Kleiner Grenzverkehr - Auberge Frankenbourg

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Kleiner Grenzverkehr - Auberge Frankenbourg
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.05.2012, Nr. 116, S. 32
Geschmackssache
Kleiner Grenzverkehr
Zwischen Frankreichs und Deutschlands Küchen liegt mehr als
nur der Rhein. Aber unser Nachbarland hat auch höchst
interessante Neuerer zu bieten, zum Beispiel im elsässischen La
Vancelle.
Im kulinarischen Bereich ist die Grenze zwischen Frankreich
und Deutschland nach wie vor viel deutlicher, als gern
behauptet wird, und im Grunde wird die Distanz mittlerweile
sogar wieder größer. Dass die deutsche Spitzenküche zum
Beispiel in den einschlägigen französischen Zeitschriften kaum
jemals vorkommt, ist eine scheinbar unverrückbare Konstante.
Nur mittlerweile grämt es eine neue Generation deutscher
Köche nicht mehr so recht, weil sie multinationaler denkt und
kaum noch um die Anerkennung der ehemaligen Lehrmeister
buhlt.
Aber die Welt besteht eben auch aus vielen Details, und die
haben es manchmal in sich. Mit einigem Erstaunen registriert
man also an diesem Donnerstagmittag in einem winzigen
Vogesendörfchen namens La Vancelle ein bestens gefülltes
Haus. Man studiert die Karte und vermutet Druckfehler, weil
zum Angebot der "Auberge Frankenbourg" zum Beispiel ein
Menü namens "Découverte Gourmande" gehört, das für zehn
Gänge, die durchaus jenseits von Amuse-Bouche-Portionen
liegen, nur mit 69 Euro zu Buche schlägt (mit einer
zuverlässigen Weinbegleitung 91 Euro). Wie geht das?
Anscheinend will dort jemand überzeugen und weder
überziehen noch ausreizen. Erstaunlich.
Der Chef des Ganzen ist der Mittdreißiger Sébastien Buecher,
der als eines der größten Nachwuchstalente der elsässischen
Küche gilt und bei einschlägigen Größen wie Fernand Mischler
("Auberge du Cheval Blanc", Lembach), Emile Jung ("Le
Crocodile", Straßburg) und Jean-Luc Brendel ("La Table du
Gourmet", Riquewihr) gelernt hat. Deren Spuren sind im
Programm zwischen satter Klassik und modernen Tupfern klar
zu erkennen. Zum Beispiel bei einer Komposition aus Morcheln,
gebratener Entenstopfleber und einer "Bouillon de Vin Jaune",
also der in der Küche gerne verwendeten Spezialität aus dem
Jura. Das Gericht fällt in die Abteilung "nahrhaft", weil Buecher
sich offensichtlich nur dem Geschmack und nicht der Diätetik
verpflichtet fühlt. Auf dem Boden des Tellers findet sich ein
Leber-"Royale", darauf dünne Scheiben krosses Brot, dann zwei
Stücke Foie gras in Robuchon-Dicke, also so, dass man sie auf
beiden Seiten kräftig anbraten kann ohne den Kern aufzulösen.
Die Sauce bringt ein wenig Säure, und eine üppig-buttrige
Menge Morcheln rundet ab.
Man vergleicht unweigerlich und konstatiert eine Art
gewachsenes Geschmacksbild ohne jedes Kalkül, das man so
oder ähnlich bei uns quasi nicht findet. Dies hier schmeckt auch
noch gewissermaßen bodenständig und hat keinerlei
Ähnlichkeit mit den diesseits des Rheins so beliebten im
Grunde dessert-ähnlichen Foie-gras-Patisserien. Wenn die
Verwendung nichtgestopfter Lebern weiter fortschreitet, sollte
diese Bodenständigkeit öfter zu finden sein.
Auch im zeitgenössischeren Fach bleibt Buecher bei einer
gewissen Üppigkeit. Sein Tatar aus Omble Chevalier mit einem
Sorbet und "Chlorophyll" aus wildem Knoblauch und einer mit
Anis aromatisierten Teighippe hat einigen Umfang und den in
Frankreich noch häufig zu findenden Mix aus teilweise guten
Ideen und sensorisch problematischer Umsetzung. Das Sorbet
zum Beispiel wird fein und mild gehalten, die ChlorophyllTupfer sind intensiv, und einige wie Kapern eingelegte Spitzen
des wilden Knoblauchs wirken elegant und originell. Dann aber
ist das Tatar etwas vergröbernd mit Kräutern angereichert und
vor allem die bröckelig-krosse Teighippe außerhalb jeder
sinnvollen Proportion.
Die nächste Stärke aber naht schon: eine Dorade mit einem
Fricassée aus Muscheln und Hummer, Bulgur und einem
Sellerie-Risotto. Die erste Auffälligkeit ist die präsente Frische
von Fisch, Muscheln und Hummer, die in dieser Form in
Deutschland selbst auf dem Niveau eines normalen
Sternerestaurants leider immer noch zu den Ausnahmen
gehört. Daraus entwickelt sich wieder eines dieser gewachsenen
Geschmacksbilder, weil die Priorität nicht artistischen
Garungen, sondern vor allem dem aromatischen Bereich gilt. In
diesem Falle geht es um den feinen Säureanteil von Sauce und
Marinade, der das Typische unterstützt und mehr auf die
Zusammenarbeit der Produktaromen als auf eine
Homogenisierung größerer Zusammenhänge abgestellt ist. Bei
diesem Gericht glänzt dann auch die Begleitung mit dem
unaufdringlichen Mix aus Bulgur und dem erstaunlich dezent
funktionierenden Sellerie-Risotto.
Auch bei der Taube aus dem Elsass mit Saubohnen-Bouillon
überzeugt das Produkt, das abermals nicht artistisch auf
Zartheit hin gegart, sondern vor allem aromatisch perfektioniert
ist. Die Brust könnte man - mit ihrem makellosen, fein
strukturierten Geschmack und dem à point eingebundenen
Hauch von Blut-Aroma - ohne weiteres pur essen. Mit einem
extra gereichten Mix aus Gelee und Mousse aus Elsässer Speck
kommt auch wieder etwas von der eleganten Bodenständigkeit
hinzu.
Dann aber entgleist wieder ein Detail, und zwar bei den
ausgebackenen Medaillons mit Keulenfleisch, die mit ihrer
dicken und harten Panade jeden Akkord viel zu stark und banal
dominieren und auch die Füllung komplett degradieren. Ein
wenig zu schwungvoll gerät auch ein Dessert, bei dem aus
unerfindlichen Gründen marinierte Himbeeren in größere
Gelee-Mengen eingeschlossen werden und das Aroma der guten
"Mara de Bois"-Erdbeeren so mit Balsamico behandelt wird,
dass das Produkt glatt auf der Strecke bleibt. Vorher gab es
einen Lippenstift mit Erdbeereis-Füllung, nachher riesige und
ziemlich unersprießlich schmeckende Chocolats und letztlich
dann den Eindruck, dass es in der "Auberge Frankenbourg"
noch ein wenig holzschnittartig zugeht. In vielen vergleichbaren
deutschen Küchen wird längst präziser gearbeitet - aber in der
Behandlung der Produkte und vor allem im aromatischen
Sektor auch gern schon mal in der Nähe des Sterilen.
Die Lösung liegt im Moment in der Mitte: intensiv von der Basis
her denken und eine perfekte sensorische Inszenierung finden.
JÜRGEN DOLLASE
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