Sich in die Welt hinaus lesen - Alpen-Adria
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Sich in die Welt hinaus lesen - Alpen-Adria
PRAXIS GLOBALES LERNEN | Heft1 Sich in die Welt hinaus lesen Weltliteratur im Unterricht www.praxisglobaleslernen.at Praxis Globales Lernen. Heft 1: „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht Dieses Heft ist ein Kooperationsprojekt des Instituts für Deutschdidaktik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt mit KommEnt – Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung. HerausgeberInnen: Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner, Heidi Grobbauer Covergestaltung: Michaela Wörndl Satz: Stefan Neuner Druck: Stadtschulrat Wien Salzburg 2014 ISBN: 978-3-9503620-5-3 Danksagung: Die Herstellung dieser Publikation erfolgte mit Unterstützung durch den Stadtschulrat in Wien. Unser besonderer Dank gilt Herrn Karl Blüml für seine Unterstützung. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung, der Speicherung in elektronischen Datenanlagen sowie der Übersetzung, sind nur mit Genehmigung erlaubt. Alle Rechte der einzelnen Beiträge bei den AutorInnen. Cover Bild: © KommEnt Bestelladresse & Anfrage für weitere Verwendung: Komment – Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung Elisabethstraße 2 / 5. Stock A-5020 Salzburg Tel. 0662/840 953 Email: office@komment.at www.komment.at Online unter: www.praxisglobaleslernen.at 3 PRAXIS GLOBALES LERNEN | Heft 1 Inhaltsverzeichnis I. Grundlagen Literarische Bildung im Zeitalter der Globalisierung. Vorstellung eines Projekts Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner Globales Lernen und Weltliteratur Heidi Grobbauer II. Ein Modell Figurationen des Fremden - Facetten des Eigenen. Zum Umgang mit weltliterarischen Texten im Deutschunterricht. Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner III. Die Projekte Eine Handvoll engagierter LehrerInnen. Die Schulprojekte Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner 4 7 15 19 29 1. Multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit Mehrsprachig – sprachmächtig oder sprachlos? Simone Steharnig 31 32 Lust auf Lyrik –Lyrik grenzenlos Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz 35 Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten Margot Graf 40 2. Imagination(en) des Fremden Interkulturelles Lernen anhand Stereotypen/ Intercultural learning and stereotypes Petra Reiter, Véronique Weiss 45 46 Das andere Ich. Frauengestalten in der Literatur und in der Gesellschaft Rudolf Freisitzer 50 3. Zwischen und in mehreren Kulturen - Erfahrungen der Migration Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte / Dojemanje lastnega in tujega: stičišča in konflikti / Percezione di sè e dell‘altro: contatti e conflitti Andrea Zikulnig 55 56 Sich in die Fremde hineinschreiben. Sprache ist nicht nur Sprache. Leben und Schreiben in einer neuen Welt Alexandra Mundweil, Claudia Soukup 62 In die Welt lesen - Das Tor zur Welt durchschreiten Sabine Fuchs 66 4. Das Magische, das Wunderbare, das Traumhafte „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“. Der magische Realismus im Deutschunterricht Hans-Peter Wittmann 71 Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ Georgine Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr 76 5. Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten. Arbeiten mit den Bücherkoffern Weltliteratur-Bibliotheksrallye Ulrike Kraßnitzer „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“. Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als Ausgangspunkt für Leseförderung, literarisches und globales Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe Brigitte Schulte 6. Anhänge zu den Projektberichten IV. Autorinnen und Autoren 72 81 82 85 89 113 5 6 GRUNDLAGEN Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner Literarische Bildung im Zeitalter der Globalisierung Vorstellung eines Projekts Wenn mein Sohn in meinem Alter sein wird Werde ich nicht mehr auf der Welt sein Aber diese Welt wird wie eine wunderbare Wiege sein Eine Wiege, die in ihren Windeln aus blauer Seide Alle Kinder wiegt Die schwarzen Die gelben Die weißen. (Nazim Hikmet) Sich in die Welt hinaus lesen, sich in die Welt hinein lesen, sich in die Welt hinein schreiben, sich in die Welt einschreiben, sich in die Literaturen der Welt einlesen ... mit dem „Fremden in uns selbst“ konfrontiert. Ein Lesen, das zur (kulturellen) Selbstreflexion anleitet und sich sowohl mit dem (kulturell) Fremden als auch mit dem (kulturell) Eigenen kritisch auseinandersetzt. Der Titel des Projektes konnte – wie die in diesem Band versammelten Pilotprojekte zeigen – verschiedenartig aufgefasst werden. Manche haben ihn als eine Gelegenheit gesehen, sich im Akt des Lesens imaginär in die Welt hinaus zu bewegen und dadurch neue Kulturen, Erfahrungen und Existenzmöglichkeiten zu erkunden. Andere haben die im literarischen Text aufgefundene „Wirklichkeit“ als Anlass für das eigene Experimentieren gesehen und durch das Schreiben die Grenzen zwischen Innen (Ich) und Außen (Welt) verschoben. Wiederum andere haben unseren Titel als einen Aufruf zum Lesen weltliterarischer Texte interpretiert und versuchten, sich mit möglichst vielen AutorInnen aus dem globalen Süden auseinanderzusetzen und somit ihren Blick auf die Literaturen der Welt zu erweitern. Zugleich hatte unser Titel einen konkreten Bezug zur Weltliteratur. Sich-in-die-Welt-hinaus-Lesen meint in diesem Sinne das Lesen einer Literatur, die bislang im literarischen Schulkanon nicht zu finden war, nämlich die Literatur des globalen Südens. Die Beschäftigung mit Weltliteratur im Unterricht wird vor allem dann notwendig, wenn wir SchülerInnen mit einem breiten Spektrum von fremden „Weltsichten“ und Perspektiven bekannt machen wollen. Mit dem Titel wollten wir – die InitiatorInnen des schulischen Projektes „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht – Peter Handkes poetische Überlegungen über das Lesen aufgreifen, in dessen Werk der Lektüre als „Erweiterung und Intensivierung der Wahrnehmung“ eine zentrale Funktion zukommt: Sich-in-dieWelt-hinaus-Lesen impliziert bei ihm ein Sich-Öffnen für die Welt im Akt des Lesens, das die „Sinne schärft, die eingefahrenen Muster durchbricht und die Erde mit neuen Augen sehen lehrt“ (Stocker 2007, B4). Eine solche intensivierte Wahrnehmung der Welt, die uns zu neuen Erkenntnissen zu führen vermag, war eine der zentralen Zielsetzungen des Projektes. Unter dem Schlagwort von Sich-in-die-Welt-hinaus-Lesen wollten wir Lehrkräfte dafür gewinnen, junge LeserInnen zu einem neuen Umgang mit Literatur führen. Dabei wurde Lesen als geistiges Abenteuer verstanden, das die LeserInnen aber nicht nur mit dem Unbekannten „da draußen“, sondern auch Unser Konzept eines Lesens über unsere kulturellen Grenzen hinaus macht somit eine doppelte Fremdheit sichtbar – eine fremde Literatur und eine fremde Erfahrung durch Literatur –, die auszuhalten als Aufgabe dem Leser/der Leserin zukommt. Das macht aber auch die Faszination der Begegnung mit Literatur aus. Und der Literaturunterricht sollte sich deswegen an das Motto halten: Soviel Vertrautheit wie nötig, soviel Fremdheit wie möglich. (Vgl. dazu Amann 1994, S. 45 f.) 1. Weltliteratur im Unterricht? Literatur im Unterricht?1 Über die neue Notwendigkeit eines umstrittenen Begriffs Der Terminus Weltliteratur, in der Literaturwissenschaft noch vor kurzem als „unscharf, historisch obsolet, kaum theoriefähig und methodisch unzulänglich“ (Schmeling 1995b, S. 153) abgetan, hat in den letzten Jahren wieder eine Renaissance erfahren, zumal der Begriff in der letzten Zeit einen radikalen Bedeutungs- und Funktionswandel erfahren hat. Lange Zeit wurde Weltliteratur entweder als Summe menschlicher Erfahrungen und Eigenschaften (im Sinne des Allgemein-Menschlichen), als eine Sammlung der „besten Werke“, d.h. als ein auf 7 GRUNDLAGEN normativen Wertvorstellungen beruhender „weltliterarischer Kanon“, oder aber als Summe sämtlicher Nationalliteraturen (also ein quantitatives Nebeneinander unabhängiger Literaturen) betrachtet (ebd.). Dieses alte Konzept berücksichtigte zudem hauptsächlich Literaturen des Zentrums „Europa“, die ihrerseits stark national geprägt waren. Heute jedoch wird der Begriff der Nationalliteratur immer fragwürdiger: In mehrsprachigen Ländern, wo sich literarische und sprachliche Grenzen nicht unbedingt mit den politischen und nationalstaatlichen Grenzen decken, kann von einer monokulturellen Nationalliteratur nicht (mehr) die Rede sein. Gerade die gegenwärtig viel diskutierten Bereiche Migrations- und Exilliteratur zeigen, dass unsere alten Kategorien nicht mehr passend sind. Die Verabschiedung des Konzepts der Nationalliteratur als der entscheidenden Ordnungskategorie ist einer der Gründe, warum die Neubewertung der Weltliteratur unabdingbar geworden ist. Ein zweiter Grund besteht in der Kritik der kulturellen Dominanz des Westens über die Weltkultur durch postkoloniale WissenschaftlerInnen: „Während einst die Weitergabe nationaler Traditionen das Hauptthema einer Weltliteratur war, können wir jetzt möglicherweise annehmen“ – so Homi K. Bhaba –, „daß transnationale Geschichten von Migranten, Kolonisierten oder politischen Flüchtlingen – diese Grenzlagen – die Gebiete der Weltliteratur sein könnten“ (Bhabha 2000, S. 18). Dahinter stehen die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Veränderungen, die wir mit dem Begriff Globalisierung belegen: Menschen erleben Fremdheit und Andersheit durch Migration und Exil, aber ebenso durch Grenzüberschreitungen aller Art, wie Reise in die Ferne, Begegnungen mit AusländerInnen, internationale und virtuelle Vernetzungen. Weltliteratur in diesem Sinne ist nun weniger eine Bezeichnung bestimmter Texte, sondern die eines Kommunikationszusammenhangs, ein „Arbeitsbegriff für eine internationale Kommunikation der Literaten“ (Wintersteiner 2006a, S. 242). Das ist aber genau das Konzept, das Goethe vorschwebte, als er den Begriff Weltliteratur prägte. Für ihn waren Weltliteratur und Kosmopolitismus zwei Seiten derselben Medaille – der internationale Kulturaustausch einer literarischen Elite sollte die unvermeidliche Konflikthaftigkeit internationaler Beziehungen wenigstens in gewisse zivile Bahnen lenken (vgl. Birus 1995, S. 14). Anders gesagt: „Weltliteratur ist vor allem ein interaktiver, geistiger Raum, der von literarischen Werken und deren weltweit verstreuten Autoren, Übersetzerinnen, Verlegerinnen und Lesern bevölkert wird“ (Mani 2012, S. 504). 8 Weltliteratur – das bedeutet im gegebenen Zusammenhang (des 20. Jahrhunderts) weder die Summe sämtlicher Literaturen der Welt, noch die besonders herausgehobenen Werke, noch das alle Literaturen verbindende Ur-Menschliche, sondern es bedeutet die fortschreitende Internationalisierung der Welt der Literatur (Schmeling 1995, S. 162.) Unter diesen Vorzeichen ist es nur mehr ein kleiner Schritt vom literaturdidaktischen Einsatz von Weltliteratur zum Globalen Lernen (vgl. den Beitrag von Heidi Grobbauer im nächsten Kapitel). Globales Lernen als Erziehung zum Kosmopolitismus kann sich dabei sehr stark auf die Literatur stützen. Denn die Literatur ist selbst ein Teil dieser kulturellen Vernetzungen, die sie ihrerseits zugleich reflektiert: „Es entsteht eine Literatur, die ihrem Ursprung nach nicht an einen Ort gebunden ist, die zwischen den Kulturen wandelt und deshalb wirklich welthaltig ist.“ (Walstra 1995, S. 206) Die heutige Weltliteratur behandelt in diesem Sinne bevorzugt Themen wie Mehrfachidentitäten, Heimatverlust, Mehrsprachigkeit, räumliche Bewegungen sowie die Beziehungen des Fremden und des Eigenen und kehrt den statisch-normativen Charakter des alten Konzepts in ein dynamisches Wissensmodell um, das seine Erkenntnisse aus dem „wechselseitigen Austausch transnationaler Welterfahrung“ (Goßens 2010, S. 26) gewinnt. Freilich ist auch der Begriff „Weltliteratur“ nicht ganz ohne Tücken. Als universalistischer Begriff ist er ein Denkmodell, das sich der Einteilung der literarischen Welt in Nationalliteraturen widersetzt. Soweit, so gut. Allerdings ist dieser Universalismus keineswegs eine neutrale Instanz. Wer den Begriff Weltliteratur prägt und verwendet, entscheidet damit auch über seinen Inhalt und seine Bedeutung. Westliche Konzepte von der „schönen“ und „wertvollen“ Literatur prägen nach wie vor die literarische Landschaft. Das spiegelt sich in der Vergabe von Literaturpreisen, in der Auswahl der Werke, die übersetzt werden, und in der literaturwissenschaftlichen Kritik – letztlich natürlich auch in den schulischen Lehrplänen. Während einerseits postuliert wird, dass alle Literaturen „gleichwertig“ seien, werden doch die Spielregeln nur von wenigen gemacht. Postkoloniale AutorInnen und KritikerInnen haben dagegen zu rebellieren begonnen. Bei der Definition des Begriffs Weltliteratur wollen wir uns deswegen nicht den „Universalismus“, sondern den „Kosmopolitismus“ als Grundlage nehmen, der „als der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Identitätsbeschränktheit“ verstanden werden will und der Weltliteratur als eine „Lesestrategie“ definiert, die uns „die Möglichkeit [bietet], […] durch literarische Werke […] sich der Andersartigkeit der anderen anzunähern“ und „aus dem kollektiven Narzissmus der eigenen Natio- GRUNDLAGEN nalliteratur“ herauszutreten (Mani 2012, S. 505 u. 507). In diesem Kontext erscheint Weltliteratur als „Kampfbegriff “, der Phänomene benennt, damit sie überhaupt wahrgenommen und thematisiert werden können – sie fungiert als „ein Medium des Aushandelns kultureller Widersprüche und Antagonismen“ (Bachmann-Medick 2004, S. 279). Kurz gesagt: Weltliteratur nicht mehr als Domäne des Westens, sondern als Forum der Begegnung, des Austausches, aber auch der Konfrontation unterschiedlicher Stile, Ziele, Formen und Konzepte von Literatur. In Zeiten, wo Migration, Mehrsprachigkeit und Multikulturalität nicht nur das gesellschaftliche System, sondern auch die kulturelle und literarische Landschaft radikal verändern, muss auch literarische Bildung neue Akzente setzen und auf Globalisierungsprozesse in adäquater Form reagieren. Das Bewusstsein für diese notwendige Erneuerung ist aber erst schwach entwickelt. In den neuen österreichischen Lehrplänen finden sich zwar Verweise auf die Kenntnis des weltliterarischen Kontexts und die „multikulturellen Bezüge“ der deutschsprachigen Literatur, außer einigen Einzelinitiativen spielen jedoch Weltliteratur und Literatur der Minderheiten in Österreichs Schulen noch immer eine untergeordnete Rolle. 2. Das Projekt: PilotlehrerInnen erproben weltliterarische Texte im Unterricht In der Klagenfurter Deutschdidaktik hingegen wird schon seit einigen Jahren an einer inter- bzw. transkulturellen Literaturdidaktik gearbeitet, mit Weltliteratur als einem zentralen Kern einer neuen Orientierung (vgl. Griesmayer/Wintersteiner 2000, Wintersteiner 2006 a und b, Mitterer /Wintersteiner 2010). Als WissenschaftlerInnen wollten wir uns aber niemals damit begnügen, Erkenntnisse zu publizieren, ohne uns um ihre Umsetzung in die Praxis zu kümmern. Denn schließlich kann auch eine fachdidaktische Theorie und Grundlagenarbeit niemals ohne Bezug zum schulischen Unterricht umfassend entwickelt werden. In diesem Sinne wurde versucht, wo möglich auf die Lehrplangestaltung Einfluss zu nehmen (vgl. Lehrplan 2003 der AHS-Oberstufe, der zumindest Verweise auf den weltliterarischen Kontext der deutschsprachigen Literatur enthält); Unterrichtsideen zur Verfügung zu stellen (vgl. ide Hefte 1/2000: Schöpfungsmythen; 4/2000: Kinderliteratur aus dem Süden; 2/2007: Mittelmeer; 1/2010: Weltliteratur) sowie Fortbildungsseminare anzubieten. Die eigentliche Verankerung in der Schulpraxis, so unsere Überzeugung, kann nur in direkter Kooperation mit den Lehrkräften erfolgen. Aus diesem Grunde haben wir zunächst im Schuljahr 2008/2009 in Zusammenarbeit mit dem Stadtschul- Literatur als Medium globalen Lernens Wie welt-literarische Bildung und das Bewusstsein globaler Solidarität zusammenhängen Selten tritt die politische Dimension literarischer Bildung so deutlich hervor wie bei der transkulturellen Literaturdidaktik, die sich selbst als literarischer Beitrag zum globalen Lernen versteht. Hier ein Ausschnitt aus Werner Wintersteiner: Transkulturelle Literaturdidaktik. Die „Poetik der Verschiedenheit“ in der literaturdidaktischen Praxis. (Innsbruck: StudienVerlag 2006), S. 93: Postkoloniale Kritik am Eurozentrismus Die Literaturen des globalen Südens sind angetreten, sich auch mental von Kolonialismus und Neokolonialismus zu befreien. Sie leisten konkrete Kritik an Machtverhältnissen und Ungerechtigkeiten, wie sie sich im Weltmaßstab finden. Sie konfrontieren uns in Europa mit einer Sichtweise, die nicht zu unserem schmeichelhaften Selbstbild passt und leisten damit einen Beitrag zur „Dezentrierung“ der kulturellen und geistigen Machtzentren. Die Einheit und die Diversität der Weltliteratur Literatur als wichtige Trägerin des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit ist eine unverzichtbare Quelle zum historischen Selbstverständnis der Menschheit und damit zur Herausbildung dessen, was Globales Lernen anstrebt: zu einem vertieften Erkennen der gemeinsamen Bezüge der in Staaten und Nationen aufgespalteten Menschheit. Das von Edgar Morin anvisierte „Heimatland Erde“ ist ohne Weltliteratur als gemeinsamer virtueller Heimat der Menschheit nicht vorstellbar. Medium der Identitätsfindung für Jugendliche Identitätsfindung der SchülerInnen gilt seit längerem als wichtiges Ziel des Literaturunterrichts). Dieser Identitätsdiskurs wurde lange Zeit sehr individualistisch verstanden. Mit Hilfe literarischer Texte ist es aber wohl auch leichter möglich, aus der Falle nationalistisch verengter Identitätsentwürfe herauszukommen. Literarische Texte widersetzen sich häufig durch ihre Komplexität und „Sperrigkeit“ simplen Identitätskonzepten und zeigen anschaulich Menschen mit multiplen Identitäten und stimulieren damit auch die kritische Selbstreflexion der Lesenden. Medium für Empathie und Solidarität Literatur zeichnet sich aus durch ihre Eignung, politische und soziale Beziehungen in einer voraussetzungslos verständlichen, weil an individuellen Schicksalen festgemachten Form darzustellen. Wie Klaus Seitz ausgeführt hat (vgl. Seitz 2002, 461/462) bedarf die abstrakte Weltgesellschaft „in ihrer pädagogischen Rekonstruktion eines menschlichen Antlitzes, um tatsächlich als umfassendster sozialer Zusammenhang wahrgenommen und beachtet werden zu können, der für die eigene Handlungsorientierung relevant ist“. Literatur kann einiges dazu beitragen, dieses „menschliche Antlitz“ zu schaffen. 9 GRUNDLAGEN rat für Wien ein Projekt gestartet, das Lehrkräfte dabei unterstützt, transkulturellen Literaturunterricht in ihren Klassen umzusetzen. Die Idee: Lehrkräfte erhalten eine (eintägige) Ausbildung, in der sie mit dem Konzept vertraut gemacht werden. Sie entwickeln eigene Vorstellungen, wie sie dieses Konzept in ihre Praxis „übersetzen“ können und starten Projekte mit ihren SchülerInnen. Dazu werden sie von einer Mitarbeiterin des Instituts für Deutschdidaktik (in dem Maße, in dem sie das wünschen) betreut. Abschließend gibt es einen Tag der Projektpräsentation. Diese Präsentationen werden schriftlich gefasst, dokumentiert und stehen anderen interessierten KollegInnen zur Inspiration zur Verfügung (Genaueres über den Verlauf siehe: http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/ projekt_zwischen_welten_lesen.pdf ). Dieses Projekt, das mit acht Schulen, vornehmlich aus Wien, realisiert wurde, ist unter dem Titel Theresia Ladstätter / Werner Wintersteiner (Hg.): Zwischen Welten Lesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die Sekundarstufen (KMS; AHS; BHS). Klagenfurt/Wien 2010 publiziert worden.2 Das hier beschriebene Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht kann auf den Erfahrungen des Vorgängerprojekts aufbauen. Das Projekt setzte sich zum Ziel, Impulse für den schulischen Umgang mit Weltliteratur zu geben und die Einsatzmöglichkeiten der Texte im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht zu überprüfen. Als Textgrundlage dienten dabei Werke der Literatur des globalen Südens (Afrika, Lateinamerika, Indien, Asien) der Gegenwart. Es ging also wesentlich darum, neue Texte in den Unterricht zu bringen und die SchülerInnen mit kulturell fremden Werken zu konfrontieren. Darüber hinaus ging es aber ebenso darum, die Texte „neu“ einzusetzen – indem sie bewusst in ihrer speziellen Ästhetik wahrgenommen werden und Irritationen, die diese Texte bei den LeserInnen hervorrufen, besonders thematisiert wurden. Das Ziel war nicht nur eine Erweiterung des schulischen Literaturkanons, sondern auch die Erprobung eines „neuen“ literaturdidaktischen Konzepts und adäquater Modelle des Verstehens fremder Texte. Dieses Projekt war deutlich größer und zeitlich ausgedehnter als das erste Pilotprojekt. Es beteiligten sich 19 Lehrkräfte bzw. BibliothekarInnen und LehrerfortbildnerInnen mit 15 Schulklassen (und eine Gruppe StudentInnen) aus den Bundesländern Wien, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten sowie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Fortbildungsinstituts in Berlin. Unter den 12 Schulen waren sowohl die Sekundarstufe I als auch die Sekundarstufe II vertreten: Hauptschule, Koopera10 tive Mittelschule, Gymnasium, HBLA für künstlerische Gestaltung, Handelsakademie. Man kann tatsächlich von einer breiten Palette an Schultypen sprechen, die sich in der Vielfalt der gewählten und hier dokumentierten Zugänge zum Thema spiegelt. Das Projekt lief in folgenden, im Vergleich zum Vorgängerprojekt erweiterten, fünf Phasen ab: (1) Zunächst erhielten die LehrerInnen im Frühling 2011 eine thematische Einführung in Form eines Bundesseminars Weltliteratur im Unterricht an der PH Kärnten, wo ihnen das Grundkonzept der „transkulturellen Literatur“ und des „Globalen Lernens“ vermittelt wurde und konkrete Unterrichtsvorschläge im Umgang mit Weltliteratur geboten wurden. Dieses Seminar stand auch allen KollegInnen offen, die an der Sache interessiert waren, sich aber nicht am Projekt beteiligen wollten. Rund 60 Lehrkräfte machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die Entscheidung über die Teilnahme konnten die Lehrkräfte nach diesem Bundesseminar treffen. Durch die Abhaltung des ersten Seminars noch im Schuljahr vor Projektbeginn konnten sich die Lehrkräfte besser auf die Projekte vorbereiten. (2) Im Herbst 2011, zu Beginn des neuen Schuljahrs wurde ein zweites Seminar für jene LehrerInnen angeboten, die sich bereit erklärt hatten, tatsächlich ein Projekt in einer Klasse durchzuführen. In diesem Projektseminar wurden die bereits vorliegenden Projektpläne der KollegInnen diskutiert und theoretische Kenntnisse im Bereich „globales Lernen“ und „transkulturelle Literaturdidaktik“ vertieft. (3) Anschließend wurden die Projekte in den Schulen gestartet. Ziel war es, die theoretischen Überlegungen und die dargebotenen Materialien in der Unterrichtspraxis zu erproben. Die Lehrkräfte konnten dabei die von den ProjektleiterInnen bereitgestellten Unterlagen nach Belieben ihren Unterrichtsbedürfnissen anpassen oder auch zusätzliche Materialien entwickeln, eigene Schwerpunkte setzen und eigene Ideen verwirklichen. Zusätzlich gab es zwei Bücherkoffer mit Literatur aus dem Süden, jeweils einen für die Sekundarstufe I und für die Sekundarstufe II, die von den Schulen geordert werden konnten und die sich über die gesamte Zeit hinweg auf einer Wanderreise durch Österreich befanden. (4) Im April 2012, nach der Realisierung der Projekte, wurde eine Abschlusspräsentation organisiert. Dort wurden die Ergebnisse der Projekte präsentiert. Dabei wurden auch SchülerInnen eingeladen, die die Arbeit aus ihrer Perspektive darstellten. Dies war auch die Gelegen- GRUNDLAGEN heit, dass Projektleitung und LehrerInnen die Erfahrungen mit dem Projekt austauschten und weiterführende Fragen diskutierten. (5) In der letzten Projektphase wurden die Erfahrungen ausgewertet, Ergebnisse dokumentiert und für die vorliegende Publikation aufgearbeitet. dene Auffassungen. Sie alle sind in die Projekte eingeflossen und sie spiegeln sich auch in den folgenden Berichten wider. Sie machen den Reichtum der schulischen Zugänge zum Thema „Weltliteratur“ sichtbar. Seminar 1 - Weltliteratur im Unterricht Fortbildung Universitärer Input (Breites Publikum) Schuljahr 1 3. Universität und Schulen auf dem Weg des Dialogs Universität und Schule werden zwar generell als grundverschiedene, oft miteinander unvereinbare Welten betrachtet, obwohl doch die Lehrkräfte (der höheren Schulen) an den Unis ihre Ausbildung erhalten haben und oft auch als Lehrende in der LehrerInnenausbildung eingebunden sind. Zudem werden in Österreich immer mehr Forschungs- und Bildungsprogramme initiiert, die zwischen den zwei Institutionen Brücken schlagen (vgl. Sparkling Science, Young Science, IMST). Das Institut für Deutschdidaktik versteht und verstand sich immer schon als wichtige Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis einerseits und zwischen universitärer und schulischer Bildung andererseits, indem es sowohl an bildungspolitischen Innovationen und Reformen mitarbeitet als sich auch in der LehrerInnen-Fort- und Weiterbildung engagiert. Soweit der Anspruch. Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Schulen ist in der Praxis dennoch ein schwieriges Geschäft. Die Schulen mit ihren fixen Stundenplänen und starker Arbeitsbelastung, gerade in den Sprachenfächern mit vielen Schularbeiten, sind strukturell kaum auf Projekte eingerichtet, für deren Vorbereitung und Durchführung eigentlich ein gewisses Maß an Muße unerlässlich ist. Daraus ergibt sich ein gewisser „Rhythmus“ der Arbeit, der nicht mit den universitären Möglichkeiten übereinstimmen muss. Um die Kooperation zwischen den Schulen und den ProjektleiterInnen und die Betreuung der einzelnen Projekte zu erleichtern, wurde daher eine Moodle-Plattform eingerichtet. Auf dieser Plattform waren Unterrichtsmaterialien, Unterrichtsanregungen und Texte zu gewissen Themen zu finden – alles was die universitäre Projektleitung den Schulen zur Verfügung stellen konnte. Die Möglichkeit, Moodle auch als interaktive Plattform für den Erfahrungsaustausch unter den Schulen zu nützen, wurde innerhalb des Projekts allerdings nicht wahrgenommen. Wie nicht anders zu erwarten war, traten auch unterschiedliche Vorstellungen von dem, was Literaturunterricht ist, zutage. Das darf man sich allerdings nicht als einfachen Gegensatz Universität-Schule vorstellen, sondern es gab auch unter den Lehrkräften darüber verschie- Schuljahr 2 Seminar 2 - Projektseminar Projektkonzepte der Lehrkräfte Universitärer Input (nur ProjektteilnehmerInnen) Projekte Schulen Projekte Schulen Projekte Schulen Seminar 3 - Projektpräsentation Abschlusspräsentation mit universitärer Projektleitung Input SchülerInnen & Lehrkräfte Moodle Plattform Information & Materialien Projekt„Steuerung“ Universitäre Projektleitung Projektdokumentation Texte der Lehrkräfte (SchülerInnen) und der universitären Projektleitung Redaktion: Universität Abb. 1: Schema des Projektablaufs Hier werden nochmals in schematischer Form die verschiedenen Arbeitsphasen des Projekts und der jeweilige Anteil der Projektpartner dargestellt. Aus dem Schema werden die beiden charakteristischen Komponenten – LehrerInnenfortbildung und Projektarbeit – deutlich ersichtlich. Was das Schema weniger deutlich zeigt, ist die inhaltliche Dimension unserer fachdidaktischen Intervention. Wir haben bei Seminar I und II jeweils auf drei Ebenen gearbeitet: (1) Theoretischer Input, d.h. kurze, meist über PowerPoint-Folien vermittelte Überlegungen zu literaturdidaktischer Ausrichtung: die Erläuterung des Begriffs „transkulturelle Literaturdidaktik“ oder die transkulturelle Neuformulierung von Jürgen Krefts vier Phasen des Literaturunterrichts (vgl. dazu Wintersteiner 2006b, S. 137 ff.); in ähnlicher Form wurde das Konzept des „Globalen Lernens“ (vor allem auf Seminar I) vermittelt. (2) Literarische Texte, nach thematischen, gattungsspezifischen und Schwierigkeitsgrad gemäß dem Alter der 11 GRUNDLAGEN SchülerInnen gruppiert: Dies erfolgte durch eine tabellarische Zusammenstellung zu ausgewählten Themen mit ersten Hinweisen zur Arbeit im Unterricht, aber auch durch eine Buchausstellung mit den wichtigsten von uns empfohlenen Werken sowie durch das exemplarische Vorstellen einzelner Werke.3 (3) Dossiers mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten, Auszügen aus literarischen Werken und zusätzlichem Material, Leitfragen und Arbeitsvorschlägen für den Unterricht; solche Dossiers wurden beim ersten Seminar vorgestellt und die Lehrenden hatten die Gelegenheit, die einzelnen Unterrichtseinheiten in Gruppen durchzuspielen. Wir boten also eine große Fülle an Materialien, eine kleinere Auswahl an bereits vorformulierten Unterrichtseinheiten (die dennoch noch großen Gestaltungsraum ließen) und eine eher geringe Dosis an theoretischer fachdidaktischer Begründung und Reflexion. Für die Lektüre von fachdidaktischer Spezialliteratur gab es Anregungen, sie war aber nicht im Projektablauf vorgesehen. Immerhin bot die Moodle-Plattform die Möglichkeit, alle Materialien nochmals in Ruhe abzurufen und durchzuarbeiten. Insgesamt zielte unsere didaktische Intervention darauf ab, den Lehrkräften eher eine Idee als eine Methode zu vermitteln. Der Gedanke war, neue Materialien zu bieten und Möglichkeiten für die Unterrichtsarbeit eher anzudeuten. Die Konzeption der Projekte und ihre Durchführung sollte voll in der Hand der Lehrkräfte bleiben, die die Situation der Klassen und ihre Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung selbst am besten abzuschätzen wüssten. 4. Die Ergebnisse Wir boten den Lehrkräften auch die Möglichkeit, mittels eines Fragebogens die Ergebnisse des Projekts und den Prozess selbst einzuschätzen. Über die Hälfte machte davon Gebrauch. Das Resultat: Die Lehrkräfte waren mit dem Projektablauf wie auch der Kooperation mit der Universität ziemlich zufrieden. Interessant sind die folgenden Details: Am besten beurteilt wurde die Grundidee, nämlich dass es realistisch war, mithilfe von solchen Literaturprojekten Impulse für den schulischen Umgang mit Weltliteratur zu geben: Zwei Drittel stimmen „vollkommen“ zu, ein Drittel „überwiegend“. Dieses Resultat wird nur noch übertroffen durch die angebotenen literarischen Texte und Unterrichtsideen, also die oben angeführten Dossiers, die fast ungeteilten Beifall erhielten. Der Bücherkof12 fer wird ebenfalls sehr positiv bewertet, selbst wenn die Arbeit mit diesen Büchern in der Schulbibliothek nicht immer so erfolgreich war. Auch die Ausführung des Projekts wird überwiegend als sehr gut beurteilt, aber nicht ganz so gut wie der Ansatz selbst. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch in den freien Antworten, die meist die gute Organisation und die nützlichen Materialien lobten. Am meisten Probleme scheint unser theoretischer Zugang verursacht zu haben: Hier ist nur die Hälfte der Befragten überzeugt, dass das Konzept der transkulturellen Literaturdidaktik ausreichend erklärt und illustriert wurde, die anderen teilen sich in die, die finden, dass es überwiegend bzw. nur teilweise klar verständlich gemacht wurde. Die zusätzliche Sekundärliteratur erhielt die schlechtesten Wertungen. Sie wurde von allen Materialien am wenigsten als „brauchbar“ eingestuft. Daraus lässt sich ablesen, dass unser Konzept, möglichst große Freiheit in der Methode bei gleichzeitiger theoretischer Reflexion der unterschiedlichen Zugänge, sich nicht wirklich bewährt hat. In einigen Antworten wurde die „ungenaue Zielvorgabe“: „Jeder macht, was er/ sie will“ kritisiert. Kritisch betrachtet wurde ebenfalls unsere ausführliche Reflexion der Projektpräsentationen bzw. der Projekte selbst auf dem dritten Seminar, die als „künstliche“ oder „künstlich in die Länge gezogene“ Diskussionen betrachtet wurden. Diese Ergebnisse zeigen, dass hier die Erwartungshaltung der Lehrkräfte (oder zumindest vieler der beteiligten Lehrkräfte) und die der universitären DeutschdidaktikerInnen auseinanderklaffen, ohne dass uns dies bereits im Prozess bewusst geworden wäre. Es hat sich eher erst gegen Ende, bei den abschließenden Reflexionen, herausgestellt. Man könnte es vielleicht so formulieren: Wir haben – angesichts der relativen Neuartigkeit des Themas und seiner Weite, die die unterschiedlichsten Möglichkeiten zuließ, extensiv gearbeitet. Wir sind in die Breite, nicht in die Tiefe gegangen. Von den Lehrkräften wurde allerdings, wenn auch nicht immer klar artikuliert, ein stärker intensives Arbeiten gewünscht: klare Vorgaben, die die Fülle der Möglichkeiten vernünftig einschränken, exemplarische Anleitungen für den eigenen Unterricht, die immer noch leicht variiert werden können, theoretische Überlegungen immer eng an methodische Konzepte für die Praxis gebunden. Wie dem auch sei: Die große Freiheit hat auch zu einer großen Vielfalt geführt, die hier vorgestellt werden soll. Und vielleicht kann nun gerade die vorliegende schriftliche Fassung unseres Konzepts, verbunden mit den vielen Praxisbeispielen, am besten erläutern, welches Potential in dem Programm „Weltliteratur im Unterricht“ steckt. Wenn dies gelingt, so hat diese Publikation ihren Zweck erfüllt. GRUNDLAGEN Anmerkungen 1 Dieser Abschnitt lehnt sich an Wintersteiner 2006a, Kapitel IV. 2 Die Broschüre steht als Gratis-Download unter http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf zur Verfügung. 3 Diese Tabelle ist unter http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/ downloads/weltliteraturimunterricht.pdf Literatur Amann, Klaus (1994): Von den Freuden im Diesseits. Vermischtes zum Literaturunterricht. In: Amann, Klaus [u.a.] (Hrsg.): Deutschunterricht. Erfahrungen, Modelle, Theorien. Innsbruck/Wien: Österreichischer Studienverlag, S. 39-48. Bachmann-Medick, Doris (2004): Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in Postkolonialer Perspektive. In: Dies. (Hrsg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Tübingen [u.a.]: Francke 2004, 262-296. Bhabha, Homi K. (2000): Die Verortung der Kultur. Mit einem Vorwort von Elisabeth Bronfen. Tübingen: Stauffenburg. Birus, Hendrik (1995): Goethes Idee der Weltliteratur: Eine historische Vergegenwärtigung. In: Schmeling (1995a), S. 5-28. Goßens, Peter (2010): Weltliteratur. Eine historische Perspektive. In: Mitterer/Wintersteiner 2010, S. 9-28. Griesmayer, Norbert/ Werner Wintersteiner (2000, Hrsg.): Jenseits von Babylon. Wege zu einer interkulturellen Deutschdidaktik. Innsbruck-Wien-München: StudienVerlag. Ladstätter, Theresia / Werner Wintersteiner (2010, Hrsg.): Zwischen Welten Lesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die Sekundarstufen (KMS; AHS; BHS). Klagenfurt/Wien. Gratis Download: http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf Mani, Venkat (2012): Kosmopolitismus und Weltliteratur. Thesen gegen die Herrschaft des Ego. In: Das Argument 298, 54. Jg., H. 4, S. 501-509. Mitterer, Nicola /Werner Wintersteiner (2010, Hrsg.): Weltliteratur. (= ide. informationen zur deutschdidaktik), 34. Jahrgang, H. 1. Schmeling, Manfred (1995a, Hrsg.): Weltliteratur heute. 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Innsbruck: StudienVerlag. 13 14 GRUNDLAGEN Heidi Grobbauer „Sich in die Welt hinaus lesen“ – Globales Lernen und Weltliteratur I wrote exactly the kinds of stories I was reading: All my characters were white and blue-eyed, they played in the snow, they ate apples, and they talked a lot about the weather, how lovely it was, that the sun had come out. Now, this despite the fact that I lived in Nigeria, I had never been outside Nigeria. We didn’t have snow, we ate mangoes, and we never talked about the weather, because there was no need to. Die in Nigeria geborene Autorin Chimamanda Adichie erzählt, wie sie schon als 7-Jährige begann, Geschichten zu schreiben; Geschichten, die denen ähnlich waren, die sie selber gelesen hatte, aus den einzigen Büchern, die zur Verfügung standen – englische und amerikanische Kinderbücher. Diese Bücher eröffneten ihr neue Welten, gleichzeitig schränkten sie ihre Perspektiven und ihre Sicht auf die Welt wesentlich ein. Adichie nennt dies „the danger of a single story“. “Now, I loved those American and British books I read. They stirred my imagination. They opened up new worlds for me. But the unintended consequence was, that I did not know that people like me could exist in literature. So what the discovery of African writers did for me was this: It saved me from having a single story of what books are.” Neue Geschichten und Bücher kennen lernen und die Vielfalt der Literatur erfahren, sich auf neue literarische Erzählformen einlassen und neue Eindrücke erleben, sich dabei befremden und faszinieren lassen und die eigenen Sichtweisen über die Welt erweitern – all das sollte mit dem Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“ möglich werden. Im Sinne von Chimamanda Adichie sollte dieses Projekt aber auch dazu dienen, die einseitige und verengte Sicht auf Weltliteratur in Frage zu stellen und die Wahrnehmung von literarischem Schaffen zu dezentrieren. Nicht die Literatur kultureller Zentren stand im Mittelpunkt, sondern die weniger bekannten literarischen Werke des globalen Südens und des Nahen und Mittleren Ostens. „Die Welt lesen lernen“ „Die Welt lesen lernen“ – mit diesem Bild beschrieb der brasilianische Befreiungspädagoge Paulo Freire die Fähigkeit, die Welt zu deuten und ihr einen Sinn zu geben. Im Projekt sollte das Lesen von neuer Weltliteratur dazu beitragen, Einblicke in „fremde“ Welten zu erhalten und dadurch Weltverhältnisse facettenreicher deuten zu lernen. Gleichzeitig können über Literatur vielfältige, häufig differente Deutungsmuster von AutorInnen und der von ihnen geschaffenen Figuren wahrgenommen werden. Bei Paulo Freire bedeutet, die Welt zu verstehen, auch für sich selbst Orientierung zu finden. Die Förderung von Kompetenzen, die es (jungen) Menschen ermöglichen, in der globalisierten und kulturell heterogenen Welt Orientierung zu finden und verantwortlich leben zu können, ist ein wichtiges Anliegen des Bildungskonzepts Globales Lernen. Nichts weniger als „die Welt“ in den Blick zu nehmen – diesen Anspruch erhebt Globales Lernen. Es will Brücken bauen: zwischen dem eigenen Lebensbereich und der Welt, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen dem Ich und den Anderen. Literatur bietet dafür vielfältige Verbindungen, das Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“ geht aber darüber hinaus. Weltliterarische Texte werden nicht als Träger von Informationen über ferne Regionen, exotische Welten oder über Facetten einer globalisierten Welt genutzt, sondern bleiben ästhetische Werke, die in ihrer literarischen Form und ihrem literarischen Gehalt ausgelotet werden. Angesichts der Globalität unserer Lebensverhältnisse muss sich Bildung in einem erweiterten, globalen Horizont entfalten, weil das Unmittelbare, Lokale, Vertraute, nur noch in seinen weltweiten Bezügen begriffen werden kann. Bildung und Bildungssystem sind herausgefordert, Lernen über diese komplexen Weltverhältnisse zu ermöglichen. Globales Lernen definiert die Auseinandersetzung mit globalen Entwicklungen als wesentliche Querschnittsaufgabe von Bildung und fordert die Berücksichtigung des globalen Bezugs bei nahezu allen Bildungsinhalten. Themen werden in ihren lokalen und globalen Dimensionen sowie aus verschiedenen Blickwinkeln erschlossen. Damit strebt Globales Lernen eine 15 GRUNDLAGEN grundsätzliche Horizonterweiterung jeglichen Unterrichts an, es geht um ein Lehren und Lernen im globalen Kontext. Doch dieser für Globales Lernen notwendige Paradigmenwechsel ist – wie auch die Erfahrungen aus der Bildungspraxis zeigen – nicht einfach. Die Auseinandersetzung mit globalen Schlüsselfragen erfordert interdisziplinäre Zugänge, Globales Lernen hat deshalb bisher vor allem einen fächerübergreifenden, projektorientierten Unterricht angestrebt. Es gibt kaum Beiträge in Forschung und Bildungspraxis, die sich mit Globalem Lernen im Fachunterricht beschäftigen. Im Rahmen eines EU-Projekts hat die Südwind Agentur auf Basis von Lehrplananalysen relevante Bezüge für Globales Lernen in einzelnen Unterrichtsfächern herausgearbeitet. Die Stärkung von Globalem Lernen für den Fachunterricht benötigt jedoch weitere systematische Verknüpfungen auch mit aktuellen fachdidaktischen Entwicklungen, um eine Integration von Globalem Lernen in den Fachunterricht und eine qualitative Weiterentwicklung zu ermöglichen. Mit einem stärkeren Bezug zum Fachunterricht sollen Idee und Intentionen des Globalen Lernens noch anschlussfähiger und attraktiver werden. Neue Perspektiven für Globales Lernen entfalten KommEnt hat vor drei Jahren erste Projektideen für diese stärkere Verbindung zum Fachunterricht entwickelt. Auf der Suche nach geeigneten Schnittstellen mit einzelnen Fachdidaktiken bin ich u. a. auf Werner Wintersteiners Buch „Poetik der Verschiedenheit“ aufmerksam geworden. Hier eröffnete sich aus meiner Sicht eine spannende und kreative Möglichkeit, Globales Lernen und transkulturelle Literaturdidaktik, wie sie an der Deutschdidaktik der Universität Klagenfurt entwickelt wird, zu verknüpfen. Literarische Bildung dem Zeitalter der Globalisierung anzupassen und sie als Teil des Globalen anzusehen, entspricht ganz wesentlich den Intentionen des Bildungskonzepts Globales Lernen. Mit großem Engagement haben wir – die Projektpartner KommEnt und das Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik – das Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“ konzipiert. Mit Freude haben wir festgestellt, dass die Projektidee das Interesse vieler Lehrkräfte wecken konnte, auch wenn dann nicht alle die Möglichkeit zur konkreten Mitarbeit im Projekt nutzen konnten. Mit der vorliegenden Dokumentation kann die theoretische Grundlage und die Konzeption des Projekts nachgelesen werden. Transkulturelle Literaturdidaktik stellt sicher ein anspruchsvolles und herausforderndes Konzept dar. Das Projekt hat das kreative Potenzial und die Bereicherung durch diesen Zugangs – für LehrerIn16 nen wie SchülerInnen - gezeigt. Die Projektberichte der beteiligten LehrerInnen geben Einblick in die schulische Umsetzung und in phantasievolle, kreative weltliterarische Erkundungen. Sie zeigen, dass SchülerInnen mit Freude und Begeisterung mitgemacht haben und selbst aktiv und produktiv geworden sind. Ohne das hohe Engagement der LehrerInnen und des Teams am Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, Hajnalka Nagy und Werner Wintersteiner, wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen. Ihnen allen ist zu danken, auch dafür, dass sie Räume für Experimentieren, Ausprobieren und für alternative Ansätze ermöglicht haben. Die Auswahl von weltliterarischen Werken aus dem globalen Süden in unserem Projektvorhaben soll Akzente gegen eurozentristische Sichtweisen auf Literatur- und Kulturproduktion setzen. Die Texte werden bewusst als literarische Texte und in ihrer speziellen Ästhetik erkundet. Die Öffnung der literarischen Bildung für weltliterarische Texte und für einen transkulturellen Zugang, trägt dazu bei, euro- und ethnozentrisches Denken zu überwinden und dabei auch das national „Eigene“ zu dekonstruieren. Die Literatur konfrontiert mit „Fremdem“ in verschiedener Weise, dadurch entstehen Irritationen der eigenen Meinungen, Sichtweisen, Vorurteile und Werthaltungen, die - eingebettet in einen reflektierten Umgang mit dem „Fremden“ und dem „Eigenen“ – den Horizont erweitern. „Ich hatte immer das Gefühl, es sei unmöglich, sich richtig mit einem Ort oder einer Person zu beschäftigen, wenn man sich nicht mit allen Geschichten dieses Ortes oder dieser Person beschäftigt. Die Folge der einzigen Geschichte ist diese: Es beraubt die Menschen ihrer Würde. Sie erschwert es uns, unsere Gleichheit als Menschen zu erkennen. Sie betont eher unsere Unterschiede als unsere Gemeinsamkeiten.