waren Bemühungen, geeignete Instrumente für Menschen mit
Behinderungen zu finden. Daraus entstand ein sehr erfolgreicher Modellversuch von
PROBST (1991) bei dem leistungsorientierte Überlegungen im Vordergrund standen und
therapeutische Aspekte
noch nicht berücksichtigt
wurden. Die
therapeutischen
Möglichkeiten wurden dann langsam zum zentralen Anliegen (vgl. Bruhn 1999, S. 97 ff).
Zielgruppe des therapeutischen Musizierens sind Kinder mit Behinderungen oder
Verhaltensauffälligkeiten.
Verbesserung
von
Ziele
dieser
kommunikativen
Arbeit
können
Fähigkeiten,
emotionales
Wachstum,
Gemeinschaftssinn
und
Konzentrationsförderung sein. Es wird erlebnis- und übungszentriert gearbeitet.
Ausgegangen wird vom Musizieren als Freizeitangebot. Später tritt dann die therapeutische
Wirkung der Musik in den Mittelpunkt der Arbeit (vgl. Bruhn 1999, S. 7 und S. 97 ff).
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38
3.5.5 Einzel- und Gruppentherapie
Musiktherapie wird meist in Form der Gruppentherapie durchgeführt. Die Größe der
Gruppe hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Diese Faktoren sind: Zentrierung der
Arbeit, Erfahrungen des Therapeuten, Psychodynamik der Gruppenmitglieder und Art der
zu behandelnden Probleme. Voraussetzung ist aber immer Gruppenfähigkeit der Klienten
(vgl. Bruhn 1999, S. 42).
Für die Musiktherapie von Menschen mit autistischem Verhalten ist aufgrund der
autistischen Störungen zunächst immer eine Einzeltherapie angezeigt. Als Fernziel einer
Therapie sollte die Gruppenfähigkeit und die Fortsetzung der Arbeit in einer Gruppe
angestrebt werden (vgl. Bruhn 1999, S. 83).
3.5.6 Verlauf der Therapie
Musiktherapeutische Arbeit zielt immer auf die Lösung eines Problems ab. In der ersten
Therapiestunde ist das Ziel die Kontaktaufnahme von Klient(en) und Therapeut. Durch die
musiktherapeutische Arbeit soll der Klient in die Lage versetzt werden, sein Problem zu
lösen. Die Bearbeitung des Problems geschieht zunächst auf der nonverbal-musikalischen
Ebene. Wenn möglich soll der Klient durch die musikalische Auseinandersetzung zu einer
verbalen Bearbeitung des Problems befähigt werden. Die Therapie verläuft normalerweise
in drei Phasen (vgl. Bruhn 1999, S. 40).
Zu Beginn der ersten Phase muß zunächst das Problem benannt und die Erwartungen des
Klienten an die Therapie geklärt werden. Vorerfahrungen können auch in dieser Phase
geklärt werden. Gerade bei Berufsmusikern können die Vorerfahrungen problematisch
sein, wenn es z.B. darum geht, „unperfekt“ zu spielen. Am Ende dieser Eingangsphase
wird die vorläufige Arbeitsrichtung zwischen Therapeut und Klient vereinbart. Die
Entwicklung der Musik in der ersten Phase verläuft in vier Stufen und in immer
wiederkehrender Weise. Dieses ist allerdings bisher nicht empirisch abgesichert (vgl.
Bruhn 1999, S. 40 f und Seidel in: Decker-Voigt 1983, S. 50 ff).
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39
1. Exploration:
In dieser Phase erkunden die Gruppenmitglieder die Instrumente. Das führt
häufig zu einem intensiven, oft lautstarken Nebeneinanderhermusizieren.
Es wird ein elementares Bedürfnis ausgelebt, sich auszudrücken und zu
musizieren. Ergebnis ist häufig ein „Klangbrei“ von großer Heterogenität
und großer undurchhörbarer Komplexität.
2. Differenzierung:
Nach dieser eher chaotischen Phase haben die Klienten ein großes
Bedürfnis, ihre Improvisationen zu strukturieren. Es werden Spielregeln
eingeführt und musikalische sowie soziale Prozesse reflektiert.
3. Kommunikation:
Die Klienten nehmen Kontakt zu den anderen Gruppenmitgliedern auf und
erproben die gewonnenen Fähigkeiten und Erkenntnisse. Die Musik und
musikalische Äußerungen werden klarer und strukturierter. Sie werden
auch ohne verbale Äußerung immer besser aufgenommen und verstanden.
4. Spezialisierung:
Die Gruppe beginnt eingebrachte Themen zu bearbeiten. Dies geschieht
zum Teil auf rein musikalische Art und Weise, zum Teil aber auch mit
Hilfe der verbalen Kommunikation.
In der zweiten Phase der Arbeit werden nun die Probleme bearbeitet. Zu Beginn dieser
Phase leisten die Kinder immer noch Widerstand, testen die Grenzen ihrer
Handlungsmöglichkeiten aus und erkämpfen sich ihre Rangposition innerhalb der Gruppe.
Später wagen die Kinder es, sich vorsichtig innerhalb der Gruppenaktivitäten zu
profilieren, bis sich dann alle Beteiligten emotional in die Gruppenaktivitäten, den
Gruppenprozeß einbringen (vgl. Bruhn 1999, S. 41). Wurde in der ersten Phase bereits ein
Arbeitsziel festgelegt, so muß es häufig umdefiniert werden. Es kann in dieser Phase zu
scheinbaren Stillständen kommen, da die Arbeit nicht immer kontinuierlich verläuft.
Entscheidend für den Erfolg der Therapie sind vor allem die Beziehung zwischen
Therapeut und Klient sowie die Angemessenheit der therapeutischen Interventionen (vgl.
Bruhn 1999, S. 41).
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40
In der dritten Phase muß der Therapeut den Abschied einleiten. Erreichte Ergebnisse
werden abgerundet, und die Beziehung zwischen Therapeut und Klient muß aufgelöst
werden. Diese Phase kann auch mehrere Sitzungen beanspruchen (vgl. Bruhn 1999, S. 41).
3.6 Musiktherapie in der Sonderpädagogik
Der Bereich der Behindertenarbeit wird in der musiktherapeutischen Diskussion häufig
ausgeklammert, weil mit der Musik keine „Heilung“ herbeigeführt werden kann. Im
Unterschied zur Musiktherapie mit Nicht-Behinderten steht bei der musiktherapeutischen
Förderung von Menschen mit Behinderung meist kein akuter psychischer Konflikt im
Zentrum der Arbeit, sondern eine dauerhafte Beeinträchtigung des Lebens. Daher ist die
musiktherapeutische Arbeit häufig nicht auf eine bestimmte Anzahl von Stunden begrenzt.
Sie wird teilweise zu einer lebenslangen Begleitung durch die Musiktherapie (vgl. Bruhn
1999, S. 65 und Huppmann & Strobel 1997, S. 130 f).
Diese auch musikalische Heilpädagogik genannte Arbeit ist - wie schon angedeutet zwischen der Musiktherapie und der Musikpädagogik einzuordnen. Sie wird hauptsächlich
erlebnis- und übungszentriert durchgeführt. Selbst bei schwerstbehinderten Kindern findet
man häufig ein starkes Interesse für Musik. Musiktherapie ist dann oft eine gute
Möglichkeit für diese Menschen, die personelle und materielle Umwelt zu erschließen.
Auch bei Menschen mit autistischem Verhalten findet man nach EUPER oft eine
ausgesprochen gute musikalische Begabung (Bruhn 1999, S. 68 und Huppmann & Strobel
1997, S. 131).
Das besondere Interesse an der Musik wird eingesetzt, um auf verschiedenen Ebenen
Lernprozesse zu erleichtern oder in Gang zu setzen. So kann die Musik als
Kommunikationsmittel helfen, soziale Schwierigkeiten zu verringern. Durch den gezielten
Einsatz von Musik können auch Lernleistungen gesteigert werden. Eine regelmäßige
Teilnahme
an
einer
Musiktherapie
kann
nachweislich
Aufmerksamkeit,
Gedächtnisleistungen und Verbalisation verbessern. Motorische Defizite können durch
musikalische Unterstützung gebessert werden. Außerdem bietet die Musik als Medium die
Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen, Freude zu erfahren, sich auszudrücken und
sich selbst zu verwirklichen (vgl. Huppmann & Strobel 1997, S. 132).
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41
Die guten Erfolge der Musiktherapie bei der Förderung von Menschen mit Behinderungen
lassen sich zum Teil auch durch die Musik selbst begründen. Durch den erlebniszentrierten
Zugang zum Singen, Spielen und Musizieren wird der Umgang mit der Musik als
angenehm empfunden und erlernte Fähigkeiten besser auf das alltägliche Leben übertragen
(vgl. Bruhn 1999, S. 65).
Die Effekte der Musiktherapie können auch unabhängig von der Musik sein, wenn
kognitive, motorische, soziale und verbale Ziele angestrebt werden. Die Musik wird in
diesem Fall übungszentriert eingesetzt, z.B. im lerntheoretischen Sinne als Verstärker für
erwünschtes Verhalten (vgl. Bruhn 1999, S. 65).
Für Menschen mit geistiger Behinderung ist die soziale Isolation häufig ein großes
Problem. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten von Menschen mit geistiger
Behinderung sind gemeinsame Aktivitäten oft nur in begrenztem Umfang möglich. Die
Musik bietet dabei, gerade in der Integrationspädagogik, eine gute Möglichkeit,
gemeinsame Erfahrungen zu machen und somit das Gemeinschaftsgefühl in der Klasse zu
stärken. Eine Untersuchung von JELLISON (1988) zu diesem Thema ergab, daß die
Interaktion zwischen behinderten und nicht behinderten Kindern nach einer Phase der
gemeinsamen musikalischen Aktivität signifikant höher war als vorher (vgl. Bruhn 1999,
S. 65 f).
3.6.1 Musiktherapie bei Menschen mit schwersten Behinderungen
Wie schon erwähnt ist die Musiktherapie im Bereich der schweren Behinderungen gut
einzusetzen. Die Arbeit in diesem Bereich gestaltet sich zwar sehr schwierig, ist aber auch
besonders effektiv. Menschen mit schwerster Behinderung sind ihr Leben lang auf Hilfe
angewiesen und können daher ihr Leben nicht selbst gestalten. Der Kontakt zu den
Bezugspersonen ist stark beeinträchtigt. Die Musiktherapie bietet eine gute Möglichkeit,
mit dem Kind in Kontakt zu treten und die Verarbeitung der Umweltreize zu fördern.
MÖLLER beschreibt die Kontaktaufnahme mit schwerstbehinderten Kindern in vier
Stufen (vgl. Bruhn 1999, S. 68 f):
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42
1. „Ich fühle den Kontakt zwischen uns.“
Dies ist eine sehr niedrige Ebene des Kontakts. Der Therapeut
greift verschiedene Ausdrucksformen des Kindes wie z.B.
stimmliche Klänge, Atmen oder Bewegungen auf und gibt sie in
musikalischer Form wieder.
2. „Ich sehe und höre den Kontakt zwischen uns.“
Der Therapeut bemerkt an feinen Veränderungen im Verhalten des
Kindes, daß es die musikalische Ansprache erkennt und
beantwortet. Die Reaktionen erfolgen meist in den Pausen des
Musizierens. Der Therapeut versucht, nur zu spielen, wenn das
Kind ihn ansieht oder sich bewegt.
