Sich in die Welt hinaus lesen - Alpen-Adria

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Sich in die Welt hinaus lesen - Alpen-Adria
PRAXIS GLOBALES LERNEN | Heft1
Sich in die Welt
hinaus lesen
Weltliteratur im Unterricht
www.praxisglobaleslernen.at
Praxis Globales Lernen. Heft 1:
„Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht
Dieses Heft ist ein Kooperationsprojekt des Instituts für Deutschdidaktik der Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt mit KommEnt – Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung.
HerausgeberInnen: Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner, Heidi Grobbauer
Covergestaltung: Michaela Wörndl
Satz: Stefan Neuner
Druck: Stadtschulrat Wien
Salzburg 2014
ISBN: 978-3-9503620-5-3
Danksagung:
Die Herstellung dieser Publikation erfolgte mit Unterstützung durch den Stadtschulrat in Wien. Unser
besonderer Dank gilt Herrn Karl Blüml für seine Unterstützung.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung, der Speicherung in elektronischen Datenanlagen sowie der Übersetzung, sind nur mit Genehmigung erlaubt.
Alle Rechte der einzelnen Beiträge bei den AutorInnen.
Cover Bild: © KommEnt
Bestelladresse & Anfrage für weitere Verwendung:
Komment – Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung
Elisabethstraße 2 / 5. Stock
A-5020 Salzburg
Tel. 0662/840 953
Email: office@komment.at
www.komment.at
Online unter: www.praxisglobaleslernen.at
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PRAXIS GLOBALES LERNEN | Heft 1
Inhaltsverzeichnis
I. Grundlagen
Literarische Bildung im Zeitalter der Globalisierung. Vorstellung eines Projekts
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
Globales Lernen und Weltliteratur
Heidi Grobbauer
II. Ein Modell
Figurationen des Fremden - Facetten des Eigenen.
Zum Umgang mit weltliterarischen Texten im Deutschunterricht.
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
III. Die Projekte
Eine Handvoll engagierter LehrerInnen. Die Schulprojekte
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
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1. Multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit
Mehrsprachig – sprachmächtig oder sprachlos?
Simone Steharnig
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Lust auf Lyrik –Lyrik grenzenlos
Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz
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Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten
Margot Graf
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2. Imagination(en) des Fremden
Interkulturelles Lernen anhand Stereotypen/ Intercultural learning and stereotypes
Petra Reiter, Véronique Weiss
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Das andere Ich. Frauengestalten in der Literatur und in der Gesellschaft
Rudolf Freisitzer
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3. Zwischen und in mehreren Kulturen - Erfahrungen der Migration
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte /
Dojemanje lastnega in tujega: stičišča in konflikti /
Percezione di sè e dell‘altro: contatti e conflitti
Andrea Zikulnig
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Sich in die Fremde hineinschreiben. Sprache ist nicht nur Sprache.
Leben und Schreiben in einer neuen Welt
Alexandra Mundweil, Claudia Soukup
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In die Welt lesen - Das Tor zur Welt durchschreiten
Sabine Fuchs
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4. Das Magische, das Wunderbare, das Traumhafte
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“.
Der magische Realismus im Deutschunterricht
Hans-Peter Wittmann
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Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“
Georgine Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr
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5. Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten.
Arbeiten mit den Bücherkoffern
Weltliteratur-Bibliotheksrallye
Ulrike Kraßnitzer
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“.
Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als Ausgangspunkt für
Leseförderung, literarisches und globales Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe
Brigitte Schulte
6. Anhänge zu den Projektberichten
IV. Autorinnen und Autoren
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GRUNDLAGEN
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
Literarische Bildung im Zeitalter der Globalisierung
Vorstellung eines Projekts
Wenn mein Sohn in meinem Alter sein wird
Werde ich nicht mehr auf der Welt sein
Aber diese Welt wird wie eine wunderbare Wiege sein
Eine Wiege, die in ihren Windeln aus blauer Seide
Alle Kinder wiegt
Die schwarzen
Die gelben
Die weißen.
(Nazim Hikmet)
Sich in die Welt hinaus lesen, sich in die Welt hinein lesen, sich in die Welt hinein schreiben, sich in die
Welt einschreiben, sich in die Literaturen der Welt einlesen ...
mit dem „Fremden in uns selbst“ konfrontiert. Ein Lesen,
das zur (kulturellen) Selbstreflexion anleitet und sich
sowohl mit dem (kulturell) Fremden als auch mit dem
(kulturell) Eigenen kritisch auseinandersetzt.
Der Titel des Projektes konnte – wie die in diesem Band
versammelten Pilotprojekte zeigen – verschiedenartig
aufgefasst werden. Manche haben ihn als eine Gelegenheit gesehen, sich im Akt des Lesens imaginär in die Welt
hinaus zu bewegen und dadurch neue Kulturen, Erfahrungen und Existenzmöglichkeiten zu erkunden. Andere
haben die im literarischen Text aufgefundene „Wirklichkeit“ als Anlass für das eigene Experimentieren gesehen
und durch das Schreiben die Grenzen zwischen Innen
(Ich) und Außen (Welt) verschoben. Wiederum andere
haben unseren Titel als einen Aufruf zum Lesen weltliterarischer Texte interpretiert und versuchten, sich mit
möglichst vielen AutorInnen aus dem globalen Süden
auseinanderzusetzen und somit ihren Blick auf die Literaturen der Welt zu erweitern.
Zugleich hatte unser Titel einen konkreten Bezug zur
Weltliteratur. Sich-in-die-Welt-hinaus-Lesen meint in
diesem Sinne das Lesen einer Literatur, die bislang im
literarischen Schulkanon nicht zu finden war, nämlich
die Literatur des globalen Südens. Die Beschäftigung mit
Weltliteratur im Unterricht wird vor allem dann notwendig, wenn wir SchülerInnen mit einem breiten Spektrum
von fremden „Weltsichten“ und Perspektiven bekannt
machen wollen.
Mit dem Titel wollten wir – die InitiatorInnen des schulischen Projektes „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht – Peter Handkes poetische Überlegungen über das Lesen aufgreifen, in dessen Werk der
Lektüre als „Erweiterung und Intensivierung der Wahrnehmung“ eine zentrale Funktion zukommt: Sich-in-dieWelt-hinaus-Lesen impliziert bei ihm ein Sich-Öffnen
für die Welt im Akt des Lesens, das die „Sinne schärft, die
eingefahrenen Muster durchbricht und die Erde mit neuen Augen sehen lehrt“ (Stocker 2007, B4). Eine solche
intensivierte Wahrnehmung der Welt, die uns zu neuen
Erkenntnissen zu führen vermag, war eine der zentralen
Zielsetzungen des Projektes. Unter dem Schlagwort von
Sich-in-die-Welt-hinaus-Lesen wollten wir Lehrkräfte
dafür gewinnen, junge LeserInnen zu einem neuen Umgang mit Literatur führen. Dabei wurde Lesen als geistiges Abenteuer verstanden, das die LeserInnen aber nicht
nur mit dem Unbekannten „da draußen“, sondern auch
Unser Konzept eines Lesens über unsere kulturellen
Grenzen hinaus macht somit eine doppelte Fremdheit
sichtbar – eine fremde Literatur und eine fremde Erfahrung durch Literatur –, die auszuhalten als Aufgabe dem
Leser/der Leserin zukommt. Das macht aber auch die
Faszination der Begegnung mit Literatur aus. Und der
Literaturunterricht sollte sich deswegen an das Motto
halten: Soviel Vertrautheit wie nötig, soviel Fremdheit
wie möglich. (Vgl. dazu Amann 1994, S. 45 f.)
1. Weltliteratur im Unterricht? Literatur im Unterricht?1
Über die neue Notwendigkeit eines umstrittenen Begriffs
Der Terminus Weltliteratur, in der Literaturwissenschaft
noch vor kurzem als „unscharf, historisch obsolet, kaum
theoriefähig und methodisch unzulänglich“ (Schmeling
1995b, S. 153) abgetan, hat in den letzten Jahren wieder eine Renaissance erfahren, zumal der Begriff in der
letzten Zeit einen radikalen Bedeutungs- und Funktionswandel erfahren hat. Lange Zeit wurde Weltliteratur
entweder als Summe menschlicher Erfahrungen und
Eigenschaften (im Sinne des Allgemein-Menschlichen),
als eine Sammlung der „besten Werke“, d.h. als ein auf
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GRUNDLAGEN
normativen Wertvorstellungen beruhender „weltliterarischer Kanon“, oder aber als Summe sämtlicher Nationalliteraturen (also ein quantitatives Nebeneinander
unabhängiger Literaturen) betrachtet (ebd.). Dieses alte
Konzept berücksichtigte zudem hauptsächlich Literaturen des Zentrums „Europa“, die ihrerseits stark national
geprägt waren.
Heute jedoch wird der Begriff der Nationalliteratur immer fragwürdiger: In mehrsprachigen Ländern, wo sich
literarische und sprachliche Grenzen nicht unbedingt
mit den politischen und nationalstaatlichen Grenzen
decken, kann von einer monokulturellen Nationalliteratur nicht (mehr) die Rede sein. Gerade die gegenwärtig
viel diskutierten Bereiche Migrations- und Exilliteratur
zeigen, dass unsere alten Kategorien nicht mehr passend
sind. Die Verabschiedung des Konzepts der Nationalliteratur als der entscheidenden Ordnungskategorie ist einer
der Gründe, warum die Neubewertung der Weltliteratur
unabdingbar geworden ist.
Ein zweiter Grund besteht in der Kritik der kulturellen Dominanz des Westens über die Weltkultur durch
postkoloniale WissenschaftlerInnen: „Während einst
die Weitergabe nationaler Traditionen das Hauptthema
einer Weltliteratur war, können wir jetzt möglicherweise annehmen“ – so Homi K. Bhaba –, „daß transnationale Geschichten von Migranten, Kolonisierten oder
politischen Flüchtlingen – diese Grenzlagen – die Gebiete der Weltliteratur sein könnten“ (Bhabha 2000, S.
18). Dahinter stehen die wirtschaftlichen, politischen
und kulturellen Veränderungen, die wir mit dem Begriff
Globalisierung belegen: Menschen erleben Fremdheit
und Andersheit durch Migration und Exil, aber ebenso
durch Grenzüberschreitungen aller Art, wie Reise in die
Ferne, Begegnungen mit AusländerInnen, internationale
und virtuelle Vernetzungen. Weltliteratur in diesem Sinne ist nun weniger eine Bezeichnung bestimmter Texte,
sondern die eines Kommunikationszusammenhangs, ein
„Arbeitsbegriff für eine internationale Kommunikation
der Literaten“ (Wintersteiner 2006a, S. 242).
Das ist aber genau das Konzept, das Goethe vorschwebte, als er den Begriff Weltliteratur prägte. Für ihn waren
Weltliteratur und Kosmopolitismus zwei Seiten derselben Medaille – der internationale Kulturaustausch einer
literarischen Elite sollte die unvermeidliche Konflikthaftigkeit internationaler Beziehungen wenigstens in gewisse
zivile Bahnen lenken (vgl. Birus 1995, S. 14). Anders gesagt: „Weltliteratur ist vor allem ein interaktiver, geistiger
Raum, der von literarischen Werken und deren weltweit
verstreuten Autoren, Übersetzerinnen, Verlegerinnen
und Lesern bevölkert wird“ (Mani 2012, S. 504).
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Weltliteratur – das bedeutet im gegebenen Zusammenhang
(des 20. Jahrhunderts) weder die Summe sämtlicher Literaturen der Welt, noch die besonders herausgehobenen
Werke, noch das alle Literaturen verbindende Ur-Menschliche, sondern es bedeutet die fortschreitende Internationalisierung der Welt der Literatur (Schmeling 1995, S. 162.)
Unter diesen Vorzeichen ist es nur mehr ein kleiner
Schritt vom literaturdidaktischen Einsatz von Weltliteratur zum Globalen Lernen (vgl. den Beitrag von Heidi
Grobbauer im nächsten Kapitel). Globales Lernen als Erziehung zum Kosmopolitismus kann sich dabei sehr stark
auf die Literatur stützen. Denn die Literatur ist selbst
ein Teil dieser kulturellen Vernetzungen, die sie ihrerseits zugleich reflektiert: „Es entsteht eine Literatur, die
ihrem Ursprung nach nicht an einen Ort gebunden ist,
die zwischen den Kulturen wandelt und deshalb wirklich
welthaltig ist.“ (Walstra 1995, S. 206) Die heutige Weltliteratur behandelt in diesem Sinne bevorzugt Themen wie
Mehrfachidentitäten, Heimatverlust, Mehrsprachigkeit,
räumliche Bewegungen sowie die Beziehungen des Fremden und des Eigenen und kehrt den statisch-normativen
Charakter des alten Konzepts in ein dynamisches Wissensmodell um, das seine Erkenntnisse aus dem „wechselseitigen Austausch transnationaler Welterfahrung“
(Goßens 2010, S. 26) gewinnt.
Freilich ist auch der Begriff „Weltliteratur“ nicht ganz
ohne Tücken. Als universalistischer Begriff ist er ein
Denkmodell, das sich der Einteilung der literarischen
Welt in Nationalliteraturen widersetzt. Soweit, so gut.
Allerdings ist dieser Universalismus keineswegs eine neutrale Instanz. Wer den Begriff Weltliteratur prägt und verwendet, entscheidet damit auch über seinen Inhalt und
seine Bedeutung. Westliche Konzepte von der „schönen“
und „wertvollen“ Literatur prägen nach wie vor die literarische Landschaft. Das spiegelt sich in der Vergabe von
Literaturpreisen, in der Auswahl der Werke, die übersetzt
werden, und in der literaturwissenschaftlichen Kritik –
letztlich natürlich auch in den schulischen Lehrplänen.
Während einerseits postuliert wird, dass alle Literaturen
„gleichwertig“ seien, werden doch die Spielregeln nur
von wenigen gemacht. Postkoloniale AutorInnen und
KritikerInnen haben dagegen zu rebellieren begonnen.
Bei der Definition des Begriffs Weltliteratur wollen wir
uns deswegen nicht den „Universalismus“, sondern den
„Kosmopolitismus“ als Grundlage nehmen, der „als der
Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Identitätsbeschränktheit“ verstanden werden will und der
Weltliteratur als eine „Lesestrategie“ definiert, die uns
„die Möglichkeit [bietet], […] durch literarische Werke
[…] sich der Andersartigkeit der anderen anzunähern“
und „aus dem kollektiven Narzissmus der eigenen Natio-
GRUNDLAGEN
nalliteratur“ herauszutreten (Mani 2012, S. 505 u. 507).
In diesem Kontext erscheint Weltliteratur als „Kampfbegriff “, der Phänomene benennt, damit sie überhaupt
wahrgenommen und thematisiert werden können – sie
fungiert als „ein Medium des Aushandelns kultureller
Widersprüche und Antagonismen“ (Bachmann-Medick
2004, S. 279). Kurz gesagt: Weltliteratur nicht mehr als
Domäne des Westens, sondern als Forum der Begegnung, des Austausches, aber auch der Konfrontation unterschiedlicher Stile, Ziele, Formen und Konzepte von
Literatur.
In Zeiten, wo Migration, Mehrsprachigkeit und Multikulturalität nicht nur das gesellschaftliche System,
sondern auch die kulturelle und literarische Landschaft
radikal verändern, muss auch literarische Bildung neue
Akzente setzen und auf Globalisierungsprozesse in adäquater Form reagieren. Das Bewusstsein für diese notwendige Erneuerung ist aber erst schwach entwickelt. In
den neuen österreichischen Lehrplänen finden sich zwar
Verweise auf die Kenntnis des weltliterarischen Kontexts
und die „multikulturellen Bezüge“ der deutschsprachigen
Literatur, außer einigen Einzelinitiativen spielen jedoch
Weltliteratur und Literatur der Minderheiten in Österreichs Schulen noch immer eine untergeordnete Rolle.
2. Das Projekt: PilotlehrerInnen erproben
weltliterarische Texte im Unterricht
In der Klagenfurter Deutschdidaktik hingegen wird
schon seit einigen Jahren an einer inter- bzw. transkulturellen Literaturdidaktik gearbeitet, mit Weltliteratur
als einem zentralen Kern einer neuen Orientierung (vgl.
Griesmayer/Wintersteiner 2000, Wintersteiner 2006 a
und b, Mitterer /Wintersteiner 2010). Als WissenschaftlerInnen wollten wir uns aber niemals damit begnügen,
Erkenntnisse zu publizieren, ohne uns um ihre Umsetzung in die Praxis zu kümmern. Denn schließlich kann
auch eine fachdidaktische Theorie und Grundlagenarbeit
niemals ohne Bezug zum schulischen Unterricht umfassend entwickelt werden. In diesem Sinne wurde versucht,
wo möglich auf die Lehrplangestaltung Einfluss zu nehmen (vgl. Lehrplan 2003 der AHS-Oberstufe, der zumindest Verweise auf den weltliterarischen Kontext der
deutschsprachigen Literatur enthält); Unterrichtsideen
zur Verfügung zu stellen (vgl. ide Hefte 1/2000: Schöpfungsmythen; 4/2000: Kinderliteratur aus dem Süden;
2/2007: Mittelmeer; 1/2010: Weltliteratur) sowie Fortbildungsseminare anzubieten. Die eigentliche Verankerung in der Schulpraxis, so unsere Überzeugung, kann
nur in direkter Kooperation mit den Lehrkräften erfolgen. Aus diesem Grunde haben wir zunächst im Schuljahr 2008/2009 in Zusammenarbeit mit dem Stadtschul-
Literatur als Medium globalen Lernens
Wie welt-literarische Bildung und das Bewusstsein globaler
Solidarität zusammenhängen
Selten tritt die politische Dimension literarischer Bildung so
deutlich hervor wie bei der transkulturellen Literaturdidaktik, die sich selbst als literarischer Beitrag zum globalen
Lernen versteht. Hier ein Ausschnitt aus Werner Wintersteiner: Transkulturelle Literaturdidaktik. Die „Poetik der
Verschiedenheit“ in der literaturdidaktischen Praxis. (Innsbruck: StudienVerlag 2006), S. 93:
 Postkoloniale Kritik am Eurozentrismus
Die Literaturen des globalen Südens sind angetreten, sich
auch mental von Kolonialismus und Neokolonialismus zu
befreien. Sie leisten konkrete Kritik an Machtverhältnissen und Ungerechtigkeiten, wie sie sich im Weltmaßstab
finden. Sie konfrontieren uns in Europa mit einer Sichtweise, die nicht zu unserem schmeichelhaften Selbstbild
passt und leisten damit einen Beitrag zur „Dezentrierung“
der kulturellen und geistigen Machtzentren.
 Die Einheit und die Diversität der Weltliteratur
Literatur als wichtige Trägerin des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit ist eine unverzichtbare Quelle zum
historischen Selbstverständnis der Menschheit und damit
zur Herausbildung dessen, was Globales Lernen anstrebt:
zu einem vertieften Erkennen der gemeinsamen Bezüge
der in Staaten und Nationen aufgespalteten Menschheit.
Das von Edgar Morin anvisierte „Heimatland Erde“ ist
ohne Weltliteratur als gemeinsamer virtueller Heimat der
Menschheit nicht vorstellbar.
 Medium der Identitätsfindung für Jugendliche
Identitätsfindung der SchülerInnen gilt seit längerem als
wichtiges Ziel des Literaturunterrichts). Dieser Identitätsdiskurs wurde lange Zeit sehr individualistisch verstanden. Mit Hilfe literarischer Texte ist es aber wohl auch
leichter möglich, aus der Falle nationalistisch verengter
Identitätsentwürfe herauszukommen. Literarische Texte
widersetzen sich häufig durch ihre Komplexität und
„Sperrigkeit“ simplen Identitätskonzepten und zeigen
anschaulich Menschen mit multiplen Identitäten und
stimulieren damit auch die kritische Selbstreflexion der
Lesenden.
 Medium für Empathie und Solidarität
Literatur zeichnet sich aus durch ihre Eignung, politische und soziale Beziehungen in einer voraussetzungslos
verständlichen, weil an individuellen Schicksalen festgemachten Form darzustellen. Wie Klaus Seitz ausgeführt
hat (vgl. Seitz 2002, 461/462) bedarf die abstrakte Weltgesellschaft „in ihrer pädagogischen Rekonstruktion eines
menschlichen Antlitzes, um tatsächlich als umfassendster
sozialer Zusammenhang wahrgenommen und beachtet
werden zu können, der für die eigene Handlungsorientierung relevant ist“. Literatur kann einiges dazu beitragen,
dieses „menschliche Antlitz“ zu schaffen.
9
GRUNDLAGEN
rat für Wien ein Projekt gestartet, das Lehrkräfte dabei
unterstützt, transkulturellen Literaturunterricht in ihren
Klassen umzusetzen.
Die Idee: Lehrkräfte erhalten eine (eintägige) Ausbildung, in der sie mit dem Konzept vertraut gemacht werden. Sie entwickeln eigene Vorstellungen, wie sie dieses
Konzept in ihre Praxis „übersetzen“ können und starten
Projekte mit ihren SchülerInnen. Dazu werden sie von einer Mitarbeiterin des Instituts für Deutschdidaktik (in
dem Maße, in dem sie das wünschen) betreut. Abschließend gibt es einen Tag der Projektpräsentation. Diese
Präsentationen werden schriftlich gefasst, dokumentiert
und stehen anderen interessierten KollegInnen zur Inspiration zur Verfügung (Genaueres über den Verlauf siehe:
http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/
projekt_zwischen_welten_lesen.pdf ). Dieses Projekt,
das mit acht Schulen, vornehmlich aus Wien, realisiert
wurde, ist unter dem Titel Theresia Ladstätter / Werner
Wintersteiner (Hg.): Zwischen Welten Lesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die Sekundarstufen
(KMS; AHS; BHS). Klagenfurt/Wien 2010 publiziert
worden.2
Das hier beschriebene Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht kann auf den Erfahrungen des Vorgängerprojekts aufbauen. Das Projekt setzte
sich zum Ziel, Impulse für den schulischen Umgang mit
Weltliteratur zu geben und die Einsatzmöglichkeiten
der Texte im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht zu
überprüfen. Als Textgrundlage dienten dabei Werke der
Literatur des globalen Südens (Afrika, Lateinamerika,
Indien, Asien) der Gegenwart. Es ging also wesentlich
darum, neue Texte in den Unterricht zu bringen und
die SchülerInnen mit kulturell fremden Werken zu konfrontieren. Darüber hinaus ging es aber ebenso darum,
die Texte „neu“ einzusetzen – indem sie bewusst in ihrer
speziellen Ästhetik wahrgenommen werden und Irritationen, die diese Texte bei den LeserInnen hervorrufen, besonders thematisiert wurden. Das Ziel war nicht nur eine
Erweiterung des schulischen Literaturkanons, sondern
auch die Erprobung eines „neuen“ literaturdidaktischen
Konzepts und adäquater Modelle des Verstehens fremder
Texte.
Dieses Projekt war deutlich größer und zeitlich ausgedehnter als das erste Pilotprojekt. Es beteiligten sich 19
Lehrkräfte bzw. BibliothekarInnen und LehrerfortbildnerInnen mit 15 Schulklassen (und eine Gruppe StudentInnen) aus den Bundesländern Wien, Oberösterreich,
Steiermark, Kärnten sowie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Fortbildungsinstituts in Berlin. Unter den
12 Schulen waren sowohl die Sekundarstufe I als auch
die Sekundarstufe II vertreten: Hauptschule, Koopera10
tive Mittelschule, Gymnasium, HBLA für künstlerische
Gestaltung, Handelsakademie. Man kann tatsächlich von
einer breiten Palette an Schultypen sprechen, die sich in
der Vielfalt der gewählten und hier dokumentierten Zugänge zum Thema spiegelt.
Das Projekt lief in folgenden, im Vergleich zum Vorgängerprojekt erweiterten, fünf Phasen ab:
(1) Zunächst erhielten die LehrerInnen im Frühling 2011
eine thematische Einführung in Form eines Bundesseminars Weltliteratur im Unterricht an der PH Kärnten, wo
ihnen das Grundkonzept der „transkulturellen Literatur“
und des „Globalen Lernens“ vermittelt wurde und konkrete Unterrichtsvorschläge im Umgang mit Weltliteratur geboten wurden. Dieses Seminar stand auch allen
KollegInnen offen, die an der Sache interessiert waren,
sich aber nicht am Projekt beteiligen wollten. Rund 60
Lehrkräfte machten von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Die Entscheidung über die Teilnahme konnten die Lehrkräfte nach diesem Bundesseminar treffen. Durch die
Abhaltung des ersten Seminars noch im Schuljahr vor
Projektbeginn konnten sich die Lehrkräfte besser auf die
Projekte vorbereiten.
(2) Im Herbst 2011, zu Beginn des neuen Schuljahrs
wurde ein zweites Seminar für jene LehrerInnen angeboten, die sich bereit erklärt hatten, tatsächlich ein Projekt
in einer Klasse durchzuführen. In diesem Projektseminar wurden die bereits vorliegenden Projektpläne der
KollegInnen diskutiert und theoretische Kenntnisse im
Bereich „globales Lernen“ und „transkulturelle Literaturdidaktik“ vertieft.
(3) Anschließend wurden die Projekte in den Schulen gestartet. Ziel war es, die theoretischen Überlegungen und
die dargebotenen Materialien in der Unterrichtspraxis
zu erproben. Die Lehrkräfte konnten dabei die von den
ProjektleiterInnen bereitgestellten Unterlagen nach Belieben ihren Unterrichtsbedürfnissen anpassen oder auch
zusätzliche Materialien entwickeln, eigene Schwerpunkte setzen und eigene Ideen verwirklichen.
Zusätzlich gab es zwei Bücherkoffer mit Literatur aus
dem Süden, jeweils einen für die Sekundarstufe I und für
die Sekundarstufe II, die von den Schulen geordert werden konnten und die sich über die gesamte Zeit hinweg
auf einer Wanderreise durch Österreich befanden.
(4) Im April 2012, nach der Realisierung der Projekte, wurde eine Abschlusspräsentation organisiert. Dort
wurden die Ergebnisse der Projekte präsentiert. Dabei
wurden auch SchülerInnen eingeladen, die die Arbeit aus
ihrer Perspektive darstellten. Dies war auch die Gelegen-
GRUNDLAGEN
heit, dass Projektleitung und LehrerInnen die Erfahrungen mit dem Projekt austauschten und weiterführende
Fragen diskutierten.
(5) In der letzten Projektphase wurden die Erfahrungen
ausgewertet, Ergebnisse dokumentiert und für die vorliegende Publikation aufgearbeitet.
dene Auffassungen. Sie alle sind in die Projekte eingeflossen und sie spiegeln sich auch in den folgenden Berichten
wider. Sie machen den Reichtum der schulischen Zugänge zum Thema „Weltliteratur“ sichtbar.
Seminar 1 - Weltliteratur im Unterricht
Fortbildung
Universitärer Input
(Breites Publikum)
Schuljahr 1
3. Universität und Schulen auf dem Weg des Dialogs
Universität und Schule werden zwar generell als grundverschiedene, oft miteinander unvereinbare Welten
betrachtet, obwohl doch die Lehrkräfte (der höheren
Schulen) an den Unis ihre Ausbildung erhalten haben
und oft auch als Lehrende in der LehrerInnenausbildung
eingebunden sind. Zudem werden in Österreich immer
mehr Forschungs- und Bildungsprogramme initiiert, die
zwischen den zwei Institutionen Brücken schlagen (vgl.
Sparkling Science, Young Science, IMST). Das Institut
für Deutschdidaktik versteht und verstand sich immer
schon als wichtige Schnittstelle zwischen Theorie und
Praxis einerseits und zwischen universitärer und schulischer Bildung andererseits, indem es sowohl an bildungspolitischen Innovationen und Reformen mitarbeitet als
sich auch in der LehrerInnen-Fort- und Weiterbildung
engagiert.
Soweit der Anspruch. Die Zusammenarbeit zwischen
Universität und Schulen ist in der Praxis dennoch ein
schwieriges Geschäft. Die Schulen mit ihren fixen Stundenplänen und starker Arbeitsbelastung, gerade in den
Sprachenfächern mit vielen Schularbeiten, sind strukturell kaum auf Projekte eingerichtet, für deren Vorbereitung und Durchführung eigentlich ein gewisses Maß
an Muße unerlässlich ist. Daraus ergibt sich ein gewisser
„Rhythmus“ der Arbeit, der nicht mit den universitären
Möglichkeiten übereinstimmen muss. Um die Kooperation zwischen den Schulen und den ProjektleiterInnen und
die Betreuung der einzelnen Projekte zu erleichtern, wurde daher eine Moodle-Plattform eingerichtet. Auf dieser
Plattform waren Unterrichtsmaterialien, Unterrichtsanregungen und Texte zu gewissen Themen zu finden – alles
was die universitäre Projektleitung den Schulen zur Verfügung stellen konnte. Die Möglichkeit, Moodle auch als
interaktive Plattform für den Erfahrungsaustausch unter
den Schulen zu nützen, wurde innerhalb des Projekts allerdings nicht wahrgenommen.
Wie nicht anders zu erwarten war, traten auch unterschiedliche Vorstellungen von dem, was Literaturunterricht ist, zutage. Das darf man sich allerdings nicht als
einfachen Gegensatz Universität-Schule vorstellen, sondern es gab auch unter den Lehrkräften darüber verschie-
Schuljahr 2
Seminar 2 - Projektseminar
Projektkonzepte der Lehrkräfte
Universitärer Input
(nur ProjektteilnehmerInnen)
Projekte
Schulen
Projekte
Schulen
Projekte
Schulen
Seminar 3 - Projektpräsentation
Abschlusspräsentation mit
universitärer Projektleitung
Input SchülerInnen & Lehrkräfte
Moodle
Plattform
Information
& Materialien
Projekt„Steuerung“
Universitäre
Projektleitung
Projektdokumentation
Texte der Lehrkräfte (SchülerInnen)
und der universitären Projektleitung
Redaktion: Universität
Abb. 1: Schema des Projektablaufs
Hier werden nochmals in schematischer Form die verschiedenen Arbeitsphasen des Projekts und der jeweilige
Anteil der Projektpartner dargestellt. Aus dem Schema
werden die beiden charakteristischen Komponenten –
LehrerInnenfortbildung und Projektarbeit – deutlich
ersichtlich.
Was das Schema weniger deutlich zeigt, ist die inhaltliche
Dimension unserer fachdidaktischen Intervention. Wir
haben bei Seminar I und II jeweils auf drei Ebenen gearbeitet:
(1) Theoretischer Input, d.h. kurze, meist über PowerPoint-Folien vermittelte Überlegungen zu literaturdidaktischer Ausrichtung: die Erläuterung des Begriffs
„transkulturelle Literaturdidaktik“ oder die transkulturelle Neuformulierung von Jürgen Krefts vier Phasen des
Literaturunterrichts (vgl. dazu Wintersteiner 2006b, S.
137 ff.); in ähnlicher Form wurde das Konzept des „Globalen Lernens“ (vor allem auf Seminar I) vermittelt.
(2) Literarische Texte, nach thematischen, gattungsspezifischen und Schwierigkeitsgrad gemäß dem Alter der
11
GRUNDLAGEN
SchülerInnen gruppiert: Dies erfolgte durch eine tabellarische Zusammenstellung zu ausgewählten Themen mit
ersten Hinweisen zur Arbeit im Unterricht, aber auch
durch eine Buchausstellung mit den wichtigsten von uns
empfohlenen Werken sowie durch das exemplarische
Vorstellen einzelner Werke.3
(3) Dossiers mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten, Auszügen aus literarischen Werken und zusätzlichem Material, Leitfragen und Arbeitsvorschlägen
für den Unterricht; solche Dossiers wurden beim ersten
Seminar vorgestellt und die Lehrenden hatten die Gelegenheit, die einzelnen Unterrichtseinheiten in Gruppen
durchzuspielen.
Wir boten also eine große Fülle an Materialien, eine kleinere Auswahl an bereits vorformulierten Unterrichtseinheiten (die dennoch noch großen Gestaltungsraum
ließen) und eine eher geringe Dosis an theoretischer fachdidaktischer Begründung und Reflexion. Für die Lektüre
von fachdidaktischer Spezialliteratur gab es Anregungen,
sie war aber nicht im Projektablauf vorgesehen. Immerhin
bot die Moodle-Plattform die Möglichkeit, alle Materialien nochmals in Ruhe abzurufen und durchzuarbeiten.
Insgesamt zielte unsere didaktische Intervention darauf
ab, den Lehrkräften eher eine Idee als eine Methode zu
vermitteln. Der Gedanke war, neue Materialien zu bieten
und Möglichkeiten für die Unterrichtsarbeit eher anzudeuten. Die Konzeption der Projekte und ihre Durchführung sollte voll in der Hand der Lehrkräfte bleiben,
die die Situation der Klassen und ihre Möglichkeiten
der Unterrichtsgestaltung selbst am besten abzuschätzen
wüssten.
4. Die Ergebnisse
Wir boten den Lehrkräften auch die Möglichkeit, mittels eines Fragebogens die Ergebnisse des Projekts und
den Prozess selbst einzuschätzen. Über die Hälfte machte davon Gebrauch. Das Resultat: Die Lehrkräfte waren
mit dem Projektablauf wie auch der Kooperation mit der
Universität ziemlich zufrieden. Interessant sind die folgenden Details:
Am besten beurteilt wurde die Grundidee, nämlich dass
es realistisch war, mithilfe von solchen Literaturprojekten Impulse für den schulischen Umgang mit Weltliteratur zu geben: Zwei Drittel stimmen „vollkommen“ zu,
ein Drittel „überwiegend“. Dieses Resultat wird nur noch
übertroffen durch die angebotenen literarischen Texte
und Unterrichtsideen, also die oben angeführten Dossiers, die fast ungeteilten Beifall erhielten. Der Bücherkof12
fer wird ebenfalls sehr positiv bewertet, selbst wenn die
Arbeit mit diesen Büchern in der Schulbibliothek nicht
immer so erfolgreich war. Auch die Ausführung des Projekts wird überwiegend als sehr gut beurteilt, aber nicht
ganz so gut wie der Ansatz selbst. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch in den freien Antworten, die meist die gute
Organisation und die nützlichen Materialien lobten.
Am meisten Probleme scheint unser theoretischer Zugang verursacht zu haben: Hier ist nur die Hälfte der
Befragten überzeugt, dass das Konzept der transkulturellen Literaturdidaktik ausreichend erklärt und illustriert
wurde, die anderen teilen sich in die, die finden, dass
es überwiegend bzw. nur teilweise klar verständlich gemacht wurde. Die zusätzliche Sekundärliteratur erhielt
die schlechtesten Wertungen. Sie wurde von allen Materialien am wenigsten als „brauchbar“ eingestuft.
Daraus lässt sich ablesen, dass unser Konzept, möglichst
große Freiheit in der Methode bei gleichzeitiger theoretischer Reflexion der unterschiedlichen Zugänge, sich
nicht wirklich bewährt hat. In einigen Antworten wurde die „ungenaue Zielvorgabe“: „Jeder macht, was er/
sie will“ kritisiert. Kritisch betrachtet wurde ebenfalls
unsere ausführliche Reflexion der Projektpräsentationen
bzw. der Projekte selbst auf dem dritten Seminar, die als
„künstliche“ oder „künstlich in die Länge gezogene“ Diskussionen betrachtet wurden.
Diese Ergebnisse zeigen, dass hier die Erwartungshaltung
der Lehrkräfte (oder zumindest vieler der beteiligten Lehrkräfte) und die der universitären DeutschdidaktikerInnen
auseinanderklaffen, ohne dass uns dies bereits im Prozess
bewusst geworden wäre. Es hat sich eher erst gegen Ende,
bei den abschließenden Reflexionen, herausgestellt. Man
könnte es vielleicht so formulieren: Wir haben – angesichts
der relativen Neuartigkeit des Themas und seiner Weite,
die die unterschiedlichsten Möglichkeiten zuließ, extensiv
gearbeitet. Wir sind in die Breite, nicht in die Tiefe gegangen. Von den Lehrkräften wurde allerdings, wenn auch
nicht immer klar artikuliert, ein stärker intensives Arbeiten
gewünscht: klare Vorgaben, die die Fülle der Möglichkeiten vernünftig einschränken, exemplarische Anleitungen
für den eigenen Unterricht, die immer noch leicht variiert
werden können, theoretische Überlegungen immer eng an
methodische Konzepte für die Praxis gebunden.
Wie dem auch sei: Die große Freiheit hat auch zu einer großen Vielfalt geführt, die hier vorgestellt werden soll. Und
vielleicht kann nun gerade die vorliegende schriftliche Fassung unseres Konzepts, verbunden mit den vielen Praxisbeispielen, am besten erläutern, welches Potential in dem
Programm „Weltliteratur im Unterricht“ steckt. Wenn dies
gelingt, so hat diese Publikation ihren Zweck erfüllt.
GRUNDLAGEN
Anmerkungen
1 Dieser Abschnitt lehnt sich an Wintersteiner 2006a, Kapitel IV.
2 Die Broschüre steht als Gratis-Download unter
http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf zur Verfügung.
3 Diese Tabelle ist unter http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/
downloads/weltliteraturimunterricht.pdf
Literatur
Amann, Klaus (1994): Von den Freuden im Diesseits. Vermischtes
zum Literaturunterricht. In: Amann, Klaus [u.a.] (Hrsg.): Deutschunterricht. Erfahrungen, Modelle, Theorien. Innsbruck/Wien:
Österreichischer Studienverlag, S. 39-48.
Bachmann-Medick, Doris (2004): Multikultur oder kulturelle
Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in
Postkolonialer Perspektive. In: Dies. (Hrsg.): Kultur als Text. Die
anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft. Tübingen
[u.a.]: Francke 2004, 262-296.
Bhabha, Homi K. (2000): Die Verortung der Kultur. Mit einem
Vorwort von Elisabeth Bronfen. Tübingen: Stauffenburg.
Birus, Hendrik (1995): Goethes Idee der Weltliteratur: Eine historische Vergegenwärtigung. In: Schmeling (1995a), S. 5-28.
Goßens, Peter (2010): Weltliteratur. Eine historische Perspektive. In:
Mitterer/Wintersteiner 2010, S. 9-28.
Griesmayer, Norbert/ Werner Wintersteiner (2000, Hrsg.): Jenseits
von Babylon. Wege zu einer interkulturellen Deutschdidaktik.
Innsbruck-Wien-München: StudienVerlag.
Ladstätter, Theresia / Werner Wintersteiner (2010, Hrsg.): Zwischen
Welten Lesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die Sekundarstufen (KMS; AHS; BHS). Klagenfurt/Wien. Gratis Download:
http://www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf
Mani, Venkat (2012): Kosmopolitismus und Weltliteratur. Thesen
gegen die Herrschaft des Ego. In: Das Argument 298, 54. Jg., H. 4,
S. 501-509.
Mitterer, Nicola /Werner Wintersteiner (2010, Hrsg.): Weltliteratur.
(= ide. informationen zur deutschdidaktik), 34. Jahrgang, H. 1.
Schmeling, Manfred (1995a, Hrsg.): Weltliteratur heute. Konzepte
und Perspektiven. Würzburg: Königshausen & Neumann (= Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, Band 1).
Schmeling, Manfred (1995b): Ist Weltliteratur wünschenswert?
Fortschritt und Stillstand im modernen Kulturbewußtsein. In:
Schmeling 1995a, S. 153-178.
Stocker, Günther (2007): Lektüreszenen. Was die moderne Literatur
vom Lesen weiß. In: Neue Zürcher Zeitung, 25.8.2007, B4
Walstra, Kerst (1995): Eine Worthülse der Literaturdebatte? Kritische Anmerkungen zum Begriff Weltliteratur. In: Schmeling 1995a,
S. 179-208.
Wintersteiner, Werner (2006a): Poetik der Verschiedenheit. Literatur, Bildung Globalisierung. Klagenfurt: Drava.
Wintersteiner, Werner (2006b): Transkulturelle literarische Bildung.
Die „Poetik der Verschiedenheit“ in der literaturdidaktischen Praxis.
Innsbruck: StudienVerlag.
13
14
GRUNDLAGEN
Heidi Grobbauer
„Sich in die Welt hinaus lesen“ – Globales Lernen
und Weltliteratur
I wrote exactly the kinds of stories I was reading:
All my characters were white and blue-eyed, they played in the snow,
they ate apples, and they talked a lot about the weather,
how lovely it was, that the sun had come out.
Now, this despite the fact that I lived in Nigeria, I had never been outside Nigeria.
We didn’t have snow, we ate mangoes, and we never talked about the weather,
because there was no need to.
Die in Nigeria geborene Autorin Chimamanda Adichie
erzählt, wie sie schon als 7-Jährige begann, Geschichten
zu schreiben; Geschichten, die denen ähnlich waren, die
sie selber gelesen hatte, aus den einzigen Büchern, die
zur Verfügung standen – englische und amerikanische
Kinderbücher. Diese Bücher eröffneten ihr neue Welten,
gleichzeitig schränkten sie ihre Perspektiven und ihre
Sicht auf die Welt wesentlich ein. Adichie nennt dies
„the danger of a single story“.
“Now, I loved those American and British books I read.
They stirred my imagination. They opened up new worlds
for me. But the unintended consequence was, that I did not
know that people like me could exist in literature. So what
the discovery of African writers did for me was this: It saved
me from having a single story of what books are.”
Neue Geschichten und Bücher kennen lernen und die
Vielfalt der Literatur erfahren, sich auf neue literarische
Erzählformen einlassen und neue Eindrücke erleben, sich
dabei befremden und faszinieren lassen und die eigenen
Sichtweisen über die Welt erweitern – all das sollte mit
dem Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur
im Unterricht“ möglich werden. Im Sinne von Chimamanda Adichie sollte dieses Projekt aber auch dazu dienen, die einseitige und verengte Sicht auf Weltliteratur in
Frage zu stellen und die Wahrnehmung von literarischem
Schaffen zu dezentrieren. Nicht die Literatur kultureller
Zentren stand im Mittelpunkt, sondern die weniger bekannten literarischen Werke des globalen Südens und
des Nahen und Mittleren Ostens.
„Die Welt lesen lernen“
„Die Welt lesen lernen“ – mit diesem Bild beschrieb der
brasilianische Befreiungspädagoge Paulo Freire die Fähigkeit, die Welt zu deuten und ihr einen Sinn zu geben.
Im Projekt sollte das Lesen von neuer Weltliteratur dazu
beitragen, Einblicke in „fremde“ Welten zu erhalten und
dadurch Weltverhältnisse facettenreicher deuten zu lernen. Gleichzeitig können über Literatur vielfältige, häufig differente Deutungsmuster von AutorInnen und der
von ihnen geschaffenen Figuren wahrgenommen werden.
Bei Paulo Freire bedeutet, die Welt zu verstehen, auch für
sich selbst Orientierung zu finden. Die Förderung von
Kompetenzen, die es (jungen) Menschen ermöglichen,
in der globalisierten und kulturell heterogenen Welt Orientierung zu finden und verantwortlich leben zu können,
ist ein wichtiges Anliegen des Bildungskonzepts Globales Lernen.
Nichts weniger als „die Welt“ in den Blick zu nehmen
– diesen Anspruch erhebt Globales Lernen. Es will Brücken bauen: zwischen dem eigenen Lebensbereich und
der Welt, zwischen Nähe und Ferne, zwischen Vertrautem und Fremdem, zwischen dem Ich und den Anderen.
Literatur bietet dafür vielfältige Verbindungen, das Projekt „Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“ geht aber darüber hinaus. Weltliterarische Texte
werden nicht als Träger von Informationen über ferne
Regionen, exotische Welten oder über Facetten einer
globalisierten Welt genutzt, sondern bleiben ästhetische
Werke, die in ihrer literarischen Form und ihrem literarischen Gehalt ausgelotet werden.
Angesichts der Globalität unserer Lebensverhältnisse
muss sich Bildung in einem erweiterten, globalen Horizont entfalten, weil das Unmittelbare, Lokale, Vertraute,
nur noch in seinen weltweiten Bezügen begriffen werden kann. Bildung und Bildungssystem sind herausgefordert, Lernen über diese komplexen Weltverhältnisse
zu ermöglichen. Globales Lernen definiert die Auseinandersetzung mit globalen Entwicklungen als wesentliche Querschnittsaufgabe von Bildung und fordert die
Berücksichtigung des globalen Bezugs bei nahezu allen
Bildungsinhalten. Themen werden in ihren lokalen und
globalen Dimensionen sowie aus verschiedenen Blickwinkeln erschlossen. Damit strebt Globales Lernen eine
15
GRUNDLAGEN
grundsätzliche Horizonterweiterung jeglichen Unterrichts an, es geht um ein Lehren und Lernen im globalen
Kontext. Doch dieser für Globales Lernen notwendige
Paradigmenwechsel ist – wie auch die Erfahrungen aus
der Bildungspraxis zeigen – nicht einfach.
Die Auseinandersetzung mit globalen Schlüsselfragen
erfordert interdisziplinäre Zugänge, Globales Lernen
hat deshalb bisher vor allem einen fächerübergreifenden,
projektorientierten Unterricht angestrebt. Es gibt kaum
Beiträge in Forschung und Bildungspraxis, die sich mit
Globalem Lernen im Fachunterricht beschäftigen. Im
Rahmen eines EU-Projekts hat die Südwind Agentur
auf Basis von Lehrplananalysen relevante Bezüge für
Globales Lernen in einzelnen Unterrichtsfächern herausgearbeitet. Die Stärkung von Globalem Lernen für den
Fachunterricht benötigt jedoch weitere systematische
Verknüpfungen auch mit aktuellen fachdidaktischen
Entwicklungen, um eine Integration von Globalem Lernen in den Fachunterricht und eine qualitative Weiterentwicklung zu ermöglichen. Mit einem stärkeren Bezug
zum Fachunterricht sollen Idee und Intentionen des
Globalen Lernens noch anschlussfähiger und attraktiver
werden.
Neue Perspektiven für Globales Lernen entfalten
KommEnt hat vor drei Jahren erste Projektideen für diese
stärkere Verbindung zum Fachunterricht entwickelt. Auf
der Suche nach geeigneten Schnittstellen mit einzelnen
Fachdidaktiken bin ich u. a. auf Werner Wintersteiners
Buch „Poetik der Verschiedenheit“ aufmerksam geworden. Hier eröffnete sich aus meiner Sicht eine spannende
und kreative Möglichkeit, Globales Lernen und transkulturelle Literaturdidaktik, wie sie an der Deutschdidaktik der Universität Klagenfurt entwickelt wird, zu
verknüpfen. Literarische Bildung dem Zeitalter der Globalisierung anzupassen und sie als Teil des Globalen anzusehen, entspricht ganz wesentlich den Intentionen des
Bildungskonzepts Globales Lernen. Mit großem Engagement haben wir – die Projektpartner KommEnt und das
Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik – das Projekt
„Sich in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“ konzipiert. Mit Freude haben wir festgestellt, dass
die Projektidee das Interesse vieler Lehrkräfte wecken
konnte, auch wenn dann nicht alle die Möglichkeit zur
konkreten Mitarbeit im Projekt nutzen konnten.
Mit der vorliegenden Dokumentation kann die theoretische Grundlage und die Konzeption des Projekts
nachgelesen werden. Transkulturelle Literaturdidaktik
stellt sicher ein anspruchsvolles und herausforderndes
Konzept dar. Das Projekt hat das kreative Potenzial und
die Bereicherung durch diesen Zugangs – für LehrerIn16
nen wie SchülerInnen - gezeigt. Die Projektberichte der
beteiligten LehrerInnen geben Einblick in die schulische
Umsetzung und in phantasievolle, kreative weltliterarische Erkundungen. Sie zeigen, dass SchülerInnen mit
Freude und Begeisterung mitgemacht haben und selbst
aktiv und produktiv geworden sind. Ohne das hohe Engagement der LehrerInnen und des Teams am Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, Hajnalka Nagy und
Werner Wintersteiner, wäre dieses Projekt nicht möglich
gewesen. Ihnen allen ist zu danken, auch dafür, dass sie
Räume für Experimentieren, Ausprobieren und für alternative Ansätze ermöglicht haben.
Die Auswahl von weltliterarischen Werken aus dem globalen Süden in unserem Projektvorhaben soll Akzente
gegen eurozentristische Sichtweisen auf Literatur- und
Kulturproduktion setzen. Die Texte werden bewusst als
literarische Texte und in ihrer speziellen Ästhetik erkundet. Die Öffnung der literarischen Bildung für weltliterarische Texte und für einen transkulturellen Zugang,
trägt dazu bei, euro- und ethnozentrisches Denken zu
überwinden und dabei auch das national „Eigene“ zu dekonstruieren. Die Literatur konfrontiert mit „Fremdem“
in verschiedener Weise, dadurch entstehen Irritationen
der eigenen Meinungen, Sichtweisen, Vorurteile und
Werthaltungen, die - eingebettet in einen reflektierten
Umgang mit dem „Fremden“ und dem „Eigenen“ – den
Horizont erweitern.
„Ich hatte immer das Gefühl, es sei unmöglich, sich richtig
mit einem Ort oder einer Person zu beschäftigen,
wenn man sich nicht mit allen Geschichten dieses Ortes
oder dieser Person beschäftigt. Die Folge der einzigen Geschichte ist diese: Es beraubt die Menschen ihrer Würde.
Sie erschwert es uns, unsere Gleichheit als Menschen zu
erkennen. Sie betont eher unsere Unterschiede als unsere
Gemeinsamkeiten.“
Lernen für die Weltgesellschaft
Globales Lernen rückt weltweit politische, soziale, ökonomische und kulturelle Verflechtungen in den Blickpunkt und beschäftigt sich mit den „Schlüsselfragen“
unserer Zeit. Es stellt dabei Fragen nach globaler Gerechtigkeit, nach der Verteilung von Ressourcen und
der Nutzung von Gemeingütern. Es thematisiert die
Verteilungsproblematik, Inklusion und Exklusion von
Individuen und gesellschaftlichen Gruppen und fordert
zur Analyse von Macht- und Ohnmachtsverhältnissen.