“ Lernen für die Weltgesellschaft Globales Lernen rückt weltweit politische, soziale, ökonomische und kulturelle Verflechtungen in den Blickpunkt und beschäftigt sich mit den „Schlüsselfragen“ unserer Zeit. Es stellt dabei Fragen nach globaler Gerechtigkeit, nach der Verteilung von Ressourcen und der Nutzung von Gemeingütern. Es thematisiert die Verteilungsproblematik, Inklusion und Exklusion von Individuen und gesellschaftlichen Gruppen und fordert zur Analyse von Macht- und Ohnmachtsverhältnissen. Ökonomische, politische, soziokulturelle Prozesse ereignen sich heute in „grenzüberschreitenden Sozialräumen“. Nicht nur Märkte, politische Systeme und Gesellschaften rücken zusammen, sondern auch Menschen mit verschiedenen kulturellen Bezugssystemen, unterschiedlichen religiösen und ethischen Orientierungen treten verstärkt GRUNDLAGEN miteinander in Kontakt. Globale Beziehungen intensivieren sich auf der Ebene von Gesellschaft, Institutionen und Staaten aber auch auf der Ebene der Individuen.Damit Globales Lernen nicht zu einer Pädagogik der Globalisierung oder Pädagogik globaler Probleme wird, muss neben der Fokussierung auf Globalisierungsprozesse vor allem auch die Auseinandersetzung mit der Entwicklung hin zu einer Weltgesellschaft gesucht werden. „Weltgesellschaft bezeichnet ein weltweites Sozialsystem, das alle Kommunikationen und Handlungen in der Welt aufeinander bezieht und sie füreinander zugänglich macht. Für die Weltgesellschaft gibt es keine Sozialität außerhalb des Systems.“ Basierend auf Niklas Luhmanns systemtheoretischem Verständnis von Weltgesellschaft arbeitet der Erziehungswissenschaftler Klaus Seitz wichtige pädagogische Implikationen heraus. Er verweist auf die Notwendigkeit, dass jeder Bildungsgegenstand in seiner globalen Dimension zu erschließen sei. Die erforderliche „globale Anschauungsweise“ bezieht sich nicht nur auf die Erweiterung räumlicher Kontexte (Globalität), sondern auch auf die zeitliche (Antizipation) und soziale (Multiperspektivität) Dimension. Unter den Bedingungen der Weltgesellschaft findet soziale Kommunikation eingebunden in globale Zusammenhänge und Strukturen statt, „die sich der unmittelbaren Erfahrung entziehen und nur über Abstraktion, Theoriebildung und eine Beobachtung „höherer Ordnung“ in den Blick genommen werden können.“ Soziale Kommunikation und soziale Solidarität bezogen auf die Weltgesellschaft erfordern demnach eine andere Basis sozialen Zusammenhalts und sozialer Zugehörigkeit, die mehr Abstraktion verlangen. Für den pädagogischen Kontext stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten Menschen dafür benötigen und wie diese entwickelt und gefördert werden können. Sowohl das Verstehen von globalen Zusammenhängen als auch das erforderliche Einüben abstrakter Sozialität können nicht allein durch Fachwissen befördert werden. Wichtig ist die Reflexion eigener Standpunkte, Interessen, eigener Werthaltungen und Sichtweisen. Globales Lernen fördert den bewussten Umgang mit Bildern und Konzepten, mit Sterotypen und Vorurteilen, die die Analyse von globalen Verflechtungen und Machtbeziehungen einseitig beeinflussen können. Die Betrachtung globaler Phänomene aus mehreren, auch ungewohnten Perspektiven lässt Zusammenhänge erkennen, macht dahinterliegende Interessen sichtbar. Wichtige Zielsetzungen im Globalen Lernen sind der Perspektivenwechsel und die Förderung von Perspektivenvielfalt und Empathiefähigkeit. Eigene Meinungen und Werthaltungen zur Diskussion stellen und zu reflektieren, das eigene Ich zu stärken und aus einer gestärkten Identitätsentwicklung heraus die Begegnung mit dem „Anderen“, dem „Fremden“zu wagen, bilden weiter wichtige Anliegen von Globalem Lernen. Dabei wird der eigene Standpunkt als einer von vielen wahrgenommen, nicht Differenz wird in den Vordergrund gerückt sondern die Suche nach Gemeinsamkeiten. „Nicht Prinzipien, sondern praktische Handlungen befähigen uns, in Frieden zusammenzuleben. Gespräche über die Grenzen der nationalen, religiösen oder sonstigen Identität hinweg, beginnen mit jenem fantasievollen Sich-Einlassen, das wir erleben, wenn wir einen Roman lesen oder einen Film ansehen oder ein Kunstwerk betrachten, das von einem anderen Standort aus als unserem eigenen zu uns spricht. Deshalb benutze ich den Ausdruck „Gespräch“ nicht nur im buchstäblichen Sinne von „Konversation“ sondern auch als Metapher für das Bemühen, sich auf die Erfahrungen und Ideen anderer Menschen einzulassen. Und ich betone hier die Rolle der Phantasie, weil solch eine Begegnung richtig ausgeführt, einen Wert an sich darstellt. Ein Gespräch muss nicht zu einem Konsens über etwas irgendetwas führen, schon gar nicht über Werte. Es genügt, wenn das Gespräch den Menschen hilft, sich aneinander zu gewöhnen.“ Literaturunterricht kann für die Ziele von Globalem Lernen zahlreiche Anlässe bieten und Denk- und Diskursräume schaffen. Wichtige Schnittstellen, an denen sich zentrale Anliegen der beiden Konzepte verknüpfen, sind die Dekonstruktion von euro- und ethnozentristischen Weltbildern sowie die stärkere Wahrnehmung von transnationalen und transkulturellen Verflechtungen bei gleichzeitiger Hinterfragung national-orientierter Denk- und Handlungsmuster. Globales Lernen und transkulturelle Literaturdidaktik fördern einen konstruktiven Umgang mit Differenz- und Fremdheitserfahrungen und sehen darin eine wichtige Schlüsselqualifikation für das Leben in einer Weltgesellschaft. Durch die Akzentuierung der Fremdheit in der Literatur und der Fremdheit der Literatur stellt sich transkulturelle Literaturdidaktik dem Grundproblem bei der Begegnung mit dem Fremden. Ihr Ziel besteht nicht darin, den „geglückten Umgang mit dem Fremden“ zu organisieren, sondern sie strebt „einen Umgang mit Literatur (und mit Fremdheit generell) an, bei dem es darum geht, Fremdheitserfahrungen auszuhalten, zu beobachten und zu reflektieren.“Beide Konzepte drängen auf eine Reflexion des „Eigenen“ und stellen Multiperspektivität sowie den Dialog über das Gemeinsame und das Trennende in den Vordergrund. Die Thematisierung von Ungewissheiten, die Suche nach einem fruchtbaren Umgang mit Unsicherheiten, Gefühlen der Orientierungslosigkeit angesichts komplexer und irritierender Weltentwicklungen, die Reflexion verschiedener Deutungen von Weltentwicklungen, das 17 GRUNDLAGEN Überschreiten von Grenzen und die Erweiterung des eigenen Horizonts brauchen andere Formen der Auseinandersetzung als die rein kognitive Wissensverarbeitung. Literatur eröffnet andere Welten, andere Perspektiven, verführt zum Überschreiten von Grenzen und erweitert den Horizont der eigenen Phantasie und des eigenen Denkens. Transkulturelle Literaturdidaktik interessiert sich ebenso wie Globales Lernen für die Verflechtung, Durchmischung und Gemeinsamkeit von Kulturen und Literaturen. Die amerikanische Schriftstellerin Alice Walker schrieb Folgendes über ihre Verwandten aus dem Süden, die in den Norden gezogen waren. Sie gab ihnen ein Buch über das Leben im Süden, das sie hinter sich gelassen hatten. „Sie saßen herum, lasen das Buch, hörten mir zu, wie ich aus dem Buch vorlas, und ein Stück vom Paradies wurde zurückerobert.“ Ich möchte gerne enden mit diesem Gedanken: Dass wir, wenn wir die einzige Geschichte ablehnen, wenn wir realisieren, dass es niemals nur eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, dann erobern wir ein Stück vom Paradies zurück. Literatur Adichie, Chimamanda: The danger of a single story. Vortrag, TED-Conference, Juli 2009; http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story Appiah, Kwame (2007): Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums. München: Beck Novy, Andreas (2007): Die Welt ist im Werden. Über die Aktualität von Paulo Freire. In: Journal für Entwicklungspolitik XXIII 3-2007, Wien, S. 29-57 Lang-Wojtasik, Gregor (2008): Schule in der Weltgesellschaft. Herausforderungen und Perspektiven einer Schultheorie jenseits der Moderne. Weinheim: Juventa. Seitz Klaus (2002): Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschafts theoretische Grundlagen Globalen Lernens. Frankfurt a. Main: Brandes & Apsel. Stichweh, Rudolf (2011): Weltgesellschaft. In: Fernand Kreff/ Eva-Maria Knoll/André Gingrich (Hg.), Lexikon der Globalisierung. Bielefeld: Transcript, S. 423 – 426 Wintersteiner, Werner (2006): Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung, Globalisierung. Klagenfurt: Drava. Wintersteiner, Werner (2011): Handreichung für das Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“, Salzburg. 18 MODELL Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner Figurationen des Fremden – Facetten des Eigenen Zum Umgang mit weltliterarischen Texten im Deutschunterricht Das Fremde ist das … was mich fasziniert … was mich überrascht … was meinen Atem stocken lässt … was mir Angst einjagt … unerwartet, unheimlich, unvertraut … Und das Eigene? … Das, was mich langweilt … was mich sprachlos macht … was mich befremdet … was mich zum Ich macht … allzu bekannt und doch ungreifbar, unfassbar … Lauert das Eigene auch im Fremden, das Fremde in uns? Identität und Alterität bilden heute die zentralen Bezugspunkte verschiedenster wissenschaftlicher Diskurse (u.a. Soziologie, Psychologie, Philosophie, Literatur, Kulturwissenschaften), aber auch im (medialen) Alltag sind sie stets präsent. Auf die Frage „Wer bin ich?“ fällt die Antwort schwer, vor allem, wenn man bedenkt, dass Identität ein heterogener Begriff ist, der je nach (wissenschaftlichem) Standpunkt und ordnender Kategorie (Geschlecht, Alter, Nationalität, Beruf etc.) immer anders definiert werden kann. Zudem lässt sich Identität im Zeitalter der Globalisierung und der Transkulturalität nicht mehr eindeutig bestimmen und muss immer auch im Lichte des Fremden, d.h. der eigenen Fremdheit und der des Anderen reflektiert werden. Fremdheit und Andersheit erleben wir daher auf verschiedenen Ebenen und auf verschiedenste Art: im Alltag mit seltsamen, unangenehmen oder besonders faszinierenden Menschen; durch Migration und Exil, aber ebenso durch Grenzüberschreitungen wie Reisen in die Ferne sowie durch internationale und virtuelle Vernetzungen. Diese Begegnung mit den/dem a/Anderen führt uns aus der Enge der eigenen Perspektive heraus und fordert uns auf, gewohnte Sichtweisen zu hinterfragen und das eigene Ich in Bezug zu anderen „Ichs“ zu setzen. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden – was immer darunter jeweils verstanden wird – provoziert auf der einen Seite eine grundlegende Verunsicherung und Infragestellung des Eigenen, auf der anderen Seite öffnet sie neue Möglichkeiten der Selbstverortung. Dieses komplexe Wechselspiel zwischen Fremdem und Eigenem, Unbekanntem und Vertrauten gehört zu einer der wichtigsten Erfahrungen junger Menschen – die Fähigkeit, mit den Irritationen, die diese Erfahrungen hervorrufen, kompetent umzugehen, ist heute unerlässlich geworden. Transkulturelle Literaturdidaktik möchte dazu ebenfalls einen Beitrag leisten, indem sie SchülerInnen mittels Literatur zu selbstreflexivem und kritischem Umgang mit dem Fremden befähigt und sie für globale Fragestellungen sensibilisiert. Das hier skizzierte Unterrichtsmodell veranschaulicht exemplarisch das Konzept der transkulturellen Literaturdidaktik und gibt Anregungen für die Arbeit im Literaturunterricht. Zwischen Befremden und Vertraut-Machen. Prinzipien des transkulturellen Literaturunterrichts Literarische Texte stellen immer eine Art „Fremdsprache“ dar, auch wenn sie aus der eigenen Kultur stammen. Das macht ihren besonderen Erkenntnisgewinn aus. Und das gilt natürlich erst recht für welt-literarische Texte, die aus anderen Kulturen stammen. Will man diesen Texten im Literaturunterricht gerecht werden, so darf man nicht nur darauf hinarbeiten, sich mit diesen Werken „vertraut zu machen“. Zunächst muss man sich „befremden“ lassen, um den zusätzlichen Erkenntnisgewinn, der durch Irritationen entstehen kann, zu ermöglichen. Denn die Irritation bedeutet nichts anderes, als dass man beginnt, Vertrautes aus einem neuen Blickwinkel zu sehen, Selbstverständliches in Frage zu stellen, und vielleicht auch seine eigenen Reaktionen auf Fremdheit bewusster zu beobachten. Das heißt, dass im Literaturunterricht neue „Leitfragen“ Einzug halten sollten: Es geht nicht mehr nur um die Frage: „Was bedeutet der Text?“, sondern auch um die Frage: „Was entzieht sich meiner Deutung?“ Es geht nicht mehr nur um die Frage: „Was gefällt dir am Text?“, sondern auch um die Frage: „Was befremdet dich?“ Es geht also wesentlich darum, Fragen zuzulassen (auch: bei sich selbst zuzulassen), die etwa lauten: „Was irritiert?“, „Warum irritiert?“, „Was stimmt mit deiner 19 MODELL ‚Vorstellung‘ von Welt nicht überein?“, „Was bleibt unzugänglich und warum?“ überprüfen und somit bestimmte gewohnte Argumentationsmuster zu durchbrechen. Ein Beispiel: Jeder Schritt zum Vertrautmachen des Textes sollte durch das „Purgatorium“ des Befremdens führen. Denn dieses Befremden ist kein künstlicher didaktischer Zusatz, sondern die didaktische Reaktion auf eine literarisch ausgelöste Irritation. Wie immer, „erfindet“ die Literaturdidaktik nichts, sondern bemüht nur Methoden, um den Text selbst optimal zur Geltung zu bringen. Obwohl sich die Kinder- und Jugendliteratur bereits ab den 1970er Jahren mit dem Phänomen der Migration, der Heimatverlust, der Multikulturalität und der Fremdheit auseinandersetzt, bleiben diese Bücher – trotz ihres Anspruchs nach Aufklärung und ihres Plädoyers nach mehr Toleranz – oft in okzidentalen Denkmustern gefangen. Auf der Grundlage der von Sabine Dörrich kategorisierten „Argumentationsmuster“ erarbeitet Heidi Rösch Konzepte für den inter- bzw. transkulturellen Literaturunterricht, die diese Syndrome und Muster entlarven. Diese kreisen meist, aber nicht ausschließlich, um die Denkfigur der „Einen Welt“. Nach wie vor empfiehlt sich die Arbeit anhand des klassischen 4-Phasenmodells von Jürgen Kreft (Kreft 1976), wobei wir hier die Adaption des Kreft‘schen Modells auf transkulturelle Literaturdidaktik durch Werner Wintersteiner (nach Wintersteiner 2006, S. 137 ff.) verwenden. Kreft unterscheidet vier Phasen, die idealtypisch jede Unterrichtseinheit zur Literatur durchläuft, die er allerdings mit einer etwas gewöhnungsbedürftigen Terminologie belegt: 1. Phase der bornierten Subjektivität: Damit ist die spontane und subjektive „Begegnung“ mit dem Text durch die Lesenden gemeint, die noch (kulturell) einseitig und unvollständig sein wird. Kreft betont, dass diese Phase keineswegs dadurch übersprungen werden darf, dass die Lehrkraft erklärt, wie der Text „eigentlich“ zu verstehen sei. Denn diese „bornierte“, oft wohl kulturalistische Lesart ist vermutlich durchaus bereits eine „erste Dezentrierung“, dadurch dass die SchülerInnen durch den Text in ihrer bisherigen Weltvorstellung irritiert werden. Das heißt, sie fassen den Text zwar auf Grundlage ihres Denkrahmens auf, aber sie registrieren bereits eine Irritation und versuchen diese vielleicht wegzuinterpretieren. Das kann für die weitere Analyse fruchtbar gemacht werden, indem man sich gerade mit den eigenen Irritationen auseinandersetzt, Schematismen bewusst macht und die eigene Lesart infrage stellt. 2. Phase der Objektivierung: Vergleich der verschiedenen Lesarten (einer Schulklasse), Perspektivenwechsel, multiperspektivische Arbeit (durch gezielte didaktische Aufgabenstellungen): Perspektive des fremden Textes, des lesenden Subjektes und der anderen RezipientInnen. Dies kann als „zweite Dezentrierung“ verstanden werden, die nun bereits einen Schritt weiter geht als die erste. 3. Phase der reflektierten Subjektivität: Erhöhtes Textverständnis geht nun Hand in Hand mit einem tieferen Verständnis der Kategorien, mit denen wir an einen Text herangehen: Der Fokus liegt nun nicht mehr nur auf der dargestellten Lebensweise (der Figuren), sondern auf der Art der Darstellung. 4. Phase der Applikation: Hier geht es darum, einen neuen kritischen Blick auf das Eigene zu werfen, es geht um einen sensibleren, wacheren Umgang mit (kultureller) Fremdheit überhaupt. Zu einer kritischen Selbstreflexion gehört auch die Fähigkeit, die eigenen eurozentrischen Denkkategorien zu 20 Das Vermeidungssyndrom zeigt eine Multi-Kulti-Idylle, bei der vorhandene soziale, kulturelle, ethnische oder sprachliche Unterschiede ausgeklammert oder im allgemein-menschlichen Universalismus aufgelöst werden. Das Ethnisierungs-/ Kulturalisierungssyndrom führt dagegen zu einer stereotypisierten Zeichnung von Minderheiten oder Angehörigen diskriminierter Gruppen, die zu Repräsentanten einer Ethnie oder Kultur stilisiert werden. Der Übergang zum Defizitsyndrom ist dabei fließend, denn es geht häufig darum, dass diese Figuren im Vergleich zu den Angehörigen der dominanten Gruppe sozial schlechter gestellt, sprachlich weniger versiert, weniger gebildet etc. erscheinen. Das Harmonisierungssyndrom führt zur Integration einer so gezeichneten Figur, die häufig durch einen von Angehörigen der Mehrheit oder dominanten Gruppe gesteuerten Wandlungs- oder kompensatorischen Entwicklungsprozess erfolgt. Hier ist der Übergang zum Helfersyndrom ebenfalls fließend, der Angehörige der dominanten Gruppe als paternalistische Retter der Diskriminierten erscheinen lässt. Das Oasensyndrom isoliert Angehörige von diskriminierten Gruppen und stellt sie als Einzelne in die dominante Gruppe, von der sie dann – häufig über eine Freundschafts- oder Liebesbeziehung und nach erbrachten Assimilationsleistungen – aufgenommen werden. Im Kontext des Abenteuer- bzw. Exotisierungssyndroms ereignen sich Naturkatastrophen, dramatische Fluchten, menschliche Dramen oder Kriminalfälle, die das Leben der Minderheiten interessant und exotisch fremd erscheinen lassen, es letztendlich aber in Form eines positiven Rassismus zeichnet. Das Enthistorisierungssyndrom führt dazu, dass Fakten und Erkenntnisse über die verschiedenen Migrationsprozesse, über rechtliche, politische, kulturelle und sprachliche Hintergründe oder Besonderheiten schlicht ignoriert oder nicht korrekt wiedergegeben werden.“ Rösch 2000, S. 31 f. MODELL Dieser Katalog erlaubt es, sich im Unterricht mit den genannten Syndromen systematisch zu befassen und auch Bücher zu behandeln, die über die „Dritte Welt“ ein undifferenziertes Bild zeichnen. Die Bewusstmachung der Argumentationsmuster ermöglicht SchülerInnen, tradierte Bilder, die europäische Bücher über fremde Kulturen liefern, kritisch zu hinterfragen und überhaupt mit Literatur kritisch umzugehen. Unterrichtsvorschläge zu Simi Bedfords Jugendbuch1 1. Didaktische Analyse des Buches Yoruba Mädchen tanzend schildert den Kampf eines nigerianischen Yoruba-Mädchens um ihre Identität „zwischen den Kulturen“ in den frühen 1950er Jahren, als Nigeria noch eine britische Kolonie war. Zwar ist Rémi in Afrika geboren und hat ihre ersten sechs Jahre im großväterlichen Haus verbracht, doch hat sie nach wiederum sechs Jahren Schulzeit in England Schwierigkeiten, sich selbst entweder als Engländerin oder als Afrikanerin zu behaupten. In den Augen ihrer besten Freundinnen ist sie eine „echte Engländerin“ geworden, in den Augen von anderen Engländern bleibt sie, was sie immer schon war: die Repräsentantin des „wilden Afrikas“. Das gewählte Jugendbuch problematisiert den Prozess der kulturellen Annäherung, der immer auch die Frage nach der (kulturellen) Identität und Alterität aufwirft. Vor allem macht der Text jene Mechanismen sichtbar, die zur Stereotypenbildung und zu einer klischeehaften Lesart des Anderen führen. In diesem Sinne eignet es sich besonders für einen Literaturunterricht, der sich sowohl mit dem Funktionieren von Klischees und von (medialen) Fremdund Selbstinszenierungen als auch mit kulturspezifischen Deutungsmustern und Denkkategorien auseinandersetzen und somit zum Nachdenken über die eigene (auch kulturell bedingte) Wahrnehmung anleiten will. Zudem durchzieht die Frage der Zugehörigkeit und der Identität den gesamten Text und behandelt Fragen, deren Relevanz für europäische Jugendliche unmittelbar einsichtig ist. Rémi lädt trotz ihrer „Fremdheit“ zur Identifikation ein. Schließlich ist das Grundmuster ihres Bildungswegs mit den drei Stationen – geschützte Familie, Aufbruch in die Fremde, bewusste Entscheidung für den eigenen Weg – auch unseren SchülerInnen vertraut. Anhand ihres Schicksals können sie ihre eigenen Identitätsprobleme und Beziehungen zur Familie und Peers artikulieren. Rémis Humor und ihre Selbstironie machen die Geschichte zu einer attraktiven Leseerfahrung. Zugleich wird – auf einer Metaebene – sichtbar, wie mittels Ironie Herrschaftsdiskurse konterkariert werden können (vgl. dazu Rösch 2003, S. 167 ff ). In diesem Sinne soll der Roman im Unterricht einerseits im Hinblick auf die (Dekonstruktion der) Fremdzuschreibungen hin untersucht werden, denen Rémi durch die Engländer ausgesetzt ist, andererseits aber auch auf die Selbststilisierungen der Protagonistin. Wie wichtig die Rolle der Medien bei diesen Inszenierungen ist, zeigen jene „kulturellen Zitate“ (Schneewittchen, Bibel, Tarzan-Filme, Othello), die einerseits ihr als Folien bei ihrer Identitätsarbeit, andererseits als Grundlage stereotyper Vorstellungen dienen (vgl. dazu ausführlich Rösch 2003). Das Erkennen der Stereotypisierung in beide (!) Richtungen soll auch das Aufdecken von dialektischen Bewegungen zwischen Afrika-England ermöglichen. Nicht zuletzt beleuchtet der Roman auch die Schwierigkeiten der Identitätsfindung am Schnittpunkt zweier Kulturen und thematisiert somit die Problematik „hybrider Identitäten“. In diesem Sinne wird auch die Identitätsentwicklung des Mädchens näher untersucht. Fragen und Aufmerksamkeitsrichtungen: Wechselbeziehung zwischen Fremdem und Eigenem, Stereotypen und Klischees: welche werden in Bezug auf die fremde Kultur aufgedeckt? Welche in Bezug auf die eigene? Welche Funktion haben diese Stereotypen? Prozess der Identitätsfindung: Wie entwickelt sich eine „hybride“ Identität? Wie wird das Dilemma des „Dazwischens“ gelöst? Wie behauptet sich ein(e) Fremde(r) im Gastland? Wie konstruiert sich das Fremde im Eigenen? (Wie wird das Fremde zum Eigenen? Wie wird das Vertraute fremd?) Wie werden die „zwei Welten“ einander gegenüber bzw. nebeneinandergestellt? (vgl. Semantik des Raumes) Welche okzidentalen Denkmuster werden sichtbar? Allgemeine Ziele: die Wechselbeziehung zwischen Fremden und Eigenen erkennen sich mit Mechanismen der Fremdzuschreibung, Stereotypenbildung auseinandersetzen mediale und kulturelle Inszenierungen des Eigenen und des Fremden reflektieren, d.h. die Rolle der Medien (Bücher, Filme, Zeitungen etc.) bei der Herstellung von Fremdbildern erkennen, Selbststilisierungen und -inszenierungen wahrnehmen 21 MODELL eurozentrische Deutungs- und Denkmuster erkennen und hinterfragen, verschiedene „Syndrome“ registrieren sich mit der Problematik der „hybriden Identität“ befassen Nord-Süd-Perspektive als Ich-Andere; Dominanz der Nord-Bilder von der Welt als objektive Weltsicht (Okzidentalismus, Euro-Zentrismus) in Frage stellen und dadurch zu einem differenzierteren Bild des eigenen Ichs und des Anderen zu gelangen kulturelle und politische Machtverhältnisse erkennen mit Formen des Fremden differenziert umgehen 2. Arbeitsvorschläge anhand des Modells von Jürgen Kreft 2.1 Phase der bornierten Subjektivität Diese erste Phase soll SchülerInnen eine (bewusst zugelassene) kulturalistische, naive und subjektive Lesart ermöglichen, aber dennoch für die „Macht der Bilder“ sensibilisieren. Vor dem Lesen: a) Bilder / Assoziationen sammeln zu „Afrika“, „Nigeria“, „Yoruba-Stamm“. Dieses Sammeln kann sowohl in einer Art Brainstorming geschehen als auch durch Collagen, wo SchülerInnen aus Zeitungen verschiedene Bilder ausschneiden oder im Internet nach Bildern suchen. b) Nach diesem Sammeln kann auch die Diskussion in die Tiefe gehen: Was meinst du, wie ist das Leben in Afrika? (Wo wohnen „sie“? Wie wohnen „sie“? Was arbeiten „sie“? Welche Sprache sprechen „sie“?) Wenn du die gesammelten Bilder betrachtest, welches Afrika-Bild vermitteln sie uns? Korrespondieren diese Bilder mit deinen Vorstellungen? Wie stellst du dir das Leben eines Yoruba-Mädchens vor? (Beachte aber den Zeitpunkt, zu dem die Erzählung spielt) c) Für SchülerInnen im deutschen Sprachraum stellt auch England eine „fremde“ Kultur dar, deswegen sollten auch die Bilder über England und über die EngländerInnen mobilisiert werden. Eine wichtige Frage dabei wäre auch, welche Unterschiede die SchülerInnen zwischen England und Nigeria vermuten. In dieser Phase kann man auch 22 besprechen, welche Kultur ihnen „näher“ erscheint, und worin diese „Nähe“ besteht. d) Vor dem Lesen sollten die zwei Buchcovers (die des englischen Originals und der deutschen Übersetzung) betrachtet und miteinander verglichen werden. Dies hilft SchülerInnen erste Leseerwartungen zu formulieren. SchülerInnen sollten ihre eigenen Vorstellungen und die medialen Bilder über Afrika/England stets vergegenwärtigen und diese mit dem Gelesenen vergleichen. Deswegen sollten sie während des Lesens alles, was sie über das Leben in Nigeria und in England erfahren, (z.B. Gebräuche und Sitten, Mentalität, familiäre Beziehungen, Kleidung, Menschen) notieren und diese mit ihren Leseerwartungen in Beziehung setzen. Mit dieser Aufgabe bleibt man noch in der „kulturalistischen“ Lesart, weil vor allem Aspekte notiert werden, die „typisch“ und „exotisch“, bzw. „fremd“ wirken. Erst die zweite Phase wird diese Lesart aufbrechen. Dennoch ist es wichtig, nach dem Lesen SchülerInnen auch nach Irritationen zu fragen. Diese Frage erlaubt SchülerInnen, über Unerwartetes, Irritierendes oder Nicht-Verstandenes zu berichten, was in der zweiten und dritten Phase produktiv genutzt werden kann. Nach dem Lesen: a) Hast du etwas Neues, Interessantes erlebt? Etwas Irritierendes, Unerwartetes? Etwas, das deinen Erwartungen entsprach? Etwas, das deinen Erwartungen widersprach? b) Beispiele, die unseren Erwartungen (vermutlich) entsprechen: Großvater /Vater als Machtfiguren, Patriarchat Respekt vor der Tradition der Hierarchie (Figur der Großmutter) Feste anders als bei uns (Trauung und Begräbnis) traditionelle Kleidung und Tänze Aberglaube (trifft nur teilweise zu) Klischees über England: kalt, kühl, die Menschen ebenfalls, die Feste sind langweilig, das Essen schlecht. c) Beispiele, die (vermutlich) unseren Erwartungen widersprechen: Rémi ist nach der englischen (europäischen) Tradition (Sprache, Bibel, Kleider) erzogen die Familie des Großvaters ist reich/mächtig, Dienstmädchen, Dienstboten um Rémi herum Rémi ist bereits in Afrika „fremd“ (weil sie als „weiß“ gilt). MODELL 2.2 Phase der Objektivierung In dieser Phase arbeitet man mit bestimmten Textstellen und Aspekten des Romans. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Identitätskrise der Protagonistin, die vor allem dadurch hervorgerufen wird, dass sie in England mit verschiedenen Stereotypen konfrontiert ist, die sie in ihrer ursprünglichen Identität als Yoruba Mädchen verunsichern. Ein zweiter Grund der Identitätskrise hängt jedoch auch mit der distanzierten Haltung des Vaters Rémi gegenüber zusammen, der ihr verbietet, die Sommerferien zu Hause zu verbringen. Damit untersagt er ihr jedoch die „Rückkehr zu den Wurzeln“ und trennt sie von der Heimat, der Familie und ihrer bisherigen Identität. Vorurteile und Stereotype: Ziel dieser Aufgabe ist es, dass SchülerInnen erkennen, wie Stereotype entstehen, funktionieren und welche Macht sie auf individuelle und kollektive Identitätsbildungen ausüben. Dabei sollten sie nicht nur die Fremdbilder erkennen und systematisieren, mit denen Rémi in England konfrontiert ist, sondern auch, über die eigenen schematischen Bilder über „Afrika“ nachdenken und eigene Stereotype mit den im Buch präsentierten in Beziehung setzen. Notiere alle Stereotype und Fremdbilder, mit denen die Protagonistin konfrontiert ist! Wie kommt es zu diesen Zuschreibungen? Wie entstehen diese Stereotype? Nenne einige relevante Szenen, wo Vorurteile eine Rolle spielen! Wie reagiert Rémi in diesen Szenen? Welche Verhaltensweisen kannst du Rémi gegenüber unterscheiden? Differenziere zwischen verschiedenen Gruppen: Freundinnen, Bekannte, Lehrer, Unbekannte, Engländer, Nigerianer. Vergleiche deine ersten Assoziationen und Bilder über Afrika mit jenen Vorurteilen und Stereotypen, die im Buch vorkommen. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es? Die Blicke anderer. Wie Rémi von den anderen betrachtet wird In der ersten Aufgabe wurden die verschiedenen Verhaltensweisen Rémi gegenüber unterschieden. Nun werden diese Verhaltensweisen noch einmal überprüft und als „schematische Deutungsmuster des Abendlandes“ entlarvt. Wichtig ist, dass dabei deutlich wird, dass die Position der FreundInnen, Rémi als Engländerin zu akzeptieren, nicht unbedingt richtig ist. Sie reduzieren damit die Vielfalt auf Uniformität und negieren die Möglichkeit einer „gemischten“, bzw. „Patchwork-Identität“. Verhaltensweisen Bedeutungszuweisung von außen absorbierend Freundinnen, die die Differenz leugnen, Rémi sich zu „eigen“ machen bewunderndexotisierend Unbekannte, die Rémi als etwas „Exotisches“ bewundern (vgl. in Deutschland) ablehnendrassistisch Unbekannte, die Rémi als „Schwarze“ definieren (z.B. LehrerInnen) Abb. 1 Aha-Erlebnis: Auch wenn ich das Fremde als „Vertrautes“ wahrnehme, bleibe ich gefangen in einem bipolaren System. Um dies aufzulösen, muss ich nach anderen Möglichkeiten – z.B. Konzepte der Hybridität – suchen! Identität und Alterität. Rémi zwischen „wildem Afrika“ und England Um die Identitätskrise und Identitätsentwicklung der Protagonistin zu verfolgen, sollten verschiedene Etappen dieser Suche – nach Möglichkeit auch in einer graphischen Zeitachse – veranschaulicht werden. Hierzu können drei größere Stadien der Identitätssuche („Identität in Afrika“, „Identitätskrise in England“, „Selbstfindung in England“) unterschieden werden, wobei das mittlere in drei weitere Phasen gegliedert werden kann. Wichtig ist bei dieser Analyse, die Innenperspektive Rémis mit der Außenperspektive der anderen stets in Beziehung zu setzen, weil die Zuschreibungen der anderen Rémis Selbstbild und ihre Strategien, mit Vorurteilen umzugehen, stark beeinflussen. Welche Etappen der Selbstfindung und der Identitätskrise kann man bei Rémi feststellen? Untersuche Textstellen und Kapitel, die diesen Prozess veranschaulichen! Unterscheide dabei zwischen der a) Sicht der Anderen und b) den Gefühlen/ der Sicht von Rémi 23 MODELL Etappen der Identitätssuche Identität in Afrika Phasen der Identitätssuche / Beschreibung Formel Identität ist selbstverständlich, Gefühl der Zugehörigkeit, Identität durch die Familie gewährleistet Ich = Yoruba + „Weiß“ Ich an der Schnittstelle von Kulturen, die jedoch miteinander für Rémi nicht in Konflikt stehen Identitätskrise in England Ich = die Anderen (kein Bruch) Rémi als Repräsentan- Bedeutungszuweisung von außen: „wie ein tin des „wilden Afrika“ wildes Tier“, „Nigger“, „Bimbo“ (S. 145146.) Reaktion von Rémi: Versuche, die Ehre Afrikas zu „retten“, aber ohne Erfolg > erster Ausweg: bewusste Inszenierung des Eigenen als das Fremde, ironisches Spiel mit Identität und Differenz Ich = das Fremde schlechthin (gespielt und real) Änderung des Selbstbildes durch die Änderung des Äußeren: Rémi = hässlich Rémi als Engländerin (vgl., S. 159) Ich ≠ die Anderen (entweder Ich > die Anderen oder Ich< die Anderen) Bedeutungszuweisung von außen: Freundinnen akzeptieren Rémi als Engländerin, während Unbekannte Rémi als „Schwarze“ bezeichnen und mit dem Exotischen schlechthin identifizieren Ich = eine Andere (Selbstentfremdung) Leugnung der Herkunft (=die Eltern für tot erklären) und Tarnung („Tarnfarbe“ auflegen und das wahre Ich verdecken) Der Durchbruch doppelte Entfremdung: von sich selbst und von der Heimat, Afrika nur noch als Traum und als Illusion präsent (S. 235) Besuch bei den Missionaren: Erlebnis der Ich = andere Tänzerinnen und Sängerinnen aus dem Fremde Jemen Erfahrung des Ich als Differenz + In-FrageStellung der Tarnungstechnik (S. 282-283) Selbstfindung: afrikanische Identität in England (vgl., S. 302-304) / das Außenseiterdasein wird bewusst, Unmöglichkeit der vollkommenen Identifikation mit England, Suche nach anderen Identitätsmodellen Wiederfinden der Identität im Kreis junger AfrikanerInnen positives Selbstbild auch im Äußeren; Rémi = wieder attraktiv Symbol: Yoruba Mädchen tanzend 24 Ich = Yoruba Mädchen in England MODELL 2.3. Phase der reflektierten Subjektivität Wie bereits erwähnt, sind unsere Wahrnehmung und unsere Erwartungshaltung gegenüber „Fremden“ keineswegs nur individuell, sondern auch kulturell bestimmt. Diese kulturellen Denkmuster werden u.a. durch verschiedene Medien weitertradiert. Auch Literatur und Film sind nicht frei von „imaginierten“ Vorstellungen über den/die/das Fremde/n, entweder indem sie diese bewusst als Spiel oder eben unbewusst als verinnerlichte Konstruktionen in Szene setzen. Besonders das Bild von Afrika, dem immer schon der Makel des Wilden und Unizivilisierten anhaftete, das aber gleichzeitig als exotische Kulisse die europäische Fantasie beflügelte, ist von Projektionen, Vorurteilen und Fremdbildern geprägt, die anhand des Buches von Bedford sehr gut thematisiert werden können (zur Arbeit mit Afrika-Bildern vgl. auch Bräunlein 1998). SchülerInnen sollen lernen, überlieferte Bilder in Frage zu stellen und verschiedenste Medien auf ihre Produktion von Stereotypen hin kritisch zu untersuchen. Deswegen ist diese Phase von der Arbeit an Denk- und Deutungsmustern bestimmt. In einem weiteren Schritt soll jedoch auch deutlich werden, dass unser „Selbstbild“ ebenfalls aus verschiedenen „kulturellen Zitaten“ zusammengesetzt ist und wir unsere Identität ständig und je nach Situation neu inszenieren. Die Auseinandersetzung mit Rémis Selbststilisierungen soll SchülerInnen zur kritischen Selbstreflexion anhalten, sowohl in Bezug auf ihre persönliche Identität wie auch auf die kulturelle Identität. Figurationen des Fremden: Unsere (westliche, europäische) Literatur und (Alltags-) Kultur hat viele Erscheinungsformen des Fremden hervorgebracht. (Einige Beispiele wären hierzu Hexen, Drachen, Riesen, Vampire, Klone oder Kunstfiguren wie Tarzan, Winnetou, E.T., der Sandmann …). Als Einstieg in diese Phase dient deswegen das Sammeln solcher Figuren des Fremden: Welche Figuren, bzw. Geschichten oder Märchen fallen Dir zur Figur des Fremden ein? Welche Ideen verknüpft man mit ihnen? Wie sind sie dargestellt? Worin besteht ihre Faszination? Die Assoziationen können zuerst in alle Richtungen gehen, um möglichst vielfältige Zugänge zum Fremden zu gewährleisten und diversen Leseerfahrungen der SchülerInnen Raum zu geben. Danach kann die Perspektive auf literarische Werke beschränkt werden, die einen direkten Bezug zu Afrika aufweisen. Plant man mehr Zeit für diese Auseinandersetzung ein, können auch Auszüge aus Reiseberichten bzw. Abenteuerromanen analysiert wer- den – so zum Beispiel Robinson Crusoe, Szenen aus dem Dschungelbuch, Textstellen aus den Reisberichten von Ida Pfeiffer (siehe dazu Bräulein 1998, S. 80) etc. In einem weiteren Schritt steht wieder der Roman von Bedford im Mittelpunkt, der ebenfalls einige Figuren und Werke aus Literatur und Film nennt, die bei der Identitätsentwicklung von Rémi, bzw. bei ihrer Annährung an die neue Kultur, eine besondere Bedeutung haben. Die sechsjährige Rémi fährt nach England nämlich nicht ohne Vorstellungen über Europa und England im Kopf. Diese Vorstellungen haben einen imaginativen Charakter, indem sie u.a. auf Märchen wie Schneewittchen oder Dornröschen verweisen. Es ist wichtig, diese literarischen Zitate aufzuspüren und zu fragen, was genau sie symbolisieren: Welche literarischen Figuren/ literarischen und filmischen Werke werden in Bedfords Roman wo und warum genannt? Was symbolisieren sie (für Rémi)? Wie formen sie ihre Identität? Wie gestalten sie ihre Beziehung zu England? (siehe Punkt c.) Dialektik von Afrika-Europa. Semantik der Räume: Die zwei Welten Afrika – England sind im Buch sehr polarisierend und unterschiedlich beschrieben. Das trübe England und die EngländerInnen mit ihrer Gefühlskälte stehen diametral der bunten und frohen Welt des afrikanischen Zuhauses gegenüber. Die Untersuchung der Semantik der Räume gibt SchülerInnen darüber Auskunft, dass selbst räumliche Konzepte von der subjektiven Wahrnehmung des Betrachters abhängen und kulturell kodiert sind. Schildere das Leben Rémis in Afrika (Kapitel 1-3), die Reise nach England und die Ankunft in London (Kapitel 4-6)! Welche Bilder und Gefühle verbindet sie mit den Orten? Was sind ihre ersten Eindrücke in England? Gibt es typische Figuren und Gegenstände? Inszenierung des Eigenen. Identität als kulturelles Konstrukt Rémi setzt die Stereotypen der Engländer AfrikanerInnen gegenüber bewusst als Waffe ein, um rassistische Äußerungen und eurozentrische Denkmuster zu entlarven, aber auch um ihre Identität zu klären. Dabei spielen filmische und literarische Figuren eine besondere Rolle (vgl. dazu auch Rösch 2003, S. 168 f.). Um dies zu verdeutlichen, sollten die Stadien und Phasen der Identitätsentwicklung noch einmal unter diesem Aspekt untersucht werden: 25 MODELL Etappen der Identitätssuche Identität in Afrika Identitätskrise in England Afrikanische Identität in England Phasen der Identitätssuche / Beschreibung Ich an der Schnittstelle von Europa und Afrika Rémi als Repräsentan- bewusste Inszenierung des Selbst als das tin des „wilden Afrika“ Fremde und das Exotische Rémi als Engländerin Versuch der absoluten Anpassung Der Durchbruch Umbruch, In-Frage-Stellung der bisherigen Tarntechnik / Identität als Segregation, als Zugehörigkeit zu dem eigenen Volk Ich gegenüber dem europäischen „Rest“ Formel Ich = Yoruba + Schneewittchen Ich = Tarzan Ich = Tarnfarbe Ich = Othello Ich = Yoruba Mädchen tanzend Die Auseinandersetzung mit Rémis Selbstbild kann noch deutlicher herausgearbeitet werden, indem die SchülerInnen untersuchen, wie Rémi ihr eigenes Äußeres wahrnimmt: Wie nimmt Rémi ihr Äußeres wahr? Sammele alle Beispiele, die im Roman mit ihrem Äußeren verbunden sind! (z.B. in Afrika: die „Weiße“ – die Beschimpfung von anderen afrikanischen Mädchen; Rémi = schön; bei der Abreise: Haare werden gekürzt, hässliche und zu große Kleider; in England: Kleider: in „Niggerbraun“, schwarze Haut, die „abfärbt“, hässliche Haare, trockene Haut; Rémi = unattraktiv; nach dem Wiederfinden der Identität; Rémi = schön, alternative Kleidung etc.) 2.4 Phase der Applikation Die radikale Verunsicherung bezüglich des eigenen Ichs führt also zur Hinterfragung der eigenen Schönheit. Das Gefühl, hässlich und unattraktiv zu sein, versucht sie durch andere „Eigenschaften“ zu kompensieren, etwa indem sie sich als hervorragende Sportlerin oder als intelligentes und kluges Mädchen beschreibt – Selbststilisierungen, die von der Überlegenheit des Anderen in der Welt der Uniformierten zeugen. Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans Der Roman behandelt zwar dasselbe Thema wie Bedfords Buch, nämlich das Leben zwischen der afrikanischen Kultur (des Senegals) und der europäischen (in Frankreich), spielt jedoch rund 50 Jahre später, zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Es setzt sich kritischer sowohl mit der „fremden“ als auch der „eigenen“ Kultur auseinander. Diome entwirft am Ende der langen Suche keine harmonische Identität – wie dies bei Bedford der Fall ist –, die die Antagonismen zweier unterschiedlicher Kulturen auszugleichen versucht. Sie hebt die Gegensätze nicht auf, sondern findet einen dritten Raum, den Raum des Schreibens, wo das Ich als „Exilierte“, als eine „Hybride“ weiterleben kann. Zudem macht der Roman auf eine neue Form von Kolonisation aufmerksam, nämlich auf die Kolonisierung Afrikas durch die „Fußball-Maschinerie“. Nicht nur wegen der verschiedenen Lösungsversuche der zwei ProtagonistInnen, sondern auch wegen der verschiedenen Bilder über Afrika und Europa lohnt es sich, die zwei Bücher miteinander zu vergleichen. Aha-Erlebnis: Ich selbst konstruiere meine Identität und die Wirklichkeit anhand kultureller und sozialer Muster. Diese Muster können ebenso unbewusst sein wie meine Stereotype! Am Ende des Buches entscheidet sich Rémi für ihre „alte“ Identität als Yoruba-Mädchen, die sich selbstbewusst von westlichen Idolen abwendet und mit Stolz zu ihrer Herkunft, ihrem Aussehen und ihren Traditionen steht. Sie sucht nun Kontakte vor allem mit anderen AfrikanerInnen oder Jugendlichen aus dem globalen Süden. Bei ihnen findet sie die Anerkennung, die ihr das koloniale England verweigert. Eine „hybride“ Identität, wie sie heute häufig propagiert wird, sieht sie nicht als Option. 26 In dieser Phase kann der vorhin erlernte Umgang mit Literatur/ mit Fremdheit vertieft werden. SchülerInnen sollten hier die Möglichkeit zur kritischen Reflexion erhalten, indem sie sich beispielsweise anhand einer produktiven Aufgabe, noch einmal mit dem Text auseinandersetzen (Schreiben eines Essays, kreatives Schreiben). Die Aufgabe kann/soll die Aufmerksamkeit auch auf weitere Bereiche (gesellschaftliche, politische Fragestellungen) lenken. Möglich ist auch eine Weiterarbeit mit thematisch ähnlichen Texten. Für die Weiterarbeit eignen sich u.a. folgende Texte. MODELL Dolf Verroen: Wie schön weiß ich bin Das Buch schildert das Leben in den Kolonien aus der Perspektive eines weißen Mädchens, das als Geburtstagsgeschenk einen kleinen Sklaven bekommt. Obwohl die Ich-Perspektive im Allgemeinen zur Identifikation einlädt, ist hier das Gegenteil der Fall. Das Verhalten des Mädchens, das sich ohne Reflexion den Herrschaftsdiskurs seiner Eltern zu eigen macht und das Schicksal der Sklaven bzw. die Machtverhältnisse überhaupt ignoriert, ruft beim Leser/bei der Leserin Befremden hervor. Der Text eignet sich gut dafür, die Problematik der Sprache und der Erzählperspektive, bzw. die Unterschiede zwischen Autor-Perspektive vs. Figurenperspektive zu besprechen. Anmerkungen 1 Heidi Rösch hat in ihrem Beitrag „Von Afrika nach Europa. Inter- kulturelle Entwicklungshilfe mit Simi Bedfords: Yoruba Mädchen tanzend“ den Roman detailliert analysiert und hat auch didaktische Impulse für die Behandlung des Romans im Literaturunterricht gegeben (vgl. Rösch 2003). In unserem Unterrichtsbeispiel möchten wir in erster Linie die Methoden der Transkulturellen Literaturdidaktik anhand der Kreft’schen Vierphasen-Modell veranschaulichen und somit anhand des Romans eine exemplarische Arbeitsweise präsentieren, die dann für andere Texte anwendbar wird. Literatur Bedford, Simi (1998): Yoruba Mädchen tanzend. Zürich: Unionsverlag. Bräunlein, Peter G. (1998): Reisen von und nach Afrika. Eine Unterrichtseinheit für die Mittelstufe. In: Literatur und Reisen (= ide. informationen zur deutschdidaktik), H. 2, S. 75-86. Diome, Fatou (2004): Der Bauch des Ozeans. Zürich: Diogenes. Rösch, Heidi (2000): Globalisierung in der Kinder- und Jugendliteratur und ihrer Didaktik. In: ide. informationen zur deutschdidaktik, H. 4, S. 18-35. Dies. (2003): Von Afrika nach Europa. Interkulturelle Entwicklungshilfe mit Simi Bedfords: „Yoruba Mädchen tanzend“. In: Büker, Petra/Clemens Kammler (Hrsg.): Das Fremde und das Andere: Interpretationen und didaktische Analysen zeitgenössischer Kinderund Jugendbücher. Weinheim [u.a.]: Juventa-Verl. Verrouen, Dolf (2005): Wie schön weiß ich bin. Wuppertal: Peter Hammer Verlag. Wintersteiner, Werner (2006): Transkulturelle literarische Bildung. Die „Poetik der Verschiedenheit“ in der literaturdidaktischen Praxis. Innsbruck [u.a.]: StudienVerlag. 