3. „Du kontrollierst den Kontakt.“
Das Kind erkennt, daß es den Therapeuten zum Musizieren
veranlassen kann, indem es bestimmte Bewegungen oder Klänge
macht. Es weiß jedoch noch nicht, daß der Therapeut auf ein solches
Signal wartet.
4. „Unser Kontakt nimmt die Form eines Dialogs an.“
Die musikalischen Kontakte werden zweiseitig. Das Kind beginnt sich
auszudrücken und erkennt die Wechselseitigkeit des Kontakts.
Der Erfolg einer Musiktherapie mit schwerstbehinderten Kindern ist aufgrund der sehr
kleinen Fortschritte nur schwer bzw. nur für jemanden zu erkennen, der mit dem Kind
täglich arbeitet. Damit der Klient selber Klänge erzeugen kann, müssen Instrumente den
Fähigkeiten entsprechend verändert oder vom Therapeuten selber hergestellt werden. Die
Arbeit mit schwerstbehinderten Menschen ist größtenteils erlebniszentriert. Lediglich
während der ersten Stufe des Kontakts wird übungszentriert gearbeitet, wenn es um das
Erlernen des Ursache-Wirkung-Prinzips geht. Mit Hilfe der Musiktherapie werden die
taktil-kinästhetischen, akustischen und visuellen Bereiche verknüpft (vgl. Bruhn 1999, S.
69).
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43
3.6.2 Musiktherapie bei Menschen mit geistiger Behinderung
Bei der Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung muß berücksichtigt werden,
daß es sich aufgrund der meist organischen Ursache um eine dauerhafte Beeinträchtigung
handelt. Daher sind diese Menschen lebenslang auf pädagogische oder soziale Hilfe
angewiesen. Auch die musiktherapeutische Förderung von Menschen mit geistiger
Behinderung ist im allgemeinen als lebenslange Erfahrung ausgelegt (vgl. Bruhn 1999, S.
70).
Es wird überwiegend übungs- und erlebniszentriert gearbeitet. So kann das Erleben der
eigenen Person durch Erfahrungen, die während der Musiktherapie gemacht werden,
verändert werden. Die Musik kann auch als nonverbales Kommunikationsmittel den
Kontakt zu Menschen mit geistiger Behinderung erleichtern oder intensivieren. Sie
erleichtert dem Kind dabei als zusätzliche Ausdrucksmöglichkeit, den Kontakt herzustellen
und die gemeinsame Aktivität zu lenken. Dadurch werden den Menschen mit geistiger
Behinderung soziale Erfahrungen ermöglicht, die sie ohne die Musik nicht oder nur
eingeschränkt machen können. Durch den Umgang mit der Musik entsteht häufig das
Gefühl, etwas geschafft und eine Leistung vollbracht zu haben, wodurch das
Selbstbewußtsein gestärkt wird. Dies kann gerade in der Integrationspädagogik von
besonderem Interesse sein (Schwarting in: Decker-Voigt 1983, S. 143 f / Huppmann &
Strobel 1997, S. 142 ff / Bruhn 1999, S. 71) .
In der übungszentrierten Arbeit können kommunikative Fähigkeiten erlernt, die
Wahrnehmungsfähigkeit gefördert oder auch Verhalten und Lernen direkt beeinflußt
werden. Durch den Umgang mit Musik kann der Mensch mit geistiger Behinderung lernen,
sich in soziale Systeme einzuordnen, andere Menschen in Beziehung zu sich selbst
wahrzunehmen oder auch eigene und fremde Gefühle zu erkennen. Das Einhalten von
Spielregeln kann in der musiktherapeutischen Arbeit erlernt und dann auf alltägliche
Situationen übertragen werden. Im Bereich der Wahrnehmungsförderung ist besonders die
Klangdifferenzierung im Rahmen der musiktherapeutischen Förderung von Menschen mit
geistiger Behinderung von Bedeutung. Des weiteren bietet sich die Musik als Übungsfeld
für die Wahrnehmung von Zeit, Zeitdauer und zeitlichen Abläufen an. Beim Erlernen
motorischer Fertigkeiten kann der Rhythmus die Kontrolle über Bewegungen verbessern
und somit den Lernprozeß unterstützen (vgl. Bruhn 1999, S. 71 f).
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44
3.7 Musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten
Da die Ursachen der autistischen Störungen noch nicht endgültig geklärt sind, gibt es viele
Möglichkeiten der therapeutischen Intervention. Aus diesem Grund gibt es noch keine
ursächliche Behandlung, die besonders effektiv und somit wünschenswert wäre. Die
Musiktherapie gehört zu den an der Basis angreifenden Behandlungsformen. Sie wird in
der Therapie der autistischen Störungen häufig angewandt, und es wurde vielfach im
Rahmen von Fallstudien über Erfolge berichtet. Bisher gibt es allerdings noch keine
empirischen Untersuchungen (vgl. Kehrer 1995, S. 127 / Bruhn 1999, S. 82).
Im allgemeinen muß aufgrund des autistischen Verhaltens des Kindes zunächst auf einer
Stufe der absoluten Kontaktlosigkeit begonnen werden. Die weitere Entwicklung der
Förderung von Kindern mit autistischem Verhalten beschreibt SCHUMACHER (1999) in
sieben Stufen (vgl. Schumacher 1999, S. 245 ff):
Modus 0
Musikinstrumente werden wie Personen scheinbar
Kontaktlosigkeit
ignoriert. Es sollte dem Therapeuten aber bewußt
sein, daß die Reaktionen des Kindes zwar nicht
sichtbar, aber durchaus vorhanden sind.
Modus 1
Es wird, unter Umständen nur kurzfristig, Kontakt
Kontakt-Reaktion
zu den Instrumenten gesucht. Dieser Kontakt äußert
sich meist in einer sehr kurzen Berührung der
Instrumente. Der Therapeut wird weiter als
Person ignoriert.
Modus 2
Das Kind stellt den Kontakt zu den Personen und
Funktional-sensorischer
den Instrumenten her, um eigene (sensorische)
Kontakt
Bedürfnisse zu befriedigen, ohne daß das
Gegenüber als eine Person mit eigenen Wünschen
und Bedürfnissen verstanden wird.
Modus 3
Das Bewußtsein für die eigene Person wächst. r
Kontakt zu sich -
Dadurch ist das Kind in der Lage, die eigene
Selbsterleben
Stimme und die Musikinstrumente auszuprobieren.
Das Kind hört sich selbst beim Musizieren zu.
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Modus 4
Durch die Sicherheit der eigenen Existenz
Kontakt zum Anderen -
entsteht das Bedürfnis, Wahrnehmungen und
Intersubjektivität
Gefühle mit anderen zu teilen. Das Kind ist in
der Lage, sein Gegenüber wahrzunehmen und
ihn in das eigene Erleben einzubeziehen.
Modus 5
Die Spieler hören, sehen und spüren sich. Sie
Beziehung zum Anderen -
reagieren aufeinander, indem sie die Musik
Interaktion
gegenseitig aufgreifen.
Modus 6
Kind und Therapeut machen gemeinsame
Begegnung -
musikalische Erfahrungen. Es kommt zu einem
Inter-Affektivität
dynamischen Affekt und die Fähigkeit,
miteinander zu musizieren, wird deutlich.
Zwischen den verschiedenen Modi besteht sowohl ein qualitativer als auch ein
quantitativer Unterschied. Die Qualität der Beziehung verändert sich in der oben
beschriebenen Art und Weise. Außerdem nimmt die Dauer der Kontakte von Modus zu
Modus zu (vgl. Schumacher 1999, S. 248).
Um sich ein besseres Bild von der musiktherapeutischen Förderung bei autistischen
Störungen machen zu können, werde ich im folgenden die Arbeit von JULLIETTE ALVIN
und KARIN SCHUMACHER vorstellen.
Im Zentrum der musiktherapeutischen Arbeit von JULLIETTE ALVIN steht der Klang als
primäre Wirkung der Musik. Sie verwendet hauptsächlich das Cello, arbeitet aber auch mit
Stimme und Klavier, sowie Instrumenten, die für die Kinder leicht zu spielen sind. Dazu
gehören Glockenspiele, Trommeln, Becken, Maracas, Flöten, Kazoos, Melodikas und
Gitarren (vgl. Alvin 1984, S. 10 f).
ALVIN
sieht
die
autistischen
Störungen
vor
allem
als
eine
schwere
Kommunikationsstörung. Sie empfiehlt den Gebrauch der Musik als Medium für die
Förderung der Entwicklung des Kindes mit autistischem Verhalten. Ziel der Therapie nach
ALVIN ist im allgemeinen die Entdeckung der musikalischen Persönlichkeit des Kindes.
Durch gemeinsame musikalische Erfahrungen soll eine vertrauensvolle Beziehung
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46
zwischen Therapeut und Kind aufgebaut werden. Klang und Musik haben dabei die Kraft,
zum Kind durchzudringen und Abwehrmechanismen aufzubrechen (vgl. Alvin 1988, S. 93
und S. 140).
Im folgenden stelle ich einige methodische Schwerpunkte der Arbeit von ALVIN vor. Zu
Beginn der Förderung von Kindern mit autistischem Verhalten stehen rezeptive Techniken,
die sie auch „Wahrnehmungstechniken“ nennt. Der Übergang vom Hören zum Zuhören sei
auch bei Kindern mit autistischem Verhalten beobachtbar. Die Auswahl der Musik, die
dem Kind vorgespielt werden soll, ist dabei sehr schwierig, weil seine Reaktionen kaum
vorauszusehen sind (vgl. Alvin 1988, S. 144).
ALVIN nutzt Rituale, Symbole und Eigenarten des Kindes und verwertet sie musikalisch.
Dazu muß der Therapeut aber zunächst diese oft bizarren Vorlieben akzeptieren und darauf
achten, daß das Kind die Musik nicht als Möglichkeit zum Rückzug nutzt, sondern kreativ
damit umgeht. So kann die Vorliebe für parallele Linien dadurch genutzt werden, daß der
Therapeut dem Kind bevorzugt Saiteninstrumente mit parallelen Saiten anbietet (vgl. Alvin
1988, S. 94).
Ihr Vorgehen beschreibt ALVIN in verschiedenen Stufen. In der ersten Stufe wird dem
Kind die Möglichkeit gegeben, die Musikinstrumente und seine Stimme nach Lust und
Laune zu gebrauchen. Das Kind kann dadurch eine sehr persönliche Beziehung zur Musik
aufbauen. In dieser ersten Phase der Arbeit soll das Kind den Klang der Stimme und der
Instrumente bewußt aufnehmen. Menschen mit autistischem Verhalten können eher
Beziehungen zu Gegenständen als zu Menschen aufbauen. Daher wird sich das autistische
Kind zunächst mit einem Musikinstrument und seinem Klang identifizieren. Dieses
Instrument wird dann sein Mittel zur Kommunikation mit der Umwelt. Indem sich das
Kind zunehmend der verschiedenen Klänge bewußt wird, die es mit dem Instrument
erzeugen kann, erwirbt es ein elementares Ausdrucksmittel, mit dem es auf seine eigene
Weise und spontan umgehen kann (vgl. Alvin 1988, S. 149 ff).