Ökonomische, politische, soziokulturelle Prozesse ereignen sich heute in „grenzüberschreitenden Sozialräumen“.
Nicht nur Märkte, politische Systeme und Gesellschaften
rücken zusammen, sondern auch Menschen mit verschiedenen kulturellen Bezugssystemen, unterschiedlichen religiösen und ethischen Orientierungen treten verstärkt
GRUNDLAGEN
miteinander in Kontakt. Globale Beziehungen intensivieren sich auf der Ebene von Gesellschaft, Institutionen
und Staaten aber auch auf der Ebene der Individuen.Damit Globales Lernen nicht zu einer Pädagogik der Globalisierung oder Pädagogik globaler Probleme wird, muss
neben der Fokussierung auf Globalisierungsprozesse vor
allem auch die Auseinandersetzung mit der Entwicklung
hin zu einer Weltgesellschaft gesucht werden.
„Weltgesellschaft bezeichnet ein weltweites Sozialsystem, das alle Kommunikationen und Handlungen in der
Welt aufeinander bezieht und sie füreinander zugänglich
macht. Für die Weltgesellschaft gibt es keine Sozialität
außerhalb des Systems.“ Basierend auf Niklas Luhmanns
systemtheoretischem Verständnis von Weltgesellschaft
arbeitet der Erziehungswissenschaftler Klaus Seitz wichtige pädagogische Implikationen heraus. Er verweist auf
die Notwendigkeit, dass jeder Bildungsgegenstand in seiner globalen Dimension zu erschließen sei. Die erforderliche „globale Anschauungsweise“ bezieht sich nicht nur
auf die Erweiterung räumlicher Kontexte (Globalität),
sondern auch auf die zeitliche (Antizipation) und soziale
(Multiperspektivität) Dimension.
Unter den Bedingungen der Weltgesellschaft findet soziale Kommunikation eingebunden in globale Zusammenhänge und Strukturen statt, „die sich der unmittelbaren
Erfahrung entziehen und nur über Abstraktion, Theoriebildung und eine Beobachtung „höherer Ordnung“ in
den Blick genommen werden können.“ Soziale Kommunikation und soziale Solidarität bezogen auf die Weltgesellschaft erfordern demnach eine andere Basis sozialen
Zusammenhalts und sozialer Zugehörigkeit, die mehr
Abstraktion verlangen. Für den pädagogischen Kontext
stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten Menschen dafür
benötigen und wie diese entwickelt und gefördert werden
können. Sowohl das Verstehen von globalen Zusammenhängen als auch das erforderliche Einüben abstrakter Sozialität können nicht allein durch Fachwissen befördert
werden. Wichtig ist die Reflexion eigener Standpunkte,
Interessen, eigener Werthaltungen und Sichtweisen. Globales Lernen fördert den bewussten Umgang mit Bildern
und Konzepten, mit Sterotypen und Vorurteilen, die die
Analyse von globalen Verflechtungen und Machtbeziehungen einseitig beeinflussen können. Die Betrachtung
globaler Phänomene aus mehreren, auch ungewohnten
Perspektiven lässt Zusammenhänge erkennen, macht dahinterliegende Interessen sichtbar. Wichtige Zielsetzungen im Globalen Lernen sind der Perspektivenwechsel
und die Förderung von Perspektivenvielfalt und Empathiefähigkeit. Eigene Meinungen und Werthaltungen
zur Diskussion stellen und zu reflektieren, das eigene Ich
zu stärken und aus einer gestärkten Identitätsentwicklung heraus die Begegnung mit dem „Anderen“, dem
„Fremden“zu wagen, bilden weiter wichtige Anliegen
von Globalem Lernen. Dabei wird der eigene Standpunkt als einer von vielen wahrgenommen, nicht Differenz wird in den Vordergrund gerückt sondern die Suche
nach Gemeinsamkeiten.
„Nicht Prinzipien, sondern praktische Handlungen befähigen uns, in Frieden zusammenzuleben. Gespräche über
die Grenzen der nationalen, religiösen oder sonstigen Identität hinweg, beginnen mit jenem fantasievollen Sich-Einlassen, das wir erleben, wenn wir einen Roman lesen oder
einen Film ansehen oder ein Kunstwerk betrachten, das
von einem anderen Standort aus als unserem eigenen zu
uns spricht. Deshalb benutze ich den Ausdruck „Gespräch“
nicht nur im buchstäblichen Sinne von „Konversation“
sondern auch als Metapher für das Bemühen, sich auf die
Erfahrungen und Ideen anderer Menschen einzulassen.
Und ich betone hier die Rolle der Phantasie, weil solch eine
Begegnung richtig ausgeführt, einen Wert an sich darstellt.
Ein Gespräch muss nicht zu einem Konsens über etwas irgendetwas führen, schon gar nicht über Werte. Es genügt,
wenn das Gespräch den Menschen hilft, sich aneinander zu
gewöhnen.“
Literaturunterricht kann für die Ziele von Globalem
Lernen zahlreiche Anlässe bieten und Denk- und Diskursräume schaffen. Wichtige Schnittstellen, an denen
sich zentrale Anliegen der beiden Konzepte verknüpfen,
sind die Dekonstruktion von euro- und ethnozentristischen Weltbildern sowie die stärkere Wahrnehmung von
transnationalen und transkulturellen Verflechtungen
bei gleichzeitiger Hinterfragung national-orientierter
Denk- und Handlungsmuster. Globales Lernen und
transkulturelle Literaturdidaktik fördern einen konstruktiven Umgang mit Differenz- und Fremdheitserfahrungen und sehen darin eine wichtige Schlüsselqualifikation für das Leben in einer Weltgesellschaft. Durch die
Akzentuierung der Fremdheit in der Literatur und der
Fremdheit der Literatur stellt sich transkulturelle Literaturdidaktik dem Grundproblem bei der Begegnung
mit dem Fremden. Ihr Ziel besteht nicht darin, den „geglückten Umgang mit dem Fremden“ zu organisieren,
sondern sie strebt „einen Umgang mit Literatur (und mit
Fremdheit generell) an, bei dem es darum geht, Fremdheitserfahrungen auszuhalten, zu beobachten und zu
reflektieren.“Beide Konzepte drängen auf eine Reflexion
des „Eigenen“ und stellen Multiperspektivität sowie den
Dialog über das Gemeinsame und das Trennende in den
Vordergrund.
Die Thematisierung von Ungewissheiten, die Suche
nach einem fruchtbaren Umgang mit Unsicherheiten,
Gefühlen der Orientierungslosigkeit angesichts komplexer und irritierender Weltentwicklungen, die Reflexion
verschiedener Deutungen von Weltentwicklungen, das
17
GRUNDLAGEN
Überschreiten von Grenzen und die Erweiterung des
eigenen Horizonts brauchen andere Formen der Auseinandersetzung als die rein kognitive Wissensverarbeitung.
Literatur eröffnet andere Welten, andere Perspektiven,
verführt zum Überschreiten von Grenzen und erweitert
den Horizont der eigenen Phantasie und des eigenen
Denkens. Transkulturelle Literaturdidaktik interessiert
sich ebenso wie Globales Lernen für die Verflechtung,
Durchmischung und Gemeinsamkeit von Kulturen und
Literaturen.
Die amerikanische Schriftstellerin Alice Walker schrieb
Folgendes über ihre Verwandten
aus dem Süden, die in den Norden gezogen waren.
Sie gab ihnen ein Buch über das Leben im Süden, das sie
hinter sich gelassen hatten.
„Sie saßen herum, lasen das Buch, hörten mir zu, wie ich
aus dem Buch vorlas, und ein Stück vom
Paradies wurde zurückerobert.“ Ich möchte gerne enden
mit diesem Gedanken: Dass wir, wenn wir die einzige Geschichte ablehnen, wenn wir realisieren, dass es niemals nur
eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, dann erobern
wir ein Stück vom Paradies zurück.
Literatur
Adichie, Chimamanda: The danger of a single story. Vortrag,
TED-Conference, Juli 2009; http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story
Appiah, Kwame (2007): Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums. München: Beck
Novy, Andreas (2007): Die Welt ist im Werden. Über die Aktualität
von Paulo Freire. In: Journal für Entwicklungspolitik XXIII 3-2007,
Wien, S. 29-57
Lang-Wojtasik, Gregor (2008): Schule in der Weltgesellschaft.
Herausforderungen und Perspektiven einer Schultheorie jenseits der
Moderne. Weinheim: Juventa.
Seitz Klaus (2002): Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschafts­
theoretische Grundlagen Globalen Lernens. Frankfurt a. Main:
Brandes & Apsel.
Stichweh, Rudolf (2011): Weltgesellschaft. In: Fernand Kreff/
Eva-Maria Knoll/André Gingrich (Hg.), Lexikon der Globalisierung.
Bielefeld: Transcript, S. 423 – 426
Wintersteiner, Werner (2006): Poetik der Verschiedenheit. Literatur,
Bildung, Globalisierung. Klagenfurt: Drava.
Wintersteiner, Werner (2011): Handreichung für das Projekt „Sich
in die Welt hinaus lesen. Weltliteratur im Unterricht“, Salzburg.
18
MODELL
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
Figurationen des Fremden – Facetten des Eigenen
Zum Umgang mit weltliterarischen Texten
im Deutschunterricht
Das Fremde ist das … was mich fasziniert …
was mich überrascht … was meinen Atem stocken lässt …
was mir Angst einjagt … unerwartet, unheimlich, unvertraut …
Und das Eigene? … Das, was mich langweilt …
was mich sprachlos macht … was mich befremdet …
was mich zum Ich macht … allzu bekannt und doch ungreifbar, unfassbar …
Lauert das Eigene auch im Fremden, das Fremde in uns?
Identität und Alterität bilden heute die zentralen Bezugspunkte verschiedenster wissenschaftlicher Diskurse
(u.a. Soziologie, Psychologie, Philosophie, Literatur,
Kulturwissenschaften), aber auch im (medialen) Alltag
sind sie stets präsent. Auf die Frage „Wer bin ich?“ fällt
die Antwort schwer, vor allem, wenn man bedenkt, dass
Identität ein heterogener Begriff ist, der je nach (wissenschaftlichem) Standpunkt und ordnender Kategorie
(Geschlecht, Alter, Nationalität, Beruf etc.) immer anders definiert werden kann. Zudem lässt sich Identität
im Zeitalter der Globalisierung und der Transkulturalität nicht mehr eindeutig bestimmen und muss immer
auch im Lichte des Fremden, d.h. der eigenen Fremdheit
und der des Anderen reflektiert werden. Fremdheit und
Andersheit erleben wir daher auf verschiedenen Ebenen
und auf verschiedenste Art: im Alltag mit seltsamen, unangenehmen oder besonders faszinierenden Menschen;
durch Migration und Exil, aber ebenso durch Grenzüberschreitungen wie Reisen in die Ferne sowie durch internationale und virtuelle Vernetzungen. Diese Begegnung
mit den/dem a/Anderen führt uns aus der Enge der eigenen Perspektive heraus und fordert uns auf, gewohnte
Sichtweisen zu hinterfragen und das eigene Ich in Bezug
zu anderen „Ichs“ zu setzen. Die Auseinandersetzung mit
dem Fremden – was immer darunter jeweils verstanden
wird – provoziert auf der einen Seite eine grundlegende
Verunsicherung und Infragestellung des Eigenen, auf der
anderen Seite öffnet sie neue Möglichkeiten der Selbstverortung.
Dieses komplexe Wechselspiel zwischen Fremdem und
Eigenem, Unbekanntem und Vertrauten gehört zu einer der wichtigsten Erfahrungen junger Menschen – die
Fähigkeit, mit den Irritationen, die diese Erfahrungen
hervorrufen, kompetent umzugehen, ist heute unerlässlich geworden. Transkulturelle Literaturdidaktik möchte
dazu ebenfalls einen Beitrag leisten, indem sie SchülerInnen mittels Literatur zu selbstreflexivem und kritischem
Umgang mit dem Fremden befähigt und sie für globale
Fragestellungen sensibilisiert. Das hier skizzierte Unterrichtsmodell veranschaulicht exemplarisch das Konzept
der transkulturellen Literaturdidaktik und gibt Anregungen für die Arbeit im Literaturunterricht.
Zwischen Befremden und Vertraut-Machen.
Prinzipien des transkulturellen Literaturunterrichts
Literarische Texte stellen immer eine Art „Fremdsprache“ dar, auch wenn sie aus der eigenen Kultur stammen.
Das macht ihren besonderen Erkenntnisgewinn aus. Und
das gilt natürlich erst recht für welt-literarische Texte, die
aus anderen Kulturen stammen. Will man diesen Texten
im Literaturunterricht gerecht werden, so darf man nicht
nur darauf hinarbeiten, sich mit diesen Werken „vertraut
zu machen“. Zunächst muss man sich „befremden“ lassen, um den zusätzlichen Erkenntnisgewinn, der durch
Irritationen entstehen kann, zu ermöglichen. Denn die
Irritation bedeutet nichts anderes, als dass man beginnt,
Vertrautes aus einem neuen Blickwinkel zu sehen, Selbstverständliches in Frage zu stellen, und vielleicht auch
seine eigenen Reaktionen auf Fremdheit bewusster zu
beobachten.
Das heißt, dass im Literaturunterricht neue „Leitfragen“
Einzug halten sollten:
 Es geht nicht mehr nur um die Frage: „Was bedeutet
der Text?“, sondern auch um die Frage: „Was entzieht
sich meiner Deutung?“
 Es geht nicht mehr nur um die Frage: „Was gefällt dir
am Text?“, sondern auch um die Frage: „Was befremdet
dich?“
 Es geht also wesentlich darum, Fragen zuzulassen
(auch: bei sich selbst zuzulassen), die etwa lauten: „Was
irritiert?“, „Warum irritiert?“, „Was stimmt mit deiner
19
MODELL
‚Vorstellung‘ von Welt nicht überein?“, „Was bleibt unzugänglich und warum?“
überprüfen und somit bestimmte gewohnte Argumentationsmuster zu durchbrechen. Ein Beispiel:
Jeder Schritt zum Vertrautmachen des Textes sollte durch
das „Purgatorium“ des Befremdens führen. Denn dieses
Befremden ist kein künstlicher didaktischer Zusatz, sondern die didaktische Reaktion auf eine literarisch ausgelöste Irritation. Wie immer, „erfindet“ die Literaturdidaktik nichts, sondern bemüht nur Methoden, um den
Text selbst optimal zur Geltung zu bringen.
Obwohl sich die Kinder- und Jugendliteratur bereits ab
den 1970er Jahren mit dem Phänomen der Migration,
der Heimatverlust, der Multikulturalität und der Fremdheit auseinandersetzt, bleiben diese Bücher – trotz ihres
Anspruchs nach Aufklärung und ihres Plädoyers nach
mehr Toleranz – oft in okzidentalen Denkmustern gefangen. Auf der Grundlage der von Sabine Dörrich kategorisierten „Argumentationsmuster“ erarbeitet Heidi
Rösch Konzepte für den inter- bzw. transkulturellen
Literaturunterricht, die diese Syndrome und Muster entlarven. Diese kreisen meist, aber nicht ausschließlich, um
die Denkfigur der „Einen Welt“.
Nach wie vor empfiehlt sich die Arbeit anhand des klassischen 4-Phasenmodells von Jürgen Kreft (Kreft 1976),
wobei wir hier die Adaption des Kreft‘schen Modells auf
transkulturelle Literaturdidaktik durch Werner Wintersteiner (nach Wintersteiner 2006, S. 137 ff.) verwenden. Kreft
unterscheidet vier Phasen, die idealtypisch jede Unterrichtseinheit zur Literatur durchläuft, die er allerdings mit einer
etwas gewöhnungsbedürftigen Terminologie belegt:
1. Phase der bornierten Subjektivität: Damit ist die spontane
und subjektive „Begegnung“ mit dem Text durch die Lesenden gemeint, die noch (kulturell) einseitig und unvollständig
sein wird. Kreft betont, dass diese Phase keineswegs dadurch
übersprungen werden darf, dass die Lehrkraft erklärt, wie
der Text „eigentlich“ zu verstehen sei. Denn diese „bornierte“, oft wohl kulturalistische Lesart ist vermutlich durchaus
bereits eine „erste Dezentrierung“, dadurch dass die SchülerInnen durch den Text in ihrer bisherigen Weltvorstellung irritiert werden. Das heißt, sie fassen den Text zwar
auf Grundlage ihres Denkrahmens auf, aber sie registrieren
bereits eine Irritation und versuchen diese vielleicht wegzuinterpretieren. Das kann für die weitere Analyse fruchtbar
gemacht werden, indem man sich gerade mit den eigenen
Irritationen auseinandersetzt, Schematismen bewusst macht
und die eigene Lesart infrage stellt.
2. Phase der Objektivierung: Vergleich der verschiedenen
Lesarten (einer Schulklasse), Perspektivenwechsel, multiperspektivische Arbeit (durch gezielte didaktische Aufgabenstellungen): Perspektive des fremden Textes, des lesenden Subjektes und der anderen RezipientInnen. Dies kann
als „zweite Dezentrierung“ verstanden werden, die nun bereits einen Schritt weiter geht als die erste.
3. Phase der reflektierten Subjektivität: Erhöhtes Textverständnis geht nun Hand in Hand mit einem tieferen
Verständnis der Kategorien, mit denen wir an einen Text
herangehen: Der Fokus liegt nun nicht mehr nur auf der
dargestellten Lebensweise (der Figuren), sondern auf der
Art der Darstellung.
4. Phase der Applikation: Hier geht es darum, einen neuen
kritischen Blick auf das Eigene zu werfen, es geht um einen
sensibleren, wacheren Umgang mit (kultureller) Fremdheit
überhaupt.
Zu einer kritischen Selbstreflexion gehört auch die Fähigkeit, die eigenen eurozentrischen Denkkategorien zu
20
 Das Vermeidungssyndrom zeigt eine Multi-Kulti-Idylle,
bei der vorhandene soziale, kulturelle, ethnische oder
sprachliche Unterschiede ausgeklammert oder im allgemein-menschlichen Universalismus aufgelöst werden.
 Das Ethnisierungs-/ Kulturalisierungssyndrom führt dagegen zu einer stereotypisierten Zeichnung von Minderheiten oder Angehörigen diskriminierter Gruppen, die
zu Repräsentanten einer Ethnie oder Kultur stilisiert werden.
 Der Übergang zum Defizitsyndrom ist dabei fließend,
denn es geht häufig darum, dass diese Figuren im Vergleich zu den Angehörigen der dominanten Gruppe sozial
schlechter gestellt, sprachlich weniger versiert, weniger gebildet etc. erscheinen.
 Das Harmonisierungssyndrom führt zur Integration einer
so gezeichneten Figur, die häufig durch einen von Angehörigen der Mehrheit oder dominanten Gruppe gesteuerten
Wandlungs- oder kompensatorischen Entwicklungsprozess erfolgt.
 Hier ist der Übergang zum Helfersyndrom ebenfalls
fließend, der Angehörige der dominanten Gruppe als paternalistische Retter der Diskriminierten erscheinen lässt.
 Das Oasensyndrom isoliert Angehörige von diskriminierten Gruppen und stellt sie als Einzelne in die dominante Gruppe, von der sie dann – häufig über eine Freundschafts- oder Liebesbeziehung und nach erbrachten Assimilationsleistungen – aufgenommen werden.
 Im Kontext des Abenteuer- bzw. Exotisierungssyndroms
ereignen sich Naturkatastrophen, dramatische Fluchten,
menschliche Dramen oder Kriminalfälle, die das Leben
der Minderheiten interessant und exotisch fremd erscheinen lassen, es letztendlich aber in Form eines positiven
Rassismus zeichnet.
 Das Enthistorisierungssyndrom führt dazu, dass Fakten
und Erkenntnisse über die verschiedenen Migrationsprozesse, über rechtliche, politische, kulturelle und sprachliche Hintergründe oder Besonderheiten schlicht ignoriert
oder nicht korrekt wiedergegeben werden.“
Rösch 2000, S. 31 f.
MODELL
Dieser Katalog erlaubt es, sich im Unterricht mit den genannten Syndromen systematisch zu befassen und auch
Bücher zu behandeln, die über die „Dritte Welt“ ein undifferenziertes Bild zeichnen.
Die Bewusstmachung der Argumentationsmuster ermöglicht SchülerInnen, tradierte Bilder, die europäische
Bücher über fremde Kulturen liefern, kritisch zu hinterfragen und überhaupt mit Literatur kritisch umzugehen.
Unterrichtsvorschläge zu Simi Bedfords Jugendbuch1
1. Didaktische Analyse des Buches
Yoruba Mädchen tanzend schildert den Kampf eines nigerianischen Yoruba-Mädchens um ihre Identität „zwischen den Kulturen“ in den frühen 1950er Jahren, als Nigeria noch eine britische Kolonie war. Zwar ist Rémi in
Afrika geboren und hat ihre ersten sechs Jahre im großväterlichen Haus verbracht, doch hat sie nach wiederum
sechs Jahren Schulzeit in England Schwierigkeiten, sich
selbst entweder als Engländerin oder als Afrikanerin zu
behaupten. In den Augen ihrer besten Freundinnen ist
sie eine „echte Engländerin“ geworden, in den Augen von
anderen Engländern bleibt sie, was sie immer schon war:
die Repräsentantin des „wilden Afrikas“. Das gewählte
Jugendbuch problematisiert den Prozess der kulturellen
Annäherung, der immer auch die Frage nach der (kulturellen) Identität und Alterität aufwirft. Vor allem macht
der Text jene Mechanismen sichtbar, die zur Stereotypenbildung und zu einer klischeehaften Lesart des Anderen führen. In diesem Sinne eignet es sich besonders
für einen Literaturunterricht, der sich sowohl mit dem
Funktionieren von Klischees und von (medialen) Fremdund Selbstinszenierungen als auch mit kulturspezifischen
Deutungsmustern und Denkkategorien auseinandersetzen und somit zum Nachdenken über die eigene (auch
kulturell bedingte) Wahrnehmung anleiten will. Zudem
durchzieht die Frage der Zugehörigkeit und der Identität
den gesamten Text und behandelt Fragen, deren Relevanz für europäische Jugendliche unmittelbar einsichtig
ist. Rémi lädt trotz ihrer „Fremdheit“ zur Identifikation
ein. Schließlich ist das Grundmuster ihres Bildungswegs
mit den drei Stationen – geschützte Familie, Aufbruch in
die Fremde, bewusste Entscheidung für den eigenen Weg
– auch unseren SchülerInnen vertraut. Anhand ihres
Schicksals können sie ihre eigenen Identitätsprobleme
und Beziehungen zur Familie und Peers artikulieren. Rémis Humor und ihre Selbstironie machen die Geschichte
zu einer attraktiven Leseerfahrung.
Zugleich wird – auf einer Metaebene – sichtbar, wie
mittels Ironie Herrschaftsdiskurse konterkariert werden
können (vgl. dazu Rösch 2003, S. 167 ff ).
In diesem Sinne soll der Roman im Unterricht einerseits
im Hinblick auf die (Dekonstruktion der) Fremdzuschreibungen hin untersucht werden, denen Rémi durch
die Engländer ausgesetzt ist, andererseits aber auch auf
die Selbststilisierungen der Protagonistin. Wie wichtig die Rolle der Medien bei diesen Inszenierungen ist,
zeigen jene „kulturellen Zitate“ (Schneewittchen, Bibel,
Tarzan-Filme, Othello), die einerseits ihr als Folien bei
ihrer Identitätsarbeit, andererseits als Grundlage stereotyper Vorstellungen dienen (vgl. dazu ausführlich Rösch
2003). Das Erkennen der Stereotypisierung in beide (!)
Richtungen soll auch das Aufdecken von dialektischen
Bewegungen zwischen Afrika-England ermöglichen.
Nicht zuletzt beleuchtet der Roman auch die Schwierigkeiten der Identitätsfindung am Schnittpunkt zweier
Kulturen und thematisiert somit die Problematik „hybrider Identitäten“. In diesem Sinne wird auch die Identitätsentwicklung des Mädchens näher untersucht.
Fragen und Aufmerksamkeitsrichtungen:
 Wechselbeziehung zwischen Fremdem und Eigenem,
Stereotypen und Klischees: welche werden in Bezug auf
die fremde Kultur aufgedeckt? Welche in Bezug auf die
eigene? Welche Funktion haben diese Stereotypen?
 Prozess der Identitätsfindung: Wie entwickelt sich
eine „hybride“ Identität? Wie wird das Dilemma des
„Dazwischens“ gelöst? Wie behauptet sich ein(e)
Fremde(r) im Gastland? Wie konstruiert sich das Fremde im Eigenen? (Wie wird das Fremde zum Eigenen?
Wie wird das Vertraute fremd?)
 Wie werden die „zwei Welten“ einander gegenüber bzw.
nebeneinandergestellt? (vgl. Semantik des Raumes)
 Welche okzidentalen Denkmuster werden sichtbar?
Allgemeine Ziele:
 die Wechselbeziehung zwischen Fremden und
Eigenen erkennen
 sich mit Mechanismen der Fremdzuschreibung,
Stereotypenbildung auseinandersetzen
 mediale und kulturelle Inszenierungen des Eigenen
und des Fremden reflektieren, d.h. die Rolle der Medien (Bücher, Filme, Zeitungen etc.) bei der Herstellung
von Fremdbildern erkennen, Selbststilisierungen und
-inszenierungen wahrnehmen
21
MODELL
 eurozentrische Deutungs- und Denkmuster erkennen
und hinterfragen, verschiedene „Syndrome“ registrieren sich mit der Problematik der „hybriden Identität“
befassen
 Nord-Süd-Perspektive als Ich-Andere; Dominanz der
Nord-Bilder von der Welt als objektive Weltsicht (Okzidentalismus, Euro-Zentrismus) in Frage stellen und
dadurch zu einem differenzierteren Bild des eigenen
Ichs und des Anderen zu gelangen
 kulturelle und politische Machtverhältnisse erkennen
mit Formen des Fremden differenziert umgehen
2. Arbeitsvorschläge anhand des Modells
von Jürgen Kreft
2.1 Phase der bornierten Subjektivität
Diese erste Phase soll SchülerInnen eine (bewusst zugelassene) kulturalistische, naive und subjektive Lesart
ermöglichen, aber dennoch für die „Macht der Bilder“
sensibilisieren.
Vor dem Lesen:
a) Bilder / Assoziationen sammeln zu „Afrika“, „Nigeria“,
„Yoruba-Stamm“. Dieses Sammeln kann sowohl in einer
Art Brainstorming geschehen als auch durch Collagen,
wo SchülerInnen aus Zeitungen verschiedene Bilder ausschneiden oder im Internet nach Bildern suchen.
b) Nach diesem Sammeln kann auch die Diskussion in
die Tiefe gehen:
 Was meinst du, wie ist das Leben in Afrika?
(Wo wohnen „sie“? Wie wohnen „sie“? Was arbeiten
„sie“? Welche Sprache sprechen „sie“?)
 Wenn du die gesammelten Bilder betrachtest,
welches Afrika-Bild vermitteln sie uns? Korrespondieren diese Bilder mit deinen Vorstellungen?
 Wie stellst du dir das Leben eines Yoruba-Mädchens
vor? (Beachte aber den Zeitpunkt, zu dem die Erzählung spielt)
c) Für SchülerInnen im deutschen Sprachraum stellt auch
England eine „fremde“ Kultur dar, deswegen sollten auch
die Bilder über England und über die EngländerInnen
mobilisiert werden. Eine wichtige Frage dabei wäre auch,
welche Unterschiede die SchülerInnen zwischen England
und Nigeria vermuten. In dieser Phase kann man auch
22
besprechen, welche Kultur ihnen „näher“ erscheint, und
worin diese „Nähe“ besteht.
d) Vor dem Lesen sollten die zwei Buchcovers (die des
englischen Originals und der deutschen Übersetzung)
betrachtet und miteinander verglichen werden. Dies hilft
SchülerInnen erste Leseerwartungen zu formulieren.
SchülerInnen sollten ihre eigenen Vorstellungen und
die medialen Bilder über Afrika/England stets vergegenwärtigen und diese mit dem Gelesenen vergleichen.
Deswegen sollten sie während des Lesens alles, was sie
über das Leben in Nigeria und in England erfahren, (z.B.
Gebräuche und Sitten, Mentalität, familiäre Beziehungen, Kleidung, Menschen) notieren und diese mit ihren
Leseerwartungen in Beziehung setzen. Mit dieser Aufgabe bleibt man noch in der „kulturalistischen“ Lesart,
weil vor allem Aspekte notiert werden, die „typisch“ und
„exotisch“, bzw. „fremd“ wirken. Erst die zweite Phase
wird diese Lesart aufbrechen. Dennoch ist es wichtig,
nach dem Lesen SchülerInnen auch nach Irritationen zu
fragen. Diese Frage erlaubt SchülerInnen, über Unerwartetes, Irritierendes oder Nicht-Verstandenes zu berichten,
was in der zweiten und dritten Phase produktiv genutzt
werden kann.
Nach dem Lesen:
a) Hast du etwas Neues, Interessantes erlebt? Etwas Irritierendes, Unerwartetes? Etwas, das deinen Erwartungen
entsprach? Etwas, das deinen Erwartungen widersprach?
b) Beispiele, die unseren Erwartungen (vermutlich)
entsprechen:
 Großvater /Vater als Machtfiguren, Patriarchat
 Respekt vor der Tradition der Hierarchie
(Figur der Großmutter)
 Feste anders als bei uns (Trauung und Begräbnis)
 traditionelle Kleidung und Tänze
 Aberglaube (trifft nur teilweise zu)
 Klischees über England: kalt, kühl, die Menschen
ebenfalls, die Feste sind langweilig, das Essen schlecht.
c) Beispiele, die (vermutlich) unseren Erwartungen
widersprechen:
 Rémi ist nach der englischen (europäischen)
Tradition (Sprache, Bibel, Kleider) erzogen
 die Familie des Großvaters ist reich/mächtig,
Dienstmädchen, Dienstboten um Rémi herum
 Rémi ist bereits in Afrika „fremd“
(weil sie als „weiß“ gilt).
MODELL
2.2 Phase der Objektivierung
In dieser Phase arbeitet man mit bestimmten Textstellen
und Aspekten des Romans. Im Mittelpunkt der Analyse
steht die Identitätskrise der Protagonistin, die vor allem
dadurch hervorgerufen wird, dass sie in England mit verschiedenen Stereotypen konfrontiert ist, die sie in ihrer
ursprünglichen Identität als Yoruba Mädchen verunsichern. Ein zweiter Grund der Identitätskrise hängt jedoch auch mit der distanzierten Haltung des Vaters Rémi
gegenüber zusammen, der ihr verbietet, die Sommerferien zu Hause zu verbringen. Damit untersagt er ihr jedoch
die „Rückkehr zu den Wurzeln“ und trennt sie von der
Heimat, der Familie und ihrer bisherigen Identität.
Vorurteile und Stereotype:
Ziel dieser Aufgabe ist es, dass SchülerInnen erkennen,
wie Stereotype entstehen, funktionieren und welche
Macht sie auf individuelle und kollektive Identitätsbildungen ausüben. Dabei sollten sie nicht nur die Fremdbilder erkennen und systematisieren, mit denen Rémi in
England konfrontiert ist, sondern auch, über die eigenen
schematischen Bilder über „Afrika“ nachdenken und eigene Stereotype mit den im Buch präsentierten in Beziehung setzen.
 Notiere alle Stereotype und Fremdbilder, mit denen die
Protagonistin konfrontiert ist! Wie kommt es zu diesen Zuschreibungen? Wie entstehen diese Stereotype?
Nenne einige relevante Szenen, wo Vorurteile eine Rolle spielen! Wie reagiert Rémi in diesen Szenen?
 Welche Verhaltensweisen kannst du Rémi gegenüber
unterscheiden? Differenziere zwischen verschiedenen
Gruppen: Freundinnen, Bekannte, Lehrer, Unbekannte, Engländer, Nigerianer.
 Vergleiche deine ersten Assoziationen und Bilder über
Afrika mit jenen Vorurteilen und Stereotypen, die im
Buch vorkommen. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es?
Die Blicke anderer.
Wie Rémi von den anderen betrachtet wird
In der ersten Aufgabe wurden die verschiedenen Verhaltensweisen Rémi gegenüber unterschieden. Nun werden
diese Verhaltensweisen noch einmal überprüft und als
„schematische Deutungsmuster des Abendlandes“ entlarvt. Wichtig ist, dass dabei deutlich wird, dass die Position der FreundInnen, Rémi als Engländerin zu akzeptieren, nicht unbedingt richtig ist. Sie reduzieren damit die
Vielfalt auf Uniformität und negieren die Möglichkeit
einer „gemischten“, bzw. „Patchwork-Identität“.
Verhaltensweisen
Bedeutungszuweisung von außen
absorbierend
Freundinnen, die
die Differenz leugnen, Rémi sich zu
„eigen“ machen
bewunderndexotisierend
Unbekannte, die
Rémi als etwas
„Exotisches“ bewundern (vgl. in
Deutschland)
ablehnendrassistisch
Unbekannte, die
Rémi als „Schwarze“ definieren
(z.B. LehrerInnen)
Abb. 1
Aha-Erlebnis: Auch wenn ich das Fremde als „Vertrautes“
wahrnehme, bleibe ich gefangen in einem bipolaren System.
Um dies aufzulösen, muss ich nach anderen Möglichkeiten
– z.B. Konzepte der Hybridität – suchen!
Identität und Alterität.
Rémi zwischen „wildem Afrika“ und England
Um die Identitätskrise und Identitätsentwicklung der
Protagonistin zu verfolgen, sollten verschiedene Etappen
dieser Suche – nach Möglichkeit auch in einer graphischen Zeitachse – veranschaulicht werden. Hierzu können drei größere Stadien der Identitätssuche („Identität
in Afrika“, „Identitätskrise in England“, „Selbstfindung
in England“) unterschieden werden, wobei das mittlere
in drei weitere Phasen gegliedert werden kann. Wichtig
ist bei dieser Analyse, die Innenperspektive Rémis mit
der Außenperspektive der anderen stets in Beziehung
zu setzen, weil die Zuschreibungen der anderen Rémis
Selbstbild und ihre Strategien, mit Vorurteilen umzugehen, stark beeinflussen.
 Welche Etappen der Selbstfindung und der Identitätskrise kann man bei Rémi feststellen? Untersuche Textstellen und Kapitel, die diesen Prozess veranschaulichen! Unterscheide dabei zwischen der a) Sicht der
Anderen und b) den Gefühlen/ der Sicht von Rémi
23
MODELL
Etappen der
Identitätssuche
Identität in Afrika
Phasen der Identitätssuche
/
Beschreibung
Formel
 Identität ist selbstverständlich, Gefühl der
Zugehörigkeit, Identität durch die Familie
gewährleistet
Ich =
Yoruba + „Weiß“
 Ich an der Schnittstelle von Kulturen, die
jedoch miteinander für Rémi nicht in Konflikt stehen
Identitätskrise in
England
 Ich = die Anderen (kein Bruch)
Rémi als Repräsentan-  Bedeutungszuweisung von außen: „wie ein
tin des „wilden Afrika“
wildes Tier“, „Nigger“, „Bimbo“ (S. 145146.)
 Reaktion von Rémi: Versuche, die Ehre
Afrikas zu „retten“, aber ohne Erfolg >
erster Ausweg: bewusste Inszenierung des
Eigenen als das Fremde, ironisches Spiel mit
Identität und Differenz
Ich = das Fremde
schlechthin
(gespielt und
real)
 Änderung des Selbstbildes durch die
Änderung des Äußeren: Rémi = hässlich
Rémi als Engländerin
(vgl., S. 159)
 Ich ≠ die Anderen (entweder Ich > die
Anderen oder Ich< die Anderen)
 Bedeutungszuweisung von außen:
Freundinnen akzeptieren Rémi als Engländerin, während Unbekannte Rémi als
„Schwarze“ bezeichnen und mit dem Exotischen schlechthin identifizieren
Ich = eine
Andere
(Selbstentfremdung)
 Leugnung der Herkunft (=die Eltern für tot
erklären) und Tarnung („Tarnfarbe“ auflegen und das wahre Ich verdecken)
Der Durchbruch
 doppelte Entfremdung: von sich selbst und
von der Heimat, Afrika nur noch als Traum
und als Illusion präsent (S. 235)
 Besuch bei den Missionaren: Erlebnis der
Ich = andere
Tänzerinnen und Sängerinnen aus dem
Fremde
Jemen
 Erfahrung des Ich als Differenz + In-FrageStellung der Tarnungstechnik (S. 282-283)
Selbstfindung:
afrikanische Identität
in England
(vgl., S. 302-304)
/
 das Außenseiterdasein wird bewusst,
Unmöglichkeit der vollkommenen Identifikation mit England, Suche nach anderen
Identitätsmodellen
 Wiederfinden der Identität im Kreis junger
AfrikanerInnen
 positives Selbstbild auch im Äußeren;
Rémi = wieder attraktiv
 Symbol: Yoruba Mädchen tanzend
24
Ich = Yoruba
Mädchen in
England
MODELL
2.3. Phase der reflektierten Subjektivität
Wie bereits erwähnt, sind unsere Wahrnehmung und
unsere Erwartungshaltung gegenüber „Fremden“ keineswegs nur individuell, sondern auch kulturell bestimmt.
Diese kulturellen Denkmuster werden u.a. durch verschiedene Medien weitertradiert. Auch Literatur und
Film sind nicht frei von „imaginierten“ Vorstellungen
über den/die/das Fremde/n, entweder indem sie diese
bewusst als Spiel oder eben unbewusst als verinnerlichte
Konstruktionen in Szene setzen. Besonders das Bild von
Afrika, dem immer schon der Makel des Wilden und
Unizivilisierten anhaftete, das aber gleichzeitig als exotische Kulisse die europäische Fantasie beflügelte, ist von
Projektionen, Vorurteilen und Fremdbildern geprägt, die
anhand des Buches von Bedford sehr gut thematisiert
werden können (zur Arbeit mit Afrika-Bildern vgl. auch
Bräunlein 1998). SchülerInnen sollen lernen, überlieferte Bilder in Frage zu stellen und verschiedenste Medien
auf ihre Produktion von Stereotypen hin kritisch zu untersuchen. Deswegen ist diese Phase von der Arbeit an
Denk- und Deutungsmustern bestimmt. In einem weiteren Schritt soll jedoch auch deutlich werden, dass unser „Selbstbild“ ebenfalls aus verschiedenen „kulturellen
Zitaten“ zusammengesetzt ist und wir unsere Identität
ständig und je nach Situation neu inszenieren. Die Auseinandersetzung mit Rémis Selbststilisierungen soll SchülerInnen zur kritischen Selbstreflexion anhalten, sowohl
in Bezug auf ihre persönliche Identität wie auch auf die
kulturelle Identität.
Figurationen des Fremden:
Unsere (westliche, europäische) Literatur und (Alltags-)
Kultur hat viele Erscheinungsformen des Fremden hervorgebracht. (Einige Beispiele wären hierzu Hexen, Drachen, Riesen, Vampire, Klone oder Kunstfiguren wie Tarzan, Winnetou, E.T., der Sandmann …). Als Einstieg in
diese Phase dient deswegen das Sammeln solcher Figuren
des Fremden:
 Welche Figuren, bzw. Geschichten oder Märchen fallen
Dir zur Figur des Fremden ein? Welche Ideen verknüpft
man mit ihnen? Wie sind sie dargestellt? Worin besteht
ihre Faszination?
Die Assoziationen können zuerst in alle Richtungen gehen, um möglichst vielfältige Zugänge zum Fremden zu
gewährleisten und diversen Leseerfahrungen der SchülerInnen Raum zu geben. Danach kann die Perspektive auf
literarische Werke beschränkt werden, die einen direkten Bezug zu Afrika aufweisen. Plant man mehr Zeit für
diese Auseinandersetzung ein, können auch Auszüge aus
Reiseberichten bzw. Abenteuerromanen analysiert wer-
den – so zum Beispiel Robinson Crusoe, Szenen aus dem
Dschungelbuch, Textstellen aus den Reisberichten von Ida
Pfeiffer (siehe dazu Bräulein 1998, S. 80) etc.
In einem weiteren Schritt steht wieder der Roman von
Bedford im Mittelpunkt, der ebenfalls einige Figuren
und Werke aus Literatur und Film nennt, die bei der
Identitätsentwicklung von Rémi, bzw. bei ihrer Annährung an die neue Kultur, eine besondere Bedeutung haben. Die sechsjährige Rémi fährt nach England nämlich
nicht ohne Vorstellungen über Europa und England im
Kopf. Diese Vorstellungen haben einen imaginativen
Charakter, indem sie u.a. auf Märchen wie Schneewittchen oder Dornröschen verweisen. Es ist wichtig, diese
literarischen Zitate aufzuspüren und zu fragen, was genau sie symbolisieren:
 Welche literarischen Figuren/ literarischen und filmischen Werke werden in Bedfords Roman wo und warum genannt? Was symbolisieren sie (für Rémi)? Wie
formen sie ihre Identität? Wie gestalten sie ihre Beziehung zu England? (siehe Punkt c.)
Dialektik von Afrika-Europa. Semantik der Räume:
Die zwei Welten Afrika – England sind im Buch sehr polarisierend und unterschiedlich beschrieben. Das trübe
England und die EngländerInnen mit ihrer Gefühlskälte
stehen diametral der bunten und frohen Welt des afrikanischen Zuhauses gegenüber. Die Untersuchung der Semantik der Räume gibt SchülerInnen darüber Auskunft,
dass selbst räumliche Konzepte von der subjektiven
Wahrnehmung des Betrachters abhängen und kulturell
kodiert sind.
 Schildere das Leben Rémis in Afrika (Kapitel 1-3), die
Reise nach England und die Ankunft in London (Kapitel 4-6)! Welche Bilder und Gefühle verbindet sie mit
den Orten? Was sind ihre ersten Eindrücke in England?
Gibt es typische Figuren und Gegenstände?
Inszenierung des Eigenen.
Identität als kulturelles Konstrukt
Rémi setzt die Stereotypen der Engländer AfrikanerInnen gegenüber bewusst als Waffe ein, um rassistische
Äußerungen und eurozentrische Denkmuster zu entlarven, aber auch um ihre Identität zu klären. Dabei spielen
filmische und literarische Figuren eine besondere Rolle
(vgl. dazu auch Rösch 2003, S. 168 f.). Um dies zu verdeutlichen, sollten die Stadien und Phasen der Identitätsentwicklung noch einmal unter diesem Aspekt untersucht werden:
25
MODELL
Etappen der
Identitätssuche
Identität in Afrika
Identitätskrise in
England
Afrikanische Identität
in England
Phasen der
Identitätssuche
/
Beschreibung
 Ich an der Schnittstelle von Europa und
Afrika
Rémi als Repräsentan-  bewusste Inszenierung des Selbst als das
tin des „wilden Afrika“
Fremde und das Exotische
Rémi als Engländerin  Versuch der absoluten Anpassung
Der Durchbruch
 Umbruch, In-Frage-Stellung der bisherigen
Tarntechnik
/
 Identität als Segregation, als Zugehörigkeit
zu dem eigenen Volk
 Ich gegenüber dem europäischen „Rest“
Formel
Ich = Yoruba +
Schneewittchen
Ich = Tarzan
Ich = Tarnfarbe
Ich = Othello
Ich = Yoruba
Mädchen tanzend
Die Auseinandersetzung mit Rémis Selbstbild kann
noch deutlicher herausgearbeitet werden, indem die
SchülerInnen untersuchen, wie Rémi ihr eigenes Äußeres
wahrnimmt:
 Wie nimmt Rémi ihr Äußeres wahr? Sammele alle
Beispiele, die im Roman mit ihrem Äußeren verbunden
sind! (z.B. in Afrika: die „Weiße“ – die Beschimpfung
von anderen afrikanischen Mädchen; Rémi = schön;
bei der Abreise: Haare werden gekürzt, hässliche und zu
große Kleider; in England: Kleider: in „Niggerbraun“,
schwarze Haut, die „abfärbt“, hässliche Haare, trockene
Haut; Rémi = unattraktiv; nach dem Wiederfinden der
Identität; Rémi = schön, alternative Kleidung etc.)
2.4 Phase der Applikation
Die radikale Verunsicherung bezüglich des eigenen Ichs
führt also zur Hinterfragung der eigenen Schönheit.
Das Gefühl, hässlich und unattraktiv zu sein, versucht
sie durch andere „Eigenschaften“ zu kompensieren, etwa
indem sie sich als hervorragende Sportlerin oder als intelligentes und kluges Mädchen beschreibt – Selbststilisierungen, die von der Überlegenheit des Anderen in der
Welt der Uniformierten zeugen.
 Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans
Der Roman behandelt zwar dasselbe Thema wie Bedfords Buch, nämlich das Leben zwischen der afrikanischen Kultur (des Senegals) und der europäischen
(in Frankreich), spielt jedoch rund 50 Jahre später, zu
Beginn des 21. Jahrhunderts. Es setzt sich kritischer
sowohl mit der „fremden“ als auch der „eigenen“ Kultur auseinander. Diome entwirft am Ende der langen
Suche keine harmonische Identität – wie dies bei Bedford der Fall ist –, die die Antagonismen zweier unterschiedlicher Kulturen auszugleichen versucht. Sie hebt
die Gegensätze nicht auf, sondern findet einen dritten
Raum, den Raum des Schreibens, wo das Ich als „Exilierte“, als eine „Hybride“ weiterleben kann. Zudem
macht der Roman auf eine neue Form von Kolonisation aufmerksam, nämlich auf die Kolonisierung Afrikas
durch die „Fußball-Maschinerie“. Nicht nur wegen der
verschiedenen Lösungsversuche der zwei ProtagonistInnen, sondern auch wegen der verschiedenen Bilder
über Afrika und Europa lohnt es sich, die zwei Bücher
miteinander zu vergleichen.
Aha-Erlebnis: Ich selbst konstruiere meine Identität und die
Wirklichkeit anhand kultureller und sozialer Muster. Diese
Muster können ebenso unbewusst sein wie meine Stereotype!
Am Ende des Buches entscheidet sich Rémi für ihre
„alte“ Identität als Yoruba-Mädchen, die sich selbstbewusst von westlichen Idolen abwendet und mit Stolz zu
ihrer Herkunft, ihrem Aussehen und ihren Traditionen
steht. Sie sucht nun Kontakte vor allem mit anderen AfrikanerInnen oder Jugendlichen aus dem globalen Süden.
Bei ihnen findet sie die Anerkennung, die ihr das koloniale England verweigert. Eine „hybride“ Identität, wie sie
heute häufig propagiert wird, sieht sie nicht als Option.
26
In dieser Phase kann der vorhin erlernte Umgang mit
Literatur/ mit Fremdheit vertieft werden. SchülerInnen
sollten hier die Möglichkeit zur kritischen Reflexion erhalten, indem sie sich beispielsweise anhand einer produktiven Aufgabe, noch einmal mit dem Text auseinandersetzen (Schreiben eines Essays, kreatives Schreiben).
Die Aufgabe kann/soll die Aufmerksamkeit auch auf
weitere Bereiche (gesellschaftliche, politische Fragestellungen) lenken. Möglich ist auch eine Weiterarbeit mit
thematisch ähnlichen Texten. Für die Weiterarbeit eignen sich u.a. folgende Texte.
MODELL
 Dolf Verroen: Wie schön weiß ich bin
Das Buch schildert das Leben in den Kolonien aus
der Perspektive eines weißen Mädchens, das als Geburtstagsgeschenk einen kleinen Sklaven bekommt.
Obwohl die Ich-Perspektive im Allgemeinen zur Identifikation einlädt, ist hier das Gegenteil der Fall. Das
Verhalten des Mädchens, das sich ohne Reflexion den
Herrschaftsdiskurs seiner Eltern zu eigen macht und
das Schicksal der Sklaven bzw. die Machtverhältnisse
überhaupt ignoriert, ruft beim Leser/bei der Leserin
Befremden hervor. Der Text eignet sich gut dafür, die
Problematik der Sprache und der Erzählperspektive,
bzw. die Unterschiede zwischen Autor-Perspektive vs.
Figurenperspektive zu besprechen.
Anmerkungen
1 Heidi Rösch hat in ihrem Beitrag „Von Afrika nach Europa. Inter-
kulturelle Entwicklungshilfe mit Simi Bedfords: Yoruba Mädchen
tanzend“ den Roman detailliert analysiert und hat auch didaktische
Impulse für die Behandlung des Romans im Literaturunterricht
gegeben (vgl. Rösch 2003). In unserem Unterrichtsbeispiel möchten
wir in erster Linie die Methoden der Transkulturellen Literaturdidaktik anhand der Kreft’schen Vierphasen-Modell veranschaulichen
und somit anhand des Romans eine exemplarische Arbeitsweise
präsentieren, die dann für andere Texte anwendbar wird.
Literatur
Bedford, Simi (1998): Yoruba Mädchen tanzend. Zürich: Unionsverlag.
Bräunlein, Peter G. (1998): Reisen von und nach Afrika. Eine Unterrichtseinheit für die Mittelstufe. In: Literatur und Reisen (= ide.
informationen zur deutschdidaktik), H. 2, S. 75-86.
Diome, Fatou (2004): Der Bauch des Ozeans. Zürich: Diogenes.
Rösch, Heidi (2000): Globalisierung in der Kinder- und Jugendliteratur und ihrer Didaktik. In: ide. informationen zur deutschdidaktik,
H. 4, S. 18-35.
Dies. (2003): Von Afrika nach Europa. Interkulturelle Entwicklungshilfe mit Simi Bedfords: „Yoruba Mädchen tanzend“. In: Büker,
Petra/Clemens Kammler (Hrsg.): Das Fremde und das Andere:
Interpretationen und didaktische Analysen zeitgenössischer Kinderund Jugendbücher. Weinheim [u.a.]: Juventa-Verl.
Verrouen, Dolf (2005): Wie schön weiß ich bin. Wuppertal: Peter
Hammer Verlag.
Wintersteiner, Werner (2006): Transkulturelle literarische Bildung.