27 28 PROJEKTE Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner Eine Handvoll engagierte LehrerInnen Die Schulprojekte1 Neunzehn LehrerInnen aus elf Schulen haben sich bereit erklärt, mit ausgewählten Klassen Projekte durchzuführen, in deren Mittelpunkt weltliterarische Texte stehen, die im Hinblick auf globale Fragestellungen bearbeitet werden. 15 Schulklassen und eine Gruppe von LehramtsstudentInnen für Deutsch waren beteiligt. Insgesamt sind 12 Projekte durchgeführt worden, fünf in der Sekundarstufe I und sieben in der Sekundarstufe II. In allen Schulen waren die DeutschlehrerInnen beteiligt, in vielen Schulen waren auch andere Fächer mehr oder minder intensiv einbezogen: Bildnerische Erziehung, Geographie, Geschichte und Politische Bildung, Musik, Religion, vor allem aber die Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Slowenisch. Die Projekte zeigen sowohl in Bezug auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung als auch in Bezug auf die methodischdidaktische Umsetzung viele Unterschiede, aber auch Übereinstimmungen. In der Vorbereitungsphase, beim ersten Seminar, haben wir drei inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. In Gruppenarbeiten wurden Dossiers mit Materialien zu den drei Themen Identität, Mehrsprachigkeit und Magischer Realismus durchgearbeitet. Diese Dossiers stellten eine erste Grundlage dar, auf die sich die Lehrkräfte bei ihren Projekten stützen konnten. Zugleich stand es ihnen aber frei, auch auf andere Texte zurückzugreifen. Tatsächlich wurden diese Dossiers gut angenommen: Die am häufigsten behandelten Themen waren Migration, Mehrsprachigkeit, Magischer Realismus, Beziehungen zwischen Fremdem und Eigenem aus unterschiedlichen Aspekten. Für die Realisierung der Projekte wurden verschiedene Formate gewählt: neben fächerübergreifenden Projekten gab es Projekte, die nur im Unterrichtsfach Deutsch realisiert wurden; es gab Schulen, wo sich die Arbeit auf einige Tage bzw. einige Wochen beschränkte und wiederum Projekte, die im Semesterprogramm integriert waren und die Auseinandersetzung mit Weltlite- ratur über einen längeren Zeitraum hindurch erlaubten. Die Projekte zeichnen sich auch durch Methodenvielfalt aus: Manche Projekte haben stärker mit produktionsund handlungsorientierten Methoden gearbeitet (kreatives Schreiben, Inszenieren, Buchcover gestalten, Gedichte selbst verfassen), andere haben klassische Methoden des Literaturunterrichts (Textanalyse, Textinterpretation, Inhaltsangabe, Charakterisierung von Figuren) bevorzugt. Es ist auch gelungen, vielfältigste literarische Formen zu behandeln – neben den klassischen Formen (Roman, Gedichte) wurden in der Literaturauswahl Bilderbücher, Comics, Filme und mehrsprachige Gedichte berücksichtigt. Im letzten Seminar beurteilten die LehrerInnen ihre Ergebnisse in einem Reflexionsgespräch. Ein Teil füllte auch einen Fragebogen aus. Diese Evaluation zeigt, dass sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen das Projekt als eine Bereicherung erlebten: Bei den SchülerInnen wurde eine allgemeine „Horizonterweiterung“ registriert, weil es durch die weltliterarischen Texte möglich wurde, nicht nur neue Welten kennenzulernen, sondern die Welt einmal auch anders – aus einer neuen Perspektive – wahrzunehmen. Oft wurde auch darauf hingewiesen, dass durch die Behandlung mehrsprachiger oder fremdkultureller Texte SchülerInnen für aktuelle gesellschaftliche und politische Themen, wie Mehrsprachigkeit, Migration, die Situation der Frau im globalen Norden wie im Süden, sensibilisiert wurden. Dementsprechend haben SchülerInnen gelernt, mit anderen Sprachen, Kulturen und Weltsichten wertschätzend umzugehen und Hegemonieverhältnisse zu durchschauen. Dazu wurde auch das Eigene intensiver reflektiert, z.B. die eigenen mehrfachen Zugehörigkeiten oder die Machtverhältnisse im eigenen Land. Das Projekt hat auch auf eine indirekte Weise vielerorts dazu beigetragen, Lernprozesse attraktiver zu gestalten. In vielen Projekten lag der Schwerpunkt auf der selbständigen und eigenverantwortlichen Arbeit der Lernenden. Durch diese eigenständige Organisation der 29 PROJEKTE Arbeitsprozesse haben sonst passive SchülerInnen ebenfalls intensiv mitgearbeitet. Zu dieser aktiven Beteiligung haben vor allem handlungs- und produktionsorientierte Methoden maßgeblich beigetragen. Die Projektergebnisse lassen sich im Hinblick auf die zwei konkreten Zielsetzungen (Erweiterung des literarischen Kanons und Erarbeitung neuer didaktischer Konzepte im Umgang mit Weltliteratur) weniger eindeutig interpretieren. In vielen Fällen verlief die Integration weltliterarischer Texte ins Semesterprogramm zwar ohne Probleme – dieser Erfolg kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „Ergänzung“ der Schullektüre mit der Ausnahmesituation „Projektunterricht“ verbunden war. Inwieweit LehrerInnen wie SchülerInnen zukünftig die Gelegenheit ergreifen, auch im Regelunterricht – außerhalb eines speziell vorgegebenen Rahmens – weiterhin weltliterarische Texte zu behandeln und diese als einen integrativen Bestandteil literarischer Bildung anzusehen, bleibt somit offen. Die permanente Präsenz weltliterarischer Texte könnte wohl erst nach entsprechenden Änderungen der Lehrpläne und der „Bildungsstandards“ gewährleistet werden. Auch fehlen entsprechende Unterrichtsmaterialien. Auch die zweite Zielsetzung – das didaktische Konzept der transkulturellen Literaturdidaktik in der Schulpraxis zu implementieren – stößt an gewisse Grenzen des traditionellen Literaturunterrichts und ist durch die neuen Vorgaben bezüglich Kompetenzorientierung eingeschränkt. Die AHS- und BHS-Lehrpläne für das Fach Deutsch nehmen ein Konzept von literarischer Bildung in den Blick, das vor allem an der Kenntnis der Gattungen, Epochen, Stile sowie der wichtigsten Werke der deutschsprachigen Literatur orientiert ist und unter analytisch-interpretatorischen Kompetenzen das Erkennen von bestimmten Textmerkmalen, Figurenkonstellationen und Motivkomplexen versteht. Eine transkulturell gedachte Literaturdidaktik setzt sich darüber hinaus mit der eigenen euro- und ethnozentrischen Position kritisch auseinander, versucht Klischees über das „Andere“ und den/die/das „Fremde“ aufzubrechen und für intertextuelle und interkulturelle Bezüge zwischen den Literaturen, d.h. für die Verflechtung und Vernetzung von Kulturen und Literaturen, zu sensibilisieren. Während der bestehende Literaturunterricht auf die „Minimalisierung“ von Nicht-Verstehen abzielt, möchte die transkulturelle Literaturdidaktik einer Praxis entgegenwirken, die zu schnell das „Fremde“ „verstehen“, d.h. sich einverleiben will und Irritationen, Missverständnisse und jedes Nicht-Verstehen aus dem Weg zu räumen trachtet. In diesem Sinne wird es, über diese Broschüre hinaus, in Zukunft noch spezieller Handreichungen bedürfen, in 30 denen konkret ein Literaturunterricht dargestellt wird, der das Unzugängliche, das Befremdende und das Irritierende der Texte nicht „domestiziert“. Ein solcher Zugang stellt eine Chance dar, mit Differenzen der Kulturen reflektiert und sensibel umzugehen. Die Ergebnisse des Projektes zeigen nichtsdestoweniger Möglichkeiten auf, wie gerade durch diesen neuen Zugang den SchülerInnen herausfordernde und provokative weltliterarische Texte bereitgestellt werden können, die zur ‚Des-Automatisierung‘ ihrer Wahrnehmung und ihres Verstehens beitragen. Das Projekt stellt die transkulturelle Literaturdidaktik auch vor neue Herausforderungen: In Zukunft sollte stärker der Frage nachgegangen werden, wie der Literaturunterricht selber zu einem „dritten Raum“ werden könnte, wo gesellschaftliche Diskurse, kulturelle Mechanismen und schulische Traditionslinien bewusst gemacht, gewendet und hinterfragt werden können. Wir haben die Projekte nach systematischen Gesichtspunkten neu gruppiert, um sie hier vorzustellen. Es ließen sich fünf Themenschwerpunkte herauskristallisieren: Multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit Imagination(en) des Fremden Zwischen und in mehreren Kulturen: Erfahrungen der Migration Das Magische, das Wunderbare, das Traumhafte Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten. Arbeiten mit den Bücherkoffern Diesen Themenschwerpunkten haben wir eine kurze thematische Einführung vorangestellt, damit die Berichte leichter einzuordnen sind. Anmerkungen 1 Dieses Kapitel basiert auf einem Beitrag von Hajnalka Nagy, der 2013 in der Einzelausgabe der Zeitschrift kjl&m erschienen ist. Literatur Nagy, Hajnalka (2013): „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht. Ein schulisches Pilotprojekt in Österreich. In: Josting, Petra; Caroline Roeder (Hrsg.): Das ist bestimmt was Kulturelles. Eigenes und Fremdes in Kinder- und Jugendmedien. München: kopaed, S. 233-244. PROJEKTE Multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit In diesem Themenbereich konnten SchülerInnen durch die „Linse“ gemischtsprachiger Texte u.a. von Jani Oswald, Gino Chiellino, Antonio D’Alfonso und Glória Anzaldúa den eigenen mehrfachen und mehrsprachigen Identitäten nachgehen. Damit ist gerade Weltliteratur im Unterricht ein Unterricht am Puls der Zeit. In vielen österreichischen Schulen ist Mehrsprachigkeit eine gelebte Realität und somit ist deren Förderung zu einer der zentralen Aufgaben des Deutschunterrichts geworden. Deswegen war es unser dezidiertes Ziel, auch Projekte zu initiieren, die diesen Themenkomplex mit ihren verschiedenen Teilaspekten (mehrsprachige Identitäten, Machtverhältnisse zwischen den Sprachen, Sprachverlust) anhand weltliterarischer Texte zum Gegenstand des Literaturunterrichts machen. Im Projekt von Simone Steharnig war die Akzeptanz der eigenen multiplen Identität und Mehrsprachigkeit eines der Hauptziele. Die Arbeiten der SchülerInnen zeigen, dass das Nachahmen der Schreibweise mehrsprachiger AutorInnen ihnen ermöglicht hat, mit den eigenen Sprachen kreativ und produktiv umzugehen und Mehrsprachigkeit als Wert zu erleben. Drei LehrerInnen, Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas und Adelheid Putz, haben in ihrem klassenübergreifenden Projekt für die Schönheit der Sprachenvielfalt sensibilisiert, indem sie in einer musikalisch begleiteten mehrsprachigen Lyrik-Lesung die „Klangqualitäten anderer Sprachen“ erfahrbar machten und dann die Möglichkeit boten, mit der/den eigenen Erstsprache/n zu experimentieren und somit eine vertiefte Sprachaufmerksamkeit zu fördern. 31 PROJEKTE Simone Steharnig Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? STECKBRIEF Das Projekt Mehrsprachig Sprachmächtig oder sprachlos Schule BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt / ZG / ZRG z a Slovence v Celovcu Klasse / SchülerInnen 4c, Kugy-Klasse Teilnehmende FächerDeutsch Projektleitung Simone Steharing 1. Einführung und Ausgangssituation Im Rahmen des Projektes „Sich in die Welt hinaus lesen“ haben wir das Hauptaugenmerk auf Identitäten, und im Besonderen auf sprachliche Identitäten im mehrsprachigen Raum gelegt. Unter dem Titel Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? haben wir angesichts der Tatsache, dass wir in Kärnten im zweisprachigen Raum leben über unsere Sprachen und Identitäten nachgedacht. Die 4c-Kugy-Klasse des BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt ist eine Klasse mit Sprachenschwerpunkt. Ab der ersten Klasse werden Englisch und Italienisch als Fremdsprachen unterrichtet. Unterrichtssprache ist Slowenisch, und Deutsch wird als reguläres Unterrichtsfach geführt. Die Klasse zählt 22 SchülerInnen, wobei sieben davon Slowenisch als Muttersprache sprechen und drei Kroatisch. Als Umgangssprache in der Klasse überwiegt Deutsch. Drei SchülerInnen haben als zweite Muttersprache noch Italienisch und Französisch. Die SchülerInnen zeichnen sich durch ihr hohes Engagement am Sprachenlernen aus. Sie schreiben und lesen sehr gerne und sind gerne kreativ tätig; auch in ihrer Freizeit sind sie in diversen Theater- Tanz- und Musikvereinen aktiv. Das Projekt wurde ausschließlich im Deutschunterricht durchgeführt und war integrativer Bestandteil des Unterrichts. 32 2. Das Projekt 2.1 Lehr- und Lernziele Was bedeutet „Identität“? Kennenlernen und Auseinandersetzung mit Mehrfachidentitäten Auseinandersetzung mit der eigenen Identität bzw. eigenen Mehrfach-Identitäten Über Formen der Fremdheit nachdenken Kreatives Schreiben 2.2 Inhalte und Textauswahl Thema des Projektes war die Sprache als Teil der Identität sowie die Mehrsprachigkeit der SchülerInnen. Anhand von Fragen wie „Wer bin ich, wenn ich spreche?“ oder „Welche Sprachen spreche ich wo und warum?“ haben wir über Sprachen als Teil unserer Identität nachgedacht, wie sie unsere Identität beeinflussen bzw. prägen. Als Textgrundlage haben wir uns Gedichte von AutorInnen ausgesucht, die „dasselbe Schicksal tragen“ wie wir, also AutorInnen, die auch im Grenzland leben wie Gloria Anzaldúa, oder Jani Oswald, der als Kärntner Slowene seine Identität hinterfragt. 3. Projektablauf 3.1 Nachdenken über die eigene Identität (Projektphase 1) Vorbereitung und Einstimmung der SchülerInnen Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? (1) In der Eingangsphase war es sehr wichtig, die SchülerInnen auf die Auseinandersetzung mit sich selbst vorzubereiten. Dazu haben wir uns mit der Definition des Begriffes „Identität“ befasst und in einer Mind-Map festgehalten, was unsere eigene Identität ausmacht. Doppelmann Ich habe meine Füße auf zwei Planeten wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle (2) Für die nächste Unterrichtseinheit brachten die SchülerInnen einen Gegenstand, ein Foto oder ein Kleidungsstück mit, das ihre Identität widerspiegelt. Im Sesselkreis stellten sie die Gegenstände vor und begründeten ihre Wahl. Anschließend schrieben sie ihre Gedanken zu ihrer Persönlichkeit und den ausgewählten Gegenständen auf. ich trage zwei Welten in mir aber keine ist ganz sie bluten ständig (3) Textrezeption: Amin Maalouf: Mörderische Identitäten Fragen zum Text Wie versteht bzw. definiert der Autor Identität? Welche sind seine wichtigsten Erkenntnisse? Wie verstehst du seine Sichtweise, seinen Standpunkt? Welche Argumente sind für dich nicht nachvollziehbar? Versuche nach dem Prinzip von Maalouf deine Identität aufzuzeichnen, zu erklären. Welche Zugehörigkeiten kannst du festhalten? Präsentation und Diskussion der Ergebnisse 3.2 Arbeit mit vier Gedichten (Projektphase 2) Texte1 Jani Oswald: Jaz-Ich Giuseppe Giambusso: Identität – Identita Zafer Şenocak: Doppelmann Gloria Anzaldua: A Struggle of Borders – Una lucha de fronteras Identità Fra me e me c’è un vuoto impalpabile. Identität Zwischen mir und mir eine nicht zu erfassende Leere. Per colmarlo faccio la valigia e torno al mio paese. Um sie zu füllen packe ich den Koffer und fahre in mein Dorf zurück. Tra I fichi d’India c’è ancora un vuoto che non mi appartiene. Zwischen den Feigenkakteen immer noch eine Leere die nicht zu mir gehört. Mai mi sono sentito così vicino e lontano da me stesso. (Giuseppe Giambusso) Niemals habe ich mich so nah und fern von mir selbst gefühlt. (Giuseppe Giambusso) PROJEKTE die Grenze verläuft mitten durch meine Zunge ich rüttle daran wie ein Häftling das Spiel an der Wunde (Zafer Şenocak) Auseinandersetzung mit den Texten: Wie verstehe ich das Gedicht? Wie wirkt es auf mich? Wie fühlt sich das lyrische Ich? Welche Erfahrung der Fremdheit beschreibt das lyrische Ich? Was sind mögliche Gründe für die Entfremdung? 3.3 Schreibwerkstatt (Projektphase 3) Gedichte schreiben und graphisch gestalten Nach der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Identitäten und Entfremdungen setzen sich die SchülerInnen mit dem eigenen Ich auseinander und schreiben entweder Paralleltexte oder ganz eigene Gedichte. Aufgaben Schreibe ein eigenes Gedicht. Was macht deine Identität aus? Wo fühlst du dich fremd? Gib deinem Gedicht eine Form! 4. Evaluation des Projektes Die Rückmeldungen der SchülerInnen waren sehr positiv. Sie fanden es sehr gewinnbringend, über ihre mehrsprachige Identität im zweisprachigen Raum nachzudenken, da den meisten von ihnen gar nicht bewusst war oder es selbstverständlich ist, in verschiedenen Kulturen mit mehreren Sprachen zu leben. In den Rückmeldungen hat der Großteil der SchülerInnen hervorgehoben bzw. betont, wie wichtig und bereichernd der Gedankenaustausch im Sesselkreis war. Das Schreiben über sich, seine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen und das Experimentieren mit den Sprachen empfanden auch die meisten als lustvoll und befreiend. Sie bezeichneten es auch als „tief in mein Inneres gehen“. Es gab zwei SchülerInnen, die sich nicht mit ihrer Identität auseinandersetz33 PROJEKTE Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? ten wollten. Sie konnten ihre Abneigung aber auch nicht wirklich begründen. Am Ende konnten die SchülerInnen feststellen, dass „jede Identität einzigartig bunt und wertvoll ist“. Diese Erkenntnis hat sehr zur Wertschätzung der einzelnen Sprachen in der Klasse beigetragen. Die Bewusstmachung bzw. Bewusstwerdung der Bedeutung von Sprache und Identität war am Ende das eigentliche Schlüsselerlebnis für die SchülerInnen. Die Teilnahme am Bundesseminar „Sich in die Welt hinaus lesen“ und die Realisierung des Projektes in der Schule waren mir als Projektleiterin ein wichtiges Anliegen, da ich selbst zweisprachig bin und in meiner Schulzeit die Thematisierung von Zwei-bzw. Mehrsprachigkeit, von Kultur und Identität vermisst habe. Vor allem in einer mehrsprachigen Region wie der AlpenAdria-Region sollen SchülerInnen für die Akzeptanz der Verschiedenheit sensibilisiert werden, es soll ihnen aber auch der Wert der Mehrsprachigkeit bewusst werden. In diesem Sinne möchte ich dieses Thema auch in in meine zukünftige Lehrtätigkeit integrieren. Anmerkungen 1 Die Texte wurden dem Sammelband Mitten durch meine Zunge (Hrsg. Busch/ Busch, 2008) entnommen. Literatur Busch, Brigitta/Busch, Thomas (Hrsg., 2008): Mitten durch meine Zunge: Erfahrungen mit Sprache von Augustinus bis Zaimoğlu. Klagenfurt: Drava Maalouf, Amin (2000): Mörderische Identitäten. Frankfurt am Main: edition suhrkamp. 34 PROJEKTE Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos STECKBRIEF Das Projekt Lyrik grenzenlos SchuleGoethegymnasium Astgasse 3, 1140 Wien Klasse / SchülerInnen 1d, 3e, 5a (Realgymnasium) Teilnehmende Fächer Deutsch, Musik, Bildnerische Erziehung Projektleitung Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz Dieses klassenübergreifende Projekt bestand aus einem gemeinsamen Rahmenprogramm: Auftaktlesung und Schlusspräsentation. Zusätzlich gab es – nicht zuletzt wegen des unterschiedlichen Alters der SchülerInnen – individuelle Herangehensweisen in den einzelnen Klassen. 1. Ausgangssituation und Einführung An dem Projekt Lyrik grenzenlos nahmen im Schuljahr 2011/12 die Klassen 1d, 3e und 5a teil. In allen drei Klassen spricht zumindest ein gutes Drittel der SchülerInnen außer Deutsch noch eine weitere Sprache, meist als Erstsprache. Folgende Sprachen sind vertreten: Albanisch, Bosnisch, Chinesisch, Englisch, Farsi, Kinyarwanda, Kroatisch, Polnisch, Schwedisch, Serbisch, Slowakisch, Slowenisch und Spanisch. Da so viele SchülerInnen eine nichtdeutsche Muttersprache haben, lag die Idee nahe, sich mit Weltliteratur zu beschäftigen. Da die 5a Klasse schon im vorigen Schuljahr mit Lyrik (auch mit fremdsprachiger Lyrik) gearbeitet hatte, war für uns Lehrerinnen sehr bald klar, dass wir uns auf Lyrik spezialisieren wollten. Der erste Ansatz war, ein für alle Klassen gemeinsames inhaltliches Oberthema zu finden (z.B. Freundschaft, Fremdheit, Verlust). Es erwies sich als sehr schwierig, für alle drei Altersstufen passende Texte zu einem gemeinsamen Thema zu finden. Der Schwerpunkt wurde daher weg vom Inhalt hin zur Textproduktion gelegt. Auch von der Idee, sich nur auf die Erstsprachen der SchülerInnen zu konzentrieren, wurde Abstand genommen. Die Klasse 1d (Informatik RG, 25 Schüler, 4 Schülerinnen) hatte keinerlei Erfahrung mit fremdsprachigen Texten. Auch SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache kannten (mit einer Ausnahme) keine Texte in ihrer Muttersprache. Mit Lyrik hatte kaum jemand Erfahrung gemacht. Wenn überhaupt, wurden kleine Gedichte in der Volksschule auswendig gelernt. Die Vorbehalte der Kinder, mit den „Großen“ zusammenarbeiten zu sollen, waren anfangs sehr groß. Die Klasse 3e nahm an dem Projekt mit ihrem Klassenvorstand teil, der neben Deutsch in dieser Klasse auch Bildnerische Erziehung unterrichtet. Die Arbeitsphasen waren auf 3 Wochen des gesamten Schuljahres 2011/12 aufgeteilt und dauerten jeweils eine Woche. Die Klasse 5a war in den Schuljahren 2010/11 und 2011/12 in einem Comenius-Projekt engagiert, daher war der Zeitrahmen für die Aktivitäten zum Projekt Lyrik grenzenlos von vornherein sehr bescheiden. In dieser Klasse werden außer Deutsch auch folgende Muttersprachen gesprochen: Polnisch, Kroatisch, Serbisch, Spanisch. Leitend war die Idee, diese Muttersprachen allen am Projekt Beteiligten „zu Ohr“ kommen zu lassen, ferner dass die Kinder, die sich seit 4 Jahren kennen, sonst nicht bzw. kaum wahrgenommene Kompetenzen zeigen können. 35 PROJEKTE Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos Im Konzept des Projektes war von Anfang an eine klassenübergreifende Arbeit einer ersten, dritten und fünften Klasse vorgesehen. Für die Lesung wurde fächerübergreifend mit Musik, in einzelnen Unterrichtseinheiten wurde mit Bildnerischer Erziehung zusammengearbeitet. 2. Das Projekt 2.1 Lehr- und Lernziele Es sollte die Einbettung eines ohnehin im Unterricht zu behandelnden Themas (Lyrik) in ein erweitertes Verständnis von Muttersprache erfolgen. Die Klangqualitäten anderer Sprachen sollten an lyrischen Texten hörbar werden (Lesung: aufs Hören angelegt, Klänge zwischen den Texten). Die Textauswahl orientierte sich nicht an einem Thema, sondern an den in den Klassen gesprochenen Muttersprachen und den Kindern interessant erscheinenden Sprachen. Auch die Form war ein maßgebliches Kriterium. Kurze Texte in verschiedenen Sprachen erschienen uns für viele ZuhörerInnen leichter bewältigbar. der Konkreten Poesie (vgl. Materialien dazu in Deutschstunde 4 und im Buch Bunte Schreibwerkstätte), Schreiben eigener Texte nach diesen Vorbildern. 3. Der Projektablauf im Unterricht 3.1“Start up“-Veranstaltung am 18.10.2011 im Festsaal Die Auftaktveranstaltung (2 UE) wurde von der 5. Klasse dominiert. Die Aktivitäten zu diesem Projekt waren als Erweiterung des Kernstoffes im Rahmen des Themenpools zur Zentralmatura „Beschäftigung mit Lyrik“ (v.a. Liebeslyrik) angelegt. Die Lesung vor den beiden Partnerklassen stellte für die 5. Klasse den Höhepunkt des Projektes dar2. 2.2 Vorarbeiten In der 1. Klasse wurden im September die Grundlagen der Lyrik, wie Strophe, Vers Verszeile, Reim etc. erarbeitet. Das Vortragen von Gedichten wurde geübt. In der 3. Klasse ging es in der ersten Phase gleich zu Beginn des Schuljahres um das Wiederholen bekannter Begriffe und Gedichtformen aus den vergangenen Schuljahren (Bild-Wörter, Visuelle Poesie, Elfchen, Haiku, Stufengedicht, Gedicht mit Wiederholungen: Lautwiederholungen, Wortwiederholungen) und um die Anwendung in der eigenen Lyrik-Produktion. Inhaltlich (und formal) entstanden Gedichte, die an die gerade zu Ende gegangenen Ferien anknüpften.1 Zuerst erfolgte eine gemeinsame Lektüre der Beispieltexte mit anschließender Besprechung der typischen InhaltForm-Beziehungen der Gedichte. Der nächste Arbeitsschritt war der produktive Umgang mit Lyrik (eigene Gedichte zu den besprochenen Beispielen in der Schule und zu Hause) und die anschließende Präsentation in der Klasse. Die 5. Klasse begann mit den Vorarbeiten im 2. Semester der 4. Klasse. Oder um genau zu sein, die Arbeiten der 4. Klasse wurden für das Projekt „Lust auf Lyrik“ herangezogen. Die SchülerInnen erstellten Kurzreferate zu selbst gewählten Gedichten (Formanalysen, inhaltliche Analyse, Vortrag, Kennenlernen der AutorInnen). Im Juni 2011 folgte das Kennenlernen von Beispielen u.a. 36 Abb. 1. Die SchülerInnen waren aktiv in die Mitgestaltung der Textauswahl einbezogen. Die Gedichte mussten aus folgenden Sprachen übersetzt werden: Polnisch, Kroatisch, Schwedisch, Serbisch, Spanisch, Burgenlandkroatisch (hier gab es eine Übersetzung). Der Vortrag musste eingeübt, musikalische Elemente mit Unterstützung des Musikkollegen in den Vortrag eingebettet, die Bildauswahl getroffen und die passende Technik ausgewählt werden. Abb. 2. Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos Im Anschluss an den Vortrag, der mit multimedialen Projektionen untermalt war, fand ein Workshop für alle teilnehmenden Klassen statt. Es sollte Arne Rautenbergs emma und Günter Kunerts Auf der Schwelle des Hauses umgestaltet werden. Darüber hinaus sollten Bildwörter und Wortbilder gestaltet werden. PROJEKTE wie viele Sprachen in ihrer Klasse gesprochen werden und wer diese Sprachen spricht. Als Methode wurde gewählt: Auseinandersetzung mit mehrsprachigen Gedichten von Antonio d’Alfonso, Dato Barbakadese, Ivo Kobaš, Alek Marajano3 Assoziationen, Besprechen der Auffälligkeiten: Gruppenarbeit und Plenum Eigenproduktion von Gedichten in Einzel-, Partnerund/oder Gruppenarbeit in der Schule und zu Hause Abb. 3. Präsentation ausgewählter Texte: genius loci von Dato Barbakadse Nativo di Montréal von Antonio d’Alfonso SMS - Gedichte Visuelle Poesie: nicht, ebbe/flut, immer starrer, moral, raupe von Ernst Jandl the flag von Ernst Jandl (als unvollständiges Gedicht, nur die ersten zwei Strophen vorgegeben) Ein Büchertisch sollte zur Beschäftigung mit anderssprachiger Literatur anregen. Zusätzliches Material: diverse Wörterbücher 3.2 Produktionsphasen Leitgedanken zur eigenen Lyrik-Produktion: In welcher Situation habe ich mich zwischen mehreren Sprachen hin- und her gerissen gefühlt? Schlüpfe ich in verschiedenen Situationen in eine andere „Sprachhaut“? z.B. zu Hause, in der Schule, wenn ich schimpfe, wenn ich träume,.... Die Hauptphase des Projekts (8 – 10 UE) fand in den regulären Deutschstunden in den Klassen getrennt statt. Hierbei ging es in erster Linie um die Produktion verschiedener lyrischer Formen (Neunerl, Elfchen, Haiku, Stufengedicht, SMS-Gedicht, Gedichte mit Reimschema, Visuelle Poesie), auch in Fremdsprachen. Die 1d beschäftigte sich zunächst mit Silvia Hüslers Kinderverse aus vielen Ländern. Die Kinder wählten paarweise je einen Vers aus und trugen ihn in der Originalsprache und in der deutschen Übersetzung vor. Die nächste Aufgabenstellung war, selbst einen Kindervers aus der Vorschulzeit zu wählen und vorzutragen. Leider präsentierten alle SchülerInnen ausschließlich deutschsprachige Verse und Auszählreime. Die nächste Aufgabenstellung war, nach einer kurzen Einführung, die Produktion eines Elfchens, das anschließend im Word-Programm entsprechend formatiert werden sollte. In der 3e ging es in der zweiten Phase eine Woche lang (4 Deutschstunden, 2 BE-Stunden) gezielt um Mehrsprachigkeit in Gedichten. In der Textauswahl war es der Kollegin wichtig, lyrische Texte zu präsentieren, in denen einerseits Mehrsprachigkeit verarbeitet ist und andererseits unterschiedliche kulturelle Lebenserfahrungen thematisiert sind. Zu Beginn wurde eine Bestandsaufnahme der „Sprachen der 3e“ gemacht. Erstaunlich war, dass sich einige SchülerInnen nicht bewusst waren, welche bzw. Vor allem die Auseinandersetzung mit Visueller Poesie machte den SchülerInnen großen Spaß, obwohl die Herstellung viel Zeit in Anspruch nahm. Die SchülerInnen arbeiteten an mehreren Gedichten in unterschiedlichen Gruppenkonstellationen. Die 3e war auch mit der Organisation und Moderation der Abschlusspräsentation betraut. Die Klassenpräsentation erfolgte mit zwei Schwerpunkten: Präsentation der Visuellen Poesie in Form einer Ausstellung Szenische Präsentationen der mehrsprachigen Gedichte Diese Arbeitsphase war von großem Eifer und Heiterkeit geprägt. Die SchülerInnen beratschlagten, probten ihre Texte in Gruppen, spielten sie der Klasse vor, arbeiteten Feedback ein, probten weiter. Ein interessanter Diskussionspunkt in der Klasse war, wie man die Brücke zwischen Gruppe und Individualität schlagen kann, wie sich also die Klasse als Gruppe präsentieren kann, in der doch so viele verschiedene Produkte in unterschiedlichsten Konstellationen entstanden sind, denen ein ganz individueller Raum gebührt. Wichtig erscheint das, weil dadurch 37 PROJEKTE Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos auch die Akzeptanz der Sprachenvielfalt innerhalb des Klassengefüges verhandelt wurde. Ansatz dazu ist der mehrsprachige Redewettbewerb in Wien, der sich speziell an SchülerInnen mit Migrationshintergrund wendet. 3. Klasse Das Ziel des Teilprojektes war es, die Wahrnehmung für Mehrsprachigkeit zu schärfen. Unterschiede und Vorurteile sollten sichtbar werden. Es sollte ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die SchülerInnen die vielen Sprachen im Klassengefüge als Bereicherung sehen lernen und anderen kulturellen Hintergründe mit interessierter Neugierde begegnen. Abb. 4. Die 5a verfasste zunächst einen Bericht für die Schulhomepage über die Start-up-Veranstaltung (Fotos von Koll. Haas, vgl. Webseite der Schule http:// www.astgasse.net/cms/index.php ?option=com_ content&view=article&id=418:lust-auf-lyrik-lesungder-5a&catid=43:schuelerberichte&Itemid=68). Der nächste Schreibauftrag folgte einer Anregung aus mount. de Kreatives Schreiben: „Aus zwei mach eins“. Ein Vortrag, bzw. eine Ausstellung der produzierten Texte fand im Rahmen einer Lesung im Festsaal der Schule statt. 4. Evaluation 1.Klasse Die Vorbehalte der Kinder waren nach der Auftaktveranstaltung sehr groß. „Das können wir nicht. Das bringen wir nie zusammen. Wir sind doch keine 5. Klasse.“ Die Reserviertheit bezog sich aber nicht nur auf den niveaumäßigen Abstand zu den höheren Klassen, sondern auch auf das Literaturformat. „Wozu brauche ich ein Gedicht?“ Auch das Verhältnis zu anderssprachigen Texten war zwiespältig. Deutschsprachige Kinder waren zumeist von den anders, „exotisch“ klingenden Sprachen angetan. Kinder mit nicht deutscher Muttersprache standen den Texten viel reservierter gegenüber. Etliche Kinder waren bis zum Schluss nicht bereit, ihre Muttersprache in das Projekt einzubringen. Besonders Kinder, die einen familiären Hintergrund am Balkan haben, haben ihre Erstsprachen als minderwertig empfunden und sich dafür geschämt. Die Beschäftigung mit Lyrik verlief viel positiver. Viele Kinder waren erstaunt, was sie alles zusammenbringen und trauen sich nun sprachlich viel mehr zu. Bei der Schlussveranstaltung waren sie stolz, ihre Arbeiten präsentieren zu können. Im Unterricht muss noch viel mehr hervorgehoben werden, wie wertvoll Mehrsprachigkeit ist, egal welche Sprachen man spricht. Ein 38 Die oben beschriebene Vorgehensweise bei der Stundengestaltung hat sich aus Lehrersicht bewährt und wurde von den SchülerInnen sehr gut angenommen. Einerseits haben die Arbeitsschritte in Aufbau und Methode an bereits vertraute Unterrichtseinheiten angeknüpft und andererseits den SchülerInnen mehr Freiräume in der Gestaltung eröffnet. Die variierenden Gruppenkonstellationen, die Präsentationen der sehr unterschiedlichen Produkte vor einem breiteren Publikum haben sichtlich Spaß gemacht und Anklang gefunden. Interessant war es zu beobachten, dass die SchülerInnen mit mehreren Sprachen durch das Projekt zu SpezialistInnen wurden, den anderen aushalfen, Übersetzerdienste leisteten usw. Der zur Verfügung stehende Sprachschatz in der Klasse wurde in der praktischen Arbeit direkt erlebt. Das Projekt hat auch andere Unterrichtsvorhaben der 3e nachhaltig beeinflusst. Beim „Krimiportfolio“, das eine einmonatige Arbeitsphase der Klasse im 2. Semester umfasste, war zum Beispiel eine Pflichtaufgabe, einen eigenen Krimi zu schreiben. Ganz selbstverständlich flossen mehrere Sprachen in die Texte ein, was sehr überraschend war. Dialogteile wurden zum Teil in mehreren Sprachvarianten geliefert, Briefe übersetzt, etc. 5. Klasse Trotz der Zeitknappheit war die Begegnung mit den vielen Muttersprachen in der Klasse äußerst lohnend. Die SchülerInnen waren der Beobachtung der Deutschlehrerin nach besonders beim Planen der Lesung im Herbst anders als sonst im Schulbetrieb gefordert. Da es an der Schule keine ÜbersetzerInnen in deren Muttersprachen gibt, haben wir die Übersetzungen der SchülerInnen akzeptiert. Die SchülerInnen waren auch in organisatorischer Hinsicht gefordert – eine weitere Möglichkeit, ihre Selbständigkeit zu stärken. Eine interessante Wirkung der Lesung war auch die Erfahrung, dass einige Kinder der anderen Klassen diese Texte Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos PROJEKTE in den Sprachen durchaus verstanden haben, es gab also Resonanz im Publikum. Schwieriger waren die produzierenden Aufgabenstellungen zu bewältigen. Es brauchte Zeit, um die Vorstellung, dass eigene Texte einem Publikum zugemutet werden können, zu entwickeln. Abb. 5. Anmerkungen 1 Hilfreiches Bildmaterial und Textbeispiele wurden dem Schulbuch Lesezeit 3. Texte, S.131-133, 138 und Günter Waldmann (2010): Produktiver Umgang mit Lyrik, S. 7-13. entnommen. 2 Der Bericht über die Veranstaltung kann unter http://www.astgasse.net/cms/index.php?option=com_ content&view=article&id=418:lust-auf-lyrik-lesung-der-5a&catid= 43:schuelerberichte&Itemid=68 nachgelesen werden. 3 Gedichte von Ivo Kobaš‘ Alaj vole!, Alek Marajanos Nije to smešno aus der Zeitschrift Trio Nr. 8/ November 2009. Literatur Cerwenka Ewald/ Pramper Wolfgang/ Leb Manuela (2011): Deutschstunde 4 NEU. Materialien. Linz: Veritas Verlag, S. 7O ff. Hüsler, Silvia (1994): Al fin Serafin. Kinderverse aus vielen Ländern. 2. Auflage. Zürich: verlag pro juventute Jandl, Ernst (1970): der künstliche baum. Darmstadt: Luchterhand. Neumann, Günther (2004): mount.de. Kreatives Schreiben. Materialien zur freien Arbeit in der Sekundarstufe II. Bamberg: Buchner. Pramper Wolfgang/ Nömair Elisabeth (2002): Lesezeit 3. Texte. 1. Aufl. Linz: Veritas Verlag. Vucsina Sonja, Pramper Wolfgang (1999): Bunte Schreibwerkstätte. Kreatives Schreiben für 9 bis 13-jährige. Linz: Veritas-Verlag Waldmann, Günter (2010): Produktiver Umgang mit Lyrik. 8. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Internetseiten http://lyrikline.org/index_php [Zugriff am 22.9. 2011] www.literaturhausmattersburg.at [Zugriff am 4.10. 2011] 39 PROJEKTE Margot Graf Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten STECKBRIEF Das Projekt Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten SchuleKMS Svetelskystrasse 4-6, Wien Klasse / SchülerInnen 2a und 2b Teilnehmende Fächer Deutsch, Englisch, Geographie, Mathematik, Religion, Bildernische Erziehung, Musik Projektleitung Margot Graf 1.Einführung und Ausgangssituation Angesichts der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in den Klassen 2a und 2b war es uns selbstverständlich, die Fragen nach der eigenen Identität, Sprache und Kultur in den Mittelpunkt zu stellen. Unsere Vision bei der Planung des Projekts war jedoch, über die Beschäftigung mit einer fremden Kultur der eigenen Kultur näher zu kommen. Da die SchülerInnen sich sehr für die Hochkultur Ägypten interessieren und Pyramiden, Mumien und Pharaonen eine große Faszination auf sie ausüben, haben wir uns entschieden, das Spannungsverhältnis zwischen dem Eigenen und Fremden am Beispiel Ägyptens zu thematisieren. Auf diese Weise konnten sowohl Interessen der SchülerInnen berücksichtigt als auch die multikulturelle Zusammensetzung der Klasse als Grundlage des Projektes genommen werden. 1.1. Die Klassen 2a und 2b Die Klasse 2a ist als Integrationsklasse geführt: fünf SchülerInnen werden nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule unterrichtet, ein Schüler wird nach dem Lehrplan der Sonderschule für schwerbehinderte Kinder unterrichtet. Einige der Kinder mit türkischem Hintergrund beherrschen die deutsche Sprache nur sehr mangelhaft. Sie leben in einem Umfeld, in dem der deutschen Sprache nur sehr wenig Bedeutung beigemessen wird. Diese Kinder haben kein Bewusstsein für ihre Identität. Sie sind wohl österreichische StaatsbürgerInnen, doch trotzdem fühlen sie sich nicht als ÖsterreicherInnen. Die 40 Identität wird von Eltern und Kindern vorwiegend in der Religion gesucht. In diesen zwei Klassen sprechen die SchülerInnen folgende Muttersprachen: Deutsch (13), Dari (1), Türkisch (15), Polnisch (1), Serbisch (6), Bosnisch (1), Kurdisch (1), Albanisch (1), Somali (1), Spanisch (1) und Mazedonisch (2). Außerdem werden noch Englisch, Französisch, Rumänisch gesprochen. 1.2 Rahmenbedingungen der Realisierung An unserer Schule wird Unterricht weitgehend fächerübergreifend geplant. Das Thema „Ägypten“ eignet sich als Schwerpunktthema aus dem Fach Geschichte besonders dazu, die Kinder in freien Arbeitsphasen und in Eigenverantwortung die Lerninhalte erarbeiten zu lassen. Im Rahmen einer Projektwoche stellten wir den SchülerInnen das Buch Das Notizbuch des Zeichners (siehe Abschnitt 2.2) vor und stellten ihnen unterschiedliche Arbeitsaufgaben zur Verfügung. Wir trennten die Aufgaben in Pflicht- und Wahlaufgaben. Besonders im Bereich Literatur und Kreativität ließen wir den SchülerInnen die Freiheit der Wahl, in welches Thema sie sich vertiefen wollten. 1.3 Motivation und Ziele Das intensive Auseinandersetzen mit einer fremden Kultur soll die SchülerInnen ganz von selbst, ohne die Anleitung von PädagogInnen, zum Bewusstwerden der eige- Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten PROJEKTE nen Kultur führen. Das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, das Abbauen von Vorurteilen und das Begreifen, dass die Ablehnung der Fremden immer mit Angst zu tun hat, waren die Hauptziele dieses Projektes. Über die Vergangenheit zur Gegenwart und über das Fremde zum Eigenen zu gelangen war das Ziel, das wir gemeinsam mit den Kindern erreichen wollten und erreicht haben. damit die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Techniken für die Gestaltung einsetzen konnten. 2. Das Projekt 2.1 Ägypten in dem fächerverbindenden Unterricht Bald war klar, dass meine Rolle die der Lektorin war. Während es sonst für die Kinder nicht so besonders angenehm ist, sich mit meinen Korrekturen in ihren Arbeiten auseinanderzusetzen, war es ihnen bei ihrem Notizbuch wichtig, keine Fehler in ihren Texten zu haben und sie baten mich um eine Korrektur. Die Arbeiten waren von KollegInnen aller Fächer geplant und wurden wie folgt in den Unterrichtsgegenständen eingesetzt: GS/ E: Die ägyptische Hochkultur kennen lernen (Deutsch und Englisch) GW: Ägypten heute: geografische Lage, wirtschaftliche Möglichkeiten, politische Situation aus der Tageszeitung kennen lernen, Leben in Kairo, Orient - Okzident REL: Die verschiedenen Religionen in unserer Klasse näher betrachten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen, Rituale besser verstehen lernen BE/WE: Verschiedene Schriften lesen und schreiben, verschiedene Schreibgeräte ausprobieren, über die Bedeutung seiner eigenen Unterschrift Bescheid wissen, die eigene Unterschrift ausprobieren, Notizbuchseiten selbst gestalten, Schriftrollen gestalten und im Schulhaus ausstellen BS: Tanzen in unseren Kulturen, Bauchtanzbewegungen kennen lernen ME: Musik aus der anderen Kultur kennen lernen EH: Ägyptisch kochen, orientalische Gewürze erkennen, riechen, schmecken und über ihre Verwendung Bescheid wissen 2.2 Die Arbeit im Deutschunterricht Im Rahmen der Projektwoche beschäftigten wir uns in erster Linie mit dem Buch Das Notizbuch des Zeichners von Mohieddin Ellabbad. Das Buch enthält kurze Texte, die eine gute Grundlage zur weiteren Arbeit bieten. Ellabad beschäftigt sich mit alltäglichen Situationen, die sehr gut geeignet sind, die SchülerInnen zum Diskutieren und Erzählen anzuregen. Die Zeichnungen inspirieren die Kinder zum Erstellen eigener Zeichnungen. Rasch entwickelten die Kinder den Plan, ein eigenes Notizbuch zu gestalten. Sie verfassten Texte und überlegten sich dazu die grafische Umsetzung. Ich besorgte besonderes Papier und auch spezielle Schreibgeräte und Tinten, Einige Texte aus dem Buch, wie zum Beispiel den Text „Erinnerungen“, lasen und besprachen wir gemeinsam, damit die Kinder einen Eindruck erhielten, wie sie mit den weiteren Texten arbeiten konnten. Mit anderen Texten ließ ich die Kinder frei nach ihren Vorstellungen arbeiten. Einige Texte entstanden in Team-Work. Besonders die Kinder, die mit der deutschen Sprache nicht so gut umgehen können, bildeten Gruppen und suchten sich so Unterstützung. Das Ergebnis waren viele toll gestaltete Notizbücher, die gerne hergezeigt werden und auf die die Kinder stolz sind. Weitere Arbeit Diskussionsrunde: Das Fremde und das Eigene – was ist das? Dem eigenen „ICH“ auf die Spur kommen. Wer bin ich, was macht mich aus? – Gesprächsrunden in der Kleingruppe Die eigene Sprachbiographie erstellen Andere Notizbücher, z.B. von Willi Puchner, betrachten Konzepte für eigene Notizbuchseiten erstellen Informationen aus dem Internet entnehmen Informationen sammeln zu den verschiedenen Kulturen, die wir in den Klassen vorfinden Vor dem Projekt war es auch wichtig zu überlegen, welche Vorkenntnisse die SchülerInnen benötigen, um die Aufgaben erfolgreich durchzuführen. Dabei war eigenverantwortliches Arbeiten ein wichtiger Punkt: Die SchülerInnen müssen in den freien Arbeitsphasen in der Lage sein, ihre Arbeit zu organisieren, sich die Zeit einzuteilen und sie müssen sich teilweise Informationen selbst aus Fachbüchern oder dem Internet holen können. Die Einhaltung von Gesprächsregeln und die Organisation von kleinen Gesprächsrunden sollen ebenfalls den Kindern vertraut sein. Für mich als Lehrperson waren auch einige Vorarbeiten zu leisten wie die Vorbereitung der Lernumgebung in der 41 PROJEKTE Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten Klasse und das Organisieren der Fachliteratur. Man sollte auch mit Schwierigkeiten rechnen, wenn die Arbeit der Kinder mit besonderen Bedürfnissen nicht gut organisiert ist. Neben diesen organisatorischen Überlegungen sollten auch didaktische Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel was die Arbeitsform und die Methoden betrifft. Ein Teil der Arbeiten wurde in Freiarbeit angeboten. Die SchülerInnen hatten so die Möglichkeit, sich in Themen zu vertiefen. Die Gestaltung der eigenen Notizbuchseiten erfordert oft mehr Zeit, als die Unterrichtsstunde bieten kann. In der Freiarbeit darf eine Arbeit, die intensiv gemacht wird, auch einmal länger dauern. Viele Sequenzen waren in Gesprächsrunden zu erledigen. Die SchülerInnen können so im kleinen Rahmen ihre Meinung vertreten lernen, was ihnen oft im Klassenverband nicht so leicht fällt. 