Nachdem das Kind seine Möglichkeiten erkannt hat, wird in der zweiten Stufe versucht,
den nonverbalen Kontakt zum Kind aufzubauen. Dazu muß das Kind zunächst, nachdem
ihm die Anwesenheit des Therapeuten bewußt geworden ist, sein Mitwirken akzeptieren.
ALVIN steigert dann zunächst vorsichtig den körperlichen nonverbalen Kontakt, indem sie
z.B. mit dem Kind zusammen auf demselben Musikinstrument in nächster Nähe spielt.
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47
Kann das Kind den Kontakt zum Therapeuten zulassen, wird versucht, das Kind beim
Musizieren zu unterstützen. Zunächst handelt es sich beim Musizieren der Kinder um ein
freies Improvisieren ohne feste Regeln. Durch das Mitspielen des Therapeuten erhält die
Musik des Kindes eine neue Dimension. Im Laufe der Improvisationen verbessert sich die
instrumentale Technik und damit auch die Ausdrucksmöglichkeit des Kindes (vgl. Alvin
1988, S. 144 f).
Nach diesen zwei Stufen des Aufbaus wird in der weiteren Entwicklung versucht, das
Aktionsfeld des Kindes zu erweitern. Das Kind soll einen Sinn für musikalisches
Sozialverhalten gegenüber den Instrumenten, der eigenen Stimme und anderen Personen
entwickeln. Dadurch
wird der gesamte Reifungsprozeß des
Kindes und die
Selbsterkenntnis gefördert (vgl. Alvin 1988, S. 145).
Für KARIN SCHUMACHER steht die Störung der Wahrnehmung am Anfang der
autistischen Störungen. Auch die sozialen Beeinträchtigungen sind ihrer Meinung nach auf
eine mangelhafte Wahrnehmung der sozialen Signale der Umwelt zurückzuführen.
Trotzdem sieht sie die soziale Isolation als grundlegendes Problem, daß in der
musiktherapeutischen Arbeit besonders zu berücksichtigen ist.
„Störungen des zwischenmenschlichen Gefüges ziehen [...] immer
Entwicklungsstörungen nach sich. Therapie heißt, dieses gestörte Gefüge
durch das Wiederherstellen positiver zwischenmenschlicher Erfahrungen
zu beeinflussen.“
(Schumacher 1999, S. 13)
Ziel der Arbeit von SCHUMACHER ist demnach, einen Kontakt zum Kind aufzubauen
und einen Dialog herzustellen. Die Entwicklung einer zwischenmenschlichen Beziehung
ist dann die Basis jeglicher weiteren Entwicklung. Als Voraussetzung beim Therapeuten
sieht SCHUMACHER (vgl. Schumacher 1988, S. 149):
Akzeptieren des So-Zustandes des Kindes
positive Hypothese, die Kontakt erwartende Haltung
Wahrnehmung der Fähigkeiten des Kindes
behutsames Ausbalancieren von Nähe und Distanz
vom Kind ausgehendes Entwickeln der Spielform
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Das Heranführen an das instrumentale Spiel ist nach Meinung von SCHUMACHER erst
sinnvoll, wenn das Kind bereits ein gewisses Körpergefühl entwickelt hat. Sie beginnt ihre
Arbeit mit selbstklingenden Instrumenten, wie z.B. Rasseln, Glöckchen oder Klappern,
aber auch mit Saiteninstrumenten, die keine zielgerichteten Bewegungen erfordern. Das
Instrument sollte möglichst unmittelbar durch die Bewegungen des Spielers erklingen.
Dadurch wird jede Bewegung des Kindes hörbar und somit für das Kind besser
verständlich (vgl. Schumacher 1988, S. 150).
„Sinn-voll ist es, die körpereigenen Instrumente (Klanggesten und Stimme)
sowie alles Hörbare im Raum (Holztüren, Fensterbretter, Boden, Wände
etc.) einzubeziehen. Jede Gelegenheit kann für eine klingende,
multisensorische Erfahrung genutzt werden.“
(Schumacher 1988, S. 150)
Das methodische Vorgehen von SCHUMACHER in der musiktherapeutischen Förderung
von Menschen mit autistischem Verhalten läßt sich wie folgt beschreiben. Zunächst wird
vom Therapeuten ein Kontakt angeboten, indem er die Bewegungen und stimmlichen
Äußerungen des Kindes musikalisch aufnimmt. Danach initiiert der Therapeut ein
koordiniertes Reizklima, indem er propriozeptive, akustische, taktile und visuelle Reize in
für das Kind verständlicher Weise verknüpft. Vom Kind ausgehend entwickelt der
Therapeut eine Spielform. Diese Gestaltung der Beziehung kann verschiedene elementare
Musik-, Bewegungs- und Sprachspiele beinhalten. Auf der Basis dieser Beziehung
entwickeln Therapeut und Kind gemeinsam die Spiel- und Ausdrucksfähigkeit des Kindes
(vgl. Schumacher 1988, S. 149).
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4. Musiktherapeutische Förderung von zwei autistischen Jungen an der
Schule für Geistigbehinderte in Ellerbeck
4.1 Methodisches Vorgehen
Die praktische Arbeit für mein Thema der wissenschaftlichen Hausarbeit war mir sehr
wichtig, da ich vorher nur wenige Erfahrungen mit dem Medium Musik machen konnte.
Dabei habe ich mich für eine Fallstudie entschieden. Zu dieser Entscheidung bin ich
aufgrund mehrere Faktoren gekommen.
Da die autistischen Störungen nur sehr selten auftreten, ist es schwer, ausreichend viele
Schüler
für
eine
statistisch
abgesicherte
Arbeit
zu
finden.
Zudem
ist
die
musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten sehr
zeitaufwendig. Daher ist eine statistische Erhebung zu diesem Thema im Rahmen einer
wissenschaftlichen Hausarbeit und ohne weitere Hilfe nicht durchführbar. Um ein solches
Vorhaben durchzuführen, müßten mehrere auf einem großen Gebiet verteilte Personen
zusammenarbeiten. Zudem sind die Erfolge dieser Arbeit nur schwer statistisch zu
erheben, da der Aufbau eines Kontakts, der für meine Arbeit ein wichtiges Ziel war, nur
sehr ungenau erfaßbar ist.
4.2 Beschreibung der Rahmenbedingungen
Meine praktische Arbeit habe ich an der Ellerbecker Schule für Geistigbehinderte, in der
ich bereits mein Prüfungspraktikum ableistete, durchgeführt. Daher kannte ich bereits
einige Lehrer und einen der zwei Jungen, mit denen ich musiktherapeutisch arbeiten
wollte. Die Schulleiterin sowie die Klassenlehrer der zwei Jungen waren sehr an meiner
Arbeit interessiert und haben mich gut unterstützt.
Die Organisierung eines passenden Raum gestaltete sich sehr schwierig. Die einzigen
Räume, die für meine Zwecke in Frage kamen, waren die Aula und der
Psychomotorikraum, weil nur diese von den anderen Klassenräumen ausreichend isoliert
waren. Die Aula erschien mir aufgrund der Größe, die nach BENENZON (siehe Kapitel
3.5.1) ca. 5x5 Meter betragen sollte, weniger geeignet. Daher habe ich mich für den
Psychomotorikraum entschieden.
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50
Der Psychomotorikraum ist ca. 4x8 Meter groß und durch vier Fenster und eine große
Balkontür hell und freundlich. Links an der Wand stehen große Schränke, die
verschiedenstes Arbeitsmaterial enthalten. Rechts an der Wand steht ein Schrank, in dem
der größte Teil der Musikinstrumente aufbewahrt wird. An der linken Wand befindet sich
eine kleine Höhle, die mit Decken verdunkelt ist (1,5x1,5 Meter). Daneben ist ein sehr
kleines Bällebad (1,5x2 Meter). In der Mitte des Raums liegen meistens zwei
Bodenmatten. An der rechten Wand neben einer Tür, die in einen kleinen Nebenraum
führt, steht ein kleiner Tisch.
Bällebad
Arbeitsbereich
Tisch
Matten
Höhle
Waschbecken
Schränke
Schränke
Psychomotorikraum in der Ellerbecker Schule
Der Psychomotorikraum war sehr oft belegt, so daß er schwer war, einen Termin für meine
Förderung zu finden, an dem der Raum nicht besetzt war und der in den Stundenplan der
Jungen paßte. Da sich im Nebenraum ein Materiallager der Schule befindet, kam es auch
vereinzelt zu Störungen während der Therapie.
In der Schule war nur eine sehr begrenzte Anzahl von Musikinstrumenten vorhanden.
Dazu gehörten eine Gitarre, Handtrommeln, zwei Kongas, mehrere Tamburine, ein
Xylophon, Metallophone, Klangstäbe, ein Becken und Röhrenglocken. Ich habe daher
noch ein Schlagzeug, eine zweite Gitarre und einen E-Baß mitgebracht. Im Vergleich zur
Minimal – Ausstattung, die ich in Kapitel 3.5.1 beschrieben habe, sind dies nur wenige
Musikinstrumente. Für die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten muß
ohnehin die Anzahl der Musikinstrumente begrenzt werden und es hat sich gezeigt, daß
auch mit dieser vergleichsweise geringen Auswahl an Musikinstrumenten sinnvoll
gearbeitet werden kann.
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Da auch der Therapeut zum Setting gehört, beschreibe ich kurz, welche Vorerfahrungen
ich zu Beginn meiner Arbeit hatte. Das Gitarrenspielen habe ich mir selber beigebracht und
während meiner Schulzeit in der Jugendarbeit eingesetzt. Mit 16 Jahren habe ich
angefangen, in einer Band Baß zu spielen. Da ich das Fach Musik nicht studiert habe, hatte
ich vor der Beschäftigung mit dem Thema meiner wissenschaftlichen Hausarbeit nur im
Rahmen des Studiums am HPI von Musiktherapie gehört, war aber sehr am Einsatz von
Musik in der Sonderpädagogik interessiert. Dieses Interesse liegt zum Teil auch in den
Erfahrungen während meines Zivildienstes begründet. In dieser Zeit habe ich
hauptsächlich mit einem Jungen mit autistischem Verhalten gearbeitet und dabei auch das
Medium Musik eingesetzt. Vor meiner praktischen Arbeit habe ich verschiedene Bücher
zum Thema „Musiktherapie“ gelesen, mich mit einer Musiktherapeutin unterhalten und
mir einige Förderungen auf Video angesehen.
4.3 Beschreibung der Kinder
4.3.1 Kind A
A ist ein 17jähriger Junge mit autistischem Verhalten. Seine Mutter erzieht A, der keine
Geschwister hat, allein. Er ist seit einem Jahr in seiner jetzigen Klasse und gut in die
Klassengemeinschaft integriert.
Sein Klassenlehrer ist sehr um A bemüht, hat aber nicht immer genügend Zeit, sich mit A
so zu beschäftigen, wie er gerne möchte. A war als Kind sehr an Musik interessiert, hat in
letzter Zeit allerdings nur wenig Gelegenheit gehabt, zu musizieren. Seit dem Eintritt in die
Pubertät ist sein Verhalten problematischer geworden. A zeigt lediglich im Zusammenhang
mit Süßigkeiten Eigeninitiative. Wenn er über durch die Schule oder über den Hof gehen
soll, muß ihn jemand an die Hand nehmen. Im allgemeinen fordert er dann einen Lehrer
dazu auf.