Die „Poetik der Verschiedenheit“ in der literaturdidaktischen Praxis.
Innsbruck [u.a.]: StudienVerlag.
27
28
PROJEKTE
Hajnalka Nagy, Werner Wintersteiner
Eine Handvoll engagierte LehrerInnen
Die Schulprojekte1
Neunzehn LehrerInnen aus elf Schulen haben sich bereit erklärt, mit ausgewählten Klassen Projekte durchzuführen, in deren Mittelpunkt weltliterarische Texte
stehen, die im Hinblick auf globale Fragestellungen
bearbeitet werden. 15 Schulklassen und eine Gruppe
von LehramtsstudentInnen für Deutsch waren beteiligt.
Insgesamt sind 12 Projekte durchgeführt worden, fünf
in der Sekundarstufe I und sieben in der Sekundarstufe
II. In allen Schulen waren die DeutschlehrerInnen beteiligt, in vielen Schulen waren auch andere Fächer mehr
oder minder intensiv einbezogen: Bildnerische Erziehung, Geographie, Geschichte und Politische Bildung,
Musik, Religion, vor allem aber die Sprachen Englisch,
Französisch, Italienisch und Slowenisch. Die Projekte zeigen sowohl in Bezug auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung als auch in Bezug auf die methodischdidaktische Umsetzung viele Unterschiede, aber auch
Übereinstimmungen.
In der Vorbereitungsphase, beim ersten Seminar, haben
wir drei inhaltliche Schwerpunkte gesetzt. In Gruppenarbeiten wurden Dossiers mit Materialien zu den drei
Themen Identität, Mehrsprachigkeit und Magischer
Realismus durchgearbeitet. Diese Dossiers stellten eine
erste Grundlage dar, auf die sich die Lehrkräfte bei ihren
Projekten stützen konnten. Zugleich stand es ihnen aber
frei, auch auf andere Texte zurückzugreifen.
Tatsächlich wurden diese Dossiers gut angenommen: Die
am häufigsten behandelten Themen waren Migration,
Mehrsprachigkeit, Magischer Realismus, Beziehungen
zwischen Fremdem und Eigenem aus unterschiedlichen
Aspekten. Für die Realisierung der Projekte wurden verschiedene Formate gewählt: neben fächerübergreifenden
Projekten gab es Projekte, die nur im Unterrichtsfach
Deutsch realisiert wurden; es gab Schulen, wo sich die
Arbeit auf einige Tage bzw. einige Wochen beschränkte
und wiederum Projekte, die im Semesterprogramm integriert waren und die Auseinandersetzung mit Weltlite-
ratur über einen längeren Zeitraum hindurch erlaubten.
Die Projekte zeichnen sich auch durch Methodenvielfalt
aus: Manche Projekte haben stärker mit produktionsund handlungsorientierten Methoden gearbeitet (kreatives Schreiben, Inszenieren, Buchcover gestalten, Gedichte selbst verfassen), andere haben klassische Methoden
des Literaturunterrichts (Textanalyse, Textinterpretation, Inhaltsangabe, Charakterisierung von Figuren) bevorzugt. Es ist auch gelungen, vielfältigste literarische
Formen zu behandeln – neben den klassischen Formen
(Roman, Gedichte) wurden in der Literaturauswahl Bilderbücher, Comics, Filme und mehrsprachige Gedichte
berücksichtigt.
Im letzten Seminar beurteilten die LehrerInnen ihre
Ergebnisse in einem Reflexionsgespräch. Ein Teil füllte
auch einen Fragebogen aus. Diese Evaluation zeigt, dass
sowohl SchülerInnen als auch LehrerInnen das Projekt als
eine Bereicherung erlebten: Bei den SchülerInnen wurde
eine allgemeine „Horizonterweiterung“ registriert, weil
es durch die weltliterarischen Texte möglich wurde, nicht
nur neue Welten kennenzulernen, sondern die Welt einmal auch anders – aus einer neuen Perspektive – wahrzunehmen. Oft wurde auch darauf hingewiesen, dass durch
die Behandlung mehrsprachiger oder fremdkultureller
Texte SchülerInnen für aktuelle gesellschaftliche und politische Themen, wie Mehrsprachigkeit, Migration, die
Situation der Frau im globalen Norden wie im Süden,
sensibilisiert wurden. Dementsprechend haben SchülerInnen gelernt, mit anderen Sprachen, Kulturen und
Weltsichten wertschätzend umzugehen und Hegemonieverhältnisse zu durchschauen. Dazu wurde auch das
Eigene intensiver reflektiert, z.B. die eigenen mehrfachen
Zugehörigkeiten oder die Machtverhältnisse im eigenen Land. Das Projekt hat auch auf eine indirekte Weise
vielerorts dazu beigetragen, Lernprozesse attraktiver zu
gestalten. In vielen Projekten lag der Schwerpunkt auf
der selbständigen und eigenverantwortlichen Arbeit der
Lernenden. Durch diese eigenständige Organisation der
29
PROJEKTE
Arbeitsprozesse haben sonst passive SchülerInnen ebenfalls intensiv mitgearbeitet. Zu dieser aktiven Beteiligung
haben vor allem handlungs- und produktionsorientierte
Methoden maßgeblich beigetragen.
Die Projektergebnisse lassen sich im Hinblick auf die
zwei konkreten Zielsetzungen (Erweiterung des literarischen Kanons und Erarbeitung neuer didaktischer Konzepte im Umgang mit Weltliteratur) weniger eindeutig
interpretieren. In vielen Fällen verlief die Integration
weltliterarischer Texte ins Semesterprogramm zwar ohne
Probleme – dieser Erfolg kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die „Ergänzung“ der Schullektüre mit
der Ausnahmesituation „Projektunterricht“ verbunden
war. Inwieweit LehrerInnen wie SchülerInnen zukünftig die Gelegenheit ergreifen, auch im Regelunterricht
– außerhalb eines speziell vorgegebenen Rahmens – weiterhin weltliterarische Texte zu behandeln und diese als
einen integrativen Bestandteil literarischer Bildung anzusehen, bleibt somit offen. Die permanente Präsenz weltliterarischer Texte könnte wohl erst nach entsprechenden
Änderungen der Lehrpläne und der „Bildungsstandards“
gewährleistet werden. Auch fehlen entsprechende Unterrichtsmaterialien.
Auch die zweite Zielsetzung – das didaktische Konzept
der transkulturellen Literaturdidaktik in der Schulpraxis zu implementieren – stößt an gewisse Grenzen des
traditionellen Literaturunterrichts und ist durch die
neuen Vorgaben bezüglich Kompetenzorientierung eingeschränkt. Die AHS- und BHS-Lehrpläne für das Fach
Deutsch nehmen ein Konzept von literarischer Bildung
in den Blick, das vor allem an der Kenntnis der Gattungen, Epochen, Stile sowie der wichtigsten Werke der
deutschsprachigen Literatur orientiert ist und unter analytisch-interpretatorischen Kompetenzen das Erkennen
von bestimmten Textmerkmalen, Figurenkonstellationen und Motivkomplexen versteht. Eine transkulturell
gedachte Literaturdidaktik setzt sich darüber hinaus mit
der eigenen euro- und ethnozentrischen Position kritisch
auseinander, versucht Klischees über das „Andere“ und
den/die/das „Fremde“ aufzubrechen und für intertextuelle und interkulturelle Bezüge zwischen den Literaturen,
d.h. für die Verflechtung und Vernetzung von Kulturen
und Literaturen, zu sensibilisieren. Während der bestehende Literaturunterricht auf die „Minimalisierung“ von
Nicht-Verstehen abzielt, möchte die transkulturelle Literaturdidaktik einer Praxis entgegenwirken, die zu schnell
das „Fremde“ „verstehen“, d.h. sich einverleiben will und
Irritationen, Missverständnisse und jedes Nicht-Verstehen aus dem Weg zu räumen trachtet.
In diesem Sinne wird es, über diese Broschüre hinaus, in
Zukunft noch spezieller Handreichungen bedürfen, in
30
denen konkret ein Literaturunterricht dargestellt wird,
der das Unzugängliche, das Befremdende und das Irritierende der Texte nicht „domestiziert“. Ein solcher Zugang
stellt eine Chance dar, mit Differenzen der Kulturen reflektiert und sensibel umzugehen.
Die Ergebnisse des Projektes zeigen nichtsdestoweniger
Möglichkeiten auf, wie gerade durch diesen neuen Zugang den SchülerInnen herausfordernde und provokative
weltliterarische Texte bereitgestellt werden können, die
zur ‚Des-Automatisierung‘ ihrer Wahrnehmung und ihres
Verstehens beitragen. Das Projekt stellt die transkulturelle Literaturdidaktik auch vor neue Herausforderungen:
In Zukunft sollte stärker der Frage nachgegangen werden, wie der Literaturunterricht selber zu einem „dritten
Raum“ werden könnte, wo gesellschaftliche Diskurse,
kulturelle Mechanismen und schulische Traditionslinien bewusst gemacht, gewendet und hinterfragt werden
können.
Wir haben die Projekte nach systematischen Gesichtspunkten neu gruppiert, um sie hier vorzustellen. Es ließen
sich fünf Themenschwerpunkte herauskristallisieren:
 Multiple Identitäten und Mehrsprachigkeit
 Imagination(en) des Fremden
 Zwischen und in mehreren Kulturen: Erfahrungen
der Migration
 Das Magische, das Wunderbare, das Traumhafte
 Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten.
Arbeiten mit den Bücherkoffern
Diesen Themenschwerpunkten haben wir eine kurze
thematische Einführung vorangestellt, damit die
Berichte leichter einzuordnen sind.
Anmerkungen
1 Dieses Kapitel basiert auf einem Beitrag von Hajnalka Nagy, der
2013 in der Einzelausgabe der Zeitschrift kjl&m erschienen ist.
Literatur
Nagy, Hajnalka (2013): „Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur
im Unterricht. Ein schulisches Pilotprojekt in Österreich. In: Josting,
Petra; Caroline Roeder (Hrsg.): Das ist bestimmt was Kulturelles.
Eigenes und Fremdes in Kinder- und Jugendmedien. München:
kopaed, S. 233-244.
PROJEKTE
Multiple Identitäten
und Mehrsprachigkeit
In diesem Themenbereich konnten SchülerInnen durch die „Linse“ gemischtsprachiger Texte u.a. von Jani Oswald, Gino Chiellino, Antonio D’Alfonso und Glória Anzaldúa den eigenen mehrfachen und mehrsprachigen Identitäten nachgehen.
Damit ist gerade Weltliteratur im Unterricht ein Unterricht am
Puls der Zeit. In vielen österreichischen Schulen ist Mehrsprachigkeit eine gelebte Realität und somit ist deren Förderung zu
einer der zentralen Aufgaben des Deutschunterrichts geworden.
Deswegen war es unser dezidiertes Ziel, auch Projekte zu initiieren, die diesen Themenkomplex mit ihren verschiedenen Teilaspekten (mehrsprachige Identitäten, Machtverhältnisse zwischen
den Sprachen, Sprachverlust) anhand weltliterarischer Texte zum
Gegenstand des Literaturunterrichts machen.
Im Projekt von Simone Steharnig war die Akzeptanz der eigenen
multiplen Identität und Mehrsprachigkeit eines der Hauptziele.
Die Arbeiten der SchülerInnen zeigen, dass das Nachahmen der
Schreibweise mehrsprachiger AutorInnen ihnen ermöglicht hat,
mit den eigenen Sprachen kreativ und produktiv umzugehen und
Mehrsprachigkeit als Wert zu erleben.
Drei LehrerInnen, Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas und Adelheid Putz, haben in ihrem klassenübergreifenden Projekt für die
Schönheit der Sprachenvielfalt sensibilisiert, indem sie in einer musikalisch begleiteten mehrsprachigen Lyrik-Lesung die
„Klangqualitäten anderer Sprachen“ erfahrbar machten und dann
die Möglichkeit boten, mit der/den eigenen Erstsprache/n zu experimentieren und somit eine vertiefte Sprachaufmerksamkeit zu
fördern.
31
PROJEKTE
Simone Steharnig
Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos?
STECKBRIEF
Das Projekt
Mehrsprachig Sprachmächtig oder sprachlos
Schule
BG/BRG für Slowenen in
Klagenfurt / ZG / ZRG z a
Slovence v Celovcu
Klasse / SchülerInnen
4c, Kugy-Klasse
Teilnehmende FächerDeutsch
Projektleitung
Simone Steharing
1. Einführung und Ausgangssituation
Im Rahmen des Projektes „Sich in die Welt hinaus lesen“
haben wir das Hauptaugenmerk auf Identitäten, und im
Besonderen auf sprachliche Identitäten im mehrsprachigen Raum gelegt. Unter dem Titel Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos? haben wir angesichts der Tatsache,
dass wir in Kärnten im zweisprachigen Raum leben über
unsere Sprachen und Identitäten nachgedacht.
Die 4c-Kugy-Klasse des BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt ist eine Klasse mit Sprachenschwerpunkt. Ab der
ersten Klasse werden Englisch und Italienisch als Fremdsprachen unterrichtet. Unterrichtssprache ist Slowenisch,
und Deutsch wird als reguläres Unterrichtsfach geführt.
Die Klasse zählt 22 SchülerInnen, wobei sieben davon
Slowenisch als Muttersprache sprechen und drei Kroatisch. Als Umgangssprache in der Klasse überwiegt
Deutsch. Drei SchülerInnen haben als zweite Muttersprache noch Italienisch und Französisch.
Die SchülerInnen zeichnen sich durch ihr hohes Engagement am Sprachenlernen aus. Sie schreiben und lesen
sehr gerne und sind gerne kreativ tätig; auch in ihrer Freizeit sind sie in diversen Theater- Tanz- und Musikvereinen aktiv.
Das Projekt wurde ausschließlich im Deutschunterricht
durchgeführt und war integrativer Bestandteil des Unterrichts.
32
2. Das Projekt
2.1 Lehr- und Lernziele
 Was bedeutet „Identität“?
 Kennenlernen und Auseinandersetzung mit
Mehrfachidentitäten
 Auseinandersetzung mit der eigenen Identität bzw.
eigenen Mehrfach-Identitäten
 Über Formen der Fremdheit nachdenken
 Kreatives Schreiben
2.2 Inhalte und Textauswahl
Thema des Projektes war die Sprache als Teil der Identität
sowie die Mehrsprachigkeit der SchülerInnen. Anhand
von Fragen wie „Wer bin ich, wenn ich spreche?“ oder
„Welche Sprachen spreche ich wo und warum?“ haben
wir über Sprachen als Teil unserer Identität nachgedacht,
wie sie unsere Identität beeinflussen bzw. prägen.
Als Textgrundlage haben wir uns Gedichte von AutorInnen ausgesucht, die „dasselbe Schicksal tragen“ wie wir,
also AutorInnen, die auch im Grenzland leben wie Gloria Anzaldúa, oder Jani Oswald, der als Kärntner Slowene
seine Identität hinterfragt.
3. Projektablauf
3.1 Nachdenken über die eigene Identität (Projektphase 1)
Vorbereitung und Einstimmung der SchülerInnen
Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos?
(1) In der Eingangsphase war es sehr wichtig, die SchülerInnen auf die Auseinandersetzung mit sich selbst vorzubereiten. Dazu haben wir uns mit der Definition des
Begriffes „Identität“ befasst und in einer Mind-Map festgehalten, was unsere eigene Identität ausmacht.
Doppelmann
Ich habe meine Füße auf zwei Planeten
wenn sie sich in Bewegung setzen
zerren sie mich mit
ich falle
(2) Für die nächste Unterrichtseinheit brachten die SchülerInnen einen Gegenstand, ein Foto oder ein Kleidungsstück mit, das ihre Identität widerspiegelt. Im Sesselkreis
stellten sie die Gegenstände vor und begründeten ihre
Wahl. Anschließend schrieben sie ihre Gedanken zu ihrer Persönlichkeit und den ausgewählten Gegenständen
auf.
ich trage zwei Welten in mir
aber keine ist ganz
sie bluten ständig
(3) Textrezeption: Amin Maalouf: Mörderische Identitäten
Fragen zum Text
 Wie versteht bzw. definiert der Autor Identität?
Welche sind seine wichtigsten Erkenntnisse?
 Wie verstehst du seine Sichtweise, seinen Standpunkt?
Welche Argumente sind für dich nicht nachvollziehbar?
 Versuche nach dem Prinzip von Maalouf deine
Identität aufzuzeichnen, zu erklären. Welche
Zugehörigkeiten kannst du festhalten?
 Präsentation und Diskussion der Ergebnisse
3.2 Arbeit mit vier Gedichten (Projektphase 2)
Texte1
 Jani Oswald: Jaz-Ich
 Giuseppe Giambusso: Identität – Identita
 Zafer Şenocak: Doppelmann
 Gloria Anzaldua: A Struggle of Borders – Una lucha de fronteras
Identità
Fra me
e me
c’è un vuoto
impalpabile.
Identität
Zwischen mir
und mir
eine nicht zu
erfassende Leere.
Per colmarlo
faccio la valigia
e torno al mio paese.
Um sie zu füllen packe ich
den Koffer und fahre in
mein Dorf zurück.
Tra I fichi d’India
c’è ancora un vuoto
che non mi appartiene.
Zwischen den Feigenkakteen immer noch eine Leere
die nicht zu mir gehört.
Mai mi sono sentito
così vicino
e lontano
da me stesso.
(Giuseppe Giambusso)
Niemals habe ich mich so
nah
und fern
von mir selbst gefühlt.
(Giuseppe Giambusso)
PROJEKTE
die Grenze verläuft
mitten durch meine Zunge
ich rüttle daran wie ein Häftling
das Spiel an der Wunde
(Zafer Şenocak)
Auseinandersetzung mit den Texten:
 Wie verstehe ich das Gedicht? Wie wirkt es auf mich?
 Wie fühlt sich das lyrische Ich?
 Welche Erfahrung der Fremdheit beschreibt das
lyrische Ich?
 Was sind mögliche Gründe für die Entfremdung?
3.3 Schreibwerkstatt (Projektphase 3)
Gedichte schreiben und graphisch gestalten
Nach der Auseinandersetzung mit den verschiedenen
Identitäten und Entfremdungen setzen sich die SchülerInnen mit dem eigenen Ich auseinander und schreiben
entweder Paralleltexte oder ganz eigene Gedichte.
Aufgaben
 Schreibe ein eigenes Gedicht. Was macht deine
Identität aus? Wo fühlst du dich fremd?
 Gib deinem Gedicht eine Form!
4. Evaluation des Projektes
Die Rückmeldungen der SchülerInnen waren sehr positiv. Sie fanden es sehr gewinnbringend, über ihre mehrsprachige Identität im zweisprachigen Raum nachzudenken, da den meisten von ihnen gar nicht bewusst war
oder es selbstverständlich ist, in verschiedenen Kulturen
mit mehreren Sprachen zu leben. In den Rückmeldungen
hat der Großteil der SchülerInnen hervorgehoben bzw.
betont, wie wichtig und bereichernd der Gedankenaustausch im Sesselkreis war. Das Schreiben über sich, seine Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen und das
Experimentieren mit den Sprachen empfanden auch die
meisten als lustvoll und befreiend. Sie bezeichneten es
auch als „tief in mein Inneres gehen“. Es gab zwei SchülerInnen, die sich nicht mit ihrer Identität auseinandersetz33
PROJEKTE
Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos?
ten wollten. Sie konnten ihre Abneigung aber auch nicht
wirklich begründen. Am Ende konnten die SchülerInnen
feststellen, dass „jede Identität einzigartig bunt und wertvoll ist“. Diese Erkenntnis hat sehr zur Wertschätzung
der einzelnen Sprachen in der Klasse beigetragen. Die
Bewusstmachung bzw. Bewusstwerdung der Bedeutung
von Sprache und Identität war am Ende das eigentliche
Schlüsselerlebnis für die SchülerInnen.
Die Teilnahme am Bundesseminar „Sich in die Welt hinaus lesen“ und die Realisierung des Projektes in der Schule waren mir als Projektleiterin ein wichtiges Anliegen, da
ich selbst zweisprachig bin und in meiner Schulzeit die
Thematisierung von Zwei-bzw. Mehrsprachigkeit, von
Kultur und Identität vermisst habe.
Vor allem in einer mehrsprachigen Region wie der AlpenAdria-Region sollen SchülerInnen für die Akzeptanz der
Verschiedenheit sensibilisiert werden, es soll ihnen aber
auch der Wert der Mehrsprachigkeit bewusst werden. In
diesem Sinne möchte ich dieses Thema auch in in meine
zukünftige Lehrtätigkeit integrieren.
Anmerkungen
1 Die Texte wurden dem Sammelband Mitten durch meine Zunge
(Hrsg. Busch/ Busch, 2008) entnommen.
Literatur
Busch, Brigitta/Busch, Thomas (Hrsg., 2008): Mitten durch meine
Zunge: Erfahrungen mit Sprache von Augustinus bis Zaimoğlu.
Klagenfurt: Drava
Maalouf, Amin (2000): Mörderische Identitäten. Frankfurt am
Main: edition suhrkamp.
34
PROJEKTE
Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
STECKBRIEF
Das Projekt
Lyrik grenzenlos
SchuleGoethegymnasium
Astgasse 3, 1140 Wien
Klasse / SchülerInnen
1d, 3e, 5a (Realgymnasium)
Teilnehmende Fächer
Deutsch, Musik, Bildnerische Erziehung
Projektleitung
Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz
Dieses klassenübergreifende Projekt bestand aus einem
gemeinsamen Rahmenprogramm: Auftaktlesung und
Schlusspräsentation. Zusätzlich gab es – nicht zuletzt
wegen des unterschiedlichen Alters der SchülerInnen –
individuelle Herangehensweisen in den einzelnen Klassen.
1. Ausgangssituation und Einführung
An dem Projekt Lyrik grenzenlos nahmen im Schuljahr
2011/12 die Klassen 1d, 3e und 5a teil. In allen drei Klassen spricht zumindest ein gutes Drittel der SchülerInnen
außer Deutsch noch eine weitere Sprache, meist als Erstsprache. Folgende Sprachen sind vertreten: Albanisch,
Bosnisch, Chinesisch, Englisch, Farsi, Kinyarwanda,
Kroatisch, Polnisch, Schwedisch, Serbisch, Slowakisch,
Slowenisch und Spanisch. Da so viele SchülerInnen
eine nichtdeutsche Muttersprache haben, lag die Idee
nahe, sich mit Weltliteratur zu beschäftigen. Da die 5a
Klasse schon im vorigen Schuljahr mit Lyrik (auch mit
fremdsprachiger Lyrik) gearbeitet hatte, war für uns Lehrerinnen sehr bald klar, dass wir uns auf Lyrik spezialisieren wollten. Der erste Ansatz war, ein für alle Klassen
gemeinsames inhaltliches Oberthema zu finden (z.B.
Freundschaft, Fremdheit, Verlust). Es erwies sich als sehr
schwierig, für alle drei Altersstufen passende Texte zu einem gemeinsamen Thema zu finden.
Der Schwerpunkt wurde daher weg vom Inhalt hin zur
Textproduktion gelegt. Auch von der Idee, sich nur auf
die Erstsprachen der SchülerInnen zu konzentrieren,
wurde Abstand genommen.
Die Klasse 1d (Informatik RG, 25 Schüler, 4 Schülerinnen) hatte keinerlei Erfahrung mit fremdsprachigen Texten. Auch SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache kannten (mit einer Ausnahme) keine Texte in ihrer
Muttersprache. Mit Lyrik hatte kaum jemand Erfahrung
gemacht. Wenn überhaupt, wurden kleine Gedichte in
der Volksschule auswendig gelernt. Die Vorbehalte der
Kinder, mit den „Großen“ zusammenarbeiten zu sollen,
waren anfangs sehr groß.
Die Klasse 3e nahm an dem Projekt mit ihrem Klassenvorstand teil, der neben Deutsch in dieser Klasse auch
Bildnerische Erziehung unterrichtet. Die Arbeitsphasen
waren auf 3 Wochen des gesamten Schuljahres 2011/12
aufgeteilt und dauerten jeweils eine Woche.
Die Klasse 5a war in den Schuljahren 2010/11 und
2011/12 in einem Comenius-Projekt engagiert, daher
war der Zeitrahmen für die Aktivitäten zum Projekt Lyrik grenzenlos von vornherein sehr bescheiden. In dieser
Klasse werden außer Deutsch auch folgende Muttersprachen gesprochen: Polnisch, Kroatisch, Serbisch, Spanisch. Leitend war die Idee, diese Muttersprachen allen
am Projekt Beteiligten „zu Ohr“ kommen zu lassen, ferner dass die Kinder, die sich seit 4 Jahren kennen, sonst
nicht bzw. kaum wahrgenommene Kompetenzen zeigen
können.
35
PROJEKTE
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
Im Konzept des Projektes war von Anfang an eine klassenübergreifende Arbeit einer ersten, dritten und fünften
Klasse vorgesehen. Für die Lesung wurde fächerübergreifend
mit Musik, in einzelnen Unterrichtseinheiten wurde mit
Bildnerischer Erziehung zusammengearbeitet.
2. Das Projekt
2.1 Lehr- und Lernziele
Es sollte die Einbettung eines ohnehin im Unterricht
zu behandelnden Themas (Lyrik) in ein erweitertes Verständnis von Muttersprache erfolgen. Die Klangqualitäten anderer Sprachen sollten an lyrischen Texten
hörbar werden (Lesung: aufs Hören angelegt, Klänge
zwischen den Texten). Die Textauswahl orientierte sich
nicht an einem Thema, sondern an den in den Klassen
gesprochenen Muttersprachen und den Kindern interessant erscheinenden Sprachen. Auch die Form war ein
maßgebliches Kriterium. Kurze Texte in verschiedenen
Sprachen erschienen uns für viele ZuhörerInnen leichter
bewältigbar.
der Konkreten Poesie (vgl. Materialien dazu in Deutschstunde 4 und im Buch Bunte Schreibwerkstätte), Schreiben
eigener Texte nach diesen Vorbildern.
3. Der Projektablauf im Unterricht
3.1“Start up“-Veranstaltung am 18.10.2011 im Festsaal
Die Auftaktveranstaltung (2 UE) wurde von der 5. Klasse
dominiert. Die Aktivitäten zu diesem Projekt waren als
Erweiterung des Kernstoffes im Rahmen des Themenpools zur Zentralmatura „Beschäftigung mit Lyrik“ (v.a.
Liebeslyrik) angelegt. Die Lesung vor den beiden Partnerklassen stellte für die 5. Klasse den Höhepunkt des
Projektes dar2.
2.2 Vorarbeiten
In der 1. Klasse wurden im September die Grundlagen
der Lyrik, wie Strophe, Vers Verszeile, Reim etc. erarbeitet. Das Vortragen von Gedichten wurde geübt.
In der 3. Klasse ging es in der ersten Phase gleich zu Beginn des Schuljahres um das Wiederholen bekannter
Begriffe und Gedichtformen aus den vergangenen Schuljahren (Bild-Wörter, Visuelle Poesie, Elfchen, Haiku,
Stufengedicht, Gedicht mit Wiederholungen: Lautwiederholungen, Wortwiederholungen) und um die Anwendung in der eigenen Lyrik-Produktion. Inhaltlich (und
formal) entstanden Gedichte, die an die gerade zu Ende
gegangenen Ferien anknüpften.1
Zuerst erfolgte eine gemeinsame Lektüre der Beispieltexte mit anschließender Besprechung der typischen InhaltForm-Beziehungen der Gedichte. Der nächste Arbeitsschritt war der produktive Umgang mit Lyrik (eigene
Gedichte zu den besprochenen Beispielen in der Schule
und zu Hause) und die anschließende Präsentation in der
Klasse.
Die 5. Klasse begann mit den Vorarbeiten im 2. Semester der 4. Klasse. Oder um genau zu sein, die Arbeiten
der 4. Klasse wurden für das Projekt „Lust auf Lyrik“ herangezogen. Die SchülerInnen erstellten Kurzreferate zu
selbst gewählten Gedichten (Formanalysen, inhaltliche
Analyse, Vortrag, Kennenlernen der AutorInnen). Im
Juni 2011 folgte das Kennenlernen von Beispielen u.a.
36
Abb. 1.
Die SchülerInnen waren aktiv in die Mitgestaltung der
Textauswahl einbezogen. Die Gedichte mussten aus folgenden Sprachen übersetzt werden: Polnisch, Kroatisch,
Schwedisch, Serbisch, Spanisch, Burgenlandkroatisch
(hier gab es eine Übersetzung). Der Vortrag musste eingeübt, musikalische Elemente mit Unterstützung des
Musikkollegen in den Vortrag eingebettet, die Bildauswahl getroffen und die passende Technik ausgewählt
werden.
Abb. 2.
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
Im Anschluss an den Vortrag, der mit multimedialen
Projektionen untermalt war, fand ein Workshop für alle
teilnehmenden Klassen statt. Es sollte Arne Rautenbergs
emma und Günter Kunerts Auf der Schwelle des Hauses
umgestaltet werden. Darüber hinaus sollten Bildwörter
und Wortbilder gestaltet werden.
PROJEKTE
wie viele Sprachen in ihrer Klasse gesprochen werden
und wer diese Sprachen spricht.
Als Methode wurde gewählt:
 Auseinandersetzung mit mehrsprachigen Gedichten
von Antonio d’Alfonso, Dato Barbakadese, Ivo Kobaš,
Alek Marajano3
 Assoziationen, Besprechen der Auffälligkeiten:
Gruppenarbeit und Plenum
 Eigenproduktion von Gedichten in Einzel-, Partnerund/oder Gruppenarbeit in der Schule und zu Hause
Abb. 3.
Präsentation ausgewählter Texte:
 genius loci von Dato Barbakadse
 Nativo di Montréal von Antonio d’Alfonso
 SMS - Gedichte
 Visuelle Poesie: nicht, ebbe/flut, immer starrer, moral,
raupe von Ernst Jandl
 the flag von Ernst Jandl (als unvollständiges Gedicht,
nur die ersten zwei Strophen vorgegeben)
Ein Büchertisch sollte zur Beschäftigung mit anderssprachiger Literatur anregen.
Zusätzliches Material:
 diverse Wörterbücher
3.2 Produktionsphasen
Leitgedanken zur eigenen Lyrik-Produktion:
 In welcher Situation habe ich mich zwischen mehreren
Sprachen hin- und her gerissen gefühlt?
 Schlüpfe ich in verschiedenen Situationen in eine
andere „Sprachhaut“? z.B. zu Hause, in der Schule,
wenn ich schimpfe, wenn ich träume,....
Die Hauptphase des Projekts (8 – 10 UE) fand in den
regulären Deutschstunden in den Klassen getrennt statt.
Hierbei ging es in erster Linie um die Produktion verschiedener lyrischer Formen (Neunerl, Elfchen, Haiku,
Stufengedicht, SMS-Gedicht, Gedichte mit Reimschema, Visuelle Poesie), auch in Fremdsprachen.
Die 1d beschäftigte sich zunächst mit Silvia Hüslers Kinderverse aus vielen Ländern. Die Kinder wählten paarweise je einen Vers aus und trugen ihn in der Originalsprache und in der deutschen Übersetzung vor. Die nächste
Aufgabenstellung war, selbst einen Kindervers aus der
Vorschulzeit zu wählen und vorzutragen. Leider präsentierten alle SchülerInnen ausschließlich deutschsprachige
Verse und Auszählreime. Die nächste Aufgabenstellung
war, nach einer kurzen Einführung, die Produktion eines
Elfchens, das anschließend im Word-Programm entsprechend formatiert werden sollte.
In der 3e ging es in der zweiten Phase eine Woche lang
(4 Deutschstunden, 2 BE-Stunden) gezielt um Mehrsprachigkeit in Gedichten. In der Textauswahl war es der
Kollegin wichtig, lyrische Texte zu präsentieren, in denen
einerseits Mehrsprachigkeit verarbeitet ist und andererseits unterschiedliche kulturelle Lebenserfahrungen thematisiert sind. Zu Beginn wurde eine Bestandsaufnahme
der „Sprachen der 3e“ gemacht. Erstaunlich war, dass sich
einige SchülerInnen nicht bewusst waren, welche bzw.
Vor allem die Auseinandersetzung mit Visueller Poesie
machte den SchülerInnen großen Spaß, obwohl die Herstellung viel Zeit in Anspruch nahm. Die SchülerInnen
arbeiteten an mehreren Gedichten in unterschiedlichen
Gruppenkonstellationen.
Die 3e war auch mit der Organisation und Moderation
der Abschlusspräsentation betraut. Die Klassenpräsentation erfolgte mit zwei Schwerpunkten:
 Präsentation der Visuellen Poesie in Form einer
Ausstellung
 Szenische Präsentationen der mehrsprachigen Gedichte
Diese Arbeitsphase war von großem Eifer und Heiterkeit
geprägt. Die SchülerInnen beratschlagten, probten ihre
Texte in Gruppen, spielten sie der Klasse vor, arbeiteten
Feedback ein, probten weiter. Ein interessanter Diskussionspunkt in der Klasse war, wie man die Brücke zwischen
Gruppe und Individualität schlagen kann, wie sich also
die Klasse als Gruppe präsentieren kann, in der doch so
viele verschiedene Produkte in unterschiedlichsten Konstellationen entstanden sind, denen ein ganz individueller Raum gebührt. Wichtig erscheint das, weil dadurch
37
PROJEKTE
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
auch die Akzeptanz der Sprachenvielfalt innerhalb des
Klassengefüges verhandelt wurde.
Ansatz dazu ist der mehrsprachige Redewettbewerb in
Wien, der sich speziell an SchülerInnen mit Migrationshintergrund wendet.
3. Klasse
Das Ziel des Teilprojektes war es, die Wahrnehmung für
Mehrsprachigkeit zu schärfen. Unterschiede und Vorurteile sollten sichtbar werden. Es sollte ein Beitrag dazu
geleistet werden, dass die SchülerInnen die vielen Sprachen im Klassengefüge als Bereicherung sehen lernen
und anderen kulturellen Hintergründe mit interessierter
Neugierde begegnen.
Abb. 4.
Die 5a verfasste zunächst einen Bericht für die Schulhomepage über die Start-up-Veranstaltung (Fotos von Koll. Haas, vgl. Webseite der Schule http://
www.astgasse.net/cms/index.php ?option=com_
content&view=article&id=418:lust-auf-lyrik-lesungder-5a&catid=43:schuelerberichte&Itemid=68). Der
nächste Schreibauftrag folgte einer Anregung aus mount.
de Kreatives Schreiben: „Aus zwei mach eins“. Ein Vortrag, bzw. eine Ausstellung der produzierten Texte fand
im Rahmen einer Lesung im Festsaal der Schule statt.
4. Evaluation
1.Klasse
Die Vorbehalte der Kinder waren nach der Auftaktveranstaltung sehr groß. „Das können wir nicht. Das bringen wir nie zusammen. Wir sind doch keine 5. Klasse.“
Die Reserviertheit bezog sich aber nicht nur auf den niveaumäßigen Abstand zu den höheren Klassen, sondern
auch auf das Literaturformat. „Wozu brauche ich ein Gedicht?“ Auch das Verhältnis zu anderssprachigen Texten
war zwiespältig. Deutschsprachige Kinder waren zumeist
von den anders, „exotisch“ klingenden Sprachen angetan.
Kinder mit nicht deutscher Muttersprache standen den
Texten viel reservierter gegenüber. Etliche Kinder waren
bis zum Schluss nicht bereit, ihre Muttersprache in das
Projekt einzubringen. Besonders Kinder, die einen familiären Hintergrund am Balkan haben, haben ihre Erstsprachen als minderwertig empfunden und sich dafür geschämt. Die Beschäftigung mit Lyrik verlief viel positiver.
Viele Kinder waren erstaunt, was sie alles zusammenbringen und trauen sich nun sprachlich viel mehr zu.
Bei der Schlussveranstaltung waren sie stolz, ihre Arbeiten präsentieren zu können. Im Unterricht muss noch
viel mehr hervorgehoben werden, wie wertvoll Mehrsprachigkeit ist, egal welche Sprachen man spricht. Ein
38
Die oben beschriebene Vorgehensweise bei der Stundengestaltung hat sich aus Lehrersicht bewährt und wurde
von den SchülerInnen sehr gut angenommen. Einerseits
haben die Arbeitsschritte in Aufbau und Methode an
bereits vertraute Unterrichtseinheiten angeknüpft und
andererseits den SchülerInnen mehr Freiräume in der
Gestaltung eröffnet. Die variierenden Gruppenkonstellationen, die Präsentationen der sehr unterschiedlichen
Produkte vor einem breiteren Publikum haben sichtlich
Spaß gemacht und Anklang gefunden.
Interessant war es zu beobachten, dass die SchülerInnen
mit mehreren Sprachen durch das Projekt zu SpezialistInnen wurden, den anderen aushalfen, Übersetzerdienste
leisteten usw. Der zur Verfügung stehende Sprachschatz
in der Klasse wurde in der praktischen Arbeit direkt erlebt.
Das Projekt hat auch andere Unterrichtsvorhaben der 3e
nachhaltig beeinflusst. Beim „Krimiportfolio“, das eine
einmonatige Arbeitsphase der Klasse im 2. Semester umfasste, war zum Beispiel eine Pflichtaufgabe, einen eigenen Krimi zu schreiben. Ganz selbstverständlich flossen
mehrere Sprachen in die Texte ein, was sehr überraschend
war. Dialogteile wurden zum Teil in mehreren Sprachvarianten geliefert, Briefe übersetzt, etc.
5. Klasse
Trotz der Zeitknappheit war die Begegnung mit den vielen Muttersprachen in der Klasse äußerst lohnend. Die
SchülerInnen waren der Beobachtung der Deutschlehrerin nach besonders beim Planen der Lesung im Herbst
anders als sonst im Schulbetrieb gefordert. Da es an der
Schule keine ÜbersetzerInnen in deren Muttersprachen
gibt, haben wir die Übersetzungen der SchülerInnen akzeptiert. Die SchülerInnen waren auch in organisatorischer Hinsicht gefordert – eine weitere Möglichkeit, ihre
Selbständigkeit zu stärken.
Eine interessante Wirkung der Lesung war auch die Erfahrung, dass einige Kinder der anderen Klassen diese Texte
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
PROJEKTE
in den Sprachen durchaus verstanden haben, es gab also
Resonanz im Publikum. Schwieriger waren die produzierenden Aufgabenstellungen zu bewältigen. Es brauchte
Zeit, um die Vorstellung, dass eigene Texte einem Publikum zugemutet werden können, zu entwickeln.
Abb. 5.
Anmerkungen
1 Hilfreiches Bildmaterial und Textbeispiele wurden dem Schulbuch
Lesezeit 3. Texte, S.131-133, 138 und Günter Waldmann (2010):
Produktiver Umgang mit Lyrik, S. 7-13. entnommen.
2 Der Bericht über die Veranstaltung kann unter
http://www.astgasse.net/cms/index.php?option=com_
content&view=article&id=418:lust-auf-lyrik-lesung-der-5a&catid=
43:schuelerberichte&Itemid=68 nachgelesen werden.
3 Gedichte von Ivo Kobaš‘ Alaj vole!, Alek Marajanos Nije to
smešno aus der Zeitschrift Trio Nr. 8/ November 2009.
Literatur
Cerwenka Ewald/ Pramper Wolfgang/ Leb Manuela (2011):
Deutschstunde 4 NEU. Materialien. Linz: Veritas Verlag, S. 7O ff.
Hüsler, Silvia (1994): Al fin Serafin. Kinderverse aus vielen Ländern.
2. Auflage. Zürich: verlag pro juventute
Jandl, Ernst (1970): der künstliche baum. Darmstadt: Luchterhand.
Neumann, Günther (2004): mount.de. Kreatives Schreiben. Materialien zur freien Arbeit in der Sekundarstufe II. Bamberg: Buchner.
Pramper Wolfgang/ Nömair Elisabeth (2002): Lesezeit 3. Texte.
1. Aufl. Linz: Veritas Verlag.
Vucsina Sonja, Pramper Wolfgang (1999): Bunte Schreibwerkstätte.
Kreatives Schreiben für 9 bis 13-jährige. Linz: Veritas-Verlag
Waldmann, Günter (2010): Produktiver Umgang mit Lyrik. 8. Aufl.
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Internetseiten
http://lyrikline.org/index_php [Zugriff am 22.9. 2011]
www.literaturhausmattersburg.at [Zugriff am 4.10. 2011]
39
PROJEKTE
Margot Graf
Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten
STECKBRIEF
Das Projekt
Das Fremde und das Eigene
am Beispiel Ägypten
SchuleKMS
Svetelskystrasse 4-6, Wien
Klasse / SchülerInnen
2a und 2b
Teilnehmende Fächer Deutsch, Englisch, Geographie, Mathematik, Religion,
Bildernische Erziehung, Musik
Projektleitung
Margot Graf
1.Einführung und Ausgangssituation
Angesichts der sprachlichen und kulturellen Vielfalt in
den Klassen 2a und 2b war es uns selbstverständlich, die
Fragen nach der eigenen Identität, Sprache und Kultur
in den Mittelpunkt zu stellen. Unsere Vision bei der Planung des Projekts war jedoch, über die Beschäftigung mit
einer fremden Kultur der eigenen Kultur näher zu kommen. Da die SchülerInnen sich sehr für die Hochkultur
Ägypten interessieren und Pyramiden, Mumien und Pharaonen eine große Faszination auf sie ausüben, haben wir
uns entschieden, das Spannungsverhältnis zwischen dem
Eigenen und Fremden am Beispiel Ägyptens zu thematisieren. Auf diese Weise konnten sowohl Interessen der
SchülerInnen berücksichtigt als auch die multikulturelle
Zusammensetzung der Klasse als Grundlage des Projektes genommen werden.
1.1. Die Klassen 2a und 2b
Die Klasse 2a ist als Integrationsklasse geführt: fünf SchülerInnen werden nach dem Lehrplan der Allgemeinen
Sonderschule unterrichtet, ein Schüler wird nach dem
Lehrplan der Sonderschule für schwerbehinderte Kinder
unterrichtet. Einige der Kinder mit türkischem Hintergrund beherrschen die deutsche Sprache nur sehr mangelhaft. Sie leben in einem Umfeld, in dem der deutschen
Sprache nur sehr wenig Bedeutung beigemessen wird.
Diese Kinder haben kein Bewusstsein für ihre Identität.
Sie sind wohl österreichische StaatsbürgerInnen, doch
trotzdem fühlen sie sich nicht als ÖsterreicherInnen. Die
40
Identität wird von Eltern und Kindern vorwiegend in der
Religion gesucht.
In diesen zwei Klassen sprechen die SchülerInnen folgende Muttersprachen: Deutsch (13), Dari (1), Türkisch
(15), Polnisch (1), Serbisch (6), Bosnisch (1), Kurdisch
(1), Albanisch (1), Somali (1), Spanisch (1) und Mazedonisch (2). Außerdem werden noch Englisch, Französisch, Rumänisch gesprochen.
1.2 Rahmenbedingungen der Realisierung
An unserer Schule wird Unterricht weitgehend fächerübergreifend geplant. Das Thema „Ägypten“ eignet sich
als Schwerpunktthema aus dem Fach Geschichte besonders dazu, die Kinder in freien Arbeitsphasen und in Eigenverantwortung die Lerninhalte erarbeiten zu lassen.
Im Rahmen einer Projektwoche stellten wir den SchülerInnen das Buch Das Notizbuch des Zeichners (siehe
Abschnitt 2.2) vor und stellten ihnen unterschiedliche
Arbeitsaufgaben zur Verfügung. Wir trennten die Aufgaben in Pflicht- und Wahlaufgaben. Besonders im Bereich
Literatur und Kreativität ließen wir den SchülerInnen
die Freiheit der Wahl, in welches Thema sie sich vertiefen
wollten.
1.3 Motivation und Ziele
Das intensive Auseinandersetzen mit einer fremden Kultur soll die SchülerInnen ganz von selbst, ohne die Anleitung von PädagogInnen, zum Bewusstwerden der eige-
Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten
PROJEKTE
nen Kultur führen. Das Erkennen von Gemeinsamkeiten
und Unterschieden, das Abbauen von Vorurteilen und
das Begreifen, dass die Ablehnung der Fremden immer
mit Angst zu tun hat, waren die Hauptziele dieses Projektes. Über die Vergangenheit zur Gegenwart und über
das Fremde zum Eigenen zu gelangen war das Ziel, das
wir gemeinsam mit den Kindern erreichen wollten und
erreicht haben.
damit die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche
Techniken für die Gestaltung einsetzen konnten.
2. Das Projekt
2.1 Ägypten in dem fächerverbindenden Unterricht
Bald war klar, dass meine Rolle die der Lektorin war.
Während es sonst für die Kinder nicht so besonders angenehm ist, sich mit meinen Korrekturen in ihren Arbeiten
auseinanderzusetzen, war es ihnen bei ihrem Notizbuch
wichtig, keine Fehler in ihren Texten zu haben und sie
baten mich um eine Korrektur.
Die Arbeiten waren von KollegInnen aller Fächer geplant
und wurden wie folgt in den Unterrichtsgegenständen
eingesetzt:
 GS/ E: Die ägyptische Hochkultur kennen
lernen (Deutsch und Englisch)
 GW: Ägypten heute: geografische Lage, wirtschaftliche
Möglichkeiten, politische Situation aus der Tageszeitung kennen lernen, Leben in Kairo, Orient - Okzident
 REL: Die verschiedenen Religionen in unserer Klasse
näher betrachten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede
erkennen, Rituale besser verstehen lernen
 BE/WE: Verschiedene Schriften lesen und schreiben,
verschiedene Schreibgeräte ausprobieren, über die Bedeutung seiner eigenen Unterschrift Bescheid wissen,
die eigene Unterschrift ausprobieren, Notizbuchseiten
selbst gestalten, Schriftrollen gestalten und im Schulhaus ausstellen
 BS: Tanzen in unseren Kulturen,
Bauchtanzbewegungen kennen lernen
 ME: Musik aus der anderen Kultur kennen lernen
 EH: Ägyptisch kochen, orientalische Gewürze erkennen, riechen, schmecken und über ihre Verwendung
Bescheid wissen
2.2 Die Arbeit im Deutschunterricht
Im Rahmen der Projektwoche beschäftigten wir uns in
erster Linie mit dem Buch Das Notizbuch des Zeichners
von Mohieddin Ellabbad. Das Buch enthält kurze Texte, die eine gute Grundlage zur weiteren Arbeit bieten.
Ellabad beschäftigt sich mit alltäglichen Situationen, die
sehr gut geeignet sind, die SchülerInnen zum Diskutieren
und Erzählen anzuregen. Die Zeichnungen inspirieren
die Kinder zum Erstellen eigener Zeichnungen.
Rasch entwickelten die Kinder den Plan, ein eigenes Notizbuch zu gestalten. Sie verfassten Texte und überlegten
sich dazu die grafische Umsetzung. Ich besorgte besonderes Papier und auch spezielle Schreibgeräte und Tinten,
Einige Texte aus dem Buch, wie zum Beispiel den Text
„Erinnerungen“, lasen und besprachen wir gemeinsam,
damit die Kinder einen Eindruck erhielten, wie sie mit
den weiteren Texten arbeiten konnten. Mit anderen Texten ließ ich die Kinder frei nach ihren Vorstellungen arbeiten.
Einige Texte entstanden in Team-Work. Besonders die
Kinder, die mit der deutschen Sprache nicht so gut umgehen können, bildeten Gruppen und suchten sich so
Unterstützung.
Das Ergebnis waren viele toll gestaltete Notizbücher,
die gerne hergezeigt werden und auf die die Kinder stolz
sind.
Weitere Arbeit
 Diskussionsrunde: Das Fremde und das Eigene –
was ist das?
 Dem eigenen „ICH“ auf die Spur kommen.
Wer bin ich, was macht mich aus? –
Gesprächsrunden in der Kleingruppe
 Die eigene Sprachbiographie erstellen
 Andere Notizbücher, z.B. von Willi Puchner,
betrachten
 Konzepte für eigene Notizbuchseiten erstellen
 Informationen aus dem Internet entnehmen
 Informationen sammeln zu den verschiedenen Kulturen, die wir in den Klassen vorfinden
Vor dem Projekt war es auch wichtig zu überlegen, welche Vorkenntnisse die SchülerInnen benötigen, um die
Aufgaben erfolgreich durchzuführen. Dabei war eigenverantwortliches Arbeiten ein wichtiger Punkt: Die
SchülerInnen müssen in den freien Arbeitsphasen in der
Lage sein, ihre Arbeit zu organisieren, sich die Zeit einzuteilen und sie müssen sich teilweise Informationen selbst
aus Fachbüchern oder dem Internet holen können. Die
Einhaltung von Gesprächsregeln und die Organisation
von kleinen Gesprächsrunden sollen ebenfalls den Kindern vertraut sein.
Für mich als Lehrperson waren auch einige Vorarbeiten
zu leisten wie die Vorbereitung der Lernumgebung in der
41
PROJEKTE
Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten
Klasse und das Organisieren der Fachliteratur. Man sollte
auch mit Schwierigkeiten rechnen, wenn die Arbeit der
Kinder mit besonderen Bedürfnissen nicht gut organisiert ist.
Neben diesen organisatorischen Überlegungen sollten
auch didaktische Entscheidungen getroffen werden, zum
Beispiel was die Arbeitsform und die Methoden betrifft.
Ein Teil der Arbeiten wurde in Freiarbeit angeboten. Die
SchülerInnen hatten so die Möglichkeit, sich in Themen
zu vertiefen. Die Gestaltung der eigenen Notizbuchseiten erfordert oft mehr Zeit, als die Unterrichtsstunde bieten kann. In der Freiarbeit darf eine Arbeit, die intensiv
gemacht wird, auch einmal länger dauern. Viele Sequenzen waren in Gesprächsrunden zu erledigen. Die SchülerInnen können so im kleinen Rahmen ihre Meinung
vertreten lernen, was ihnen oft im Klassenverband nicht
so leicht fällt.