3.2 Projektphasen Projektphase 1 Hineinschnuppern ins Buch und die besondere Art, das Buch zu lesen, erforschen, d.h. Vorlesen, Deuten der Zeichnungen und Erzählen, was einem dazu einfällt in der kleinen Gruppe. Die Besonderheit des Buches wurde auch diskutiert, zum Beispiel, dass es – im Gegensatz zu europäischen Büchern – von hinten aufgeschlagen wird, was am Anfang zu einer kleinen Irritation führte, ferner, dass das Buch selbst zweisprachig ist und nicht zuletzt, dass darin Schrift, Foto und Zeichnungen miteinander verschränkt sind. Projektphase 2 3. Der Projektablauf im Deutschunterricht 3.1 Vorbereitung und Einstimmung der SchülerInnen Abb. 2. Von den Inhalten des Buches ausgehend die freien Arbeitsmöglichkeiten erforschen. Musik hören, Tanzen, Gewürze kennen lernen, Kochen, mit Henna die Hände bemalen, den Umgang mit einem Gebetsteppich kennen lernen – das und noch mehr war angeboten und wurde von den SchülerInnen gerne angenommen. Abb. 1. Bilder aus der arabischen Kultur und aus der österreichischen Kultur wurden auf einem Arbeitsteppich ausgelegt. Die Kinder konnten dazu ihre Eindrücke sammeln und versuchen, eine Ordnung in die Bilder zu bringen. So merkten sie sehr bald, dass diese fremde Kultur uns eigentlich gar nicht so fremd ist. Weil im Zentrum des behandelten Buches von Ellabbad das Aufzeichnen diverser Erinnerungen steht, haben wir in einem zweiten Schritt das Phänomen „Erinnerung“ thematisiert. Dabei haben SchülerInnen besondere Gegenstände mitgebracht, die für ihr Leben prägend waren. Schnell wurde in diesem Gespräch klar, wie vieles Gegenstand der Erinnerung sein kann: eine Narbe, ein Buch, ein Gebetsteppich, Henna usw. – „Erinnerungsstücke“, die mit dem eigenen Ich und auch mit der eigenen Kultur sehr viel zu tun haben. 42 Projektphase 3 Das Erstellen eigener Notizbuchseiten, Texte verfassen, Texte überarbeiten, Planen der Notizbuchseite, Festlegen der Gestaltungstechnik, Auswahl der Arbeitsmaterialien 3.3 Präsentation einer exemplarischen Stunde Ellabad beschäftigt sich mit Unterschriften. Den Kindern ist die Bedeutung des eigenen Namens und der Unterschrift noch nicht bewusst. Auf die Frage nach ihrem Namen nennen sie meist nur den Vornamen. In einem Unterrichtsgespräch versuchten wir die Bedeutung des Namens und der eigenen unverwechselbaren Unterschrift herauszuarbeiten. In einem weiteren Arbeitsschritt erhielten die Kinder in Kleingruppen vorbereitete Kärtchen, auf denen besonders originelle Unterschriften zu sehen waren. Diese mussten sie den passenden Namen zuordnen. So bekamen sie einen Eindruck, wie Unterschriften aussehen können. Mit diesen Eindrücken forderte ich die SchülerInnen auf, die eigene Unterschrift auszuprobieren. Sie Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten hatten großen Spaß daran, die verschiedensten Entwürfe zu präsentieren. Wir führten anschließend auch noch eine kurze Diskussion, ob es wichtig ist, dass die Unterschrift gut lesbar ist. 3.4 Schülerproduktionen Ein wichtiges Anliegen des Projektes war, dass sich SchülerInnen auch produktiv und kreativ mit dem Thema auseinandersetzen. So entstanden viele Produkte: ein großes gemeinsames Notizbuch, Mappen mit den Arbeiten, die jedes einzelne Kind zum Thema erledigt hat, Schriftrollen, Plakate. Abb. 3. 4. Reflexion des Projektes Die Annäherung an die eigene Identität über literarische Texte ist gut gelungen. Die Erfahrungen der Kinder mit fremden Menschen und dem Fremdsein machten alle im Klassenraum tief betroffen. Ein Verständnis für die Geschichten der MitschülerInnen wurde spürbar und veränderte den Umgang miteinander. Auch der Respekt vor den anderen Religionen wurde größer. Das Wissen um die Rituale und die Besonderheiten schafft Klarheit und bringt Toleranz. Die größte Herausforderung in multikulturellen Klassen bleibt die Unterrichtssprache Deutsch. Der Wortschatz der SchülerInnen reicht sehr oft nicht aus, um Gefühle oder Erlebnisse ausreichend gut schildern zu können. Die SchülerInnen erwähnten im Feedbackgespräch immer wieder, wie hilfreich es ist, über die verschiedenen Kulturen Bescheid zu wissen. Sie erkannten, dass die Unterschiede nicht trennen müssen, sondern bereichernd erlebt werden können. Im Klassenzimmer ist mehr Toleranz für die Probleme der MitschülerInnen spürbar. Die Kommentare der Kinder aus der abschließenden Feedbackrunde zeigen die Wirkung der gemeinsamen Arbeit im Unterricht: „Wir haben uns mit Ägypten beschäftigt, aber ich hab auch meine Kultur besser kennen gelernt.“ PROJEKTE „Ich möchte noch mehr Arabisch lesen lernen.“ „Meine Eltern haben sich gefreut, dass wir in der Schule zeigen konnten, wie wir beten. Ich habe meinen Freunden alles erklärt.“ „Ich verstehe jetzt, warum Büsra das Kopftuch tragen will!“ „Ich war im Urlaub in Ägypten, ich will jetzt noch einmal dorthin, weil ich jetzt viel mehr verstehe.“ „Mir hat gefallen, dass auch die Buben mit uns getanzt haben.“ „Ich finde die Musik der Türken jetzt gar nicht mehr so komisch.“ Aber auch die Kolleginnen, die am Projekt mitgearbeitet hatten, waren positiv überrascht von den Ergebnissen der Arbeit: „Es war schön zu sehen, wie unsere türkischen Burschen gerne bereit waren, alle Kinder über den Islam zu informieren. Sie brachten Religionsbücher auf Deutsch mit, damit wir Informationen, die sie selbst nicht geben konnten, gemeinsam nachlesen konnten.“ „Mir war nicht bewusst, wie sehr der Islam Thema für unsere Kinder ist. Wie sehr er trennt und verbindet.“ „Mit einem Buch, das mir zunächst gar nicht gefallen hat, sind wir dem Weltfrieden ein Stück näher gekommen“ Das Projekt zeigt nicht zuletzt, wie wichtig es ist, Fragen der Identität zu thematisieren und dies durch eine besondere Literatur, die durch seine Form bereits das „Fremde“ in sich trägt, durch seine Thematik aber zur Lebenswelt der SchülerInnen einen Bogen schlägt. Literatur Ellabbad, Mohieddin (2011): Das Notizbuch des Zeichners. Deutsch-Arabisch 2. Aufl. Baobab Books. Lemberger, Michael/ Pokorny, Alexander (2001): Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 2. Linz, Wien: Veritas. Puchner, Willi (2011): Die Welt der Farben. Salzburg: Residenz. Puchner, Willi (2006): Illustriertes Fernweh. München: Frederking & Thaler. Wintersteiner, Werner (2006): Transkulturelle literarische Bildung: Die Poetik der Verschiedenheit in der literaturdidaktischen Praxis; Innsbruck u.a.: StudienVerlag. Materialien zum Buch Das Notizbuch des Zeichners unter: www.baobabbooks.ch 43 44 PROJEKTE Imagination(en) des Fremden Bei jeder Begegnung mit anderen werden unweigerlich Schemata aktiviert, mit deren Hilfe wir uns die Welt ordnen und verfügbar machen. Unvermeidlicherweise setzen wir Stereotype und Klischees ein, um uns zu orientieren. Das erleichtert zwar das Zurechtfinden in der Welt, zugleich aber konditionieren diese Stereotype unsere Sicht auf die Welt und schränken sie ein. Die Fremdbilder, die wir entwickeln, sind eng mit unseren Selbstbildern verbunden. Sie stabilisieren unsere Ich-Identität, indem sie unsere Selbstbilder bestätigen, und dienen oft als Kontrastfolie zu dem, was wir als gut, richtig, und normal empfinden. Insofern sind Feindbilder, als eine gesteigerte Form aggressiver Fremdbilder, nicht so sehr davon bestimmt, wie diejenigen, auf die wir unsere Vorstellungen projizieren, „wirklich“ sind. Vielmehr hängt ihre Ausgestaltung davon ab, wie wir wirklich sind, welche Vorstellungen uns geprägt haben, welche Wünsche und Absichten wir verfolgen. Literarische Texte, deren Qualität darin besteht, uns zu lehren, die Welt einmal anders zu sehen, als wir es gewohnt sind, sind auch ein ideales Mittel, uns auf Vorurteile, Feindbilder und allgemeine Stereotype aufmerksam zu machen. Wie man diesen Leseprozess, der zu einer neuen Weltsicht verhelfen kann, didaktisch am besten unterstützt, darauf gehen die folgenden beiden Beiträge ein. Véronique Weiss und Petra Reiter haben sich zum Ziel gesetzt, die Vorurteile der SchülerInnen in Bezug auf die arabischen und afrikanischen Kulturen zu entschärfen, indem sie sie für die Entstehung und das Funktionieren von Vorurteilen sensibilisierten. Rudolf Freisitzer stellte das „andere“ Ich, nämlich das „imaginierte“, von klischeehaften Vorstellungen belastete Bild der Frau, in den Mittelpunkt seines Projektes. Dabei haben die SchülerInnen nicht nur literarische Werke auf die in ihnen dargestellten Frauengestalten -und schicksale hin analysiert, sondern sich mit Fragen der Gleichberechtigung in einem globalen Kontext auseinandergesetzt. 45 PROJEKTE Petra Reiter, Véronique Weiss Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen Intercultural learning and stereotypes STECKBRIEF Das Projekt Intercultural learning and stereotypes SchuleHAK Feldkirchen Klasse / SchülerInnen 2 AHH Teilnehmende Fächer Deutsch, Englisch, Geographie Projektleitung Petra Reiter, Véronique Weiss 1 Einführung und Ausgangssituation Stereotype sind einerseits notwendig, um uns im „Chaos“ einer fremden Welt zurechtzufinden. Andererseits vereinfachen sie die Realität und verzerren unsere Wahrnehmung. Vor allem, wenn es um fremde Kulturen und Länder geht, werden klischeehafte „Bilder“ aktiviert: Je ferner und fremder eine Kultur ist, desto weniger entsprechen unsere Bilder der Realität. In einer von weltweiter Mobilität geprägten Welt sind die Kenntnis über die Entstehung von Vorurteilen, das Erkennen von Stereotypen und „bedeutungszuweisender“ Mechanismen und das Hinterfragen sozialer Praktiken, die solche Vorurteile hervorrufen, von großer Bedeutung. Deswegen stand im Mittelpunkt unseres Projekts eine kritische Auseinandersetzung mit Stereotypen. Ziele Die SchülerInnen sollen sich der eigenen Vorurteile gegenüber afrikanischen und arabischen Kulturen (in Kombination mit den aktuellsten Medienberichten) bewusst werden und Stereotypen erkennen sowie ein- bzw. zuordnen können. Sie sollen anhand der ausgewählten Texte die Möglichkeit erhalten, diese Vorurteile bzw. Klischees hinter sich zu lassen und fremde Kulturen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Ein wesentliches Ziel der Textbearbeitung wird es hier vor allem sein, den SchülerInnen die Gemeinsamkeiten zwischen denselben Textsorten aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufzuzeigen, sodass das vermeintlich Fremde sich letztendlich als vertrautes Terrain erweist. 46 Weiters sollen sie sich konkret mit den sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten von Comics und Märchen (sowohl aus den ihnen vertrauten wie auch den ihnen fremden Kulturkreisen) beschäftigen. Behandelte Werke Fairy Tales and Cartoons The Bachelors and the Python. A Central African Tale The Princess and the Mouse. An Arabian Tale Marguerite Abouet & Clément Oubrerie: Aya. A cartoon of a contemporary African girl Novels Henning Mankell: Der Chronist der Winde In the hot African night a single gunshot cracks the silence. José Antonio traces the sound to the stage of the local theatre company, where he finds Nelio, the young prophetical leader of the city’s street kids, crumpled in blood. Nelio refuses to be taken to the hospital but instead tells Jose his life’s story: how bandits (some of them terrified child warriors) raided his village, his daring escape, and his struggle to survive on the streets. José is irrevocably changed. He becomes the Chronicler of the Winds, revealing Nelios’s magical tale to all who will listen. Ahmadou Kourouma Allah muss nicht gerecht sein: A story of an African child soldier, told by himself (fiction) Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen PROJEKTE Filme Sofia and Francis Ford Coppola: Lost in Translation Bob, a fading movie star with a sense of emptiness (Bill Murray), and Charlotte, a neglected young wife (Scarlett Johansson) meet as strangers at a hotel bar in Tokyo and form an unlikely bond. Both are jet-lagged, and feel lost and alienated in the huge Asian city. Charlotte and Bob venture through Tokyo, having often hilarious encounters with its citizens, and ultimately discover a new belief in life‘s possibilities. Aims One of the aims was for the pupils to analyse the image of women in our fairy tale and start comparing it with the Arabian fairy tale in which there is a princess (similarity with our European fairy tale). However, the Arabian princess looks a fairy teller herself, finds solutions to her problems and is therefore allowed to play an active role in the fairy tale, whereas princesses in our fairy tale are mostly passive and depend on princes to save them and solve problems. Marjane Satrapi: Persepolis The story of an Iranian girl who leaves her country as a refugee and find a new home in Europe. The cartoon was as successful as the movie. Outcome The class had no difficulty to list all the differences and similarities and came to the same conclusion as stated in the aim. They were surprised to notice that although we Europeans believe that women traditionally play no active role in the Arabic culture, their fairy tales show independent princesses whereas „our” princesses are inferior and subjected. Alejandro González Iñárritu: Babel In the remote sands of the Moroccan desert, a rifle shot rings out--detonating a chain of events that will link an American tourist couple‘s frantic struggle to survive, two Moroccan boys involved in an accidental crime, a nanny illegally crossing into Mexico with two American children and a Japanese teen rebel whose father is sought by the police in Tokyo. Separated by clashing cultures and sprawling distances, each of these four disparate groups of people nevertheless share a destiny of isolation and grief, confusion, fear but also share love. 2 Fairy tales:„A Central African Fairy Tale” –„An Arabian Fairy Tale” 2.1 English as well as Geography lessons Topics to discuss and tasks to fulfil: Where do the fairy tales come from? Where is „Central Africa”? Where are the Arabic countries? What images come to mind when hearing the names of the countries? Are there preconceived ideas? Stereotypes? In geography: talk about the African continent as well as the Arabic world. 2.2 English as well as German lessons Tasks Read fairy tales in English (An Arabian fairy tale and a Central African fairy tale) and in German (our traditional fairy tale) English texts („exotic” fairy tales) Work on the texts, and then answer questions about the two „exotic” fairy tale. Work on the similarities and differences between European and „exotic“ fairy tale. Find the cultural universals. Feedback One girl of Turkish ethnic background took a very active part. Although Turks don’t identify with the Arab world, it looked to me as if she felt personally touched by the Arabian fairy tale. A questionnaire revealed that most pupils found the fairy tale uninteresting and irrelevant for their English. Most HAK pupils apparently expect to work on „practical” topics. Foreign fairy tales and stereotypes were considered too abstract and far from the curriculum for the majority of the pupils. I discussed this issue with colleagues who have been teaching English at the HAK for some years (I am a relatively new teacher at this school). In their opinion, I was expecting „too much” from a 2nd class. Apparently, pupils at that age find it difficult to reflect in their own mother tongue, let alone doing it in a foreign language. 3 Work on stereotypes 3.1 Text on stereotypes Text on stereotypes studied in class Stereotypes simplify the way we see people or groups that are different to us. Stereotypes also separate people. They are not correct because they make us judge the others as a group: we cannot see the individual any more, just „these people”. We don’t always agree with, or like the way other cultures behave simply because it is different, and we therefore perceive 47 PROJEKTE Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen it as wrong, and develop inaccurate, negative/ugly descriptions (stereotypes). Many immigrants come into the US. Their food, music, culture is often welcome but problems usually arise because of the differences. The predominant group has always reacted in a racist way against groups that were different. African Americans, Jews, Italians, Native Americans, for example, have been discriminated against. Stereotypes prevent us from having contact with other cultures. We are all different and unique. Differences can be scary but we should try to get to know them. Main questions To what extent the stereotypes help us or/and prevent us from understanding the world and the different nationalities. The Work with the American native speaker (language assistant) Which nation is more or less „foreign” to you? Why? (She invented some sort of fun „game” with a scale in the blackboard. We made a list of nationalities (many Austrian neighbouring countries, including „Gastarbeiter” countries, but also countries in Asia, the African and the American continent). Austria was at the bottom of the scale and the „nearest” the population (i.e. Italy. Italians are very similar to us and we go on holiday in this country), the nearest it stood to Austria on the scale. No judgment was made, the pupils talked about the results. 3.2 Film: Lost in Translation Practical exercises after having worked on the theory of stereotypes: Brain storming on Japanese stereotypes. Pupils’ question: Are Japanese like Chinese? Watch excerpts of the film. Outcome Some stereotypes are confirmed: old tradition, Fuji Yama, computer games… Some stereotypes are new: (1) Complicated language: the film shows that the Japanese language is so different to ours and so complicated that it’s nearly impossible to translate. (personal comment: One of the culture universals is that language is translatable). 48 The alienation of the main character visiting Japan in the film is so great that the human contact is extremely difficult (Scene when the main protagonist is being filmed for an ad for whiskey). (2) The Japanese are small compared to „us” Westerners. In fact, in the film, they are depicted as being ridiculously small, dwarf-like individuals compared to the main character. (Scene in the elevator as well as scene with the mini razor). (3) Some scenes are funny. In fact, the film uses stereotypes to maximise humour. The pupils realised that the Japanese were the objects of ridicule. They are „depicted as cartoon-like”1 to make us laugh. I asked my class how they thought the Japanese had reacted to the film. Most of them made perfect guesses. Indeed, they said that they had had a good laugh watching the film, but came to the conclusion that they would not like their people to be laughed at in that way. Finally, we read articles on Japanese reactions to the film. In fact, the general Japanese audience was offended by the biased and negative portrayal of their people in Sophia Coppola’s Oscar winning story. 3.3 Film: Babel We watched the film in class on the Friday before the holidays „Energieferien”. It covered two lessons: English and Geography. I asked the pupils to think of the messages in the film. Could they see any stereotypes? Any culture universals? Some pupils actively commented on the film but the general holiday atmosphere made it difficult to get the entire group to participate. Meanwhile, I read the English text „Chronicler of the Winds” by Henning Mankell, which the class had read in German. I asked the class what they had thought of this text. Some of the pupils expressed their fascination for the story and for the destiny of child warriors. They did some research and presented the results in English language during our „presentation evening”. I did not want to exert any influence on what was shown or said on child warriors on that evening. I will simply report that the pupils showed and commented pictures of children holding weapons. Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen PROJEKTE They also summarised the text in English, insisting on parts that had fascinated them in Mankell’s text. 4. Final Phase: Presentation in German and English During the presentation evening, a majority of the pupils who had stayed relatively passive and had commented on the fact that fairy tales were not part of what they expected to learn at a HAK certainly got the opportunity to understand the connections between the different parts of the project. Summaries were made, personal reflections were read out, and pictures were shown. The „active” pupils’ presentations finally contributed to a greater understanding for the entire class, who listened carefully to the presentations. I might have overestimated the group’s ability to reflect about complex topics in a foreign language but was satisfied by the group’s active participation to the stereotypes in the film Lost in Translation. This proved that they had developed the ability to empathise with the Japanese people. „We would not like our people to be laughed at in that way” was their comment. Anmerkungen 1 Robert Marquand in „The Christian Science Monitor”, Apr. 2004 - Tokyo Literatur Abouet, Marguerite (2006): Aya. Hamburg: Carlsen Verlag. Kourouma, Ahmadou (2004): Allah muss nicht gerecht sein. München: Goldmann Verlag. Mankell, Henning (2007): Der Chronist der Winde. Neuausgabe. München: Dt. Taschenbuch-Verlag. The Bachelors and the Python. A Central African Tale. Unter: http://amedja.tripod.com/the_bach_1.html [Zugriff am 15.5.2013] The Princess and the Mouse. An Arabian Tale. Unter: https://perspective.pearsonaccess.com/content/resources/teachingresources/unitplans/fairy.world/pm.html [Zugriff am 15.5.2013] 49 PROJEKTE Rudolf Freisitzer Das andere Ich Frauengestalten in der Literatur und in der Gesellschaft STECKBRIEF Das Projekt Das andere Ich. Schule Öffentl. Stiftsgymnasium der Benediktiner, St. Paul, Lavantal Klasse / SchülerInnen 4 A-Klasse (6 Schüler und 18 Schülerinnen) Teilnehmende Fächer Religion, Geschichte, Politische Bildung, Deutsch Projektleitung Dr. Rudolf Freisitzer 1. Einleitung Der/die/das „Fremde“ ist vielgestaltig und vielschichtig – was als „fremd“ definiert wird, hängt nicht nur vom je eigenen Standpunkt, sondern auch vom jeweiligen gesellschaftlich-politischen Kontext ab, in welchem man verortet ist. In unserem Projekt standen die Frau und ihr Frausein in der Gesellschaft im Mittelpunkt, in gewisser Hinsicht ein anderes Ich, dem trotz emanzipatorischer Entwicklungen sogar in manchen ländlichen Regionen Westeuropas noch immer der Makel des Fremden anhaftet. Das Lavanttal mit seiner Randlage ist in Bezug auf die gesellschaftliche Situation der Frau auch so ein „Entwicklungsland“. Es herrscht in den Familien immer noch die Meinung vor, dass Bildung für die Mädchen nicht notwendig sei, denn diese würden „ja eh heiraten“. Da das Stiftsgymnasium die einzige Einrichtung ist, die eine „Langform“ aufweist, kann man das gerade nach Beendigung der vierten Klasse beobachten. Trotz der Tatsache, dass Mädchen oft bessere Leistungen erbringen, sehen manche Eltern nicht ein, dass ihnen die Oberstufe die beste Voraussetzung für die Zukunft bieten könnte. Dieses Anderssein, das sich an so einfachen alltäglichen Praxen festmachen lässt – zum Beispiel an der täglichen Arbeit der eigenen Mütter, an der Verhinderung einer schulischen Karriere –, macht das Thema für die Auseinandersetzung im Deutschunterricht besonders attraktiv. Die Beschäftigung mit diesem anderen, verdrängten, ausgeklammerten, mystifizierten und von so vielen Vorurteilen geprägten Bild der Frau kann in verschiedensten 50 Fächern wie Geschichte & Sozialkunde, Deutsch, Religion – um nur die in unserem Projekt beteiligten Fächer zu nennen – erfolgen. Sie erlaubt SchülerInnen über die Frauenrolle in unserer Gesellschaft und in anderen Gesellschaften (z.B. in Afrika) zu reflektieren, die gegenwärtige Situation der Frau mit der in der Vergangenheit zu vergleichen – und nicht zuletzt anhand literarischer Beispiele differenziert über soziale Missstände, Frauenrollen und Frauenbilder nachzudenken. 2. Arbeit im Unterrichtsfach Deutsch Projektziele Verständnis für nicht deutschsprachige Literatur Verständnis für die Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung Erkennen der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Frau in der Gesellschaft einst und jetzt Das „Fremde“ sollte nicht mehr als fremd gesehen und erkannt werden, sondern als besonderer Teil unseres Lebens Kompetenzerweiterung auf Schülerebene SchülerInnen sollen die Stellung der Frau in der eigenen Kultur und in anderen Kulturen miteinander vergleichen und reflektieren können (kritische Selbstreflexion) SchülerInnen sollen durch einen Einblick in die Familien- und Gesellschaftsstruktur erkennen kön- Das andere Ich nen, was sich in unserer heutigen Zeit verändert hat und welche grundlegenden Fakten noch im Sinne der Gleichberechtigung eingeführt werden müssen SchülerInnen sollen die verschiedenen Formen des familiären Zusammenlebens der Vergangenheit analysieren und dabei sollen sie auch Bezugspunkte zur heutigen Familie herstellen können (Schwierigkeiten allein erziehender Mütter, Scheidungskinder usw.) Methodische Ziele Eigenständiges Arbeiten und Recherchieren Förderung der Lesekompetenz im Bereich „Sachtexte“ (Grafiken, Zeitungsartikel) Förderung der literarischen Kompetenzen (Verfassen von Charakterisierungen, von inneren Monologen bzw. von Interpretationen in Form von Problemerörterungen) Erstellung, Auswertung von Fragebögen und Interviews Sprachreflexion/Sprachaufmerksamkeit: Sprachen miteinander vergleichen, europäische Sprachgeschichte Reflexionskompetenz: über Hierarchie- und Machtverhältnisse in der eigenen wie in der fremden Kultur nachdenken Unterrichtsmethoden Vortrag durch die Lehrperson Gemeinsames Erarbeiten der Problembereiche (Diskussion, Gruppenarbeit) Referate Fächerübergreifender Unterricht Zeitlicher Rahmen Präsentation der gewählten Literatur im Rahmen des Deutschunterrichts ( zwei Unterrichtsstunden) Einführung in die europäische Sprachgeschichte (fächerübergreifend mit Geographie); Kennenlernen der gemeinsamen Wurzeln (germanische Sprachfamilie) (etwa vier Unterrichtsstunden – eventuell in Form einer gemeinsamen Unterrichtsgestaltung) Besprechung der vier ausgewählten Werke (s. u., pro Werk etwa vier Unterrichtsstunden) Abfassung von Inhaltsangaben, Charakterisierungen, Interpretationen usw. (Hausübung) Vergleich der vier Werke; Vergleich der Frauenschicksale (etwa vier Unterrichtsstunden) Aufbereitung der Geschichte der Frau (acht Unterrichtstunden im Rahmen des Geschichteunterrichts) Vergleich der Familiensituation einst und heute (Deutsch und Geschichte; zwei Unterrichtsstunden) Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen (GSK und Geographie; vier Unterrichtsstunden) PROJEKTE 3. Behandelte Literatur Die Tragödie Romeo und Julia (1597) von William Shakespeare spielt in Verona und handelt von der Liebe zweier Jugendlicher, die zwei verfeindeten Familien angehören und deswegen nicht heiraten können. Nora oder Ein Puppenheim (1879) von Henrik Ibsen thematisiert die Abhängigkeit der Frauen von Männern (vom Vater und dann vom Ehemann) im 19. Jahrhundert und übt Kritik an der Institution Ehe, aber auch an einer Gesellschaft, in der Frauen für „inferior“ gehalten und als Spielzeuge der Männer betrachtet werden. Adalbert Stifters Brigitta (1844) handelt von der ungewöhnlichen Liebe zwischen Stephan Murai und Brigitta, die trotz ihres gegensätzlichen Charakters heiraten, sich aber später trennen. Nach der Scheidung lebt Brigitta allein mit ihrem Sohn und widmet sich der Leitung ihres Guts in Ungarn. Dies zeigt ihre innere Stärke und ihren Mut, sich allein zurechtzufinden. Stephan bewundert sie nach wie vor und schließlich schließen die beiden eine innige Freundschaft. Ein so langer Brief (1979) von Mariama Bâ hat – wie der Titel ankündigt – einen Brief zum Gegenstand, den Ramatoulaye ihrer besten Freundin Aïssatou nach dem Tod ihres Mannes Modou schreibt. Im Brief erzählt Ramatoulaye retrospektiv ihr Leben mit Modou, die Situation einer enttäuschten Frau, die vom Mann wegen einer jungen Zweitfrau verlassen wurde und versucht, mit sich selbst im Schreiben klar zu kommen. Die ausgewählten Texte kreisen alle um Themen wie Ehe bzw. Zwangsehe, Möglichkeit der „Emanzipation“ und der Selbstbestimmung der Frau. So unterschiedlich die Texte auch sind (vor allem was ihre Entstehungszeit betrifft), stellen sie ähnliche Wege des Ausbruchs der Frauen aus der traditionellen Frauenrolle in den Mittelpunkt: Nora und Brigitta verlassen den Ehemann und versuchen, selbständig im Leben zurechtzukommen. Ramatoulaye wagt zwar die Scheidung nicht, nimmt sich aber an verschiedenen Frauenschicksalen ein Beispiel und findet nach dem Tod ihres Mannes Schritt für Schritt zu ihrer Selbständigkeit. Demgegenüber werden Romeo und Julia Opfer weniger einer gesellschaftlichen Tradition als eines familiären Streits und müssen mit ihrem Leben für ihre „Freiheit“ bezahlen. Die Texte haben somit auch ein großes gesellschaftskritisches Potential, zeigen auf eine prägnante Weise die je unterschiedlichen Umstände, die Frauen in eine Rolle zwingen, die ihrer Natur und ihrer Bestimmung nicht entspricht. Deswegen lohnt es sich, die Texte miteinander vergleichend zu betrachten, die je spezifische Situation der Frauen in den Werken zu unter51 PROJEKTE Das andere Ich suchen und die Wege der Selbstbestimmung dieser Frauen nachzuzeichnen. Tipp Auseinandersetzen mit folgenden Aspekten vor der Behandlung der literarischen Texte: die eigenen Vorstellungen und Bilder über die Rolle der Frau die europäischen Vorstellungen (und Stereotype) über die Lage der Frauen in Afrika bzw. im Islam „imaginierte“ und tradierte Frauenbilder in der (von Männern geschriebenen) Literatur: eine kritische Sichtung der literarischen Positionen zum „Bild“ der Frau: „heilig“, „ewige Mutter“, die Prostituierte, „Natur“, „Emotion“, bzw. „bedrohend-unheimlich“, „mystifiziert“ etc. Neben diesen literarischen Werken wurden soziologische, sozial-geschichtliche und historische Studien über die Lage und Rolle der Frauen in der Welt und speziell in Österreich behandelt, damit sich die SchülerInnen mit dem Thema der Frauenbewegung und auch mit aktuellen politischen und sozialen Themen der Gleichberechtigung usw. vertraut machen können. Ein Akzent wurde auch auf das Thema „Frauen im Islam“, Polygamie, Zwangsehe gelegt. Jedoch sollte man sich in diesem Bereich auch intensiv mit den eigenen Klischeevorstellungen über den „Islam“ bzw. über die Situation der Frauen in „Afrika“ beschäftigen und dem einseitigen eurozentrischen Bild möglichst entgegenwirken, indem man differenzierte Positionen zu Wort kommen lässt. Hierzu könnte Mariama Bâs Roman als ein „kritisches Korrektiv“ fungieren, stellt er doch anhand verschiedener Lebensmodelle und Frauenfiguren dar, wie unterschiedlich einzelne Frauen mit gesellschaftlichen Zwängen umgehen. Aïssatous und letztendlich Ramatoulays Entscheidung für ein selbstbestimmtes Leben zeigt, dass – im Gegensatz zu unseren Erwartungen aus europäischer Sicht – auch Frauen in afrikanischen Ländern die Gelegenheit ergreifen, den Erwartungen von Männern gegenüberzutreten und aus den traditionellen Rollenvorstellungen auszubrechen. Die zwei Töchter von Ramatoulaye verkörpern in diesem Kontext bereits eine neue Generation, die viel kritischer die Lage der Frauen reflektiert, Traditionen oft aufbricht und nicht länger auf ihre Unabhängigkeit verzichtet. 4. Aktivitäten und Arbeitsaufträge Hauptaktivitäten Frauengestalten in der Literatur (vgl. Literaturliste) Zeitungsartikel mit Ausarbeitungen zum Themenbereich „Die Frau in der Gesellschaft“ 52 Befragung der eigenen Mutter zum Bereich „Arbeitsleistung der Frau“ (Fragebogen, Auswertung und Analyse) „Die Frau in der Dritten Welt“ (Zeitungsartikel mit Bearbeitung der Schüler-Leserbriefe) Starke Frauen im Film (anhand von SchülerInnenreferate) Arbeitsaufträge zum Roman „Ein so langer Brief “ (1.) Verfasse eine Inhaltsangabe zum Roman! (350 Wörter) (2.) Verfasse eine Charakterisierung von Aïssatou! (250 Wörter) (3.) Verfasse eine Nacherzählung der Vorgänge aus der Sicht der kleinen Nabou! Achte dabei auf die Erzählzeit! (150 Wörter) (4.) Vergleiche die verschiedenen Frauenschicksale im Roman Ein so langer Brief. Welche „Lebensmodelle“ stehen Ramatoulaye bereit, wie entscheidet sie sich? Inwiefern unterscheidet sich ihr gewählter Lebensweg von dem der anderen Frauen? Arbeitsaufträge zu „Romeo und Julia“ „Dann heißt die Mutter meiner Liebe Hass: Zu früh gewußt, zu spät, daß ich es lass. Dies Lieben, das geboren ist, wird Schmerz, denn an den schlimmsten Feind häng ich mein Herz…“ (1.) Welches Werk liegt hier vor? (2.) Wer spricht? (3.) Verfasse aus der Perspektive dieser Person (Ich-Erzählweise) eine Inhaltsangabe! Arbeitsaufträge zu „Nora oder Ein Puppenheim“ „Helmer (in seinem Zimmer): Zwitschert da draußen die Lerche? Nora (dabei einige Pakete zu öffnen): Ja, das tut sie! Helmer: Poltert da das Eichhörnchen herum?“ (1.) Welches Werk liegt hier vor? (2.) Verfasse eine Charakterisierung von Helmer! (150 Wörter) (3.) Beschreibe die Beziehungskonstellation von der Nebenfigur Krogstadt zu den handelnden Personen! (150 Wörter) Das andere Ich Arbeitsaufträge zu „Brigitta“ (1.) Verfasse eine Inhaltsangabe zum Roman! (350 Wörter) (2.) Verfasse eine Charakterisierung von zwei Protagonisten des Romans! Arbeitsaufträge zum Thema „Die Rolle und die Situation der Frauen in Österreich und in der Welt“ (1.) Vergleichende Analyse von Grafiken, die die rechtliche, gesundheitliche, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Frau in verschiedenen Staaten der Welt zeigen. (2.) Bearbeitung von Grafiken zum Thema „Rollenverhalten der Frauen 1992-2010 in Österreich“. Im Anschluss daran: eine Erörterung zum Thema „Die moderne Frau“. (3.) Im Fach Geschichte & Politische Bildung: Auseinandersetzung mit dem Artikel „Vormarsch der Frauen“ in der Kleinen Zeitung (1.10.2011), mit einer sozialgeschichtlichen Studie zu „Frauenarbeit, Frauenfrage, Frauenbewegung“ und mit einem historischen Artikel über „Frauen in der Geschichte“. (4.) Durchführung eines Interviews mit der eigenen Mutter anhand von Leitfragen. (5.) Im Speziellen wurde auch das Thema „Das Frauenbild in Österreich“ und „Frauen in Österreich“ behandelt. (6.) Ein weiteres Thema war „Zwangsehe“ und die Situation der Frauen in arabischen Ländern, das ebenfalls in diversen Zeitungsartikeln behandelt wurde. PROJEKTE gefordert, bezüglich der „öffentlichen Sache“ selber tätig zu werden, über Möglichkeiten des Handelns nachzudenken und die eigene Rolle in diesem Machtspiel (vgl. der Umgang mit der eigenen Mutter zu Hause) zu erkennen. Dass jedoch diese Erkenntnis nicht nur in Bezug auf die eigene, sondern auch auf fremde Kulturen erfolgen soll, bestätigt auch die engagierte Beschäftigung der SchülerInnen mit dem Roman von Mariama Bâ und mit den Problemen der Frauen in der „Dritten Welt“. Gewiss löste die Behandlung dieses Themas die größte Irritation bei den SchülerInnen aus, die über diese Verhältnisse nicht Bescheid wussten. Die Thematisierung dieser Probleme öffnet also die Perspektive der SchülerInnen und bewegt sie dazu, den eigenen, eng gesteckten Rahmen zu verlassen und größere, globale Verhältnisse in den Blick zu nehmen. Dass man nicht früh genug damit beginnen kann, junge Menschen auf die Ungerechtigkeit und Ungleichheit hinzuweisen, ist eine meiner persönlichen Erkenntnisse nach diesem Projekt. In diesem Sinne bin ich für meine weitere Lehrtätigkeit zu dem Entschluss gekommen, dass man SchülerInnen mit den heiklen Fragen einer globalen Welt sehr wohl herausfordern kann und muss – und dies auch mit Hilfe einer Literatur, die bis jetzt nicht oder wenig in unseren Lehrplänen berücksichtigt wurde, mit Hilfe der Weltliteratur. 5. Konklusion Mit diesem Projekt wollte ich in erster Linie meine SchülerInnen in besonderer Weise auf die ungleiche Behandlung von Frauen in unserer Gesellschaft hinweisen und sie für Fragen der Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen Norden/Süden bzw. Westen/Osten sensibilisieren. Dies sollte auf einer möglichst breiten Basis geschehen: sowohl Sachtexte (sozilogische u. historische Studien, Zeitungsartikel) als auch literarische Texte und Filme waren Ausgangspunkt der Diskussionen. Diese Vielfalt an Zugängen konnte auch eine differenzierte Auseinandersetzung auf vielen Ebenen ermöglichen. Das Thema ist darüber hinaus nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch im Fach Politische Bildung bzw. Sozialkunde relevant, werden doch SchülerInnen heraus- Literatur Bâ, Mariama (2002): Ein so langer Brief. Ein afrikanisches Frauenschicksal. Berlin: List. Ibsen, Henrik (1986): Nora. (Ein Puppenheim). Stuttgart: Reclam. Shakespeare, William (1998): Romeo und Julia. Stuttgart: Reclam. Stifter, Adalbert (1994): Brigitta. Stuttgart: Reclam. 53 54 PROJEKTE Zwischen und in mehreren Kulturen – Erfahrungen der Migration Das 20. Jahrhundert ist wie kein anderes Jahrhundert von Flucht, Vertreibung, Migration und Reisen jeglicher Art geprägt – und diese Phänomene verändern grundsätzlich die Strukturen unseres Alltags. Darüber hinaus stellen sie tradierte Vorstellungen über Identität, Heimat und Kultur radikal in Frage. Literarische Texte von Migrantinnen und Migranten reflektieren auf ganz besondere Weise die Schwierigkeiten der Bestimmung des Ich im Spannungsfeld verschiedener Zugehörigkeiten, die Erfahrungen des Exils und der Entwurzelung, die sprachliche Heimatlosigkeit sowie kulturelle Begegnungen. Ihre Texte bieten daher zahlreiche Möglichkeiten, sich im schulischen Kontext mit Fragen der Migration, der Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinanderzusetzen. Ein groß angelegtes fächerübergreifendes Projekt der BRG/BG für Slowenen, mit Andrea Zikuling als Projektkoordinatorin, versuchte im Slowenisch-, Deutsch-, Englisch- und Italienischunterricht anhand zahlreicher literarischer und filmischer Beispiele SchülerInnen zum Perspektivenwechsel und zur Reflexion des eigenen Handelns gegenüber Fremden anzuhalten. Alexandra Mundweil und Claudia Soukup reflektierten in ihren Klassen die sprachliche Dimension des Heimatverlusts und das Schreiben in der Fremde bzw. in einer fremden Sprache. Somit lernten SchülerInnen die innovative Schreibweise von AutorInnen mit Migrationshintergrund und ihre wichtigsten Themen kennen. Sabine Fuchs startete an der Universität Graz ein Leseseminar für Lehramtsstudierende mit Kinder- und Jugendliteratur zum Thema „Das Fremde“. Gleichzeitig hat sie in ihrer Klasse in der BHAK Bruck an der Mur unterschiedliche Aspekte der Reise-Thematik (Flucht, Migration, Abenteuerreise) behandelt. 55 PROJEKTE Andrea Zikuling Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte Dojemanje lastnega in tujega: sti iš a in konflikti Percezione di sè e dell’altro: contatti e conflitti STECKBRIEF Das Projekt Wahnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte Schule BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt Benediktiner, St. Paul, Lavantal Klasse / SchülerInnen4a Teilnehmende Fächer Deutsch, Englisch, Italienisch, Slowenisch Bildnerische Erziehung Projektleitung Olga Gallob, Christian Sadnikar, Cristina Santoro-Siennik, Miha Vrbinc, Vera Wutti-Incko, Andrea Zikulnig 1. Einführung und Ausgangssituation Im Laufe des Bundesseminars zum Thema Weltliteratur im Unterricht im März 2011, an dem mehrere KollegInnen unserer Schule teilnahmen, konnten wir uns aufgrund des klaren Konzepts und Terminplans, der Fülle von Textbeispielen und Unterrichtsmodellen und der Zusicherung, dass das Pilotprojekt von Hajnalka Nagy begleitet werden würde, durchaus vorstellen mit einem kleineren Beitrag teilzunehmen. Während sofort feststand, mit welchen Klassen wir gerne daran arbeiten würden, waren das konkretere Thema, die Textauswahl und die Organisation zu diesem Zeitpunkt noch völlig unklar. Dieser „Rest“ musste an der Schule selbst ausgehandelt werden. Wir wussten damals nicht, dass damit ein Prozess ins Rollen gebracht wurde, dessen Dynamik weit größere Ausmaße annehmen würde. Nach der Eingrenzung und Formulierung des Themas waren wir LehrerInnen und SchülerInnen sensibilisiert für die Vielschichtigkeit der Problematik, mit der wir uns nicht nur lesend und interpretierend auseinandersetzen wollten. Workshops, Ausstellungen, Gespräche mit Menschen, die uns den Blick auf ihre - uns fremde - Lebenswelt öffnen konnten, wurden nach und nach, wie es sich eben ergab, in das Weltliteraturprojekt eingegliedert. Die damalige 5a Klasse, eine viersprachige Kugy-Klasse (Slowenisch und Deutsch, im gleichen Stundenausmaß, Italienisch und Englisch ab der 1. Klasse) hatte zu dem Zeitpunkt gerade ein Sozialprojekt erfolgreich beendet 56 und war bereit, sich im folgenden Schuljahr am Literaturprojekt mit dem Titel „Sich in die Welt hinaus lesen“ zu beteiligen. Da sich in dieser Kugy-Klasse neben zweisprachigen SchülerInnen aus Kärnten und SchülerInnen mit Migrationshintergrund auch mehrere „BildungsmigrantInnen“, d.h. SchülerInnen aus Italien befinden (die inzwischen ganz gut Deutsch und Slowenisch beherrschen), sind Mehrsprachigkeit, Multikulturalität und Weltoffenheit Voraussetzungen für einen erfolgreichen Unterricht. Zum einen bot sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsmustern des Eigenen und des Fremden, zum anderen eine Ausweitung zu einem fächerübergreifenden Projekt in allen vier Sprachen an. Man kann das Literaturprojekt sicher auch als vertiefende Ergänzung zu bereits etablierten Schulaustauschprogrammen, Sprachwochen und Auslandsaufenthalten werten: sich aus der Schule in die Welt hinaus lesen, sich neue Lebenswelten lesend aneignen. Zu Beginn des Schuljahres 2011/12 wurde in einer Sitzung der SprachlehrerInnen dieser Klasse das Thema auf Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte eingegrenzt und die Projektziele festgelegt. In Zusammenarbeit mit den SchülerInnen wurden die Texte ausgewählt. Festzuhalten ist, dass SchülerInnen und LehrerInnen die fächerübergreifende Kooperation in Form einer Abstimmung der einzelnen Klassenlektüren auf ein gemeinsames Thema als besonders motivierende Herausforderung erlebten. Das war nämlich neu. Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte PROJEKTE Der didaktisch-methodische Zugang blieb in Eigenregie des jeweiligen Sprachlehrers bzw. der jeweiligen Sprachlehrerin. Als Abschluss sollten die SchülerInnen im 2. Semester das Gesamtprojekt allen anderen ProjektteilnehmerInnen in Form einer dreisprachigen Zusammenschau präsentieren. Die Filmkomödie Almanya über türkische ArbeitsmigrantInnen im Deutschland der 60er Jahre setzt sich humorvoll mit Integrationsproblemen und Vorurteilen auseinander. Jedes Mitglied der Großfamilie ist auf der Suche nach seinem persönlichen Gleichgewicht zwischen Anpassung und den Traditionen der Herkunftskultur. Projektziele Horizonterweiterung durch Auseinandersetzung mit Gegenwartsliteratur Sprach- und Lesekompetenz erhöhen, Varietäten einer Sprache erfassen Unterschiedliche Positionen und verschiedene Wahrnehmungsmuster der Selbst- und Fremdwahrnehmung kennen lernen Literatur als Spiegelung gesellschaftlicher Wirklichkeiten erfassen Eigenen Umgang mit Sprach- und Kulturunterschieden reflektieren Mare nero ist ein Immigrationsroman, mit einem jungen Marokkaner auf der Reise in das gelobte Land Europa. Beschreibung der tragischen Situation der Flüchtlinge. Behandelte Werke Čefurji raus! behandelt die Migrationsthematik am Beispiel des Jugendlichen Marko und seiner Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden, seiner Identität, den Eltern, den Vorurteilen seiner Umwelt. Er ist ein talentierter Basketballer, hört aber mit dem Training auf und sitzt lieber mit seinen Freunden im Laibacher Stadtteil Fužine herum. Sein Vater schickt ihn daraufhin nach Bosnien, damit er das dortige Leben kennenlernt. Vojnovi bedient sich der sprachlichen Ausdrucksweise seines Protagonisten und schreibt in einer sehr realitätsnahen Mischsprache aus Slowenisch und Bosnisch. Es ist ein komplexes Bild der MigrantInnen und ihrer Probleme, mit viel bittersüßem Humor, wobei die Verantwortung aller für das Zusammenleben hervorgehoben wird. Die Verleihung des Kresnik-Preises für den besten slowenischen Roman des Jahres 2009 bedeutet eine besondere Anerkennung, die auch zu kontroversen Diskussionen geführt hat. Paradiesische Aussichten ist ein leicht lesbarer Jugendroman über das Alltagsleben in einer Pariser Vorstadt, erzählt aus der Perspektive der 15-jährigen Doria, die sich ihren Platz/ihre Identität zwischen ihrer Herkunftskultur und der Kultur des Einwanderungslandes suchen muss. Tauben fliegen auf erhielt 2010 den Deutschen Buchpreis. Es ist ein anspruchsvoller Roman über eine ungarische Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sich in der Schweiz emporarbeitet und sozusagen integriert. Die beiden Töchter wachsen im Dazwischen auf, sie erleben durch Erzählungen, Briefe und Anrufe aus der Distanz den Balkankrieg mit, Fremdes wird Eigenes, Eigenes wird fremd. Alessandro Barrico erzählt die Legende vom Ozeanpianisten Novecento, einem Findelkind, das um 1900 auf dem Dampfer Virginian zwischen Europa und Amerika unterwegs ist, ohne je das Schiff zu verlassen; Themen: Auswanderung, Musik, Freundschaft. The Outsiders gilt als der Klassiker der amerikanischen Jugendliteratur über zwei verfeindete Gangs, soziale Unterschiede, familiäre Vernachlässigung und familiären Zusammenhalt. Die folgenden Berichte stellen dar, wie in den einzelnen Fächern an den Projektzielen gearbeitet wurde. Es war spannend für uns zu sehen, welche Zugänge zum Thema aus den einzelnen literarischen Werken heraus entwickelt wurden. 2. Das Projekt im Slowenischunterricht (Dir. Dr. Mag. Miha Vrbinc) Im Rahmen des Leseprojekts „Sich in die Welt hinaus lesen“ wurde im Slowenisch-Unterricht der Roman Čefurji raus! von Goran Vojnovi gelesen und bearbeitet. Gründe für die Auswahl dieses Textes eine sehr erfolgreiche Rezeption im slowenischen Literaturraum Thematik: Jugendlicher mit Migrationshintergrund – Miteinander-Leben, Entwurzelung Sprache: Sprachmischungen von Bosnisch und Slowenisch – literarischer Umgang damit „Bildungsroman“, „Episodenroman“ Umgang mit Volksgruppen, MigrantInnen am Beispiel der Schreibung von Familiennamen in Dokumenten Themenkreise Goran Vojnovi verfasst Kolumnen auf www.dnevnik.si – Textsorte Kommentar, Leserbrief Sprache und Sprachvarianten: Soziolekte – Dialekte – Standardsprache Minderheiten- und Migrationsproblematik: Roma im 57 PROJEKTE Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte Burgenland, die slowenische Volksgruppe in Italien, bosnische MigrantInnen in Slowenien 3. Das Projekt im Deutschunterricht (Prof. Mag. Andrea Zikulnig) Bearbeitung Einzellektüre gemeinsame Lektüre Diskussion Gruppenarbeit: Bearbeitung von Zeitungstexten über den Roman Čefurji raus! Erarbeitung eines Fragebogens Im Deutschunterricht wurden Faiza Guènes Jugendroman Paradiesische Aussichten, Melinda Nadj Abonjis Roman Tauben fliegen auf und der Film Almanya behandelt. Werkstättenprojekt Während der Austauschwoche mit dem Vega-Gymnasium aus Ljubljana wurde im Rahmen des Unterrichts ein Werkstättenprojekt durchgeführt: Dabei wurden die SchülerInnen in gemischte Gruppen geteilt und absolvierten einen Stationenbetrieb: Im Workshop hörten sich die SchülerInnen das Märchen Rotkäppchen im slowenischen Gailtaler Dialekt an; anhand einer Karte der Gemeinde Schiefling/Škofie wurde ihnen das Sammeln und Aufzeichnen von slowenischen Haus- und Flurnamen erklärt. Gruppenweise wurde ein Deutsch- bzw. Italienischkurs durchgeführt. die SchülerInnen lesend Gegenwelten kennen lernen sollen ihnen der Zugang durch eine teilweise Identifikation mit jugendlichen Ich-ErzählerInnen leichter fällt. Zum Roman von Goran Vojnovi gab es einen Fragebogen, der in gemischten Kleingruppen bearbeitet wurde. Aus den Ergebnissen dieser Fragebögen ist ersichtlich, dass den SchülerInnen aus Ljubljana der Roman durchwegs bekannt war, gelesen haben ihn aber nur wenige. Informationen über den Text erhielten sie aus den Medien, in denen der Roman – aufgrund seines Leseerfolges – intensiv behandelt worden war. Bezugspunkte zum Inhalt – MigrantInnen in Ljubljana, vor allem im Stadtteil Fužine – konnten hergestellt, jedoch nicht mit eigenen Begegnungserfahrungen verknüpft werden. Ausgehend von einer vergleichenden Analyse der Titelseiten der französischen und deutschen Ausgabe wurde versucht, die Erwartungshaltung der jungen LeserInnen in Frankreich und im deutschsprachigen Raum zu beschreiben. Gelesen wurde das Werk zuhause. Anschließend bearbeiteten die SchülerInnen in Gruppen verschiedene Themenkreise: den historisch-politischen Hintergrund, die soziale Problematik in den Pariser Vororten und die Antwort der Politik, die Sprache des Jugendromans, die Erzählperspektive, Eigenes und Fremdes in der Welt der Erzählerin Doria. Bei der Präsentation des Romans wurde vor allem der Inhalt – Entwicklung der Hauptfigur – vorgestellt und auf die Schwierigkeiten beim Lesen – der Roman ist in einer eigenständigen, die Sprachwirklichkeit der Protagonisten abbildenden Sprache verfasst – hingewiesen. Melinda Nadj Abonjis Roman Tauben fliegen auf, der Erfahrungen von Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz behandelt, wurde zwar auf die Leseliste gesetzt, aber von den meisten SchülerInnen als Grundlage für eine vertiefende Auseinandersetzung abgelehnt. Einigen erschien es als „zu schwierig“, anderen als „zu fad“. Aus dem Fragebogen zum Abschluss des Projekts jedoch geht hervor, dass etwa die Hälfte der Klasse das Buch (aus Neugierde?) gelesen hat. Bei diesem Roman ist es sehr wichtig, sich vor allem auf die verwendete Sprache »einzulassen«, da sie ein wichtiges Abbild der Lebenswirklichkeiten darstellt. Insofern konnte durch die (slowenisch-deutsche bzw. slowenischitalienische) Zweisprachigkeit der SchülerInnen stärker darauf eingegangen werden; SchülerInnen, die Slowenisch als Zweit- oder Drittsprache lernen, hatten hierbei eher Verständnisschwierigkeiten. Thematisch konnte der Roman in das Gesamtthema Migration eingeordnet werden. 58 Wichtige Kriterien für die Auswahl der Lektüre waren die Überlegungen, dass Arbeit mit den Büchern Faiza Guènes Jugendromanbestseller Kiffe kiffe demain, der im Milieu maghrebinischer Einwanderer in der Pariser Banlieue spielt, liegt in deutscher Übersetzung (Paradiesische Aussichten) in einer Textausgabe mit Materialien, Arbeitsheft und Informationen für LehrerInnen vor. Da Jugendkultur heute wesentlich durch Filme und Musik geprägt wird, wurde das dritte Immigrantenschicksal mit Almanya erarbeitet, einer Filmkomödie über die Einwanderung türkischer Arbeiter in den sechziger Jahren nach Deutschland1. Zunächst wurden bereits in der 5. Klasse erworbene Kenntnisse über die Sprache des Films wiederholt und Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte anhand eines Beobachtungsbogens Erzähltechnik, filmische Mittel und die zentralen Themen des Films bearbeitet. Im Mittelpunkt standen die humorvolle Darstellung von deutsch-türkischen und türkisch-deutschen Klischees und die Antworten der einzelnen Mitglieder der Familie auf die Frage der eigenen Identität2. Wie bereits erwähnt, entstand durch die intensive Beschäftigung mit der Lektüre eine eigene Dynamik. In den Schulalltag wurden Veranstaltungen zu Themenkreisen „Migration“, „Fremdsein“, „Leben in mehreren Kulturen“ und „Leben am Rande der Gesellschaft“ integriert: IMPORT/EXPORT – eine Schreibwerkstatt mit Ernst Schmiederer in Zusammenarbeit mit dem Verlag Wieser. Thema: Autobiografisches Schreiben, Erzählungen von Migration und Mobilität, Wir. Berichte aus dem neuen OE, www.wirberichten.at Wanderausstellung Migration on Tour (Demokratiezentrum Wien und Initiative Minderheiten) mit Führung in der Aula der Universität Klagenfurt (www.migrationontour.at, www.demokratiezentrum.org) Thema: Aktuelle Zuwanderungstrends und historische Migrationsmuster, Asyl, Aufenthalts-und Arbeitsrecht, Einbürgerungspolitik und Integration Schulveranstaltung für die Oberstufe: Gespräch mit Harry Stojka über Roma in Österreich (3.11.2012) Schularbeit: Vier von zehn Jungen sagen: „Zu viele Türken“ http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/ 716836/vier-von-zehn-Jungen-sagen_Zu-viele-Tuerken (14.12.2011) – bifie Kulturkontakt, Kulturkonflikt und Zwei- und Mehrsprachigkeit sind wesentlich für unser Schulprofil und prägen unseren Schulalltag. Es war daher eine willkommene Herausforderung für uns, den Blick „über den Tellerrand hinaus“ zu wagen, uns auf die Suche nach dem Eigenen im Fremden und dem Fremden im Eigenen zu machen, indem wir uns lesend auf die Reise durch Lebenswelten von jugendlichen Figuren machten, die im Spannungsfeld verschiedener Kulturen heranwachsen. Durch die Verknüpfung der Lektüre mit Recherchen über historisch-politische Hintergründe wurde versucht, Literatur auch als Spiegelung von Lebenswirklichkeiten zu verstehen, die in Hörfunk, Fernsehen, Presse, Internet dem jeweiligen Medium entsprechend aufbereitet und präsentiert werden. PROJEKTE 4. Das Projekt im Englischunterricht (Prof. Mag. Vera Wutti-Incko) Im Zentrum des Englisch-Projektes stand das Buch von Susan Hinton: The Outsiders. Gründe für die Auswahl dieses Textes Sehr geeignet für die 6. Klasse (10. Schulstufe), in der nur 2 Wochenstunden Englischunterricht stattfinden. Sehr geeignet für eine Klasse mit hohem Buben-Anteil, da die Protagonisten aus dieser Gruppe sind, und viele Themen im Focus sind, die Buben stark ansprechen. Interessante Impulse die Methodik betreffend und sehr gute Arbeitsblätter aus einem Begleitheft stehen zur Verfügung. Im Zentrum standen folgende Themen und die Erörterung folgender Haltungen: Perspektivenwechsel: Wie sieht ein Sachverhalt aus dem Blickwinkel der verschiedenen Protagonisten aus? Kann ich das Verhalten der anderen nachvollziehen/ verstehen? Erarbeiten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Mitglieder der zwei verfeindeten Gangs Entstehen von Vorurteilen/Stereotypen Strukturelle Gewalt führt zu gesteigerter Aggression Jugendlicher Zur Dokumentation aller Arbeitsschritte und des bearbeiteten Materials gestaltete jede/r Schüler/in eine eigene Arbeitsmappe als Vorbereitung für die mündliche Matura. Als Abschluss: Film „The Outsiders“ Schularbeit: Erörterung zu Beispielen aus dem Text Es zeigte sich, dass diejenigen SchülerInnen, die während des Projekts selbstverantwortlich und engagiert mitgearbeitet hatten, tatsächlich ein umfassenderes, tieferes Verständnis für die Themen wie Gangviolence, Gewalt in der Familie, Wurzeln von Vorurteilen, Freundschaft und Loyalität, soziale Ungleichheit etc. bekommen hatten. 5. Das Projekt im Italienischunterricht (Prof. Mag. Cristina Santoro-Siennik) Die Ausgangstexte im Italienischunterricht waren Textausschnitte aus dem Buch Mare nero von Gianni Paris und Alessandro Bariccos Novecento. Am Projekt haben auch die LehrerInnen Mag. Olga Gallob und Mag. Christian Sadnikar mitgewirkt. Somit war neben dem Fach Italienisch (1WS) auch die Bildnerische Erziehung – Immersion Italienisch (1 WS im 2. Semester) beteiligt. 59 PROJEKTE Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte Ziele Kennenlernen der Migrationsbewegungen und Beweggründe für Migration Anfang des Jahrhunderts und heute Entwickeln von Verständnis für Kulturen als Mosaik aus Erfahrungen, Gebräuchen, Traditionen, Sprachen, Lebensgewohnheiten, usw. Entwicklung einer Haltung des Respekts gegenüber Menschen, die einen anderen kulturellen Hintergrund haben Erkennen des Wertes der kulturellen Identität Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und der eigenen kulturellen Herkunft Bereicherung des Wortschatzes Verbesserung der Lese- und Schreib- und Sprachkompetenz in Italienisch Den Verlauf des Projekts in 15 Einheiten siehe im Anhang. 6. Bildnerische Erziehung (Prof. Kristijan Sadnikar, Prof. Mag. Cristina SantoroSiennik) In diesem Fach wurde die Power-Point-Präsentation im Rahmen der Gesamtpräsentation aller Schulprojekte (20. April 2012) vorbereitet: a) Jede/r Schüler/in macht sich Gedanken darüber, was in einem bestimmten Fach gemacht wurde bzw. was sie/ er mitnehmen konnte, was sie/ihn besonders angesprochen hat. Außerdem werden die SchülerInnen gebeten eine Reflexion über die gelesenen Werke zu schreiben. b) Gruppenarbeit: Jede Gruppe beschäftigt sich mit einem Fach und tauscht sich mit Hilfe der oben genannten Impulse über die Gestaltung der Präsentation aus. c) Teile der Präsentation werden vorbereitet. Einige SchülerInnen befassen sich dann mit der Einführung und mit dem Schlusswort, ein EDV-technisch begabter Schüler stellt die einzelnen Beiträge zusammen. Erst zu diesem Zeitpunkt werden allen Beteiligten das Ausmaß und die Tiefe des Projektes bewusst. 7. Fazit Zum Abschluss des Projekts erhielten die SchülerInnen einen Reflexionsbogen, aus dem hervorgeht, dass die Filme und Verfilmungen am meisten Anklang gefunden haben. Alle ausgewählten Texte befinden sich in der Skala 60 etwa im Mittelfeld, bis auf Susan Hintons The Outsiders, ein Werk, das aufgrund des straffen Spannungsbogens mehr Anklang findet. Interessant ist auch, dass Melinda Nadj Abonjis Tauben fliegen auf zwar im Unterricht nicht näher bearbeitet wurde, nachdem es ein Großteil der männlichen Schüler abgelehnt hatte, dass aber etwa die Hälfte der Klasse (wahrscheinlich die Schülerinnen, die begeisterte Leserinnen sind) den Roman „für sich“ gelesen und auch gut gefunden hat. Meinungen der beteiligten SchülerInnen Durch dieses Projekt/ Od tega projekta… haben wir viel Neues über Migration und MigrantInnen gelernt. smo zvedeli ve o imigraciji in imigrantih. sind wir aufmerksamer für Stereotype und versuchen, Vorurteile gegen andere Kulturen, Sprachen und Religionen zu vermeiden. smo bili razo arani o slabih izkušnjah migrantov. schauen wir mit anderen Augen auf die Welt. smo se soo ali z zgodbami njihovega trpljenja. The project has given us access to other cultures. e ha aperto la nostra mente, rispetto a nuove realtà, non sempre piacevoli. Die Eigendynamik des Projekts ist eine positive Erfahrung, die uns alle – SchülerInnen wie LehrerInnen – überrascht hat. Ein zentraler Punkt dabei war der gegenseitige Austausch über die Werke, die wir ausgewählt hatten. Dadurch erschien die Einbindung von thematisch passenden Veranstaltungen allen sinnvoll und ergab sich fast selbstverständlich. Die Führung durch die Ausstellung „Migration on Tour“ beispielsweise lieferte eine übersichtliche, informationsreiche Ergänzung zum literarisch bearbeiteten Phänomen der Migration. Im Workshop IMPORT/EXPORT mit Ernst Schmiederer wurde durch autobiografisches Schreiben die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema möglich. Migration wurde von so manchem Schüler/ mancher Schülerin nun auch als Teil der eigenen Familiengeschichte entdeckt und im Klassenzimmer bewusst gemacht. Das Gespräch mit Harry Stojka über Roma in Österreich lenkte die Aufmerksamkeit der SchülerInnen auf die Situation anderer österreichischer Minderheiten. Unsere Themenwahl hat sich also – nicht nur in den Augen der beteiligten LehrerInnen – als griffig und passend erwiesen. Migration und Kulturkontakt als Phänomene zu verstehen, die eine Gesellschaft verändern und bereichern, ist uns ein Anliegen. Wäre es allerdings bei einem bescheideneren Projekt geblieben, hätten wir es auch in Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte PROJEKTE Ordnung gefunden. Zudem ist zu erwähnen, dass wir – in Zeiten der hektischen Vorbereitungen auf die Zentralmatura – zumindest im Deutschunterricht Texte und Textsorten für die Schularbeiten im Angebot des Bifie finden konnten, die sich ins Projekt inhaltlich einfügten. Wesentlich für die Bedeutung, die die SchülerInnen der Projektarbeit beimaßen, waren die Zusammenarbeit mit der Universität Klagenfurt, vor allem aber die Präsentation im Musil-Haus, da die Jugendlichen diese wichtige Institution der erwachsenen LeserInnen-Welt für sich „erobern“ konnten. Außerdem waren unsere SchülerInnen neugierig auf die Projekt-Präsentationen ihrer Wiener AltersgenossInnen, durch die sie viele Anregungen (vor allem Buchtipps) erhielten. Ein Termin während der Unterrichtszeit wäre allerdings sinnvoller gewesen, da es schwierig war, die auch in ihrer Freizeit kulturell und sportlich aktiven SchülerInnen für den Freitagnachmittag zu gewinnen. Es hat sich herausgestellt, dass ein einfaches Konzept – nämlich die Klassenlektüre in den einzelnen Sprachfächern auf ein Thema abzustimmen – für alle Beteiligten sehr ertragreich sein kann. Dieses simple „Rezept“ empfehlen wir interessierten KollegInnen weiter. Literatur Baricco, Alessandro (1994): Novecento. Mailand: Feltrinelli. Guastalla, Carlo (2001): Giocare con la letteratura.Firenze: Alma edizioni. Guène, Faïza (2004): Kiffe kiffe demain. Paris: Hachette Littérature. Guène, Faïza (2009): Paradiesische Aussichten. Aus dem Französischen von Anja Nattefort. Diesterweg: Westermann Schrödel. (=Texte. Medien. Hrsg. v. Annett Davideit, Peter Petrovi. Textaus gabe mit Materialien) Hinton, Susan (2000): The Outsiders. USA: Penguin. Paris, Gianni (2006): Mare nero. Milano: Ediarco (= collana L’Italia che guarda). Vojnovi, Goran (2008): Čefurji raus! Ljubljana: Študentska založba. Weblinks [alle Zugriff am 30.10.2012] http://www.almanya.de www.demokratiezentrum.org http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/716836/viervon-zehn-Jungen-sagen_Zu-viele-Tuerken www.dnevnik.si info@importundexport.at www.migrationontour.at http://www.sehinton.com www.wirberichten.at http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.reif/IKL%20Handbuch.pdf 61 PROJEKTE Alexandra Mundweil, Claudia Soukup Sich in die Fremde hineinschreiben. Sprache ist nicht nur Sprache. Leben und Schreiben in einer neuen Welt STECKBRIEF Das Projekt Sich in die Fremde hineinschreiben Schule BG 18 Klostergasse Klostergasse 25, Wien Klasse / SchülerInnen 7b (14 SchülerInnen) Teilnehmende Fächer Deutsch, Englischh Projektleitung Alexandra Mundweil, Claudia Soukup 1. Einführung und Ausgangssituation Die Klasse 7b wird mit Englisch als Schwerpunkt geführt, d.h. dass die SchülerInnen seit der 1. Klasse Englisch als Arbeitssprache verwenden. In der Klasse sind fast ausschließlich SchülerInnen mit Deutsch als Muttersprache zu finden. 2. Das Projekt Das Projekt wurde vor allem in Englisch und Deutsch durchgeführt. Einzelne Aspekte (z.B. die Geschichte Hong Kongs und die Geschichte Bulgariens bzw. des ehemaligen Ostblocks) wurden auch in Geschichte und Politische Bildung erarbeitet. geschärft werden. Dies erscheint doch in einer multikulturellen Gesellschaft und somit auch im Schulumfeld als extrem wichtig. Eine wesentliche Fragestellung war, inwiefern Sprache auch „Heimat“ ist. Behandelte Literatur: Im Englischunterricht wurde der Roman Girl in Translation von Jean Kwok gelesen. Die Hauptfigur ist die elfjährige Kimberly Chang, die mit ihrer Mutter aus Hongkong nach New York auswandert. Das Buch schildert das schwierige Leben der ZuwandererInnen, die mit mangelnden Sprachkenntnissen in einer völlig fremden Welt ohne Geld zurechtkommen müssen. (vgl. dazu www. amazon.de) Lehr- und Lernziele Im Deutschunterricht stand Dimitré Dinevs Erzählband Ein Licht über dem Kopf im Zentrum. Die Geschichten drehen sich um Menschen unterschiedlichster Herkunft, wechselnde Schauplätze und Lebenssituationen. Wie es ist, an der Grenze zu leben, immer unterwegs zu sein und seines Selbst nicht sicher zu sein, erzählt Dinev „mit viel Humor in einer ebenso prägnanten wie poetischen Sprache“, indem er auch „den Heimatlosen eine Sprache [gibt]“. (vgl. http://www.hanser-literaturverlage.de) Wir wollten in dem Projekt aufzeigen, wie Kultur und vor allem Sprache unsere Wahrnehmung prägen. Diese beiden Bücher wurden parallel in Englisch und Deutsch erarbeitet. Globalisierung war in dieser Klasse bereits zu einem früheren Zeitpunkt im Geographieunterricht ein wesentlicher Themenschwerpunkt. Somit konnte in der Auseinandersetzung mit der ausgewählten Literatur auf beachtliches Hintergrundwissen der SchülerInnen zurückgegriffen werden. Darüber hinaus sollte die Aufmerksamkeit auf kulturelle Missverständnisse gelenkt und das Bewusstsein dafür 62 Sich in die Fremde hineinschreiben. 3. Der Projektablauf im Englischunterricht (Claudia Soukup) Im Zentrum des Unterrichts stand Jean Kwoks Girl in Translation. In diesem Buch geht es um ein Mädchen aus Hong Kong, das mit seiner Mutter nach New York kommt. Die Mutter spricht überhaupt kein Englisch, das Mädchen nur ein paar Brocken. Methoden Es wurden diverse Methoden aus der Dramapädagogik – drama in education – angewandt. Diese ermöglichen ein direktes Erleben, nehmen Bezug auf Vorkenntnisse der SchülerInnen, machen Erfahrungen erlebbar und lassen die SchülerInnen zu AkteurInnen werden. All dies erfolgte in einer Mischung aus Einzel-, Paar- und Gruppenarbeit. 3.1 Erste Einheit (erste Woche, erstes Drittel) Bearbeitung der Ausschnitte anhand des Arbeitsblattes in Partnerarbeit (siehe Anhang) Überprüfung von Leseverständnis; Interpretationsarbeit erstes Eingehen auf kulturelle Unterschiede, kulturelle Missverständnisse, culture clash zusätzliche Erkenntnis: Sprache ist mehr als ein reines Verständigungsmittel (z. B. erscheint uns die chinesische Sprache viel blumiger, es wird viel mehr umschrieben, weniger direkt angesprochen – dies spiegelt sich auch im Verhalten wider) 3.2 Zweite Einheit (zweite Woche, zweites Drittel) In Zweier- oder Dreiergruppen ziehen die SchülerInnen von der Lehrerin ausgewählte Szenen, die sie nach Vorbereitung vorführen müssen. Dabei geht es nicht darum, Texte auswendig zu lernen (oft sind die Dialoge sowieso nicht im Text ausgeführt), sondern darum, sich in die Szene hineinzuversetzen (dabei befassen sich die SchülerInnen noch einmal intensiv mit der Situation). Ausgewählte Szenen: Dr. Weston and Kimberly: the first interview (pp. 103 – 106) Kimberly, her mother and Aunt Paula: the arrival of the acceptance letter (pp. 113 – 115) Kimberly, her mother and sales assistant: at Macy’s (pp. 136 – 138) Kimberly and Aunt Paula: dinner at Aunt Paula’s house (pp. 142 – 143) Dr. Copeland, Kim and Curt: the cheating episode (pp. 150 – 152) PROJEKTE Kim, her mother and Matt: in the musical instrument store (pp. 170 – 171) Kim and Annette: talk about Kim’s home and the factory (pp. 178 – 180) Kim, Matt and his father: at the gambling table (pp. 192 – 195) 3.3 Dritte Einheit (dritte Woche, drittes Drittel) Partnerarbeit Kurzbeschreibung (ein paar Wörter bis maximal ein Satz) von 10 key scenes aus dem letzten Drittel in chronologischer Reihenfolge Diese werden von der Lehrerin gesammelt und dienen als Basis für einen Schnelldurchlauf des Geschehens. Methode SchülerInnen im Kreis, zählen auf drei durch; Lehrerin liest key scene vor und nennt dazu eine Zahl (1 bis 3), alle SchülerInnen mit dieser Zahl müssen in der Mitte des Kreises (ohne Absprache) diese Szene in einem Standbild darstellen. Dabei ist der Kreis in ständiger Bewegung, damit alle anderen die Möglichkeit haben, das Standbild von allen Seiten zu betrachten. Auf Hinweis der Lehrerin löst sich Standbild wieder auf und die nächste Szene wird aufgerufen. Mit dieser Methode kann man einen bereits bekannten Text im Schnelldurchlauf noch einmal für alle vergegenwärtigen. Die SchülerInnen müssen dabei präsent sein und agieren bzw. erleben Szenen als ZuschauerInnen. Zusätzlich Lektüre und Besprechung der Texte Cultural Misunderstandings und Resolve cross-cultural misunderstandings (siehe unter http://www.psychologytoday.com und http://sielearning.tafensw.edu.au/MCS/9362/Sterilisation%20disk%203/lo/7374/7374_00.htm). Bezugnahme auf den Film Almanya, den die Klasse gesehen hat und dessen Inhalte sowohl in Deutsch als auch in Englisch besprochen und aufgearbeitet wurden. 4. Projektablauf im Deutschunterricht (Alexandra Mundweil) Im Deutschunterricht wurde der Erzählband Ein Licht über dem Kopf von Dimitré Dinev gelesen. Zusätzlich zu dieser Lektüre wurde Dimitré Dinevs biografischer Hintergrund beleuchtet. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Tatsache gelegt, dass er seine Werke in deutscher Sprache schreibt und veröffentlicht. 63 PROJEKTE Sich in die Fremde hineinschreiben. 4.1 Erste Projektphase Im Zuge der Auseinandersetzung mit diesem Schriftsteller widmeten wir uns auch der allgemeinen Analyse der Funktionen literarischen Schreibens: Wozu schreiben Menschen? Unter anderem wurden dabei folgende Motive besprochen: a) Literatur, die einen Zweck verfolgt: wenn man sich beim Rasieren schneidet, gebraucht man die Muttersprache.“ (Eddie Constantine (1917-93), frz. Schauspieler) „Mit jeder Sprache, die du erlernst, befreist du einen bis daher in dir gebundenen Geist.“ (Friedrich Rückert (17881866), dt. Dichter) „Sprache ist keine Heimat, man nimmt eine Sprache ja mit in ein anderes Land.“ (Herta Müller (*1953), LiteraturNobelpreisträgerin) Selbstfindung / Selbstentäußerung (sich etwas „von der Seele schreiben“) Kritik / Aufklärung (provozieren, aufmerksam machen, verstören, irritieren) Erinnerung („Literatur als Gedächtnisort“) Beispiel geben / belehren (?) Unterhaltung / Entspannung (aus der Realität fliehen, in fremde Welten entführen) Geld verdienen, berühmt werden erfreuen, beeindrucken (durch Kunst, Schönheit der Sprache) „Ich habe entschieden deutsch zu schreiben, weil das die Sprache ist, mit der ich beschimpft und geliebt werde, die Sprache, mit der ich mein Brot kaufe und meine Arbeit gesucht habe – und vor allem die Sprache, die ich jeden Tag auf der Straße höre!“ (Dimitré Dinev) b) zweckfreie Literatur (l’art pour l’art – „Die Kunst ist frei von Dienst“) Zur Ergänzung und Vertiefung wurden weiters die Begriffe „Heimat“, „Identität“, „Sprache“ und auch „Migrationsliteratur“ definiert und erklärt. Ein Impulstext zu diesem Thema war das Interview „Leben retten. Dimitré Dinev über die Bedeutung von Literatur, das gesprochene Wort und überraschendes Handeln“ (in: Die Furche, 22.07.2004). Für Dimitré Dinev ist die Sprache der Inbegriff für Heimat an sich. Als Basis für die Diskussion, was Sprache bedeutet und inwiefern Sprache auch „Heimat“ sein kann, dienten folgende Zitate: „Es ist ein langer Weg, bis man in die Fremde gelangt, aber noch länger ist der Weg der Hand bis zur Feder. Sollte man aber auch diesen gehen und das erste Wort niederschreiben und danach das nächste, bis das Blatt genauso schwarz wie weiß ist, sollte man also eines Tages doch in der Fremde weiterschreiben, oder auch erst damit beginnen, dann hat man das begriffen, was jeder Autor irgendwann erfährt, nämlich, dass das Wort seine Heimat ist.“ (Dinev 2004, S. 210) „Jede neue Sprache ist wie ein offenes Fenster, das einen neuen Ausblick auf die Welt eröffnet und die Lebensauffassung weitet.“ (Frank Harris (1856-1931), amerik. Schriftsteller) „Man kann noch so viele Fremdsprachen beherrschen – 64 4.2 Zweite Projektphase Die Begriffe „Kultur“, „kulturelle Identität“ und „Kulturpyramide“ wurden gemeinsam im Unterricht erarbeitet (s. Arbeitsblätter im Anhang und weiterführende Materialien in Thaler 2010). Methode Recherchearbeit in der Schulbibliothek Die anschließenden Präsentationen in Kleingruppen (in Form von kurzen Impulsreferaten) boten Raum für weitere Diskussionen. 4.3 Dritte Projektphase Im Mittelpunkt in dieser Phase stand Parallelen, ein Kurzspielfilm (1995; 6 Minuten) von Sawat Ghaleb. (vgl. http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf ) Methode: Besprechung und Interpretation des Films. Was sind Vorurteile? Woher kommen sie? Inwiefern lassen wir uns von unserem „ersten Eindruck“ täuschen? Formen der Kommunikation – verbal vs. nonverbal Weiteres Beispiel: Angelika Obert: Ein Fall von Ausländerfeindlichkeit (s. Arbeitsblatt im Anhang) Kreatives Schreiben (sich in andere Menschen und fremde Situationen hineinversetzen) Sich in die Fremde hineinschreiben. PROJEKTE 4.4 Abschluss Den Abschluss des Projekts bildete eine schriftliche Reflexion der Thematik anhand eines weiteren Impulstextes von Dimitré Dinev: In der Fremde schreiben. 5. Fazit Das Projekt „Sich in die fremde Welt hinein schreiben“ war sehr anspruchsvoll, da sich die SchülerInnen sehr intensiv mit den unterschiedlichsten Aspekten des Themas beschäftigen und verschiedene Perspektiven in der Auseinandersetzung mit der ausgewählten Literatur in Betracht ziehen mussten. Gleichzeitig wurde das Projekt mit großer Begeisterung und viel Engagement angenommen. Unser Ziel, das Bewusstsein für kulturelle Unterschiede zu schärfen, haben wir auf jeden Fall erreicht. Auch ist ein Gefühl dafür entstanden, wie schwierig es ist, nicht nur in einer neuen Heimat, sondern darüber hinaus auch in einer neuen Sprache Fuß zu fassen. Literatur Dimitré Dinev (2004): „In der Fremde schreiben“. In: Klaus Schenk (Hrsg): Migrationsliteratur. Schreibweisen einer interkulturellen Moderne. Tübingen, Basel: Fancke; S. 210 Dinev, Dimitré (2006): In der Fremde schreiben. In: Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Literatur und Migration. Sonderband text + kritik IX, S. 209 f. Dinev, Dimitré (2007): Ein Licht über dem Kopf. München: btb. Duden (2007): Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Duden Bd. 7. Mannheim: Dudenverlag. Kwok, Jean (2010): Girl in Translation. Riverhead Obert, Angelika (o.J.): Ein Fall von Ausländerfeindlichkeit. (http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf ) Thaler, Karin (Hrsg., 2010): Praxismappe Globales Lernen. Globalisierung verstehen: Menschen – Märkte – Politik. Methoden für den Unterricht (Sekundarstufe II). Wien BMUKK/ BAOBAB. Philosophisches Wörterbuch. Stuttgart: Kröner 1991. Schwens-Harrant, Brigitte (2004): „Leben retten. Dimitré Dinev über die Bedeutung von Literatur, das gesprochene Wort und überraschendes Handeln“. In: Die Furche, 22.07.2004. Links [Zugriff am 30.10.2012] http://www.psychologytoday.com http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch. html?isbn=978-3-552-06000-5 http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf http://sielearning.tafensw.edu.au. 65 PROJEKTE Sabine Fuchs In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten STECKBRIEF Das Projekt In die Welt lesen das Tor zur Welt durchschreiten SchuleBHAK Bruck/Mur Universität Graz Klasse / SchülerInnen 3. und 4. Klasse (eine studentische Gruppe) Teilnehmende FächerDeutsch Projektleitung Dr. Sabine Fuchs „Lesen ist neben anderen Dingen vor allem zweierlei: Entwicklungspsychologisch ist es ein Schritt in Richtung persönliche Autonomie, der in seiner Tragweite nur mit dem Laufen Lernen und mit dem Spracherwerb vergleichbar ist. Geradeso wie das freie Gehen die unterstützende Hand der Eltern überflüssig macht und das eigene Sprechen die exklusiven Dolmetscherrechte von Mutter und Vater erlöschen lässt, öffnet die Fähigkeit zu lesen erst eigentlich das Tor zur Welt“ (Hochgatterer 2012, S. 83f.) Besser als Paulus Hochgatterer es in seiner Züricher Poetikvorlesung tut, kann das Potential des Lesens nicht beschrieben werden. Wenn also das Lesen das Tor zu Welt öffnet, dann gehen wir mit Literatur in diese hinein. Und diesen Ausflug in fremde Welten habe ich mit meinen SchülerInnen und StudentInnen unternommen. Hier nun der Reise- bzw. Lesebericht. 1. SchülerInnenreise in die neuere deutschsprachige Literatur (mit Abzweigungen) 1.1 Vorbereitungen Die SchülerInnen einer dritten und vierten Klasse an der Bundeshandelsakademie Bruck/Mur1 sind nicht gerade die begeisterten Reisenden in Sachen Literatur. Für sie – wobei einige von ihnen selbst oder ihre Eltern MigrantInnen sind – suchte ich Literatur, die entweder von Migration erzählt oder von MigrantInnen geschrieben wurde. Zugleich stellte ich Unterlagen, die den StatusQuo der Migration von Österreich beschreiben, bereit, 66 um für den Ballonflug der Literatur die erdende Basis zu liefern. Die unterschiedlichen Arbeitsaufträge, Gruppenarbeiten2 und auch klassenübergreifende Aktionen über MOODLE sollten die Erkundungen möglichst abwechslungsreich machen. Die Beschäftigung mit literarischen und faktischen Texten sollte mehrere Kompetenzen der SchülerInnen festigen: Texte formal und inhaltlich erschließen (z.B. Textanalyse), sich mit Texten kritisch auseinandersetzen (z.B. Interpretation), Texte in Kontexten verstehen (z.B. Textvergleich), Texte verfassen und einfache wissenschaftliche Techniken anwenden (z.B. Zitierregeln). Produktorientierte Aufgaben sollten es den SchülerInnen erleichtern, literarische Verfahrensweisen durch eigenes kreatives Schreiben zu erkennen. Für die Einübung all dieser Kompetenzen aus den Bereichen Lesen und Schreiben habe ich den Deutschunterricht, der an den Handelsakademien auch den Kulturbereich3 abdeckt, fast das gesamte erste Schulhalbjahr unter das Motto „In die Welt lesen“ gesetzt. 1.2 Die didaktische Route4 Die Aufgabenformate sind so gewählt, dass schon Gelerntes und individuelle Stärken ebenso zum Tragen kommen wie das Einüben in Neues, bekannte Schreibaufgaben mit ungewöhnlicher Thematik sollen mit erst zu Übendem ergänzt werden. Ausgehend von subjektiven Erfahrungen, Einstellungen In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten zum „Fremden“ führt der Weg über die Erarbeitung sowohl neuer Informationen als auch Empathie ermöglichendes Lesen von Literatur hin zu einem reflektierten Wissen, das sich in den Texten spiegelt. Ein individuelles Lesetagebuch soll die aufmerksame Lektüre erleichtern, Schwierigkeiten mit dem Text dokumentieren und für spätere Diskussionen und Arbeiten zur Verfügung stellen. Erworbene Schreibroutinen, wie z.B. das Wie einer umfassenden Charakterisierung, einer Zusammenfassung, die Zuhilfenahme schon geübter kreativer Techniken wie der Mind-map, Brain-Storming erleichtern das Erlernen und Trainieren neuer Schreibhandlungen. Dazu zählen die Analyse und Interpretation fiktionaler Texte sowie die Rezension. Produktive Texterschließungsstrategien (Paralleltext, Leerstellen füllen, Vor- bzw. Nachgeschichte schreiben) sollen vor allem das schon etablierte eigene Konzept aufbrechen und den individuellen Zugang verschriftlichen, aber auch das Kopieren von schon existierenden Texten (Inhaltsangaben auf den Homepages) ausschließen. Durch das Feed-back der Gruppenmitglieder als auch durch meine Rückmeldungen zu den einzelnen Texten soll eine Überarbeitung der eigenen Texte forciert werden. Wie weit sich nun das subjektive Konzept über die zusätzlichen Informationen und die praktische Textarbeit erweitert oder gar verändert hat, kann über eine ernsthafte schriftliche Reflexion des gesamten Prozesses für den Lernenden selbst und für mich als Lehrperson sichtbar werden. Eine Herausforderung - sowohl für mich als auch für die SchülerInnen - stellt die klassenübergreifende Diskussion über die Einschätzung von Literatur nach Lektüre in zwei Unterrichtsstunden dar. Das Verfahren greift alltägliche Routinen auf (Chatten), stellt sie aber in einen neuen Kontext, d.h. vor allem, den SchülerInnen wird bewusst, dass ihre Meldungen zum „Unterricht“ zählen wie eine Aufgabe und deshalb reflektierter sein sollten. Einige der Instruktionen sind als COOL-Aufträge nachlesbar, viele andere sind mündlich als Hausübung bzw. als Aufgabenstellungen im Unterricht nicht grafisch dokumentiert. Prinzipiell bestehen die Instruktionen aus einer individuellen Denkleistung (mit Notizen) – d.h. der Prozess ist für alle verbindlich – gefolgt von Recherche oder Vergleichen mit den KollegInnen und abschließend einer produktorientierten Aufgabenstellung (allein, im Unterricht auch zu zweit oder in der Gruppe). PROJEKTE Staniši, Der Klang der Fremde von Kim Thúy, Scherbenpark von Alina Bronsky und Tschick von Herrndorf boten den ersten Eindruck für die weitere Lektüre. Ein weiteres Buch, Die Hymne auf ein liederliches Leben, kam über eine Lesung des Autors Francesco Madeo, der besonders die jungen ZuhörerInnen in seinen Bann zog, hinzu. Behandelte Literatur Alina Bronskys Scherbenpark handelt von Sascha Naimann, einem siebzehnjährigen Mädchen, das trotz ihres jungen Alters schon eine richtige Erwachsene ist. Nach der tragischen Ermordung ihrer Mutter und deren Lebensgefährten muss sie sich, zwar mit Hilfe einer Tante, aber allein mit ihren zwei kleineren Geschwistern durch das Leben kämpfen. Die Familie ist ursprünglich aus Moskau und lebt in Deutschland im „Scherbenpark“ in einem Hochhaus-Ghetto. Ihre tragische Lebensgeschichte will sie in einem Buch verarbeiten, das sie mit zwei harten Vorsätzen beginnt: Sie will ihrer Mutter ein Buch schreiben, und sie will Vadim töten. Das Buch ist aber auch ein Weg zu sich selbst. Wie der Soldat das Grammophon repariert beginnt mit der Flucht des jungen Aleksandar und seiner Eltern aus dem vom Bürgerkrieg heimgesuchten Bosnien. In den Westen versucht sich der Junge das fremde Deutschland zu erobern. Eine Geschichte über Heimatverlust und Heimatsuche und nicht zuletzt über die Kraft des Erzählens. (vgl. http://www.amazon.de/gp/offer-listing/3630872425/ ref=dp_olp_used?ie=UTF8&condition=used) In Der Klang der Fremde flieht die zehnjährige Kim mit ihrer Familie aus Vietnam. Stationen der „abenteuerlichen Odyssee“ sind ein Flüchtlingslager, das weite Meer und schließlich Kanada, wo sie eine neue Heimat finden. Ein Roman über Flucht, Vertreibung, Mut, Schmerz und Lust der Erinnerung. (vgl. http://www.amazon.de/DerKlang-Fremde-Kim-Th%C3%BAy/dp/3888976790/ ref=sr_1_sc_1?s=books&ie=UTF8&qid=1363883383 &sr=1-1-spell) 1.3 Die Reise In Wolfgang Herrndorfs Jugendroman Tschik scheint es zunächst, dass Maik seinen Sommer allein verbringen muss, dann kommt aber Tschick, mit dem er ein richtiges Sommerabenteuer erlebt: Mit einem geklauten Auto machen sie sich auf eine Reise quer durch Ostdeutschland und erfahren dabei, was wirkliche Freundschaft ist. Um für jede/n Schüler/in eine möglichst individuelle Lektüre zu ermöglichen, startete das Projekt mit einem Auswahlverfahren. Die Anfänge mehrerer Bücher, nämlich Wie der Soldat das Grammophon repariert von Saša Besonders der Beginn von Der Klang der Fremde (siehe Kasten) bietet sich an, daraus Informationen zu erschließen. Diese fast detektivische Arbeit machte den SchülerInnen viel Spaß und beim produktiven Part, ihre Geburt 67 PROJEKTE In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten in ähnlicher Weise zu verschlüsseln, wurde deutlich wie komplex Literatur sein kann. Das literarische Verfahren selbst auszuprobieren setzt voraus, die Strategien der Autorin zu erkennen und zu durchschauen. Die SchülerInnen erkannten durch das mehrmalige Überarbeiten ihrer Texte nachhaltig, wie der Text seine Wirkung entfaltet. An den anderen Anfängen erschlossen die SchülerInnen, was sie über die ProtagonistInnen schon kennen, welche Vermutungen sie über das Folgende anstellen. Sie versuchten die Leerstellen zu füllen und besprachen auch den zu erahnenden Schreibstil. Aufgrund dieses ersten Zuganges bzw. der Lesung wählten die SchülerInnen ihren literarischen Text aus. In den Klassen wurden nun vier Bücher gelesen, womit sich automatisch bei der intensiven Beschäftigung mit den literarischen Texten Gruppen bildeten. „Ich kam während der Tet Offensive zur Welt, als das Jahr des Affen anfing und die vor den Häusern aufgehängten langen Knallerketten mit den Maschinengewehren im Chor zu knattern begannen. Ich erblickte das Licht der Welt in Saigon, wo die Reste der in tausend Stücke zerfetzten Böller den Boden rot färbten wie Kirschblütenblätter oder das Blut der zwei Millionen aufgebotenen Soldaten, verstreut über die Städte und Dörfer eines entzweigerissenen Vietnam. Ich wurde im Schatten dieses feuerwerksgeschmückten, leuchtgirlandenverzierten Neujahrshimmels voller Raketen und Geschosse geboren. Meine Geburt diente dem Zweck, verlorenes Leben zu ersetzen. Mein Leben stand in der Pflicht, das meiner Mutter fortzuführen.“ (Kim Thúy (2010): Der Klang der Fremde. Aus dem Franz. von Andrea Alvermann u. Brigitte Große. München: Kunstmann, S. 7) Parallel zur Lektüre zu Hause erforschten wir im Unterricht Sachtexte, die über Migration in Österreich berichteten. Dazu hatten die SchülerInnen COOL-Aufträge (siehe Anhang), die sie selbständig in Gruppen erarbeiteten. Den Abschluss bildete eine Zusammenfassung der Sachtexte. Damit eine intensivere Beschäftigung mit allen Texten möglich ist, wurde im Unterricht die Erarbeitung von Sachtexten, die Zusammenfassung, das Besondere von literarischen Texten und die Analyse bzw. Interpretation besprochen und immer wieder an Beispielen aus dem Deutschbuch (Eder-Hantscher et al. 2010, Module 1,4 und 11) geübt. Die Interpretation einer Kurzgeschichte war dann auch das Thema der Schularbeit. Nach Abschluss der individuellen Lektüre, begleitet von einem Lesetagebuch, wurde nun das persönliche Erleben mit jenen KlassenkameradInnen besprochen, die das gleiche Buch gelesen hatten. Der Text wurde inter68 pretiert, und es wurde damit gemeinsam und individuell produktiv gearbeitet. Dies geschah in ganz unterschiedlichen Arbeitsaufträgen, so wurde z.B. in der Gruppe ein Brain-Storming zum Titel gemacht, das dann in einen individuellen Text (unabhängig zum Buch) mündete (vgl. Cool Auftrag 3, siehe Anhang) Als weitere produktive Verfahren schrieben die SchülerInnen einen Text über die Begegnung mit einer/einem der ProtagonistInnen und eine umfassende Charakteristik einer beliebigen Figur aus dem literarischen Text. Alle diese Texte greifen gesellschaftliche Themen auf, die für Jugendliche interessant sind. Deshalb verfasste jede/r eine Erörterung zu einem Thema, das er/sie im Roman als wichtig erachtet hat. Wesentlich war mir dabei, die Informationen aus Sachtexten Untersuchungen etc. mit den literarischen Texten in Beziehung zu setzen. Noch vor Weihnachten kam in unserer Bibliothek der Bücherkoffer des Projekts „Sich in die Welt hinauslesen“ der Universität Klagenfurt an, sodass die SchülerInnen drei Deutschstunden lesend in der Bibliothek verbrachten, um dann über diesen ersten Eindruck aus dem gewählten Buch eine Kaufempfehlung (wertende Rezension) zu schreiben. Ein klassenübergreifender Austausch zu allen diesen Büchern, die gelesen oder auch nur angelesen wurden, fand über MOODLE statt. 1.4 Ankunft Den Abschluss bildete eine – redigierte – Sammlung aller Arbeiten zu den Büchern mit einer Einführung (Coverletter) und einer Reflexion über den gesamten Unterrichtsprozess für das Kulturportfolio. Diese umfangreichen Portfolios, die auch von den SchülerInnen kommentiert wurden, belegen sowohl den individuellen Prozess der Lektüre und den Schreibprozess als auch die Veränderung der eigenen Einstellung zu Migration. Dass Lesen ein Tor zu Welt öffnet, ist von allen so erlebt worden. Mit diesem Unterrichtsprojekt gelang es, die Lese- und Schreibkompetenzen der SchülerInnen zu stärken und inhaltlich über eigene (Vor-)Urteile, Sichtweisen nachzudenken, eigene Erfahrungen (auch zu Migration) zu formulieren und sich auf Neues einzulassen. 