Motorik
A ist körperlich seinem Alter entsprechend entwickelt. Die motorische Entwicklung ist
insgesamt als auffällig zu bezeichnen. Seine Bewegungen erscheinen sehr hypoton, und es
zeigen sich Schwächen im Krafteinsatz. Im allgemeinen sind seine grobmotorischen
Fähigkeiten jedoch besser als der allgemeine motorische Entwicklungsstand.
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Dies zeigt sich im Sportunterricht beim Werfen, Fangen und Balancieren auf Kästen und
Bänken. Seine Leistungen im Sportunterricht sind vor allem durch die sozialen und
motivationalen Beeinträchtigungen beeinflußt. Besonders geschickt ist er beim Radfahren
und Rollschuhlaufen. Sehr auffällig ist auch As Gang. Häufig geht er federnd und nur auf
den Ballen. As feinmotorische Fähigkeiten sind im Vergleich zu den grobmotorischen
wesentlich schwächer. Beim Schneiden und Kleben hat er große Schwierigkeiten.
Wahrnehmung
Bei As Wahrnehmung fällt besonders das häufige Zurückziehen auf die nahen Sinne wie
Tasten und Lecken auf. Dieses Verhalten zeigt A immer, wenn er verunsichert ist. Dann
klopft er meist Personen und die Ecken von Tischen mit dem Mittelfinger ab oder beleckt
Türen und Stühle. Dieses Zurückziehen auf die nahen Sinne ist vermutlich durch Probleme
bei der Wahrnehmungsverarbeitung zu erklären. A scheint Schwierigkeiten zu haben, Zeit
richtig wahrzunehmen und Ereignisse zeitlich zu ordnen. Der Ablauf der Woche
beschäftigt ihn sehr viel und er fragt häufig nach, was morgen, übermorgen oder nächste
Woche passiert.
Kommunikation
As sprachliche Fähigkeiten sind nicht dem Alter entsprechend entwickelt. Er kann die
Äußerungen von anderen Personen verstehen und auf sie reagieren. Auch der aktive
Wortschatz ist dem Alter entsprechend. Auffälligkeiten zeigen sich allerdings im Satzbau.
A verwendet zum Teil Zwei-Wort-Sätze und eigene Wortschöpfungen.
Es zeigen sich auch für Menschen mit autistischem Verhalten typische Auffälligkeiten, wie
pronominale Umkehr und Echolalie. A verwendet Sprache häufig in stereotyper Weise.
Dabei benutzt er meist immer wiederkehrende Floskeln, die von aktuellen Ereignissen
handeln. As Stimme ist in für den Autismus typischer Weise auffällig. Am Satzende hebt
er die Stimme in immer gleicher Weise an, als würde er eine Frage stellen. Insgesamt ist
seine Stimme sehr hoch und singend.
Im Bereich der Mimik und Gestik fällt auf, daß A in Situationen, in denen er seine
Mitmenschen verärgert, anfängt zu lächeln. As Lehrer meint, daß er die entsprechende
Person in diesen Momenten bewußt provoziert und sich auf die bekannte Reaktion freut.
Unter Umständen freut er sich, weil er nur in diesen Situationen die Reaktionen seiner
Umwelt sicher voraussagen kann.
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Sozialverhalten
As Sozialverhalten ist für einen Menschen mit autistischem Verhalten sehr ungewöhnlich.
Er hat große Freude an Gesprächen mit den Personen aus seinem Umfeld. Dabei handelt es
sich allerdings meist um sprachliche Interaktionen, die als stereotyp bezeichnet werden
können. Er wiederholt immer dieselben Fragen, die häufig etwas mit aktuellen Ereignissen
zu tun haben. Es scheint so, als würde er seine Gesprächspartner nur in seine sprachlichen
Stereotypien einbeziehen und nicht im eigentlichen Sinne eine Kommunikation suchen.
Seine Kontakte sind größtenteils auf die erwachsenen Personen aus seinem Umfeld
begrenzt. In diesem Schuljahr hat A begonnen, Kontakt zu seinen Mitschülern zu suchen.
Auch der Umgang mit seinen Klassenkameraden erscheint stereotyp.
Während der Pausen steht A meistens auf dem Schulhof und beobachtet die anderen
Kinder. Er steht immer in derselben Ecke des Pausenhofes. Von sich aus sucht er keinen
Kontakt zu seinen Mitschülern, die sich aber von Zeit zu Zeit ihrerseits mit A beschäftigen.
Diesen Kontakt kann A gut zulassen.
Stereotypes Verhalten
Bei A sind verschiedene Arten von stereotypem Verhalten zu beobachten. Die sprachlichen
Stereotypien und das Abklopfen seiner Umgebung mit dem Mittelfinger habe ich bereits
erwähnt. Die meisten Stereotypien haben den Charakter von Ritualen, die immer in
gleicher Form wiederholt werden müssen.
Geht As Umwelt nicht auf diese Rituale ein, reagiert er mit Wutausbrüchen, Weinen und
Schreien. Das Abweichen von Ritualen scheint bei A körperliche Schmerzen zu
verursachen. Er schreit teilweise bei seinen Wutausbrüchen sehr laut und schrill: „Aua!“
4.3.2 Kind B
B ist ein 10jähriger Junge mit autistischem Verhalten. Seine Mutter erzieht B, der auch
keine Geschwister hat, allein. Er ist seit 2 Jahren in seiner jetzigen Klasse und gut in die
Klassengemeinschaft
integriert.
Kontakt
kann
er
nur
schwer
zulassen.
Seine
Klassenlehrerin hat ein gutes Verhältnis zu ihm. Auch A ist sehr an Musik interessiert. Im
Rahmen des Klassenunterrichts hat er viel Freude, wenn Lieder mit Gitarrenbegleitung
gesungen werden. Er verhält sich dabei aber meist passiv und hört zu.
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Motorik
B ist körperlich seinem Alter entsprechend entwickelt. Motorische Auffälligkeiten sind
nicht zu beobachten. Im Sportunterricht zeigen sich vor allem aufgrund der fehlenden
Motivation Probleme. Im letzten Schuljahr wurde vor allem das Hin- und Herrollen von
Bällen geübt. Das Radfahren hat B im letzten Jahr gelernt, und in den Pausen fährt er gerne
auf dem Schulhof. Besonderes Geschick hat B beim stereotypen Kreisenlassen von runden
Gegenständen entwickelt.
Wahrnehmung
Bs Wahrnehmung erscheint unauffällig. Aufgrund der großen Einschränkungen im
Kontakt zu andern läßt sich dies allerdings nur schwer beurteilen.
Kommunikation
Die sprachlichen Fähigkeiten von B sind nicht seinem Alter entsprechend. Er verwendet
lediglich Ein- und Zwei-Wort-Sätze. Sein passiver Wortschatz hingegen ist seinem Alter
gemäß entwickelt. B versteht die sprachlichen Äußerungen seiner Umwelt, reagiert aber
nicht immer entsprechend. Auch B zeigt die für die autistischen Störungen typische
Echolalie und pronominale Umkehr. Er setzt Sprache nur selten als Kommunikationsmittel
ein. Lediglich beim Fragen nach den von ihm für seine Stereotypien bevorzugten
Gummihandschuhen hat seine Sprache eine kommunikative Absicht.
Gestik und Mimik sind unauffällig. Seine Stimme klingt monoton und singend. Er hebt
seine Stimme meistens in der Mitte einer Äußerung an und senkt sie dann am Ende.
Sozialverhalten
B zieht sich häufig von der Klassengemeinschaft zurück, indem er im Klassenraum eine
eigene Ecken aufsucht. Dort hantiert er dann mit Gegenständen, die vorzugsweise aus
Gummi sind. An Kontakten zu seinen Mitschülern oder den Lehrern hat er nur sehr wenig
Interesse. Von Zeit zu Zeit sucht er allerdings die Nähe von Erwachsenen, die ihm dann
auf den Rücken klopfen sollen. Kontakte zwischen B und seinen Mitschülern gehen immer
von den Klassenkameraden aus, die durchaus an ihm interessiert sind.
B nimmt nicht von sich aus am Unterrichtsgeschehen teil. Er ist nicht von sich aus
motiviert und benötigt immer intensiven Zuspruch, damit er sich auf gemeinsame
Vorhaben konzentrieren kann. Es kommt häufig vor, daß er die Mitarbeit völlig
verweigert. Bei längerer Belastung neigt B zum Weinen und Schreien.
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In den Pausen spielt er nicht mit den anderen Kindern. Meist sitzt er allein auf einer Bank
und wartet bis die Pause vorbei ist. Die Lehrer haben in diesem Schuljahr begonnen, ihm
in den Pausen das Fahrrad als Beschäftigung anzubieten.
Stereotypes Verhalten
Wenn sich B während des Unterricht von der Klasse zurückzieht, liegt er häufig auf dem
Boden und lautiert zu Schaukelbewegungen des Oberkörpers. Häufig bewegt er auch
Gegenstände aus Gummi, meist Gummihandschuhe, vor seinen Augen und Ohren. Da er
bei dieser Tätigkeit kaum ansprechbar ist, wird ihm das Hantieren mit den
Gummihandschuhe nur nach erledigter Arbeit erlaubt. Des weiteren kreiselt B gerne mit
runden Gegenständen, wie z.B. Deckeln von Marmeladengläsern. Wie schon erwähnt
zeigen sich bei B auch sprachliche Stereotypien.
4.4 Die Förderung
Da ich A bereits aus meinem Praktikum kannte, habe ich gleich mit der Musiktherapie
begonnen. Um B besser einschätzen zu können und einen ersten Kontakt aufzubauen,
hospitierte ich zunächst einige Stunden in seiner Klasse. In Anlehnung an die Therapie von
ALVIN (siehe Kapitel 3.7) gab ich den Kindern zu Beginn er Therapie die Möglichkeit,
die Musikinstrumente zu erkunden. Ich habe ihnen zunächst alle Instrumente vorgestellt
und sie aufgefordert, diese dann selber auszuprobieren.
Meine Arbeit war vor allem erlebniszentriert mit einem geringen übungszentrierten Anteil.
Da die Störung der zwischenmenschlichen sozialen Beziehungen für die Probleme von
Menschen mit autistischem Verhalten zentral anzusehen sind (siehe Kapitel 2.3), stehen sie
auch im Zentrum meiner musiktherapeutischen Arbeit. Ziel meiner therapeutischen Arbeit
war demnach die Herstellung und Vertiefung des Kontakts zu den Kindern mit Hilfe der
Musik als nonverbales Kommunikationsmittel (vgl. auch ALVIN und SCHUMACHER Kapitel 3.7). Durch das gemeinsame Musizieren sollte den Kinder die Möglichkeit
gegeben werden, intensive soziale Erfahrungen zu machen.
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4.4.1 Förderung von Kind A
A kannte ich bereits aus meinem Praktikum. Gerade während des Schwimmunterrichts
hatte ich viel Zeit und Gelegenheit, mich mit ihm allein zu beschäftigen. Daher habe ich
meine musiktherapeutische Arbeit mit A begonnen und nicht mit B. Um die für A neue
und ungewohnte Situation zu erleichtern, beschlossen der Klassenlehrer und ich, daß ich
den täglichen Toilettengang, der vor der Therapiezeit liegt, an den Therapietagen
übernehmen sollte. Dazu ging ich mit A auf eine andere Toilette als sonst. Diese Toilette
liegt direkt neben dem Psychomotorikraum und A kannte sie vorher noch nicht. Dadurch
sollte A ein deutliches Signal erhalten, daß an den entsprechenden Tagen etwas anderes
passierte. Der Wechsel im Tagesablauf war für A zunächst ein Problem, das sich aber
bereits nach zwei Wochen als nicht weniger schwerwiegend zeigte.