3.2 Projektphasen
Projektphase 1
Hineinschnuppern ins Buch und die besondere Art, das
Buch zu lesen, erforschen, d.h. Vorlesen, Deuten der
Zeichnungen und Erzählen, was einem dazu einfällt in
der kleinen Gruppe. Die Besonderheit des Buches wurde
auch diskutiert, zum Beispiel, dass es – im Gegensatz zu
europäischen Büchern – von hinten aufgeschlagen wird,
was am Anfang zu einer kleinen Irritation führte, ferner,
dass das Buch selbst zweisprachig ist und nicht zuletzt,
dass darin Schrift, Foto und Zeichnungen miteinander
verschränkt sind.
Projektphase 2
3. Der Projektablauf im Deutschunterricht
3.1 Vorbereitung und Einstimmung der SchülerInnen
Abb. 2.
Von den Inhalten des Buches ausgehend die freien Arbeitsmöglichkeiten erforschen. Musik hören, Tanzen,
Gewürze kennen lernen, Kochen, mit Henna die Hände
bemalen, den Umgang mit einem Gebetsteppich kennen
lernen – das und noch mehr war angeboten und wurde
von den SchülerInnen gerne angenommen.
Abb. 1.
Bilder aus der arabischen Kultur und aus der österreichischen Kultur wurden auf einem Arbeitsteppich ausgelegt. Die Kinder konnten dazu ihre Eindrücke sammeln
und versuchen, eine Ordnung in die Bilder zu bringen.
So merkten sie sehr bald, dass diese fremde Kultur uns
eigentlich gar nicht so fremd ist.
Weil im Zentrum des behandelten Buches von Ellabbad
das Aufzeichnen diverser Erinnerungen steht, haben wir
in einem zweiten Schritt das Phänomen „Erinnerung“
thematisiert. Dabei haben SchülerInnen besondere Gegenstände mitgebracht, die für ihr Leben prägend waren.
Schnell wurde in diesem Gespräch klar, wie vieles Gegenstand der Erinnerung sein kann: eine Narbe, ein Buch,
ein Gebetsteppich, Henna usw. – „Erinnerungsstücke“,
die mit dem eigenen Ich und auch mit der eigenen Kultur
sehr viel zu tun haben.
42
Projektphase 3
Das Erstellen eigener Notizbuchseiten, Texte verfassen,
Texte überarbeiten, Planen der Notizbuchseite, Festlegen
der Gestaltungstechnik, Auswahl der Arbeitsmaterialien
3.3 Präsentation einer exemplarischen Stunde
Ellabad beschäftigt sich mit Unterschriften. Den Kindern ist die Bedeutung des eigenen Namens und der Unterschrift noch nicht bewusst. Auf die Frage nach ihrem
Namen nennen sie meist nur den Vornamen. In einem
Unterrichtsgespräch versuchten wir die Bedeutung des
Namens und der eigenen unverwechselbaren Unterschrift herauszuarbeiten.
In einem weiteren Arbeitsschritt erhielten die Kinder
in Kleingruppen vorbereitete Kärtchen, auf denen besonders originelle Unterschriften zu sehen waren. Diese
mussten sie den passenden Namen zuordnen. So bekamen sie einen Eindruck, wie Unterschriften aussehen
können. Mit diesen Eindrücken forderte ich die SchülerInnen auf, die eigene Unterschrift auszuprobieren. Sie
Das Fremde und das Eigene am Beispiel Ägypten
hatten großen Spaß daran, die verschiedensten Entwürfe
zu präsentieren. Wir führten anschließend auch noch
eine kurze Diskussion, ob es wichtig ist, dass die Unterschrift gut lesbar ist.
3.4 Schülerproduktionen
Ein wichtiges Anliegen des Projektes war, dass sich SchülerInnen auch produktiv und kreativ mit dem Thema auseinandersetzen. So entstanden viele Produkte: ein großes
gemeinsames Notizbuch, Mappen mit den Arbeiten, die
jedes einzelne Kind zum Thema erledigt hat, Schriftrollen, Plakate.
Abb. 3.
4. Reflexion des Projektes
Die Annäherung an die eigene Identität über literarische
Texte ist gut gelungen. Die Erfahrungen der Kinder mit
fremden Menschen und dem Fremdsein machten alle im
Klassenraum tief betroffen. Ein Verständnis für die Geschichten der MitschülerInnen wurde spürbar und veränderte den Umgang miteinander.
Auch der Respekt vor den anderen Religionen wurde
größer. Das Wissen um die Rituale und die Besonderheiten schafft Klarheit und bringt Toleranz. Die größte
Herausforderung in multikulturellen Klassen bleibt die
Unterrichtssprache Deutsch. Der Wortschatz der SchülerInnen reicht sehr oft nicht aus, um Gefühle oder Erlebnisse ausreichend gut schildern zu können.
Die SchülerInnen erwähnten im Feedbackgespräch immer wieder, wie hilfreich es ist, über die verschiedenen
Kulturen Bescheid zu wissen. Sie erkannten, dass die Unterschiede nicht trennen müssen, sondern bereichernd
erlebt werden können. Im Klassenzimmer ist mehr Toleranz für die Probleme der MitschülerInnen spürbar.
Die Kommentare der Kinder aus der abschließenden
Feedbackrunde zeigen die Wirkung der gemeinsamen
Arbeit im Unterricht:
 „Wir haben uns mit Ägypten beschäftigt, aber ich hab
auch meine Kultur besser kennen gelernt.“
PROJEKTE
 „Ich möchte noch mehr Arabisch lesen lernen.“
 „Meine Eltern haben sich gefreut, dass wir in der Schule
zeigen konnten, wie wir beten. Ich habe meinen Freunden alles erklärt.“
 „Ich verstehe jetzt, warum Büsra das Kopftuch tragen
will!“
 „Ich war im Urlaub in Ägypten, ich will jetzt noch
einmal dorthin, weil ich jetzt viel mehr verstehe.“
 „Mir hat gefallen, dass auch die Buben mit uns
getanzt haben.“
 „Ich finde die Musik der Türken jetzt gar nicht mehr
so komisch.“
Aber auch die Kolleginnen, die am Projekt mitgearbeitet
hatten, waren positiv überrascht von den Ergebnissen der
Arbeit:
 „Es war schön zu sehen, wie unsere türkischen
Burschen gerne bereit waren, alle Kinder über den Islam zu informieren. Sie brachten Religionsbücher auf
Deutsch mit, damit wir Informationen, die sie selbst
nicht geben konnten, gemeinsam nachlesen konnten.“
 „Mir war nicht bewusst, wie sehr der Islam Thema für
unsere Kinder ist. Wie sehr er trennt und verbindet.“
 „Mit einem Buch, das mir zunächst gar nicht gefallen
hat, sind wir dem Weltfrieden ein Stück näher gekommen“
Das Projekt zeigt nicht zuletzt, wie wichtig es ist, Fragen
der Identität zu thematisieren und dies durch eine besondere Literatur, die durch seine Form bereits das „Fremde“
in sich trägt, durch seine Thematik aber zur Lebenswelt
der SchülerInnen einen Bogen schlägt.
Literatur
Ellabbad, Mohieddin (2011): Das Notizbuch des Zeichners.
Deutsch-Arabisch 2. Aufl. Baobab Books.
Lemberger, Michael/ Pokorny, Alexander (2001): Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 2. Linz, Wien: Veritas.
Puchner, Willi (2011): Die Welt der Farben. Salzburg: Residenz.
Puchner, Willi (2006): Illustriertes Fernweh. München: Frederking
& Thaler.
Wintersteiner, Werner (2006): Transkulturelle literarische Bildung:
Die Poetik der Verschiedenheit in der literaturdidaktischen Praxis;
Innsbruck u.a.: StudienVerlag.
Materialien zum Buch Das Notizbuch des Zeichners unter:
www.baobabbooks.ch
43
44
PROJEKTE
Imagination(en) des Fremden
Bei jeder Begegnung mit anderen werden unweigerlich Schemata aktiviert,
mit deren Hilfe wir uns die Welt ordnen und verfügbar machen. Unvermeidlicherweise setzen wir Stereotype und Klischees ein, um uns zu orientieren. Das erleichtert zwar das Zurechtfinden in der Welt, zugleich aber
konditionieren diese Stereotype unsere Sicht auf die Welt und schränken sie
ein.
Die Fremdbilder, die wir entwickeln, sind eng mit unseren Selbstbildern
verbunden. Sie stabilisieren unsere Ich-Identität, indem sie unsere Selbstbilder bestätigen, und dienen oft als Kontrastfolie zu dem, was wir als gut,
richtig, und normal empfinden.
Insofern sind Feindbilder, als eine gesteigerte Form aggressiver Fremdbilder,
nicht so sehr davon bestimmt, wie diejenigen, auf die wir unsere Vorstellungen projizieren, „wirklich“ sind. Vielmehr hängt ihre Ausgestaltung davon
ab, wie wir wirklich sind, welche Vorstellungen uns geprägt haben, welche
Wünsche und Absichten wir verfolgen.
Literarische Texte, deren Qualität darin besteht, uns zu lehren, die Welt einmal anders zu sehen, als wir es gewohnt sind, sind auch ein ideales Mittel,
uns auf Vorurteile, Feindbilder und allgemeine Stereotype aufmerksam zu
machen. Wie man diesen Leseprozess, der zu einer neuen Weltsicht verhelfen kann, didaktisch am besten unterstützt, darauf gehen die folgenden beiden Beiträge ein.
Véronique Weiss und Petra Reiter haben sich zum Ziel gesetzt, die Vorurteile
der SchülerInnen in Bezug auf die arabischen und afrikanischen Kulturen
zu entschärfen, indem sie sie für die Entstehung und das Funktionieren von
Vorurteilen sensibilisierten.
Rudolf Freisitzer stellte das „andere“ Ich, nämlich das „imaginierte“, von klischeehaften Vorstellungen belastete Bild der Frau, in den Mittelpunkt seines Projektes. Dabei haben die SchülerInnen nicht nur literarische Werke
auf die in ihnen dargestellten Frauengestalten -und schicksale hin analysiert,
sondern sich mit Fragen der Gleichberechtigung in einem globalen Kontext
auseinandergesetzt.
45
PROJEKTE
Petra Reiter, Véronique Weiss
Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen
Intercultural learning and stereotypes
STECKBRIEF
Das Projekt
Intercultural learning and
stereotypes
SchuleHAK Feldkirchen
Klasse / SchülerInnen
2 AHH
Teilnehmende Fächer
Deutsch, Englisch, Geographie
Projektleitung
Petra Reiter, Véronique Weiss
1 Einführung und Ausgangssituation
Stereotype sind einerseits notwendig, um uns im „Chaos“ einer fremden Welt zurechtzufinden. Andererseits
vereinfachen sie die Realität und verzerren unsere Wahrnehmung. Vor allem, wenn es um fremde Kulturen und
Länder geht, werden klischeehafte „Bilder“ aktiviert: Je
ferner und fremder eine Kultur ist, desto weniger entsprechen unsere Bilder der Realität. In einer von weltweiter Mobilität geprägten Welt sind die Kenntnis über die
Entstehung von Vorurteilen, das Erkennen von Stereotypen und „bedeutungszuweisender“ Mechanismen und
das Hinterfragen sozialer Praktiken, die solche Vorurteile
hervorrufen, von großer Bedeutung. Deswegen stand im
Mittelpunkt unseres Projekts eine kritische Auseinandersetzung mit Stereotypen.
Ziele
Die SchülerInnen sollen sich der eigenen Vorurteile
gegenüber afrikanischen und arabischen Kulturen (in
Kombination mit den aktuellsten Medienberichten) bewusst werden und Stereotypen erkennen sowie ein- bzw.
zuordnen können. Sie sollen anhand der ausgewählten
Texte die Möglichkeit erhalten, diese Vorurteile bzw. Klischees hinter sich zu lassen und fremde Kulturen aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Ein wesentliches
Ziel der Textbearbeitung wird es hier vor allem sein, den
SchülerInnen die Gemeinsamkeiten zwischen denselben
Textsorten aus unterschiedlichen Kulturkreisen aufzuzeigen, sodass das vermeintlich Fremde sich letztendlich
als vertrautes Terrain erweist.
46
Weiters sollen sie sich konkret mit den sprachlichen und
inhaltlichen Besonderheiten von Comics und Märchen
(sowohl aus den ihnen vertrauten wie auch den ihnen
fremden Kulturkreisen) beschäftigen.
Behandelte Werke
Fairy Tales and Cartoons
The Bachelors and the Python. A Central African Tale
The Princess and the Mouse. An Arabian Tale
Marguerite Abouet & Clément Oubrerie: Aya. A cartoon of a contemporary African girl
Novels
Henning Mankell: Der Chronist der Winde
In the hot African night a single gunshot cracks the silence. José Antonio traces the sound to the stage of the
local theatre company, where he finds Nelio, the young
prophetical leader of the city’s street kids, crumpled in
blood. Nelio refuses to be taken to the hospital but instead tells Jose his life’s story: how bandits (some of them
terrified child warriors) raided his village, his daring escape, and his struggle to survive on the streets. José is irrevocably changed. He becomes the Chronicler of the Winds,
revealing Nelios’s magical tale to all who will listen.
Ahmadou Kourouma Allah muss nicht gerecht sein: A story of an African child soldier, told by himself (fiction)
Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen
PROJEKTE
Filme
Sofia and Francis Ford Coppola: Lost in Translation
Bob, a fading movie star with a sense of emptiness (Bill
Murray), and Charlotte, a neglected young wife (Scarlett
Johansson) meet as strangers at a hotel bar in Tokyo and
form an unlikely bond. Both are jet-lagged, and feel lost
and alienated in the huge Asian city. Charlotte and Bob
venture through Tokyo, having often hilarious encounters with its citizens, and ultimately discover a new belief
in life‘s possibilities.
Aims
One of the aims was for the pupils to analyse the image of
women in our fairy tale and start comparing it with the
Arabian fairy tale in which there is a princess (similarity with our European fairy tale). However, the Arabian
princess looks a fairy teller herself, finds solutions to her
problems and is therefore allowed to play an active role
in the fairy tale, whereas princesses in our fairy tale are
mostly passive and depend on princes to save them and
solve problems.
Marjane Satrapi: Persepolis
The story of an Iranian girl who leaves her country as a
refugee and find a new home in Europe. The cartoon was
as successful as the movie.
Outcome
The class had no difficulty to list all the differences and
similarities and came to the same conclusion as stated in
the aim. They were surprised to notice that although we
Europeans believe that women traditionally play no active role in the Arabic culture, their fairy tales show independent princesses whereas „our” princesses are inferior
and subjected.
Alejandro González Iñárritu: Babel
In the remote sands of the Moroccan desert, a rifle shot
rings out--detonating a chain of events that will link an
American tourist couple‘s frantic struggle to survive, two
Moroccan boys involved in an accidental crime, a nanny
illegally crossing into Mexico with two American children and a Japanese teen rebel whose father is sought by
the police in Tokyo. Separated by clashing cultures and
sprawling distances, each of these four disparate groups
of people nevertheless share a destiny of isolation and
grief, confusion, fear but also share love.
2 Fairy tales:„A Central African Fairy Tale” –„An Arabian Fairy Tale”
2.1 English as well as Geography lessons
Topics to discuss and tasks to fulfil:
 Where do the fairy tales come from? Where is
„Central Africa”? Where are the Arabic countries?
 What images come to mind when hearing the
names of the countries? Are there preconceived ideas?
Stereotypes?
 In geography: talk about the African continent as well
as the Arabic world.
2.2 English as well as German lessons
Tasks
 Read fairy tales in English (An Arabian fairy tale
and a Central African fairy tale) and in German
(our traditional fairy tale)
 English texts („exotic” fairy tales)
 Work on the texts, and then answer questions
about the two „exotic” fairy tale.
 Work on the similarities and differences between
European and „exotic“ fairy tale. Find the cultural universals.
Feedback
One girl of Turkish ethnic background took a very active
part. Although Turks don’t identify with the Arab world,
it looked to me as if she felt personally touched by the
Arabian fairy tale.
A questionnaire revealed that most pupils found the fairy
tale uninteresting and irrelevant for their English. Most
HAK pupils apparently expect to work on „practical” topics. Foreign fairy tales and stereotypes were considered
too abstract and far from the curriculum for the majority
of the pupils.
I discussed this issue with colleagues who have been
teaching English at the HAK for some years (I am a relatively new teacher at this school). In their opinion, I
was expecting „too much” from a 2nd class. Apparently,
pupils at that age find it difficult to reflect in their own
mother tongue, let alone doing it in a foreign language.
3 Work on stereotypes
3.1 Text on stereotypes
Text on stereotypes studied in class
Stereotypes simplify the way we see people or groups that
are different to us. Stereotypes also separate people. They
are not correct because they make us judge the others as a
group: we cannot see the individual any more, just „these
people”.
We don’t always agree with, or like the way other cultures behave simply because it is different, and we therefore perceive
47
PROJEKTE
Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen
it as wrong, and develop inaccurate, negative/ugly descriptions (stereotypes).
Many immigrants come into the US. Their food, music, culture is often welcome but problems usually arise because of
the differences. The predominant group has always reacted
in a racist way against groups that were different. African
Americans, Jews, Italians, Native Americans, for example,
have been discriminated against.
Stereotypes prevent us from having contact with other cultures.
We are all different and unique. Differences can be scary but
we should try to get to know them.
Main questions
To what extent the stereotypes help us or/and prevent us
from understanding the world and the different nationalities.
The Work with the American native speaker (language
assistant)
Which nation is more or less „foreign” to you? Why?
(She invented some sort of fun „game” with a scale in the
blackboard. We made a list of nationalities (many Austrian neighbouring countries, including „Gastarbeiter”
countries, but also countries in Asia, the African and the
American continent). Austria was at the bottom of the
scale and the „nearest” the population (i.e. Italy. Italians
are very similar to us and we go on holiday in this country), the nearest it stood to Austria on the scale.
No judgment was made, the pupils talked about the results.
3.2 Film: Lost in Translation
Practical exercises after having worked on the
theory of stereotypes:
 Brain storming on Japanese stereotypes.
 Pupils’ question: Are Japanese like Chinese?
 Watch excerpts of the film.
Outcome
 Some stereotypes are confirmed: old tradition, Fuji
Yama, computer games…
 Some stereotypes are new:
(1) Complicated language: the film shows that the Japanese language is so different to ours and so complicated that it’s nearly impossible to translate. (personal
comment: One of the culture universals is that language is translatable).
48
The alienation of the main character visiting Japan in
the film is so great that the human contact is extremely
difficult (Scene when the main protagonist is being filmed for an ad for whiskey).
(2) The Japanese are small compared to „us” Westerners. In fact, in the film, they are depicted as being ridiculously small, dwarf-like individuals compared to the
main character. (Scene in the elevator as well as scene
with the mini razor).
(3) Some scenes are funny. In fact, the film uses stereotypes to maximise humour. The pupils realised that the
Japanese were the objects of ridicule. They are „depicted as cartoon-like”1 to make us laugh.
I asked my class how they thought the Japanese had reacted to the film. Most of them made perfect guesses. Indeed, they said that they had had a good laugh watching the
film, but came to the conclusion that they would not like
their people to be laughed at in that way.
Finally, we read articles on Japanese reactions to the film.
In fact, the general Japanese audience was offended by the
biased and negative portrayal of their people in Sophia
Coppola’s Oscar winning story.
3.3 Film: Babel
We watched the film in class on the Friday before the
holidays „Energieferien”. It covered two lessons: English
and Geography.
I asked the pupils to think of the messages in the film.
Could they see any stereotypes? Any culture universals?
Some pupils actively commented on the film but the general holiday atmosphere made it difficult to get the entire group to participate.
Meanwhile, I read the English text „Chronicler of the
Winds” by Henning Mankell, which the class had read
in German.
I asked the class what they had thought of this text.
Some of the pupils expressed their fascination for the story and for the destiny of child warriors. They did some
research and presented the results in English language
during our „presentation evening”. I did not want to
exert any influence on what was shown or said on child
warriors on that evening. I will simply report that the pupils showed and commented pictures of children holding
weapons.
Interkulturelles Lernen anhand von Stereotypen
PROJEKTE
They also summarised the text in English, insisting on
parts that had fascinated them in Mankell’s text.
4. Final Phase: Presentation in German and English
During the presentation evening, a majority of the pupils
who had stayed relatively passive and had commented on
the fact that fairy tales were not part of what they expected to learn at a HAK certainly got the opportunity to
understand the connections between the different parts
of the project. Summaries were made, personal reflections were read out, and pictures were shown. The „active” pupils’ presentations finally contributed to a greater
understanding for the entire class, who listened carefully
to the presentations.
I might have overestimated the group’s ability to reflect
about complex topics in a foreign language but was satisfied by the group’s active participation to the stereotypes
in the film Lost in Translation. This proved that they had
developed the ability to empathise with the Japanese people. „We would not like our people to be laughed at in
that way” was their comment.
Anmerkungen
1 Robert Marquand in „The Christian Science Monitor”, Apr. 2004
- Tokyo
Literatur
Abouet, Marguerite (2006): Aya. Hamburg: Carlsen Verlag.
Kourouma, Ahmadou (2004): Allah muss nicht gerecht sein.
München: Goldmann Verlag.
Mankell, Henning (2007): Der Chronist der Winde. Neuausgabe.
München: Dt. Taschenbuch-Verlag.
The Bachelors and the Python. A Central African Tale. Unter:
http://amedja.tripod.com/the_bach_1.html [Zugriff am 15.5.2013]
The Princess and the Mouse. An Arabian Tale. Unter:
https://perspective.pearsonaccess.com/content/resources/teachingresources/unitplans/fairy.world/pm.html
[Zugriff am 15.5.2013]
49
PROJEKTE
Rudolf Freisitzer
Das andere Ich
Frauengestalten in der Literatur und in der Gesellschaft
STECKBRIEF
Das Projekt
Das andere Ich.
Schule
Öffentl. Stiftsgymnasium der
Benediktiner, St. Paul, Lavantal
Klasse / SchülerInnen
4 A-Klasse (6 Schüler und 18 Schülerinnen)
Teilnehmende Fächer Religion, Geschichte,
Politische Bildung, Deutsch
Projektleitung
Dr. Rudolf Freisitzer
1. Einleitung
Der/die/das „Fremde“ ist vielgestaltig und vielschichtig
– was als „fremd“ definiert wird, hängt nicht nur vom
je eigenen Standpunkt, sondern auch vom jeweiligen
gesellschaftlich-politischen Kontext ab, in welchem man
verortet ist. In unserem Projekt standen die Frau und ihr
Frausein in der Gesellschaft im Mittelpunkt, in gewisser
Hinsicht ein anderes Ich, dem trotz emanzipatorischer
Entwicklungen sogar in manchen ländlichen Regionen
Westeuropas noch immer der Makel des Fremden anhaftet. Das Lavanttal mit seiner Randlage ist in Bezug auf
die gesellschaftliche Situation der Frau auch so ein „Entwicklungsland“. Es herrscht in den Familien immer noch
die Meinung vor, dass Bildung für die Mädchen nicht
notwendig sei, denn diese würden „ja eh heiraten“. Da
das Stiftsgymnasium die einzige Einrichtung ist, die eine
„Langform“ aufweist, kann man das gerade nach Beendigung der vierten Klasse beobachten. Trotz der Tatsache,
dass Mädchen oft bessere Leistungen erbringen, sehen
manche Eltern nicht ein, dass ihnen die Oberstufe die
beste Voraussetzung für die Zukunft bieten könnte.
Dieses Anderssein, das sich an so einfachen alltäglichen
Praxen festmachen lässt – zum Beispiel an der täglichen
Arbeit der eigenen Mütter, an der Verhinderung einer
schulischen Karriere –, macht das Thema für die Auseinandersetzung im Deutschunterricht besonders attraktiv. Die Beschäftigung mit diesem anderen, verdrängten,
ausgeklammerten, mystifizierten und von so vielen Vorurteilen geprägten Bild der Frau kann in verschiedensten
50
Fächern wie Geschichte & Sozialkunde, Deutsch, Religion – um nur die in unserem Projekt beteiligten Fächer
zu nennen – erfolgen. Sie erlaubt SchülerInnen über die
Frauenrolle in unserer Gesellschaft und in anderen Gesellschaften (z.B. in Afrika) zu reflektieren, die gegenwärtige Situation der Frau mit der in der Vergangenheit zu
vergleichen – und nicht zuletzt anhand literarischer Beispiele differenziert über soziale Missstände, Frauenrollen
und Frauenbilder nachzudenken.
2. Arbeit im Unterrichtsfach Deutsch
Projektziele
 Verständnis für nicht deutschsprachige Literatur
 Verständnis für die Forderungen der Frauen
nach Gleichberechtigung
 Erkennen der rechtlichen Rahmenbedingungen für
die Frau in der Gesellschaft einst und jetzt
 Das „Fremde“ sollte nicht mehr als fremd gesehen
und erkannt werden, sondern als besonderer Teil
unseres Lebens
Kompetenzerweiterung auf Schülerebene
 SchülerInnen sollen die Stellung der Frau in der
eigenen Kultur und in anderen Kulturen miteinander
vergleichen und reflektieren können (kritische Selbstreflexion)
 SchülerInnen sollen durch einen Einblick in die
Familien- und Gesellschaftsstruktur erkennen kön-
Das andere Ich
nen, was sich in unserer heutigen Zeit verändert hat
und welche grundlegenden Fakten noch im Sinne der
Gleichberechtigung eingeführt werden müssen
 SchülerInnen sollen die verschiedenen Formen des
familiären Zusammenlebens der Vergangenheit analysieren und dabei sollen sie auch Bezugspunkte zur heutigen Familie herstellen können (Schwierigkeiten allein
erziehender Mütter, Scheidungskinder usw.)
Methodische Ziele
 Eigenständiges Arbeiten und Recherchieren
 Förderung der Lesekompetenz im Bereich „Sachtexte“
(Grafiken, Zeitungsartikel)
 Förderung der literarischen Kompetenzen (Verfassen
von Charakterisierungen, von inneren Monologen
bzw. von Interpretationen in Form von Problemerörterungen)
 Erstellung, Auswertung von Fragebögen und
Interviews
 Sprachreflexion/Sprachaufmerksamkeit: Sprachen
miteinander vergleichen, europäische Sprachgeschichte
 Reflexionskompetenz: über Hierarchie- und Machtverhältnisse in der eigenen wie in der fremden Kultur
nachdenken
Unterrichtsmethoden
 Vortrag durch die Lehrperson
 Gemeinsames Erarbeiten der Problembereiche
(Diskussion, Gruppenarbeit)
 Referate
 Fächerübergreifender Unterricht
Zeitlicher Rahmen
 Präsentation der gewählten Literatur im Rahmen des
Deutschunterrichts ( zwei Unterrichtsstunden)
 Einführung in die europäische Sprachgeschichte
(fächerübergreifend mit Geographie); Kennenlernen
der gemeinsamen Wurzeln (germanische Sprachfamilie) (etwa vier Unterrichtsstunden – eventuell in Form
einer gemeinsamen Unterrichtsgestaltung)
 Besprechung der vier ausgewählten Werke (s. u., pro
Werk etwa vier Unterrichtsstunden)
 Abfassung von Inhaltsangaben, Charakterisierungen,
Interpretationen usw. (Hausübung)
 Vergleich der vier Werke; Vergleich der Frauenschicksale (etwa vier Unterrichtsstunden)
 Aufbereitung der Geschichte der Frau (acht Unterrichtstunden im Rahmen des Geschichteunterrichts)
 Vergleich der Familiensituation einst und heute
(Deutsch und Geschichte; zwei Unterrichtsstunden)
Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen (GSK
und Geographie; vier Unterrichtsstunden)
PROJEKTE
3. Behandelte Literatur
Die Tragödie Romeo und Julia (1597) von William
Shakespeare spielt in Verona und handelt von der Liebe
zweier Jugendlicher, die zwei verfeindeten Familien angehören und deswegen nicht heiraten können.
Nora oder Ein Puppenheim (1879) von Henrik Ibsen
thematisiert die Abhängigkeit der Frauen von Männern
(vom Vater und dann vom Ehemann) im 19. Jahrhundert
und übt Kritik an der Institution Ehe, aber auch an einer
Gesellschaft, in der Frauen für „inferior“ gehalten und als
Spielzeuge der Männer betrachtet werden.
Adalbert Stifters Brigitta (1844) handelt von der ungewöhnlichen Liebe zwischen Stephan Murai und Brigitta,
die trotz ihres gegensätzlichen Charakters heiraten, sich
aber später trennen. Nach der Scheidung lebt Brigitta allein mit ihrem Sohn und widmet sich der Leitung ihres
Guts in Ungarn. Dies zeigt ihre innere Stärke und ihren
Mut, sich allein zurechtzufinden. Stephan bewundert sie
nach wie vor und schließlich schließen die beiden eine
innige Freundschaft.
Ein so langer Brief (1979) von Mariama Bâ hat – wie der
Titel ankündigt – einen Brief zum Gegenstand, den Ramatoulaye ihrer besten Freundin Aïssatou nach dem Tod
ihres Mannes Modou schreibt. Im Brief erzählt Ramatoulaye retrospektiv ihr Leben mit Modou, die Situation einer enttäuschten Frau, die vom Mann wegen einer
jungen Zweitfrau verlassen wurde und versucht, mit sich
selbst im Schreiben klar zu kommen.
Die ausgewählten Texte kreisen alle um Themen wie Ehe
bzw. Zwangsehe, Möglichkeit der „Emanzipation“ und
der Selbstbestimmung der Frau. So unterschiedlich die
Texte auch sind (vor allem was ihre Entstehungszeit betrifft), stellen sie ähnliche Wege des Ausbruchs der Frauen aus der traditionellen Frauenrolle in den Mittelpunkt:
Nora und Brigitta verlassen den Ehemann und versuchen,
selbständig im Leben zurechtzukommen. Ramatoulaye
wagt zwar die Scheidung nicht, nimmt sich aber an verschiedenen Frauenschicksalen ein Beispiel und findet
nach dem Tod ihres Mannes Schritt für Schritt zu ihrer
Selbständigkeit. Demgegenüber werden Romeo und Julia Opfer weniger einer gesellschaftlichen Tradition als
eines familiären Streits und müssen mit ihrem Leben für
ihre „Freiheit“ bezahlen. Die Texte haben somit auch ein
großes gesellschaftskritisches Potential, zeigen auf eine
prägnante Weise die je unterschiedlichen Umstände, die
Frauen in eine Rolle zwingen, die ihrer Natur und ihrer
Bestimmung nicht entspricht. Deswegen lohnt es sich,
die Texte miteinander vergleichend zu betrachten, die je
spezifische Situation der Frauen in den Werken zu unter51
PROJEKTE
Das andere Ich
suchen und die Wege der Selbstbestimmung dieser Frauen nachzuzeichnen.
Tipp
Auseinandersetzen mit folgenden Aspekten vor der Behandlung der literarischen Texte:
 die eigenen Vorstellungen und Bilder über die Rolle
der Frau
 die europäischen Vorstellungen (und Stereotype) über die
Lage der Frauen in Afrika bzw. im Islam
 „imaginierte“ und tradierte Frauenbilder in der (von
Männern geschriebenen) Literatur: eine kritische Sichtung
der literarischen Positionen zum „Bild“ der Frau: „heilig“,
„ewige Mutter“, die Prostituierte, „Natur“, „Emotion“,
bzw. „bedrohend-unheimlich“, „mystifiziert“ etc.
Neben diesen literarischen Werken wurden soziologische, sozial-geschichtliche und historische Studien über
die Lage und Rolle der Frauen in der Welt und speziell
in Österreich behandelt, damit sich die SchülerInnen mit
dem Thema der Frauenbewegung und auch mit aktuellen
politischen und sozialen Themen der Gleichberechtigung
usw. vertraut machen können. Ein Akzent wurde auch
auf das Thema „Frauen im Islam“, Polygamie, Zwangsehe
gelegt. Jedoch sollte man sich in diesem Bereich auch intensiv mit den eigenen Klischeevorstellungen über den
„Islam“ bzw. über die Situation der Frauen in „Afrika“
beschäftigen und dem einseitigen eurozentrischen Bild
möglichst entgegenwirken, indem man differenzierte
Positionen zu Wort kommen lässt. Hierzu könnte Mariama Bâs Roman als ein „kritisches Korrektiv“ fungieren,
stellt er doch anhand verschiedener Lebensmodelle und
Frauenfiguren dar, wie unterschiedlich einzelne Frauen
mit gesellschaftlichen Zwängen umgehen. Aïssatous und
letztendlich Ramatoulays Entscheidung für ein selbstbestimmtes Leben zeigt, dass – im Gegensatz zu unseren
Erwartungen aus europäischer Sicht – auch Frauen in
afrikanischen Ländern die Gelegenheit ergreifen, den
Erwartungen von Männern gegenüberzutreten und aus
den traditionellen Rollenvorstellungen auszubrechen.
Die zwei Töchter von Ramatoulaye verkörpern in diesem
Kontext bereits eine neue Generation, die viel kritischer
die Lage der Frauen reflektiert, Traditionen oft aufbricht
und nicht länger auf ihre Unabhängigkeit verzichtet.
4. Aktivitäten und Arbeitsaufträge
Hauptaktivitäten
 Frauengestalten in der Literatur (vgl. Literaturliste)
 Zeitungsartikel mit Ausarbeitungen zum Themenbereich „Die Frau in der Gesellschaft“
52
 Befragung der eigenen Mutter zum Bereich „Arbeitsleistung der Frau“ (Fragebogen, Auswertung und Analyse)
 „Die Frau in der Dritten Welt“ (Zeitungsartikel
mit Bearbeitung der Schüler-Leserbriefe)
 Starke Frauen im Film
(anhand von SchülerInnenreferate)
Arbeitsaufträge zum Roman „Ein so langer Brief “
(1.) Verfasse eine Inhaltsangabe zum Roman!
(350 Wörter)
(2.) Verfasse eine Charakterisierung von Aïssatou!
(250 Wörter)
(3.) Verfasse eine Nacherzählung der Vorgänge aus
der Sicht der kleinen Nabou! Achte dabei auf die Erzählzeit! (150 Wörter)
(4.) Vergleiche die verschiedenen Frauenschicksale im
Roman Ein so langer Brief. Welche „Lebensmodelle“
stehen Ramatoulaye bereit, wie entscheidet sie sich?
Inwiefern unterscheidet sich ihr gewählter Lebensweg von dem der anderen Frauen?
Arbeitsaufträge zu „Romeo und Julia“
„Dann heißt die Mutter meiner Liebe Hass: Zu früh gewußt, zu spät, daß ich es lass. Dies Lieben, das geboren ist,
wird Schmerz, denn an den schlimmsten Feind häng ich
mein Herz…“
(1.) Welches Werk liegt hier vor?
(2.) Wer spricht?
(3.) Verfasse aus der Perspektive dieser Person
(Ich-Erzählweise) eine Inhaltsangabe!
Arbeitsaufträge zu „Nora oder Ein Puppenheim“
„Helmer (in seinem Zimmer): Zwitschert da draußen die
Lerche?
Nora (dabei einige Pakete zu öffnen): Ja, das tut sie!
Helmer: Poltert da das Eichhörnchen herum?“
(1.) Welches Werk liegt hier vor?
(2.) Verfasse eine Charakterisierung von Helmer!
(150 Wörter)
(3.) Beschreibe die Beziehungskonstellation von der
Nebenfigur Krogstadt zu den handelnden Personen!
(150 Wörter)
Das andere Ich
Arbeitsaufträge zu „Brigitta“
(1.) Verfasse eine Inhaltsangabe zum Roman!
(350 Wörter)
(2.) Verfasse eine Charakterisierung von zwei
Protagonisten des Romans!
Arbeitsaufträge zum Thema „Die Rolle und die Situation
der Frauen in Österreich und in der Welt“
(1.) Vergleichende Analyse von Grafiken, die die
rechtliche, gesundheitliche, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Frau in verschiedenen Staaten der Welt zeigen.
(2.) Bearbeitung von Grafiken zum Thema „Rollenverhalten der Frauen 1992-2010 in Österreich“. Im
Anschluss daran: eine Erörterung zum Thema „Die
moderne Frau“.
(3.) Im Fach Geschichte & Politische Bildung:
Auseinandersetzung mit dem Artikel „Vormarsch
der Frauen“ in der Kleinen Zeitung (1.10.2011), mit
einer sozialgeschichtlichen Studie zu „Frauenarbeit,
Frauenfrage, Frauenbewegung“ und mit einem historischen Artikel über „Frauen in der Geschichte“.
(4.) Durchführung eines Interviews mit der
eigenen Mutter anhand von Leitfragen.
(5.) Im Speziellen wurde auch das Thema „Das Frauenbild in Österreich“ und „Frauen in Österreich“ behandelt.
(6.) Ein weiteres Thema war „Zwangsehe“ und die
Situation der Frauen in arabischen Ländern, das
ebenfalls in diversen Zeitungsartikeln behandelt
wurde.
PROJEKTE
gefordert, bezüglich der „öffentlichen Sache“ selber tätig
zu werden, über Möglichkeiten des Handelns nachzudenken und die eigene Rolle in diesem Machtspiel (vgl.
der Umgang mit der eigenen Mutter zu Hause) zu erkennen. Dass jedoch diese Erkenntnis nicht nur in Bezug
auf die eigene, sondern auch auf fremde Kulturen erfolgen soll, bestätigt auch die engagierte Beschäftigung der
SchülerInnen mit dem Roman von Mariama Bâ und mit
den Problemen der Frauen in der „Dritten Welt“. Gewiss
löste die Behandlung dieses Themas die größte Irritation bei den SchülerInnen aus, die über diese Verhältnisse
nicht Bescheid wussten. Die Thematisierung dieser Probleme öffnet also die Perspektive der SchülerInnen und
bewegt sie dazu, den eigenen, eng gesteckten Rahmen zu
verlassen und größere, globale Verhältnisse in den Blick
zu nehmen.
Dass man nicht früh genug damit beginnen kann, junge Menschen auf die Ungerechtigkeit und Ungleichheit
hinzuweisen, ist eine meiner persönlichen Erkenntnisse
nach diesem Projekt. In diesem Sinne bin ich für meine
weitere Lehrtätigkeit zu dem Entschluss gekommen, dass
man SchülerInnen mit den heiklen Fragen einer globalen
Welt sehr wohl herausfordern kann und muss – und dies
auch mit Hilfe einer Literatur, die bis jetzt nicht oder
wenig in unseren Lehrplänen berücksichtigt wurde, mit
Hilfe der Weltliteratur.
5. Konklusion
Mit diesem Projekt wollte ich in erster Linie meine SchülerInnen in besonderer Weise auf die ungleiche Behandlung von Frauen in unserer Gesellschaft hinweisen und
sie für Fragen der Machtverhältnisse zwischen Männern
und Frauen, aber auch zwischen Norden/Süden bzw.
Westen/Osten sensibilisieren. Dies sollte auf einer möglichst breiten Basis geschehen: sowohl Sachtexte (sozilogische u. historische Studien, Zeitungsartikel) als auch
literarische Texte und Filme waren Ausgangspunkt der
Diskussionen. Diese Vielfalt an Zugängen konnte auch
eine differenzierte Auseinandersetzung auf vielen Ebenen ermöglichen.
Das Thema ist darüber hinaus nicht nur im Deutschunterricht, sondern auch im Fach Politische Bildung bzw.
Sozialkunde relevant, werden doch SchülerInnen heraus-
Literatur
Bâ, Mariama (2002): Ein so langer Brief. Ein afrikanisches Frauenschicksal. Berlin: List.
Ibsen, Henrik (1986): Nora. (Ein Puppenheim). Stuttgart: Reclam.
Shakespeare, William (1998): Romeo und Julia. Stuttgart: Reclam.
Stifter, Adalbert (1994): Brigitta. Stuttgart: Reclam.
53
54
PROJEKTE
Zwischen und in mehreren Kulturen –
Erfahrungen der Migration
Das 20. Jahrhundert ist wie kein anderes Jahrhundert von Flucht,
Vertreibung, Migration und Reisen jeglicher Art geprägt – und
diese Phänomene verändern grundsätzlich die Strukturen unseres
Alltags. Darüber hinaus stellen sie tradierte Vorstellungen über
Identität, Heimat und Kultur radikal in Frage.
Literarische Texte von Migrantinnen und Migranten reflektieren auf ganz besondere Weise die Schwierigkeiten der Bestimmung des Ich im Spannungsfeld verschiedener Zugehörigkeiten,
die Erfahrungen des Exils und der Entwurzelung, die sprachliche
Heimatlosigkeit sowie kulturelle Begegnungen. Ihre Texte bieten
daher zahlreiche Möglichkeiten, sich im schulischen Kontext mit
Fragen der Migration, der Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinanderzusetzen.
Ein groß angelegtes fächerübergreifendes Projekt der BRG/BG für
Slowenen, mit Andrea Zikuling als Projektkoordinatorin, versuchte im Slowenisch-, Deutsch-, Englisch- und Italienischunterricht
anhand zahlreicher literarischer und filmischer Beispiele SchülerInnen zum Perspektivenwechsel und zur Reflexion des eigenen
Handelns gegenüber Fremden anzuhalten.
Alexandra Mundweil und Claudia Soukup reflektierten in ihren
Klassen die sprachliche Dimension des Heimatverlusts und das
Schreiben in der Fremde bzw. in einer fremden Sprache. Somit
lernten SchülerInnen die innovative Schreibweise von AutorInnen
mit Migrationshintergrund und ihre wichtigsten Themen kennen.
Sabine Fuchs startete an der Universität Graz ein Leseseminar für
Lehramtsstudierende mit Kinder- und Jugendliteratur zum Thema „Das Fremde“. Gleichzeitig hat sie in ihrer Klasse in der BHAK
Bruck an der Mur unterschiedliche Aspekte der Reise-Thematik
(Flucht, Migration, Abenteuerreise) behandelt.
55
PROJEKTE
Andrea Zikuling
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
Dojemanje lastnega in tujega: sti iš a in konflikti
Percezione di sè e dell’altro: contatti e conflitti
STECKBRIEF
Das Projekt
Wahnehmung des Eigenen und des Fremden:
Kontakte und Konflikte
Schule
BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt
Benediktiner, St. Paul, Lavantal
Klasse / SchülerInnen4a
Teilnehmende Fächer Deutsch, Englisch, Italienisch, Slowenisch
Bildnerische Erziehung
Projektleitung
Olga Gallob, Christian Sadnikar, Cristina Santoro-Siennik,
Miha Vrbinc, Vera Wutti-Incko, Andrea Zikulnig
1. Einführung und Ausgangssituation
Im Laufe des Bundesseminars zum Thema Weltliteratur
im Unterricht im März 2011, an dem mehrere KollegInnen unserer Schule teilnahmen, konnten wir uns aufgrund des klaren Konzepts und Terminplans, der Fülle
von Textbeispielen und Unterrichtsmodellen und der
Zusicherung, dass das Pilotprojekt von Hajnalka Nagy
begleitet werden würde, durchaus vorstellen mit einem
kleineren Beitrag teilzunehmen.
Während sofort feststand, mit welchen Klassen wir gerne
daran arbeiten würden, waren das konkretere Thema, die
Textauswahl und die Organisation zu diesem Zeitpunkt
noch völlig unklar. Dieser „Rest“ musste an der Schule
selbst ausgehandelt werden. Wir wussten damals nicht,
dass damit ein Prozess ins Rollen gebracht wurde, dessen
Dynamik weit größere Ausmaße annehmen würde. Nach
der Eingrenzung und Formulierung des Themas waren
wir LehrerInnen und SchülerInnen sensibilisiert für die
Vielschichtigkeit der Problematik, mit der wir uns nicht
nur lesend und interpretierend auseinandersetzen wollten. Workshops, Ausstellungen, Gespräche mit Menschen, die uns den Blick auf ihre - uns fremde - Lebenswelt öffnen konnten, wurden nach und nach, wie es sich
eben ergab, in das Weltliteraturprojekt eingegliedert.
Die damalige 5a Klasse, eine viersprachige Kugy-Klasse
(Slowenisch und Deutsch, im gleichen Stundenausmaß,
Italienisch und Englisch ab der 1. Klasse) hatte zu dem
Zeitpunkt gerade ein Sozialprojekt erfolgreich beendet
56
und war bereit, sich im folgenden Schuljahr am Literaturprojekt mit dem Titel „Sich in die Welt hinaus lesen“
zu beteiligen. Da sich in dieser Kugy-Klasse neben zweisprachigen SchülerInnen aus Kärnten und SchülerInnen
mit Migrationshintergrund auch mehrere „BildungsmigrantInnen“, d.h. SchülerInnen aus Italien befinden (die
inzwischen ganz gut Deutsch und Slowenisch beherrschen), sind Mehrsprachigkeit, Multikulturalität und
Weltoffenheit Voraussetzungen für einen erfolgreichen
Unterricht. Zum einen bot sich eine intensivere Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsmustern des Eigenen
und des Fremden, zum anderen eine Ausweitung zu einem fächerübergreifenden Projekt in allen vier Sprachen
an.
Man kann das Literaturprojekt sicher auch als vertiefende Ergänzung zu bereits etablierten Schulaustauschprogrammen, Sprachwochen und Auslandsaufenthalten
werten: sich aus der Schule in die Welt hinaus lesen, sich
neue Lebenswelten lesend aneignen.
Zu Beginn des Schuljahres 2011/12 wurde in einer Sitzung der SprachlehrerInnen dieser Klasse das Thema auf
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte
und Konflikte eingegrenzt und die Projektziele festgelegt. In Zusammenarbeit mit den SchülerInnen wurden
die Texte ausgewählt. Festzuhalten ist, dass SchülerInnen
und LehrerInnen die fächerübergreifende Kooperation
in Form einer Abstimmung der einzelnen Klassenlektüren auf ein gemeinsames Thema als besonders motivierende Herausforderung erlebten. Das war nämlich neu.
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
PROJEKTE
Der didaktisch-methodische Zugang blieb in Eigenregie
des jeweiligen Sprachlehrers bzw. der jeweiligen Sprachlehrerin. Als Abschluss sollten die SchülerInnen im 2. Semester das Gesamtprojekt allen anderen ProjektteilnehmerInnen in Form einer dreisprachigen Zusammenschau
präsentieren.
Die Filmkomödie Almanya über türkische ArbeitsmigrantInnen im Deutschland der 60er Jahre setzt sich humorvoll mit Integrationsproblemen und Vorurteilen
auseinander. Jedes Mitglied der Großfamilie ist auf der
Suche nach seinem persönlichen Gleichgewicht zwischen
Anpassung und den Traditionen der Herkunftskultur.
Projektziele
 Horizonterweiterung durch Auseinandersetzung
mit Gegenwartsliteratur
 Sprach- und Lesekompetenz erhöhen, Varietäten
einer Sprache erfassen
 Unterschiedliche Positionen und verschiedene
Wahrnehmungsmuster der Selbst- und
Fremdwahrnehmung kennen lernen
 Literatur als Spiegelung gesellschaftlicher
Wirklichkeiten erfassen
 Eigenen Umgang mit Sprach- und
Kulturunterschieden reflektieren
Mare nero ist ein Immigrationsroman, mit einem jungen
Marokkaner auf der Reise in das gelobte Land Europa.
Beschreibung der tragischen Situation der Flüchtlinge.
Behandelte Werke
Čefurji raus! behandelt die Migrationsthematik am Beispiel des Jugendlichen Marko und seiner Auseinandersetzung mit dem Erwachsenwerden, seiner Identität, den
Eltern, den Vorurteilen seiner Umwelt. Er ist ein talentierter Basketballer, hört aber mit dem Training auf und
sitzt lieber mit seinen Freunden im Laibacher Stadtteil
Fužine herum. Sein Vater schickt ihn daraufhin nach
Bosnien, damit er das dortige Leben kennenlernt. Vojnovi bedient sich der sprachlichen Ausdrucksweise seines
Protagonisten und schreibt in einer sehr realitätsnahen
Mischsprache aus Slowenisch und Bosnisch. Es ist ein
komplexes Bild der MigrantInnen und ihrer Probleme,
mit viel bittersüßem Humor, wobei die Verantwortung
aller für das Zusammenleben hervorgehoben wird. Die
Verleihung des Kresnik-Preises für den besten slowenischen Roman des Jahres 2009 bedeutet eine besondere
Anerkennung, die auch zu kontroversen Diskussionen
geführt hat.
Paradiesische Aussichten ist ein leicht lesbarer Jugendroman über das Alltagsleben in einer Pariser Vorstadt, erzählt aus der Perspektive der 15-jährigen Doria, die sich
ihren Platz/ihre Identität zwischen ihrer Herkunftskultur
und der Kultur des Einwanderungslandes suchen muss.
Tauben fliegen auf erhielt 2010 den Deutschen Buchpreis. Es ist ein anspruchsvoller Roman über eine ungarische Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien, die sich in
der Schweiz emporarbeitet und sozusagen integriert. Die
beiden Töchter wachsen im Dazwischen auf, sie erleben
durch Erzählungen, Briefe und Anrufe aus der Distanz
den Balkankrieg mit, Fremdes wird Eigenes, Eigenes wird
fremd.
Alessandro Barrico erzählt die Legende vom Ozeanpianisten Novecento, einem Findelkind, das um 1900 auf
dem Dampfer Virginian zwischen Europa und Amerika
unterwegs ist, ohne je das Schiff zu verlassen; Themen:
Auswanderung, Musik, Freundschaft.
The Outsiders gilt als der Klassiker der amerikanischen
Jugendliteratur über zwei verfeindete Gangs, soziale Unterschiede, familiäre Vernachlässigung und familiären
Zusammenhalt.
Die folgenden Berichte stellen dar, wie in den einzelnen
Fächern an den Projektzielen gearbeitet wurde. Es war
spannend für uns zu sehen, welche Zugänge zum Thema
aus den einzelnen literarischen Werken heraus entwickelt
wurden.
2. Das Projekt im Slowenischunterricht
(Dir. Dr. Mag. Miha Vrbinc)
Im Rahmen des Leseprojekts „Sich in die Welt hinaus lesen“ wurde im Slowenisch-Unterricht der Roman Čefurji
raus! von Goran Vojnovi gelesen und bearbeitet.