2. Lehramts-StudentInnen und „Das Fremde in der Kinderund Jugendliteratur“ Schon im Jahre 2011 hatte ich beschlossen, die im Sommersemester 2012 stattfindende Lehrveranstaltung zur Kinder- und Jugendliteratur an der Karl-Franzens-Uni- In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten versität Graz unter das Motto „Das Fremde“ zu stellen. Diese Lehrveranstaltung bietet Lehramts-StudentInnen am Institut für Germanistik einen Einblick in die Geschichte der (deutschsprachigen) Kinder- und Jugendliteratur immer mit einem Schwerpunktthema, fokussiert auf die aktuelle Produktion. Da viele Titel aus der Liste der Kinder- und Jugendliteratur, die die ProjektinitiatorInnen der Universität Klagenfurt zur Verfügung stellten, nicht mehr oder nur sehr schwer erhältlich waren5, stellte ich eine aktualisierte Liste an verfügbaren Büchern, die alle „das Fremde“ in möglichst unterschiedlicher Art und Weise thematisieren, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Produktion zusammen. Für die literaturwissenschaftlichen und didaktischen Herangehensweisen kamen noch die Standardwerke zur Kinder- und Jugendliteratur und zur Literaturdidaktik sowie themenspezifische Sammelbände, Aufsätze und Bücher dazu. Nach einigen Vorlesungseinheiten über die Geschichte der (deutschsprachigen) Kinder- und Jugendliteratur folgte eine Einführung zum „Fremden“ (in der Literatur), die eine Studentin besonders kreativ in ihrem Portfolio zusammenfasste (Abb.1 und 2.). Die anschließenden Referate der StudentInnen beinhalteten eine kurze Einführung zur/zum AutorIn, eine informative Inhaltsangabe, einen speziellen Blick auf die Darstellung des Fremden im Text und die Besonderheiten des Textes. Der Kulturtransfer bei Übersetzungen wurde ebenso berücksichtigt wie die Entstehungszeit. PROJEKTE wurde, gab es noch – oftmals intensive und kontroverse – Diskussionen mit diesen „ExpertInnen“. Durch dieses Verfahren erhielten die zukünftigen LehrerInnen nicht nur eine umfassende Inhaltsangabe der unterschiedlichen Bücher, sondern fundierte Einblicke in jedes der gewählten Bücher. Besonders die Ideen für den Einsatz im Unterricht, die allen TeilnehmerInnen zur Verfügung gestellt werden, bieten eine gute Grundlage für den eigenen Einsatz im Unterricht. Abb. 2. Durch die abgegebenen Portfolios wurde deutlich, dass die StudentInnen den Reichtum (sowohl die hohe Anzahl als auch die Intensität der Bearbeitung) der von ihnen gelesenen und bearbeiteten Literatur zu schätzen gelernt haben, besonders weil diese Literatur neu und unbekannt für sie war. Viele konnten zu ihrem zweiten Unterrichtsfach Verknüpfungen herstellen (z.B. Geschichte, Fremdsprachen, Theologie etc.). Dass gerade der fokussierte Blick auf das „Fremde“ für die StudentInnen ansprechend und besonders brauchbar für ihren Unterricht erschienen ist, zeigt sich auch in den Reflexionen: „Am interessantesten erschienen mir jedoch die inneren Prozesse der Veränderung und das Bewusstwerden des eigenen Fremden. Gerade diese Auseinandersetzung mit dem Eigenen (z.B. zu Wachstums- und Pubertätserscheinungen) lassen hohes Identifikationspotential für den Leser zu und machen das Lesen im Allgemeinen nahbarer. […] Speziell für diesen Zweck (Identifikation) erscheinen mir Kinder- und Jugendbücher des „Fremden“ als besonders geeignet, ja sogar relevant für einen weltoffenen Unterricht.“ ( J.F., 09.07.2012) Abb. 1. Abschließend stellten die ReferentInnen ihre Ideen für die Verwendung im Unterricht vor. Da jedes der vorgestellten Bücher auch von anderen StudentInnen gelesen „Die Auswahl an ‚brauchbarer‘ Kinder- und Jugendliteratur ist immens. Trotzdem oder gerade aus diesem Grund kann sich die Suche nach einem geeigneten Buch als äußerst schwierig herausstellen. […] Das Fremde bie69 PROJEKTE In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten tet Gesprächs- und Diskussionsmaterial, hält die Freude am Lesen aufrecht und ermöglicht damit eine umfangreiche Beschäftigung mit dem Lesematerial im Unterricht.“ (S.W., 28.06.2012). Literatur Primärliteratur Bronsky, Alina (2009): Scherbenpark. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Herrndorf, Wolfgang (2010): Tschick. Berlin: Rowohlt. Anmerkungen 1 In diese berufsbildende höhere Schule kommen SchülerInnen in der ersten Klasse aus unterschiedlichen Bildungswegen (Hauptschule oder Gymnasium) und entsprechend der Demographie in der Obersteiermark auch mit unterschiedlichen Muttersprachen (knapp ein Drittel der SchülerInnen haben einen Migrationshintergrund). 2 An der HAK Bruck/Mur werden einige Klassen als sog. COOL- Klassen geführt, d.h. dort wird an bestimmten Tagen und Unterrichtsstunden nach dem Prinzip des cooperativen offenen Lernens unterrichtet. SchülerInnen bearbeiten selbstständig – alleine oder in Gruppen – ihre Arbeitsaufträge und werden dabei von der Lehrperson unterstützt. Beiden Klassen, in denen ich dieses Literaturprojekt durchführte, sind COOL- und Laptop-Klassen, weshalb die klassenübergreifende Diskussion auf MOODLE keine Einführung bedurfte. 3 Das Besondere am Deutschunterricht in einer Handelsakademie ist der integrative Bestandteil des Kulturportfolios, das einerseits Pflichtaufträge aus dem Deutschunterricht, aber auch selbst gewählte Beiträge zu allen Belangen der Kultur beinhaltet und alle fünf Jahre geführt wird. Dabei nimmt sowohl die persönliche Kreativität als auch Reflexion auf unterschiedlichen Ebenen (Selbstreflexion, Kommentare von MitschülerInnen, Rückmeldungen der Lehrperson) einen wesentlichen Platz ein. 4 Der Begriff bzw. der danach gefertigte Unterrichtsplan veranschaulicht deutlicher die Wechselbeziehungen von Information, subjektivem Konzept und praktischem Tun im kompetenzorientierten Unterricht. Vgl. Tschekan 2011, S. 18ff. 5 Hier zeigt sich besonders eine Tendenz im Buchhandel, dass Titel unabhängig von ihrer Qualität aus dem Handel verschwinden, wenn der Verkauf nicht oder nur sehr schleppend die Produktionskosten deckt. Deutlich wird, dass Nischenprodukte (von unbekannteren AutorInnen und/oder kleinen Verlagen) einige Jahre nach Ersterscheinen oftmals nicht mehr zu beziehen sind. 70 Madeo, Francesco (2006): Hymne auf ein liederliches Leben. Tübingen: Klöpfer und Meyer. Staniši, Saša (2008): Wie der Soldat das Grammofon repariert. München: btb. Thúy, Kim (2010): Der Klang der Fremde. Aus dem Französ. von Andrea Alvermann u. Brigitte Große. München: Kunstmann. Sekundärliteratur Eder-Hantscher, Claudia/Geisler, Gertraud/Schörkhuber, Wolfgang/Stockinger, Reinhard (2010): Kompetenz: Deutsch 3. Sprachbuch für berufsbildende höhere Schulen. Hpt. Haller, Karin (2010): Wolfgang Herrndorf: tschick. Unter: http://www.jugendliteratur.net/exlibris/exlibris_11_1.html Hochgatterer, Paulus (2012): Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe. Eine Poetik der Kindheit. Reden, Aufsätze, Vorlesungen. Wien: Deuticke. Tschekan, Kerstin (2011): Kompetenzorientiert unterrichten. Eine Didaktik. Berlin: Cornelsen. Links [Zugriff am 11.11.2012] http://www.amazon.de/Der-Klang-Fremde-Kim-Th%C3%BAy/ dp/3888976790/ref=sr_1_sc_1?s=books&ie=UTF8&qid= 1363883383&sr=1-1-spell http://www.amazon.de/gp/offer-listing/3630872425/ref=dp_olp_ used?ie=UTF8&condition=used PROJEKTE Das Magische, das Wunderbare, das Traumhafte Es gibt viele Gründe, warum weltliterarische Texte für den Deutschunterricht einen besonderen Reiz darstellen. Einer davon ist, dass diese „neuen“ Texte LeserInnen mit neuen Erfahrungen, Weltsichten und Perspektiven konfrontieren, die sie bis jetzt noch nicht wahrgenommen haben. Ein zweiter Grund liegt aber in der Natur der Literatur selbst: Denn der Literatur ist die „Fremdheit“ inhärent. „Von ihrer Ästhetik her: als von der Norm abweichender Umgang mit Sprache mit Hilfe fremder Elemente. Von ihrer Wirkung her: als ‚Des-Automatisierung‘ der (kulturell beeinflussten) Wahrnehmung.“ (Wintersteiner 2006, S. 92) Eine fremde Literatur potenziert diese immanente „Fremdheit“ der Literatur dadurch, dass sie neue, unbekannte literarische Formen präsentiert. Der Magische Realismus eignet sich geradezu perfekt dazu, diese doppelte Fremdheit der Literatur bewusst und erfahrbar zu machen. Die Beschäftigung mit dem Magischen Realismus ermöglicht SchülerInnen, eine neue literarische Form, in welcher Realität und Mythisches/Magisches/Wunderbares miteinander auf eine besondere Weise verschmelzen, kennenzulernen, diese von anderen bekannten Formen der „phantastischen Literatur“ abzugrenzen und die ästhetische Form selbst als Ausdruck einer neuen Sicht- und Denkweise zu verstehen. Auf der anderen Seite bieten die Texte, die immer auch politische und soziale Probleme reflektieren, die Möglichkeit, diverse Formen des Widerstands zu erkennen, über kulturelle, politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse sowie über die Möglichkeiten (politischen) Handelns nachzudenken. Somit leistet Literaturunterricht „einen Beitrag zu einer kritisch-weltbürgerlichen Erziehung“ (ebd., S. 138). Ähnlichen Zielsetzungen folgten auch die nachstehenden zwei Projekte. Dabei stellte Hans-Peter Wittmann eine produktive Schreibaufgabe ins Zentrum des Projekts: Indem SchülerInnen die Schreibweise der behandelten AutorInnen imitieren und nachahmen, können sie nicht nur individuelle Zugänge zu den Texten finden, sondern die spezifische Ästhetik der Werke besser nachvollziehen. Für Georgine Lansky und Gerhild Hardt-Stremayr war es wiederum wichtig, Unterschiede zwischen den verschiedenen literarischen Realismus-Strömungen und die gesellschaftskritische Dimension der Werke herauszuarbeiten. Eine zweite Klasse beschäftigte sich mit afrikanischer Literatur, damit SchülerInnen über den Kontinent, vor allem aber über die vielfältige Literatur dieses Kontinents – die sich nicht auf das Mythische und das Magische reduzieren lässt – ihre Kenntnisse vertiefen. 71 PROJEKTE Hans-Peter Wittmann „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ Der magische Realismus im Deutschunterricht STECKBRIEF Das Projekt „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ Schule Gymnasium Wien 1 Stubenbastei 6-8, Wien Klasse / SchülerInnen7a Teilnehmende FächerDeutsch Projektleitung Hans-Peter Wittmann 1. Ausgangssituation Im Frühjahr 2011 fragte ich die damalige Klasse 6a, ob sie an einem Projekt interessiert sei, das die Einbeziehung von weltliterarischen Texten in den Deutschunterricht zum Ziel hatte. Die erste Reaktion war grundsätzliche Zustimmung, aber auch Skepsis hinsichtlich der konkreten Umsetzung im Unterricht. Nach der intensiven Einführungsphase fiel die Entscheidung auf das Thema „Magischer Realismus“, da das Fremde in den Texten als besonders ansprechend betrachtet wurde. Sodann einigten wir uns auf Vorgehensweise und Ablauf: Von den drei Wochenstunden sollte jeweils eine Stunde dem Projekt gewidmet werden. Somit war ein Rhythmus vorgegeben, der es erlaubte, parallel zum Regelunterricht kontinuierlich zu den einzelnen Texten zu arbeiten, Referate vorzubereiten und eigene Produktionen zu erstellen. Das Ziel des Projekts war anfangs nicht vorgegeben, da die SchülerInnen für sich entdecken sollten, welche Perspektiven transkulturelles Lernen eröffnet. Dieses Finden eigener Zugänge stellte sich in der Folge als wichtiger Impetus für das „forschende“ Denken vieler Jugendlicher heraus, die dabei vor allem Widerstände und Irritationen überwinden mussten. Abb. 1. 1.1 Die teilnehmende Klasse Die Schüler/innen erhielten sodann die Ideensammlung des Projektteams mit Arbeitsanregungen und Literaturhinweisen. Es folgte eine intensive mehrstündige Diskussion zu den Vorschlägen, bei der die Jugendlichen selbst die Moderation übernahmen. Dabei wurden bereits Möglichkeiten zur Umsetzung der einzelnen Themenbereiche aufgezeigt und die Vielfalt der Zugänge besprochen. Wichtig war von Beginn an, dass der Projektablauf von der Klasse mitbestimmt und organisiert wird. Die 29 SchülerInnen der 7a besuchen den gymnasialen Teil mit Französisch ab der 3. und Latein ab der 5. Klasse bzw. das Realgymnasium. Ich habe die Klasse erst vor einem Jahr übernommen und war von Beginn an von der Dynamik, Offenheit und Verlässlichkeit der Jugendlichen beeindruckt. Diese Voraussetzungen spielten bei der Durchführung des Projekts „Weltliteratur“ eine wesentliche Rolle, da das Interesse für alternative Unterrichtsformen und -inhalte von Anfang an gegeben war. 72 „Ausgestreckte Hände, die mich riefen”. 1.2 Rahmenbedingungen Wie sollte nun das Thema in den Schulalltag integriert werden? Zunächst war ein Semester als Zeitrahmen vorgesehen, doch bald stellte sich heraus, dass das gesamte Schuljahr für die Durchführung zur Verfügung stand. Von den drei Deutschstunden pro Woche sollte eine dem Projekt gewidmet sein, da Regelmäßigkeit und längere Zeitphasen das Einarbeiten in die Literatur erleichtern. Zu Beginn waren auch fächerübergreifende Aktivitäten mit Spanisch und Bildnerischer Erziehung geplant, doch aus organisatorischen Gründen entwickelte sich diese Kooperation nur in Ansätzen. 2. Das Projekt 2.1 Lehr- und Lernziele In der Dokumentation zum Vorgängerprojekt mit dem schönen Titel „ZwischenWeltenLesen“ beschreibt Werner Wintersteiner die Notwendigkeit eines transkulturellen Literaturunterrichts als Folge der Globalisierung, weltweiter Migration und internationaler Medienkultur. (vgl. Ladstätter/Wintersteiner 2010) Es gehe dabei nicht um die Sichtung neuer Phänomene, sondern um eine neue Sichtweise auf das Phänomen Kultur. Was Jugendliche durch „Multiperspektivität“ (ebd., S. 23) lernen können, entwirft er in einem Konzept, das auf folgenden Überlegungen beruht: „Transkultureller Literaturunterricht wirft einen anderen Blick auf die Literatur, wie er auch den Blick auf eine andere Literatur richtet. Ein transkultureller Zugang zur Literatur interessiert sich für die Differenzen wie für die Gemeinsamkeiten von Literaturen und für das »Dazwischen«, das bei nationaler Betrachtungsweise unbeachtet bleibt. Er richtet die Aufmerksamkeit auf sprachliche, kulturelle, wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse, wie sie in der Literatur thematisiert werden, wie sie aber auch im Literaturbetrieb ihren Niederschlag finden.“ (Ebd.) Die Einbeziehung von Weltliteratur in den Deutschunterricht stärkt den Blick auf die eigene kulturelle Identität, erweckt Interesse für das Andere und ermöglicht durch eigenes literarisches Schreiben neue Zugänge zu Texten. Genau diese Aneignung durch Imitation entwickelte sich als Grundidee des Projekts heraus. Um den „Magischen Realismus“ zu verstehen, sollten die vorgeschlagenen Texte nicht nur gelesen werden, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit einem bislang wenig praktizierten PROJEKTE Schreibstil erfolgen. Das Lernziel bestand also im Finden eigener poetischer Sichtweisen auf eine als bizarr empfundene Wirklichkeit. 2.2 Inhalte und Textauswahl Das Projektteam hatte für alle Themenbereiche umfangreiche und kommentierte Literaturlisten zur Verfügung gestellt, die sich als äußerst hilfreich bei der Aufteilung von Referaten und der Auswahl der Klassenlektüre erwiesen (s. Bibliographie am Ende des Berichts). Als erstes Werk wurde der Roman Bewohnte Frau (La Mujer habitada) von Gioconda Belli gewählt. Dieser Roman eignet sich aus mehreren Gründen gut als Einstieg in das Thema „Magischer Realismus“. In weiterer Folge wurde Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard gelesen. 2.3 Didaktische Überlegungen Das Projekt war, wie bereits angedeutet, als Ergänzung und Alternative zum Regelunterricht geplant. Somit sollte die Auseinandersetzung mit Weltliteratur als eigenständiger, von der Klasse selbst organisierter und von Notendruck unabhängiger Bereich wahrgenommen werden. Als Lehrer sollte man sich in diesem Zusammenhang weit zurück nehmen. Die Übergabe von Kompetenzen an die SchülerInnen setzt freilich Motivation und Eigenständigkeit voraus. Dieses „Freispielen“ kann große Energien erzeugen, wenn die Sinnhaftigkeit und die Ziele der Aktivitäten erkannt werden. Wie also kann man Jugendliche für den „Magischen Realismus“ begeistern? Welche Zugänge bieten sich an? Beim Lesen von Gioconda Bellis Bewohnte Frau traten zunächst einige Irritationen auf, da die Erzählperspektiven häufig wechseln. Parallel zur politischen Entwicklung der Hauptperson Lavinia wird nämlich die Geschichte einer Frau erzählt, die den Kampf gegen die spanischen Invasoren vor hunderten Jahren erlebt hatte. Ihre Seele wohnt im Orangenbaum, der im Garten der Protagonistin steht. Aus dieser Sicht wird die Gegenwart kommentiert. Die Verschmelzung von „realer Wirklichkeit“ und „magischer Realität“ kann man am besten verstehen, wenn man selbst diesen Erzählstil verwendet. In Der Schneeleopard, wo die Schicksale des unabhängigen Journalisten Arsen Samantschin und des Schneeleoparden Dschaa-Bars zusammengeführt werden, basiert ebenfalls auf dem Zusammenspiel zweier Welten. Hier wird die moderne Welt mit einer Legendenerzählung verbunden. 73 PROJEKTE „Ausgestreckte Hände, die mich riefen”. 3. Der Projektablauf im Unterricht 3.1 Vorbereitung und Einstimmung Durch die Einbindung der Klasse in die Themenfindung waren Vorbereitung und Einstimmung Ende der 6. Klasse erfolgt. Einige hatten sich bereits für Referate zum Herkunftsland der AutorInnen angemeldet bzw. Bücher während der Ferien gelesen. 3.2 Projektphase 1 Im Oktober besorgten sich die Jugendlichen die Taschenbuchausgaben von Gioconda Bellis Roman, den alle innerhalb von drei Wochen lesen sollten. Einige Auszüge, etwa die „magischen Kapitel“, in denen der Protagonistin durch einen Orangenbaum revolutionäre Kräfte vermacht werden, wurden in der Klasse besprochen und sodann eine kurze Einleitung zur Geschichte des „Magischen Realismus“ präsentiert. In Gruppenarbeiten fanden die SchülerInnen unterschiedliche Zugänge zum Buch. So wurden einige Szenen als Drehbuch umgeschrieben, ein Comic erstellt, ein Fragenkatalog entworfen oder historisch-geographische Zusammenhänge geklärt. Zum Schluss wurden Plakate gestaltet, die innerhalb der Schule auf das Projekt aufmerksam machten. Schließlich erhielt die Klasse Mitte Mai den Bücherkoffer, den das Projektteam zusammengestellt hatte. Die SchülerInnen konnten somit auch Werke der Weltliteratur kennen lernen, die über das in unserem Projekt behandelte Thema hinaus reichten. 3.5 Textproduktionen Für das Verfassen der Texte war ein Zeitrahmen von sechs Wochen vorgesehen. Es gab mehrere Vorgaben: a) sie sollten im Stil des realismo magico geschrieben werden b) die Gestaltung bzw. das Layout sollten dem Inhalt entsprechen c) der Umfang war auf 8 Seiten begrenzt Es entstanden in der Folge sehr originelle Produktionen, von denen hier nur drei exemplarisch vorgestellt werden. Miriam Karner hat ihre Erzählung Kalte Füße handschriftlich auf eine riesige Kachel geschrieben. Sie erzählt darin aus der Sicht dieses Bodenbelags die Geschichte von Menschen, die sich auf ihm bewegen. Rosa Brand hat für Im Spiegel ein kleines Format gewählt. Der Umschlag ist aus Silberpapier hergestellt, sodass sich der Leser zunächst selbst sieht, wenn er dieses Werk in die Hand nimmt. 3.3 Projektphase 2 Nach dem Kennenlernen eines typischen Werkes des „Magischen Realismus“ folgte nun die Phase der Aneignung. Mit selbst verfassten Texten sollten die SchülerInnen diese künstlerische Bewegung begreifen und anwenden. Eigene Produktionen entstanden mit großem Engagement und originellen Ideen. Die „Bücher“ wurden in einer Vitrine in der Aula der Schule ausgestellt. Einige SchülerInnen hatten zu diesem Zeitpunkt auch schon erste Referate zur Autorin und ihrem Herkunftsland vorbereitet. 3.4 Projektphase 3 Nach der Abgabe der eigenen Texte widmeten wir uns im zweiten Semester Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard. Die Lektüre verstörte nun viel weniger, da die Erzähltechniken des „Magischen Realismus“ bekannt waren. Das Verständnis der kirgisischen Mythen bereitete allerdings einige Schwierigkeiten. Gleichzeitig stellten die SchülerInnen in Form von KoReferaten weitere Werke aus der Literaturliste vor. Das Projekt wurde schließlich in Klagenfurt öffentlich präsentiert. 74 Abb. 2. Mirjam Schaar hat sich von indianischen Erzählungen inspirieren lassen und den Einband von Kuwanuna. Das gelobte Land mit verschiedenen Stoffen gestaltet, sodass der haptische Effekt besonders stark zur Geltung kommt. „Ausgestreckte Hände, die mich riefen”. PROJEKTE „Dabei geht es aber nicht nur darum, neue Texte einzusetzen, sondern zugleich darum, die Texte „neu“ einzusetzen – indem sie bewusst in ihrer speziellen Ästhetik wahrgenommen werden. Auf diese Weise wird der transkulturelle Kern des Textes durch seine ästhetische Form sichtbar.“ (vgl. Grobbauer/Nagy/Wintersteiner 2011) Abb. 3. Andere Schüler/innen haben ihre Texte beispielsweise in Holzplatten „verpackt“, Textelemente als Kügelchen in eine Bonbonniere gesteckt oder auf Pergamentpapier geschrieben. Aus Schüler- wie Lehrersicht kann das Ergebnis als sehr zufrieden stellend, bereichernd und spannend bezeichnet werden. Es ist gelungen, durch Aneignung anderer Schreibstile die Augen für Fremdes zu öffnen und eine hohe Schreibmotivation zu erzeugen, da die Texte, die entstanden sind, durch die künstlerische Gestaltung großen Wert für die VerfasserInnen bekamen. Für den Regelunterricht bedeutet dies, dass die Beschäftigung mit anderen Literaturen zu erhöhter Aufmerksamkeit und Sensibilität in Bezug auf kulturelle Vielfalt führt. Die Neugierde beim Lesen und die Herausforderung beim Schreiben fördern zweifellos Kreativität und Interesse für „Fremdes“. Für SchülerInnen, die selbst erst in der deutschsprachigen Kultur heimisch werden mussten, war dieses Projekt eine Möglichkeit, die eigene biografische Entwicklung zu überdenken und Multikulturalität als positive Kompetenz zu erleben. Abb. 4. 4. Präsentation Am 20. April 2012 fand im Robert-Musil-Haus in Klagenfurt die Schlusspräsentation aller Projekte statt, zu der drei Schülerinnen mitgereist waren. Dabei wurden der Zugang zum Thema, der Ablauf und schließlich die Texte vorgestellt, die im Laufe des Jahres entstanden waren. Interessant war, dass sich spontan ein Gespräch mit anderen Schülergruppen ergab und die unterschiedlichen Methoden, Weltliteratur in den Unterricht mit ein zu beziehen, diskutiert wurden. 5. Fazit und Reflexion Die Einbeziehung von „Weltliteratur“ in den Deutschunterricht ist gleichzeitig eine Herausforderung und eine Notwendigkeit, will man die eigene kulturelle Identität verstehen. In unserem Projekt ging es darum, die Ästhetik „fremder“ Texte zu verstehen und sich durch Imitation diese Schreibweise anzueignen. In diesem Sinne argumentiert auch Werner Wintersteiner, wenn er feststellt: Eine „transkulturelle Literaturdidaktik“ würde also von den unterschiedlichen Voraussetzungen, die in einer Klasse bestehen, profitieren. Das „Freilassen“ in der Verwendung literarischer Schreibweisen kann als eine Art „Befreiung“ aus der Enge eingefahrener Wahrnehmungsformen führen und somit zur Versöhnung der eigenen Existenz mit fremdbestimmten Denk- und Handlungsweisen beitragen. Der Umgang mit „Weltliteratur“ bedeutet freilich auch einen Paradigmenwechsel in der Didaktik. Hier stehen wir allerdings erst am Anfang einer Entwicklung, die logischerweise in grenzüberschreitenden Projekten weiter verfolgt werden muss. . Literatur Aitmatov, Dschingis (2007): Der Schneeleopard. Zürich: Unionsverlag. Belli, Gioconda (1988): Bewohnte Frau. München: dtv. Grobbauer, Heidi/ Nagy, Hajnalka/ Wintersteiner, Werner (2011): „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht. Deutsch- und Fremdsprachenunterricht (2010-2012). unter: www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/Weltliteratur.pdf Ladstätter, Theresia /Wintersteiner, Werner (2010, Hrsg.): ZwischenWeltenLesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die Sekundarstufen (KMS, AHS, BHS). Wien: Stadtschulrat für Wien. unter: www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf 75 PROJEKTE Georgine Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ STECKBRIEF Das Projekt Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ Schule HBLA für künstlerische Gestaltung, Linz Klasse / SchülerInnen 4 a und 4 b, überwiegend weiblich (18-19jährig) Teilnehmende Fächer Deutsch, Bildbearbeitung, Grafik-Malerei, Textilwerkstätte Wirtschaftsgeographie, Bewegung & Sport, Religion Projektleitung Georg Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr 1. Das Projekt: Ziele und Visionen Das Projekt in der HBLA für künstlerische Gestaltung hatte zum Ziel, durch die Begegnung mit fremden Kulturen und die Auseinandersetzung mit dem Fremden eine allgemeine Horizonterweiterung bei den SchülerInnen herbeizuführen. Das hieß konkret, dass im Laufe des Projekts den Lernenden AutorInnen und Themen angeboten wurden, die sie bis dahin nicht kannten. Ein wichtiges Lernziel war nicht nur das absolut Neue kennenzulernen, sondern durch vernetztes Denken ein Verständnis und eine kritische Auseinandersetzung mit geopolitischen Aktivitäten zu entwickeln. Ein weiteres wichtiges Lehrziel war ein arbeitsteiliger Projektunterricht mit Bezügen zu anderen Klassen und Gegenständen zu organisieren und somit eine fächerübergreifende Behandlung des Themas zu gewährleisten. Mit dieser Projektform wollten wir eine länger anhaltende, lehrkraftunabhängige Gruppenarbeit unterstützen, wo SchülerInnen als verantwortliche GruppenkoordinatorInnen tätig werden konnten. 2. Inhalte Um diese Ziele zu verwirklichen, haben wir uns für zwei inhaltliche Schwerpunkte entschieden. Die Klasse 4a arbeitete zum Magischen Realismus, unter Problematisierung der „Realismus-Dimension“ in der Literatur. Dabei war es wichtig, dass SchülerInnen verstehen, dass das Magische in den behandelten Büchern als Erweiterung der Gesellschaftskritik fungiert. Somit war es unerlässlich, 76 auf die politischen Gegebenheiten der Heimatländer der AutorInnen einzugehen. Die SchülerInnen wählten – aus vorgegebenen Vorschlägen der Lehrkräfte – sowohl das Thema als auch die Bücher in jeder Klasse selbst. (Ein Beispiel: Tony Morrisons Buch suchten jene Schülerinnen aus, die mehr Abstand zum „klassischen“ magischen Realismus anstrebten.) Behandelte Werke In der Klasse 4a wurden die folgenden Romane von Tschingis Aitmatov (Der Schneeleopard), Isabel Allende (Das Geisterhaus), Gioconda Belli (Bewohnte Frau) Toni Morisson (Sehr blaue Augen) und Salman Rushdie (Mitternachtskinder) gelesen. Im Roman Der Schneeleopard werden zwei Schicksale, das des unabhängigen Journalisten Arsen Samantschin und des Schneeleoparden Dschaa-Bars zusammengeführt. Der immer schwächer werdende Dschaa-Bars will sich „zum Sterben in ein unzugängliches Tal im kirgisischen Hochgebirge zurückziehen“. Parallel zum Untergang des Schneeleoparden wird die Niederlage Arsen Samantschins erzählt, der „von der Welle des entfesselten Kommerzes in seiner Heimat überrollt [wird]“. (vgl. Klappentext) Der Romans Das Geisterhaus stellt eine typische Familiensaga über eine großbürgerliche chilenische Familie dar, der das Leben der vier Generationen der Familie Trueba mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Chile und Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ den politischen Ereignissen verbindet. „Es ist eine Chronik der persönlichen und politischen Gewalt sowie des Kampfes für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Gesellschaft“. (vgl. http://www.dieterwunderlich.de/Allendegeisterhaus.htm) Im Mittelpunkt des Romans Bewohnte Frau steht der Widerstand gegen den „großen General“. Lavinia, eine junge Architektin, isst von den Früchten des Orangenbaumes, der vor ihrem Haus steht, und wird vom „Widerstandgeist“ einer indigenen Frau namens Itzá aus dem 16. Jahrhundert beseelt. Itzás Seele wohnt im Baum und erzählt über frühere Widerstandskämpfe. Diese zwei Erzählstränge werden im Roman miteinander verwoben. Morrison setzt sich in dem Buch Sehr blaue Augen mit der Differenz von „Schwarz“ und „Weiß“, mit der Frage der Ein- und Ausgrenzung und der Suche nach der Identität als Schwarze „in einer schwarz-weißen Welt“. Sie beschreibt die Verwirrtheit eines kleinen Mädchens, „das nicht versteht, warum es nicht so blaue Augen hat, wie die Puppen (die es nicht besitzt) oder wie die Kinder in der Schulfibel.“ (vgl. Klappentext) Als Mitternachtskinder werden jene Kinder bezeichnet, die um die Mitternacht des 15. August 1947 – als Indien die Unabhängigkeit erlangte – zur Welt kamen. Alle ‚Mitternachtskinder‘ verfügen über wundersame Eigenschaften: „mit herkulischer Kraft, der Gabe, unsichtbar zu werden oder durch die Zeit zu reisen, und überirdischer Schönheit, die buchstäblich blind macht“. Saleem Sinai, der Protagonist und Chronist dieser Familiengeschichte, besitzt die „Fähigkeit, in Herz und Hirn anderer Menschen einzudringen“. (vgl. http://www.amazon.de/Mitternachtskinder-Salman-Rushdie/dp/3426609126) Die Klasse 4b beschäftigte sich mit Romanen von Mariama Bâ (Ein so langer Brief), Tahar Ben Jelloun (Verlassen) und Fatou Diome (Der Bauch des Ozeans). In Mariama Bâ‘s Roman verfasst Ramatoulaye nach dem Tod ihres Mannes einen langen Brief an ihre beste Freundin Aïssatou. So erzählt sie retrospektiv ihr Leben mit Modou, die Situation einer enttäuschten Frau, die von ihrem Mann wegen einer jungen Zweitfrau verlassen wurde. Das Schreiben fungiert als eine Art „Trauerarbeit“ und als eine intensive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, sich zu „emanzipieren“ und zu einer neuen, selbstbewussten weiblichen Identität zu gelangen. Tahar Ben Jellouns Verlassen erzählt von Jugendlichen, die nur ein Ziel zu haben scheinen, Tanger Richtung der spanischen Küsten zu verlassen. Viele von ihnen müssen PROJEKTE für diesen Traum sogar sterben, so zum Beispiel Noureddin und seine zwanzig Kameraden, die „bei dem Versuch, in die ‚Festung Europa‘ hinüberzukommen“, ertranken. Vom Wegkommen träumt auch Azel, der nach seinem Jurastudium keine Aussicht auf einen Job hat. Er versucht, durch seinen Geliebten, den spanischen Galeristen Miguel nach Spanien zu gelangen. Einmal in Barcelona angekommen, ist der Protagonist jedoch mit Armut, Korruption und Demütigung konfrontiert. So stellt sich die Frage, ob sich das Verlassen der marokkanischen Heimat gelohnt hat, oder ob sich auch Spanien als eine andere Art von „Hölle“ erweist. (vgl. http://www.amazon.de/ Verlassen-Tahar-Ben-Jelloun/dp/382700652X) Der Bauch des Ozeans erzählt von der Sehnsucht senegalesischer Jugendlicher nach Aufbruch und von den Schwierigkeiten der ImmigrantInnen in Frankreich. Die Jugendlichen hoffen, durch (illegale) Einwanderung und Fußballkarriere Wohlstand und Glück zu finden. Die Geschichten werden aus der Sicht einer jungen Immigrantin erzählt, die ihren Bruder von diesem Weg abhalten, aber selbst nicht in die starre senegalesische Gesellschaft zurückkehren möchte. 3. Projektablauf im Deutschunterricht Das Grundprinzip des Projektes war es, dass die Lehrkräfte als Coach in ständiger Bereitschaft den SchülerInnen zur Seite standen, die SchülerInnen waren für ihre Arbeiten im gesamten Schulhaus verteilt. 3.1 Vorbereitungen Projektkoordinationssitzungen am Beginn des Schuljahres, Informationen für SchülerInnen und LehrerInnen 3.2 Projektphase Wahl der Werke, Bildung der Projektgruppen, Bestimmen der jeweiligen GruppenkoordinatorInnen, Bekanntgabe der mit den KoordinatorInnen vereinbarten Präsentationsthemen, Lesephase, Recherchephase, Präsentation – Erstellungsphase, Auseinandersetzung mit dem Bücherkoffer, Präsentationen der Ergebnisse, Diskussionen im Klassenverband, klassenübergreifende Debatte. Arbeitsschritte in der 4A „Magischer Realismus“ Schritt 1 Den Schülerinnen und Schülern stellte die Lehrkraft kurz die Inhaltsfragmente der Werke aus der Vorschlagsliste zum „Magischen Realismus“ vor. Die Lehrkraft diskutierte mit der ganzen Klasse die semantische Dimension des 77 PROJEKTE Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ Gebrauchs des Realismus Begriffs in der Literatur (mit Arbeitsblatt mit verschiedenen Zitaten aus Fach-Lexika und Sekundärliteratur). Schritt 2 Die Schülerinnen und Schüler entschieden sich gemäß ihren Interessen für ein Werk und bildeten dann jeweils eine arbeitsteilige Kleingruppe zu dem ausgewählten Werk. Gewählt wurden Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard, Isabel Allendes Das Geisterhaus, Gioconda Bellis Bewohnte Frau, Tony Morrisons Sehr blaue Augen und Mitternachtskinder von Salman Rushdie. Die Kleingruppen erhielten jeweils zwei Exemplare „ihres Buches“. Sie wählten unter sich ein/e GruppenkoordinatorIn, die mit der Lehrkraft die anstehenden Aufgabenmöglichkeiten besprach. Sie/ er hat im Folgenden nach einem von der Lehrkraft vorgegebenen Zeitplan die Arbeit der Kleingruppe je nach Mitgliederzahl kontrolliert und eingeteilt. Die Lehrkraft musste im Laufe fortan nur sporadisch in den Ablauf des Projektes eingreifen. Schritt 3 Die SchülerInnen sollten jeweils zwei Referate mit entsprechenden Präsentationsmedien (PowerPoint) vorbereiten, um der ganzen Klasse den Autor/ die Autorin, das Werk, die soziale, wirtschaftliche und politische Situation der Länder, aus denen die Schriftsteller und Schriftstellerinnen stammen, vorzustellen. Erwartet wurde eine Recherchephase der Schülerinnen und Schüler im Internet. Die Präsentationen sind dann durch die Lernenden im Klassenverband kritisch und vergleichend diskutiert worden. Schritt 4 Bei der Schularbeit ist in einer der Aufgabenstellungen ein Problemaufsatz gewesen, wo die Sinnhaftigkeit der Auseinandersetzung mit der Literatur, die unter der Überschrift „Magischer Realismus“ zusammengefasst wird, zu behandeln war. Einige der Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich kritisch mit dieser Art des Projektunterrichts. Dies diente der Lehrkraft als zusätzliches Feedback. Dann sollten innerhalb der Gruppe im Entscheidungsprozess die gemeinsamen Schlüsselwörter bestimmt werden, die an die Tafel zu notieren waren. Und dann durfte jede Schülerin und jeder Schüler Gedichte nach der Schlüsselbegriffsliste verfassen, durch welche sie sich angesprochen fühlten. Die Lernenden schrieben jeweils 2-3 Kurztexte. Der Schneeleopard Ein starker Jäger warst du mal Nun bist du ganz kahl Niemand will dich nun mehr Sie ziehen dich aus dem Verkehr Ganz allein bist hier und jetzt Und keiner hat mehr Respekt Du fühlst dich so leer Alles fällt dir so schwer Drum finde den Tod Das sei dir dein Lohn (Bettina Friedinger) Gedicht zu: Mitternachtskinder Wenn die Uhr Mitternacht schlägt Und sich der Zeiger für einen Moment nicht bewegt. Merkt nicht nur jedes Kind Mit welcher Wucht der Uhrturm schwingt Und die Magie entschwindt (Viola Schausberger) Schritt 7 Als Hilfe für die Präsentation des Projektes in Klagenfurt, suchten SchülerInnen in Partnerarbeit nach geeigneter Visualisierung des im Weltliteraturprojekt Erlebten. Die Klasse 4a hat verschiedene Visualisierungsversuche bzw. Bilder als Befindlichkeitszeichen ausprobiert. Schritt 5 Nach dem Kennenlernen des Bücherkoffers erhielten Schüler und Schülerinnen die Aufgabe, in einer kurzen Erörterung die mehr oder weniger ansprechende Aufmachung, Design und Klappentext zu thematisieren. Schritt 6 Dann produzierten die Schülerinnen und Schüler kreative lyrische Texte. Die Mitglieder der jeweiligen Gruppen sollten jeweils 5 Schlüsselwörter für „ihr“ Werk finden. 78 Abb.1. Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ 3.3 Abschluss Schritt 8 Zum Feedback diente auch eine Debatte zwischen den beiden am Projekt beteiligten Klassen über die beiden inhaltlichen Bereiche der Weltliteratur (Begegnung mit afrikanischer Kultur und „Magischer Realismus“). 4. Aufgabenstellung im Gegenstand MBBA. Reflexion einer Schülerin In diesem Jahr haben wir Gestaltungsmöglichkeiten mit typografischen Mitteln erarbeitet. Im Zuge des Weltliteraturprojektes, wurden wir aufgefordert auf Basis der Buchinhalte neue Buchcover zu gestalten. Grundanforderung war, dass wir mit Schrift arbeiten und Bilder gestalten, die in direktem Zusammenhang mit einem Kernthema der jeweiligen Geschichten stehen. Vorzugsweise sollten wir mit Adobe Illustrator arbeiten, es wurde aber auch Photoshop verwendet. Wir haben uns für das Buch „Verlassen“ von Tahar Ben Jelloun entschieden, in dem es um die Frage geht, wie man den Traum eines neuen Lebens in einem anderen Land aufbauen kann. Dieser Traum wird aber durch Probleme wie Drogen, Prostitution und Abhängigkeit gegenüber einer anderen Person zerstört. PROJEKTE Titelbilddesign – Verlassen Das Bild wollte ich so designen, dass es den Inhalt des Buches wiedergibt. Viele Menschen in Marokko versuchen zu flüchten. Sie haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ich habe versucht, den Wunsch nach Freiheit darzustellen, in dem ich mit hellen Farben gearbeitet habe und durch Diffusion der Eindruck eines Blickes in die Ferne vermittelt wird. Im rechten unteren Bildteil sieht man noch eine Stadt, nach meiner Intention sollte es die Heimatstadt darstellen. Das Meer ist, wie im Buch beschrieben, die Meerenge Gibraltars, am Horizont ist bereits das Festland Spaniens zu erkennen. Die Farben sind in Blau-, Grau- und Brauntönen gehalten. Ich finde es passend für dieses Thema, leichte und luftige Farben zu verwenden. Im Vordergrund sind sie kräftiger und sie werden nach hinten heller. Ich habe sehr überlagernd gearbeitet und die Farben nie auf volle Deckkraft eingestellt. Der typografische Teil meiner Arbeit besteht aus den Wörtern, die das Bild aufbauen und der Überschrift. Ich habe versucht, die Typografie als malerischen Aspekt in die Arbeit einzubringen und habe probiert, einzelne Abschnitte aus Wörtern zu erstellen oder zu hinterlegen. So sollten im Meer die Wellen durch verschieden große „Verlassen“ zum Ausdruck gebracht werden. Verschiedenste Grün- und Blauschattierungen sollen die Unterschiede der Meerestiefen zeigen. Selbst die kleinen Boote bestehen zur Gänze aus Buchstaben. Nach oben hin, Richtung Himmel, wird alles noch heller, bis auf den Buchtitel. Der Name des Buchautors ist mit Gaußschem Weichzeichner bearbeitet, um eine Art Wolkeneffekt zu erzielen. 5. Evaluation des Projekts Zeitspanne unterschätzt (schon alleine der Auswahlprozess dauerte einige Einheiten) GruppenkoordinatorIn – erwies sich als sehr gute Idee, die einzelnen KoordinatorInnen waren zuverlässig, genau, termintreu und sehr konsequent. Moodle – keine allgemeine Zufriedenheit, daher im Laufe des Projekts damit aufgehört Die Idee, verschiedene Arten kreativer Texte als Ausdrucksmöglichkeit anzubieten, erwies sich als eine interessante Variante der Auseinandersetzung mit den Themen der gelesenen Bücher. Die Visualisierungen waren eine wichtige Erweiterung der Möglichkeiten, sich emotional auf die kritischen Themen des Gelesenen einzulassen. Abb. 2. 79 PROJEKTE Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“ Bücherkoffer und die Reflexion über die Gründe, welche Bücher für die LeserInnen ansprechend wirken, vertieften die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Literatur“. Die Debatte der VertreterInnen der beiden Klassen erwies sich als ein interessanter Abschluss des Projekts „Weltliteratur“ und ein Anlass für die TeilnehmerInnen, sich klarzuwerden, was die thematische Spezifizierung beim Projekt Weltliteratur für den/ die einzelne bedeutet hat. 6. Fazit Trotz der arbeits- und vorbereitungsintensiven Projektarbeit ist es zweifellos gelungen, nachhaltig den SchülerInnen die Auseinandersetzung mit dieser Art der Literatur der Welt vorzustellen. Die SchülerInnen können nun literarische Werke in einem größeren – auch politischen und geografischen – Zusammenhang sehen und sind besser darauf vorbereitet, die eigene Kultur kritisch zu rezipieren, bzw. mitzugestalten. Die Schülerinnen und Schüler der HBLA für künstlerische Gestaltung, werden im Rahmen der Abschlussprüfung, also der Reife- und Diplomprüfung, auch eine praktische Projekt - Abschlussarbeit (Objekt-Bild-Medien) erarbeiten müssen. Dazu gehört die Einordnung ihres Werks in die kulturelle Umgebung, in der sie leben, sowie eine Kunstgeschichtsprüfung. Die Beschäftigung mit der Welterfahrung und einigen Problemen anderer Länder hat sie zur Hinterfragung ihrer für selbstverständlich gehaltenen Erfahrungswelt gebracht. Sicherlich wird die teilweise kritisch hinterfragende Reflexion aus diesem Projekt, welche die Lehrkraft beobachten konnte, nachhaltig ihre Sicht beeinflussen. Abb. 3. Literatur Tschingis Aitmatow (2007): Der Schneeleopard. Aus dem Russ. von Friedrich Hitzer. Zürich: Unionsverlag. Isabel Allende (1987): Das Geisterhaus. Aus dem Span. von Anneliese Botond. 32. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gioconda Belli (1992): Bewohnte Frau. Aus dem nicaraguanischen Span. von Lutz Kliche. 9. Aufl. München: Dt. Taschenbuch-Verlag. Tony Morrison (1990): Sehr blaue Augen. Übersetzt von Susanna Rademacher. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Salman Rushdie (1983): Mitternachtskinder. Aus dem Engl. von Karin Graf. München [u.a.]: Piper. 80 PROJEKTE Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten am Beispiel von Bücherkoffern Eine wesentliche Voraussetzung, Weltliteratur im Unterricht einzusetzen, ist die Kenntnis der Literatur und der Zugang zu ihr. Dies war der Grund, warum wir zwei Bücherkoffer, jeweils für die Sekundarstufe I und II, zusammenstellten und zwischen den Projektschulen zirkulieren ließen. Denn es ist derzeit nicht zu erwarten, dass Schulbibliotheken über die erforderliche Auswahl verfügen. Dafür verfügen BibliothekarInnen über das besondere Know-How für den Einsatz von und den Umgang mit Büchern. Sie beraten nicht nur bei der Auswahl von Lesestoff, sie geben auch Lehrkräften didaktische Anregungen, dokumentieren die Auswahl und den Einsatz von Büchern und tragen somit dazu bei, dass das Wissen über die Rezeption von Texten nicht verloren geht. In dem vorliegenden Beispiel setzt die Bibliothekarin, Ulrike Kraßnitzer, auch eigene Aktivitäten, um zur Lektüre anzuregen. Bei der Organisation der Leserallye und bei der Zusammenstellung des Fragebogens haben SchülerInnen mitgeholfen und somit eine ganz andere Leseerfahrung gemacht. Diesem Bericht ist ein weiterer Bericht von Brigitte Schulte gegenübergestellt, wie Bücherkoffer zur Weltliteratur gezielt in der Fortbildung eingesetzt werden. Das Motto, „Ein Koffer voller Geschichten“, könnte auch für die Bibliotheksarbeit gelten. Denn immer noch ist das beste Mittel, zum Lesen zu „verführen“, die Bereitstellung von geeignetem Lesestoff in einer Fülle, die verspricht, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Diese klassischen didaktischen Methoden kann sich auch der Unterricht über Weltliteratur zu eigen machen – umso mehr, als die Vielfalt der Weltliteratur nicht nur wissenschaftlich interessant und didaktisch relevant ist, sondern auch ein ungeahntes Lesevergnügen darstellt. 81 PROJEKTE Ulrike Kraßnitzer Weltliteratur – Bibliotheksrallye STECKBRIEF Das Projekt Weltliteratur Bibliotheksrally Schule Musikmittelschule MHS Hasnerschule, Klagenfurt Klasse / SchülerInnen 4a und 4b (24SchülerInnen) Teilnahme Ralley 7 Klassen der 6.