Während der ersten zwei Wochen war bei A keine Reaktion auf die von mir gespielte
Musik zu beobachten. Zunächst blieb er an der Tür stehen, griff nicht aktiv in den
musikalischen Prozeß ein. Er schien aber aufmerksam zuzuhören. Bereits in der dritten
Therapiestunde zeigte sich eine Reaktion, die ich aufgreifen konnte. A tippte mit einem
Finger im Rhythmus der Musik auf seinen Stuhl. Ich vermutete, daß A besonders am
Rhythmus der Musik und an Rhythmusinstrumenten interessiert sein könnte und stellte das
Schlagzeug vor seinen Stuhl. Er fing spontan an, darauf zu spielen. Am Ende dieser Stunde
war As Klassenlehrer sehr überrascht, wie gut und ausdauernd A mitmachte.
Um zu kontrollieren, ob das Schlagzeug auch von A selbst bevorzugen würde, stellte ich es
in der folgenden Therapiestunde in eine andere Ecke des Raum. Als A dann in den Raum
kam, lächelte er kurz, ging dann direkt zum Schlagzeug und setzte sich hin. As Spiel war
zu Beginn der Therapie sehr monoton, ungleichmäßig und er spielte mit nur einer Hand.
Die andere Hand hatte er auf seinem Schoß.
Nach kurzer Zeit war sein Rhythmus wesentlich gleichmäßiger, aber weiterhin monoton.
Während A Schlagzeug spielte, habe ich ihn auf der Gitarre oder dem Baß begleitet. Im
Verlauf der Therapie zeigte sich, daß A den Baß zur Begleitung seiner Musik bevorzugte.
Er spielte dann ausdauernder und lauter. Zu Beginn einer Therapiestunde, als A bereits am
Schlagzeug saß, sagte er, ich solle das „Rot-Schwarze“ nehmen. Da mein Baß schwarz ist
und einen schwarz-roten Gurt hat, meinte er vermutlich, daß ich ihn auf dem Baß begleiten
sollte.
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57
Ich bot ihm immer wieder andere Musikinstrumente an, die er aber zunächst immer
verweigerte. Erst in der vorletzten Therapiestunde fing A an, auch auf dem Klavier zu
spielen. Dazu mußte ich allerdings zunächst allein beginnen, bis er dann von sich aus
aufstand und zusammen mit mir spielte.
In der vierten Therapiestunde kam es zu einem sehr intensiven Kontakt zwischen uns. Zu
Beginn der Stunde begleitete ich A auf der Gitarre. A spielte dabei eintönig und unterbrach
sein Musizieren oft. Er spielte aber plötzlich sehr abwechslungsreich, nachdem ich die
Gitarre gegen den Baß tauschte. Er schlug z.B. ungewöhnlich laut und schnell auf das
Becken. Diesen Impuls versuchte ich, durch schnelle und unruhige Baßläufe
widerzuspiegeln und zu unterstützen (imitating / reflecting). Als A sich dann offensichtlich
wieder beruhigt hatte, spielte er wesentlich leiser und gleichmäßiger auf der Snaredrum
und den Röhrenglocken. Diese Stimmung habe ich versucht, auf dem Baß durch ruhige
und tiefe Töne nachzuahmen. Am Ende dieser Stunde wirkte A sehr ruhig und entspannt.
As Verhalten am Ende einer Therapiestunde war auch im allgemeinen verändert. So
konnte er schon nach kurzer Zeit allein ohne die sonst übliche Unterstützung eines
Erwachsenen auf den Hof und zum Bus gehen. Er konnte nach der Therapie auf einige
Rituale auf dem Weg zum Bus verzichten und wirkte insgesamt wesentlich entspannter als
vorher.
Die Therapie war für A eine wichtige und freudige Abwechslung im Schulalltag. Er ging
gerne mit mir in den Therapieraum und zeigte nie Angst oder Unmut. Als ich ihm in der
letzten Therapiestunde sagte, daß wir keine Musik mehr machen würden, war er
anscheinend sehr traurig. Er fragte immer wieder nach, ob wir denn nicht in der nächsten
oder übernächsten Woche oder nach den Ferien Musik machen wollen.
4.4.2 Förderung von Kind B
Der Verlauf der Förderung von Kind B unterschied sich stark vom Verlauf der Arbeit mit
Kind A. Ich kannte B vor dem Beginn meiner praktischen Arbeit für meine
wissenschaftliche Hausarbeit noch nicht. Daher wollte ich eigentlich einige Stunden in
seiner Klasse hospitieren, damit ich ihn besser einschätzen und er sich an mich gewöhnen
konnte.
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In der zweiten Stunde, in der ich in Bs Klasse hospitierte, verweigerte er die Mitarbeit im
Unterricht. Daher entschied ich spontan, mit B in den Therapieraum zu gehen, der für die
Therapie mit A schon vorbereitet war. In dieser Stunde zog sich B, gleich als er in den
Therapieraum kam, in die Höhle auf der linken Seite des Raumes zurück. Er hörte mir
lange beim Spielen auf der Gitarre zu bis er aus der Höhle kam und das Schlagzeug sehr
vorsichtig betastete. Es folgten dann viele Stunden, in denen ich keine Reaktionen von B
beobachtete, die ich hätte aufgreifen können.
In der siebten Therapiestunde ordnete ich die Musikinstrumente auf einer Bodenmatte in
der Mitte des Raums an, damit ich B besser beobachten und gegebenenfalls auf ihn
reagieren konnte. B setzte sich gleich zu Beginn der Stunde zu mir auf die Matte und hörte
mir konzentriert zu. Er unterbrach zeitweise sein stereotypes Wedeln mit dem
Gummihandschuh und juchzte. Als ich diese Juchzen mit der Musik aufgriff und imitierte,
war wieder keine Reaktion zu beobachten. In dieser Stunde konnte ich bei B ein Verhalten
beobachten, das er später noch öfter zeigte. Nach einer Phase eines sehr intensiven
Kontakts, in der er mir lange und konzentriert zuhörte, zog er sich zurück. Diese Verhalten
zeigte mir, daß ich B zu nahe gekommen in. Daher beschloß ich, den Wunsch nach Distanz
– im Sinne des Ausbalancierens von Nähe und Distanz (vgl. Schumacher Kapitel 3.7) - zu
respektieren. So habe ich diese Stunde, da sie ohnehin fast vorbei war, beendet.
Nach dem Umzug in die Aula aufgrund von Renovierungsarbeiten, veränderte sich Bs
Verhalten. Zunächst war er sehr verwirrt. Dann fand er in dem Stuhllager, das sich an die
Aula anschloß, einen Metalldeckel, den er kreiseln lassen konnte. Er lief damit durch den
Raum, warf den Deckel durch die Luft und hockte sich von Zeit zu Zeit auf den Boden, um
den Deckel kreiseln zu lassen. Das Kreiseln und Werfen des Metalldeckels sowie Bs
Laufen durch den Raum versuchte ich musikalisch aufzugreifen (vgl. SCHUMACHER Kapitel 3.7). B reagierte zunächst nicht auf mein Spielen. Dann ließ er seinen Metalldeckel
liegen, ging zum Schlagzeug und betastete es vorsichtig. Als ich ihm einen Stick in die
Hand gab und anfing auf dem Becken zu spielen, ging er weg und untersuchte den Baß.
Erst als er das Klavier ausprobierte, fing er kurz an zu Spielen und zog sich danach in
einen Nebenraum zurück.
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Nach diesen ersten vorsichtigen Kontaktaufnahmen zu den Musikinstrumenten griff B in
der letzten Stunde das erstemal aktiv in den musikalischen Prozeß ein. In dieser Stunde
untersuchte er zunächst vorsichtig die Instrumente. Dann lief er durch die Aula und juchzte
dabei sehr laut. Als ich sein Juchzen dann aufgriff und mit der Gitarre begleitete, stellte
sich B vor mich, sprang auf und ab und juchzte dabei sehr begeistert. Nachdem wir so sehr
lange zusammen gesungen haben, zog sich B wieder zurück, zog sich selber die Schuhe an
und verließ den Raum.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß B immer gerne an der Therapie teilnahm. Er zeigte
nie Angst und verzichtete einmal sogar auf ein Stück Kuchen, um gleich mit mir nach oben
zu laufen. Auf dem Weg in den Therapieraum lief er wie immer voraus, um sich dann in
eine Ecke zurückzuziehen und der Musik zuzuhören. Daß B wesentlich später als A auf
meine Kontaktangebote reagiert hat, liegt vermutlich daran, daß wir uns vor Beginn der
Therapie nicht kannten.
4.5 Beurteilung der Therapie
Am Anfang meiner Arbeit tendierte ich dazu, die Therapie mit A, aufgrund der frühen
Erfolge, als besonders erfolgreich zu beurteilen. Es zeigte sich aber, daß sich der
musikalische Prozeß in der Musiktherapie mit A zunächst kaum weiterentwickelte. Erst am
Ende meiner praktischen Arbeit konnte man größere Veränderungen in As Verhalten
während der Therapie beobachten. Der scheinbare Stillstand im therapeutischen Prozeß
kann aber auch auf mein vorschnelles Vorgehen zu Beginn der Arbeit mit A zurückgeführt
werden. Aufgrund meiner fehlenden Erfahrung habe ich nicht abgewartet bis A von sich
aus Kontakt zu den Instrumenten suchte, sondern habe ihm das Schlagzeug direkt
angeboten. Besser wäre es gewesen, auf As Initiative zu warten und ihm in der
Zwischenzeit auf verschiedenen Instrumenten musikalische Kontaktangebote zu machen.
B hingegen reagiert lange Zeit kaum auf die Musik. Er griff nicht aktiv in den
musikalischen Prozeß ein, sondern hörte nur zeitweise konzentriert zu. Zu Beginn der
Förderung schien er mich, die Musik und die Instrumente in der meisten Zeit zu ignorieren.
Erst in den letzten beiden Stunden reagierte er beobachtbar.
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Es zeigt sich also, daß die sehr unterschiedlichen Verläufe der Förderungen schwer zu
vergleichen sind. Weil ich A schon kannte, war der Kontakt zwischen uns schon zu Beginn
von anderer Qualität als der zwischen B und mir. Da sich im Verlauf beider Therapien
Fortschritte ergaben, würde ich beide Förderungen als erfolgreich bezeichnen. Eine
qualitative Bewertung erscheint mir aufgrund der sehr komplexen Prozesse nicht sinnvoll.
Beide Jungen hatten an der musiktherapeutischen Arbeit große Freude. Sie sind immer
gerne mit mir in den Therapieraum gekommen und haben ihren Möglichkeiten und der
Therapiesituation entsprechend reagiert und Fortschritte gemacht. Beide haben offenbar
intensive soziale Erfahrungen gemacht. Sie konnten sich aber auch jederzeit zurückziehen.