Gründe für die Auswahl dieses Textes
 eine sehr erfolgreiche Rezeption im slowenischen
Literaturraum
 Thematik: Jugendlicher mit Migrationshintergrund –
Miteinander-Leben, Entwurzelung
 Sprache: Sprachmischungen von Bosnisch und
Slowenisch – literarischer Umgang damit
 „Bildungsroman“, „Episodenroman“
 Umgang mit Volksgruppen, MigrantInnen am Beispiel
der Schreibung von Familiennamen in Dokumenten
Themenkreise
 Goran Vojnovi verfasst Kolumnen auf
www.dnevnik.si – Textsorte Kommentar, Leserbrief
 Sprache und Sprachvarianten:
Soziolekte – Dialekte – Standardsprache
 Minderheiten- und Migrationsproblematik: Roma im
57
PROJEKTE
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
Burgenland, die slowenische Volksgruppe in Italien,
bosnische MigrantInnen in Slowenien
3. Das Projekt im Deutschunterricht
(Prof. Mag. Andrea Zikulnig)
Bearbeitung
 Einzellektüre
 gemeinsame Lektüre
 Diskussion
 Gruppenarbeit: Bearbeitung von Zeitungstexten
über den Roman Čefurji raus!
 Erarbeitung eines Fragebogens
Im Deutschunterricht wurden Faiza Guènes Jugendroman Paradiesische Aussichten, Melinda Nadj Abonjis
Roman Tauben fliegen auf und der Film Almanya behandelt.
Werkstättenprojekt
Während der Austauschwoche mit dem Vega-Gymnasium aus Ljubljana wurde im Rahmen des Unterrichts
ein Werkstättenprojekt durchgeführt: Dabei wurden
die SchülerInnen in gemischte Gruppen geteilt und absolvierten einen Stationenbetrieb: Im Workshop hörten
sich die SchülerInnen das Märchen Rotkäppchen im slowenischen Gailtaler Dialekt an; anhand einer Karte der
Gemeinde Schiefling/Škofie wurde ihnen das Sammeln
und Aufzeichnen von slowenischen Haus- und Flurnamen erklärt. Gruppenweise wurde ein Deutsch- bzw. Italienischkurs durchgeführt.
 die SchülerInnen lesend Gegenwelten kennen
lernen sollen
 ihnen der Zugang durch eine teilweise Identifikation
mit jugendlichen Ich-ErzählerInnen leichter fällt.
Zum Roman von Goran Vojnovi gab es einen Fragebogen, der in gemischten Kleingruppen bearbeitet wurde.
Aus den Ergebnissen dieser Fragebögen ist ersichtlich,
dass den SchülerInnen aus Ljubljana der Roman durchwegs bekannt war, gelesen haben ihn aber nur wenige.
Informationen über den Text erhielten sie aus den Medien, in denen der Roman – aufgrund seines Leseerfolges
– intensiv behandelt worden war. Bezugspunkte zum Inhalt – MigrantInnen in Ljubljana, vor allem im Stadtteil
Fužine – konnten hergestellt, jedoch nicht mit eigenen
Begegnungserfahrungen verknüpft werden.
Ausgehend von einer vergleichenden Analyse der Titelseiten der französischen und deutschen Ausgabe wurde versucht, die Erwartungshaltung der jungen LeserInnen in
Frankreich und im deutschsprachigen Raum zu beschreiben. Gelesen wurde das Werk zuhause. Anschließend
bearbeiteten die SchülerInnen in Gruppen verschiedene
Themenkreise: den historisch-politischen Hintergrund,
die soziale Problematik in den Pariser Vororten und die
Antwort der Politik, die Sprache des Jugendromans, die
Erzählperspektive, Eigenes und Fremdes in der Welt der
Erzählerin Doria.
Bei der Präsentation des Romans wurde vor allem der Inhalt – Entwicklung der Hauptfigur – vorgestellt und auf
die Schwierigkeiten beim Lesen – der Roman ist in einer
eigenständigen, die Sprachwirklichkeit der Protagonisten abbildenden Sprache verfasst – hingewiesen.
Melinda Nadj Abonjis Roman Tauben fliegen auf, der
Erfahrungen von Einwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Schweiz behandelt, wurde zwar auf die
Leseliste gesetzt, aber von den meisten SchülerInnen als
Grundlage für eine vertiefende Auseinandersetzung abgelehnt. Einigen erschien es als „zu schwierig“, anderen
als „zu fad“. Aus dem Fragebogen zum Abschluss des Projekts jedoch geht hervor, dass etwa die Hälfte der Klasse
das Buch (aus Neugierde?) gelesen hat.
Bei diesem Roman ist es sehr wichtig, sich vor allem auf
die verwendete Sprache »einzulassen«, da sie ein wichtiges Abbild der Lebenswirklichkeiten darstellt. Insofern
konnte durch die (slowenisch-deutsche bzw. slowenischitalienische) Zweisprachigkeit der SchülerInnen stärker
darauf eingegangen werden; SchülerInnen, die Slowenisch als Zweit- oder Drittsprache lernen, hatten hierbei
eher Verständnisschwierigkeiten. Thematisch konnte der
Roman in das Gesamtthema Migration eingeordnet werden.
58
Wichtige Kriterien für die Auswahl der Lektüre waren
die Überlegungen, dass
Arbeit mit den Büchern
Faiza Guènes Jugendromanbestseller Kiffe kiffe demain,
der im Milieu maghrebinischer Einwanderer in der Pariser Banlieue spielt, liegt in deutscher Übersetzung (Paradiesische Aussichten) in einer Textausgabe mit Materialien, Arbeitsheft und Informationen für LehrerInnen vor.
Da Jugendkultur heute wesentlich durch Filme und Musik geprägt wird, wurde das dritte Immigrantenschicksal
mit Almanya erarbeitet, einer Filmkomödie über die Einwanderung türkischer Arbeiter in den sechziger Jahren
nach Deutschland1.
Zunächst wurden bereits in der 5. Klasse erworbene
Kenntnisse über die Sprache des Films wiederholt und
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
anhand eines Beobachtungsbogens Erzähltechnik, filmische Mittel und die zentralen Themen des Films bearbeitet.
Im Mittelpunkt standen die humorvolle Darstellung von
deutsch-türkischen und türkisch-deutschen Klischees
und die Antworten der einzelnen Mitglieder der Familie
auf die Frage der eigenen Identität2.
Wie bereits erwähnt, entstand durch die intensive Beschäftigung mit der Lektüre eine eigene Dynamik. In den
Schulalltag wurden Veranstaltungen zu Themenkreisen
„Migration“, „Fremdsein“, „Leben in mehreren Kulturen“
und „Leben am Rande der Gesellschaft“ integriert:
 IMPORT/EXPORT – eine Schreibwerkstatt mit
Ernst Schmiederer in Zusammenarbeit mit dem Verlag
Wieser.
Thema: Autobiografisches Schreiben, Erzählungen von
Migration und Mobilität, Wir. Berichte aus dem neuen
OE, www.wirberichten.at
 Wanderausstellung Migration on Tour (Demokratiezentrum Wien und Initiative Minderheiten) mit Führung in der Aula der Universität Klagenfurt (www.migrationontour.at, www.demokratiezentrum.org)
Thema: Aktuelle Zuwanderungstrends und historische
Migrationsmuster, Asyl, Aufenthalts-und Arbeitsrecht,
Einbürgerungspolitik und Integration
 Schulveranstaltung für die Oberstufe: Gespräch mit
Harry Stojka über Roma in Österreich (3.11.2012)
 Schularbeit: Vier von zehn Jungen sagen:
„Zu viele Türken“
http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/
716836/vier-von-zehn-Jungen-sagen_Zu-viele-Tuerken (14.12.2011) – bifie
Kulturkontakt, Kulturkonflikt und Zwei- und Mehrsprachigkeit sind wesentlich für unser Schulprofil und
prägen unseren Schulalltag. Es war daher eine willkommene Herausforderung für uns, den Blick „über den Tellerrand hinaus“ zu wagen, uns auf die Suche nach dem
Eigenen im Fremden und dem Fremden im Eigenen zu
machen, indem wir uns lesend auf die Reise durch Lebenswelten von jugendlichen Figuren machten, die im
Spannungsfeld verschiedener Kulturen heranwachsen.
Durch die Verknüpfung der Lektüre mit Recherchen
über historisch-politische Hintergründe wurde versucht,
Literatur auch als Spiegelung von Lebenswirklichkeiten
zu verstehen, die in Hörfunk, Fernsehen, Presse, Internet
dem jeweiligen Medium entsprechend aufbereitet und
präsentiert werden.
PROJEKTE
4. Das Projekt im Englischunterricht
(Prof. Mag. Vera Wutti-Incko)
Im Zentrum des Englisch-Projektes stand das Buch von
Susan Hinton: The Outsiders.
Gründe für die Auswahl dieses Textes
 Sehr geeignet für die 6. Klasse (10. Schulstufe), in der
nur 2 Wochenstunden Englischunterricht stattfinden.
 Sehr geeignet für eine Klasse mit hohem Buben-Anteil,
da die Protagonisten aus dieser Gruppe sind, und viele
Themen im Focus sind, die Buben stark ansprechen.
 Interessante Impulse die Methodik betreffend und
sehr gute Arbeitsblätter aus einem Begleitheft
stehen zur Verfügung.
Im Zentrum standen folgende Themen und die Erörterung folgender Haltungen:
 Perspektivenwechsel: Wie sieht ein Sachverhalt aus
dem Blickwinkel der verschiedenen Protagonisten aus?
Kann ich das Verhalten der anderen nachvollziehen/
verstehen?
 Erarbeiten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten
der Mitglieder der zwei verfeindeten Gangs
 Entstehen von Vorurteilen/Stereotypen
 Strukturelle Gewalt führt zu gesteigerter
Aggression Jugendlicher
 Zur Dokumentation aller Arbeitsschritte und des
bearbeiteten Materials gestaltete jede/r Schüler/in eine
eigene Arbeitsmappe als Vorbereitung für die mündliche Matura.
 Als Abschluss: Film „The Outsiders“
 Schularbeit: Erörterung zu Beispielen aus dem Text
Es zeigte sich, dass diejenigen SchülerInnen, die während
des Projekts selbstverantwortlich und engagiert mitgearbeitet hatten, tatsächlich ein umfassenderes, tieferes Verständnis für die Themen wie Gangviolence, Gewalt in
der Familie, Wurzeln von Vorurteilen, Freundschaft und
Loyalität, soziale Ungleichheit etc. bekommen hatten.
5. Das Projekt im Italienischunterricht
(Prof. Mag. Cristina Santoro-Siennik)
Die Ausgangstexte im Italienischunterricht waren Textausschnitte aus dem Buch Mare nero von Gianni Paris
und Alessandro Bariccos Novecento. Am Projekt haben auch die LehrerInnen Mag. Olga Gallob und Mag.
Christian Sadnikar mitgewirkt. Somit war neben dem
Fach Italienisch (1WS) auch die Bildnerische Erziehung
– Immersion Italienisch (1 WS im 2. Semester) beteiligt.
59
PROJEKTE
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
Ziele
 Kennenlernen der Migrationsbewegungen und
Beweggründe für Migration Anfang des Jahrhunderts
und heute
 Entwickeln von Verständnis für Kulturen als Mosaik
aus Erfahrungen, Gebräuchen, Traditionen, Sprachen,
Lebensgewohnheiten, usw.
 Entwicklung einer Haltung des Respekts gegenüber
Menschen, die einen anderen kulturellen Hintergrund
haben
 Erkennen des Wertes der kulturellen Identität
 Auseinandersetzung mit den eigenen Werten und
der eigenen kulturellen Herkunft
 Bereicherung des Wortschatzes
 Verbesserung der Lese- und Schreib- und
Sprachkompetenz in Italienisch
Den Verlauf des Projekts in 15 Einheiten siehe im Anhang.
6. Bildnerische Erziehung
(Prof. Kristijan Sadnikar, Prof. Mag. Cristina SantoroSiennik)
In diesem Fach wurde die Power-Point-Präsentation im
Rahmen der Gesamtpräsentation aller Schulprojekte
(20. April 2012) vorbereitet:
a) Jede/r Schüler/in macht sich Gedanken darüber, was
in einem bestimmten Fach gemacht wurde bzw. was sie/
er mitnehmen konnte, was sie/ihn besonders angesprochen hat. Außerdem werden die SchülerInnen gebeten
eine Reflexion über die gelesenen Werke zu schreiben.
b) Gruppenarbeit: Jede Gruppe beschäftigt sich mit
einem Fach und tauscht sich mit Hilfe der oben genannten Impulse über die Gestaltung der Präsentation aus.
c) Teile der Präsentation werden vorbereitet. Einige
SchülerInnen befassen sich dann mit der Einführung und
mit dem Schlusswort, ein EDV-technisch begabter Schüler stellt die einzelnen Beiträge zusammen.
Erst zu diesem Zeitpunkt werden allen Beteiligten das
Ausmaß und die Tiefe des Projektes bewusst.
7. Fazit
Zum Abschluss des Projekts erhielten die SchülerInnen
einen Reflexionsbogen, aus dem hervorgeht, dass die Filme und Verfilmungen am meisten Anklang gefunden haben. Alle ausgewählten Texte befinden sich in der Skala
60
etwa im Mittelfeld, bis auf Susan Hintons The Outsiders,
ein Werk, das aufgrund des straffen Spannungsbogens
mehr Anklang findet. Interessant ist auch, dass Melinda Nadj Abonjis Tauben fliegen auf zwar im Unterricht
nicht näher bearbeitet wurde, nachdem es ein Großteil
der männlichen Schüler abgelehnt hatte, dass aber etwa
die Hälfte der Klasse (wahrscheinlich die Schülerinnen,
die begeisterte Leserinnen sind) den Roman „für sich“
gelesen und auch gut gefunden hat.
Meinungen der beteiligten SchülerInnen
Durch dieses Projekt/ Od tega projekta…
 haben wir viel Neues über Migration und
MigrantInnen gelernt.
 smo zvedeli ve
 o imigraciji in imigrantih.
 sind wir aufmerksamer für Stereotype und versuchen,
Vorurteile gegen andere Kulturen, Sprachen und Religionen zu vermeiden.
 smo bili razo
 arani o slabih izkušnjah migrantov.
 schauen wir mit anderen Augen auf die Welt.
 smo se soo
 ali z zgodbami njihovega trpljenja.
 The project has given us access to other cultures.
 e ha aperto la nostra mente, rispetto a nuove realtà,
non sempre piacevoli.
Die Eigendynamik des Projekts ist eine positive Erfahrung, die uns alle – SchülerInnen wie LehrerInnen
– überrascht hat. Ein zentraler Punkt dabei war der gegenseitige Austausch über die Werke, die wir ausgewählt
hatten. Dadurch erschien die Einbindung von thematisch passenden Veranstaltungen allen sinnvoll und ergab sich fast selbstverständlich. Die Führung durch die
Ausstellung „Migration on Tour“ beispielsweise lieferte
eine übersichtliche, informationsreiche Ergänzung zum
literarisch bearbeiteten Phänomen der Migration. Im
Workshop IMPORT/EXPORT mit Ernst Schmiederer
wurde durch autobiografisches Schreiben die persönliche
Auseinandersetzung mit dem Thema möglich. Migration
wurde von so manchem Schüler/ mancher Schülerin nun
auch als Teil der eigenen Familiengeschichte entdeckt
und im Klassenzimmer bewusst gemacht. Das Gespräch
mit Harry Stojka über Roma in Österreich lenkte die
Aufmerksamkeit der SchülerInnen auf die Situation anderer österreichischer Minderheiten.
Unsere Themenwahl hat sich also – nicht nur in den Augen der beteiligten LehrerInnen – als griffig und passend
erwiesen. Migration und Kulturkontakt als Phänomene
zu verstehen, die eine Gesellschaft verändern und bereichern, ist uns ein Anliegen. Wäre es allerdings bei einem
bescheideneren Projekt geblieben, hätten wir es auch in
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
PROJEKTE
Ordnung gefunden. Zudem ist zu erwähnen, dass wir
– in Zeiten der hektischen Vorbereitungen auf die Zentralmatura – zumindest im Deutschunterricht Texte und
Textsorten für die Schularbeiten im Angebot des Bifie
finden konnten, die sich ins Projekt inhaltlich einfügten.
Wesentlich für die Bedeutung, die die SchülerInnen der
Projektarbeit beimaßen, waren die Zusammenarbeit mit
der Universität Klagenfurt, vor allem aber die Präsentation im Musil-Haus, da die Jugendlichen diese wichtige
Institution der erwachsenen LeserInnen-Welt für sich
„erobern“ konnten.
Außerdem waren unsere SchülerInnen neugierig auf die
Projekt-Präsentationen ihrer Wiener AltersgenossInnen,
durch die sie viele Anregungen (vor allem Buchtipps) erhielten. Ein Termin während der Unterrichtszeit wäre allerdings sinnvoller gewesen, da es schwierig war, die auch
in ihrer Freizeit kulturell und sportlich aktiven SchülerInnen für den Freitagnachmittag zu gewinnen.
Es hat sich herausgestellt, dass ein einfaches Konzept –
nämlich die Klassenlektüre in den einzelnen Sprachfächern auf ein Thema abzustimmen – für alle Beteiligten
sehr ertragreich sein kann. Dieses simple „Rezept“ empfehlen wir interessierten KollegInnen weiter.
Literatur
Baricco, Alessandro (1994): Novecento. Mailand: Feltrinelli.
Guastalla, Carlo (2001): Giocare con la letteratura.Firenze: Alma
edizioni.
Guène, Faïza (2004): Kiffe kiffe demain. Paris: Hachette Littérature.
Guène, Faïza (2009): Paradiesische Aussichten. Aus dem Französischen von Anja Nattefort. Diesterweg: Westermann Schrödel.
(=Texte. Medien. Hrsg. v. Annett Davideit, Peter Petrovi. Textaus­
gabe mit Materialien)
Hinton, Susan (2000): The Outsiders. USA: Penguin.
Paris, Gianni (2006): Mare nero. Milano: Ediarco (= collana L’Italia
che guarda).
Vojnovi, Goran (2008): Čefurji raus! Ljubljana: Študentska založba.
Weblinks [alle Zugriff am 30.10.2012]
http://www.almanya.de
www.demokratiezentrum.org
http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/716836/viervon-zehn-Jungen-sagen_Zu-viele-Tuerken
www.dnevnik.si
info@importundexport.at
www.migrationontour.at
http://www.sehinton.com
www.wirberichten.at
http://homepage.univie.ac.at/elisabeth.reif/IKL%20Handbuch.pdf
61
PROJEKTE
Alexandra Mundweil, Claudia Soukup
Sich in die Fremde hineinschreiben.
Sprache ist nicht nur Sprache. Leben und Schreiben in
einer neuen Welt
STECKBRIEF
Das Projekt
Sich in die Fremde hineinschreiben
Schule
BG 18 Klostergasse
Klostergasse 25, Wien
Klasse / SchülerInnen
7b (14 SchülerInnen)
Teilnehmende Fächer
Deutsch, Englischh
Projektleitung
Alexandra Mundweil,
Claudia Soukup
1. Einführung und Ausgangssituation
Die Klasse 7b wird mit Englisch als Schwerpunkt geführt,
d.h. dass die SchülerInnen seit der 1. Klasse Englisch als
Arbeitssprache verwenden. In der Klasse sind fast ausschließlich SchülerInnen mit Deutsch als Muttersprache
zu finden.
2. Das Projekt
Das Projekt wurde vor allem in Englisch und Deutsch
durchgeführt. Einzelne Aspekte (z.B. die Geschichte
Hong Kongs und die Geschichte Bulgariens bzw. des
ehemaligen Ostblocks) wurden auch in Geschichte und
Politische Bildung erarbeitet.
geschärft werden. Dies erscheint doch in einer multikulturellen Gesellschaft und somit auch im Schulumfeld als
extrem wichtig. Eine wesentliche Fragestellung war, inwiefern Sprache auch „Heimat“ ist.
Behandelte Literatur:
Im Englischunterricht wurde der Roman Girl in Translation von Jean Kwok gelesen. Die Hauptfigur ist die elfjährige Kimberly Chang, die mit ihrer Mutter aus Hongkong nach New York auswandert. Das Buch schildert das
schwierige Leben der ZuwandererInnen, die mit mangelnden Sprachkenntnissen in einer völlig fremden Welt
ohne Geld zurechtkommen müssen. (vgl. dazu www.
amazon.de)
Lehr- und Lernziele
Im Deutschunterricht stand Dimitré Dinevs Erzählband
Ein Licht über dem Kopf im Zentrum. Die Geschichten
drehen sich um Menschen unterschiedlichster Herkunft,
wechselnde Schauplätze und Lebenssituationen. Wie
es ist, an der Grenze zu leben, immer unterwegs zu sein
und seines Selbst nicht sicher zu sein, erzählt Dinev „mit
viel Humor in einer ebenso prägnanten wie poetischen
Sprache“, indem er auch „den Heimatlosen eine Sprache
[gibt]“. (vgl. http://www.hanser-literaturverlage.de)
Wir wollten in dem Projekt aufzeigen, wie Kultur und
vor allem Sprache unsere Wahrnehmung prägen.
Diese beiden Bücher wurden parallel in Englisch und
Deutsch erarbeitet.
Globalisierung war in dieser Klasse bereits zu einem
früheren Zeitpunkt im Geographieunterricht ein wesentlicher Themenschwerpunkt. Somit konnte in der
Auseinandersetzung mit der ausgewählten Literatur auf
beachtliches Hintergrundwissen der SchülerInnen zurückgegriffen werden.
Darüber hinaus sollte die Aufmerksamkeit auf kulturelle Missverständnisse gelenkt und das Bewusstsein dafür
62
Sich in die Fremde hineinschreiben.
3. Der Projektablauf im Englischunterricht
(Claudia Soukup)
Im Zentrum des Unterrichts stand Jean Kwoks Girl in
Translation. In diesem Buch geht es um ein Mädchen
aus Hong Kong, das mit seiner Mutter nach New York
kommt. Die Mutter spricht überhaupt kein Englisch, das
Mädchen nur ein paar Brocken.
Methoden
Es wurden diverse Methoden aus der Dramapädagogik
– drama in education – angewandt. Diese ermöglichen
ein direktes Erleben, nehmen Bezug auf Vorkenntnisse
der SchülerInnen, machen Erfahrungen erlebbar und
lassen die SchülerInnen zu AkteurInnen werden. All dies
erfolgte in einer Mischung aus Einzel-, Paar- und Gruppenarbeit.
3.1 Erste Einheit (erste Woche, erstes Drittel)
 Bearbeitung der Ausschnitte anhand des Arbeitsblattes
in Partnerarbeit (siehe Anhang)
 Überprüfung von Leseverständnis;
Interpretationsarbeit
 erstes Eingehen auf kulturelle Unterschiede,
kulturelle Missverständnisse, culture clash
 zusätzliche Erkenntnis: Sprache ist mehr als ein
reines Verständigungsmittel (z. B. erscheint uns die chinesische Sprache viel blumiger, es wird viel mehr umschrieben, weniger direkt angesprochen – dies spiegelt
sich auch im Verhalten wider)
3.2 Zweite Einheit (zweite Woche, zweites Drittel)
In Zweier- oder Dreiergruppen ziehen die SchülerInnen
von der Lehrerin ausgewählte Szenen, die sie nach Vorbereitung vorführen müssen. Dabei geht es nicht darum,
Texte auswendig zu lernen (oft sind die Dialoge sowieso
nicht im Text ausgeführt), sondern darum, sich in die
Szene hineinzuversetzen (dabei befassen sich die SchülerInnen noch einmal intensiv mit der Situation).
Ausgewählte Szenen:
 Dr. Weston and Kimberly: the first interview
(pp. 103 – 106)
 Kimberly, her mother and Aunt Paula: the arrival
of the acceptance letter (pp. 113 – 115)
 Kimberly, her mother and sales assistant: at Macy’s
(pp. 136 – 138)
 Kimberly and Aunt Paula: dinner at Aunt Paula’s
house (pp. 142 – 143)
 Dr. Copeland, Kim and Curt: the cheating episode
(pp. 150 – 152)
PROJEKTE
 Kim, her mother and Matt: in the musical
instrument store (pp. 170 – 171)
 Kim and Annette: talk about Kim’s home and
the factory (pp. 178 – 180)
 Kim, Matt and his father: at the gambling table
(pp. 192 – 195)
3.3 Dritte Einheit (dritte Woche, drittes Drittel)
Partnerarbeit
 Kurzbeschreibung (ein paar Wörter bis maximal ein
Satz) von 10 key scenes aus dem letzten Drittel in chronologischer Reihenfolge
 Diese werden von der Lehrerin gesammelt und dienen
als Basis für einen Schnelldurchlauf des Geschehens.
Methode
 SchülerInnen im Kreis, zählen auf drei durch; Lehrerin
liest key scene vor und nennt dazu eine Zahl (1 bis 3),
alle SchülerInnen mit dieser Zahl müssen in der Mitte des Kreises (ohne Absprache) diese Szene in einem
Standbild darstellen. Dabei ist der Kreis in ständiger
Bewegung, damit alle anderen die Möglichkeit haben,
das Standbild von allen Seiten zu betrachten. Auf Hinweis der Lehrerin löst sich Standbild wieder auf und die
nächste Szene wird aufgerufen.
Mit dieser Methode kann man einen bereits bekannten
Text im Schnelldurchlauf noch einmal für alle vergegenwärtigen. Die SchülerInnen müssen dabei präsent sein
und agieren bzw. erleben Szenen als ZuschauerInnen.
Zusätzlich
Lektüre und Besprechung der Texte Cultural Misunderstandings und Resolve cross-cultural misunderstandings
(siehe unter http://www.psychologytoday.com und
http://sielearning.tafensw.edu.au/MCS/9362/Sterilisation%20disk%203/lo/7374/7374_00.htm).
Bezugnahme auf den Film Almanya, den die Klasse gesehen hat und dessen Inhalte sowohl in Deutsch als auch in
Englisch besprochen und aufgearbeitet wurden.
4. Projektablauf im Deutschunterricht
(Alexandra Mundweil)
Im Deutschunterricht wurde der Erzählband Ein Licht
über dem Kopf von Dimitré Dinev gelesen. Zusätzlich
zu dieser Lektüre wurde Dimitré Dinevs biografischer
Hintergrund beleuchtet. Besonderes Augenmerk wurde
dabei auf die Tatsache gelegt, dass er seine Werke in deutscher Sprache schreibt und veröffentlicht.
63
PROJEKTE
Sich in die Fremde hineinschreiben.
4.1 Erste Projektphase
Im Zuge der Auseinandersetzung mit diesem Schriftsteller widmeten wir uns auch der allgemeinen Analyse der
Funktionen literarischen Schreibens: Wozu schreiben
Menschen?
Unter anderem wurden dabei folgende Motive besprochen:
a) Literatur, die einen Zweck verfolgt:
wenn man sich beim Rasieren schneidet, gebraucht man
die Muttersprache.“ (Eddie Constantine (1917-93), frz.
Schauspieler)
„Mit jeder Sprache, die du erlernst, befreist du einen bis daher in dir gebundenen Geist.“ (Friedrich Rückert (17881866), dt. Dichter)
„Sprache ist keine Heimat, man nimmt eine Sprache ja mit
in ein anderes Land.“ (Herta Müller (*1953), LiteraturNobelpreisträgerin)
 Selbstfindung / Selbstentäußerung (sich etwas
„von der Seele schreiben“)
 Kritik / Aufklärung (provozieren, aufmerksam
machen, verstören, irritieren)
 Erinnerung („Literatur als Gedächtnisort“)
 Beispiel geben / belehren (?)
 Unterhaltung / Entspannung (aus der Realität
fliehen, in fremde Welten entführen)
 Geld verdienen, berühmt werden
 erfreuen, beeindrucken (durch Kunst, Schönheit
der Sprache)
„Ich habe entschieden deutsch zu schreiben, weil das die
Sprache ist, mit der ich beschimpft und geliebt werde, die
Sprache, mit der ich mein Brot kaufe und meine Arbeit gesucht habe – und vor allem die Sprache, die ich jeden Tag
auf der Straße höre!“ (Dimitré Dinev)
b) zweckfreie Literatur (l’art pour l’art –
„Die Kunst ist frei von Dienst“)
Zur Ergänzung und Vertiefung wurden weiters die Begriffe „Heimat“, „Identität“, „Sprache“ und auch „Migrationsliteratur“ definiert und erklärt.
Ein Impulstext zu diesem Thema war das Interview „Leben retten. Dimitré Dinev über die Bedeutung von Literatur, das gesprochene Wort und überraschendes Handeln“ (in: Die Furche, 22.07.2004).
Für Dimitré Dinev ist die Sprache der Inbegriff für Heimat an sich. Als Basis für die Diskussion, was Sprache bedeutet und inwiefern Sprache auch „Heimat“ sein kann,
dienten folgende Zitate:
„Es ist ein langer Weg, bis man in die Fremde gelangt, aber
noch länger ist der Weg der Hand bis zur Feder. Sollte man
aber auch diesen gehen und das erste Wort niederschreiben
und danach das nächste, bis das Blatt genauso schwarz wie
weiß ist, sollte man also eines Tages doch in der Fremde
weiterschreiben, oder auch erst damit beginnen, dann hat
man das begriffen, was jeder Autor irgendwann erfährt,
nämlich, dass das Wort seine Heimat ist.“ (Dinev 2004, S.
210)
„Jede neue Sprache ist wie ein offenes Fenster, das einen
neuen Ausblick auf die Welt eröffnet und die Lebensauffassung weitet.“ (Frank Harris (1856-1931), amerik. Schriftsteller)
„Man kann noch so viele Fremdsprachen beherrschen –
64
4.2 Zweite Projektphase
Die Begriffe „Kultur“, „kulturelle Identität“ und „Kulturpyramide“ wurden gemeinsam im Unterricht erarbeitet
(s. Arbeitsblätter im Anhang und weiterführende Materialien in Thaler 2010).
Methode
 Recherchearbeit in der Schulbibliothek
 Die anschließenden Präsentationen in Kleingruppen
(in Form von kurzen Impulsreferaten) boten Raum für
weitere Diskussionen.
4.3 Dritte Projektphase
Im Mittelpunkt in dieser Phase stand Parallelen, ein
Kurzspielfilm (1995; 6 Minuten) von Sawat Ghaleb. (vgl.
http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf )
Methode:
 Besprechung und Interpretation des Films.
 Was sind Vorurteile? Woher kommen sie? Inwiefern
lassen wir uns von unserem „ersten Eindruck“ täuschen?
 Formen der Kommunikation – verbal vs. nonverbal
 Weiteres Beispiel: Angelika Obert: Ein Fall von
Ausländerfeindlichkeit (s. Arbeitsblatt im Anhang)
 Kreatives Schreiben (sich in andere Menschen
und fremde Situationen hineinversetzen)
Sich in die Fremde hineinschreiben.
PROJEKTE
4.4 Abschluss
Den Abschluss des Projekts bildete eine schriftliche Reflexion der Thematik anhand eines weiteren Impulstextes
von Dimitré Dinev: In der Fremde schreiben.
5. Fazit
Das Projekt „Sich in die fremde Welt hinein schreiben“
war sehr anspruchsvoll, da sich die SchülerInnen sehr intensiv mit den unterschiedlichsten Aspekten des Themas
beschäftigen und verschiedene Perspektiven in der Auseinandersetzung mit der ausgewählten Literatur in Betracht ziehen mussten. Gleichzeitig wurde das Projekt mit
großer Begeisterung und viel Engagement angenommen.
Unser Ziel, das Bewusstsein für kulturelle Unterschiede
zu schärfen, haben wir auf jeden Fall erreicht. Auch ist
ein Gefühl dafür entstanden, wie schwierig es ist, nicht
nur in einer neuen Heimat, sondern darüber hinaus auch
in einer neuen Sprache Fuß zu fassen.
Literatur
Dimitré Dinev (2004): „In der Fremde schreiben“. In: Klaus Schenk
(Hrsg): Migrationsliteratur. Schreibweisen einer interkulturellen
Moderne. Tübingen, Basel: Fancke; S. 210
Dinev, Dimitré (2006): In der Fremde schreiben. In: Arnold, Heinz
Ludwig (Hrsg.): Literatur und Migration. Sonderband text + kritik
IX, S. 209 f.
Dinev, Dimitré (2007): Ein Licht über dem Kopf. München: btb.
Duden (2007): Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Duden Bd. 7. Mannheim: Dudenverlag.
Kwok, Jean (2010): Girl in Translation. Riverhead
Obert, Angelika (o.J.): Ein Fall von Ausländerfeindlichkeit.
(http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf )
Thaler, Karin (Hrsg., 2010): Praxismappe Globales Lernen. Globalisierung verstehen: Menschen – Märkte – Politik. Methoden für den
Unterricht (Sekundarstufe II). Wien BMUKK/ BAOBAB.
Philosophisches Wörterbuch. Stuttgart: Kröner 1991.
Schwens-Harrant, Brigitte (2004): „Leben retten. Dimitré Dinev
über die Bedeutung von Literatur, das gesprochene Wort und überraschendes Handeln“. In: Die Furche, 22.07.2004.
Links [Zugriff am 30.10.2012]
http://www.psychologytoday.com
http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.
html?isbn=978-3-552-06000-5
http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf
http://sielearning.tafensw.edu.au.
65
PROJEKTE
Sabine Fuchs
In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten
STECKBRIEF
Das Projekt
In die Welt lesen das Tor zur Welt durchschreiten
SchuleBHAK Bruck/Mur
Universität Graz
Klasse / SchülerInnen
3. und 4. Klasse (eine studentische Gruppe)
Teilnehmende FächerDeutsch
Projektleitung
Dr. Sabine Fuchs
„Lesen ist neben anderen Dingen vor allem zweierlei:
Entwicklungspsychologisch ist es ein Schritt in Richtung
persönliche Autonomie, der in seiner Tragweite nur mit
dem Laufen Lernen und mit dem Spracherwerb vergleichbar ist. Geradeso wie das freie Gehen die unterstützende Hand der Eltern überflüssig macht und das eigene
Sprechen die exklusiven Dolmetscherrechte von Mutter
und Vater erlöschen lässt, öffnet die Fähigkeit zu lesen
erst eigentlich das Tor zur Welt“ (Hochgatterer 2012,
S. 83f.) Besser als Paulus Hochgatterer es in seiner Züricher Poetikvorlesung tut, kann das Potential des Lesens
nicht beschrieben werden. Wenn also das Lesen das Tor
zu Welt öffnet, dann gehen wir mit Literatur in diese hinein. Und diesen Ausflug in fremde Welten habe ich mit
meinen SchülerInnen und StudentInnen unternommen.
Hier nun der Reise- bzw. Lesebericht.
1. SchülerInnenreise in die neuere deutschsprachige Literatur
(mit Abzweigungen)
1.1 Vorbereitungen
Die SchülerInnen einer dritten und vierten Klasse an der
Bundeshandelsakademie Bruck/Mur1 sind nicht gerade
die begeisterten Reisenden in Sachen Literatur. Für sie
– wobei einige von ihnen selbst oder ihre Eltern MigrantInnen sind – suchte ich Literatur, die entweder von
Migration erzählt oder von MigrantInnen geschrieben
wurde. Zugleich stellte ich Unterlagen, die den StatusQuo der Migration von Österreich beschreiben, bereit,
66
um für den Ballonflug der Literatur die erdende Basis zu
liefern. Die unterschiedlichen Arbeitsaufträge, Gruppenarbeiten2 und auch klassenübergreifende Aktionen über
MOODLE sollten die Erkundungen möglichst abwechslungsreich machen.
Die Beschäftigung mit literarischen und faktischen Texten sollte mehrere Kompetenzen der SchülerInnen festigen: Texte formal und inhaltlich erschließen (z.B. Textanalyse), sich mit Texten kritisch auseinandersetzen (z.B.
Interpretation), Texte in Kontexten verstehen (z.B. Textvergleich), Texte verfassen und einfache wissenschaftliche
Techniken anwenden (z.B. Zitierregeln). Produktorientierte Aufgaben sollten es den SchülerInnen erleichtern,
literarische Verfahrensweisen durch eigenes kreatives
Schreiben zu erkennen. Für die Einübung all dieser Kompetenzen aus den Bereichen Lesen und Schreiben habe
ich den Deutschunterricht, der an den Handelsakademien auch den Kulturbereich3 abdeckt, fast das gesamte
erste Schulhalbjahr unter das Motto „In die Welt lesen“
gesetzt.
1.2 Die didaktische Route4
Die Aufgabenformate sind so gewählt, dass schon Gelerntes und individuelle Stärken ebenso zum Tragen kommen
wie das Einüben in Neues, bekannte Schreibaufgaben mit
ungewöhnlicher Thematik sollen mit erst zu Übendem
ergänzt werden.
Ausgehend von subjektiven Erfahrungen, Einstellungen
In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten
zum „Fremden“ führt der Weg über die Erarbeitung sowohl neuer Informationen als auch Empathie ermöglichendes Lesen von Literatur hin zu einem reflektierten
Wissen, das sich in den Texten spiegelt. Ein individuelles
Lesetagebuch soll die aufmerksame Lektüre erleichtern,
Schwierigkeiten mit dem Text dokumentieren und für
spätere Diskussionen und Arbeiten zur Verfügung stellen.
Erworbene Schreibroutinen, wie z.B. das Wie einer umfassenden Charakterisierung, einer Zusammenfassung,
die Zuhilfenahme schon geübter kreativer Techniken wie
der Mind-map, Brain-Storming erleichtern das Erlernen
und Trainieren neuer Schreibhandlungen. Dazu zählen
die Analyse und Interpretation fiktionaler Texte sowie
die Rezension. Produktive Texterschließungsstrategien
(Paralleltext, Leerstellen füllen, Vor- bzw. Nachgeschichte schreiben) sollen vor allem das schon etablierte eigene
Konzept aufbrechen und den individuellen Zugang verschriftlichen, aber auch das Kopieren von schon existierenden Texten (Inhaltsangaben auf den Homepages) ausschließen. Durch das Feed-back der Gruppenmitglieder
als auch durch meine Rückmeldungen zu den einzelnen
Texten soll eine Überarbeitung der eigenen Texte forciert
werden. Wie weit sich nun das subjektive Konzept über
die zusätzlichen Informationen und die praktische Textarbeit erweitert oder gar verändert hat, kann über eine
ernsthafte schriftliche Reflexion des gesamten Prozesses
für den Lernenden selbst und für mich als Lehrperson
sichtbar werden.
Eine Herausforderung - sowohl für mich als auch für die
SchülerInnen - stellt die klassenübergreifende Diskussion
über die Einschätzung von Literatur nach Lektüre in zwei
Unterrichtsstunden dar. Das Verfahren greift alltägliche
Routinen auf (Chatten), stellt sie aber in einen neuen
Kontext, d.h. vor allem, den SchülerInnen wird bewusst,
dass ihre Meldungen zum „Unterricht“ zählen wie eine
Aufgabe und deshalb reflektierter sein sollten.
Einige der Instruktionen sind als COOL-Aufträge nachlesbar, viele andere sind mündlich als Hausübung bzw. als
Aufgabenstellungen im Unterricht nicht grafisch dokumentiert. Prinzipiell bestehen die Instruktionen aus einer
individuellen Denkleistung (mit Notizen) – d.h. der Prozess ist für alle verbindlich – gefolgt von Recherche oder
Vergleichen mit den KollegInnen und abschließend einer
produktorientierten Aufgabenstellung (allein, im Unterricht auch zu zweit oder in der Gruppe).
PROJEKTE
Staniši, Der Klang der Fremde von Kim Thúy, Scherbenpark von Alina Bronsky und Tschick von Herrndorf
boten den ersten Eindruck für die weitere Lektüre. Ein
weiteres Buch, Die Hymne auf ein liederliches Leben,
kam über eine Lesung des Autors Francesco Madeo, der
besonders die jungen ZuhörerInnen in seinen Bann zog,
hinzu.
Behandelte Literatur
Alina Bronskys Scherbenpark handelt von Sascha Naimann, einem siebzehnjährigen Mädchen, das trotz ihres
jungen Alters schon eine richtige Erwachsene ist. Nach
der tragischen Ermordung ihrer Mutter und deren Lebensgefährten muss sie sich, zwar mit Hilfe einer Tante,
aber allein mit ihren zwei kleineren Geschwistern durch
das Leben kämpfen. Die Familie ist ursprünglich aus
Moskau und lebt in Deutschland im „Scherbenpark“
in einem Hochhaus-Ghetto. Ihre tragische Lebensgeschichte will sie in einem Buch verarbeiten, das sie mit
zwei harten Vorsätzen beginnt: Sie will ihrer Mutter ein
Buch schreiben, und sie will Vadim töten. Das Buch ist
aber auch ein Weg zu sich selbst.
Wie der Soldat das Grammophon repariert beginnt mit der
Flucht des jungen Aleksandar und seiner Eltern aus dem
vom Bürgerkrieg heimgesuchten Bosnien. In den Westen
versucht sich der Junge das fremde Deutschland zu erobern. Eine Geschichte über Heimatverlust und Heimatsuche und nicht zuletzt über die Kraft des Erzählens. (vgl.
http://www.amazon.de/gp/offer-listing/3630872425/
ref=dp_olp_used?ie=UTF8&condition=used)
In Der Klang der Fremde flieht die zehnjährige Kim mit
ihrer Familie aus Vietnam. Stationen der „abenteuerlichen Odyssee“ sind ein Flüchtlingslager, das weite Meer
und schließlich Kanada, wo sie eine neue Heimat finden.
Ein Roman über Flucht, Vertreibung, Mut, Schmerz und
Lust der Erinnerung. (vgl. http://www.amazon.de/DerKlang-Fremde-Kim-Th%C3%BAy/dp/3888976790/
ref=sr_1_sc_1?s=books&ie=UTF8&qid=1363883383
&sr=1-1-spell)
1.3 Die Reise
In Wolfgang Herrndorfs Jugendroman Tschik scheint es
zunächst, dass Maik seinen Sommer allein verbringen
muss, dann kommt aber Tschick, mit dem er ein richtiges
Sommerabenteuer erlebt: Mit einem geklauten Auto machen sie sich auf eine Reise quer durch Ostdeutschland
und erfahren dabei, was wirkliche Freundschaft ist.
Um für jede/n Schüler/in eine möglichst individuelle
Lektüre zu ermöglichen, startete das Projekt mit einem
Auswahlverfahren. Die Anfänge mehrerer Bücher, nämlich Wie der Soldat das Grammophon repariert von Saša
Besonders der Beginn von Der Klang der Fremde (siehe
Kasten) bietet sich an, daraus Informationen zu erschließen. Diese fast detektivische Arbeit machte den SchülerInnen viel Spaß und beim produktiven Part, ihre Geburt
67
PROJEKTE
In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten
in ähnlicher Weise zu verschlüsseln, wurde deutlich wie
komplex Literatur sein kann. Das literarische Verfahren
selbst auszuprobieren setzt voraus, die Strategien der Autorin zu erkennen und zu durchschauen. Die SchülerInnen erkannten durch das mehrmalige Überarbeiten ihrer
Texte nachhaltig, wie der Text seine Wirkung entfaltet.
An den anderen Anfängen erschlossen die SchülerInnen, was sie über die ProtagonistInnen schon kennen,
welche Vermutungen sie über das Folgende anstellen.
Sie versuchten die Leerstellen zu füllen und besprachen
auch den zu erahnenden Schreibstil. Aufgrund dieses
ersten Zuganges bzw. der Lesung wählten die SchülerInnen ihren literarischen Text aus. In den Klassen wurden
nun vier Bücher gelesen, womit sich automatisch bei der
intensiven Beschäftigung mit den literarischen Texten
Gruppen bildeten.
„Ich kam während der Tet Offensive zur Welt, als das Jahr
des Affen anfing und die vor den Häusern aufgehängten
langen Knallerketten mit den Maschinengewehren im Chor
zu knattern begannen. Ich erblickte das Licht der Welt in
Saigon, wo die Reste der in tausend Stücke zerfetzten Böller
den Boden rot färbten wie Kirschblütenblätter oder das Blut
der zwei Millionen aufgebotenen Soldaten, verstreut über
die Städte und Dörfer eines entzweigerissenen Vietnam. Ich
wurde im Schatten dieses feuerwerksgeschmückten, leuchtgirlandenverzierten Neujahrshimmels voller Raketen und
Geschosse geboren. Meine Geburt diente dem Zweck, verlorenes Leben zu ersetzen. Mein Leben stand in der Pflicht,
das meiner Mutter fortzuführen.“
(Kim Thúy (2010): Der Klang der Fremde. Aus dem Franz.
von Andrea Alvermann u. Brigitte Große. München: Kunstmann, S. 7)
Parallel zur Lektüre zu Hause erforschten wir im Unterricht Sachtexte, die über Migration in Österreich berichteten. Dazu hatten die SchülerInnen COOL-Aufträge
(siehe Anhang), die sie selbständig in Gruppen erarbeiteten. Den Abschluss bildete eine Zusammenfassung der
Sachtexte.
Damit eine intensivere Beschäftigung mit allen Texten
möglich ist, wurde im Unterricht die Erarbeitung von
Sachtexten, die Zusammenfassung, das Besondere von
literarischen Texten und die Analyse bzw. Interpretation besprochen und immer wieder an Beispielen aus dem
Deutschbuch (Eder-Hantscher et al. 2010, Module 1,4
und 11) geübt. Die Interpretation einer Kurzgeschichte
war dann auch das Thema der Schularbeit.
Nach Abschluss der individuellen Lektüre, begleitet von
einem Lesetagebuch, wurde nun das persönliche Erleben mit jenen KlassenkameradInnen besprochen, die
das gleiche Buch gelesen hatten. Der Text wurde inter68
pretiert, und es wurde damit gemeinsam und individuell
produktiv gearbeitet. Dies geschah in ganz unterschiedlichen Arbeitsaufträgen, so wurde z.B. in der Gruppe ein
Brain-Storming zum Titel gemacht, das dann in einen individuellen Text (unabhängig zum Buch) mündete (vgl.
Cool Auftrag 3, siehe Anhang)
Als weitere produktive Verfahren schrieben die SchülerInnen einen Text über die Begegnung mit einer/einem
der ProtagonistInnen und eine umfassende Charakteristik einer beliebigen Figur aus dem literarischen Text.
Alle diese Texte greifen gesellschaftliche Themen auf, die
für Jugendliche interessant sind. Deshalb verfasste jede/r
eine Erörterung zu einem Thema, das er/sie im Roman
als wichtig erachtet hat. Wesentlich war mir dabei, die
Informationen aus Sachtexten Untersuchungen etc. mit
den literarischen Texten in Beziehung zu setzen.
Noch vor Weihnachten kam in unserer Bibliothek der
Bücherkoffer des Projekts „Sich in die Welt hinauslesen“
der Universität Klagenfurt an, sodass die SchülerInnen
drei Deutschstunden lesend in der Bibliothek verbrachten, um dann über diesen ersten Eindruck aus dem gewählten Buch eine Kaufempfehlung (wertende Rezension) zu schreiben. Ein klassenübergreifender Austausch zu
allen diesen Büchern, die gelesen oder auch nur angelesen
wurden, fand über MOODLE statt.
1.4 Ankunft
Den Abschluss bildete eine – redigierte – Sammlung
aller Arbeiten zu den Büchern mit einer Einführung
(Coverletter) und einer Reflexion über den gesamten
Unterrichtsprozess für das Kulturportfolio. Diese umfangreichen Portfolios, die auch von den SchülerInnen
kommentiert wurden, belegen sowohl den individuellen
Prozess der Lektüre und den Schreibprozess als auch die
Veränderung der eigenen Einstellung zu Migration. Dass
Lesen ein Tor zu Welt öffnet, ist von allen so erlebt worden.
Mit diesem Unterrichtsprojekt gelang es, die Lese- und
Schreibkompetenzen der SchülerInnen zu stärken und
inhaltlich über eigene (Vor-)Urteile, Sichtweisen nachzudenken, eigene Erfahrungen (auch zu Migration) zu
formulieren und sich auf Neues einzulassen.
2. Lehramts-StudentInnen und „Das Fremde in der Kinderund Jugendliteratur“
Schon im Jahre 2011 hatte ich beschlossen, die im Sommersemester 2012 stattfindende Lehrveranstaltung zur
Kinder- und Jugendliteratur an der Karl-Franzens-Uni-
In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten
versität Graz unter das Motto „Das Fremde“ zu stellen.
Diese Lehrveranstaltung bietet Lehramts-StudentInnen
am Institut für Germanistik einen Einblick in die Geschichte der (deutschsprachigen) Kinder- und Jugendliteratur immer mit einem Schwerpunktthema, fokussiert
auf die aktuelle Produktion.
Da viele Titel aus der Liste der Kinder- und Jugendliteratur, die die ProjektinitiatorInnen der Universität Klagenfurt zur Verfügung stellten, nicht mehr oder nur sehr
schwer erhältlich waren5, stellte ich eine aktualisierte
Liste an verfügbaren Büchern, die alle „das Fremde“ in
möglichst unterschiedlicher Art und Weise thematisieren, unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen
Produktion zusammen. Für die literaturwissenschaftlichen und didaktischen Herangehensweisen kamen noch
die Standardwerke zur Kinder- und Jugendliteratur und
zur Literaturdidaktik sowie themenspezifische Sammelbände, Aufsätze und Bücher dazu.
Nach einigen Vorlesungseinheiten über die Geschichte
der (deutschsprachigen) Kinder- und Jugendliteratur
folgte eine Einführung zum „Fremden“ (in der Literatur),
die eine Studentin besonders kreativ in ihrem Portfolio
zusammenfasste (Abb.1 und 2.). Die anschließenden Referate der StudentInnen beinhalteten eine kurze Einführung zur/zum AutorIn, eine informative Inhaltsangabe,
einen speziellen Blick auf die Darstellung des Fremden
im Text und die Besonderheiten des Textes. Der Kulturtransfer bei Übersetzungen wurde ebenso berücksichtigt
wie die Entstehungszeit.