-8. Schulstufe Projektleitung Ulrike Kraßnitzer 1. Einführungsphase – Kennenlernen der zur Verfügung stehenden Literatur Den Ausgangspunkt und die Grundlage unseres Projektes, eine Weltliteratur-Bibliotheksrallye in der Bibliothek unserer Schule zu organisieren, bildete der so genannte „Bücherkoffer“, der von den LeiterInnen des Projekts „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht zusammengestellt wurde. Der Bücherkoffer für die Unterstufe beinhaltete ins Deutsche übersetzte Werke (Comics, Bilderbücher, Anthologien, Romane) aus der Literatur des Südens und „wanderte“ im Laufe des Gesamtprojektes von Schule zu Schule nach einem festgelegten „Fahrplan“. Der Bücherkoffer weilte in unserer Schule von Oktober bis November, so dass die Rallye an zwei Projekttagen im November (24-25. November 2011) durchgeführt werden konnte. Da es aber notwendig war, dass die SchülerInnen, die die Rallye organisierten, sich mit den Büchern schon vorab vertraut machen konnten, haben wir mit der Planung des Projektes bereits im Juni 2011 im Rahmen des Deutschunterrichtes begonnen. In diesem Sinne erhielten wir vor den Sommerferien einen Teil der Bücher aus dem „Bücherkoffer“ der Unterstufe. So hatten wir Gelegenheit, die Bücher kennen zu lernen, uns mit den wichtigsten Themen der Bücher zu beschäftigen und Gedanken über die Fragen der Rallye zu machen. Mein Ziel war es, den SchülerInnen diese nicht so alltägliche Literatur näher zu bringen, ihr Verständnis für andere Kulturen und Länder zu stärken, die Beschäftigung mit speziellen Themen (Sklaverei, Dikta82 tur, etc.) zu ermöglichen und natürlich die Beschäftigung mit Büchern an sich zu fördern. Der Bücherkoffer und die dazu geplante Rallye bot dabei die Möglichkeit, sich auf eine lustvolle Weise mit Büchern auseinanderzusetzen, und bevorzugte einen Umgang, der zu einer erhöhten Lesemotivation beiträgt und auch die Freude am Lesen fördert. Abb. 1. Um die Arbeit mit den Büchern zu erleichtern, habe ich folgende Vorgangsweise gewählt: Jeweils zwei SchülerInnen schmökerten in einem Buch und stellten es den MitschülerInnen in Kurzform vor (Autor, Titel, Thema, kurze Leseprobe). Danach wurden die Bücher getauscht und jeder erhielt die Gelegenheit, sie kennen zu lernen. Manche Bücher (z.B. Der Aufsatz von Antonio Skarmeta) habe ich den SchülerInnen auch vorgelesen. Somit waren das Interesse und auch die notwendige Begeisterung zur Durchführung des Projekts geweckt. Weltliteratur – Bibliotheksrallye 2. Das Projekt Unser Ziel war es, einen Bibliotheksrallyebogen, d.h. einen Fragebogen mit Fragen zu den ausgewählten Büchern aus dem Unterstufenpaket, für die Klassen unserer Schule zu erarbeiten (Literaturliste s. Anhang). 3. Der Projektablauf im Unterricht und in der Bibliothek In den Wochen vom Projektbeginn bis zur Durchführung der Bibliotheksrallye haben wir in den vier Wochenstunden Deutsch schwerpunktmäßig (so viel wie möglich) für das Projekt gearbeitet. Viele Stunden wurden von mir in der Bibliothek durchgeführt, da sie ideale räumliche Bedingungen zum Erarbeiten unseres Projekts anbietet. Dabei verlief die Arbeit in folgenden Schritten: 3.1 Kennenlernen der Bücher & Ausarbeiten möglicher Fragen in Kleingruppen In dieser Phase haben sich jeweils zwei SchülerInnen intensiver mit je einem Buch beschäftigt und es für die Klasse vorgestellt. Zusätzlich haben sie mögliche Fragen für den Rallyebogen, bezogen auf das jeweilige Buch, ausgearbeitet. Mein Hinweis davor war, dass sie versuchen sollten, möglichst viele verschiedene Fragen zu entwickeln. Bedingungen für die Fragestellungen: Durchführbarkeit für die teilnehmenden SchülerInnen Einbeziehen von Nachschlagewerken (Lexika), die in der Bibliothek zur Verfügung stehen Einbau spielerischer Elemente (z.B. Balancieren eines Buches) PROJEKTE (Buchumschlag, Klappentext, Haupttext, Impressum, Illustratoren, Autor). Nicht zuletzt mussten sie auch entscheiden, welche „Textstellen“ informativ genug sind, um in den Rallyebogen aufgenommen zu werden. Dies setzt wiederum voraus, dass sie sich mit dem Text intensiv auseinandersetzen und den Text immer wieder nach geeigneten Textstellen sichten. In diesem Sinne werden verschiedene Lesemodi und Lesestrategien (extensives, intensives, globales Lesen) geübt. 3.2 Auswählen der Fragen für den Rallyebogen Aus allen, in der Kleingruppe ausgearbeiteten Fragen haben wir gemeinsam die besten ausgewählt (siehe Anhang). Unser Ziel war es, möglichst viele verschiedene und möglichst passende Fragen auszuwählen, damit man auch als Teilnehmer/in wenigstens ein wenig die Hauptthematik des jeweiligen Buches kennenlernt. Das Erstellen des Rallyebogens am PC war für die SchülerInnen ebenfalls eine Herausforderung. Und natürlich musste ein Kontrollbogen mit den Antworten erstellt werden. Schließlich wurde auch eine Urkunde für die Teilnehmer an der Rallye angefertigt. 3.3 Gestaltung der Einladung für die teilnehmenden Klassen Neben der Erstellung des Fragebogens sollte in einem weiteren Schritt auch die Einladung für die teilnehmenden Klassen gestaltet werden. Tipp: Die folgenden Bücher eigenen sich gut, sie vergleichend zu behandeln: Kariuki… & Das Heft meines Freundes Der Adler, der … & Der Aufsatz Der kleine blaue Junge & Vogelauge Stefanos weite … & Ein neues Land Diese Aufgabe fordert SchülerInnen auf verschiedene Weise heraus: Einerseits müssen sie sich in die Perspektive der anderen SchülerInnen hineinversetzen, die während der Rallye keine Zeit haben, sich vertieft mit den Büchern zu beschäftigen. Deswegen sollten sie vor allem nach solchen Details fragen, die zwar leicht zu beantworten sind, die jedoch trotzdem mit den Tätigkeiten „lesen“, „Informationen suchen“, „schreiben“ etc. verbunden sind. So haben die SchülerInnen auch lernen müssen, aus welchen „Bestandteilen“ eigentlich ein Buch besteht Abb. 1. 3.4 Begleitung der Rallye In der Bibliothek wurden mehrere Stationen geschaffen, Orte, die mit Hilfsmitteln (Bücher, Lexika u. Ä.) versehen waren. Bei jeder Station gab es ein Stationenteam, das verschiedene Aufgaben hatte (z.B. Austeilen / Korrigieren der Bögen, Hilfestellung, Betreuung der einzelnen Stationen, Urkunden-Schreiben). Pro BesucherInnenGruppe wurde eine Stunde als Durchführungszeitraum angesetzt, diese zwei Tage waren Projekttage. 83 PROJEKTE Weltliteratur – Bibliotheksrallye 4. Reflexion des Projektes Unser Angebot wurde gerne angenommen, es haben sieben Gruppen an der Bibliotheksrallye teilgenommen, und die TeilnehmerInnen haben sich größtenteils bemüht, alle Lösungen zu finden. Auch das Echo war sehr positiv. Mein Ziel, u.a. durch den spielerischen Umgang eine doch recht intensive Beschäftigung mit den jeweiligen Büchern zu erreichen, ist durchaus gelungen. So haben alle TeilnehmerInnen vom Projekt profitiert. Das sieht man daran, dass den SchülerInnen die behandelten Themen, wie z.B. Diktatur, Sklaverei, Migration bewusster geworden sind, dass sie gemerkt haben, dass nicht in allen Ländern ein solch unbeschwertes Leben wie bei uns in Österreich möglich ist. Außerdem konnte ich beobachten, dass das Verständnis für die in den Büchern dargestellten Probleme größer geworden ist. Vieles wurde den SchülerInnen durch das Lesen erst so richtig bewusst. (Ungerechtigkeiten in der Behandlung, Kulturunterschiede, Gefahren einer Diktatur u.a.). Neben der Sensibilisierung der SchülerInnen für diese spezifischen Themen ist der Vorzug dieses Projektes, dass alle teilnehmenden Kinder sich mit Büchern befassen konnten, die nur selten im Regelunterricht behandelt werden. Dabei haben sie nicht nur neue Themen kennen gelernt, sondern auch ihre Lesekompetenzen auf verschiedene Weise geübt: das Nacherzählen des Inhalts eines Buches und das Präsentieren für andere; das freie Erzählen anhand bestimmter Bilder (z.B. anhand des Bilderbuchs von Schaun Tan); das Suchen nach Informationen im Klappentext, im Haupttext oder im Lexikon; das Gestalten mit Hilfe des Computers. Die Bücher stellten darüber hinaus eine breite Palette an Gattungen bereit: ein besonderes Buch, wo die Geschichte in Bildern erzählt wird, eine japanische Manga, afrikanische Comics und andere Bilderbücher waren neben Jugendromanen zu finden – auf diese Weise konnten die SchülerInnen viele verschiedene literarische Formen kennenlernen. Literatur Ghazi Abdel-Qadir (1998): Die sprechenden Steine. Weinheim/ Basel: Beltz & Gelberg. Marguerite Abouet (2006): Aya. Hamburg: Carlsen Verlag. James Aggrey (1998): Der Adler, der nicht fliegen wollte. Wuppertal: Peter Hammer Verlag. Maria Teresia Andruetto (2003): Stefanos weite Reise. Zürich: Atlantis, Orell Füssli Kim Yong Ik (21989): Vogelauge. Göttingen: Lamuv Verlag Fatou Keita/ Olivia Aloisi (1999): Der kleine blaue Junge. Berg am Irchel: Kik-Verlag. Taha Khalil (1998): Das Heft meines Freundes. Zürich/Frauenfeld: Verlag Nagel & Kimche. Namioka Lensey (2004): Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt. Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg. Maja Mwengi (1996): Kariuki und sein weißer Freund. Göttingen: Lamuv Verlag. Antonio Skarmeta (2003): Der Aufsatz. Hamburg: Dressler. Jiro Tamiguchi (2006): Vertraute Fremde. Hamburg: Carlsen Verlag. Schaun Tan (2008): Ein neues Land. Hamburg: Carlsen Verlag. Jose Mauro de Vasconcelos (22010): Mein kleiner Orangenbaum. Stuttgart: Urachhaus Dolf Verrouen (2005): Wie schön weiß ich bin. Wuppertal: Peter Hammer Verlag. 84 PROJEKTE Brigitte Schulte „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“ Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als Ausgangspunkt für Leseförderung, literarisches und globales Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe STECKBRIEF Das Projekt Ein Koffer voll Geschichten SchuleBerlin, regionale Lehrerfortbildung Klasse / SchülerInnen für die Sekundarstufe I. Teilnehmende FächerDeutsch Projektleitung Brigitte Schulte Angeregt durch die Fortbildung „Sich in die Welt hinaus lesen“ bieten wir im Rahmen der regionalen Fortbildung Berlin für Schulen der Sekundarstufe 1 (7. bis 10. Schulbesuchsjahr) seit November 2011 als Maßnahme der Leseförderung Bücherkoffer mit Jugendbüchern zum Thema „Aufbruch in fremde Welten“, die zusammen mit Belgleitmaterialien entliehen werden können. Bei Interesse besteht darüber hinaus die Möglichkeit zu begleitenden Fortbildungsangeboten. Der Koffer wurde von November 2011 bis Juni 2012 von vier Klassen genutzt, außerdem fanden in zwei Schulen schulinterne Lehrerfortbildungen statt. 1. Der Bücherkoffer – Materialien und Projektideen für den Unterricht 1.1 Zur literatur- und lesedidaktischen Konzeption Der Bücherkoffer enthält die im Anhang aufgeführten Jugendbücher, die jeweils eine Reise in ein fremdes Land sowie eine interkulturelle Begegnung thematisieren. Die Gründe, die zu einer solchen Reise führen, sind unterschiedlich: Arbeitsmigration, Forschungsexpedition, politisches Asyl, Reise, phantastisches Abenteuer, Verbannung als Strafe etc.; die Herkunfts- und Zielländer unterscheiden sich ebenfalls. Jedes Buch stellt die persönliche Entwicklung und Veränderung eines oder mehrerer junger Menschen in diesen kulturellen Kontaktsituationen dar. Stilistisch gesehen geht damit eine multiperspektivische Betrachtung einher, die sich in jedem Buch wie- derfindet. Die Leserinnen und Leser werden also zu einer Reise eingeladen, die sie auf unterschiedlichste Weise mit Fremdheit konfrontiert, es ermöglicht, Sachverhalte aus verschiedenen Blickwinkeln wahrzunehmen, aber auch Empathie durch Identifikation mit den Hauptfiguren zu entwickeln. Auch die Qualität der Begegnung ist unterschiedlich. Zwar stellt jedes Buch Konflikte und Missverständnisse dar und behandelt Ereignisse aus der Sicht unterschiedlicher Personen. Insgesamt gesehen dominieren jedoch freundschaftliche Kontakte, die vorgefertigte Eindrücke überwinden helfen. Die Bücher unterschieden sich nicht nur thematisch, sondern sind auch unterschiedlich lang und unterschiedlich anspruchsvoll, sodass die Jugendlichen nach Interesse und Lesekompetenz gezielt auswählen können. Das Angebot versucht damit heterogenen Lerngruppen gerecht zu werden und dient der individuellen Lektüre. Von jedem Buch gibt es zwei bis vier Exemplare im Bücherkoffer. 1.2 Die Ausstellung – Literatur und Lebenswelt Zusammen mit dem Bücherkoffer wird die Ausstellung „ein Koffer voller Geschichten“ des Berliner entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrums (EPIZ) als Angebot für den Deutsch-, Ethik-, Religions- oder Sozialkundeunterricht mit begleitenden Materialien ausgeliehen. Die 10 Ausstellungstafeln stellen jeweils die persönliche Migrationsgeschichte eines Neuberliners oder einer Neuberlinerin in den Mittelpunkt. 85 PROJEKTE „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“. Die Romanthemen des Bücherkoffers und die Einwanderungsgeschichten der Ausstellung entsprechen sich; in jeder autobiografischen Migrationsgeschichte steckt sozusagen ein Erzählkern, der ausgestaltet werden könnte. Durch die parallele Behandlung erfolgt eine Aufwertung persönlicher Migrationserfahrungen, zudem kann der lebensweltliche Bezug, der entsteht, wenn Schülerinnen und Schüler ausgehend von den Ausstellungstafeln über familiäre Migration berichten, eine Brücke zu den Jugendbüchern bauen. Darüber hinaus eröffnet das Material die Möglichkeit eines fächerübergreifenden Unterrichts und die Auseinandersetzung mit verschiedenen Textsorten. Im Unterricht können vielfältige Bezüge zwischen den Büchern und der Ausstellung hergestellt werden – von der Anregung, eine ähnliche Ausstellung über die Bücher für die Schule zu gestalten bis hin zu eigenen Interviews anhand der Leitfragen der Ausstellung und deren Ausgestaltung als Transferprojekt. 1.3. Projektideen für den Unterricht mit dem Bücherkoffer Ein Portfolio anlegen und einen Vorleseabend mit Buchempfehlungen durchführen. Erinnerungskästen zu den Büchern gestalten und in der Schule präsentieren; ein Lebensmotto für die Hauptperson formulieren. Schlüsselszenen aus den Büchern z.B. zum Thema „Gründe für den Aufbruch“, „Ankunft im fremden Land“, „Missverständnisse und Konflikte“, „Schlüsselerlebnisse“ den MitschülerInnen vorspielen und kommentieren. Eine Ausstellung zu den Büchern in Anlehnung an die Ausstellung „Ein Koffer voller Geschichten“ für die Schule gestalten. Eine eigene Befragung durchführen: - Die Schülerinnen und Schüler führen Interviews in ihrer multikulturellen Umgebung /Schule durch und befragen Menschen mit Migrationshintergrund, weshalb sie sich für ein Leben in Berlin entschieden haben, welche Befürchtungen und Erwartungen damit verbunden waren etc. - Sie machen sich als „Geschichtensammler“ auf die Suche nach Geschichten, Märchen u.Ä., die für die Kindheit der Befragten besonders prägend waren. 2. Ergebnisse – Schülerstimmen Wie sieht die konkrete Arbeit in den Klassen aus? In zwei achten Sekundarschulklassen wurde der Bücherkoffer zur individuellen Lektüre genutzt, die Schüler haben Buchvorstellungen vorbereitet, die im Rahmen einer 86 Adventsfeier Mitschülern und Eltern präsentiert wurden. Eine andere Sekundarschule plant ein fächerübergreifendes Projekt für die 7. Klasse zwischen Deutsch, Ethik und Kunst: Im Ethikunterricht beschäftigen sich die SchülerInnen ausgehend von der Ausstellung mit der Frage: Wer bin ich? Woher komme ich? Im Deutschunterricht lesen die SchülerInnen nach persönlichem Interesse ein Jugendbuch und planen eine Präsentation inhaltlich. Im Kunstunterricht bereiten sie eine mediale Präsentation durch Erzählkisten, Stabpuppen oder Comics vor. Die Arbeit einer 10. Gymnasialklasse mit einem hohen Anteil an SchülerInnen mit Migrationshintergrund (ca. 70%) wird im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt. Hier haben die Schülerinnen und Schüler zunächst, ausgehend von der Ausstellung, persönliche familiäre Migrationsgeschichten thematisiert. Interessant ist die Geschichte von Firas, der zunächst von seinem Vater berichtet: „Mein Vater ist gebürtiger Syrer und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Mein Vater ist einer von sechs Kindern, mein Opa väterlicherseits ist, als mein Vater noch sehr klein war, gestorben. Seit dem achten Lebensjahr arbeitete mein Vater auf dem Basar und verkaufte Luftballons. Er musste damit einen Teil für das Leben seiner Familie beisteuern. Den anderen Teil brauchte er, um seine Schule zu finanzieren.“1 Anschließend beschreibt er eigene Urlaubserfahrungen in Damaskus: „…Ich konnte zwar kein Arabisch sprechen, doch ich fühlte mich in der Stadt sehr wohl. Ich habe mit meinen unzähligen Verwandten, von denen ich bis dahin nur gehört habe, einen Teil des syrischen Landes bereist […] Was mich an diesem Land am meisten beeindruckte, war die arabische Mentalität. Ich kannte bis dahin nur die deutsche Mentalität und die Vorurteile gegenüber den Arabern […]. Die Vorurteile waren recht allgemein, dafür aber umso schlimmer. Manche denken, dass alle Araber Terroristen und frauenfeindlich sind. Aber diese extreme Lüge wurde mir in Syrien widerlegt. Natürlich gab es da und dort ein wenig Ungerechtigkeit gegenüber Frauen. Aber so traurig es klingt, in welcher Kultur gibt es das nicht?“ Nach dieser Einstiegsphase wählen die SchülerInnen einen Jugendroman nach persönlichem Interesse aus und legen lektürebegleitend ein Portfolio an. Firas wählt Die Sehnsucht der Schwalbe2 des deutsch-syrischen Autors Rafik Schami. „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“ Seine persönliche Geschichte prägt auch seine Rezeptionserfahrung und bildet eine Brücke zwischen Literatur und Lebenswelt. In seiner Abschlussreflexion schreibt er: „Die Geschichte von Rafik Schami ist eine sehr bewegende. Als ich das Buch las, erinnerten mich viele Stellen an meine Zeit in Damaskus. Nicht nur der Satz „Damaskus ist die schönste Stadt der Welt“ rief die tollen Wochen in mein Gedächtnis zurück. Auch viele weitere Stellen ließen mich in meinen Erinnerungen schweben. […] Viele Ereignisse in dem Buch ließen mich an meinen Vater denken. Ich sehe einige Parallelen zwischen Lufti und meinem Vater. Diese Gründe sind dafür verantwortlich, weshalb mich die Geschichte so berührt. [...] Abschließend lässt sich sagen, dass das Buch sehr empfehlenswert ist, weil es viele heutige Streitfragen anspricht und gleichzeitig gute Lösungsansätze bietet.“ Auch Anh und Franziska wählen den Roman Die Sehnsucht der Schwalbe. Ihre Abschlussreflexion zeigt, dass die Leseprozesse der beiden Schülerinnen sehr unterschiedlich verlaufen. Anh, die aus Vietnam stammt, kann sich mit Lufti, der Hauptfigur des Romans, der zwischen Deutschland und Syrien pendelt und in der Zwischenwelt des Frankfurter Flohmarkts seine Heimat findet, identifizieren. Für sie stehen Fragen der kulturellen Identität und Hybridität im Vordergrund. Für die deutsche Schülerin Franziska hingegen ist ein Gefühl der Fremdheit bei der Lektüre prägend. Sie sieht Deutschland aus einer ungewohnten Außenperspektive, wird zu Selbstund Fremdreflexion angeregt und entwickelt Empathie, als sie beim Lesen in die Perspektive eines Ausländers in Deutschland schlüpft. Für Anh waren die Gefühle Luftis gut nachzuvollziehen, da auch sie das Gefühl der Zugehörigkeit zu mehreren Orten oder in manchen Momenten zu gar keinem Ort gut kennt. Franziska fand besonders die fremde Sichtweise auf Deutschland und das Verhalten der Deutschen aufschlussreich. Auch wie es Ausländern in Deutschland geht, war etwas Fremdes, das ihr so leichter verständlich wurde. Besonders schön fanden sie beide die Vorstellung, dass Lufti seine Heimat auf dem Flohmarkt „Babylon“ gefunden hat. Der Flohmarkt schien ihnen wie eine multikulturelle „Insel“ inmitten der Fremde, die Geborgenheit und Zugehörigkeit ausstrahlte3. PROJEKTE hörigkeit ausstrahlte“. Damit wird deutlich: Der Roman beschränkt sich nicht darauf, zwei Kulturen im Sinne eines „entweder – oder“ gegenüberzustellen, sondern zeigt Überschneidungen und Synthesen, schafft also einen möglichen und zugleich utopischen Ort, der Interkulturalität als ein „sowohl – als auch“ begreift und ausgestaltet. Gerade durch diesen transkulturellen Aspekt übt der Roman auf junge Menschen wie Anh und Franziska, die beide in einer multikulturellen Umgebung leben, eine große Faszination aus. Den Abschluss der Unterrichtseinheit bilden eine von dem Portfolio ausgehende Buchpräsentation und eine Reflexion über das Thema „Heimat“. Hier einige Schülerstimmen: Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist. Heimat ist mein Kiez. Heimat ist immer dort, wo man sich wohl fühlt und nicht fremd ist. Heimat sind meine Familie und meine Freunde. Heimat ist der Ort, wo man hin will, wenn man woanders ist4. 3. Zum Schluss Das Praxisbeispiel verdeutlicht, welche Lernprozesse über die Entwicklung der Lesekompetenz hinaus durch den Bücherkoffer angestoßen werden können: Es geht um die Fähigkeit zu Empathie sowie Selbst- und Fremdreflexion, die von Firas, Anh und Franziska in unterschiedlicher Weise gezeigt werden. Diese Kompetenzen führen zur Herausbildung und Umstrukturierung eigener Positionen und münden in eine Grundhaltung der Anerkennung, die gerade für heterogene Klassen mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher kultureller und sprachlicher Herkunft wesentlich ist. Alle im Anhang aufgelisteten und in Kurzform beschriebenen Bücher eignen sich ähnlich wie der Roman von Rafik Schami für ein solches interkulturelles Lernen im Sinne einer Persönlichkeitsbildung. Nach diesem so unterschiedlichen Leseprozess finden sich beide Schülerinnen aber an einem gemeinsamen imaginären Ort und in einer gemeinsamen Wertvorstellung wieder, nämlich in dem Flohmarkt Babylon, der, wie sie schreiben, „eine multikulturelle ‚Insel’ inmitten der Fremde“ zu sein scheint, die „Geborgenheit und Zuge87 PROJEKTE „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“. Anmerkungen 1 Alle Texte von Firas stammen aus seinem lektürebegleitenden Portfolio (Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin). 2 Zum Inhalt siehe beigefügte Bestandliste des Bücherkoffers. 3 Auszug aus einem Schülerportfolio (Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin) 4 Unterrichtsmitschrift (Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin) Literatur Allende, Isabel (2010): Die Abenteuer von Aguila und Jaguar. Drei Romane in einem Band. Aus d. Span. von Svenja Becker. 1. Aufl., Frankfurt am Main: Suhrkamp. Diome, Fatou (2004): Der Bauch des Ozeans. Zürich: Diogenes. Hosseini, Khaled (2003): Drachenläufer. Aus dem Amerikan. von Angelika Naujokat und Michael Windgassen. 2. Aufl. Berlin: BerlinVerl. Kara, Yadé (2003): Selam Berlin. Zürich: Diogenes-Verl. Na, An (2005): Im Himmel spricht man Englisch. Übers. von Cornelia Krutz-Arnold. Düsseldorf: Sauerländer. Siege, Nasrin (1996): Shirin. Weinheim [u.a.] : Beltz & Gelberg. Schami, Rafik (2002): Die Sehnsucht der Schwalbe. München: Dt. Taschenbuch Verl. Zenatti, Valérie (2008): Leihst du mir deinen Blick? Eine Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza. Aus dem Französ. von Bernadette Ott. München: Dt. Taschenbuch-Verl. Zaptcioglu, Dilek (1998): Der Mond ißt die Sterne auf. Stuttgart; Wien [u.a.]: Thienemann. 88 ANHANG Simone Steharnig Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? SchülerInnen-Texte Jezero JAZ-ICH In mir alles voll und leer zugleich Mein Kopf denkt und denkt doch mein Herz, was fühlt es? Kot jezero, globoko in skrivnostno na dnu rešitev Doch wie, wie kum i durt hin? Ich versinke in Gedanken, Träume, Ängste Ich bin nahe, ganz nahe an der Lösung skoraj na cilju smer….napačna je! izčrpana sem rešim se pritiska I hobs kschoft bin wieder do an der Oberfläche, der Realität rešitev skrivnosti bo vstala na dnu jezera, mojega jezera Ich govorim rede pet fünf Sprachen jezikov imam habe viele mnogo ljudi Menschen v srcu Herz bei pri meni mir. Ich rada habe Mein imam moj Leben življenje gern. Če nekaj wenn ich naredim etwas potem mache,dann mache to ich delames z mit veseljem Freude ali če oder nekomu wenn ich pomagam jemanden helfe,mache to naredim s ich es srcem mit dem Herzen. Ich ne maram kann če se nicht nekdo leiden prepira wenn sich to pa jemand res streitet in und če wenn jemand nekdo ne nicht govori resnico die Wahrheit. 89 ANHANG Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? Meine Identität Mein Zuhause C’est pas moi Ich stehe vor ‘nem off ’nen Tor Zu vielen verschiedenen Kulturen Und alle hinterlassen ihre Spuren Doma sem tam Kjer prijatlne imam Comment, ca va? Je ne sais pas Weil ich mich selber nicht mehr kenn Kann ich niemals sagen „je t’aime“ In aj sm shor puzobua Aj sm v teh letih vse nazaj dobua Von der Freude und der Höflichkeit Bin ich stets zu geben bereit Doch auch mir geht es nicht immer gut Bei Vorurteiln regiert mich die Wut Bitte, wer wird schon gern Nazi genannt Nur weil die Familie lebt im deutschen Land? Hier habe ich meine Freunde und eine Familie. Aber auch dort imam prijatelje in družino. In vsepovsod, kamor pridem, fühle ich mich wohl, doma. Et encore la langue, où je me sens chez moi. Die Sprache, que je ne comprends pas tout en entier, die ich aber fühle. Wenn ich denke, dann bin ich. Ko govorim, sem jaz. Quand j’entends, je suis moi-même. Kje je moj dom, ou je peux me reposer und so sein kann, kakor pač sem? Chez moi je suis là, kjer se počutim razumljeno, verstanden. Meine Identiteta/Moja Identität Koroška Slovenka onekada ist es stvarno težko živjeti in jednoj zweisprachigen grad. Ako prićam Deutch, hoću hrvatski reden, i ponekada rutscht mi jedan deutsches Wort raus. Pitam se, zu welcher država dazu spadam. Živim zwar in Klagenfurt, i se isto hier dobro fühlen, ali mein država je Kroatien, tu pripadam und sam unter Gleichen. Ipak sind alle moje Freunde u Österreich, hier sve znam i alles mi se vorkommen vertraut. U hrvatskoj su aber immerhin moje Verwandten, to je meine Identiteta. Bin ich und leb ich, se včasih počutim als wäre ich anders, ker ljudi ne marajo, mögen slowenisch. Jaz to ne razumem, das waren wir alle, a zdaj zarečujemo, betrügen Vergangenheit. Se počutim ujeta, aber auch überlegen, ker vem, imam nekaj, was andere nicht haben. Ponosna na svojo preteklost Bin ich. Die anderen Bodo to tudi spoznali: „wir sind nicht schlechter, samo ker smo drugačni“, Wenn sie das erkennen, bomo enotni und endlich werden wir ponosni in isti! Der Würfel Kärnten Koroška Hier bin ich Tukaj sem jaz Um mich herum Deutsch, slovensko, italiano, english To je like ein Würfel Seite um Seite drugače vielseitig.verschieden. Jede Seite hat einen anderen Wert Eine andere Bedeutung Eine andere Aufgabe Und dieser Würfel bin ich Meine Welt ist zweisprachig, mehrsprachig, vielsprachig Das me zmede ogni tanto Doch das bin ich 90 ANHANG Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos Arbeitsblatt „Lust auf Lyrik“ 18.10.2011 (Adelheid Putz) 1. Gestalte mit Wörtern aus den Gedichten BILDWÖRTER (Plakat). Auch Übersetzungen in andere Sprachen sind möglich. emma, det bästa/Das Beste, Len/ Faulenzer, die tollen walrosse, das dunkle zimmer, Pomiedzy odplywem mysli/ Ebbe der Gedanken, Die himmlischen Kleider, Igru sici pjevat, Jak dobrze, Rosa Blanca/Weiße Rose, Ein Kind singt auf dem Schulweg, Som ett blommande mandelträd/ Blühender Mandelbaum 2. Verändere das Gedicht. Überlege zunächst Reimpaare für das Zeilenende. Schreibe in die freien Zeilen nach dem Vorbild von Arne Rautenberg: emma wird was gutes schlimmer bleibe immer emma hast du keinen schimmer bleibe immer emma schickt man dich ins zimmer bleibe immer emma klappt was nie und nimmer bleibe immer emma Für die 5A: Schreibe Variationen des Gedichts von Günter Kunerts Auf der Schwelle des Hauses Auf der Schwelle des Hauses In den Dünen sitzen. Nichts sehen Als Sonne. Nichts fühlen als Wärme. Nichts hören Als Brandung. Zwischen zwei Herzschlägen glauben: Nun Ist Frieden. 91 ANHANG Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos SchülerInnen-Texte Drogen Emma von Adrian Epp Emma von Christina Styll Brauchst du Kokain, bleibe immer Emma. Schnupfst du Heroin, bleibe immer Emma. Nimmst du n’ bisschen Crack, bleibe immer Emma, landest dann im Totenbett, bleibe immer Emma Hast du einen Blazer Bleibe immer Emma Kämpfst du mit nem Laser Bleibe immer Emma Kaufst du mal Malteser Bleibe immer Emma Besuchst du einmal Caesar Bleibe immer Emma Emma von Anna Maria mit Sophie Cassut Emma von Dominika Sterna, Ivana Puskaric Bist du immer besser bleibe immer Emma spielst du mit dem Messer bleibe immer Emma ist es draußen nässer bleibe immer Emma wirst du immer kesser bleibe immer Emma siehst du kleine Kinder bleibe immer emma sind es dann auch Inder bleibe immer emma Heißen sie Bellinda bleibe immer emma wirst du dann ein Blinder bleibe immer emma Im Gefägnis von Yasmin Lawson Auf der Schwelle des Stresses von Ivana Puskaric, Anna Mazurkiewicz In der Zelle sitzen. Alles ist Grau und düster. Tiefe Einsamkeit. Stille Und Leere erfüllt mein Herz. Ich wünsche mir nichts Als Freiheit In der Schule sitzen. Nichts sehen als Lehrer. Nichts fühlen als Stress. Nichts hören als Stoff. Zwischen zwei Fächern glauben: Nun ist endlich Pause. Die Lösung von Daniel Bryslawski Endlosigkeit von Christina Styll In der Schule sitzen. Nichts sehen Als Zahlen. Nichts fühlen als Kälte. Nichts hören Als Klagen. Zwischen zwei Herzschlägen glauben: Nun Habe ich die Lösung! In der Schule sitzend. Nichts sehen Als Menschen. Nichts fühlen als Gleichgültigkeit. Nichts hören als Stimmengewirr. Zwischen zwei endlosen Schulstunden: Wann ist endlich Schule aus? 92 Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos Liebe von Yasmin Lawson Die Rose von Yasmin Lawson Todeswund auf Männer Glieder, roter Mund senkt sich hernieder, Mädchen Augen halb geschlossen, Klagen hörst du, sanft entsprossen Liebe und Einsamkeit Aus Stein entsprossen sanft, die weiße Rose der Nacht, schön wie im Traum Blumen im Mondlicht von Christina Styll In der Nacht von Dominika Sterna O, blühend Blumen Entsprossen aus mondbeglänzten Knospen Blühen im Licht der Einsamkeit Versunken im uralten Traum Die wunderbare Einsamkeit schüttet Blumen in den Traum Ach! Wunderbare Rosen Sanft hörst du die Nachtigallen Nacht ist es! Und das Licht kommt sanft hernieder ANHANG O! Mondbeglänzte Knospen blühen vor den Augen der Kinder! Sanfte, schöne Rosen klagen von der Liebe. Die Marmorbilder im Licht versunken Zwischen den Quellen der Waldseen Frühling von Isabell Steiner Nacht von Max Kleedorfer Die Blumen blühen, der Knospe entsprossen weiße Rosen zwischen uralten Waldesseen die Nachtigallen die junge Einsamkeit Du? Einsamkeit? Hörst’s du’s? Die Lieder? Und die Kinder klagen… Ach, die schönen Rosen die sprossen aus den Straßen Und die Nachtigallen Die uralte Nacht Wie wunderbar! 93 ANHANG Andrea Zikuling Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte Dojemanje lastnega in tujega: sti iš a in konflikti Percezione di sè e dell’altro: contatti e conflitti 1. Arbeitsblatt zu den behandelten Romanen Arbeitspensum vom 21.10.2011 bis zum 15.11.2011: (1.) Thema „Überwachung“: Verfasse eine Empfehlung (Siehe Aufgabenblatt!) (2.) Lektüre: Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf. Lektüretermin: 15.11.2011 (3.) Gruppenarbeit zum Buch Paradiesische Aussichten (Arbeit am Text, Textanalyse, Textinterpretation) Bearbeitet die unten stehenden Themenkreise in der Gruppe, fertigt eine visuelle Darstellung (Collage, Schaubild, Zeitstrahl, Mind Map, Diagramm usw.) der Ergebnisse und präsentiert eure Arbeit. 3.1 Die Figurenkonstellation im Roman a) Beschreibt die Charaktere und deren Bedeutung für die Erzählerin. b) Belegt eure Ausführungen mit Textstellen. 3.2 Vergleicht den ersten Abschnitt mit dem letzten. a) Was hat sich für die Erzählerin verändert? Welche Aussichten, Hoffnungen, Chancen gibt es für sie? b) Untersucht die Geschlechterrollen. c) Vergleicht eure Lebenswelt und eure Perspektiven mit Dorias Wirklichkeit. Wäre eine Verständigung, ein Austausch möglich? d) Schreibt Doria einen Brief. 3.3 Die Sprache des Jugendromans a) Beschreibt den Stil der Autorin Faiza Guène anhand von Beispielen. b) Welche sprachlichen Besonderheiten fallen euch auf ? c) Übertragt die ersten 16 Zeilen in standardsprachliches Deutsch. Was verändert sich in Aussage und Wirkung? d) Klärt folgende Begriffe: Jugendjargon, Ethnolekt, Mischsprache. e) Überlegt, welche Bedeutung fremdsprachliche Einsprengsel haben könnten. 3.4 Die Erzählperspektive: Dorias Welt – Dorias Gegenwelt, Eigenes und Fremdes a) Welche Figuren oder Institutionen repräsentieren das Eigene, welche das Fremde? b) Welche Regeln werden akzeptiert, welche als fremd abgelehnt? 3.5 Unruhen in der Pariser Banlieue a) Recherchiert die Hintergründe der Ausschreitungen und die Antwort der Politik. b) Chronologie der Ereignisse: 2005, 2006, 2007 c) Pariser Vorstädte heute 94 Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte ANHANG 2. Arbeitsblatt zum Film Almanya* Beobachtungsbogen, 6A Klasse, Februar 2012: 1. Allgemeines a) Regie und Drehbuch b) Filmgenre c) Schauspieler d) Schauplätze 2. Erzähltechnik a) Welche verschiedenen Zeitebenen gibt es? b) Welche Erzählebenen gibt es? c) Wie sieht die Erzählstruktur aus? d) Gibt es eine/n Erzähler/in? 3. Filmische Mittel a) Welche Montagetechniken fallen auf ? b) Wie werden Licht und Farben eingesetzt? c) Welche Musik wird wann unterlegt? d) Welche Sprachen werden wann verwendet? 4. Themen des Films 5. Zeichne den Stammbaum der Familie: Hüseyin, Fatma, Veli, Canan, Cenk, Gabi, Leyla, Mohamed, Ali, David 6. Beantworte folgende Fragen a) Was erfährt der Zuschauer über die Türkei? b) Wie sieht das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Türkei der 1960er Jahre aus? c) Wovon leben die Menschen auf dem Land in der Türkei? d) Was ist die Arbeit der Gastarbeiter in Deutschland? e) Wie erleben die Kinder den Umzug nach Deutschland? f ) Wie werden die muslimische und die christliche Religion dargestellt? g) Wie erlebt Hüseyin, der Vater, die schnelle Integration seiner Kinder? h) Wie werden die Deutschen im Film dargestellt (Kinder und Erwachsene)? i) Für wen ist welches Land Heimat? Woran merkt man das? j) Welche Generation erlebt eine „Identitätskrise“? 7. Szenen-Analyse 7.1 Cenks „Problem“ Wie wird Cenks Ausgeschlossensein bildlich dargestellt? Warum ist diese Szene auch komisch? 7.2 Szene: Auf dem Amt a) Auf welcher Ebene erscheint diese Szene besonders komisch? (Bild/Ton) b) Welche Klischees über Deutschland und die Deutschen werden auf der Traumebene dargestellt? c) Warum wird der Traum als Erzählebene gewählt? 8. Kommentiere Max Frischs Zitat: „Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen.“ *Quelle:http://www.goethe.de/ins/fr/pro/cineallemand/pdf_ cineallemand5/Didaktisierungsvorschlag_Almanya_Hin- weise%20Lehrer.pdf (bearbeitet und gekürzt) 95 ANHANG Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte 3. Das Projekt in 15 Unterrichtseinheiten Arbeitsaufträge zum Roman Novocento 1. Einheit Das Projekt und seine Ziele werden kurz vorgestellt. Wir studieren das Deckblatt des Buches Novecento und stellen Hypothesen auf (wer, was, wann ist/war Novecento?). Die SchülerInnen arbeiten zuerst individuell, schriftlich, dann tauschen sie sich in kleinen Gruppen aus. Schriftliche Aufgabe: Jede/r schreibt den Beginn des Romans. Sie fangen mit folgendem Zitat aus dem Buch an: „Succedeva sempre che ad un certo punto uno alzava la testa e… la vedeva.“ Die SchülerInnen tauschen ihre Geschichten mit den MitschülerInnen, die den Text weiterschreiben. In kleinen Gruppen werden die Geschichten vorgelesen und die interessanteste ausgewählt. Für die ausgewählten Fortsetzungen schreibt die Gruppe ein gemeinsames Ende. 2. Einheit Die italienischen Schüler referieren über die Migration der ItalienerInnen in Europa und nach Amerika um die Jahrhundertwende. Ich ergänze die Referate, wo es notwendig ist. 3. Einheit Wir hören die ersten Seiten von Novecento, vom Autor selbst vorgelesen (Hör-CD). Die SchülerInnen bekommen die Aufgabe, sich in eine Person hineinzuversetzen, die sich an Bord des Schiffes befindet. Sie schreiben einen inneren Monolog, in dem sie sich von der Heimat verabschieden. Die SchülerInnen improvisieren in Paaren einen Dialog: - SchülerIn A ist verzweifelt und vermisst alles, was er/sie in der Heimat verlassen hat müssen. - SchülerIn B versucht SchülerIn A zu trösten und verwendet alle möglichen Argumente, die die positiven Aspekte der Migration hervorheben. Die zwei Personen werden Freunde und entscheiden sich die Fahrt gemeinsam fortzusetzen. Schriftliche Aufgabe (HÜ): die Seiten noch einmal lesen und kurz zusammenfassen. 4. Einheit Die SchülerInnen lesen ab jetzt selbständig zu Hause und bekommen Fragen und Aufgaben, die sie teils zuhause, teils in der Schule erledigen. Seiten 1-18 a)Schreibe einen Kommentar über folgendes Zitat: „Suonavano perchè l’Oceano è grande, e fa paura, suonavano perchè la gente non sentisse passare il tempo, e si dimenticasse dov’era, e chi era“.(S 13). b)Wer ist „la gente“? Vor wem/wovor fürchten sich die Leute? Wieso mussten sie vergessen, wer sie waren? c)Was erfahren wir vom Erzähler in diesen ersten Seiten über Novecento? Reflexion über die kulturelle Herkunft a)Mache dir Gedanken darüber, welche Erfahrungen, Gebräuche, Traditionen, Sprachen, Lebensgewohnheiten, Gegenstände deine Identität ausmachen. b)Wir reden über mögliche Umstände und Situationen, in denen die SchülerInnen gezwungen sein könnten, ihre Heimat zu verlassen. c)Wir reflektieren gemeinsam über die Tatsache, dass MigrantInnen meistens ihr Hab und Gut nicht mitnehmen können, aber die Kultur ihrer Heimat mitbringen, und diese ist Teil ihrer Identität, die sie pflegen und an die nächste Generation weitergeben möchten. d)Jede/r von ihnen zeichnet einen eigenen „magischen Koffer“, in dem er/ sie Symbole packt, die Traditionen und Werte darstellen, die er/sie unbedingt mitnehmen würde. e)In Gruppen präsentieren dann die SchülerInnen ihren „magischen Koffer“ und erklären dessen Inhalt. 96 Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte ANHANG 5. Einheit Seiten 17 – 31 a)Novecentos Herkunft? b)Wieso trugen die MigrantInnen ihr schönstes Gewand bei Ankunft in Amerika? c)Woher stammt der Name Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento? d)Warum erlebt Novecento zwei Mal den Elternverlust? e)Was passiert auf Seite 24? f )Wann erfolgt das Treffen zwischen Novecento und dem Erzähler? g)Wie wird der Ozean beschrieben? h)„Amici per la pelle“. Erkläre diesen Ausdruck. i)Wieso hat der Erzähler Angst?(S. 31) Seiten 31 – 41 a)„Era fatto così lui… non gli fregava niente sapere chi vinceva: era il resto che lo stupiva.” (S. 38) Aus diesem und weiteren Sätzen lernen wir einige besondere Merkmale der Figur Novecento kennen. Unterstreiche im Buch die relevanten Sätze und beschreibe Novecento in einem kurzen Text. (100 W.) b)Wie ist die Musik von Jelly Roll? c)Wie verhält er sich?. Seiten 42 – 51 a)„Fumala tu. Io non sono buono“. Warum sagt Novecento Jelly Morton diesen Satz? b)Asche fällt auf die Schuhe und den schönen Anzug von J. Morton. Welche Bedeutung kannst du aus dieser Szene herauslesen? (S. 44) c)„E lì, a quel punto, cadde il quadro. „ Wann fällt das Bild hinunter? „Il quadro cade quando…“ Vervollständige die Sätze aus deiner persönlichen Lebenseinstellung heraus. d)Wann ist das Bild für Novecento hinuntergefallen? Seiten 50 – 62 a)Schreibe einen kurzen Kommentar (50 W.) über die Seiten 50-51, besonders in Bezug auf die Wörter felicità (Glück) – musica (Musik) – vita (Leben). b)Wieso „se suoni la tromba sul mare sei uno straniero“? (S.51-52) c)Was haben der Erzähler und Novecento während ihres letzten Konzertes gemacht? d)Von welchem Krieg ist die Rede? (S. 52-53) Wie geht der Erzähler damit um? e)Warum ist Novecento nicht das erste Mal vom Schiff gegangen? f )„Tu sei infinito. Loro sono 88“. Schreibe/Erzähle deine Gedanken über diese Aussage. g)Denkst du, dass Novecento schon je verliebt war? Wie könnte seine Liebe gewesen sein? Beschreibe sie. h)Wie hast du dich beim Lesen der letzten Seiten gefühlt? (S. 58-61) Was für Fragen hast du dir gestellt? Hast du einen Sinn in dieser Geschichte gesucht? Hast du ihn gefunden? Die SchülerInnen versuchen sich vorzustellen, wie sich der Erzähler und Novecento auf dem mit Dynamit vollbeladenen Schiff unterhalten. Sie notieren ihre Ideen und stellen dieses Gespräch der Klasse vor. 6. Einheit Die SchülerInnen bekommen einige Seiten der Zeitschrift „Focus Junior“, die Migration und Integration in der Vergangenheit und heute schildern. Sie machen Wortschatzübungen und schematisieren in kleinen Gruppen den Inhalt der Texte, die sie lesen. Arbeitsaufträge zum Roman Mare Nero 7. Einheit Wir beginnen mit dem Immigrationsroman Mare nero. Es geht um einen jungen Mann aus Marokko, der den sogenannten „viaggio della speranza“ (Reise der Hoffnung) nach Europa unternimmt. Durch die Beschreibungen des Erzählers wird die nackte Wahrheit des Schicksals der Flüchtlinge geschildert, die einem tragischen Ende entgegengehen. Wir lesen nur einige Abschnitte aus dem Werk. Es folgt eine Einführung zum Roman und zum Autor. Die SchülerInnen werden eingeladen, sich über das Titelblatt Gedanken zu machen. Was stellt das Bild dar? Worum geht es im Buch? 97 ANHANG Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte 8. Einheit Die SchülerInnen beginnen mit der Lektüre und bekommen folgende Fragen (Seiten 1-10): a)Nenne die Figuren, die in den ersten Seiten des Romans vorkommen, und beschreibe sie kurz. b)Wer ist der Erzähler? Wo befindet er sich? Was will er unternehmen? c)Mit den Informationen, die du diesen ersten Seiten entnehmen konntest, und mit deiner Fantasie, schreibe ein Portrait der Familie des Erzählers. Folgendes muss in deinem Text vorhanden sein: - Beschreibung der Familienmitglieder - Beschreibung des Wohnortes - Beschreibung eines typischen Tages der Familie - Träume und Hoffnungen der Familienmitglieder Die SchülerInnen improvisieren zu zweit einen Dialog (3 Minuten) zwischen dem Erzähler und seiner Schwester. a)Er will die Heimat verlassen, um ein neues, besseres Leben führen zu können; b)Sie hat viele Zukunftsträume, aber sie kann von zu Hause nicht weggehen und hat Angst um den Erzähler. 9. Einheit Reflexion über Mensch und Religion (S. 11-14) Wir beschäftigen uns in dieser Einheit mit der Religion und ihrem Wert für die Menschen allgemein, für die SchülerInnen, ihre Familie und ihre Kultur. Sie bearbeiten die folgenden Fragen in kleinen Gruppen und referieren dann über die Gruppenarbeit. a)Wie ist die Beziehung des Erzählers zu seinem Vater? b)Denkst du, dass der Erzähler religiös ist? c)Hast du Kontakte zu MuslimInnen (gehabt)? Erzähle. d)Welche Integrationsschwierigkeiten hat ein Muslim in Europa und welche Integrationsschwierigkeiten hat ein Christ in einem muslimischen Land? e)Welchen Wert hat für dich die Religion? f )Beeinflusst sie dein Leben? Wie? 10. Einheit Die SchülerInnen lesen das 4. Kapitel zu Hause: a)„La porta della baracca si apre e…“ Erzähle, was passiert und wie sich der Erzähler und die anderen Menschen in der Baracke fühlen. b)Wie würdest du dich in so einer Situation fühlen? c)Was erklärt der Mann, der die Menschen abholt? d)Wie fühlt sich der Protagonist? Die SchülerInnen (zu c) improvisieren einen Dialog in der Baracke. Sie reden über: a)Gründe für die Flucht; b)Träume und Hoffnungen für die Zukunft; c)Trauer über das Verlassen der Heimat. 