Bei der Förderung vom Menschen mit autistischem Verhalten ist es sehr wichtig, soziale
Erfahrungen zu ermöglichen, aber auch Rückzüge des Klienten zu akzeptieren. Da
Fortschritte nur sehr langsam zu erwarten sind, muß der Therapeut sehr geduldig und
vorsichtig vorgehen. Drängt man den Klienten zum Mitmachen, kann sich sein
zurückziehendes Verhalten verstärken.
Die musiktherapeutische Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten ist wie
erwähnt sehr langwierig. Daher war nicht zu erwarten, daß sich während der kurzen
Therapiedauer im Verhalten der beiden Jungen größere Veränderungen ergeben. Bei
beiden Jungen haben sich aber am Ende meiner praktischen Arbeit Änderungen im
Verhalten während der Therapie ergeben, die vermuten lassen, daß bei einer wesentlich
längeren Förderungsdauer größere Erfolge möglich wären.
Bezüglich des Settings haben sich interessante Ergebnisse ergeben. Der Umzug in die Aula
hat in beiden Förderungen zu positiven Veränderungen geführt. Vor allem das Verhalten
von B hat sich stark in der Aula verändert. Aufgrund des größeren Raums konnte B den
Abstand zu mir und zur Musik besser variieren und sich dadurch besser auf die neue
Situation einlassen. Diese Beobachtung zeigt, daß der Raum für die musiktherapeutische
Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten größer sein sollte, als von
BENENZON in Kapitel 3.5.1 gefordert.
Da ich keine professionelle musikalische Ausbildung habe, sind meine Möglichkeiten,
Musik einzusetzen, durchaus begrenzt. Trotzdem konnte ich mit dem Medium Musik zu
den Kindern eine gute Beziehung herstellen, die offensichtlich von beiden mit positiven
Gefühlen verbunden wurden.
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Schon die Tatsache, daß beide Jungen an der Therapie viel Freude hatten, spricht für einen
Einsatz der Musik bei der Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten. Bei
Kindern, die wie A nur sehr wenige Interessen haben, bietet die musiktherapeutische
Arbeit eine gute Möglichkeit, neue Interessen zu wecken und Eigeninitiative zu fördern.
Für meine praktische Arbeit waren meine Erfahrungen die ich beim Spielen in meiner
Band gesammelt habe, sehr hilfreich. Dabei konnte ich lernen, spontan auf das Musizieren
anderer zu reagieren. Während der musiktherapeutischen Arbeit habe ich allerdings häufig
bemerkt, daß mir teilweise die musikalischen Möglichkeiten fehlten, um mich den
Anforderungen entsprechend auf den Instrumenten auszudrücken. Um effektiver und
sicherer mit der musiktherapeutischen Situation umgehen zu können, ist eine
professionelle Ausbildung an einem oder besser noch mehreren Instrumenten durchaus
sinnvoll. Für eine anschließende Bearbeitung konkreter Probleme fehlt mir zudem die
entsprechende Ausbildung. Die konfliktzentrierte Therapie von behinderten Menschen
sollte meiner Meinung nach immer von professionell ausgebildeten Musiktherapeuten
durchgeführt werden.
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5. Schlußbetrachtung
Da die Ursachen der autistischen Störung nicht endgültig geklärt sind, gibt es keine
Therapie, die für jeden Menschen mit autistischem Verhalten die richtige wäre. Die
verschiedenen Erklärungshypothesen geben Hinweise für verschiedene Arten der Therapie,
die aber immer auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Probleme des einzelnen
Menschen mit autistischem Verhalten ausgerichtet werden müssen. Dabei sollte man sich
nicht auf eine bestimmte Therapieform beschränken, sondern versuchen, mehrere Ansätze
so zu verbinden, daß sie eine möglichst umfassende Förderung ergeben.
Für die Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten läßt sich die Musiktherapie
vor allem zur Förderung der sozialen Entwicklung einsetzen. Auf musikalischer Ebene
können die Kinder soziale Erfahrungen erleben, die sie in anderen Bereichen nicht oder nur
eingeschränkt machen können. Die Musiktherapie kann bei Menschen mit autistischem
Verhalten elementare Grundlagen schaffen, die in Verbindung mit anderen Formen der
Förderung die weitere Entwicklung positiv beeinflussen.
Da Menschen mit autistischem Verhalten häufig an Musik interessiert sind, kann Musik im
Sinne des therapeutischen Musizierens als Freizeitbeschäftigung eingesetzt werden. Die
Kinder haben im allgemeinen viel Freude am Musizieren und können dadurch neue
Interessen und mehr Eigeninitiative entwickeln. Das Musizieren kann so für diese
Menschen ein erfüllenden Teil des Lebens sein.
Für mich war bei der Wahl des Themas meiner wissenschaftlichen Hausarbeit von
besonderem
Interesse,
welche
musikalischen
Kompetenzen
beim
Therapeuten
vorauszusetzen sind. Durch meine praktische Arbeit hat sich gezeigt, daß sich das Medium
Musik auch mit eingeschränkten musikalischen Kompetenzen bei der Förderung von
Menschen mit autistischem Verhalten sinnvoll einsetzen läßt.
Mit meiner musiktherapeutischen Arbeit an der Ellerbecker Schule bin ich sehr zufrieden.
Bevor ich mich mit dem Thema Musiktherapie beschäftigt habe, hatte ich nur eine vage
Vorstellung von der Arbeitsweise und den Möglichkeiten der musiktherapeutischen
Förderung von Menschen mit autistischem Verhalten. Durch die Beschäftigung mit der
entsprechenden Literatur und meine praktische Arbeit habe ich einen guten Einblick
erhalten und denke, daß ich Musik auch später in meiner eigenen Klasse einsetzen werde.
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63
6. Literatur
ALVIN, J.:
Musiktherapie. München, 1984.
ALVIN, J.:
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autistische Kinder. Stuttgart, 1988.
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BUNDESVERBAND „HILFE FÜR DAS AUTISTISCHE KIND“:
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therapeutische
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Aktive Förderung der Entwicklung des Kindes.
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Erzieher, Lehrer und Therapeuten. Stuttgart /
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Stuttgart / Jena / New York 1994
SCHUMACHER, K.:
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Unveröffentlichtes Manuskript, Kiel, 1996.
ZIEGENRÜCKER, W:
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Allgemeine Musiklehre. München, 1986.
67
7. Anhang
Musiktherapeutische Förderung
in der Schule für Geistigbehinderte Kiel Ellerbeck
Therapie mit Kind A:
Therapiesitzung am 23.4.99
Um A die neue Situation zu erleichtern, beschließen wir, daß ich an den Therapietagen den
täglichen Toilettengang übernehme und gleich mit A nach oben auf eine andere Toilette
gehe. Es dauert sehr lange bis A mit nach oben kommt. Er ist sehr aufgeregt und redet viel.
Als wir in den Psychomotorikraum (Therapieraum) kommen, ist schon ein großer Teil der
zweiten Stunde, in der die Musiktherapie stattfinden soll, vergangen. Da A an der Tür
stehen bleibt und nicht weiter in den Raum kommen möchte, spiele ich ihm auf der Gitarre
einige Lieder vor und improvisiere ein wenig. A reagiert kaum, scheint aber zuzuhören,
denn er schaut mich an. Er unterbricht mich häufig und redet viel. Dabei verwendet er die
Sprache stereotyp.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Dauert es wieder so lange – Toilettengang weglassen
-
Instrumente vorstellen und zum mitspielen anregen
Therapiesitzung am 30.4.99
A kommt heute ohne Widerwillen mit nach oben. Auch der Toilettengang läuft ohne
größere Probleme ab. A scheint sich zu freuen und fragt öfter ob wir wieder Musik machen
wollen. Er möchte in die Aule (As Klassenlehrer hatte beim erstenmal angekündigt, wir
würden in die Aula gehen und Musik machen). Als ich dann mit in die Aula gehen will,
zieht mich in Richtung Psychomotorikraum und meint wir sollen Musik machen. A bleibt
wieder zunächst an der Tür stehen. Ich fange an, A die Instrumente vorzustellen und ihm
verschiedene Melodien darauf vorzuspielen. A unterbricht mich wieder häufig und redet
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68
mit mir. Dabei handelt es sich wieder um die üblichen stereotypen Frage-AntwortGespräche.
Auf die Musik reagiert er anscheinend nicht. Am Ende der Stunde, als ich gerade auf der
Gitarre spiele, kommt er aber in den Raum, setzt sich auf einen Stuhl, der weit von den
Instrumenten an einem Tisch steht und hört mir zu.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Weiter Musik vorspielen
-
Reaktionen genau beobachten
-
ggf. auf Kontaktangebote reagieren
Therapiesitzung am 7.5.99
A kommt in den Raum und setzt sich auf einen Stuhl, der an keinem Instrument steht. Das
Xylophon ist das nächste Instrument und ca. eine Armlänge von ihm entfernt. Er klopft
einmal vorsichtig darauf, ignoriert die anderen Instrumente aber völlig. Er redet viel,
gebraucht die Sprache wieder hauptsächlich stereotyp. Als ich anfange, ihm auf dem Baß
Musik vorzuspielen, fängt A an, auf dem Stuhl in einem zur Musik passenden Rhythmus
zu klopfen. Wenn die Musik abbricht, hört er auch auf zu klopfen. Nach einiger Zeit wird
A ruhiger und spricht nur noch sehr wenig. Wenn mein Spiel sehr rhythmisch wird, lächelt
er. Ich schließe daraus, daß A sehr am Rhythmus der Musik interessiert ist und gebe ihm
ein Konga. Da ihm anscheinend dessen Kläng nicht gefällt, stelle die Tom vor seinen
Stuhl. A fängt spontan an, passend zu der Musik, die ich auf der Gitarre spiele, auf der
Tom einen Rhythmus mitzuspielen. Da er begeistert bei der Sache ist, stelle ich auch die
Snare und das Becken dazu. A ist vom Klang des Beckens sehr fasziniert. Er schlägt sehr
schnell und kräftig auf das Becken, hält sich aber mit der Schulter das Ohr zu.
Nachdem geklärt ist, welches Instrument A interessiert, improvisieren wir gemeinsam. Am
Anfang ist As Rhythmus noch sehr ungleichmäßig. Nach einiger Zeit wird das aber besser,
so daß das gemeinsame Spielen uns beiden viel Spaß macht. A benutzt nur die linke Hand
zum Spielen.
Als ich A auf den Pausenhof bringe, fragt sein Klassenlehrer nur, ob ich gleichzeitig
Schlagzeug und Baß spielen könne. Er sei total überrascht, wie gut A mitgemacht habe.
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Folgerungen für die nächste Stunde:
-
versuchen, Kommunikation zu initiieren
-
Schlagzeug nach hinten stellen, um zu kontrollieren, ob A es wirklich bevorzugt
Therapiesitzung am 21.5.99
Als A in den Raum kommt und das Schlagzeug sieht, lächelt er und geht spontan darauf
zu. Er sagt wieder, daß er in die Aula möchte. Weil das Klavier in der Aula steht, frage ich
ihn, ob er Klavier spielen möchte. A möchte nicht, geht zum Schlagzeug und setzt sich
spontan hin (Schlagzeug am anderen Ende des Raums). Die Sticks gebe ich ihm in die
Hände und er fängt von sich aus an zu spielen. Ich beginne, auf der Gitarre zu spielen. A
spielt begeistert mit. Sein Rhythmus ist sehr eintönig. Beim Spielen kommt es zunächst zu
keiner Kommunikation. Ich wechsle das Instrument und nehme den Baß.