PROJEKTE
wurde, gab es noch – oftmals intensive und kontroverse
– Diskussionen mit diesen „ExpertInnen“. Durch dieses
Verfahren erhielten die zukünftigen LehrerInnen nicht
nur eine umfassende Inhaltsangabe der unterschiedlichen Bücher, sondern fundierte Einblicke in jedes der
gewählten Bücher. Besonders die Ideen für den Einsatz
im Unterricht, die allen TeilnehmerInnen zur Verfügung
gestellt werden, bieten eine gute Grundlage für den eigenen Einsatz im Unterricht.
Abb. 2.
Durch die abgegebenen Portfolios wurde deutlich, dass
die StudentInnen den Reichtum (sowohl die hohe Anzahl als auch die Intensität der Bearbeitung) der von
ihnen gelesenen und bearbeiteten Literatur zu schätzen
gelernt haben, besonders weil diese Literatur neu und unbekannt für sie war. Viele konnten zu ihrem zweiten Unterrichtsfach Verknüpfungen herstellen (z.B. Geschichte,
Fremdsprachen, Theologie etc.). Dass gerade der fokussierte Blick auf das „Fremde“ für die StudentInnen ansprechend und besonders brauchbar für ihren Unterricht
erschienen ist, zeigt sich auch in den Reflexionen:
„Am interessantesten erschienen mir jedoch die inneren
Prozesse der Veränderung und das Bewusstwerden des
eigenen Fremden. Gerade diese Auseinandersetzung mit
dem Eigenen (z.B. zu Wachstums- und Pubertätserscheinungen) lassen hohes Identifikationspotential für den Leser zu und machen das Lesen im Allgemeinen nahbarer.
[…] Speziell für diesen Zweck (Identifikation) erscheinen
mir Kinder- und Jugendbücher des „Fremden“ als besonders geeignet, ja sogar relevant für einen weltoffenen Unterricht.“ ( J.F., 09.07.2012)
Abb. 1.
Abschließend stellten die ReferentInnen ihre Ideen für
die Verwendung im Unterricht vor. Da jedes der vorgestellten Bücher auch von anderen StudentInnen gelesen
„Die Auswahl an ‚brauchbarer‘ Kinder- und Jugendliteratur ist immens. Trotzdem oder gerade aus diesem
Grund kann sich die Suche nach einem geeigneten Buch
als äußerst schwierig herausstellen. […] Das Fremde bie69
PROJEKTE
In die Welt lesen – Das Tor zur Welt durchschreiten
tet Gesprächs- und Diskussionsmaterial, hält die Freude
am Lesen aufrecht und ermöglicht damit eine umfangreiche Beschäftigung mit dem Lesematerial im Unterricht.“
(S.W., 28.06.2012).
Literatur
Primärliteratur
Bronsky, Alina (2009): Scherbenpark. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Herrndorf, Wolfgang (2010): Tschick. Berlin: Rowohlt.
Anmerkungen
1 In diese berufsbildende höhere Schule kommen SchülerInnen in
der ersten Klasse aus unterschiedlichen Bildungswegen (Hauptschule
oder Gymnasium) und entsprechend der Demographie in der Obersteiermark auch mit unterschiedlichen Muttersprachen (knapp ein
Drittel der SchülerInnen haben einen Migrationshintergrund).
2 An der HAK Bruck/Mur werden einige Klassen als sog. COOL-
Klassen geführt, d.h. dort wird an bestimmten Tagen und Unterrichtsstunden nach dem Prinzip des cooperativen offenen Lernens
unterrichtet. SchülerInnen bearbeiten selbstständig – alleine oder in
Gruppen – ihre Arbeitsaufträge und werden dabei von der Lehrperson unterstützt. Beiden Klassen, in denen ich dieses Literaturprojekt
durchführte, sind COOL- und Laptop-Klassen, weshalb die klassenübergreifende Diskussion auf MOODLE keine Einführung bedurfte.
3 Das Besondere am Deutschunterricht in einer Handelsakademie
ist der integrative Bestandteil des Kulturportfolios, das einerseits
Pflichtaufträge aus dem Deutschunterricht, aber auch selbst gewählte
Beiträge zu allen Belangen der Kultur beinhaltet und alle fünf Jahre
geführt wird. Dabei nimmt sowohl die persönliche Kreativität als
auch Reflexion auf unterschiedlichen Ebenen (Selbstreflexion, Kommentare von MitschülerInnen, Rückmeldungen der Lehrperson)
einen wesentlichen Platz ein.
4 Der Begriff bzw. der danach gefertigte Unterrichtsplan veranschaulicht deutlicher die Wechselbeziehungen von Information, subjektivem Konzept und praktischem Tun im kompetenzorientierten
Unterricht. Vgl. Tschekan 2011, S. 18ff.
5 Hier zeigt sich besonders eine Tendenz im Buchhandel, dass Titel
unabhängig von ihrer Qualität aus dem Handel verschwinden, wenn
der Verkauf nicht oder nur sehr schleppend die Produktionskosten
deckt. Deutlich wird, dass Nischenprodukte (von unbekannteren
AutorInnen und/oder kleinen Verlagen) einige Jahre nach Ersterscheinen oftmals nicht mehr zu beziehen sind.
70
Madeo, Francesco (2006): Hymne auf ein liederliches Leben.
Tübingen: Klöpfer und Meyer.
Staniši, Saša (2008): Wie der Soldat das Grammofon repariert.
München: btb.
Thúy, Kim (2010): Der Klang der Fremde. Aus dem Französ. von
Andrea Alvermann u. Brigitte Große. München: Kunstmann.
Sekundärliteratur
Eder-Hantscher, Claudia/Geisler, Gertraud/Schörkhuber,
Wolfgang/Stockinger, Reinhard (2010): Kompetenz: Deutsch
3. Sprachbuch für berufsbildende höhere Schulen. Hpt.
Haller, Karin (2010): Wolfgang Herrndorf: tschick.
Unter: http://www.jugendliteratur.net/exlibris/exlibris_11_1.html
Hochgatterer, Paulus (2012): Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe.
Eine Poetik der Kindheit. Reden, Aufsätze, Vorlesungen. Wien:
Deuticke.
Tschekan, Kerstin (2011): Kompetenzorientiert unterrichten. Eine
Didaktik. Berlin: Cornelsen.
Links [Zugriff am 11.11.2012]
http://www.amazon.de/Der-Klang-Fremde-Kim-Th%C3%BAy/
dp/3888976790/ref=sr_1_sc_1?s=books&ie=UTF8&qid=
1363883383&sr=1-1-spell
http://www.amazon.de/gp/offer-listing/3630872425/ref=dp_olp_
used?ie=UTF8&condition=used
PROJEKTE
Das Magische, das Wunderbare,
das Traumhafte
Es gibt viele Gründe, warum weltliterarische Texte für den Deutschunterricht einen besonderen Reiz darstellen. Einer davon ist, dass diese „neuen“ Texte LeserInnen mit neuen Erfahrungen, Weltsichten und Perspektiven konfrontieren, die sie
bis jetzt noch nicht wahrgenommen haben. Ein zweiter Grund liegt aber in der
Natur der Literatur selbst: Denn der Literatur ist die „Fremdheit“ inhärent. „Von
ihrer Ästhetik her: als von der Norm abweichender Umgang mit Sprache mit Hilfe
fremder Elemente. Von ihrer Wirkung her: als ‚Des-Automatisierung‘ der (kulturell
beeinflussten) Wahrnehmung.“ (Wintersteiner 2006, S. 92) Eine fremde Literatur
potenziert diese immanente „Fremdheit“ der Literatur dadurch, dass sie neue, unbekannte literarische Formen präsentiert.
Der Magische Realismus eignet sich geradezu perfekt dazu, diese doppelte Fremdheit der Literatur bewusst und erfahrbar zu machen. Die Beschäftigung mit dem
Magischen Realismus ermöglicht SchülerInnen, eine neue literarische Form, in
welcher Realität und Mythisches/Magisches/Wunderbares miteinander auf eine
besondere Weise verschmelzen, kennenzulernen, diese von anderen bekannten Formen der „phantastischen Literatur“ abzugrenzen und die ästhetische Form selbst
als Ausdruck einer neuen Sicht- und Denkweise zu verstehen. Auf der anderen Seite
bieten die Texte, die immer auch politische und soziale Probleme reflektieren, die
Möglichkeit, diverse Formen des Widerstands zu erkennen, über kulturelle, politische und gesellschaftliche Machtverhältnisse sowie über die Möglichkeiten (politischen) Handelns nachzudenken. Somit leistet Literaturunterricht „einen Beitrag zu
einer kritisch-weltbürgerlichen Erziehung“ (ebd., S. 138).
Ähnlichen Zielsetzungen folgten auch die nachstehenden zwei Projekte. Dabei
stellte Hans-Peter Wittmann eine produktive Schreibaufgabe ins Zentrum des Projekts: Indem SchülerInnen die Schreibweise der behandelten AutorInnen imitieren
und nachahmen, können sie nicht nur individuelle Zugänge zu den Texten finden,
sondern die spezifische Ästhetik der Werke besser nachvollziehen.
Für Georgine Lansky und Gerhild Hardt-Stremayr war es wiederum wichtig, Unterschiede zwischen den verschiedenen literarischen Realismus-Strömungen und die
gesellschaftskritische Dimension der Werke herauszuarbeiten. Eine zweite Klasse
beschäftigte sich mit afrikanischer Literatur, damit SchülerInnen über den Kontinent, vor allem aber über die vielfältige Literatur dieses Kontinents – die sich nicht
auf das Mythische und das Magische reduzieren lässt – ihre Kenntnisse vertiefen.
71
PROJEKTE
Hans-Peter Wittmann
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“
Der magische Realismus im Deutschunterricht
STECKBRIEF
Das Projekt
„Ausgestreckte Hände, die
mich riefen“
Schule
Gymnasium Wien 1
Stubenbastei 6-8, Wien
Klasse / SchülerInnen7a
Teilnehmende FächerDeutsch
Projektleitung
Hans-Peter Wittmann
1. Ausgangssituation
Im Frühjahr 2011 fragte ich die damalige Klasse 6a, ob
sie an einem Projekt interessiert sei, das die Einbeziehung
von weltliterarischen Texten in den Deutschunterricht
zum Ziel hatte. Die erste Reaktion war grundsätzliche
Zustimmung, aber auch Skepsis hinsichtlich der konkreten Umsetzung im Unterricht.
Nach der intensiven Einführungsphase fiel die Entscheidung auf das Thema „Magischer Realismus“, da das Fremde in den Texten als besonders ansprechend betrachtet
wurde. Sodann einigten wir uns auf Vorgehensweise und
Ablauf: Von den drei Wochenstunden sollte jeweils eine
Stunde dem Projekt gewidmet werden. Somit war ein
Rhythmus vorgegeben, der es erlaubte, parallel zum Regelunterricht kontinuierlich zu den einzelnen Texten zu
arbeiten, Referate vorzubereiten und eigene Produktionen zu erstellen.
Das Ziel des Projekts war anfangs nicht vorgegeben, da
die SchülerInnen für sich entdecken sollten, welche Perspektiven transkulturelles Lernen eröffnet. Dieses Finden
eigener Zugänge stellte sich in der Folge als wichtiger
Impetus für das „forschende“ Denken vieler Jugendlicher
heraus, die dabei vor allem Widerstände und Irritationen
überwinden mussten.
Abb. 1.
1.1 Die teilnehmende Klasse
Die Schüler/innen erhielten sodann die Ideensammlung
des Projektteams mit Arbeitsanregungen und Literaturhinweisen. Es folgte eine intensive mehrstündige Diskussion zu den Vorschlägen, bei der die Jugendlichen selbst
die Moderation übernahmen. Dabei wurden bereits
Möglichkeiten zur Umsetzung der einzelnen Themenbereiche aufgezeigt und die Vielfalt der Zugänge besprochen. Wichtig war von Beginn an, dass der Projektablauf
von der Klasse mitbestimmt und organisiert wird.
Die 29 SchülerInnen der 7a besuchen den gymnasialen
Teil mit Französisch ab der 3. und Latein ab der 5. Klasse bzw. das Realgymnasium. Ich habe die Klasse erst vor
einem Jahr übernommen und war von Beginn an von
der Dynamik, Offenheit und Verlässlichkeit der Jugendlichen beeindruckt. Diese Voraussetzungen spielten bei
der Durchführung des Projekts „Weltliteratur“ eine wesentliche Rolle, da das Interesse für alternative Unterrichtsformen und -inhalte von Anfang an gegeben war.
72
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen”.
1.2 Rahmenbedingungen
Wie sollte nun das Thema in den Schulalltag integriert
werden? Zunächst war ein Semester als Zeitrahmen vorgesehen, doch bald stellte sich heraus, dass das gesamte
Schuljahr für die Durchführung zur Verfügung stand.
Von den drei Deutschstunden pro Woche sollte eine dem
Projekt gewidmet sein, da Regelmäßigkeit und längere
Zeitphasen das Einarbeiten in die Literatur erleichtern.
Zu Beginn waren auch fächerübergreifende Aktivitäten
mit Spanisch und Bildnerischer Erziehung geplant, doch
aus organisatorischen Gründen entwickelte sich diese
Kooperation nur in Ansätzen.
2. Das Projekt
2.1 Lehr- und Lernziele
In der Dokumentation zum Vorgängerprojekt mit dem
schönen Titel „ZwischenWeltenLesen“ beschreibt Werner Wintersteiner die Notwendigkeit eines transkulturellen Literaturunterrichts als Folge der Globalisierung,
weltweiter Migration und internationaler Medienkultur.
(vgl. Ladstätter/Wintersteiner 2010)
Es gehe dabei nicht um die Sichtung neuer Phänomene,
sondern um eine neue Sichtweise auf das Phänomen Kultur. Was Jugendliche durch „Multiperspektivität“ (ebd.,
S. 23) lernen können, entwirft er in einem Konzept, das
auf folgenden Überlegungen beruht:
„Transkultureller Literaturunterricht wirft einen anderen Blick auf die Literatur, wie er auch den Blick auf eine
andere Literatur richtet. Ein transkultureller Zugang zur
Literatur interessiert sich für die Differenzen wie für die
Gemeinsamkeiten von Literaturen und für das »Dazwischen«, das bei nationaler Betrachtungsweise unbeachtet bleibt. Er richtet die Aufmerksamkeit auf sprachliche,
kulturelle, wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse, wie sie in der Literatur thematisiert werden, wie sie
aber auch im Literaturbetrieb ihren Niederschlag finden.“
(Ebd.)
Die Einbeziehung von Weltliteratur in den Deutschunterricht stärkt den Blick auf die eigene kulturelle Identität, erweckt Interesse für das Andere und ermöglicht
durch eigenes literarisches Schreiben neue Zugänge zu
Texten.
Genau diese Aneignung durch Imitation entwickelte sich
als Grundidee des Projekts heraus. Um den „Magischen
Realismus“ zu verstehen, sollten die vorgeschlagenen
Texte nicht nur gelesen werden, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit einem bislang wenig praktizierten
PROJEKTE
Schreibstil erfolgen. Das Lernziel bestand also im Finden
eigener poetischer Sichtweisen auf eine als bizarr empfundene Wirklichkeit.
2.2 Inhalte und Textauswahl
Das Projektteam hatte für alle Themenbereiche umfangreiche und kommentierte Literaturlisten zur Verfügung
gestellt, die sich als äußerst hilfreich bei der Aufteilung
von Referaten und der Auswahl der Klassenlektüre erwiesen (s. Bibliographie am Ende des Berichts). Als erstes Werk wurde der Roman Bewohnte Frau (La Mujer
habitada) von Gioconda Belli gewählt. Dieser Roman
eignet sich aus mehreren Gründen gut als Einstieg in das
Thema „Magischer Realismus“. In weiterer Folge wurde
Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard gelesen.
2.3 Didaktische Überlegungen
Das Projekt war, wie bereits angedeutet, als Ergänzung
und Alternative zum Regelunterricht geplant. Somit
sollte die Auseinandersetzung mit Weltliteratur als eigenständiger, von der Klasse selbst organisierter und von
Notendruck unabhängiger Bereich wahrgenommen werden.
Als Lehrer sollte man sich in diesem Zusammenhang
weit zurück nehmen. Die Übergabe von Kompetenzen
an die SchülerInnen setzt freilich Motivation und Eigenständigkeit voraus. Dieses „Freispielen“ kann große Energien erzeugen, wenn die Sinnhaftigkeit und die Ziele der
Aktivitäten erkannt werden. Wie also kann man Jugendliche für den „Magischen Realismus“ begeistern? Welche
Zugänge bieten sich an?
Beim Lesen von Gioconda Bellis Bewohnte Frau traten
zunächst einige Irritationen auf, da die Erzählperspektiven häufig wechseln. Parallel zur politischen Entwicklung
der Hauptperson Lavinia wird nämlich die Geschichte
einer Frau erzählt, die den Kampf gegen die spanischen
Invasoren vor hunderten Jahren erlebt hatte. Ihre Seele
wohnt im Orangenbaum, der im Garten der Protagonistin steht. Aus dieser Sicht wird die Gegenwart kommentiert. Die Verschmelzung von „realer Wirklichkeit“
und „magischer Realität“ kann man am besten verstehen,
wenn man selbst diesen Erzählstil verwendet.
In Der Schneeleopard, wo die Schicksale des unabhängigen Journalisten Arsen Samantschin und des Schneeleoparden Dschaa-Bars zusammengeführt werden, basiert
ebenfalls auf dem Zusammenspiel zweier Welten. Hier
wird die moderne Welt mit einer Legendenerzählung
verbunden.
73
PROJEKTE
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen”.
3. Der Projektablauf im Unterricht
3.1 Vorbereitung und Einstimmung
Durch die Einbindung der Klasse in die Themenfindung
waren Vorbereitung und Einstimmung Ende der 6. Klasse erfolgt. Einige hatten sich bereits für Referate zum
Herkunftsland der AutorInnen angemeldet bzw. Bücher
während der Ferien gelesen.
3.2 Projektphase 1
Im Oktober besorgten sich die Jugendlichen die Taschenbuchausgaben von Gioconda Bellis Roman, den
alle innerhalb von drei Wochen lesen sollten. Einige Auszüge, etwa die „magischen Kapitel“, in denen der Protagonistin durch einen Orangenbaum revolutionäre Kräfte
vermacht werden, wurden in der Klasse besprochen und
sodann eine kurze Einleitung zur Geschichte des „Magischen Realismus“ präsentiert.
In Gruppenarbeiten fanden die SchülerInnen unterschiedliche Zugänge zum Buch. So wurden einige Szenen als Drehbuch umgeschrieben, ein Comic erstellt, ein
Fragenkatalog entworfen oder historisch-geographische
Zusammenhänge geklärt.
Zum Schluss wurden Plakate gestaltet, die innerhalb der
Schule auf das Projekt aufmerksam machten.
Schließlich erhielt die Klasse Mitte Mai den Bücherkoffer, den das Projektteam zusammengestellt hatte. Die
SchülerInnen konnten somit auch Werke der Weltliteratur kennen lernen, die über das in unserem Projekt behandelte Thema hinaus reichten.
3.5 Textproduktionen
Für das Verfassen der Texte war ein Zeitrahmen von sechs
Wochen vorgesehen. Es gab mehrere Vorgaben:
a) sie sollten im Stil des realismo magico geschrieben werden
b) die Gestaltung bzw. das Layout sollten dem Inhalt entsprechen
c) der Umfang war auf 8 Seiten begrenzt
Es entstanden in der Folge sehr originelle Produktionen,
von denen hier nur drei exemplarisch vorgestellt werden.
Miriam Karner hat ihre Erzählung Kalte Füße handschriftlich auf eine riesige Kachel geschrieben. Sie erzählt
darin aus der Sicht dieses Bodenbelags die Geschichte
von Menschen, die sich auf ihm bewegen. Rosa Brand
hat für Im Spiegel ein kleines Format gewählt. Der Umschlag ist aus Silberpapier hergestellt, sodass sich der Leser zunächst selbst sieht, wenn er dieses Werk in die Hand
nimmt.
3.3 Projektphase 2
Nach dem Kennenlernen eines typischen Werkes des
„Magischen Realismus“ folgte nun die Phase der Aneignung. Mit selbst verfassten Texten sollten die SchülerInnen diese künstlerische Bewegung begreifen und
anwenden. Eigene Produktionen entstanden mit großem
Engagement und originellen Ideen. Die „Bücher“ wurden in einer Vitrine in der Aula der Schule ausgestellt.
Einige SchülerInnen hatten zu diesem Zeitpunkt auch
schon erste Referate zur Autorin und ihrem Herkunftsland vorbereitet.
3.4 Projektphase 3
Nach der Abgabe der eigenen Texte widmeten wir uns
im zweiten Semester Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard. Die Lektüre verstörte nun viel weniger, da die Erzähltechniken des „Magischen Realismus“ bekannt waren. Das Verständnis der kirgisischen Mythen bereitete
allerdings einige Schwierigkeiten.
Gleichzeitig stellten die SchülerInnen in Form von KoReferaten weitere Werke aus der Literaturliste vor. Das
Projekt wurde schließlich in Klagenfurt öffentlich präsentiert.
74
Abb. 2.
Mirjam Schaar hat sich von indianischen Erzählungen
inspirieren lassen und den Einband von Kuwanuna.
Das gelobte Land mit verschiedenen Stoffen gestaltet,
sodass der haptische Effekt besonders stark zur Geltung
kommt.
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen”.
PROJEKTE
„Dabei geht es aber nicht nur darum, neue Texte einzusetzen, sondern zugleich darum, die Texte „neu“ einzusetzen – indem sie bewusst in ihrer speziellen Ästhetik
wahrgenommen werden. Auf diese Weise wird der transkulturelle Kern des Textes durch seine ästhetische Form
sichtbar.“ (vgl. Grobbauer/Nagy/Wintersteiner 2011)
Abb. 3.
Andere Schüler/innen haben ihre Texte beispielsweise
in Holzplatten „verpackt“, Textelemente als Kügelchen
in eine Bonbonniere gesteckt oder auf Pergamentpapier
geschrieben.
Aus Schüler- wie Lehrersicht kann das Ergebnis als sehr
zufrieden stellend, bereichernd und spannend bezeichnet werden. Es ist gelungen, durch Aneignung anderer
Schreibstile die Augen für Fremdes zu öffnen und eine
hohe Schreibmotivation zu erzeugen, da die Texte, die
entstanden sind, durch die künstlerische Gestaltung großen Wert für die VerfasserInnen bekamen. Für den Regelunterricht bedeutet dies, dass die Beschäftigung mit
anderen Literaturen zu erhöhter Aufmerksamkeit und
Sensibilität in Bezug auf kulturelle Vielfalt führt.
Die Neugierde beim Lesen und die Herausforderung
beim Schreiben fördern zweifellos Kreativität und Interesse für „Fremdes“. Für SchülerInnen, die selbst erst in
der deutschsprachigen Kultur heimisch werden mussten,
war dieses Projekt eine Möglichkeit, die eigene biografische Entwicklung zu überdenken und Multikulturalität
als positive Kompetenz zu erleben.
Abb. 4.
4. Präsentation
Am 20. April 2012 fand im Robert-Musil-Haus in Klagenfurt die Schlusspräsentation aller Projekte statt, zu
der drei Schülerinnen mitgereist waren. Dabei wurden
der Zugang zum Thema, der Ablauf und schließlich die
Texte vorgestellt, die im Laufe des Jahres entstanden waren. Interessant war, dass sich spontan ein Gespräch mit
anderen Schülergruppen ergab und die unterschiedlichen Methoden, Weltliteratur in den Unterricht mit ein
zu beziehen, diskutiert wurden.
5. Fazit und Reflexion
Die Einbeziehung von „Weltliteratur“ in den Deutschunterricht ist gleichzeitig eine Herausforderung und eine
Notwendigkeit, will man die eigene kulturelle Identität
verstehen. In unserem Projekt ging es darum, die Ästhetik „fremder“ Texte zu verstehen und sich durch Imitation diese Schreibweise anzueignen. In diesem Sinne argumentiert auch Werner Wintersteiner, wenn er feststellt:
Eine „transkulturelle Literaturdidaktik“ würde also von
den unterschiedlichen Voraussetzungen, die in einer
Klasse bestehen, profitieren. Das „Freilassen“ in der Verwendung literarischer Schreibweisen kann als eine Art
„Befreiung“ aus der Enge eingefahrener Wahrnehmungsformen führen und somit zur Versöhnung der eigenen
Existenz mit fremdbestimmten Denk- und Handlungsweisen beitragen.
Der Umgang mit „Weltliteratur“ bedeutet freilich auch
einen Paradigmenwechsel in der Didaktik. Hier stehen
wir allerdings erst am Anfang einer Entwicklung, die logischerweise in grenzüberschreitenden Projekten weiter
verfolgt werden muss.
.
Literatur
Aitmatov, Dschingis (2007): Der Schneeleopard. Zürich: Unionsverlag.
Belli, Gioconda (1988): Bewohnte Frau. München: dtv.
Grobbauer, Heidi/ Nagy, Hajnalka/ Wintersteiner, Werner (2011):
„Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht.
Deutsch- und Fremdsprachenunterricht (2010-2012). unter:
www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/Weltliteratur.pdf
Ladstätter, Theresia /Wintersteiner, Werner (2010, Hrsg.):
ZwischenWeltenLesen. Transkulturelle Unterrichtsmodelle für die
Sekundarstufen (KMS, AHS, BHS). Wien: Stadtschulrat für Wien.
unter: www.uni-klu.ac.at/deutschdidaktik/downloads/zwischenweltenlesen.pdf
75
PROJEKTE
Georgine Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen
und dem „Magischen Realismus“
STECKBRIEF
Das Projekt
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen
und dem „Magischen Realismus“
Schule
HBLA für künstlerische
Gestaltung, Linz
Klasse / SchülerInnen
4 a und 4 b, überwiegend weiblich (18-19jährig)
Teilnehmende Fächer
Deutsch, Bildbearbeitung, Grafik-Malerei, Textilwerkstätte
Wirtschaftsgeographie, Bewegung & Sport, Religion
Projektleitung
Georg Lansky, Gerhild Hardt-Stremayr
1. Das Projekt: Ziele und Visionen
Das Projekt in der HBLA für künstlerische Gestaltung
hatte zum Ziel, durch die Begegnung mit fremden Kulturen und die Auseinandersetzung mit dem Fremden eine
allgemeine Horizonterweiterung bei den SchülerInnen
herbeizuführen. Das hieß konkret, dass im Laufe des Projekts den Lernenden AutorInnen und Themen angeboten
wurden, die sie bis dahin nicht kannten. Ein wichtiges
Lernziel war nicht nur das absolut Neue kennenzulernen,
sondern durch vernetztes Denken ein Verständnis und
eine kritische Auseinandersetzung mit geopolitischen
Aktivitäten zu entwickeln. Ein weiteres wichtiges Lehrziel war ein arbeitsteiliger Projektunterricht mit Bezügen
zu anderen Klassen und Gegenständen zu organisieren
und somit eine fächerübergreifende Behandlung des Themas zu gewährleisten. Mit dieser Projektform wollten wir
eine länger anhaltende, lehrkraftunabhängige Gruppenarbeit unterstützen, wo SchülerInnen als verantwortliche
GruppenkoordinatorInnen tätig werden konnten.
2. Inhalte
Um diese Ziele zu verwirklichen, haben wir uns für zwei
inhaltliche Schwerpunkte entschieden. Die Klasse 4a arbeitete zum Magischen Realismus, unter Problematisierung der „Realismus-Dimension“ in der Literatur. Dabei
war es wichtig, dass SchülerInnen verstehen, dass das Magische in den behandelten Büchern als Erweiterung der
Gesellschaftskritik fungiert. Somit war es unerlässlich,
76
auf die politischen Gegebenheiten der Heimatländer der
AutorInnen einzugehen. Die SchülerInnen wählten –
aus vorgegebenen Vorschlägen der Lehrkräfte – sowohl
das Thema als auch die Bücher in jeder Klasse selbst. (Ein
Beispiel: Tony Morrisons Buch suchten jene Schülerinnen aus, die mehr Abstand zum „klassischen“ magischen
Realismus anstrebten.)
Behandelte Werke
In der Klasse 4a wurden die folgenden Romane von
Tschingis Aitmatov (Der Schneeleopard), Isabel Allende (Das Geisterhaus), Gioconda Belli (Bewohnte Frau)
Toni Morisson (Sehr blaue Augen) und Salman Rushdie
(Mitternachtskinder) gelesen.
Im Roman Der Schneeleopard werden zwei Schicksale,
das des unabhängigen Journalisten Arsen Samantschin
und des Schneeleoparden Dschaa-Bars zusammengeführt. Der immer schwächer werdende Dschaa-Bars will
sich „zum Sterben in ein unzugängliches Tal im kirgisischen Hochgebirge zurückziehen“. Parallel zum Untergang des Schneeleoparden wird die Niederlage Arsen
Samantschins erzählt, der „von der Welle des entfesselten Kommerzes in seiner Heimat überrollt [wird]“. (vgl.
Klappentext)
Der Romans Das Geisterhaus stellt eine typische Familiensaga über eine großbürgerliche chilenische Familie dar,
der das Leben der vier Generationen der Familie Trueba mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Chile und
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“
den politischen Ereignissen verbindet. „Es ist eine Chronik der persönlichen und politischen Gewalt sowie des
Kampfes für mehr Gerechtigkeit und eine bessere Gesellschaft“. (vgl. http://www.dieterwunderlich.de/Allendegeisterhaus.htm)
Im Mittelpunkt des Romans Bewohnte Frau steht der
Widerstand gegen den „großen General“. Lavinia, eine
junge Architektin, isst von den Früchten des Orangenbaumes, der vor ihrem Haus steht, und wird vom „Widerstandgeist“ einer indigenen Frau namens Itzá aus dem
16. Jahrhundert beseelt. Itzás Seele wohnt im Baum und
erzählt über frühere Widerstandskämpfe. Diese zwei Erzählstränge werden im Roman miteinander verwoben.
Morrison setzt sich in dem Buch Sehr blaue Augen mit
der Differenz von „Schwarz“ und „Weiß“, mit der Frage
der Ein- und Ausgrenzung und der Suche nach der Identität als Schwarze „in einer schwarz-weißen Welt“. Sie
beschreibt die Verwirrtheit eines kleinen Mädchens, „das
nicht versteht, warum es nicht so blaue Augen hat, wie
die Puppen (die es nicht besitzt) oder wie die Kinder in
der Schulfibel.“ (vgl. Klappentext)
Als Mitternachtskinder werden jene Kinder bezeichnet,
die um die Mitternacht des 15. August 1947 – als Indien die Unabhängigkeit erlangte – zur Welt kamen. Alle
‚Mitternachtskinder‘ verfügen über wundersame Eigenschaften: „mit herkulischer Kraft, der Gabe, unsichtbar zu
werden oder durch die Zeit zu reisen, und überirdischer
Schönheit, die buchstäblich blind macht“. Saleem Sinai,
der Protagonist und Chronist dieser Familiengeschichte,
besitzt die „Fähigkeit, in Herz und Hirn anderer Menschen einzudringen“. (vgl. http://www.amazon.de/Mitternachtskinder-Salman-Rushdie/dp/3426609126)
Die Klasse 4b beschäftigte sich mit Romanen von Mariama Bâ (Ein so langer Brief), Tahar Ben Jelloun (Verlassen)
und Fatou Diome (Der Bauch des Ozeans).
In Mariama Bâ‘s Roman verfasst Ramatoulaye nach dem
Tod ihres Mannes einen langen Brief an ihre beste Freundin Aïssatou. So erzählt sie retrospektiv ihr Leben mit
Modou, die Situation einer enttäuschten Frau, die von
ihrem Mann wegen einer jungen Zweitfrau verlassen
wurde. Das Schreiben fungiert als eine Art „Trauerarbeit“ und als eine intensive Auseinandersetzung mit den
Möglichkeiten, sich zu „emanzipieren“ und zu einer neuen, selbstbewussten weiblichen Identität zu gelangen.
Tahar Ben Jellouns Verlassen erzählt von Jugendlichen,
die nur ein Ziel zu haben scheinen, Tanger Richtung der
spanischen Küsten zu verlassen. Viele von ihnen müssen
PROJEKTE
für diesen Traum sogar sterben, so zum Beispiel Noureddin und seine zwanzig Kameraden, die „bei dem Versuch,
in die ‚Festung Europa‘ hinüberzukommen“, ertranken.
Vom Wegkommen träumt auch Azel, der nach seinem
Jurastudium keine Aussicht auf einen Job hat. Er versucht, durch seinen Geliebten, den spanischen Galeristen
Miguel nach Spanien zu gelangen. Einmal in Barcelona
angekommen, ist der Protagonist jedoch mit Armut,
Korruption und Demütigung konfrontiert. So stellt sich
die Frage, ob sich das Verlassen der marokkanischen Heimat gelohnt hat, oder ob sich auch Spanien als eine andere Art von „Hölle“ erweist. (vgl. http://www.amazon.de/
Verlassen-Tahar-Ben-Jelloun/dp/382700652X)
Der Bauch des Ozeans erzählt von der Sehnsucht senegalesischer Jugendlicher nach Aufbruch und von den
Schwierigkeiten der ImmigrantInnen in Frankreich. Die
Jugendlichen hoffen, durch (illegale) Einwanderung und
Fußballkarriere Wohlstand und Glück zu finden. Die Geschichten werden aus der Sicht einer jungen Immigrantin
erzählt, die ihren Bruder von diesem Weg abhalten, aber
selbst nicht in die starre senegalesische Gesellschaft zurückkehren möchte.
3. Projektablauf im Deutschunterricht
Das Grundprinzip des Projektes war es, dass die Lehrkräfte als Coach in ständiger Bereitschaft den SchülerInnen zur Seite standen, die SchülerInnen waren für ihre
Arbeiten im gesamten Schulhaus verteilt.
3.1 Vorbereitungen
Projektkoordinationssitzungen am Beginn des Schuljahres, Informationen für SchülerInnen und LehrerInnen
3.2 Projektphase
Wahl der Werke, Bildung der Projektgruppen, Bestimmen
der jeweiligen GruppenkoordinatorInnen, Bekanntgabe
der mit den KoordinatorInnen vereinbarten Präsentationsthemen, Lesephase, Recherchephase, Präsentation –
Erstellungsphase, Auseinandersetzung mit dem Bücherkoffer, Präsentationen der Ergebnisse, Diskussionen im
Klassenverband, klassenübergreifende Debatte.
Arbeitsschritte in der 4A „Magischer Realismus“
Schritt 1
Den Schülerinnen und Schülern stellte die Lehrkraft kurz
die Inhaltsfragmente der Werke aus der Vorschlagsliste
zum „Magischen Realismus“ vor. Die Lehrkraft diskutierte mit der ganzen Klasse die semantische Dimension des
77
PROJEKTE
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“
Gebrauchs des Realismus Begriffs in der Literatur (mit
Arbeitsblatt mit verschiedenen Zitaten aus Fach-Lexika
und Sekundärliteratur).
Schritt 2
Die Schülerinnen und Schüler entschieden sich gemäß
ihren Interessen für ein Werk und bildeten dann jeweils
eine arbeitsteilige Kleingruppe zu dem ausgewählten
Werk. Gewählt wurden Tschingis Aitmatows Der Schneeleopard, Isabel Allendes Das Geisterhaus, Gioconda Bellis
Bewohnte Frau, Tony Morrisons Sehr blaue Augen und
Mitternachtskinder von Salman Rushdie.
Die Kleingruppen erhielten jeweils zwei Exemplare „ihres
Buches“. Sie wählten unter sich ein/e GruppenkoordinatorIn, die mit der Lehrkraft die anstehenden Aufgabenmöglichkeiten besprach. Sie/ er hat im Folgenden nach
einem von der Lehrkraft vorgegebenen Zeitplan die Arbeit der Kleingruppe je nach Mitgliederzahl kontrolliert
und eingeteilt. Die Lehrkraft musste im Laufe fortan nur
sporadisch in den Ablauf des Projektes eingreifen.
Schritt 3
Die SchülerInnen sollten jeweils zwei Referate mit entsprechenden Präsentationsmedien (PowerPoint) vorbereiten, um der ganzen Klasse den Autor/ die Autorin, das
Werk, die soziale, wirtschaftliche und politische Situation der Länder, aus denen die Schriftsteller und Schriftstellerinnen stammen, vorzustellen. Erwartet wurde eine
Recherchephase der Schülerinnen und Schüler im Internet. Die Präsentationen sind dann durch die Lernenden
im Klassenverband kritisch und vergleichend diskutiert
worden.
Schritt 4
Bei der Schularbeit ist in einer der Aufgabenstellungen
ein Problemaufsatz gewesen, wo die Sinnhaftigkeit der
Auseinandersetzung mit der Literatur, die unter der
Überschrift „Magischer Realismus“ zusammengefasst
wird, zu behandeln war. Einige der Schülerinnen und
Schüler beschäftigten sich kritisch mit dieser Art des Projektunterrichts. Dies diente der Lehrkraft als zusätzliches
Feedback.
Dann sollten innerhalb der Gruppe im Entscheidungsprozess die gemeinsamen Schlüsselwörter bestimmt
werden, die an die Tafel zu notieren waren. Und dann
durfte jede Schülerin und jeder Schüler Gedichte nach
der Schlüsselbegriffsliste verfassen, durch welche sie sich
angesprochen fühlten. Die Lernenden schrieben jeweils
2-3 Kurztexte.
Der Schneeleopard
Ein starker Jäger warst du mal
Nun bist du ganz kahl
Niemand will dich nun mehr
Sie ziehen dich aus dem Verkehr
Ganz allein bist hier und jetzt
Und keiner hat mehr Respekt
Du fühlst dich so leer
Alles fällt dir so schwer
Drum finde den Tod
Das sei dir dein Lohn
(Bettina Friedinger)
Gedicht zu: Mitternachtskinder
Wenn die Uhr Mitternacht schlägt
Und sich der Zeiger für einen Moment nicht bewegt.
Merkt nicht nur jedes Kind
Mit welcher Wucht der Uhrturm schwingt
Und die Magie entschwindt
(Viola Schausberger)
Schritt 7
Als Hilfe für die Präsentation des Projektes in Klagenfurt,
suchten SchülerInnen in Partnerarbeit nach geeigneter
Visualisierung des im Weltliteraturprojekt Erlebten. Die
Klasse 4a hat verschiedene Visualisierungsversuche bzw.
Bilder als Befindlichkeitszeichen ausprobiert.
Schritt 5
Nach dem Kennenlernen des Bücherkoffers erhielten
Schüler und Schülerinnen die Aufgabe, in einer kurzen
Erörterung die mehr oder weniger ansprechende Aufmachung, Design und Klappentext zu thematisieren.
Schritt 6
Dann produzierten die Schülerinnen und Schüler kreative lyrische Texte. Die Mitglieder der jeweiligen Gruppen
sollten jeweils 5 Schlüsselwörter für „ihr“ Werk finden.
78
Abb.1.
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“
3.3 Abschluss
Schritt 8
Zum Feedback diente auch eine Debatte zwischen den
beiden am Projekt beteiligten Klassen über die beiden
inhaltlichen Bereiche der Weltliteratur (Begegnung mit
afrikanischer Kultur und „Magischer Realismus“).
4. Aufgabenstellung im Gegenstand MBBA.
Reflexion einer Schülerin
In diesem Jahr haben wir Gestaltungsmöglichkeiten mit
typografischen Mitteln erarbeitet. Im Zuge des Weltliteraturprojektes, wurden wir aufgefordert auf Basis der
Buchinhalte neue Buchcover zu gestalten. Grundanforderung war, dass wir mit Schrift arbeiten und Bilder gestalten, die in direktem Zusammenhang mit einem Kernthema der jeweiligen Geschichten stehen. Vorzugsweise
sollten wir mit Adobe Illustrator arbeiten, es wurde aber
auch Photoshop verwendet. Wir haben uns für das Buch
„Verlassen“ von Tahar Ben Jelloun entschieden, in dem
es um die Frage geht, wie man den Traum eines neuen
Lebens in einem anderen Land aufbauen kann. Dieser
Traum wird aber durch Probleme wie Drogen, Prostitution und Abhängigkeit gegenüber einer anderen Person
zerstört.
PROJEKTE
Titelbilddesign – Verlassen
Das Bild wollte ich so designen, dass es den Inhalt des
Buches wiedergibt. Viele Menschen in Marokko versuchen zu flüchten. Sie haben die Hoffnung auf eine bessere
Zukunft. Ich habe versucht, den Wunsch nach Freiheit
darzustellen, in dem ich mit hellen Farben gearbeitet
habe und durch Diffusion der Eindruck eines Blickes in
die Ferne vermittelt wird. Im rechten unteren Bildteil
sieht man noch eine Stadt, nach meiner Intention sollte
es die Heimatstadt darstellen. Das Meer ist, wie im Buch
beschrieben, die Meerenge Gibraltars, am Horizont ist
bereits das Festland Spaniens zu erkennen.
Die Farben sind in Blau-, Grau- und Brauntönen gehalten. Ich finde es passend für dieses Thema, leichte und
luftige Farben zu verwenden. Im Vordergrund sind sie
kräftiger und sie werden nach hinten heller. Ich habe
sehr überlagernd gearbeitet und die Farben nie auf volle
Deckkraft eingestellt.
Der typografische Teil meiner Arbeit besteht aus den
Wörtern, die das Bild aufbauen und der Überschrift. Ich
habe versucht, die Typografie als malerischen Aspekt in
die Arbeit einzubringen und habe probiert, einzelne Abschnitte aus Wörtern zu erstellen oder zu hinterlegen. So
sollten im Meer die Wellen durch verschieden große „Verlassen“ zum Ausdruck gebracht werden. Verschiedenste
Grün- und Blauschattierungen sollen die Unterschiede
der Meerestiefen zeigen. Selbst die kleinen Boote bestehen zur Gänze aus Buchstaben. Nach oben hin, Richtung
Himmel, wird alles noch heller, bis auf den Buchtitel. Der
Name des Buchautors ist mit Gaußschem Weichzeichner
bearbeitet, um eine Art Wolkeneffekt zu erzielen.
5. Evaluation des Projekts
 Zeitspanne unterschätzt (schon alleine der
Auswahlprozess dauerte einige Einheiten)
 GruppenkoordinatorIn – erwies sich als sehr gute
Idee, die einzelnen KoordinatorInnen waren zuverlässig, genau, termintreu und sehr konsequent.
 Moodle – keine allgemeine Zufriedenheit, daher
im Laufe des Projekts damit aufgehört
 Die Idee, verschiedene Arten kreativer Texte als
Ausdrucksmöglichkeit anzubieten, erwies sich als eine
interessante Variante der Auseinandersetzung mit den
Themen der gelesenen Bücher.
 Die Visualisierungen waren eine wichtige Erweiterung
der Möglichkeiten, sich emotional auf die kritischen
Themen des Gelesenen einzulassen.
Abb. 2.
79
PROJEKTE
Begegnung mit afrikanischen AutorInnen und dem „Magischen Realismus“
 Bücherkoffer und die Reflexion über die Gründe,
welche Bücher für die LeserInnen ansprechend wirken,
vertieften die Auseinandersetzung mit dem Phänomen
„Literatur“.
 Die Debatte der VertreterInnen der beiden Klassen
erwies sich als ein interessanter Abschluss des Projekts
„Weltliteratur“ und ein Anlass für die TeilnehmerInnen, sich klarzuwerden, was die thematische Spezifizierung beim Projekt Weltliteratur für den/ die einzelne
bedeutet hat.
6. Fazit
Trotz der arbeits- und vorbereitungsintensiven Projektarbeit ist es zweifellos gelungen, nachhaltig den SchülerInnen die Auseinandersetzung mit dieser Art der Literatur
der Welt vorzustellen. Die SchülerInnen können nun literarische Werke in einem größeren – auch politischen und
geografischen – Zusammenhang sehen und sind besser
darauf vorbereitet, die eigene Kultur kritisch zu rezipieren, bzw. mitzugestalten. Die Schülerinnen und Schüler
der HBLA für künstlerische Gestaltung, werden im Rahmen der Abschlussprüfung, also der Reife- und Diplomprüfung, auch eine praktische Projekt - Abschlussarbeit
(Objekt-Bild-Medien) erarbeiten müssen. Dazu gehört
die Einordnung ihres Werks in die kulturelle Umgebung,
in der sie leben, sowie eine Kunstgeschichtsprüfung. Die
Beschäftigung mit der Welterfahrung und einigen Problemen anderer Länder hat sie zur Hinterfragung ihrer für
selbstverständlich gehaltenen Erfahrungswelt gebracht.
Sicherlich wird die teilweise kritisch hinterfragende Reflexion aus diesem Projekt, welche die Lehrkraft beobachten konnte, nachhaltig ihre Sicht beeinflussen.
Abb. 3.
Literatur
Tschingis Aitmatow (2007): Der Schneeleopard. Aus dem Russ. von
Friedrich Hitzer. Zürich: Unionsverlag.
Isabel Allende (1987): Das Geisterhaus. Aus dem Span. von Anneliese
Botond. 32. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Gioconda Belli (1992): Bewohnte Frau. Aus dem nicaraguanischen
Span. von Lutz Kliche. 9. Aufl. München: Dt. Taschenbuch-Verlag.
Tony Morrison (1990): Sehr blaue Augen. Übersetzt von Susanna
Rademacher. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Salman Rushdie (1983): Mitternachtskinder. Aus dem Engl. von
Karin Graf. München [u.a.]: Piper.
80
PROJEKTE
Über die Vielfalt der literarischen Möglichkeiten
am Beispiel von Bücherkoffern
Eine wesentliche Voraussetzung, Weltliteratur im Unterricht einzusetzen,
ist die Kenntnis der Literatur und der Zugang zu ihr. Dies war der Grund,
warum wir zwei Bücherkoffer, jeweils für die Sekundarstufe I und II, zusammenstellten und zwischen den Projektschulen zirkulieren ließen. Denn
es ist derzeit nicht zu erwarten, dass Schulbibliotheken über die erforderliche Auswahl verfügen.
Dafür verfügen BibliothekarInnen über das besondere Know-How für den
Einsatz von und den Umgang mit Büchern. Sie beraten nicht nur bei der
Auswahl von Lesestoff, sie geben auch Lehrkräften didaktische Anregungen, dokumentieren die Auswahl und den Einsatz von Büchern und tragen
somit dazu bei, dass das Wissen über die Rezeption von Texten nicht verloren geht. In dem vorliegenden Beispiel setzt die Bibliothekarin, Ulrike
Kraßnitzer, auch eigene Aktivitäten, um zur Lektüre anzuregen. Bei der
Organisation der Leserallye und bei der Zusammenstellung des Fragebogens haben SchülerInnen mitgeholfen und somit eine ganz andere Leseerfahrung gemacht.
Diesem Bericht ist ein weiterer Bericht von Brigitte Schulte gegenübergestellt, wie Bücherkoffer zur Weltliteratur gezielt in der Fortbildung eingesetzt werden. Das Motto, „Ein Koffer voller Geschichten“, könnte auch für
die Bibliotheksarbeit gelten. Denn immer noch ist das beste Mittel, zum
Lesen zu „verführen“, die Bereitstellung von geeignetem Lesestoff in einer
Fülle, die verspricht, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist.
Diese klassischen didaktischen Methoden kann sich auch der Unterricht
über Weltliteratur zu eigen machen – umso mehr, als die Vielfalt der Weltliteratur nicht nur wissenschaftlich interessant und didaktisch relevant ist,
sondern auch ein ungeahntes Lesevergnügen darstellt.
81
PROJEKTE
Ulrike Kraßnitzer
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
STECKBRIEF
Das Projekt
Weltliteratur Bibliotheksrally
Schule
Musikmittelschule
MHS Hasnerschule, Klagenfurt
Klasse / SchülerInnen
4a und 4b (24SchülerInnen)
Teilnahme Ralley
7 Klassen der 6.-8. Schulstufe
Projektleitung
Ulrike Kraßnitzer
1. Einführungsphase – Kennenlernen der zur Verfügung
stehenden Literatur
Den Ausgangspunkt und die Grundlage unseres Projektes, eine Weltliteratur-Bibliotheksrallye in der Bibliothek
unserer Schule zu organisieren, bildete der so genannte
„Bücherkoffer“, der von den LeiterInnen des Projekts
„Sich in die Welt hinaus lesen“. Weltliteratur im Unterricht zusammengestellt wurde. Der Bücherkoffer für die
Unterstufe beinhaltete ins Deutsche übersetzte Werke
(Comics, Bilderbücher, Anthologien, Romane) aus der
Literatur des Südens und „wanderte“ im Laufe des Gesamtprojektes von Schule zu Schule nach einem festgelegten „Fahrplan“. Der Bücherkoffer weilte in unserer Schule von Oktober bis November, so dass die Rallye an zwei
Projekttagen im November (24-25. November 2011)
durchgeführt werden konnte. Da es aber notwendig war,
dass die SchülerInnen, die die Rallye organisierten, sich
mit den Büchern schon vorab vertraut machen konnten,
haben wir mit der Planung des Projektes bereits im Juni
2011 im Rahmen des Deutschunterrichtes begonnen.
In diesem Sinne erhielten wir vor den Sommerferien einen Teil der Bücher aus dem „Bücherkoffer“ der Unterstufe. So hatten wir Gelegenheit, die Bücher kennen zu
lernen, uns mit den wichtigsten Themen der Bücher zu
beschäftigen und Gedanken über die Fragen der Rallye
zu machen. Mein Ziel war es, den SchülerInnen diese
nicht so alltägliche Literatur näher zu bringen, ihr Verständnis für andere Kulturen und Länder zu stärken, die
Beschäftigung mit speziellen Themen (Sklaverei, Dikta82
tur, etc.) zu ermöglichen und natürlich die Beschäftigung
mit Büchern an sich zu fördern. Der Bücherkoffer und
die dazu geplante Rallye bot dabei die Möglichkeit, sich
auf eine lustvolle Weise mit Büchern auseinanderzusetzen, und bevorzugte einen Umgang, der zu einer erhöhten Lesemotivation beiträgt und auch die Freude am Lesen fördert.