11. Einheit Die SchülerInnen lesen das 5. Kapitel zu Hause. a)Wie ändert sich die Stimmung der Hauptfigur und der anderen Flüchtlinge in diesem Kapitel? b)Was macht dich betroffen? c)Welche bösen Überraschungen erwarten die Gruppe vor der Abfahrt? d)Setzte den Dialog zwischen Usmane und seinem Sohn (S. 21) fort. e)Versetze dich in die Rolle von Usmane und erzähle in einem inneren Monolog: - deine Ängste - deine Pläne - deine Hoffnungen für die Zukunft deiner Kinder 98 Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte ANHANG 12. Einheit Die SchülerInnen lesen das Kapitel 6 zu Hause. a)„Motore acceso…“. Was machen Ahmad und die anderen vor der Abfahrt? b)Wie sind die Bedingungen auf dem Boot? Wie ist die Stimmung? c)Welche Assoziationen verbindest du mit dem Ausdruck „carico umano“ (Menschenladung) d)Was ist das Ziel von allen Menschen auf dem Boot? e)Beschreibe die Familie von Usmane. f )Was bedeutet das Wort „esodo“? g)Was wird über die Arbeit in Italien erzählt? 13. Einheit Die SchülerInnen lesen das Kapitel 7 zu Hause. a)Was bedeutet „lavorare in nero“? (schwarz arbeiten). b)Welche Sorgen hat die Frau von Usmane? c)Was passiert auf Seite 40? d)Schreibe in 120 Wörtern das Ende des Romans. Die SchülerInnen erzählen ihre Geschichten in der Gruppe, das beste Ende wird ausgewählt und im Plenum vorgestellt. 14. Einheit Wir lesen und kommentieren gemeinsam das tragische Ende des Romans. 15. Einheit Die SchülerInnen bekommen und suchen selber Artikel über die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer. Sie erzählen die Geschichten in der Gruppe und bereiten eine kurze Reflexion vor, die sie der Klasse vorstellen und schriftlich abgeben. 99 ANHANG Alexandra Mundweil, Claudia Soukup Sich in die Fremde hineinschreiben. Sprache ist nicht nur Sprache. Leben und Schreiben in einer neuen Welt Arbeitsblatt zum Roman Girl in Translation (part 1 - chapters 1 to 5): Answer the following questions, do the tasks: 1) What’s terrible feng shui? What do you know about feng shui? Look it up in the net. (p. 8, p. 16) 2) „It’s not easy to understand Chinese.” What does that mean? (p. 11) 3) What’s the Golden Mountain? Why do you think they use this expression? (p. 12) 4) Why does Aunt Paula think that it is important to have a name as American as possible? (p. 13) 5) Sometimes Kim has got problems understanding certain words. What do you think the words in italics really mean? (pp.16, 17/18, 24, 25, 26, 49, 60, 65, 68, 72, 80, 87, 91, 93, 94, 95, 100) 6) „Talking the big words” – what does it mean? (p. 36) What does this phrase tell us about the Chinese language? 7) What’s the Turkey Day? (p. 46) 8) „That’s what a parent is for, to do whatever is necessary to give her child a good life.” (p. 47) What’s your opinion? Do you agree/disagree? 9) „In many ways I thought of myself as one of the black kids.” (p. 55) What does she mean? 10) Is there a difference in the attitude towards pets between Americans and Chinese? (p. 65) 11) In how far does Annette’s mother behave in an undignified way? (p. 66) 12) What can you find out about Mrs Chang’s attitude towards presents? (pp. 71 - 73) 13) Why are Santa Claus, red hair and mittens strange things for Kim? (p. 75) 100 Sich in die Fremde hineinschreiben. ANHANG (1) Definitionen des Begriffs KULTUR… Kultur: Das seit dem 17. Jh. bezeugte, aus lat. cultura „Landbau; Pflege (des Körpers und des Geistes)“ entlehnte Substantiv wurde von Anfang an im Sinne von „Felderbau, Bodenbewirtschaftung“ einerseits und „Pflege der geistigen Güter“ andererseits verwendet. An die aus der letzteren Bedeutung erwachsene allg. Stellung des Begriffs Kultur als der Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen (einer Gemeinschaft, eines Volkes) schließen sich zahlreiche Zusammensetzungen an, z.B. Kulturgeschichte (18. Jh.), Kulturpolitik, Kulturfilm (20. Jh.), ferner das Adjektiv kulturell „die Kultur betreffend“ (20. Jh.). lat. cultus: „Pflege; Bildung, Erziehung; Verehrung, Huldigung“ (Duden 2007, S. 459) Kultur (vom lat. Colere, „hegen und pflegen, bebauen, ausbilden, tätig verehren“), ursprüngl. Bearbeitung und Pflege des Bodens (lat. agricultura), um ihn menschlichen Bedürfnissen anzupassen und dienstbar zu machen (daher „Bodenkultur, Kulturtechnik“). Übertragen bedeutet Kultur Pflege, Verbesserung, Veredelung der leiblich-seelisch-geistigen Anlagen und Fähigkeiten des Menschen; entsprechend gibt es Körperkultur, seelische und Geisteskultur. Im umfassendsten Sinne ist Kultur die Gesamtheit der Lebensbekundungen, der Leistungen und Werke eines Volkes oder einer Gruppe von Völkern. Sie ist der Inbegriff für jenen neuartigen Prozess auf Erden, dessen Einzelprodukte nur menschliche Schöpfungen sind und niemals von der Natur hervorgebracht wären. Die Kultur verzweigt sich inhaltlich in die verschiedensten Gebiete: hauptsächlich Sitte und Brauch, Sprache und Schrift, Kleidungs-, Siedlungs-, und Arbeitsart, Erziehungswesen, Wirtschaft, politisch-staatliche Einrichtungen, Rechtspflege, Wissenschaft, Technik, Kunst, Religion, alles Erscheinungsformen des objektiven Geistes des betr. Volkes. (Philosophisches Wörterbuch 1991, S. 407) Anregung zur Diskussion… KULTUR ist also im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten NATUR. (2) Weitere Aufgabenstellungen zum Begriff der Kultur in: Praxismappe Globales Lernen. Globalisierung verstehen: Menschen – Märkte – Politik. Methoden für den Unterricht (Sekundarstufe II). Hrsg. vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur Abt I/6 in Kooperation mit BAOBAB Globales LernenWien 2010, S. 140-148. (3) Lies den folgenden Text aufmerksam und gehe dann auf die unten angeführten Fragen ein! Ein Fall von Ausländerfeindlichkeit von Angelika Obert Meiner Nachbarin, Frau M., geht es schlecht. Sie kann nicht mehr schlafen, schon seit Monaten nicht. Schuld daran sind die Polen über ihr: Nacht für Nacht trampeln sie herum, feiern Orgien, verschieben Waren, manchmal sind sogar Kinder dabei, «dass die das auch schon lernen!» Frau M. graust es. Einmal hat sie mit dem Besen gegen die Decke geklopft, da ist der junge Mann heruntergekommen und hat geklingelt. Natürlich hat sie nicht aufgemacht. Tagsüber, das ist das Übel, öffnen die Polen nicht, verhalten sich mucksmäuschenstill. Der Gasmann war da, sogar die Polizei, aber die machen ja nicht auf. Frau M. weint. «Ich kann nicht mehr.» Die Wohnung des polnischen Nachbarn grenzt direkt an mein Arbeitszimmer. Ich erinnere mich nur an ein einziges Mal, als ich für etwa zehn Minuten den Fernseher gehört habe, sonst war es immer ruhig. Ich weiß, dass Herr P. oft Gäste aus der Heimat hat, manchmal seine Eltern, manchmal Freundinnen, sie kommen zum Einkaufen. Sehr zurückhaltend grüßen sie im Treppenhaus, aber nie unfreundlich. Ich weiß auch, dass manchmal ein oder zwei Männer da sind, die Arbeit suchen und dass es nicht ganz durchschaubar ist, was Herr P. macht. Gestört hat mich das alles noch nie, eher amüsiert. 101 ANHANG Sich in die Fremde hineinschreiben. Aber Frau M. weint, liegt schlaflos und hört wirklich, so wie sie es erzählt, ganze Bataillone polnischer Stiefel auf ihren Nerven herumtrampeln. Sie lebt als Rentnerin allein seit einem Jahr in dieser frisch renovierten Wohnung, deren Miete für sie zu teuer ist, wo sie auch gar nicht hinwollte. Man hat sie hierher «umgesetzt», ihr altes Haus, vier Busstationen weit weg, soll nun saniert werden. Dort hat sie Jahrzehnte zugebracht mit Ofenheizung und ohne warmes Wasser, aber als Hauswartsfrau doch eine Königin. Sie kannte alle und wusste alles. Mit den Türken, das passte ihr zwar auch nicht, doch: «Mit denen konnte man wenigstens reden», sagt sie heute. Die kleine Straße mit den vielen türkischen Kindern, die Eckkneipe, das baufällige Haus, das war ihre Welt. Niemand kam an ihr vorbei. Wo sie jetzt wohnt, rauschen nur Autos vorbei, sonst spielt sich nichts ab auf der Straße. Sie hat zwar warmes Wasser, aber kein Geld mehr für die Kneipe, und überhaupt, sie kennt ja niemanden. Quelle: http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf Fragen zur Texterschließung Warum hat Frau M. diese Vorstellungen von den Menschen, die über ihr leben? Wie könnte Frau M. davon überzeugt werden, dass diese Familie über ihr nicht so ist, wie sie sie sich vorstellt? Was denkt die polnische Familie von Frau M.? Kennst du ähnliche Geschichten aus deinem eigenen Alltag? Warum erlebt die andere Nachbarin diese Familie anders als Frau M.? Wie könnte die Situation von Frau M. verbessert werden? Was wäre für Frau M. wichtig? 102 ANHANG Sabine Fuchs In die Welt lesen Cool 2: Begriffe klären, Sachtext zusammenfassen Ziel: Du weißt um die unterschiedlichen Bedeutungen von Worten. Du kannst einen Sachtext zusammenfassen. Aufgabe (in Dreiergruppen): 1. Überlegt euch, was ihr schon wisst und notiert euer gemeinsames Wissen: Migration, Emigration, Assimilation, Integration. 2. Schreibt eine kurze Definition dieser Begriffe (mit Beispielen) mit Hilfe von mindestens zwei Internetadressen. 3. Lest euch die Informationen des Innenministeriums „Grundsätzliches über Migration in Österreich“ (Kurs: In die Welt lesen, Zugangsschlüssel: welt), die im Thema: „Migration und Integration“ zu finden ist, durch und fasst diese zusammen. Abzugeben ist eine Datei ausgedruckt und hochgeladen! Beurteilung: (maximal 15 Punkte) Form und Richtigkeit (Rechtschreibung und Grammatik): 3 Punkte 1. Aufgabe: 2 Punkte 2. Aufgabe: 5 Punkte 3. Aufgabe: 5 Punkte Cool-Auftrag 3: Assoziationen zum Titel Nach der Lektüre deines gewählten Textes geht es jetzt darum, ihn näher zu betrachten. Ziel ist es, den literarischen Text noch besser zu verstehen und ihn auch – belegbar – bewerten zu können. Suche dir mindestens zwei KollegInnen, die auch „deinen“ Roman gelesen haben und bearbeite folgende Aufgaben: 1. Brainstorming zum Titel auf einem Blatt (ohne zu kommentieren, ohne zu sprechen) – Achtung: Hier kann es auch über das, was ihr gelesen habt, hinausgehen! 2. Besprecht alle Aspekte, die euch eingefallen sind, ordnet alle Einfälle, gebt Beispiele dazu, ergänzt, was ihr noch dazu findet. 3. Schreibt nun einen Text ausgehend vom Titel. Dieser Text nimmt zwar Bezug auf den Roman, soll aber alle eure Assoziationen berücksichtigen. Abzugeben ist am Ende der Stunde das Blatt mit eurem Brainstorming (handgeschrieben) und euer Text zum Titel (ausgedruckt und hochgeladen). Beurteilung: Form/Normrichtigkeit: 5 Punkte Brainstorming: 5 Punkte Text: 10 Punkte 103 ANHANG Hans-Peter Wittmann „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ Der magische Realismus im Deutschunterricht Kalte Füße (Miriam Karner, 7a) Ich kannte ihn jetzt schon seit fünfundzwanzig Jahren, also seit seine Mutter mit ihm nach der Geburt aus dem Spital nach Hause gekommen war. Doch das erste Jahr habe ich ihn kaum gesehen, da er immer in seinem Kinderzimmer geschlafen hat oder mit seinem um sechs Jahre älteren Bruder Sebastian im Wohnzimmer gespielt hat. Sebastian war wirklich ein sehr lieber Junge. Er war im Grunde genommen der einzige, der sich wirklich um den kleinen Alex gekümmert hat, denn sein Vater, der übrigens ein anderer war als Sebastians, war kurz vor Alex‘ Geburt nach Thailand verschwunden. Und die Mutter der beiden Kinder, Helena, nun ja, die war mit ihren jungen sechsundzwanzig Jahren noch nicht wirklich bereit dazu zwei kleine Kinder alleine groß zu ziehen. Ich will damit nicht sagen, dass sie sie nicht geliebt hat, im Gegenteil, ihre beiden Söhne waren der Grund dafür, dass sie nicht mehr jedes Wochenende komplett betrunken und mit irgendeinem fremden Mann nach Hause kam. Doch ihre psychischen Probleme, die sie seit der Geburt von Alex hatte, ließen nicht zu, dass sie sich liebevoll um ihre Kinder kümmerte. Jedes Mal, wenn sie die beiden ansah, empfand sie nicht Liebe, wie die meisten Mütter, sondern Angst davor, sich nicht gut genug um sie kümmern zu können. Dies war der Grund dafür, weshalb sie eine Nanny einstellte, was sie sich mit dem erheblichen Erbe, das ihr ihre Eltern vermacht hatten, auch leisten konnte, und sie begann, die von ihrem Arzt verschriebenen Medikamente einzunehmen. Die Nanny war eine attraktive, junge Frau mit langen, schwarzen Haaren, die ihr glatt über den Rücken fielen. Sie hatte eine nahezu perfekte Figur und stets ein Lächeln im Gesicht, wodurch man ihre geraden, weißen Zähne zu Gesicht bekam. Doch Sebastian und Alex stellten schon bald fest, dass dieses Lächeln nur gespielt war. Ihre eisigen, hellblauen Augen brachten ihren Charakter besser zur Geltung. Jessica, so hieß die junge Frau, war wirklich sehr streng mit den beiden Kindern. In der Früh weckte sie sie um sechs Uhr auf, damit sie vor der Schule, beziehungsweise in Alex Fall vor dem Kindergarten, ihre Zimmer aufräumten. Wenn sie dies nicht taten, bekamen sie keine Jause mit. Zu Mittag bekamen sie ihr Mittagessen, doch danach durften sie nicht wie andere Kinder in ihrem Alter spielen, sondern mussten das große Haus putzen. Jeden Tag war ein anderes Zimmer an der Reihe. Es geschah nicht selten, dass sich Alex mit dem schmutzigen Wasser aus dem Kübel anschüttete und deshalb beschloss, seine Socken auszuziehen und barfuß weiter putzte. Aber jedes Mal, wenn ihn Jessica dabei erwischte, dass er ohne Socken auf dem kalten, schwarzen Fliesenboden stand, bestrafte sie ihn dafür, dass er so ungeschickt war, indem sie ihn ohne Schuhe den Müll vor die Tür bringen ließ, egal wie kalt es draußen war. Es war nicht ungewöhnlich, dass Alex daraufhin krank wurde, doch in die Schule musste er trotzdem. Helena bekam von all dem nichts mit, da ihre Medikamente die Wirkung verfehlt hatten, und ihr Zustand sich so stark verschlechtert hatte, dass sie schon bald in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden musste. Der Hass der beiden Jungen auf Jessica wurde von Tag zu Tag größer, und auch nachdem sie, als Sebastian sechzehn Jahre alt und somit in der Lage war sich um seinen jüngeren Bruder zu kümmern, die beiden verließ, ließ die Wut der Brüder kein bisschen nach. Genauer gesagt, trat das Gegenteil ein. Der Zorn wuchs Jahre lang in den beiden wie Efeu und verankerte sich in jeder einzelnen Zelle ihrer Körper. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer der mittlerweile jungen Männer auf die Idee kam, sich von seiner Wut zu befreien. Es war Alex, der vor ungefähr einem Monat in das Haus, das seine Kindheit geprägt hatte, zurückkehrte und mich, da ich die einzige lockere Fliese im ganzen Haus war, mit nur einem, leichten Ruck aus dem Boden riss. 104 „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ ANHANG Als ich in sein entschlossenes, mittlerweile schon fünfundzwanzig Jahre altes Gesicht blickte, wusste ich sofort, dass er nichts Gutes im Sinn hatte. Er packte mich in seine große, marinefarbene Sporttasche und machte sich in seinem weißen Mercedes auf den Weg ins Fitnesscenter. Alex betrat das Fitnesscenter durch die große Glastür und durch das kleine Loch, das nur wenige Zentimeter vom Reißverschluss der Sporttasche entfernt war, hatte ich einen recht guten Blick auf den gesamten licht durchfluteten Raum. Neben der Tür stand ein zierlicher, terracotafarbener Blumentopf mit einem Hibiskus, der seine orangefarbenen Blüten in alle Richtungen streckte. Der helle Fußboden wurde von einem runden, schwarzen Teppich in der Mitte des Raumes verziert, auf dem das Logo des Fitnesscenters zu sehen war. Der komplette Raum war in weiß und dunkelrot gehalten. Vis a vis von der Eingangstüre befand sich eine farblich auf den Rest der Einrichtung abgestimmte Theke, hinter der sich eine hübsche, junge Frau mit einem freundlichen Lächeln befand. Sie hatte ihre langen, blonden Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und die blonden Locken fielen ihr bis zur Mitte ihres Rückens. Ihre grün-grauen Augen waren von dichten, langen Wimpern umrandet und stachen auf Grund ihrer leichten Sommerbräune noch stärker hervor. Ihr gut trainierter, schlanker Körper war nur mit einem kurzen, babyblauen Top, unter dem ein silbernes Nabelpiercing hervor blitzte, und einer kurzen weißen Hot Pants bekleidet. Ihre Füße steckten in silbernen Flip Flops. Alex ging mit zielstrebigen Schritten auf sie zu und Amanda, so hieß die blonde Schönheit, wie ich von ihrem Namensschild erfuhr, lächelte ihn kokett an, was ich ihr nicht verdenken konnte. Denn Alex war wirklich sehr attraktiv mit seinen dunkelblonden, aufgestellten Haaren, seinen blauen Augen und seinem durchtrainierten, ein Meter sechsundachtzig großen Körper. Zu meiner Überraschung lehnte sich Alex über die Theke, gab Amanda einen kurzen, doch leidenschaftlichen Kuss und flüsterte ihr ins Ohr: „Schatz, ich war gerade dort und habe besorgt, was wir für unseren Plan brauchen. Ich werde jetzt zu Sebastian fahren und mit ihm die Details besprechen. Wir treffen uns dann zuhause, wenn du Feierabend hast, und machen uns dann auf den Weg. Ich liebe dich!“ Mit diesen Worten drehte sich Alex wieder um und ging in Richtung Glastüre. Auf halbem Weg blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu der Frau um, die anscheinend seine Freundin war, und warf ihr einen Blick zu, der seine ganze Liebe ausdrückte. Amanda hatte denselben Blick im Gesicht und formte mit ihren Lippen die Worte „Ich liebe dich auch.“ Eine halbe Stunde später standen wir vor Sebastians Tür und hörten die schrille Türglocke in der Wohnung läuten. Nur wenige Sekunden später, als hätte er in der Nähe der Tür gewartet, öffnete uns ein junger Mann, dessen Ähnlichkeit mit Alex nicht übersehbar war. Sie hatten die gleichen Gesichtszüge, die gleiche Statur, ja sogar die genau gleiche Augenfarbe. Einzig und allein die Haare waren verschieden. Sebastian hatte nämlich dunkelbraune, etwas längere Haare, die er nicht aufstellte, sondern kunstvoll zerzaust trug. Die beiden Männer umarmten sich kurz und machten sich dann auf den Weg ins Wohnzimmer. Da Alex seine Schuhe anbehalten hatte, konnte ich mir schon denken, dass dies nur ein kurzer Zwischenstopp sein sollte. Im Wohnzimmer angekommen, das ebenso modern und freundlich eingerichtet war wie der Rest der Wohnung, oder was ich schon davon gesehen hatte, setzten wir uns auf die weiße Lederbank, auf der einige Pläne und Zettel verstreut lagen. Und plötzlich hob mich Alex aus der Tasche! Das war ein Schreck! Ich hatte ja nicht damit gerechnet! „Kannst du dich noch an sie erinnern? Wie wir sie stundenlang geputzt haben?“, fragte er Sebastian und ließ ein heiseres Geräusch hören, das wahrscheinlich ein trauriges Lachen sein sollte. „Wie könnte ich das nur vergessen? Doch ich wünschte ich könnte es!“, erwiderte der Bruder mit traurigem Gesicht und legte ein paar Zettel und Pläne auf den Tisch. Er bat Alex diese schnell durchzusehen und dann einzupacken und wieder zu fahren, da seine Frau gleich von der Arbeit heimkommen würde und er sie in nichts hineinziehen wollte. Alex überflog die Zettel in wenigen Minuten und packte sie dann mit mir in seine Sporttasche ein. An der Tür verabschiedeten sich die beiden Brüder und sagten, dass sie sich um halb zehn vor ihrem Haus treffen wollten. Doch wer war „sie“? Nach kurzem Überlegen, wer „sie“ sein könnte, kam mir die Idee auf den Zetteln, mit denen ich seit kurzem meine Tasche teilte, nach Informationen zu suchen. Und tatsächlich! Auf dem einzigen Zettel, der mit der Vorderseite mir zugewandt lag, stand ein Name, der meine Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte - Jessica Bennett. Darunter stand noch etwas, was wahrscheinlich eine Adresse sein sollte, doch ich konnte es nicht entziffern. Nach einer dreißigminütigen Fahrt erreichten wir das kleine, gemütlich eingerichtete Reihenhaus von Alex und Amanda, wo wir die nächsten Stunden verbrachten, bis Amanda von der Arbeit kam. Nachdem sich die beiden zärtlich begrüßt hatten, setzten sie sich auf die beiden lilafarbenen Sandsäcke, die vor dem riesigen Fenster standen und dem Paar somit 105 ANHANG „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ einen großartigen Blick über den an den Garten grenzenden Wald bot. Alex holte die Zettel aus seiner Tasche und gab sie schweigend seiner Freundin, die sie sorgfältig las und dann auf den Boden legte. Sie wandte sich zu Alex und sagte: „Der Plan ist lückenlos. Es kann gar nichts schief gehen. Und schon in wenigen Stunden wird alles vorbei sein.“ Und da wurde mir klar, dass sie irgendetwas mit Jessica vorhatten. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, was ich mit der ganzen Sache zu tun haben könnte. Alex und Amanda blieben noch eine Weile sitzen, bis es draußen langsam dunkel wurde. „Wir sollten uns langsam fertig machen!“, meinte Amanda. Alex nickte nur, erhob sich langsam und ging in die Garage, wo er drei Paar schwarze Wollhandschuhe und die Sporttasche, in der ich mich befand, in den Kofferraum seines Mercedes warf. Nun konnte ich leider nicht mehr sehen, was sich außerhalb des Autos ereignete, doch ungefähr zwanzig Minuten später wurde der Motor angelassen und das Auto setzte sich in Bewegung. Es war eine lange Fahrt von zirka zweieinhalb Stunden, doch dann blieben wir plötzlich ruckartig stehen. Ich spürte, dass gleich etwas passieren würde. Zuerst blieb es noch ein paar Minuten still, dann wurde die Kofferraumklappe geöffnet und Alex nahm die Tasche, in der ich mich befand, heraus, während Amanda die Handschuhe nahm. Einige Meter entfernt sah ich Sebastian stehen, der schon auf seinen Bruder und Amanda wartete. Die drei begrüßten sich mit ernster, leiser Stimme und ich konnte deutlich die Spannung fühlen, die in der Luft lag. Amanda gab jedem ein Paar Handschuhe, das sofort angezogen wurde, und dann gingen sie langsam die kleine Wohnstraße entlang, die den Häusern nach zu urteilen zu einer kleinen Vorstadt gehörte. Nach einem kurzen Marsch bogen sie in die Einfahrt eines relativ kleinen, gelben Hauses ein und blieben kurz vor der Haustür stehen. Man konnte hören, wie alle drei noch ein Mal tief einatmeten, bevor Alex die Hand auf den Knopf der Glocke legte und ihn nach kurzem Zögern drückte. Das melodische Läuten der Türglocke war im Inneren des Hauses zu hören und kurz darauf hörte man das Geräusch von Schritten. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf das Namensschild, das an der Tür hing, und war nicht überrascht, dass der Name darauf „Bennett“ lautete. Ich konnte hören, wie die Sicherheitskette von der Tür gelöst wurde und nur wenige Sekunden später stand uns eine überaus hübsche Frau gegenüber, die wahrscheinlich in den Fünfzigern war, auf den ersten Blick jedoch keinen Tag älter als vierzig aussah. „Hallo Jessica, erinnerst du dich noch an uns? Wir sind es, Alex und Sebastian. Du hast bis vor ungefähr zwanzig Jahren auf uns aufgepasst!“, begrüßte Sebastian die Frau mit freundlicher Stimme. „Ach du meine Güte! Das ist aber eine nette Überraschung! Wie geht es euch denn? Kommt doch herein auf einen Kaffee!“, erwiderte Jessica und zu Amanda gewandt, die nach Alex Hand gegriffen hatte fuhr sie fort: „Und sie sind wahrscheinlich die Freundin von Alex. Freut mich Sie kennen zu lernen!“ Als die drei in das Haus eintraten, fiel mir sofort der Blick auf, den Jessica hatte. Er jagte mir regelrecht einen Schauer über meine glatte, schwarze Oberfläche! So etwas Kaltes und Gefühlloses hatte ich noch nie gesehen! Nachdem sie uns zu dem kleinen Holztisch in der Mitte geführt hatte fragte sie uns, was wir zu trinken wollten. „Nur ein Glas Wasser bitte!“, war die einheitliche Antwort. Jessica drehte sich um und begann ein Glas nach dem anderen am Wasserhahn zu füllen. Als sie beim letzten Glas angekommen war, standen Sebastian und Alex plötzlich auf und stellten sich leise hinter sie. Als Jessica sich umdrehte, um die Gläser auf den Tisch zu stellen, ließ sie sie vor Schreck fallen und stieß einen leisen Schrei aus. „Weißt du noch, was du uns damals angetan hast? Wir mussten das Haus jeden Tag putzen und barfuß in der Kälte den Müll hinaus bringen. Wir wollen eine Entschuldigung. Und zwar eine ehrliche. Schau, wir haben dir sogar eine Fliese mitgebracht, um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst, wussten wir genau, welche Fliese locker und somit leicht heraus zu lösen war, da wir ja täglich den Boden schrubben mussten.“ Dies war anscheinend das Signalwort für Amanda, um mich aus der Tasche zu holen und vor Jessica auf den Tisch zu legen. „Ihr wollt eine Entschuldigung von mir? Da könnt ihr lange warten! Denn ich habe nichts, absolut gar nichts falsch gemacht! Und bevor ihr von mir eine Entschuldigung verlangt denkt doch mal nach: Ihr seid der Ansicht, dass ich falsch lag mit der Meinung, dass ihr unfähig und ungeschickt seid? Nun ja schaut euch doch mal heute an und was aus euch geworden ist- wie ihr wahrscheinlich selbst bemerken werdet, hatte ich Recht mit meiner Annahme! Ich meine schaut euch doch nur an! Wie lächerlich ist es denn, mit Winterhandschuhen an einem lauen Sommerabend herum zu laufen?“ Jessica lachte verächtlich und wollte gerade aus der Küche hinausgehen, um ihren Gästen die Haustüre zu öffnen, als Sebastian nach vorne sprang, sie an den Schultern packte und gegen die Wand drückte. „Wir hatten uns schon gedacht gehabt, dass du so reagieren würdest. Deshalb haben wir uns eine kleine, nun ja wie soll ich es nennen...eine kleine „Wie106 „Ausgestreckte Hände, die mich riefen“ ANHANG dergutmachung“ für dein unmenschliches Verhalten überlegt!“, zischte er ihr ins Ohr. Hinter ihm stand Alex mit mir in der Hand und gab Sebastian plötzlich ein Zeichen, damit er auf die Seite ging. Von da an ging alles sehr schnell: ich bemerkte noch, wie ich in die Luft gehoben wurde und dann war plötzlich alles rot um mich herum. Erst nach einem kurzen Moment der Verwirrung wurde mir klar, dass ich in Jessicas Blut lag. Amanda kam auf mich zu und brachte mich ins Badezimmer, wo sie mich sorgfältig in der Badewanne vom Blut befreite. Ich sah eine Träne an ihrer Wange hinunter kullern und sie sagte zu sich selbst:“ Ich wusste, dass es kein schöner Anblick sein würde, aber das, das war schlimmer, als ich es mir gedacht hatte!“ Und dann brach sie in Tränen aus. Alex kam von ihrem Schluchzen angelockt ins Bad und nahm sie fest in den Arm. Auch er sah ziemlich mitgenommen aus. Eng umschlungen saßen die beiden eine Weile am Boden des Badezimmers, bis Sebastian mit brüchiger Stimme nach ihnen rief. Auch er war von den Ereignissen der letzten paar Minuten ziemlich geschockt. Gemeinsam begannen sie alle Zimmer, besonders aber die Küche, mit dem Alkohol aus der Hausbar, die im Wohnzimmer stand, zu begießen. Dann packten sie mich in die Tasche und gingen zur Eingangstür, wo Alex eine Zündholzschachtel aus seiner Hosentasche zog, es anzündete, und in die Alkoholspur am Boden warf. In nur wenigen Sekunden hatte das Feuer seinen Weg in die Küche gefunden, die sofort lichterloh brannte. Alex, Amanda und Sebastian liefen ungesehen zu ihren Wägen und fuhren los. Am nächsten Morgen stand in der Zeitung, dass eine gewisse Jessica B. auf Grund eines Brandes in ihrem Haus ums Leben kam. Für die beiden Brüder und Amanda ging das Leben wie gewöhnlich weiter, wobei sie das kleine Geheimnis, das sie teilten, nie ganz vergessen konnten. Noch nicht einmal bei der Hochzeit von Alex und Amanda zwei Jahre später gelang es ihnen, die Bilder für ein paar Stunden aus ihren Köpfen zu verbannen. Dies war offensichtlich der Preis, den sie für ihre Rache an Jessica in Kauf nehmen mussten. 107 ANHANG Ulrike Kraßnitzer Weltliteratur – Bibliotheksrallye BIBLIOTHEK HASNERSCHULE WELTLITERATURPROJEKT- RÄTSELRALLYE 2011 (Zusammengestellt von der 1.Leistungsgruppe der 4M/B - Kraßnitzer Ulrike - 2011/12) Wir – das Rallyeteam – freuen uns ganz besonders, dich bei unserer kniffeligen Weltliteratur-Rätselrallye begrüßen zu dürfen. Wir stehen dir jederzeit zur Verfügung, solltest du unseren Rat und unsere Hilfe benötigen. Wir wünschen dir viel Spaß und Erfolg bei den folgenden Stationen. Das Mitmachen lohnt sich auf jeden Fall! Bitte ausfüllen! Name und Klasse: __________________________________________________ „Die sprechenden Steine“ (Ghazi Abdel Qadir) 1.) Lies den Klappentext! Zwischen wem gibt es täglich Auseinandersetzungen? …………………………………………………………………………………………… 2.) Womit wehren sich die palästinensischen Jugendlichen gegen die Soldaten (S. 32) …………………………………………………………………………………………… „Ein neues Land“ (Shaun Tan) 3.) Was ist das Besondere an dem Buch? ………………………………………………………………………………………….. 4.) ………………………………………………………………………………………… „Der kleine blaue Junge“ ( Fatou Këita, Olivia Aloisi) 5.) Was unterscheidet die Hauptfigur ( Junge) von den anderen Dorfkindern? ………………………………………………………………………………………… 6.) Ein Dorfjunge heißt Nogoman, was bedeutet dieser Name? ………………………………………………………………………………………… „Kariuki“ (Meja Mwangi) 7.) Schlage im Weltatlas nach, wo Kenia liegt! Aufgabe O erfüllt O sehr schnell gefunden ………………………………………………………………………………………… 8) ………………………………………………………………………………………… 108 Weltliteratur – Bibliotheksrallye ANHANG „Der Aufsatz“ (Antonio Skármeta) 9.) Was macht Pedros Vater am Abend immer und weshalb? (S. 8) ………………………………………………………………………………………………….. 10.) Was passiert mit Daniels Vater? (Siehe S. 15-16) …………………………………………………………………………………………………. 11.) Was versteht man unter einer Diktatur? Schlage im Lexikon nach! …………………………………………………………………………………………………. „Mein kleiner Orangenbaum“ ( Jose Mauro de Vasconcelos) 12.) Wer ist der beste Freund des kleinen Jungen Sese? (Siehe Klappentext!) …………………………………………………………………………………………………. 13.) Ergänze! Welches Leben beschreibt der Autor in diesem Buch? (Siehe Klappentext!) ………………………………………………………………………………………………….. „Stefanos weite Reise“ (Maria Teresa Andruetto) 14.) Aus welchem Land kommt Stefano und wohin wandert er aus? (Siehe Klappentext!) ………………………………………………………………………………………………. 15.) Wem widmete die Autorin das Buch? (Siehe S. 5) ………………………………………………………………………………………………. „Das Heft meines Freundes“ (Taha Khalil) 16.) Welche Sprache spricht Asâd zuhause? (Siehe Klappentext) ……………………………………………………………………………………………….. 17.) Wie heißt die Übersetzerin des Buches? (Siehe S. 125) …………………………………………………………………… „Wie schön weiß ich bin“ (Dolf Verroen) 18.) Welches besondere (für uns ungewöhnliche) Geschenk bekommt Maria zum Geburtstag? Lies auf Seite 11 nach! ………………………………………………………………………………………………… 19.) Wie heißt der Autor des Buches? ………………………………………………………………………………………………… 20.) In welchem Land spielt die Geschichte? (S. 65) ………………………………………………………………………………………………… „Der Adler, der nicht fliegen konnte“ ( James Aggrey) 21.) In welchem Verlag ist das Buch erschienen? …………………………………………………………………………………………………. 22.) Ergänze den Text! (S. 4) Er …………….. einen jungen ……………………………., brachte ihn heim und steckte ihn in den ………………………………………………………. zu den Hennen, Enten und Truthühnern. Und er gab ihm …………………………………………………..zu fressen, obwohl er ein Adler war, der ………………………………………. der Vögel. 23.) Lies die letzte Seite des Buches und ergänze! Die Geschichte „Der Adler, der nicht fliegen konnte“ wurde von James Aggrey erzählt, damit sich die Afrikaner an das ………………………………………….. …………………… erinnern und wieder an die ………………………………glauben. 109 ANHANG Weltliteratur – Bibliotheksrallye „Vogelauge“ (Kim Yong Ik) 24.) Warum wird Chung Book von seinen Mitschülern gehänselt? (Siehe Klappentext) …………………………………………………………………………………………….. 25.) Welche für Korea besondere Augenfarbe haben Chung Book und seine Mutter? ……………………………………………………………………………………………….. „Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt“ (Lensey Namioka) 26.) In welchem Jahr und in welchem Land spielt die Geschichte? (Siehe Klappentext) ……………………………………………………………………………………………. „Aya“ (Marguerite Abouet, Clément Oubrerie) 27.) Wie heißt der Illustrator (Zeichner) des Buches “Aya”? ……………………………………………………………………………………………. 28). Kreuze die richtige Lösung an! Der Vater von Aya heißt O Paul O Ignace O Jose ……………………………………………………………………………………………. „Vertraute Fremde“ ( Jiro Taniguchi) 29.) Wie heißt die Hauptfigur des Buches? Kreuze die richtige Lösung an! O Jiro Taniguchi O Hiroshi Nakahara O George Chakiris ……………………………………………………………………………………………. 30.) Lies, was das Besondere am Inhalt dieses Buches ist! Zeitreise – ein vierzigjähriger Architekt steigt nach einer Dienstreise in den falschen Zug, landet in seiner Heimatstadt und am Grab seiner längst verstorbenen Mutter, wo er in Ohnmacht fällt und als Vierzehnjähriger wieder erwacht, ohne das Bewusstsein des Erwachsenen verloren zu haben. Er will das geheimnisvolle Verschwinden seines Vaters klären. ……………………………………………………………………………………………. Literaturliste Autor Jiro Tamiguchi Buchtitel Vertraute Fremde (Comics) Maja Mwengi Kariuki und sein weißer Freund Taha Khalil Das Heft meines Freundes Der kleine blaue Junge (Bilderbuch) Fatou Keita/ Olivia Aloisi Jose Mauro de Vasconcelos 110 Mein kleiner Orangenbaum Inhalt Erwachsener in seinem eigenen vierzehnjährigen Körper erlebt seine Jugend noch einmal mit der Erfahrung des Erwachsenen und verändert so sein Leben, indem er ein traumatisches Erlebnis bewältigt. In Kenia schließt der Sohn eines weißen Grundbesitzers Freundschaft mit dem Sohn eines Arbeiters. Um Freunde zu bleiben, müssen sie sich aber über die Grenzen ihrer „Klassenzugehörigkeit“ hinwegsetzen und mit den Regeln der „Erwachsenenwelt“ brechen. Die Handlung spielt in Syrien, wo die Sitznachbarn Asâd und Ali trotz kultureller Unterschiede eine Freundschaft schließen. Das lang ersehnte Baby einer Familie kommt in Afrika mit blauer Hautfarbe zur Welt. Die Eltern lieben das Kind, aber die anderen Kinder grenzen es aus. Der Junge kann sie schließlich überzeugen, dass sie trotz der Bläue seiner Haut mit ihm spielen können. Der Roman spielt in Brasilien, wo ein Junge aus einer sehr armen Familie wegen seiner Streiche sehr oft Prügel bekommt, andererseits lernt er aber auch ganz allein das Lesen und arbeitet als Schuhputzer, um seine Familie finanziell unterstützen zu können. Ein kleiner Orangenbaum wird sein bester Freund. Schließlich trifft er einen Mann, der ihm zeigt, was echte Liebe und Zuneigung ist. Weltliteratur – Bibliotheksrallye Marguerite Abouet Aya (Comic) Schaun Tan Ein neues Land (Bilderbuch) Antonio Skarmeta Der Aufsatz (Bilderbuch) Dolf Verrouen Wie schön weiß ich bin James Aggrey Der Adler, der nicht fliegen wollte (Bilderbuch) Die sprechenden Steine Stefanos weite Reise Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt Ghazi AbdelQadir Maria Teresia Andruetto Namioka Lensey Kim Yong Ik Vogelauge ANHANG Eine Geschichte aus Afrika über ein Mädchen namens Aya, das Ärztin werden möchte. Diese „Karriere“ passt aber nicht mit den Vorstellungen ihres Vaters überein, so muss sie selber ihren Weg der Selbstverwirklichung suchen. Ein ganz besonderes Buch, das ohne Text, ausschließlich mit Bildern auskommt. Schaun Tan erzählt die Geschichte einer Flucht aus einer bedrohlichen Situation, das Ankommen in einem fremden Land, wo die Figuren nicht einmal die Sprache verstehen, und schließlich den Beginn eines neuen Lebens. Das Buch vermittelt auf einfache und verständliche Art das Charakteristische einer Diktatur in Chile und die Möglichkeiten, wie ein kleiner Junge sich der Macht widersetzt und seine Eltern rettet. Ein zwölfjähriges Mädchen bekommt zum Geburtstag einen eigenen Sklaven geschenkt. Aus ihrer „naiven“ Perspektive wird gezeigt, wie grausam diese weiße Familie die Sklaven behandelt. Darüber hinaus spricht das Buch auch die Machtverhältnisse innerhalb der Familie an. Das Buch erzählt, wie ein Adler „gezähmt“ wird und wie er später sein wahres Wesen erkennt. Die Geschichte steht symbolisch für die unterdrückten Völker in Afrika und fordert dazu auf, sich der eigenen Werte zu besinnen. Der elfjährige Kamal aus Palästina beschreibt die ersten Monate der Intifada aus seiner Sicht. Stefano lebt in Italien, will aber nach Amerika ziehen, weil man dort nicht zu hungern braucht. Die Geschichte spielt in China im Jahr 1921. Die 16-jährige Yanyan ist Tochter eines liberal denkenden Vaters und will Ärztin werden. Um diesen Traum zu verwirklichen, fährt sie in die USA. Ein Buch über den Kampf um weibliche Selbstbestimmung, über Vorurteile und über die Schwierigkeiten, die Identität in der Fremde zu wahren. Eine Geschichte aus Korea, wo ein Junge und seine Mutter als einzige blaue Augen haben. Der Junge wird deshalb ausgelacht, andererseits wird er auch beneidet, weil er einen eigenen Ochsen hat, der sogar einen Preis gewinnt! Ein Buch über Anderssein und den Umgang mit der Ausgrenzung der Anderen. 111 ANHANG Brigitte Schulte „Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“ Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als Ausgangspunkt für Leseförderung, literarisches und globales Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe Autor Isabel Allende Fatou Diome Khaled Hosseini Yadé Kara An Na Rafik Schami Nasrin Siege Valérie Zanetti Dilek Zapticoglu 112 Buchtitel Inhalt Abenteuer von Alex nimmt an den Expeditionen seiner Großmutter Kate, einer amerikaniAguila und Jaguar schen Reiseschriftstellerin, teil, die an den Amazonas, in den Himalaya und nach Äquatorialafrika führen. In Brasilien freundet er sich mit Nadia, der Tochter des Reiseführers an, die ihm Zugang zu einer magisch-mystischen Sicht eröffnet. Zusammen mit ihr besteht er diverse Abenteuer und Herausforderungen. Der Bauch des Der Roman erzählt von der Sehnsucht nach Aufbruch senegalesischer JugendOzeans licher, die hoffen, durch (illegale) Einwanderung Wohlstand und Glück zu finden sowie von den Schwierigkeiten der Immigranten in Frankreich. Die Geschichten werden aus der Sicht einer jungen Immigrantin erzählt, die ihren Bruder von diesem Weg abhalten, aber selbst nicht in die starre senegalesische Gesellschaft zurückkehren möchte. Drachenläufer Amir kehrt aus Amerika in seine Heimat Afghanistan zurück, um eine Schuld aus Kindertagen zu begleichen. Der Roman zeigt das heutige und in Rückblenden das Afghanistan vor der Herrschaft der Taliban und ist ein persönlicher Entwicklungsroman. Selam Berlin Hassan und seine Familie pendeln zwischen Istanbul und Berlin. Am Tag des Mauerfalls beschließt Hassan, endgültig nach Berlin zurückzukehren. Dort entdeckt er das Doppelleben seines Vaters, schließt Freundschaften und wird erwachsen. Der Roman zeigt prototypisch die Herausforderungen für die erste und die zweite Einwanderungsgeneration. Im Himmel Jonghu wandert mit ihren Eltern von Korea in die USA aus. Nach anfänglispricht man Eng- chen Herausforderungen in Bezug auf Sprache und Lebensweisen integriert lisch sie sich dort wesentlich schneller als ihre Eltern, was zu familiären Problemen führt und sie vor die Frage ihrer eigenen Identität stellt. Die Sehnsucht der Lufti, ein junger farbiger Syrer, pendelt als illegaler Einwanderer zwischen Schwalbe Frankfurt und Damaskus, da er trotz mehrfacher Abschiebung immer wieder nach Deutschland zurückkehrt. Schließlich findet er seine Heimat auf dem multikulturellen Frankfurter Flohmarkt. Shirin Autobiografischer Roman aus der Ich-Perspektive erzählt über die Integration eines Mädchens aus dem Iran in die deutsche Gesellschaft der 1960er Jahre. Dabei geht es nicht nur um sprachliche und soziale Herausforderungen, die Shirin bewältigen muss, sondern auch um eine Identitätssuche. Leihst du mir Ein Briefroman zwischen einem jüdischen Mädchen aus Jerusalem und einem deinen Blick? jungen Araber aus dem Gazastreifen, die sich durch das Schreiben so annähern, dass sie auch bei kontroversen Diskussionen Empathie für den anderen zeigen können. Der Mond isst die Ömer, ein 18jähriger Gymnasiast, versucht den Tod seines Vaters aufzuklären, Sterne auf der allem Anschein nach Opfer eines rassistischen Überfalls geworden ist. Dabei entdeckt er, dass sein Vater ein geheimes Doppelleben geführt hat. Der Roman zeigt prototypisch die Herausforderungen für die erste und die zweite Einwanderungsgeneration. AUTORiNNEN AutorInnenverzeichnis Irene Brunner-Hübner, Mag.a unterrichtet seit 30 Jahren Deutsch und Geschichte am Goethegymansium in Wien. Email: i.brunner-huebner@aon.at Rudolf Freisitzer, Mag. Dr. phil. unterrichtet Geschichte, Politik und Kultur sowie Deutsch am Öffentlichen Stiftsgymnasium der Benediktiner in St. Paul im Lavanttal. Email: geschichte1@aon.at Sabine Fuchs, Mag.a Dr.in phil. unterrichtet derzeit an der Handelsakademie Grazbachgasse und an der Pädagogischen Hochschule in Graz, ist Lektorin an der Karl-Franzens-Universität Graz. Emailadresse: sabine.m.fuchs@hotmail.com. Margot Graf unterrichtet Deutsch und Bildnerische Erziehung in der KMS Svetelskystraße in Wien. Ausbildung zur Lesedidaktikerin und zur Montessoripädagogin. E-Mail: jean-jacques.pascal@utanet.at Heidi Grobbauer, Dr.in studierte Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Salzburg. Seit 2004 Geschäftsführerin von KommEnt – Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung. Email: heidi.grobbauer@komment.at Sabina Haas, Mag.a studierte Deutsch und Bildnerische Erziehung in Wien (1982-88) sowie Development Studies (Schwerpunkt Soziologie) in Kapstadt, Südafrika (1995-97). Sie unterrichtet Bildnerische Erziehung und Deutsch am Goethegymnasium in Wien. Email: sabinahaas@astgasse.net Ulrike Kraßnitzer, Dipl. päd.in unterrichtet Deutsch, Musikerziehung. ME-Koordinatorin, Bibliothekarin an der Musikmittelschule Hasnerschule in Klagenfurt. Email: ullikrassnitzer@gmx.at Georgine Lansky, Mag.a, PhD. Lehrerin und Bibliothekarin in der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz. Sie unterrichtet Deutsch, Religion, Kommunikation und Präsentation, Bühnenspiel. Email: Georgine.lansky@liwest.at Alexandra Mundweil, Mag.a AHS-Lehrerin für Deutsch, Psychologie und Philosophie, sowie Schulbibliothekarin und Legastheniebetreuerin, EVATrainerin (Methodentraining). Email: alexandra.mundweil@klostergasse.at Hajnalka Nagy, Dr.in phil. studierte Germanistik und Romanistik. Derzeit als Senior Scientist am Institut für Deutschdidaktik tätig. Email: Hajnalka.Nagy@aau.at Adelheid Putz, Mag.a unterrichtet Deutsch und Katholische Religion am Goethegymnasium in Wien. Email: adelheid.putz@aon.at Brigitte Schulte ist Dozentin der LehrerInnenfortbildung und lehrt Fachdidaktik Deutsch an der Freien Universität Berlin. 113 AUTORiNNEN Claudia Soukup, Mag.a AHS-Lehrerin für Englisch und Spanisch, Leiterin der Tagesbetreuung, Schülerberaterin, Leiterin der Peer-Mediation, diverse Zusatzqualifikationen, u.a. „Drama in Education”. Email: claudia.soukup@klostergasse.at Simone Steharnig, Mag.a unterrichtet Deutsch und Slowenisch im BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt. Email: s.steharnig@sify.com Gerhild Hardt-Stremayr, Mag.a Lehrerin an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz, unterrichtet Deutsch, Wirtschaftsgeografie, Kommunikation und Präsentation. Email: g.hardtstremayr@hbla-kunst.eduhi.at Werner Wintersteiner, Univ.-Prof., Dr. phil. Friedenspädagoge und Deutschdidaktiker, Leiter des Insituts für Deutschdidaktik sowie Gründer und Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Email: Werner.Wintersteiner@aau.at Hans-Peter Wittmann, Mag. studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik in Wien, Paris und Bordeaux, seit 1989 Lehrer am Gymnasium Wien 1, Stubenbastei. Leiter des Wiener und Bundeswettbewerbs für Französisch 1999-2005, Secrétaire général der APFA (Vereinigung der österr. FranzösischprofessorInnen), Ausbildung zum „Fachbezogenen Bildungsmanager“. Email: HPWittmann@gmx.at Andrea Zikulnig, Mag.a ist Lehrerin für Deutsch und Französisch am BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt / ZG/ZRG za Slovence v Celovcu. E-Mail: andrea.zikulnig@bgslo.at 114