Wenn A auf dem Becken spielt, spiele ich eine tiefe, schnelle und rhythmische Begleitung.
Spielt er auf Tom und Snare einen Rhythmus, so reagiere ich mit rhythmischen Baßläufen.
Beim Anschlagen der „Röhrenglocken“ spiele ich hohe, eher schwebende Melodien.
Dann fängt A plötzlich an, sehr laut und schnell auf das Becken einzuschlagen. Davon
lasse ich mich inspirieren und improvisiere sehr laut und unruhig auf dem Baß. A wird
nach einigen Minuten wieder ruhiger und spielt auf den „Röhrenglocken“.
A unterbricht das Spiel öfter und spricht sehr langsam und ruhig mit mir. Zum Abschluß
spielen wir noch sehr entspannte und rhythmische Musik, wobei A sein Schlagzeugspiel
durch Schlagen auf den Rand der Trommeln und durch vereinzelten Einsatz des Beckens
variiert. Als ich sage, daß die Zeit vorbei ist, will A zunächst nicht aufhören. Ich muß ihm
die Sticks aus der Hand nehmen, was er sich ohne weiteres gefallen läßt. Er steht nach
Aufforderung selbständig auf und geht mit mir (ohne zu ziehen) auf den Pausenhof.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
die Kommunikation von Baß und Schlagzeug weiterführen
-
probieren, mit A zusammen Schlagzeug spielen
Erweiterung seines Rhythmus Repertoires
-
auf das Schlagzeug beschränken
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Therapiesitzung am 28.5.99
Als A in den Raum kommt, geht er wieder direkt zum Schlagzeug. Als ich anfange an auf
der Gitarre zu spielen steigt A von sich aus mit ein und spielt sehr monoton mit. Er variiert
sein Spiel kaum und unterbricht es häufig, um sich mit mir zu unterhalten. Ich spiegle
seinen eintönigen Rhythmus durch sehr einfache und monotone Baßläufe wieder. Es sind
bei A keine Reaktionen erkennbar. Wir haben bis zum Ende der Stunde zusammen
musiziert, es waren aber keine Impulse von A wahrnehmbar.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
andere Instrumente anbieten
Therapiesitzung am 4.6.99
A freut sich als er mich sieht und fragt gleich, ob wir wieder Musik machen wollen. Da in
unserem Raum heute eine andere Veranstaltung ist, gehe ich mit A nach draußen. Damit
scheint er keine Probleme zu haben. Wir setzen uns mit Gitarre und Handtrommel in den
Garten, und ich fange an, Gitarre zu spielen. A geht nicht auf das Angebot ein.
Da A das Spielen und das gute Wetter zu genießen scheint, spiele ich weiter und dränge
ihn zum Mitspielen. Sein Verhalten nach der Stunde hat sich nicht beobachtbar verändert.
Therapiesitzung am 11.6.99
A freut sich, mich zu sehen und fragt, ob wir wieder Musik machen wollen. Er kommt sehr
schnell mit nach oben. Da heute nach der Therapie Schulschluß ist, nehmen wir Jacke und
Rucksack mit nach oben. Er zieht sich die Jacke schnell aus und geht selbständig in den
Raum. An das Schlagzeug setzt er sich nicht selbst. Ich habe eine Gitarre auf E-Dur
gestimmt, so daß man mit einem Finger und dem Bottleneck sehr leicht verschiedene
Akkorde greifen kann. Als ich ihm die Gitarre zeige und frage, ob er probieren will darauf
zu spielen, wehrt er ab und setzt sich an das Schlagzeug. Er zeigt auf meine Instrumente
und fordert mich auf anzufangen. Daraufhin nehme ich meine Gitarre. A meint plötzlich,
ich solle doch das Schwarz-Rote nehmen (mein Baß ist schwarz – der Baßgurt schwarzrot).
Als ich den Baß in die Hand nehme, lächelt A mich an, und wir fangen an zu spielen. Das
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eigentliche Spielen ist heute nicht so interessant. Ich versuche nur dann zu spielen, wenn
die Initiative von A ausgeht. Dadurch kommt es zu langen Pausen, in denen A sich mit mir
„unterhält“ (fragt immer wieder, ob wir nächste Woche Musik machen - und übernächste
Woche).
Sein Rhythmus ist schon etwas abwechslungsreicher geworden. („Bum Bum Batsch“ statt
„Bum Batsch“) Er spielt anscheinend lauter als sonst. Ich kann ihn mit der Akustikgitarre
nicht begleiten, weil sie im Vergleich zum Schlagzeug zu leise ist.
Nach der Therapie legt A nach Aufforderung die Sticks selber weg und geht alleine aus
dem Raum. Die Jacke zieht er sehr schnell an und fragt nach meiner Hand. Er zieht nicht
an der Hand und geht sehr schnell die Treppe runter. Einige der täglichen Stereotypien auf
dem Weg zum Bus kann er auslassen.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Spielregeln einführen (gemeinsames Anfangen und Aufhören)
-
Gitarre wieder anbieten
-
E-Gitarre ausprobieren
Therapiesitzung am 18.6.99
In der Woche vom 14. Bis zum 19.6. findet an der Ellerbecker Schule die Projektwoche
statt. Die Therapie mußte daher ausfallen.
Therapiesitzung am 25.6.99
As Lehrer berichtete, daß A heute nicht gut drauf ist. Es dauert heute auch länger bis er mit
nach oben in den Therapieraum kommt. Als A in den Raum kommt, geht er sofort zum
Schlagzeug. Ich biete ihm die Gitarre zum Spielen an. Er lehnt ab und wir fangen an zu
musizieren. A spielt heute sehr langsam und eintönig. Ich unterstütze seinen Rhythmus mit
dem Baß und spiele auch immer wiederkehrende Motive. Er schlägt sehr lange und laut auf
das Becken.
Er wirkt sehr unkonzentriert, unterbricht häufig sein Schlagzeugspiel und unterhält sich
dann mit mir. Nachdem wir einige Zeit Musik gemacht haben, schlage ich vor, daß wir
gemeinsam mit dem Spielen anfangen. Dazu zähle ich zunächst an. A geht aber nur einmal
darauf ein.
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Um etwas Abwechslung in seinen Rhythmus zu bringen, fordere ich A auf, etwas schneller
zu spielen. Er geht darauf ein, spielt aber sehr ungleichmäßig. Insgesamt ist die heutige
Sitzung nicht so intensiv wie sonst. Mit der E-Gitarre kann ich A am Schlagzeug begleiten
– sie ist laut genug.
Nach der Stunde will A nicht aufhören. Ich muß ihm die Sticks aus der Hand nehmen, was
er nur mit Widerwillen zuläßt. A fragt nach meiner Hand als wir auf den Pausenhof gehen.
Ich frage ihn, ob es ausreicht, wenn ich mitkomme, und A geht darauf selbständig auf den
Hof.
Folgerungen für die nächste Sitzung:
-
auf dem Schlagzeug andere Rhythmen anbieten
Therapiestunde am 2.7.99
Da der Therapieraum renoviert wird, müssen wir von nun an in die Aula umziehen. A
kommt heute wieder alleine in den Raum und setzte sich spontan ans Schlagzeug. Der
Raumwechsel beschäftigt ihn vor der Stunde sehr. Er fragt immer wieder nach, in welchem
Raum wir heute Musik machen. Als er in die Aula kommt, scheint ihm der Wechsel aber
nichts mehr auszumachen.
Heute ist A wieder besser bei der Sache. Er spielt ausdauernder als beim letzten Mal und
unterbricht sein Spiel nur selten. Sein Rhythmus ist aber immer noch sehr eintönig.
Nachdem wir einige Zeit zusammen gespielt haben, nehme ich mir eine Handtrommel und
begleite ihn damit. Es scheint ihm zu gefallen, denn er lächelt viel und spielt sehr
ausdauernd. Sein Rhythmus bleibt aber, obwohl ich ihm verschiedene Variationen
vorspiele, eintönig.
Gegen Ende der Stunde schlage ich vor, daß wir gemeinsam am Klavier spielen. A möchte
zunächst nicht und sagt: „Nee gut !“. Als ich anfange zu spielen, kommt er aber doch, zeigt
auf das Schlagzeug und meint, ich solle da spielen. Ich fange an zu spielen, A spielt aber
sehr zögernd. Daher setze ich mich neben ihn und wir spielen zusammen. Es scheint ihm
viel Spaß zu machen, denn er spielt sehr abwechslungsreich.
Am Ende der Stunde fange ich an abzubauen und fordere ihn auf, nach unten auf den Hof
zu gehen. A fragt, ob ich ihn an die Hand nehme. Darauf schlage ich vor, daß er alleine
vorgeht und ich dann nachkomme. Als ich ihm dann folge, ist er bereits auf dem Hof.
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Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Der Ablauf war gut und hat A Spaß gemacht – beim nächsten Mal ähnlich gestalten
Therapiesitzung am 9.7.99
Da heute auch die Aula besetzt ist, bleiben wir in As Klasse. Die Klasse ist heute
ausnahmsweise frei, weil die anderen Kinder zum Rudern gefahren sind. Der erneute
Raumwechsel ist für A sehr verwirrend. Daher dauert es auch lange bis wir endlich in der
Klasse sind und anfangen können. Da ich A schon in der vorherigen Stunde erzählt hatte,
daß wir heute zum letzten Mal Musik machen, fragt er ständig nach, wann wir denn wieder
zusammen musizieren. Es ist für ihn anscheinend nur schwer zu akzeptieren, daß wir
aufhören.
A spielt heute sehr laut und bezieht auch den Rand der einzelnen Trommeln mit in sein
Spiel ein. Er wirkt etwas abgelenkt, unterbricht häufig sein Spiel und fragt immer wieder,
ob wir aufhören oder wann wir wieder Musik machen. Als ich ihn auf den Handtrommeln
begleite, spielt er besonders begeistert mit und lächelt. Es scheint ihm auch zu gefallen,
wenn ich mir seinen zweiten Stick nehme und zusammen mit ihm Schlagzeug spiele.
Am Ende der Stunde, die heute nur ca. ½ Stunde lang war, hört er nur mit Widerwillen auf,
geht dann aber selbständig auf den Pausenhof.
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Therapie mit Kind B:
Therapiesitzung am 30.4.99
Eigentlich war geplant, daß ich in dieser Stunde nur hospitiere und B im Unterricht
beobachte. Da B aber keine Lust hat, am Unterricht teilzunehmen und er in diesem Fall
jegliche Mitarbeit verweigert, gehe ich mit ihm spontan in den Therapieraum, wo schon
alle Instrumente für A aufgebaut sind.
B geht direkt zum Schlagzeug und klopft vorsichtig auf das Becken. Danach zieht er sich
in eine Höhle zurück, die in diesem Raum steht, weil es sich um den Psychomotorikraum
handelt. In dieser Höhle sitzt er sehr lange, hört aber anscheinend interessiert zu.