Abb. 1.
Um die Arbeit mit den Büchern zu erleichtern, habe ich
folgende Vorgangsweise gewählt: Jeweils zwei SchülerInnen schmökerten in einem Buch und stellten es den
MitschülerInnen in Kurzform vor (Autor, Titel, Thema,
kurze Leseprobe). Danach wurden die Bücher getauscht
und jeder erhielt die Gelegenheit, sie kennen zu lernen.
Manche Bücher (z.B. Der Aufsatz von Antonio Skarmeta) habe ich den SchülerInnen auch vorgelesen.
Somit waren das Interesse und auch die notwendige Begeisterung zur Durchführung des Projekts geweckt.
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
2. Das Projekt
Unser Ziel war es, einen Bibliotheksrallyebogen, d.h.
einen Fragebogen mit Fragen zu den ausgewählten Büchern aus dem Unterstufenpaket, für die Klassen unserer
Schule zu erarbeiten (Literaturliste s. Anhang).
3. Der Projektablauf im Unterricht und in der Bibliothek
In den Wochen vom Projektbeginn bis zur Durchführung
der Bibliotheksrallye haben wir in den vier Wochenstunden Deutsch schwerpunktmäßig (so viel wie möglich)
für das Projekt gearbeitet. Viele Stunden wurden von mir
in der Bibliothek durchgeführt, da sie ideale räumliche
Bedingungen zum Erarbeiten unseres Projekts anbietet.
Dabei verlief die Arbeit in folgenden Schritten:
3.1 Kennenlernen der Bücher & Ausarbeiten
möglicher Fragen in Kleingruppen
In dieser Phase haben sich jeweils zwei SchülerInnen
intensiver mit je einem Buch beschäftigt und es für die
Klasse vorgestellt.
Zusätzlich haben sie mögliche Fragen für den Rallyebogen, bezogen auf das jeweilige Buch, ausgearbeitet. Mein
Hinweis davor war, dass sie versuchen sollten, möglichst
viele verschiedene Fragen zu entwickeln. Bedingungen
für die Fragestellungen:
 Durchführbarkeit für die teilnehmenden SchülerInnen
 Einbeziehen von Nachschlagewerken (Lexika),
die in der Bibliothek zur Verfügung stehen
 Einbau spielerischer Elemente (z.B. Balancieren
eines Buches)
PROJEKTE
(Buchumschlag, Klappentext, Haupttext, Impressum,
Illustratoren, Autor). Nicht zuletzt mussten sie auch
entscheiden, welche „Textstellen“ informativ genug sind,
um in den Rallyebogen aufgenommen zu werden. Dies
setzt wiederum voraus, dass sie sich mit dem Text intensiv auseinandersetzen und den Text immer wieder nach
geeigneten Textstellen sichten. In diesem Sinne werden
verschiedene Lesemodi und Lesestrategien (extensives,
intensives, globales Lesen) geübt.
3.2 Auswählen der Fragen für den Rallyebogen
Aus allen, in der Kleingruppe ausgearbeiteten Fragen
haben wir gemeinsam die besten ausgewählt (siehe Anhang). Unser Ziel war es, möglichst viele verschiedene
und möglichst passende Fragen auszuwählen, damit man
auch als Teilnehmer/in wenigstens ein wenig die Hauptthematik des jeweiligen Buches kennenlernt.
Das Erstellen des Rallyebogens am PC war für die SchülerInnen ebenfalls eine Herausforderung. Und natürlich
musste ein Kontrollbogen mit den Antworten erstellt
werden. Schließlich wurde auch eine Urkunde für die
Teilnehmer an der Rallye angefertigt.
3.3 Gestaltung der Einladung für die
teilnehmenden Klassen
Neben der Erstellung des Fragebogens sollte in einem
weiteren Schritt auch die Einladung für die teilnehmenden Klassen gestaltet werden.
Tipp:
Die folgenden Bücher eigenen sich gut, sie vergleichend zu
behandeln:
 Kariuki… & Das Heft meines Freundes
 Der Adler, der … & Der Aufsatz
 Der kleine blaue Junge & Vogelauge
 Stefanos weite … & Ein neues Land
Diese Aufgabe fordert SchülerInnen auf verschiedene
Weise heraus: Einerseits müssen sie sich in die Perspektive der anderen SchülerInnen hineinversetzen, die während der Rallye keine Zeit haben, sich vertieft mit den
Büchern zu beschäftigen. Deswegen sollten sie vor allem
nach solchen Details fragen, die zwar leicht zu beantworten sind, die jedoch trotzdem mit den Tätigkeiten
„lesen“, „Informationen suchen“, „schreiben“ etc. verbunden sind. So haben die SchülerInnen auch lernen müssen,
aus welchen „Bestandteilen“ eigentlich ein Buch besteht
Abb. 1.
3.4 Begleitung der Rallye
In der Bibliothek wurden mehrere Stationen geschaffen,
Orte, die mit Hilfsmitteln (Bücher, Lexika u. Ä.) versehen waren. Bei jeder Station gab es ein Stationenteam,
das verschiedene Aufgaben hatte (z.B. Austeilen / Korrigieren der Bögen, Hilfestellung, Betreuung der einzelnen
Stationen, Urkunden-Schreiben). Pro BesucherInnenGruppe wurde eine Stunde als Durchführungszeitraum
angesetzt, diese zwei Tage waren Projekttage.
83
PROJEKTE
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
4. Reflexion des Projektes
Unser Angebot wurde gerne angenommen, es haben
sieben Gruppen an der Bibliotheksrallye teilgenommen, und die TeilnehmerInnen haben sich größtenteils
bemüht, alle Lösungen zu finden. Auch das Echo war
sehr positiv. Mein Ziel, u.a. durch den spielerischen Umgang eine doch recht intensive Beschäftigung mit den
jeweiligen Büchern zu erreichen, ist durchaus gelungen.
So haben alle TeilnehmerInnen vom Projekt profitiert.
Das sieht man daran, dass den SchülerInnen die behandelten Themen, wie z.B. Diktatur, Sklaverei, Migration
bewusster geworden sind, dass sie gemerkt haben, dass
nicht in allen Ländern ein solch unbeschwertes Leben
wie bei uns in Österreich möglich ist. Außerdem konnte
ich beobachten, dass das Verständnis für die in den Büchern dargestellten Probleme größer geworden ist. Vieles
wurde den SchülerInnen durch das Lesen erst so richtig
bewusst. (Ungerechtigkeiten in der Behandlung, Kulturunterschiede, Gefahren einer Diktatur u.a.). Neben der
Sensibilisierung der SchülerInnen für diese spezifischen
Themen ist der Vorzug dieses Projektes, dass alle teilnehmenden Kinder sich mit Büchern befassen konnten, die
nur selten im Regelunterricht behandelt werden. Dabei
haben sie nicht nur neue Themen kennen gelernt, sondern auch ihre Lesekompetenzen auf verschiedene Weise
geübt: das Nacherzählen des Inhalts eines Buches und
das Präsentieren für andere; das freie Erzählen anhand
bestimmter Bilder (z.B. anhand des Bilderbuchs von
Schaun Tan); das Suchen nach Informationen im Klappentext, im Haupttext oder im Lexikon; das Gestalten
mit Hilfe des Computers. Die Bücher stellten darüber
hinaus eine breite Palette an Gattungen bereit: ein besonderes Buch, wo die Geschichte in Bildern erzählt wird,
eine japanische Manga, afrikanische Comics und andere
Bilderbücher waren neben Jugendromanen zu finden –
auf diese Weise konnten die SchülerInnen viele verschiedene literarische Formen kennenlernen.
Literatur
Ghazi Abdel-Qadir (1998): Die sprechenden Steine. Weinheim/
Basel: Beltz & Gelberg.
Marguerite Abouet (2006): Aya. Hamburg: Carlsen Verlag.
James Aggrey (1998): Der Adler, der nicht fliegen wollte.
Wuppertal: Peter Hammer Verlag.
Maria Teresia Andruetto (2003): Stefanos weite Reise. Zürich:
Atlantis, Orell Füssli
Kim Yong Ik (21989): Vogelauge. Göttingen: Lamuv Verlag
Fatou Keita/ Olivia Aloisi (1999): Der kleine blaue Junge. Berg am
Irchel: Kik-Verlag.
Taha Khalil (1998): Das Heft meines Freundes. Zürich/Frauenfeld:
Verlag Nagel & Kimche.
Namioka Lensey (2004): Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt.
Weinheim/Basel: Beltz & Gelberg.
Maja Mwengi (1996): Kariuki und sein weißer Freund. Göttingen:
Lamuv Verlag.
Antonio Skarmeta (2003): Der Aufsatz. Hamburg: Dressler.
Jiro Tamiguchi (2006): Vertraute Fremde. Hamburg: Carlsen Verlag.
Schaun Tan (2008): Ein neues Land. Hamburg: Carlsen Verlag.
Jose Mauro de Vasconcelos (22010): Mein kleiner Orangenbaum.
Stuttgart: Urachhaus
Dolf Verrouen (2005): Wie schön weiß ich bin. Wuppertal: Peter
Hammer Verlag.
84
PROJEKTE
Brigitte Schulte
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“
Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als
Ausgangspunkt für Leseförderung, literarisches und globales
Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe
STECKBRIEF
Das Projekt
Ein Koffer voll Geschichten
SchuleBerlin, regionale
Lehrerfortbildung
Klasse / SchülerInnen
für die Sekundarstufe I.
Teilnehmende FächerDeutsch
Projektleitung
Brigitte Schulte
Angeregt durch die Fortbildung „Sich in die Welt hinaus lesen“ bieten wir im Rahmen der regionalen Fortbildung Berlin für Schulen der Sekundarstufe 1 (7. bis 10.
Schulbesuchsjahr) seit November 2011 als Maßnahme
der Leseförderung Bücherkoffer mit Jugendbüchern zum
Thema „Aufbruch in fremde Welten“, die zusammen mit
Belgleitmaterialien entliehen werden können. Bei Interesse besteht darüber hinaus die Möglichkeit zu begleitenden Fortbildungsangeboten. Der Koffer wurde von
November 2011 bis Juni 2012 von vier Klassen genutzt,
außerdem fanden in zwei Schulen schulinterne Lehrerfortbildungen statt.
1. Der Bücherkoffer – Materialien und Projektideen für den
Unterricht
1.1 Zur literatur- und lesedidaktischen Konzeption
Der Bücherkoffer enthält die im Anhang aufgeführten
Jugendbücher, die jeweils eine Reise in ein fremdes Land
sowie eine interkulturelle Begegnung thematisieren. Die
Gründe, die zu einer solchen Reise führen, sind unterschiedlich: Arbeitsmigration, Forschungsexpedition,
politisches Asyl, Reise, phantastisches Abenteuer, Verbannung als Strafe etc.; die Herkunfts- und Zielländer
unterscheiden sich ebenfalls. Jedes Buch stellt die persönliche Entwicklung und Veränderung eines oder mehrerer
junger Menschen in diesen kulturellen Kontaktsituationen dar. Stilistisch gesehen geht damit eine multiperspektivische Betrachtung einher, die sich in jedem Buch wie-
derfindet. Die Leserinnen und Leser werden also zu einer
Reise eingeladen, die sie auf unterschiedlichste Weise mit
Fremdheit konfrontiert, es ermöglicht, Sachverhalte aus
verschiedenen Blickwinkeln wahrzunehmen, aber auch
Empathie durch Identifikation mit den Hauptfiguren zu
entwickeln. Auch die Qualität der Begegnung ist unterschiedlich. Zwar stellt jedes Buch Konflikte und Missverständnisse dar und behandelt Ereignisse aus der Sicht
unterschiedlicher Personen. Insgesamt gesehen dominieren jedoch freundschaftliche Kontakte, die vorgefertigte
Eindrücke überwinden helfen.
Die Bücher unterschieden sich nicht nur thematisch,
sondern sind auch unterschiedlich lang und unterschiedlich anspruchsvoll, sodass die Jugendlichen nach Interesse und Lesekompetenz gezielt auswählen können.
Das Angebot versucht damit heterogenen Lerngruppen
gerecht zu werden und dient der individuellen Lektüre.
Von jedem Buch gibt es zwei bis vier Exemplare im Bücherkoffer.
1.2 Die Ausstellung – Literatur und Lebenswelt
Zusammen mit dem Bücherkoffer wird die Ausstellung
„ein Koffer voller Geschichten“ des Berliner entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrums
(EPIZ) als Angebot für den Deutsch-, Ethik-, Religions- oder Sozialkundeunterricht mit begleitenden Materialien ausgeliehen. Die 10 Ausstellungstafeln stellen
jeweils die persönliche Migrationsgeschichte eines Neuberliners oder einer Neuberlinerin in den Mittelpunkt.
85
PROJEKTE
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“.
Die Romanthemen des Bücherkoffers und die Einwanderungsgeschichten der Ausstellung entsprechen sich; in
jeder autobiografischen Migrationsgeschichte steckt sozusagen ein Erzählkern, der ausgestaltet werden könnte.
Durch die parallele Behandlung erfolgt eine Aufwertung
persönlicher Migrationserfahrungen, zudem kann der
lebensweltliche Bezug, der entsteht, wenn Schülerinnen
und Schüler ausgehend von den Ausstellungstafeln über
familiäre Migration berichten, eine Brücke zu den Jugendbüchern bauen. Darüber hinaus eröffnet das Material die
Möglichkeit eines fächerübergreifenden Unterrichts und
die Auseinandersetzung mit verschiedenen Textsorten.
Im Unterricht können vielfältige Bezüge zwischen den
Büchern und der Ausstellung hergestellt werden – von
der Anregung, eine ähnliche Ausstellung über die Bücher
für die Schule zu gestalten bis hin zu eigenen Interviews
anhand der Leitfragen der Ausstellung und deren Ausgestaltung als Transferprojekt.
1.3. Projektideen für den Unterricht mit dem Bücherkoffer
 Ein Portfolio anlegen und einen Vorleseabend mit
Buchempfehlungen durchführen.
 Erinnerungskästen zu den Büchern gestalten und in
der Schule präsentieren; ein Lebensmotto für die
Hauptperson formulieren.
 Schlüsselszenen aus den Büchern z.B. zum Thema
„Gründe für den Aufbruch“, „Ankunft im fremden
Land“, „Missverständnisse und Konflikte“, „Schlüsselerlebnisse“ den MitschülerInnen vorspielen und kommentieren.
 Eine Ausstellung zu den Büchern in Anlehnung an
die Ausstellung „Ein Koffer voller Geschichten“ für die
Schule gestalten.
 Eine eigene Befragung durchführen:
- Die Schülerinnen und Schüler führen Interviews in
ihrer multikulturellen Umgebung /Schule durch und
befragen Menschen mit Migrationshintergrund, weshalb sie sich für ein Leben in Berlin entschieden haben,
welche Befürchtungen und Erwartungen damit verbunden waren etc.
- Sie machen sich als „Geschichtensammler“ auf die
Suche nach Geschichten, Märchen u.Ä., die für die
Kindheit der Befragten besonders prägend waren.
2. Ergebnisse – Schülerstimmen
Wie sieht die konkrete Arbeit in den Klassen aus?
In zwei achten Sekundarschulklassen wurde der Bücherkoffer zur individuellen Lektüre genutzt, die Schüler haben Buchvorstellungen vorbereitet, die im Rahmen einer
86
Adventsfeier Mitschülern und Eltern präsentiert wurden.
Eine andere Sekundarschule plant ein fächerübergreifendes Projekt für die 7. Klasse zwischen Deutsch, Ethik und
Kunst:
 Im Ethikunterricht beschäftigen sich die SchülerInnen
ausgehend von der Ausstellung mit der Frage: Wer bin
ich? Woher komme ich?
 Im Deutschunterricht lesen die SchülerInnen nach
persönlichem Interesse ein Jugendbuch und planen
eine Präsentation inhaltlich.
 Im Kunstunterricht bereiten sie eine mediale Präsentation durch Erzählkisten, Stabpuppen oder Comics vor.
Die Arbeit einer 10. Gymnasialklasse mit einem hohen
Anteil an SchülerInnen mit Migrationshintergrund (ca.
70%) wird im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt.
Hier haben die Schülerinnen und Schüler zunächst,
ausgehend von der Ausstellung, persönliche familiäre
Migrationsgeschichten thematisiert. Interessant ist die
Geschichte von Firas, der zunächst von seinem Vater berichtet:
„Mein Vater ist gebürtiger Syrer und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Mein Vater ist einer von sechs Kindern, mein Opa väterlicherseits ist, als mein Vater noch
sehr klein war, gestorben. Seit dem achten Lebensjahr
arbeitete mein Vater auf dem Basar und verkaufte Luftballons. Er musste damit einen Teil für das Leben seiner
Familie beisteuern. Den anderen Teil brauchte er, um seine Schule zu finanzieren.“1
Anschließend beschreibt er eigene Urlaubserfahrungen
in Damaskus:
„…Ich konnte zwar kein Arabisch sprechen, doch ich
fühlte mich in der Stadt sehr wohl. Ich habe mit meinen
unzähligen Verwandten, von denen ich bis dahin nur
gehört habe, einen Teil des syrischen Landes bereist […]
Was mich an diesem Land am meisten beeindruckte, war
die arabische Mentalität. Ich kannte bis dahin nur die
deutsche Mentalität und die Vorurteile gegenüber den
Arabern […]. Die Vorurteile waren recht allgemein, dafür
aber umso schlimmer. Manche denken, dass alle Araber
Terroristen und frauenfeindlich sind. Aber diese extreme
Lüge wurde mir in Syrien widerlegt. Natürlich gab es da
und dort ein wenig Ungerechtigkeit gegenüber Frauen.
Aber so traurig es klingt, in welcher Kultur gibt es das
nicht?“
Nach dieser Einstiegsphase wählen die SchülerInnen einen Jugendroman nach persönlichem Interesse aus und
legen lektürebegleitend ein Portfolio an. Firas wählt Die
Sehnsucht der Schwalbe2 des deutsch-syrischen Autors
Rafik Schami.
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“
Seine persönliche Geschichte prägt auch seine Rezeptionserfahrung und bildet eine Brücke zwischen Literatur
und Lebenswelt. In seiner Abschlussreflexion schreibt
er:
„Die Geschichte von Rafik Schami ist eine sehr bewegende. Als ich das Buch las, erinnerten mich viele Stellen an
meine Zeit in Damaskus. Nicht nur der Satz „Damaskus
ist die schönste Stadt der Welt“ rief die tollen Wochen
in mein Gedächtnis zurück. Auch viele weitere Stellen
ließen mich in meinen Erinnerungen schweben. […] Viele Ereignisse in dem Buch ließen mich an meinen Vater
denken. Ich sehe einige Parallelen zwischen Lufti und
meinem Vater. Diese Gründe sind dafür verantwortlich,
weshalb mich die Geschichte so berührt. [...] Abschließend lässt sich sagen, dass das Buch sehr empfehlenswert
ist, weil es viele heutige Streitfragen anspricht und gleichzeitig gute Lösungsansätze bietet.“
Auch Anh und Franziska wählen den Roman Die Sehnsucht der Schwalbe. Ihre Abschlussreflexion zeigt, dass die
Leseprozesse der beiden Schülerinnen sehr unterschiedlich verlaufen. Anh, die aus Vietnam stammt, kann sich
mit Lufti, der Hauptfigur des Romans, der zwischen
Deutschland und Syrien pendelt und in der Zwischenwelt des Frankfurter Flohmarkts seine Heimat findet,
identifizieren. Für sie stehen Fragen der kulturellen Identität und Hybridität im Vordergrund. Für die deutsche
Schülerin Franziska hingegen ist ein Gefühl der Fremdheit bei der Lektüre prägend. Sie sieht Deutschland aus
einer ungewohnten Außenperspektive, wird zu Selbstund Fremdreflexion angeregt und entwickelt Empathie,
als sie beim Lesen in die Perspektive eines Ausländers in
Deutschland schlüpft.
Für Anh waren die Gefühle Luftis gut nachzuvollziehen,
da auch sie das Gefühl der Zugehörigkeit zu mehreren
Orten oder in manchen Momenten zu gar keinem Ort
gut kennt. Franziska fand besonders die fremde Sichtweise auf Deutschland und das Verhalten der Deutschen
aufschlussreich. Auch wie es Ausländern in Deutschland
geht, war etwas Fremdes, das ihr so leichter verständlich
wurde. Besonders schön fanden sie beide die Vorstellung,
dass Lufti seine Heimat auf dem Flohmarkt „Babylon“
gefunden hat. Der Flohmarkt schien ihnen wie eine multikulturelle „Insel“ inmitten der Fremde, die Geborgenheit und Zugehörigkeit ausstrahlte3.
PROJEKTE
hörigkeit ausstrahlte“. Damit wird deutlich: Der Roman
beschränkt sich nicht darauf, zwei Kulturen im Sinne eines „entweder – oder“ gegenüberzustellen, sondern zeigt
Überschneidungen und Synthesen, schafft also einen
möglichen und zugleich utopischen Ort, der Interkulturalität als ein „sowohl – als auch“ begreift und ausgestaltet. Gerade durch diesen transkulturellen Aspekt übt
der Roman auf junge Menschen wie Anh und Franziska,
die beide in einer multikulturellen Umgebung leben, eine
große Faszination aus.
Den Abschluss der Unterrichtseinheit bilden eine von
dem Portfolio ausgehende Buchpräsentation und eine
Reflexion über das Thema „Heimat“. Hier einige Schülerstimmen:
 Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist.
 Heimat ist mein Kiez.
 Heimat ist immer dort, wo man sich wohl fühlt
und nicht fremd ist.
 Heimat sind meine Familie und meine Freunde.
 Heimat ist der Ort, wo man hin will, wenn man
woanders ist4.
3. Zum Schluss
Das Praxisbeispiel verdeutlicht, welche Lernprozesse
über die Entwicklung der Lesekompetenz hinaus durch
den Bücherkoffer angestoßen werden können: Es geht
um die Fähigkeit zu Empathie sowie Selbst- und Fremdreflexion, die von Firas, Anh und Franziska in unterschiedlicher Weise gezeigt werden. Diese Kompetenzen
führen zur Herausbildung und Umstrukturierung eigener Positionen und münden in eine Grundhaltung der
Anerkennung, die gerade für heterogene Klassen mit
Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher kultureller
und sprachlicher Herkunft wesentlich ist.
Alle im Anhang aufgelisteten und in Kurzform beschriebenen Bücher eignen sich ähnlich wie der Roman von
Rafik Schami für ein solches interkulturelles Lernen im
Sinne einer Persönlichkeitsbildung.
Nach diesem so unterschiedlichen Leseprozess finden
sich beide Schülerinnen aber an einem gemeinsamen
imaginären Ort und in einer gemeinsamen Wertvorstellung wieder, nämlich in dem Flohmarkt Babylon, der, wie
sie schreiben, „eine multikulturelle ‚Insel’ inmitten der
Fremde“ zu sein scheint, die „Geborgenheit und Zuge87
PROJEKTE
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“.
Anmerkungen
1 Alle Texte von Firas stammen aus seinem lektürebegleitenden
Portfolio (Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin).
2 Zum Inhalt siehe beigefügte Bestandliste des Bücherkoffers.
3 Auszug aus einem Schülerportfolio
(Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin)
4 Unterrichtsmitschrift (Heinrich-von-Kleist-Oberschule, Berlin)
Literatur
Allende, Isabel (2010): Die Abenteuer von Aguila und Jaguar. Drei
Romane in einem Band. Aus d. Span. von Svenja Becker. 1. Aufl.,
Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Diome, Fatou (2004): Der Bauch des Ozeans. Zürich: Diogenes.
Hosseini, Khaled (2003): Drachenläufer. Aus dem Amerikan. von
Angelika Naujokat und Michael Windgassen. 2. Aufl. Berlin: BerlinVerl.
Kara, Yadé (2003): Selam Berlin. Zürich: Diogenes-Verl.
Na, An (2005): Im Himmel spricht man Englisch. Übers. von
Cornelia Krutz-Arnold. Düsseldorf: Sauerländer.
Siege, Nasrin (1996): Shirin. Weinheim [u.a.] : Beltz & Gelberg.
Schami, Rafik (2002): Die Sehnsucht der Schwalbe. München:
Dt. Taschenbuch Verl.
Zenatti, Valérie (2008): Leihst du mir deinen Blick? Eine Freundschaft zwischen Jerusalem und Gaza. Aus dem Französ. von
Bernadette Ott. München: Dt. Taschenbuch-Verl.
Zaptcioglu, Dilek (1998): Der Mond ißt die Sterne auf. Stuttgart;
Wien [u.a.]: Thienemann.
88
ANHANG
Simone Steharnig
Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos?
SchülerInnen-Texte
Jezero
JAZ-ICH
In mir
alles voll und leer
zugleich
Mein Kopf denkt und denkt
doch mein Herz,
was fühlt es?
Kot jezero, globoko in skrivnostno
na dnu rešitev
Doch wie,
wie kum i durt hin?
Ich versinke in Gedanken,
Träume,
Ängste
Ich bin nahe,
ganz nahe an der Lösung
skoraj na cilju
smer….napačna je!
izčrpana sem
rešim se pritiska
I hobs kschoft
bin wieder do
an der Oberfläche, der Realität
rešitev skrivnosti bo vstala na dnu
jezera,
mojega jezera
Ich govorim
rede pet
fünf Sprachen jezikov
imam habe viele
mnogo ljudi
Menschen v srcu
Herz bei pri meni mir.
Ich rada habe
Mein imam moj Leben
življenje gern.
Če nekaj wenn ich
naredim etwas potem
mache,dann mache
to ich delames z mit
veseljem Freude ali če
oder nekomu wenn
ich pomagam jemanden
helfe,mache to naredim
s ich es srcem mit dem Herzen.
Ich ne maram kann če se nicht
nekdo leiden prepira wenn
sich to pa jemand res streitet in
und če wenn jemand nekdo ne nicht govori
resnico die Wahrheit.
89
ANHANG
Mehrsprachig – Sprachmächtig oder sprachlos?
Meine Identität
Mein Zuhause
C’est pas moi
Ich stehe vor ‘nem off ’nen Tor
Zu vielen verschiedenen Kulturen
Und alle hinterlassen ihre Spuren
Doma sem tam
Kjer prijatlne imam
Comment, ca va?
Je ne sais pas
Weil ich mich selber nicht mehr kenn
Kann ich niemals sagen „je t’aime“
In aj sm shor puzobua
Aj sm v teh letih vse nazaj dobua
Von der Freude und der Höflichkeit
Bin ich stets zu geben bereit
Doch auch mir geht es nicht immer gut
Bei Vorurteiln regiert mich die Wut
Bitte, wer wird schon gern Nazi genannt
Nur weil die Familie lebt im deutschen Land?
Hier habe ich meine Freunde und eine Familie.
Aber auch dort imam prijatelje in družino.
In vsepovsod, kamor pridem, fühle ich mich wohl, doma.
Et encore la langue, où je me sens chez moi.
Die Sprache, que je ne comprends pas tout en entier, die
ich aber fühle.
Wenn ich denke, dann bin ich.
Ko govorim, sem jaz.
Quand j’entends, je suis moi-même.
Kje je moj dom, ou je peux me reposer und so sein kann,
kakor pač sem?
Chez moi je suis là, kjer se počutim razumljeno, verstanden.
Meine Identiteta/Moja Identität
Koroška Slovenka
onekada ist es stvarno težko živjeti in jednoj
zweisprachigen grad.
Ako prićam Deutch,
hoću hrvatski reden,
i ponekada rutscht mi jedan deutsches Wort raus.
Pitam se, zu welcher država dazu spadam.
Živim zwar in Klagenfurt,
i se isto hier dobro fühlen,
ali mein država je Kroatien,
tu pripadam und sam unter Gleichen.
Ipak sind alle moje Freunde u Österreich,
hier sve znam i alles mi se vorkommen vertraut.
U hrvatskoj su aber immerhin moje Verwandten,
to je meine Identiteta.
Bin ich und leb ich,
se včasih počutim
als wäre ich anders,
ker ljudi ne marajo,
mögen slowenisch.
Jaz to ne razumem,
das waren wir alle,
a zdaj zarečujemo,
betrügen Vergangenheit.
Se počutim ujeta,
aber auch überlegen,
ker vem, imam nekaj,
was andere nicht haben.
Ponosna na svojo preteklost
Bin ich. Die anderen
Bodo to tudi spoznali:
„wir sind nicht schlechter,
samo ker smo drugačni“,
Wenn sie das erkennen,
bomo enotni
und endlich werden wir
ponosni in isti!
Der Würfel
Kärnten Koroška
Hier bin ich
Tukaj sem jaz
Um mich herum
Deutsch, slovensko, italiano, english
To je like ein Würfel
Seite um Seite drugače
vielseitig.verschieden.
Jede Seite hat einen anderen Wert
Eine andere Bedeutung
Eine andere Aufgabe
Und dieser Würfel bin ich
Meine Welt ist zweisprachig,
mehrsprachig, vielsprachig
Das me zmede ogni tanto
Doch das bin ich
90
ANHANG
Irene Brunner-Hübner, Sabine Haas, Adelheid Putz
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
Arbeitsblatt „Lust auf Lyrik“
18.10.2011 (Adelheid Putz)
1. Gestalte mit Wörtern aus den Gedichten BILDWÖRTER (Plakat).
Auch Übersetzungen in andere Sprachen sind möglich.
emma, det bästa/Das Beste, Len/ Faulenzer, die tollen walrosse,
das dunkle zimmer, Pomiedzy odplywem mysli/ Ebbe der Gedanken,
Die himmlischen Kleider, Igru sici pjevat, Jak dobrze,
Rosa Blanca/Weiße Rose, Ein Kind singt auf dem Schulweg,
Som ett blommande mandelträd/ Blühender Mandelbaum
2. Verändere das Gedicht. Überlege zunächst Reimpaare für das Zeilenende.
Schreibe in die freien Zeilen nach dem Vorbild von Arne Rautenberg:
emma
wird was gutes schlimmer
bleibe immer emma
hast du keinen schimmer
bleibe immer emma
schickt man dich ins zimmer
bleibe immer emma
klappt was nie und nimmer
bleibe immer emma
Für die 5A:
Schreibe Variationen des Gedichts von Günter Kunerts Auf der Schwelle des Hauses
Auf der Schwelle des Hauses
In den Dünen sitzen. Nichts sehen
Als Sonne. Nichts fühlen als
Wärme. Nichts hören
Als Brandung. Zwischen zwei
Herzschlägen glauben: Nun
Ist Frieden.
91
ANHANG
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
SchülerInnen-Texte
Drogen Emma
von Adrian Epp
Emma
von Christina Styll
Brauchst du Kokain,
bleibe immer Emma.
Schnupfst du Heroin,
bleibe immer Emma.
Nimmst du n’ bisschen Crack,
bleibe immer Emma,
landest dann im Totenbett,
bleibe immer Emma
Hast du einen Blazer
Bleibe immer Emma
Kämpfst du mit nem Laser
Bleibe immer Emma
Kaufst du mal Malteser
Bleibe immer Emma
Besuchst du einmal Caesar
Bleibe immer Emma
Emma
von Anna Maria mit Sophie Cassut
Emma
von Dominika Sterna, Ivana Puskaric
Bist du immer besser
bleibe immer Emma
spielst du mit dem Messer
bleibe immer Emma
ist es draußen nässer
bleibe immer Emma
wirst du immer kesser
bleibe immer Emma
siehst du kleine Kinder
bleibe immer emma
sind es dann auch Inder
bleibe immer emma
Heißen sie Bellinda
bleibe immer emma
wirst du dann ein Blinder
bleibe immer emma
Im Gefägnis
von Yasmin Lawson
Auf der Schwelle des Stresses
von Ivana Puskaric, Anna Mazurkiewicz
In der Zelle sitzen. Alles ist
Grau und düster. Tiefe
Einsamkeit. Stille
Und Leere erfüllt mein
Herz. Ich wünsche mir nichts
Als Freiheit
In der Schule sitzen. Nichts sehen
als Lehrer. Nichts fühlen als
Stress. Nichts hören als
Stoff. Zwischen zwei
Fächern glauben: Nun
ist endlich Pause.
Die Lösung
von Daniel Bryslawski
Endlosigkeit
von Christina Styll
In der Schule sitzen. Nichts sehen
Als Zahlen. Nichts fühlen als
Kälte. Nichts hören
Als Klagen. Zwischen zwei
Herzschlägen glauben: Nun
Habe ich die Lösung!
In der Schule sitzend. Nichts sehen
Als Menschen. Nichts fühlen als
Gleichgültigkeit. Nichts hören
als Stimmengewirr. Zwischen zwei
endlosen Schulstunden: Wann
ist endlich Schule aus?
92
Lust auf Lyrik – Lyrik grenzenlos
Liebe
von Yasmin Lawson
Die Rose
von Yasmin Lawson
Todeswund auf Männer Glieder,
roter Mund senkt sich hernieder,
Mädchen Augen halb geschlossen,
Klagen hörst du, sanft entsprossen
Liebe und Einsamkeit
Aus Stein entsprossen
sanft, die weiße Rose der
Nacht, schön wie im Traum
Blumen im Mondlicht
von Christina Styll
In der Nacht
von Dominika Sterna
O, blühend Blumen
Entsprossen aus mondbeglänzten Knospen
Blühen im Licht der Einsamkeit
Versunken im uralten Traum
Die wunderbare Einsamkeit
schüttet Blumen in den Traum
Ach! Wunderbare Rosen
Sanft hörst du die Nachtigallen
Nacht ist es!
Und das Licht kommt sanft hernieder
ANHANG
O! Mondbeglänzte Knospen
blühen vor den Augen der Kinder!
Sanfte, schöne Rosen
klagen von der Liebe.
Die Marmorbilder im Licht versunken
Zwischen den Quellen der Waldseen
Frühling
von Isabell Steiner
Nacht
von Max Kleedorfer
Die Blumen blühen,
der Knospe entsprossen
weiße Rosen
zwischen uralten Waldesseen die Nachtigallen
die junge Einsamkeit
Du? Einsamkeit?
Hörst’s du’s? Die Lieder?
Und die Kinder klagen…
Ach, die schönen Rosen
die sprossen aus den Straßen
Und die Nachtigallen
Die uralte Nacht
Wie wunderbar!
93
ANHANG
Andrea Zikuling
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
Dojemanje lastnega in tujega: sti iš a in konflikti
Percezione di sè e dell’altro: contatti e conflitti
1. Arbeitsblatt zu den behandelten Romanen
Arbeitspensum vom 21.10.2011 bis zum 15.11.2011:
(1.) Thema „Überwachung“: Verfasse eine Empfehlung (Siehe Aufgabenblatt!)
(2.) Lektüre: Melinda Nadj Abonji: Tauben fliegen auf. Lektüretermin: 15.11.2011
(3.) Gruppenarbeit zum Buch Paradiesische Aussichten (Arbeit am Text, Textanalyse, Textinterpretation)
Bearbeitet die unten stehenden Themenkreise in der Gruppe, fertigt eine visuelle Darstellung (Collage, Schaubild, Zeitstrahl, Mind Map, Diagramm usw.) der Ergebnisse und präsentiert eure Arbeit.
3.1 Die Figurenkonstellation im Roman
a) Beschreibt die Charaktere und deren Bedeutung für die Erzählerin.
b) Belegt eure Ausführungen mit Textstellen.
3.2 Vergleicht den ersten Abschnitt mit dem letzten.
a) Was hat sich für die Erzählerin verändert? Welche Aussichten, Hoffnungen, Chancen gibt es für sie?
b) Untersucht die Geschlechterrollen.
c) Vergleicht eure Lebenswelt und eure Perspektiven mit Dorias Wirklichkeit. Wäre eine Verständigung,
ein Austausch möglich?
d) Schreibt Doria einen Brief.
3.3 Die Sprache des Jugendromans
a) Beschreibt den Stil der Autorin Faiza Guène anhand von Beispielen.
b) Welche sprachlichen Besonderheiten fallen euch auf ?
c) Übertragt die ersten 16 Zeilen in standardsprachliches Deutsch. Was verändert sich in Aussage und Wirkung?
d) Klärt folgende Begriffe: Jugendjargon, Ethnolekt, Mischsprache.
e) Überlegt, welche Bedeutung fremdsprachliche Einsprengsel haben könnten.
3.4 Die Erzählperspektive: Dorias Welt – Dorias Gegenwelt, Eigenes und Fremdes
a) Welche Figuren oder Institutionen repräsentieren das Eigene, welche das Fremde?
b) Welche Regeln werden akzeptiert, welche als fremd abgelehnt?
3.5 Unruhen in der Pariser Banlieue
a) Recherchiert die Hintergründe der Ausschreitungen und die Antwort der Politik.
b) Chronologie der Ereignisse: 2005, 2006, 2007
c) Pariser Vorstädte heute
94
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
ANHANG
2. Arbeitsblatt zum Film Almanya*
Beobachtungsbogen, 6A Klasse, Februar 2012:
1. Allgemeines
a) Regie und Drehbuch
b) Filmgenre
c) Schauspieler
d) Schauplätze
2. Erzähltechnik
a) Welche verschiedenen Zeitebenen gibt es?
b) Welche Erzählebenen gibt es?
c) Wie sieht die Erzählstruktur aus?
d) Gibt es eine/n Erzähler/in?
3. Filmische Mittel
a) Welche Montagetechniken fallen auf ?
b) Wie werden Licht und Farben eingesetzt?
c) Welche Musik wird wann unterlegt?
d) Welche Sprachen werden wann verwendet?
4. Themen des Films
5. Zeichne den Stammbaum der Familie:
Hüseyin, Fatma, Veli, Canan, Cenk, Gabi, Leyla, Mohamed, Ali, David
6. Beantworte folgende Fragen
a) Was erfährt der Zuschauer über die Türkei?
b) Wie sieht das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Türkei der 1960er Jahre aus?
c) Wovon leben die Menschen auf dem Land in der Türkei?
d) Was ist die Arbeit der Gastarbeiter in Deutschland?
e) Wie erleben die Kinder den Umzug nach Deutschland?
f ) Wie werden die muslimische und die christliche Religion dargestellt?
g) Wie erlebt Hüseyin, der Vater, die schnelle Integration seiner Kinder?
h) Wie werden die Deutschen im Film dargestellt (Kinder und Erwachsene)?
i) Für wen ist welches Land Heimat? Woran merkt man das?
j) Welche Generation erlebt eine „Identitätskrise“?
7. Szenen-Analyse
7.1 Cenks „Problem“
Wie wird Cenks Ausgeschlossensein bildlich dargestellt? Warum ist diese Szene auch komisch?
7.2 Szene: Auf dem Amt
a) Auf welcher Ebene erscheint diese Szene besonders komisch? (Bild/Ton)
b) Welche Klischees über Deutschland und die Deutschen werden auf der Traumebene dargestellt?
c) Warum wird der Traum als Erzählebene gewählt?
8. Kommentiere Max Frischs Zitat: „Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen.“
*Quelle:http://www.goethe.de/ins/fr/pro/cineallemand/pdf_ cineallemand5/Didaktisierungsvorschlag_Almanya_Hin- weise%20Lehrer.pdf
(bearbeitet und gekürzt)
95
ANHANG
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
3. Das Projekt in 15 Unterrichtseinheiten
Arbeitsaufträge zum Roman Novocento
1. Einheit
 Das Projekt und seine Ziele werden kurz vorgestellt.
 Wir studieren das Deckblatt des Buches Novecento und stellen Hypothesen auf (wer, was, wann ist/war Novecento?).
Die SchülerInnen arbeiten zuerst individuell, schriftlich, dann tauschen sie sich in kleinen Gruppen aus.
 Schriftliche Aufgabe: Jede/r schreibt den Beginn des Romans. Sie fangen mit folgendem Zitat aus dem Buch an:
„Succedeva sempre che ad un certo punto uno alzava la testa e… la vedeva.“
 Die SchülerInnen tauschen ihre Geschichten mit den MitschülerInnen, die den Text weiterschreiben. In kleinen
Gruppen werden die Geschichten vorgelesen und die interessanteste ausgewählt. Für die ausgewählten Fortsetzungen
schreibt die Gruppe ein gemeinsames Ende.
2. Einheit
 Die italienischen Schüler referieren über die Migration der ItalienerInnen in Europa und nach Amerika um die
Jahrhundertwende. Ich ergänze die Referate, wo es notwendig ist.
3. Einheit
 Wir hören die ersten Seiten von Novecento, vom Autor selbst vorgelesen (Hör-CD).
 Die SchülerInnen bekommen die Aufgabe, sich in eine Person hineinzuversetzen, die sich an Bord des Schiffes
befindet. Sie schreiben einen inneren Monolog, in dem sie sich von der Heimat verabschieden.
Die SchülerInnen improvisieren in Paaren einen Dialog:
- SchülerIn A ist verzweifelt und vermisst alles, was er/sie in der Heimat verlassen hat müssen.
- SchülerIn B versucht SchülerIn A zu trösten und verwendet alle möglichen Argumente, die die positiven Aspekte
der Migration hervorheben.
 Die zwei Personen werden Freunde und entscheiden sich die Fahrt gemeinsam fortzusetzen.
 Schriftliche Aufgabe (HÜ): die Seiten noch einmal lesen und kurz zusammenfassen.
4. Einheit
 Die SchülerInnen lesen ab jetzt selbständig zu Hause und bekommen Fragen und Aufgaben, die sie teils zuhause,
teils in der Schule erledigen.
 Seiten 1-18
a)Schreibe einen Kommentar über folgendes Zitat: „Suonavano perchè l’Oceano è grande, e fa paura, suonavano perchè
la gente non sentisse passare il tempo, e si dimenticasse dov’era, e chi era“.(S 13).
b)Wer ist „la gente“? Vor wem/wovor fürchten sich die Leute? Wieso mussten sie vergessen, wer sie waren?
c)Was erfahren wir vom Erzähler in diesen ersten Seiten über Novecento?
 Reflexion über die kulturelle Herkunft
a)Mache dir Gedanken darüber, welche Erfahrungen, Gebräuche, Traditionen, Sprachen, Lebensgewohnheiten, Gegenstände deine Identität ausmachen.
b)Wir reden über mögliche Umstände und Situationen, in denen die SchülerInnen gezwungen sein könnten, ihre
Heimat zu verlassen.
c)Wir reflektieren gemeinsam über die Tatsache, dass MigrantInnen meistens ihr Hab und Gut nicht mitnehmen können, aber die Kultur ihrer Heimat mitbringen, und diese ist Teil ihrer Identität, die sie pflegen und an die nächste
Generation weitergeben möchten.
d)Jede/r von ihnen zeichnet einen eigenen „magischen Koffer“, in dem er/ sie Symbole packt, die Traditionen und
Werte darstellen, die er/sie unbedingt mitnehmen würde.
e)In Gruppen präsentieren dann die SchülerInnen ihren „magischen Koffer“ und erklären dessen Inhalt.
96
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
ANHANG
5. Einheit
 Seiten 17 – 31
a)Novecentos Herkunft?
b)Wieso trugen die MigrantInnen ihr schönstes Gewand bei Ankunft in Amerika?
c)Woher stammt der Name Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento?
d)Warum erlebt Novecento zwei Mal den Elternverlust?
e)Was passiert auf Seite 24?
f )Wann erfolgt das Treffen zwischen Novecento und dem Erzähler?
g)Wie wird der Ozean beschrieben?
h)„Amici per la pelle“. Erkläre diesen Ausdruck.
i)Wieso hat der Erzähler Angst?(S. 31)
 Seiten 31 – 41
a)„Era fatto così lui… non gli fregava niente sapere chi vinceva: era il resto che lo stupiva.” (S. 38) Aus diesem und weiteren Sätzen lernen wir einige besondere Merkmale der Figur Novecento kennen. Unterstreiche im Buch die relevanten
Sätze und beschreibe Novecento in einem kurzen Text. (100 W.)
b)Wie ist die Musik von Jelly Roll?
c)Wie verhält er sich?.
 Seiten 42 – 51
a)„Fumala tu. Io non sono buono“. Warum sagt Novecento Jelly Morton diesen Satz?
b)Asche fällt auf die Schuhe und den schönen Anzug von J. Morton. Welche Bedeutung kannst du aus dieser Szene
herauslesen? (S. 44)
c)„E lì, a quel punto, cadde il quadro. „ Wann fällt das Bild hinunter? „Il quadro cade quando…“ Vervollständige die
Sätze aus deiner persönlichen Lebenseinstellung heraus.
d)Wann ist das Bild für Novecento hinuntergefallen?
 Seiten 50 – 62
a)Schreibe einen kurzen Kommentar (50 W.) über die Seiten 50-51, besonders in Bezug auf die Wörter felicità (Glück)
– musica (Musik) – vita (Leben).
b)Wieso „se suoni la tromba sul mare sei uno straniero“? (S.51-52)
c)Was haben der Erzähler und Novecento während ihres letzten Konzertes gemacht?
d)Von welchem Krieg ist die Rede? (S. 52-53) Wie geht der Erzähler damit um?
e)Warum ist Novecento nicht das erste Mal vom Schiff gegangen?
f )„Tu sei infinito. Loro sono 88“. Schreibe/Erzähle deine Gedanken über diese Aussage.
g)Denkst du, dass Novecento schon je verliebt war? Wie könnte seine Liebe gewesen sein? Beschreibe sie.
h)Wie hast du dich beim Lesen der letzten Seiten gefühlt? (S. 58-61) Was für Fragen hast du dir gestellt? Hast du einen
Sinn in dieser Geschichte gesucht? Hast du ihn gefunden?
 Die SchülerInnen versuchen sich vorzustellen, wie sich der Erzähler und Novecento auf dem mit Dynamit
vollbeladenen Schiff unterhalten. Sie notieren ihre Ideen und stellen dieses Gespräch der Klasse vor.
6. Einheit
 Die SchülerInnen bekommen einige Seiten der Zeitschrift „Focus Junior“, die Migration und Integration in der
Vergangenheit und heute schildern.
 Sie machen Wortschatzübungen und schematisieren in kleinen Gruppen den Inhalt der Texte, die sie lesen.
Arbeitsaufträge zum Roman Mare Nero
7. Einheit
 Wir beginnen mit dem Immigrationsroman Mare nero. Es geht um einen jungen Mann aus Marokko,
der den sogenannten „viaggio della speranza“ (Reise der Hoffnung) nach Europa unternimmt. Durch die Beschreibungen des Erzählers wird die nackte Wahrheit des Schicksals der Flüchtlinge geschildert, die einem tragischen Ende
entgegengehen.
 Wir lesen nur einige Abschnitte aus dem Werk.
 Es folgt eine Einführung zum Roman und zum Autor.
 Die SchülerInnen werden eingeladen, sich über das Titelblatt Gedanken zu machen. Was stellt das Bild dar?
Worum geht es im Buch?
97
ANHANG
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
8. Einheit
 Die SchülerInnen beginnen mit der Lektüre und bekommen folgende Fragen (Seiten 1-10):
a)Nenne die Figuren, die in den ersten Seiten des Romans vorkommen, und beschreibe sie kurz.
b)Wer ist der Erzähler? Wo befindet er sich? Was will er unternehmen?
c)Mit den Informationen, die du diesen ersten Seiten entnehmen konntest, und mit deiner Fantasie, schreibe ein Portrait der Familie des Erzählers. Folgendes muss in deinem Text vorhanden sein:
- Beschreibung der Familienmitglieder
- Beschreibung des Wohnortes
- Beschreibung eines typischen Tages der Familie
- Träume und Hoffnungen der Familienmitglieder
 Die SchülerInnen improvisieren zu zweit einen Dialog (3 Minuten) zwischen dem Erzähler und seiner Schwester.
a)Er will die Heimat verlassen, um ein neues, besseres Leben führen zu können;
b)Sie hat viele Zukunftsträume, aber sie kann von zu Hause nicht weggehen und hat Angst um den Erzähler.
9. Einheit
 Reflexion über Mensch und Religion (S. 11-14)
Wir beschäftigen uns in dieser Einheit mit der Religion und ihrem Wert für die Menschen allgemein, für die SchülerInnen, ihre Familie und ihre Kultur.
 Sie bearbeiten die folgenden Fragen in kleinen Gruppen und referieren dann über die Gruppenarbeit.
a)Wie ist die Beziehung des Erzählers zu seinem Vater?
b)Denkst du, dass der Erzähler religiös ist?
c)Hast du Kontakte zu MuslimInnen (gehabt)? Erzähle.
d)Welche Integrationsschwierigkeiten hat ein Muslim in Europa und welche Integrationsschwierigkeiten hat ein Christ
in einem muslimischen Land?
e)Welchen Wert hat für dich die Religion?
f )Beeinflusst sie dein Leben? Wie?
10. Einheit
 Die SchülerInnen lesen das 4. Kapitel zu Hause:
a)„La porta della baracca si apre e…“ Erzähle, was passiert und wie sich der Erzähler und die anderen Menschen in der
Baracke fühlen.
b)Wie würdest du dich in so einer Situation fühlen?
c)Was erklärt der Mann, der die Menschen abholt?
d)Wie fühlt sich der Protagonist?
Die SchülerInnen (zu c) improvisieren einen Dialog in der Baracke. Sie reden über:
a)Gründe für die Flucht;
b)Träume und Hoffnungen für die Zukunft;
c)Trauer über das Verlassen der Heimat.
11. Einheit
 Die SchülerInnen lesen das 5. Kapitel zu Hause.
a)Wie ändert sich die Stimmung der Hauptfigur und der anderen Flüchtlinge in diesem Kapitel?
b)Was macht dich betroffen?
c)Welche bösen Überraschungen erwarten die Gruppe vor der Abfahrt?
d)Setzte den Dialog zwischen Usmane und seinem Sohn (S. 21) fort.
e)Versetze dich in die Rolle von Usmane und erzähle in einem inneren Monolog:
- deine Ängste
- deine Pläne
- deine Hoffnungen für die Zukunft deiner Kinder
98
Wahrnehmung des Eigenen und des Fremden: Kontakte und Konflikte
ANHANG
12. Einheit
 Die SchülerInnen lesen das Kapitel 6 zu Hause.
a)„Motore acceso…“. Was machen Ahmad und die anderen vor der Abfahrt?
b)Wie sind die Bedingungen auf dem Boot? Wie ist die Stimmung?
c)Welche Assoziationen verbindest du mit dem Ausdruck „carico umano“ (Menschenladung)
d)Was ist das Ziel von allen Menschen auf dem Boot?
e)Beschreibe die Familie von Usmane.
f )Was bedeutet das Wort „esodo“?
g)Was wird über die Arbeit in Italien erzählt?
13. Einheit
 Die SchülerInnen lesen das Kapitel 7 zu Hause.
a)Was bedeutet „lavorare in nero“? (schwarz arbeiten).
b)Welche Sorgen hat die Frau von Usmane?
c)Was passiert auf Seite 40?
d)Schreibe in 120 Wörtern das Ende des Romans.
 Die SchülerInnen erzählen ihre Geschichten in der Gruppe, das beste Ende wird ausgewählt und im
Plenum vorgestellt.
14. Einheit
 Wir lesen und kommentieren gemeinsam das tragische Ende des Romans.
15. Einheit
 Die SchülerInnen bekommen und suchen selber Artikel über die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer.
Sie erzählen die Geschichten in der Gruppe und bereiten eine kurze Reflexion vor, die sie der Klasse vorstellen und
schriftlich abgeben.
99
ANHANG
Alexandra Mundweil, Claudia Soukup
Sich in die Fremde hineinschreiben.
Sprache ist nicht nur Sprache. Leben und Schreiben in
einer neuen Welt
Arbeitsblatt zum Roman
Girl in Translation (part 1 - chapters 1 to 5):
Answer the following questions, do the tasks:
1) What’s terrible feng shui? What do you know about feng shui? Look it up in the net. (p. 8, p. 16)
2) „It’s not easy to understand Chinese.” What does that mean? (p. 11)
3) What’s the Golden Mountain? Why do you think they use this expression? (p. 12)
4) Why does Aunt Paula think that it is important to have a name as American as possible? (p. 13)
5) Sometimes Kim has got problems understanding certain words. What do you think the words in italics
really mean? (pp.16, 17/18, 24, 25, 26, 49, 60, 65, 68, 72, 80, 87, 91, 93, 94, 95, 100)
6) „Talking the big words” – what does it mean? (p. 36) What does this phrase tell us about the Chinese language?
7) What’s the Turkey Day? (p. 46)
8) „That’s what a parent is for, to do whatever is necessary to give her child a good life.” (p. 47)
What’s your opinion? Do you agree/disagree?
9) „In many ways I thought of myself as one of the black kids.” (p. 55) What does she mean?
10) Is there a difference in the attitude towards pets between Americans and Chinese? (p. 65)
11) In how far does Annette’s mother behave in an undignified way? (p. 66)
12) What can you find out about Mrs Chang’s attitude towards presents? (pp. 71 - 73)
13) Why are Santa Claus, red hair and mittens strange things for Kim? (p. 75)
100
Sich in die Fremde hineinschreiben.
ANHANG
(1) Definitionen des Begriffs KULTUR…
Kultur: Das seit dem 17. Jh. bezeugte, aus lat. cultura „Landbau; Pflege (des Körpers und des Geistes)“ entlehnte Substantiv wurde von Anfang an im Sinne von „Felderbau, Bodenbewirtschaftung“ einerseits und „Pflege der geistigen
Güter“ andererseits verwendet. An die aus der letzteren Bedeutung erwachsene allg. Stellung des Begriffs Kultur als
der Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen (einer Gemeinschaft, eines Volkes) schließen sich
zahlreiche Zusammensetzungen an, z.B. Kulturgeschichte (18. Jh.), Kulturpolitik, Kulturfilm (20. Jh.), ferner das Adjektiv kulturell „die Kultur betreffend“ (20. Jh.). lat. cultus: „Pflege; Bildung, Erziehung; Verehrung, Huldigung“ (Duden
2007, S. 459)
Kultur (vom lat. Colere, „hegen und pflegen, bebauen, ausbilden, tätig verehren“), ursprüngl. Bearbeitung und Pflege des
Bodens (lat. agricultura), um ihn menschlichen Bedürfnissen anzupassen und dienstbar zu machen (daher „Bodenkultur,
Kulturtechnik“). Übertragen bedeutet Kultur Pflege, Verbesserung, Veredelung der leiblich-seelisch-geistigen Anlagen
und Fähigkeiten des Menschen; entsprechend gibt es Körperkultur, seelische und Geisteskultur.
Im umfassendsten Sinne ist Kultur die Gesamtheit der Lebensbekundungen, der Leistungen und Werke eines Volkes
oder einer Gruppe von Völkern. Sie ist der Inbegriff für jenen neuartigen Prozess auf Erden, dessen Einzelprodukte nur
menschliche Schöpfungen sind und niemals von der Natur hervorgebracht wären.
Die Kultur verzweigt sich inhaltlich in die verschiedensten Gebiete: hauptsächlich Sitte und Brauch, Sprache und Schrift,
Kleidungs-, Siedlungs-, und Arbeitsart, Erziehungswesen, Wirtschaft, politisch-staatliche Einrichtungen, Rechtspflege,
Wissenschaft, Technik, Kunst, Religion, alles Erscheinungsformen des objektiven Geistes des betr. Volkes. (Philosophisches Wörterbuch 1991, S. 407)
Anregung zur Diskussion…
KULTUR ist also im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von
ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten NATUR.
(2) Weitere Aufgabenstellungen zum Begriff der Kultur in: Praxismappe Globales Lernen. Globalisierung verstehen: Menschen –
Märkte – Politik. Methoden für den Unterricht (Sekundarstufe II). Hrsg. vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Abt I/6 in Kooperation mit BAOBAB Globales LernenWien 2010, S. 140-148.
(3) Lies den folgenden Text aufmerksam und gehe dann auf die unten angeführten Fragen ein!
Ein Fall von Ausländerfeindlichkeit
von Angelika Obert
Meiner Nachbarin, Frau M., geht es schlecht. Sie kann nicht mehr schlafen, schon seit Monaten nicht. Schuld daran sind
die Polen über ihr: Nacht für Nacht trampeln sie herum, feiern Orgien, verschieben Waren, manchmal sind sogar Kinder
dabei, «dass die das auch schon lernen!» Frau M. graust es.
Einmal hat sie mit dem Besen gegen die Decke geklopft, da ist der junge Mann heruntergekommen und hat geklingelt.
Natürlich hat sie nicht aufgemacht. Tagsüber, das ist das Übel, öffnen die Polen nicht, verhalten sich mucksmäuschenstill. Der Gasmann war da, sogar die Polizei, aber die machen ja nicht auf. Frau M. weint. «Ich kann nicht mehr.»
Die Wohnung des polnischen Nachbarn grenzt direkt an mein Arbeitszimmer. Ich erinnere mich nur an ein einziges
Mal, als ich für etwa zehn Minuten den Fernseher gehört habe, sonst war es immer ruhig. Ich weiß, dass Herr P. oft Gäste
aus der Heimat hat, manchmal seine Eltern, manchmal Freundinnen, sie kommen zum Einkaufen. Sehr zurückhaltend
grüßen sie im Treppenhaus, aber nie unfreundlich. Ich weiß auch, dass manchmal ein oder zwei Männer da sind, die
Arbeit suchen und dass es nicht ganz durchschaubar ist, was Herr P. macht. Gestört hat mich das alles noch nie, eher
amüsiert.
101
ANHANG
Sich in die Fremde hineinschreiben.
Aber Frau M. weint, liegt schlaflos und hört wirklich, so wie sie es erzählt, ganze Bataillone polnischer Stiefel auf ihren
Nerven herumtrampeln.
Sie lebt als Rentnerin allein seit einem Jahr in dieser frisch renovierten Wohnung, deren Miete für sie zu teuer ist, wo sie
auch gar nicht hinwollte. Man hat sie hierher «umgesetzt», ihr altes Haus, vier Busstationen weit weg, soll nun saniert
werden.
Dort hat sie Jahrzehnte zugebracht mit Ofenheizung und ohne warmes Wasser, aber als Hauswartsfrau doch eine Königin. Sie kannte alle und wusste alles. Mit den Türken, das passte ihr zwar auch nicht, doch: «Mit denen konnte man
wenigstens reden», sagt sie heute. Die kleine Straße mit den vielen türkischen Kindern, die Eckkneipe, das baufällige
Haus, das war ihre Welt. Niemand kam an ihr vorbei.
Wo sie jetzt wohnt, rauschen nur Autos vorbei, sonst spielt sich nichts ab auf der Straße. Sie hat zwar warmes Wasser, aber
kein Geld mehr für die Kneipe, und überhaupt, sie kennt ja niemanden.
Quelle: http://www.filmeeinewelt.ch/deutsch/files/40175.pdf
Fragen zur Texterschließung
 Warum hat Frau M. diese Vorstellungen von den Menschen, die über ihr leben?
 Wie könnte Frau M. davon überzeugt werden, dass diese Familie über ihr nicht so ist, wie sie sie sich vorstellt?
 Was denkt die polnische Familie von Frau M.?
 Kennst du ähnliche Geschichten aus deinem eigenen Alltag?
 Warum erlebt die andere Nachbarin diese Familie anders als Frau M.?
 Wie könnte die Situation von Frau M. verbessert werden? Was wäre für Frau M. wichtig?
102
ANHANG
Sabine Fuchs
In die Welt lesen
Cool 2: Begriffe klären, Sachtext zusammenfassen
Ziel: Du weißt um die unterschiedlichen Bedeutungen von Worten. Du kannst einen Sachtext zusammenfassen.
Aufgabe (in Dreiergruppen):
1. Überlegt euch, was ihr schon wisst und notiert euer gemeinsames Wissen: Migration, Emigration, Assimilation,
Integration.
2. Schreibt eine kurze Definition dieser Begriffe (mit Beispielen) mit Hilfe von mindestens zwei Internetadressen.
3. Lest euch die Informationen des Innenministeriums „Grundsätzliches über Migration in Österreich“ (Kurs: In die
Welt lesen, Zugangsschlüssel: welt), die im Thema: „Migration und Integration“ zu finden ist, durch und fasst diese
zusammen.
Abzugeben ist eine Datei ausgedruckt und hochgeladen!
Beurteilung: (maximal 15 Punkte)
Form und Richtigkeit (Rechtschreibung und Grammatik): 3 Punkte
1. Aufgabe: 2 Punkte
2. Aufgabe: 5 Punkte
3. Aufgabe: 5 Punkte
Cool-Auftrag 3: Assoziationen zum Titel
Nach der Lektüre deines gewählten Textes geht es jetzt darum, ihn näher zu betrachten. Ziel ist es, den literarischen Text
noch besser zu verstehen und ihn auch – belegbar – bewerten zu können.
Suche dir mindestens zwei KollegInnen, die auch „deinen“ Roman gelesen haben und bearbeite folgende Aufgaben:
1. Brainstorming zum Titel auf einem Blatt (ohne zu kommentieren, ohne zu sprechen) – Achtung: Hier kann es auch
über das, was ihr gelesen habt, hinausgehen!
2. Besprecht alle Aspekte, die euch eingefallen sind, ordnet alle Einfälle, gebt Beispiele dazu, ergänzt, was ihr noch dazu
findet.
3. Schreibt nun einen Text ausgehend vom Titel. Dieser Text nimmt zwar Bezug auf den Roman, soll aber alle eure Assoziationen berücksichtigen.
Abzugeben ist am Ende der Stunde das Blatt mit eurem Brainstorming (handgeschrieben) und euer Text zum Titel
(ausgedruckt und hochgeladen).
Beurteilung:
Form/Normrichtigkeit: 5 Punkte
Brainstorming: 5 Punkte
Text: 10 Punkte
103
ANHANG
Hans-Peter Wittmann
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“
Der magische Realismus im Deutschunterricht
Kalte Füße
(Miriam Karner, 7a)
Ich kannte ihn jetzt schon seit fünfundzwanzig Jahren, also seit seine Mutter mit ihm nach der Geburt aus dem Spital nach
Hause gekommen war. Doch das erste Jahr habe ich ihn kaum gesehen, da er immer in seinem Kinderzimmer geschlafen
hat oder mit seinem um sechs Jahre älteren Bruder Sebastian im Wohnzimmer gespielt hat. Sebastian war wirklich ein
sehr lieber Junge. Er war im Grunde genommen der einzige, der sich wirklich um den kleinen Alex gekümmert hat, denn
sein Vater, der übrigens ein anderer war als Sebastians, war kurz vor Alex‘ Geburt nach Thailand verschwunden. Und die
Mutter der beiden Kinder, Helena, nun ja, die war mit ihren jungen sechsundzwanzig Jahren noch nicht wirklich bereit
dazu zwei kleine Kinder alleine groß zu ziehen. Ich will damit nicht sagen, dass sie sie nicht geliebt hat, im Gegenteil, ihre
beiden Söhne waren der Grund dafür, dass sie nicht mehr jedes Wochenende komplett betrunken und mit irgendeinem
fremden Mann nach Hause kam. Doch ihre psychischen Probleme, die sie seit der Geburt von Alex hatte, ließen nicht
zu, dass sie sich liebevoll um ihre Kinder kümmerte. Jedes Mal, wenn sie die beiden ansah, empfand sie nicht Liebe, wie
die meisten Mütter, sondern Angst davor, sich nicht gut genug um sie kümmern zu können. Dies war der Grund dafür,
weshalb sie eine Nanny einstellte, was sie sich mit dem erheblichen Erbe, das ihr ihre Eltern vermacht hatten, auch leisten
konnte, und sie begann, die von ihrem Arzt verschriebenen Medikamente einzunehmen.
Die Nanny war eine attraktive, junge Frau mit langen, schwarzen Haaren, die ihr glatt über den Rücken fielen. Sie hatte
eine nahezu perfekte Figur und stets ein Lächeln im Gesicht, wodurch man ihre geraden, weißen Zähne zu Gesicht
bekam. Doch Sebastian und Alex stellten schon bald fest, dass dieses Lächeln nur gespielt war. Ihre eisigen, hellblauen
Augen brachten ihren Charakter besser zur Geltung.
Jessica, so hieß die junge Frau, war wirklich sehr streng mit den beiden Kindern. In der Früh weckte sie sie um sechs Uhr
auf, damit sie vor der Schule, beziehungsweise in Alex Fall vor dem Kindergarten, ihre Zimmer aufräumten. Wenn sie
dies nicht taten, bekamen sie keine Jause mit. Zu Mittag bekamen sie ihr Mittagessen, doch danach durften sie nicht wie
andere Kinder in ihrem Alter spielen, sondern mussten das große Haus putzen. Jeden Tag war ein anderes Zimmer an
der Reihe. Es geschah nicht selten, dass sich Alex mit dem schmutzigen Wasser aus dem Kübel anschüttete und deshalb
beschloss, seine Socken auszuziehen und barfuß weiter putzte. Aber jedes Mal, wenn ihn Jessica dabei erwischte, dass er
ohne Socken auf dem kalten, schwarzen Fliesenboden stand, bestrafte sie ihn dafür, dass er so ungeschickt war, indem sie
ihn ohne Schuhe den Müll vor die Tür bringen ließ, egal wie kalt es draußen war. Es war nicht ungewöhnlich, dass Alex
daraufhin krank wurde, doch in die Schule musste er trotzdem.
Helena bekam von all dem nichts mit, da ihre Medikamente die Wirkung verfehlt hatten, und ihr Zustand sich so stark
verschlechtert hatte, dass sie schon bald in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden musste.
Der Hass der beiden Jungen auf Jessica wurde von Tag zu Tag größer, und auch nachdem sie, als Sebastian sechzehn Jahre
alt und somit in der Lage war sich um seinen jüngeren Bruder zu kümmern, die beiden verließ, ließ die Wut der Brüder
kein bisschen nach. Genauer gesagt, trat das Gegenteil ein. Der Zorn wuchs Jahre lang in den beiden wie Efeu und verankerte sich in jeder einzelnen Zelle ihrer Körper. Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer der mittlerweile jungen Männer
auf die Idee kam, sich von seiner Wut zu befreien.
Es war Alex, der vor ungefähr einem Monat in das Haus, das seine Kindheit geprägt hatte, zurückkehrte und mich, da ich
die einzige lockere Fliese im ganzen Haus war, mit nur einem, leichten Ruck aus dem Boden riss.
104
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“
ANHANG
Als ich in sein entschlossenes, mittlerweile schon fünfundzwanzig Jahre altes Gesicht blickte, wusste ich sofort, dass er
nichts Gutes im Sinn hatte. Er packte mich in seine große, marinefarbene Sporttasche und machte sich in seinem weißen
Mercedes auf den Weg ins Fitnesscenter.
Alex betrat das Fitnesscenter durch die große Glastür und durch das kleine Loch, das nur wenige Zentimeter vom Reißverschluss der Sporttasche entfernt war, hatte ich einen recht guten Blick auf den gesamten licht durchfluteten Raum.
Neben der Tür stand ein zierlicher, terracotafarbener Blumentopf mit einem Hibiskus, der seine orangefarbenen Blüten
in alle Richtungen streckte. Der helle Fußboden wurde von einem runden, schwarzen Teppich in der Mitte des Raumes
verziert, auf dem das Logo des Fitnesscenters zu sehen war. Der komplette Raum war in weiß und dunkelrot gehalten.
Vis a vis von der Eingangstüre befand sich eine farblich auf den Rest der Einrichtung abgestimmte Theke, hinter der sich
eine hübsche, junge Frau mit einem freundlichen Lächeln befand. Sie hatte ihre langen, blonden Haare zu einem hohen
Pferdeschwanz gebunden und die blonden Locken fielen ihr bis zur Mitte ihres Rückens. Ihre grün-grauen Augen waren
von dichten, langen Wimpern umrandet und stachen auf Grund ihrer leichten Sommerbräune noch stärker hervor. Ihr
gut trainierter, schlanker Körper war nur mit einem kurzen, babyblauen Top, unter dem ein silbernes Nabelpiercing hervor blitzte, und einer kurzen weißen Hot Pants bekleidet. Ihre Füße steckten in silbernen Flip Flops.
Alex ging mit zielstrebigen Schritten auf sie zu und Amanda, so hieß die blonde Schönheit, wie ich von ihrem Namensschild erfuhr, lächelte ihn kokett an, was ich ihr nicht verdenken konnte. Denn Alex war wirklich sehr attraktiv mit seinen dunkelblonden, aufgestellten Haaren, seinen blauen Augen und seinem durchtrainierten, ein Meter sechsundachtzig
großen Körper.
Zu meiner Überraschung lehnte sich Alex über die Theke, gab Amanda einen kurzen, doch leidenschaftlichen Kuss und
flüsterte ihr ins Ohr: „Schatz, ich war gerade dort und habe besorgt, was wir für unseren Plan brauchen. Ich werde jetzt
zu Sebastian fahren und mit ihm die Details besprechen. Wir treffen uns dann zuhause, wenn du Feierabend hast, und
machen uns dann auf den Weg. Ich liebe dich!“ Mit diesen Worten drehte sich Alex wieder um und ging in Richtung
Glastüre. Auf halbem Weg blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu der Frau um, die anscheinend seine Freundin
war, und warf ihr einen Blick zu, der seine ganze Liebe ausdrückte. Amanda hatte denselben Blick im Gesicht und formte
mit ihren Lippen die Worte „Ich liebe dich auch.“
Eine halbe Stunde später standen wir vor Sebastians Tür und hörten die schrille Türglocke in der Wohnung läuten. Nur
wenige Sekunden später, als hätte er in der Nähe der Tür gewartet, öffnete uns ein junger Mann, dessen Ähnlichkeit mit
Alex nicht übersehbar war. Sie hatten die gleichen Gesichtszüge, die gleiche Statur, ja sogar die genau gleiche Augenfarbe.
Einzig und allein die Haare waren verschieden. Sebastian hatte nämlich dunkelbraune, etwas längere Haare, die er nicht
aufstellte, sondern kunstvoll zerzaust trug. Die beiden Männer umarmten sich kurz und machten sich dann auf den Weg
ins Wohnzimmer. Da Alex seine Schuhe anbehalten hatte, konnte ich mir schon denken, dass dies nur ein kurzer Zwischenstopp sein sollte. Im Wohnzimmer angekommen, das ebenso modern und freundlich eingerichtet war wie der Rest
der Wohnung, oder was ich schon davon gesehen hatte, setzten wir uns auf die weiße Lederbank, auf der einige Pläne
und Zettel verstreut lagen. Und plötzlich hob mich Alex aus der Tasche! Das war ein Schreck! Ich hatte ja nicht damit
gerechnet! „Kannst du dich noch an sie erinnern? Wie wir sie stundenlang geputzt haben?“, fragte er Sebastian und ließ
ein heiseres Geräusch hören, das wahrscheinlich ein trauriges Lachen sein sollte. „Wie könnte ich das nur vergessen?
Doch ich wünschte ich könnte es!“, erwiderte der Bruder mit traurigem Gesicht und legte ein paar Zettel und Pläne auf
den Tisch. Er bat Alex diese schnell durchzusehen und dann einzupacken und wieder zu fahren, da seine Frau gleich von
der Arbeit heimkommen würde und er sie in nichts hineinziehen wollte.
Alex überflog die Zettel in wenigen Minuten und packte sie dann mit mir in seine Sporttasche ein. An der Tür verabschiedeten sich die beiden Brüder und sagten, dass sie sich um halb zehn vor ihrem Haus treffen wollten. Doch wer war
„sie“? Nach kurzem Überlegen, wer „sie“ sein könnte, kam mir die Idee auf den Zetteln, mit denen ich seit kurzem meine
Tasche teilte, nach Informationen zu suchen. Und tatsächlich! Auf dem einzigen Zettel, der mit der Vorderseite mir
zugewandt lag, stand ein Name, der meine Aufmerksamkeit sofort auf sich lenkte - Jessica Bennett. Darunter stand noch
etwas, was wahrscheinlich eine Adresse sein sollte, doch ich konnte es nicht entziffern.
Nach einer dreißigminütigen Fahrt erreichten wir das kleine, gemütlich eingerichtete Reihenhaus von Alex und Amanda,
wo wir die nächsten Stunden verbrachten, bis Amanda von der Arbeit kam. Nachdem sich die beiden zärtlich begrüßt
hatten, setzten sie sich auf die beiden lilafarbenen Sandsäcke, die vor dem riesigen Fenster standen und dem Paar somit
105
ANHANG
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“
einen großartigen Blick über den an den Garten grenzenden Wald bot. Alex holte die Zettel aus seiner Tasche und gab sie
schweigend seiner Freundin, die sie sorgfältig las und dann auf den Boden legte. Sie wandte sich zu Alex und sagte: „Der
Plan ist lückenlos. Es kann gar nichts schief gehen. Und schon in wenigen Stunden wird alles vorbei sein.“
Und da wurde mir klar, dass sie irgendetwas mit Jessica vorhatten. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, was ich mit
der ganzen Sache zu tun haben könnte. Alex und Amanda blieben noch eine Weile sitzen, bis es draußen langsam dunkel
wurde. „Wir sollten uns langsam fertig machen!“, meinte Amanda. Alex nickte nur, erhob sich langsam und ging in die
Garage, wo er drei Paar schwarze Wollhandschuhe und die Sporttasche, in der ich mich befand, in den Kofferraum seines
Mercedes warf. Nun konnte ich leider nicht mehr sehen, was sich außerhalb des Autos ereignete, doch ungefähr zwanzig
Minuten später wurde der Motor angelassen und das Auto setzte sich in Bewegung. Es war eine lange Fahrt von zirka
zweieinhalb Stunden, doch dann blieben wir plötzlich ruckartig stehen. Ich spürte, dass gleich etwas passieren würde.
Zuerst blieb es noch ein paar Minuten still, dann wurde die Kofferraumklappe geöffnet und Alex nahm die Tasche, in
der ich mich befand, heraus, während Amanda die Handschuhe nahm. Einige Meter entfernt sah ich Sebastian stehen,
der schon auf seinen Bruder und Amanda wartete.
Die drei begrüßten sich mit ernster, leiser Stimme und ich konnte deutlich die Spannung fühlen, die in der Luft lag.
Amanda gab jedem ein Paar Handschuhe, das sofort angezogen wurde, und dann gingen sie langsam die kleine Wohnstraße entlang, die den Häusern nach zu urteilen zu einer kleinen Vorstadt gehörte. Nach einem kurzen Marsch bogen
sie in die Einfahrt eines relativ kleinen, gelben Hauses ein und blieben kurz vor der Haustür stehen. Man konnte hören,
wie alle drei noch ein Mal tief einatmeten, bevor Alex die Hand auf den Knopf der Glocke legte und ihn nach kurzem
Zögern drückte. Das melodische Läuten der Türglocke war im Inneren des Hauses zu hören und kurz darauf hörte man
das Geräusch von Schritten. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf das Namensschild, das an der Tür hing, und war nicht
überrascht, dass der Name darauf „Bennett“ lautete. Ich konnte hören, wie die Sicherheitskette von der Tür gelöst wurde
und nur wenige Sekunden später stand uns eine überaus hübsche Frau gegenüber, die wahrscheinlich in den Fünfzigern
war, auf den ersten Blick jedoch keinen Tag älter als vierzig aussah.
„Hallo Jessica, erinnerst du dich noch an uns? Wir sind es, Alex und Sebastian. Du hast bis vor ungefähr zwanzig Jahren
auf uns aufgepasst!“, begrüßte Sebastian die Frau mit freundlicher Stimme.
„Ach du meine Güte! Das ist aber eine nette Überraschung! Wie geht es euch denn? Kommt doch herein auf einen
Kaffee!“, erwiderte Jessica und zu Amanda gewandt, die nach Alex Hand gegriffen hatte fuhr sie fort: „Und sie sind wahrscheinlich die Freundin von Alex. Freut mich Sie kennen zu lernen!“ Als die drei in das Haus eintraten, fiel mir sofort
der Blick auf, den Jessica hatte. Er jagte mir regelrecht einen Schauer über meine glatte, schwarze Oberfläche! So etwas
Kaltes und Gefühlloses hatte ich noch nie gesehen! Nachdem sie uns zu dem kleinen Holztisch in der Mitte geführt
hatte fragte sie uns, was wir zu trinken wollten. „Nur ein Glas Wasser bitte!“, war die einheitliche Antwort. Jessica drehte
sich um und begann ein Glas nach dem anderen am Wasserhahn zu füllen. Als sie beim letzten Glas angekommen war,
standen Sebastian und Alex plötzlich auf und stellten sich leise hinter sie. Als Jessica sich umdrehte, um die Gläser auf
den Tisch zu stellen, ließ sie sie vor Schreck fallen und stieß einen leisen Schrei aus.
„Weißt du noch, was du uns damals angetan hast? Wir mussten das Haus jeden Tag putzen und barfuß in der Kälte den
Müll hinaus bringen. Wir wollen eine Entschuldigung. Und zwar eine ehrliche. Schau, wir haben dir sogar eine Fliese
mitgebracht, um deinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Wie du dir wahrscheinlich vorstellen kannst, wussten
wir genau, welche Fliese locker und somit leicht heraus zu lösen war, da wir ja täglich den Boden schrubben mussten.“
Dies war anscheinend das Signalwort für Amanda, um mich aus der Tasche zu holen und vor Jessica auf den Tisch zu
legen.
„Ihr wollt eine Entschuldigung von mir? Da könnt ihr lange warten! Denn ich habe nichts, absolut gar nichts falsch
gemacht! Und bevor ihr von mir eine Entschuldigung verlangt denkt doch mal nach: Ihr seid der Ansicht, dass ich falsch
lag mit der Meinung, dass ihr unfähig und ungeschickt seid? Nun ja schaut euch doch mal heute an und was aus euch
geworden ist- wie ihr wahrscheinlich selbst bemerken werdet, hatte ich Recht mit meiner Annahme! Ich meine schaut
euch doch nur an! Wie lächerlich ist es denn, mit Winterhandschuhen an einem lauen Sommerabend herum zu laufen?“
Jessica lachte verächtlich und wollte gerade aus der Küche hinausgehen, um ihren Gästen die Haustüre zu öffnen, als
Sebastian nach vorne sprang, sie an den Schultern packte und gegen die Wand drückte. „Wir hatten uns schon gedacht
gehabt, dass du so reagieren würdest. Deshalb haben wir uns eine kleine, nun ja wie soll ich es nennen...eine kleine „Wie106
„Ausgestreckte Hände, die mich riefen“
ANHANG
dergutmachung“ für dein unmenschliches Verhalten überlegt!“, zischte er ihr ins Ohr. Hinter ihm stand Alex mit mir
in der Hand und gab Sebastian plötzlich ein Zeichen, damit er auf die Seite ging. Von da an ging alles sehr schnell: ich
bemerkte noch, wie ich in die Luft gehoben wurde und dann war plötzlich alles rot um mich herum. Erst nach einem
kurzen Moment der Verwirrung wurde mir klar, dass ich in Jessicas Blut lag. Amanda kam auf mich zu und brachte mich
ins Badezimmer, wo sie mich sorgfältig in der Badewanne vom Blut befreite. Ich sah eine Träne an ihrer Wange hinunter
kullern und sie sagte zu sich selbst:“ Ich wusste, dass es kein schöner Anblick sein würde, aber das, das war schlimmer,
als ich es mir gedacht hatte!“ Und dann brach sie in Tränen aus. Alex kam von ihrem Schluchzen angelockt ins Bad
und nahm sie fest in den Arm. Auch er sah ziemlich mitgenommen aus. Eng umschlungen saßen die beiden eine Weile
am Boden des Badezimmers, bis Sebastian mit brüchiger Stimme nach ihnen rief. Auch er war von den Ereignissen der
letzten paar Minuten ziemlich geschockt. Gemeinsam begannen sie alle Zimmer, besonders aber die Küche, mit dem
Alkohol aus der Hausbar, die im Wohnzimmer stand, zu begießen. Dann packten sie mich in die Tasche und gingen zur
Eingangstür, wo Alex eine Zündholzschachtel aus seiner Hosentasche zog, es anzündete, und in die Alkoholspur am
Boden warf. In nur wenigen Sekunden hatte das Feuer seinen Weg in die Küche gefunden, die sofort lichterloh brannte.
Alex, Amanda und Sebastian liefen ungesehen zu ihren Wägen und fuhren los.
Am nächsten Morgen stand in der Zeitung, dass eine gewisse Jessica B. auf Grund eines Brandes in ihrem Haus ums
Leben kam.
Für die beiden Brüder und Amanda ging das Leben wie gewöhnlich weiter, wobei sie das kleine Geheimnis, das sie teilten, nie ganz vergessen konnten. Noch nicht einmal bei der Hochzeit von Alex und Amanda zwei Jahre später gelang es
ihnen, die Bilder für ein paar Stunden aus ihren Köpfen zu verbannen. Dies war offensichtlich der Preis, den sie für ihre
Rache an Jessica in Kauf nehmen mussten.
107
ANHANG
Ulrike Kraßnitzer
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
BIBLIOTHEK HASNERSCHULE
WELTLITERATURPROJEKT- RÄTSELRALLYE 2011
(Zusammengestellt von der 1.Leistungsgruppe der 4M/B - Kraßnitzer Ulrike - 2011/12)
Wir – das Rallyeteam – freuen uns ganz besonders, dich bei unserer kniffeligen Weltliteratur-Rätselrallye begrüßen zu
dürfen. Wir stehen dir jederzeit zur Verfügung, solltest du unseren Rat und unsere Hilfe benötigen.
Wir wünschen dir viel Spaß und Erfolg bei den folgenden Stationen.
Das Mitmachen lohnt sich auf jeden Fall!
Bitte ausfüllen!
Name und Klasse: __________________________________________________
„Die sprechenden Steine“ (Ghazi Abdel Qadir)
1.) Lies den Klappentext! Zwischen wem gibt es täglich Auseinandersetzungen?
……………………………………………………………………………………………
2.) Womit wehren sich die palästinensischen Jugendlichen gegen die Soldaten (S. 32)
……………………………………………………………………………………………
„Ein neues Land“ (Shaun Tan)
3.) Was ist das Besondere an dem Buch?
…………………………………………………………………………………………..
4.)
…………………………………………………………………………………………
„Der kleine blaue Junge“ ( Fatou Këita, Olivia Aloisi)
5.) Was unterscheidet die Hauptfigur ( Junge) von den anderen Dorfkindern?
…………………………………………………………………………………………
6.) Ein Dorfjunge heißt Nogoman, was bedeutet dieser Name?
…………………………………………………………………………………………
„Kariuki“ (Meja Mwangi)
7.) Schlage im Weltatlas nach, wo Kenia liegt!
Aufgabe O erfüllt O sehr schnell gefunden
…………………………………………………………………………………………
8)
…………………………………………………………………………………………
108
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
ANHANG
„Der Aufsatz“ (Antonio Skármeta)
9.) Was macht Pedros Vater am Abend immer und weshalb? (S. 8)
…………………………………………………………………………………………………..
10.) Was passiert mit Daniels Vater? (Siehe S. 15-16)
………………………………………………………………………………………………….
11.) Was versteht man unter einer Diktatur? Schlage im Lexikon nach!
………………………………………………………………………………………………….
„Mein kleiner Orangenbaum“ ( Jose Mauro de Vasconcelos)
12.) Wer ist der beste Freund des kleinen Jungen Sese? (Siehe Klappentext!)
………………………………………………………………………………………………….
13.) Ergänze! Welches Leben beschreibt der Autor in diesem Buch? (Siehe Klappentext!)
…………………………………………………………………………………………………..
„Stefanos weite Reise“ (Maria Teresa Andruetto)
14.) Aus welchem Land kommt Stefano und wohin wandert er aus? (Siehe Klappentext!)
……………………………………………………………………………………………….
15.) Wem widmete die Autorin das Buch? (Siehe S. 5)
……………………………………………………………………………………………….
„Das Heft meines Freundes“ (Taha Khalil)
16.) Welche Sprache spricht Asâd zuhause? (Siehe Klappentext)
………………………………………………………………………………………………..
17.) Wie heißt die Übersetzerin des Buches? (Siehe S. 125)
……………………………………………………………………
„Wie schön weiß ich bin“ (Dolf Verroen)
18.) Welches besondere (für uns ungewöhnliche) Geschenk bekommt Maria zum Geburtstag? Lies auf Seite 11 nach!
…………………………………………………………………………………………………
19.) Wie heißt der Autor des Buches?
…………………………………………………………………………………………………
20.) In welchem Land spielt die Geschichte? (S. 65)
…………………………………………………………………………………………………
„Der Adler, der nicht fliegen konnte“ ( James Aggrey)
21.) In welchem Verlag ist das Buch erschienen?
………………………………………………………………………………………………….
22.) Ergänze den Text! (S. 4)
Er …………….. einen jungen ……………………………., brachte ihn heim und steckte
ihn in den ………………………………………………………. zu den Hennen, Enten
und Truthühnern. Und er gab ihm …………………………………………………..zu
fressen, obwohl er ein Adler war, der ………………………………………. der Vögel.
23.) Lies die letzte Seite des Buches und ergänze!
Die Geschichte „Der Adler, der nicht fliegen konnte“ wurde von James Aggrey
erzählt, damit sich die Afrikaner an das …………………………………………..
…………………… erinnern und wieder an die ………………………………glauben.
109
ANHANG
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
„Vogelauge“ (Kim Yong Ik)
24.) Warum wird Chung Book von seinen Mitschülern gehänselt? (Siehe Klappentext)
……………………………………………………………………………………………..
25.) Welche für Korea besondere Augenfarbe haben Chung Book und seine Mutter?
………………………………………………………………………………………………..
„Ein Meer dazwischen, eine Welt entfernt“ (Lensey Namioka)
26.) In welchem Jahr und in welchem Land spielt die Geschichte? (Siehe Klappentext)
…………………………………………………………………………………………….
„Aya“ (Marguerite Abouet, Clément Oubrerie)
27.) Wie heißt der Illustrator (Zeichner) des Buches “Aya”?
…………………………………………………………………………………………….
28). Kreuze die richtige Lösung an!
Der Vater von Aya heißt O Paul
O Ignace
O Jose
…………………………………………………………………………………………….
„Vertraute Fremde“ ( Jiro Taniguchi)
29.) Wie heißt die Hauptfigur des Buches? Kreuze die richtige Lösung an!
O Jiro Taniguchi
O Hiroshi Nakahara
O George Chakiris
…………………………………………………………………………………………….
30.) Lies, was das Besondere am Inhalt dieses Buches ist!
Zeitreise – ein vierzigjähriger Architekt steigt nach einer Dienstreise in den falschen Zug, landet in seiner Heimatstadt
und am Grab seiner längst verstorbenen Mutter, wo er in Ohnmacht fällt und als Vierzehnjähriger wieder erwacht, ohne
das Bewusstsein des Erwachsenen verloren zu haben. Er will das geheimnisvolle Verschwinden seines Vaters klären.
…………………………………………………………………………………………….
Literaturliste
Autor
Jiro Tamiguchi
Buchtitel
Vertraute Fremde
(Comics)
Maja Mwengi
Kariuki und sein
weißer Freund
Taha Khalil
Das Heft meines
Freundes
Der kleine blaue
Junge
(Bilderbuch)
Fatou Keita/
Olivia Aloisi
Jose Mauro de
Vasconcelos
110
Mein kleiner
Orangenbaum
Inhalt
Erwachsener in seinem eigenen vierzehnjährigen Körper erlebt seine Jugend
noch einmal mit der Erfahrung des Erwachsenen und verändert so sein Leben,
indem er ein traumatisches Erlebnis bewältigt.
In Kenia schließt der Sohn eines weißen Grundbesitzers Freundschaft mit
dem Sohn eines Arbeiters. Um Freunde zu bleiben, müssen sie sich aber über
die Grenzen ihrer „Klassenzugehörigkeit“ hinwegsetzen und mit den Regeln
der „Erwachsenenwelt“ brechen.
Die Handlung spielt in Syrien, wo die Sitznachbarn Asâd und Ali trotz kultureller Unterschiede eine Freundschaft schließen.
Das lang ersehnte Baby einer Familie kommt in Afrika mit blauer Hautfarbe
zur Welt. Die Eltern lieben das Kind, aber die anderen Kinder grenzen es aus.
Der Junge kann sie schließlich überzeugen, dass sie trotz der Bläue seiner Haut
mit ihm spielen können.
Der Roman spielt in Brasilien, wo ein Junge aus einer sehr armen Familie
wegen seiner Streiche sehr oft Prügel bekommt, andererseits lernt er aber auch
ganz allein das Lesen und arbeitet als Schuhputzer, um seine Familie finanziell
unterstützen zu können. Ein kleiner Orangenbaum wird sein bester Freund.
Schließlich trifft er einen Mann, der ihm zeigt, was echte Liebe und Zuneigung ist.
Weltliteratur – Bibliotheksrallye
Marguerite
Abouet
Aya (Comic)
Schaun Tan
Ein neues Land
(Bilderbuch)
Antonio
Skarmeta
Der Aufsatz
(Bilderbuch)
Dolf Verrouen
Wie schön weiß
ich bin
James Aggrey
Der Adler, der
nicht fliegen
wollte (Bilderbuch)
Die sprechenden
Steine
Stefanos weite
Reise
Ein Meer dazwischen, eine Welt
entfernt
Ghazi AbdelQadir
Maria Teresia
Andruetto
Namioka
Lensey
Kim Yong Ik
Vogelauge
ANHANG
Eine Geschichte aus Afrika über ein Mädchen namens Aya, das Ärztin werden
möchte. Diese „Karriere“ passt aber nicht mit den Vorstellungen ihres Vaters
überein, so muss sie selber ihren Weg der Selbstverwirklichung suchen.
Ein ganz besonderes Buch, das ohne Text, ausschließlich mit Bildern auskommt. Schaun Tan erzählt die Geschichte einer Flucht aus einer bedrohlichen Situation, das Ankommen in einem fremden Land, wo die Figuren nicht
einmal die Sprache verstehen, und schließlich den Beginn eines neuen Lebens.
Das Buch vermittelt auf einfache und verständliche Art das Charakteristische
einer Diktatur in Chile und die Möglichkeiten, wie ein kleiner Junge sich der
Macht widersetzt und seine Eltern rettet.
Ein zwölfjähriges Mädchen bekommt zum Geburtstag einen eigenen Sklaven
geschenkt. Aus ihrer „naiven“ Perspektive wird gezeigt, wie grausam diese
weiße Familie die Sklaven behandelt. Darüber hinaus spricht das Buch auch
die Machtverhältnisse innerhalb der Familie an.
Das Buch erzählt, wie ein Adler „gezähmt“ wird und wie er später sein wahres
Wesen erkennt. Die Geschichte steht symbolisch für die unterdrückten Völker
in Afrika und fordert dazu auf, sich der eigenen Werte zu besinnen.
Der elfjährige Kamal aus Palästina beschreibt die ersten Monate der Intifada
aus seiner Sicht.
Stefano lebt in Italien, will aber nach Amerika ziehen, weil man dort nicht zu
hungern braucht.
Die Geschichte spielt in China im Jahr 1921. Die 16-jährige Yanyan ist
Tochter eines liberal denkenden Vaters und will Ärztin werden. Um diesen
Traum zu verwirklichen, fährt sie in die USA. Ein Buch über den Kampf um
weibliche Selbstbestimmung, über Vorurteile und über die Schwierigkeiten,
die Identität in der Fremde zu wahren.
Eine Geschichte aus Korea, wo ein Junge und seine Mutter als einzige blaue
Augen haben. Der Junge wird deshalb ausgelacht, andererseits wird er auch
beneidet, weil er einen eigenen Ochsen hat, der sogar einen Preis gewinnt! Ein
Buch über Anderssein und den Umgang mit der Ausgrenzung der Anderen.
111
ANHANG
Brigitte Schulte
„Heimat ist nicht dort, wo du geboren bist“
Ein Bücherkoffer mit transkulturellen Jugendromanen als
Ausgangspunkt für Leseförderung, literarisches und globales
Lernen in der 7. bis 10. Klassenstufe
Autor
Isabel Allende
Fatou Diome
Khaled Hosseini
Yadé Kara
An Na
Rafik Schami
Nasrin Siege
Valérie Zanetti
Dilek Zapticoglu
112
Buchtitel
Inhalt
Abenteuer von
Alex nimmt an den Expeditionen seiner Großmutter Kate, einer amerikaniAguila und Jaguar schen Reiseschriftstellerin, teil, die an den Amazonas, in den Himalaya und
nach Äquatorialafrika führen. In Brasilien freundet er sich mit Nadia, der
Tochter des Reiseführers an, die ihm Zugang zu einer magisch-mystischen
Sicht eröffnet. Zusammen mit ihr besteht er diverse Abenteuer und Herausforderungen.
Der Bauch des
Der Roman erzählt von der Sehnsucht nach Aufbruch senegalesischer JugendOzeans
licher, die hoffen, durch (illegale) Einwanderung Wohlstand und Glück zu
finden sowie von den Schwierigkeiten der Immigranten in Frankreich. Die
Geschichten werden aus der Sicht einer jungen Immigrantin erzählt, die ihren
Bruder von diesem Weg abhalten, aber selbst nicht in die starre senegalesische
Gesellschaft zurückkehren möchte.
Drachenläufer
Amir kehrt aus Amerika in seine Heimat Afghanistan zurück, um eine Schuld
aus Kindertagen zu begleichen. Der Roman zeigt das heutige und in Rückblenden das Afghanistan vor der Herrschaft der Taliban und ist ein persönlicher Entwicklungsroman.
Selam Berlin
Hassan und seine Familie pendeln zwischen Istanbul und Berlin. Am Tag des
Mauerfalls beschließt Hassan, endgültig nach Berlin zurückzukehren. Dort
entdeckt er das Doppelleben seines Vaters, schließt Freundschaften und wird
erwachsen. Der Roman zeigt prototypisch die Herausforderungen für die
erste und die zweite Einwanderungsgeneration.
Im Himmel
Jonghu wandert mit ihren Eltern von Korea in die USA aus. Nach anfänglispricht man Eng- chen Herausforderungen in Bezug auf Sprache und Lebensweisen integriert
lisch
sie sich dort wesentlich schneller als ihre Eltern, was zu familiären Problemen
führt und sie vor die Frage ihrer eigenen Identität stellt.
Die Sehnsucht der Lufti, ein junger farbiger Syrer, pendelt als illegaler Einwanderer zwischen
Schwalbe
Frankfurt und Damaskus, da er trotz mehrfacher Abschiebung immer wieder
nach Deutschland zurückkehrt. Schließlich findet er seine Heimat auf dem
multikulturellen Frankfurter Flohmarkt.
Shirin
Autobiografischer Roman aus der Ich-Perspektive erzählt über die Integration
eines Mädchens aus dem Iran in die deutsche Gesellschaft der 1960er Jahre.
Dabei geht es nicht nur um sprachliche und soziale Herausforderungen, die
Shirin bewältigen muss, sondern auch um eine Identitätssuche.
Leihst du mir
Ein Briefroman zwischen einem jüdischen Mädchen aus Jerusalem und einem
deinen Blick?
jungen Araber aus dem Gazastreifen, die sich durch das Schreiben so annähern, dass sie auch bei kontroversen Diskussionen Empathie für den anderen
zeigen können.
Der Mond isst die Ömer, ein 18jähriger Gymnasiast, versucht den Tod seines Vaters aufzuklären,
Sterne auf
der allem Anschein nach Opfer eines rassistischen Überfalls geworden ist.
Dabei entdeckt er, dass sein Vater ein geheimes Doppelleben geführt hat. Der
Roman zeigt prototypisch die Herausforderungen für die erste und die zweite
Einwanderungsgeneration.
AUTORiNNEN
AutorInnenverzeichnis
Irene Brunner-Hübner, Mag.a
unterrichtet seit 30 Jahren Deutsch und Geschichte am Goethegymansium in Wien. Email: i.brunner-huebner@aon.at
Rudolf Freisitzer, Mag. Dr. phil.
unterrichtet Geschichte, Politik und Kultur sowie Deutsch am Öffentlichen Stiftsgymnasium der Benediktiner in St.
Paul im Lavanttal. Email: geschichte1@aon.at
Sabine Fuchs, Mag.a Dr.in phil.
unterrichtet derzeit an der Handelsakademie Grazbachgasse und an der Pädagogischen Hochschule in Graz, ist Lektorin
an der Karl-Franzens-Universität Graz. Emailadresse: sabine.m.fuchs@hotmail.com.
Margot Graf
unterrichtet Deutsch und Bildnerische Erziehung in der KMS Svetelskystraße in Wien.
Ausbildung zur Lesedidaktikerin und zur Montessoripädagogin. E-Mail: jean-jacques.pascal@utanet.at
Heidi Grobbauer, Dr.in
studierte Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Salzburg. Seit 2004 Geschäftsführerin von KommEnt –
Gesellschaft für Kommunikation, Entwicklung und dialogische Bildung. Email: heidi.grobbauer@komment.at
Sabina Haas, Mag.a
studierte Deutsch und Bildnerische Erziehung in Wien (1982-88) sowie Development Studies (Schwerpunkt Soziologie) in Kapstadt, Südafrika (1995-97). Sie unterrichtet Bildnerische Erziehung und Deutsch am Goethegymnasium in
Wien. Email: sabinahaas@astgasse.net
Ulrike Kraßnitzer, Dipl. päd.in
unterrichtet Deutsch, Musikerziehung. ME-Koordinatorin, Bibliothekarin an der Musikmittelschule Hasnerschule in
Klagenfurt. Email: ullikrassnitzer@gmx.at
Georgine Lansky, Mag.a, PhD.
Lehrerin und Bibliothekarin in der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz. Sie unterrichtet Deutsch, Religion, Kommunikation und Präsentation, Bühnenspiel. Email: Georgine.lansky@liwest.at
Alexandra Mundweil, Mag.a
AHS-Lehrerin für Deutsch, Psychologie und Philosophie, sowie Schulbibliothekarin und Legastheniebetreuerin, EVATrainerin (Methodentraining). Email: alexandra.mundweil@klostergasse.at
Hajnalka Nagy, Dr.in phil.
studierte Germanistik und Romanistik. Derzeit als Senior Scientist am Institut für Deutschdidaktik tätig. Email: Hajnalka.Nagy@aau.at
Adelheid Putz, Mag.a
unterrichtet Deutsch und Katholische Religion am Goethegymnasium in Wien. Email: adelheid.putz@aon.at
Brigitte Schulte
ist Dozentin der LehrerInnenfortbildung und lehrt Fachdidaktik Deutsch an der Freien Universität Berlin.
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AUTORiNNEN
Claudia Soukup, Mag.a
AHS-Lehrerin für Englisch und Spanisch, Leiterin der Tagesbetreuung, Schülerberaterin, Leiterin der Peer-Mediation,
diverse Zusatzqualifikationen, u.a. „Drama in Education”. Email: claudia.soukup@klostergasse.at
Simone Steharnig, Mag.a
unterrichtet Deutsch und Slowenisch im BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt. Email: s.steharnig@sify.com
Gerhild Hardt-Stremayr, Mag.a
Lehrerin an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz, unterrichtet Deutsch, Wirtschaftsgeografie, Kommunikation
und Präsentation. Email: g.hardtstremayr@hbla-kunst.eduhi.at
Werner Wintersteiner, Univ.-Prof., Dr. phil.
Friedenspädagoge und Deutschdidaktiker, Leiter des Insituts für Deutschdidaktik sowie Gründer und Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedenspädagogik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Email: Werner.Wintersteiner@aau.at
Hans-Peter Wittmann, Mag.
studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik in Wien, Paris und Bordeaux, seit 1989 Lehrer am Gymnasium
Wien 1, Stubenbastei. Leiter des Wiener und Bundeswettbewerbs für Französisch 1999-2005, Secrétaire général der
APFA (Vereinigung der österr. FranzösischprofessorInnen), Ausbildung zum „Fachbezogenen Bildungsmanager“. Email:
HPWittmann@gmx.at
Andrea Zikulnig, Mag.a
ist Lehrerin für Deutsch und Französisch am BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt / ZG/ZRG za Slovence v Celovcu.
E-Mail: andrea.zikulnig@bgslo.at
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