Nach ca. 10 Minuten, ich spiele gerade Gitarre, kommt er aus der Höhle, setzt sich vor
mich und hört aufmerksam zu. Dann steht er auf und setzt sich auf einen Stuhl, der ca. 2m
von den Instrumenten entfernt ist und hört wieder nur aufmerksam zu. B steht auf und geht
auf das Schlagzeug zu. Als er auf das Becken schlägt, fällt es herunter. Durch das sehr
laute Scheppern erschrickt B, er setzt sich dann auf die Matte und nimmt zwei Schlegel
vom Xylophon. Er spielt allerdings nicht auf dem Xylophon, sondern klopft mit den
Schlegeln aufeinander.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
wieder alle Instrumente anbieten
-
vorspielen und abwarten
-
fragen, ob er Angst vor dem Becken hat
Therapiesitzung am 7.5.99
Weil der Raum in der letzten Stunde besetzt ist, muß die Therapie leider ausfallen.
Therapiesitzung am 19.5.99
B kommt bereitwillig mit in den Therapieraum. Heute hat er seine Gummihandschuhe
dabei und ist dadurch sehr abgelenkt. Er verkriecht sich sofort in die Höhle und ist mit
Stereotypien beschäftigt. Auf die Musik geht er heute nicht ein. Er singt nicht mit, ignoriert
mich und zeigt kein Interesse an der Musik. Einmal geht er durch den Raum und klopft
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vorsichtig an das Becken. Die Frage, ob er wegen des letzten Mals Angst davor habe und
ich das Becken wieder abbauen soll, verneint er.
Ich spiele während der Therapiestunde auf Baß und Gitarre verschiedene Rhythmen und
Melodien an und zwinge ihn nicht zum Mitmachen, sondern frage ihn immer wieder, ob er
nicht mitmachen möchte. Er will nicht. Der Klang der Gitarre scheint ihm besonders zu
gefallen. Wenn ich darauf spiele, unterbricht er häufig sein Spiel, schaut längere Zeit zu
mir herüber und hört sich die Musik an.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
auf der Gitarre weiter Musik anbieten
-
abwarten und Bs Reaktionen genau beobachten
Therapiesitzung am 26.5.99
Ich hole B aus der Klasse ab. Als er mich sieht, geht er sofort aus der Klasse und läuft in
Richtung Psychomotorikraum davon. Ich komme hinterher und wir gehen gemeinsam nach
oben. B zieht sich zunächst die Schuhe aus und versteckt sich in der Höhle. Dort
beschäftigt er sich wieder mit seinem Gummihandschuh. Ich setze mich auf eine Matte,
spiele Gitarre und Summe dazu. Dabei beobachte ich Bs Verhalten. Es dauert sehr lange,
bis er aus der Höhle kommt und sich zu mir auf die Matte setzt. Als ich mich nach kurzer
Zeit zu ihm drehe und in direkt ansehe, steht er auf und geht durch den Raum. Da ich diese
Verhalten als Rückzug verstehe, suche ich keinen weiteren Kontakt, bleibe auf der Matte
sitzen und spiele bis zum Ende der Stunde auf der Gitarre weiter
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
weiter vorspielen und abwarten
Therapiesitzung am 2.6.99
B kommt wieder sofort mit in den Therapieraum. Als er den Raum betritt, geht er sofort
zum Becken und schlägt es vorsichtig mit den Hand an. Dann zieht er sich in die Höhle
zurück und beschäftigt sich mit seinem Handschuh. Die Musik scheint er nicht
wahrzunehmen. Ich spiele ihm hauptsächlich auf der Gitarre vor. Sein Spiel in der Höhle
unterbricht er nur selten, um mir beim Spielen zuzuhören und zuzusehen.
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Nach einiger Zeit kommt er aus der Höhle, geht zum Schlagzeug und betastet das Becken.
Als ich auf ihn zugehe, um ein gemeinsames Spiel auf Becken und Gitarre zu beginnen,
zieht er sich wieder in die Höhle zurück. Diese verläßt er erst am Ende der Stunde. Als ich
sage, daß die Stunde vorbei ist, kommt B aus der Höhle. Ich ziehe ihm die Schuhe an, die
er ausgezogen hat, bevor er in die Höhle gegangen ist. Auf dem Weg zur Klasse frage ich,
ob ihm das Musikmachen denn Spaß gemacht hat, erhalte aber keine Rückmeldung.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
B genauer beobachten
-
versuchen, ihn zum Spielen anzuregen
-
anderes Setting ?
Therapiesitzung am 9.6.99
Ich habe heute die Instrumente auf einer Turnmatte die auf dem Boden liegt angeordnet.
Dadurch können wir uns beide auf die Matte setzen und B hat die Möglichkeit, alle
Instrumente (außer das Schlagzeugs) im Sitzen zu erreichen. Als B in den Raum kommt,
geht er zum Schlagzeug und beklopft vorsichtig das Becken. Dann zieht er sich wie immer
in die Höhle zurück und beschäftigt sich mit seinem Gummihandschuh.
Ich setze mich auf die Matte und fange an, auf der Gitarre zu spielen. Nach einiger Zeit
schaut er aus der Höhle und unterbricht seine Beschäftigung mit dem Handschuh. Er
schaut mich an und scheint konzentriert zuzuhören. Dann kommt er aus der Höhle und
setzt sich zu mir. Er hört zu, greift aber nicht aktiv in die Musik ein. Nach einiger Zeit steht
er auf und geht zum Schlagzeug. Er betastet wieder vorsichtig das Becken. Dann geht er
zurück in die Höhle und kommt bis zum Ende der Stunde nicht mehr heraus. Er schaut
aber immer wieder heraus und sieht zu mir.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Instrumente wieder auf der Matte anordnen
-
Weiter vorspielen und genau beobachten
Therapiesitzung am 18.6.99
In der Woche vom 14. Bis zum 19.6. findet an der Ellerbecker Schule die Projektwoche
statt. Die Therapie mußte daher ausfallen.
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Therapiesitzung am 23.6.99
B wird heute von einer Frau vom Verein „Hilfe für das autistische Kind“ besucht. Die
Therapie fällt leider wieder aus.
Therapiesitzung am 30.6.99
In Bs Klasse hat heute ein Kind Geburtstag. Es soll Kuchen geben. Als ich B frage, ob er
Kuchen essen oder lieber Musik machen möchte, nimmt er meine Hand und geht aus der
Klasse. Wir nehmen Bs Tasche und gehen nach oben in den Therapieraum. Als er seine
Tasche vor dem Raum auf einen Tisch stellt, frage ich B, ob er seinen Handschuh in die
Schultasche legen kann. B dreht sich weg und geht in den Therapieraum.
Ich habe die Instrumente heute wieder auf der Turnmatte auf den Boden gelegt. B geht
wieder zuerst zum Becken und schlägt es vorsichtig mit der Hand an. Als ich mich mit der
Gitarre auf die Turnmatte setze, setzt sich B zu mir und hört mir konzentriert beim
Gitarrespielen zu. Er nimmt allerdings kein Instrument in die Hand – er scheint sie zu
ignorieren - unterbricht teilweise seine Stereotypien mit dem Handschuh und juchzt. Ich
greife darauf sein Juchzen auf und integriere es in die Musik. B reagiert darauf nicht.
B hört lange und konzentriert zu. Dann steht er auf und beschäftigt sich mit dem
Waschbecken. Als ich ihm folge, hört er auf und setzt sich vor einen Schrank. Ich setze
mich dazu und spiele sehr ruhige Musik. Dabei schaut B mir tief in die Augen. Nach
kurzer Zeit steht B auf und geht aus dem Raum auf den Flur. Da die Stunde sowieso gerade
vorbei ist, höre ich auf und gehe zu B auf den Flur.
Da ich Angst habe, ihm zu nahe gekommen zu sein, frage ich, ob ihm das Musikmachen
heute Spaß gemacht hat oder ob wir mit dem Musikmachen aufhören sollen und ich
nächste Woche nicht wiederkommen soll. Darauf erwidert K: „Nicht aufhören .“ Ihm
scheinen die Therapiestunden also zu gefallen.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Vorsicht mit Nähe
-
weiter vorspielen und genau beobachten
-
ggf. Juchzen wieder aufgreifen
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Therapiesitzung am 7.7.99
Da der Therapieraum renoviert wird, müssen wir heute wieder auf die Aula ausweichen. B
will zunächst nicht mit in die Aula. Ich gehe also zuerst mit ihm in den Therapieraum, um
ihm zu zeigen, daß dort renoviert wird. B ist von der Raumsituation sehr verwirrt und
öffnet alle Schränke. Nach kurzer Zeit verlassen wir den Raum und gehen in die Aula. B
geht sofort in das Stuhllager und holt sich dort einen Metalldeckel, den er dann zum
Kreiseln bringt. Diese Tätigkeit fasziniert ihn so sehr, daß er die Musik nicht
wahrzunehmen scheint. Ich versuche das Kreiseln des Deckels mit dem Baß
nachzuspielen. Auch das Laufen durch den Raum begleite ich musikalisch.
Nach einiger Zeit geht B auf das Schlagzeug zu und betastet das Becken. Ich folge ihm und
versuche, ihn zum Spielen zu animieren, indem ich ihm einen Stick in die Hand gebe und
selber mit dem anderen Stick zu spielen anfange. Er steigt kurze Zeit mit ein. Dann geht er
zum Baß und zupft kurz die Saiten an. Darauf setzt sich B ans Klavier und spielt kurz
darauf. Ich begleite ihn auf der Handtrommel. Die anderen Instrumente faßt er nicht an.
Nachdem er die Instrumente (heute zum ersten Mal) ausprobiert hat, zieht er ich in einen
Nebenraum zurück und ignoriert die Musik. Er kommt aber immer wieder zurück, geht
durch den Raum und kreiselt mit dem Metalldeckel.
Folgerungen für die nächste Stunde:
-
Bewegungen von B musikalisch begleiten
-
Wenn er wieder Kontakt zu den Instrumenten sucht,
versuchen, mit ihm gemeinsam zu musizieren
Therapie am 13.7.99
B kommt heute sehr schnell mit nach oben. Als wir in die Aula gehen, holt er sich wieder
den Metalldeckel aus dem Stuhllager. Er läuft durch den Raum und wirft mit dem Deckel.
B zieht sich immer wieder in Nebenräume zurück. Um nicht immer wider mit dem
Musikmachen aufhören zu müssen, schlage ich vor, daß B von sich aus dem Raum gehen
soll, wenn er keine Lust mehr hat. Ansonsten verbiete ich ihm, in die Nebenräume zu
gehen. Nach einiger Zeit geht B zu den Instrumenten und betastet sie. Er probiert alle
Instrumente kurz aus. Der Baßverstärker ist leider nicht eingeschaltet, so daß er sofort
weiter zum Klavier geht. Auf dem Klavier spielt B etwas länger, hört aber auf zu spielen,
als ich mich zu ihm setze und mit ihm zusammen spielen will und rennt weg.
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Ich setze mich auf einen Stuhl und spiele auf der Gitarre. B läuft durch den Raum und
fängt von Zeit zu Zeit an sehr laut und schrill zu juchzen. Ich greife das Juchzen auf und
spiele dazu auf der Gitarre. B juchzt daraufhin immer mehr und kommt schließlich zu mir.
Er steht lange vor mir und wir singen zusammen. Das Singen scheint ihn sehr aufzuregen,
denn er springt dabei auf und ab. Nachdem wir so einige Zeit zusammen musiziert haben,
geht er plötzlich zu einer Bank, die an der Wand steht und zieht sich alleine die Schuhe an.
Dann verläßt er den Raum.
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