Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote
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Fernsehprogramm zwischen Qualität und Quote
D e r T V-A l l t a g e n t s c h e i d e t ü b e r d e n S e n d e r e r f o l g Fernsehprogramm zwis Das TV-Angebot wächst. Die Zuschauer lassen sich nicht mehr so leicht in Zielgruppen einteilen. Filmisch hochwertige Programme sind keine Garantie für den breiten Zuspruch des TV-Publikums. Aber nicht nur Publikumswünsche machen eine Qualitätsdebatte schwierig. »Der Wurm muss dem Fisch schme- hundert ausländische Fernsehmärkte Kinoqualität folgen. Wenige Jahre cken, nicht dem Angler«, hatte Helmut verkauft werden. Um solche interna- später war das Erfolgsprinzip aber be- Thoma 1990 erklärt. »Qualität ist für tionalen Zweitverwertungen sicherzu- reits zum Erzählmuster verkommen: uns Quote«, sagt Guillaume de Posch stellen, muss freilich bereits in der In der Fernsehsaison 2005 / 6 strahlten dieser Tage. Eine Fernsehära, eine Buchentwicklung und beim Casting RTL, Sat.1 und das ZDF kurz hinter- Wirtschaftskrise und eine digitale Re- penibel darauf geachtet werden, dass einander drei Teamworx-Produktionen volution liegen zwischen den beiden das fertige Produkt am Ende nicht allzu aus, bei denen jeweils vor historischer Äußerungen. Und doch meinen der »deutsch« aussieht. Was für die kom- Kulisse kitschige Dreiecksromanzen damalige RTL-Boss und der derzeitige merzielle Kosten-Nutzen-Rechnung inszeniert wurden. Zwar erzielten auch ProSiebenSat.1-Chef letztlich immer gilt, stimmt längst auch für das öffent- »Die Sturmflut«, »Die Luftbrücke« und noch das Gleiche: Eine Qualitätsdebat- lich-rechtliche Fernsehen: Aufwändige »Dresden« Millionenquoten. Zugleich te jenseits von Publikumswünschen Historiendramen wie »Dresden« oder löste der Teamworx-Hattrick aber eine und Shareholder-Interessen kann sich »Die Flucht« wären ohne den Auslands- Diskussion über den adäquaten Um- das Privatfernsehen nicht leisten. Oder markt kaum refinanzierbar. gang mit historischen Stoffen aus. Wie etwa doch? Die Produktionsfirma Teamworx weit, so fragen sich die Historiker, darf machte der Branche 2001 vor, wie sich das Fernsehen um der Einschalt- markt in den letzten Jahren in rasan- man »weltmarktfähig« (Teamworx-Chef quote willen von der historischen Wahr- tem Tempo segmentiert und speziali- Nico Hofmann) produziert und dabei heit entfernen. Als das Produktions- siert hat, macht es sicher nicht leichter, Quote und Qualität selbst für einen unternehmen Spiegel TV im dctp- das Binnenverhältnis von Quote und renditeorientierten Privatsender in Ein- Kiosk nach der Sat.1-Eventproduktion Qualität zu bestimmen. So kann es aus klang bringt. Das von Regisseur Roland »Der geheimnisvolle Schatz von Troja« ökonomischer Sicht durchaus heute Suso Richter inszenierte Sat.1-Mauer- eine Dokumentation über den Archäo- Sinn machen, für das vergleichsweise drama »Der Tunnel« hatte einen für logen Heinrich Schliemann ausstrahlte, überschaubare Zielgruppenpublikum damalige Verhältnisse sensationellen musste dem Publikum zunächst klar von ProSieben hochwertige und also Schauwert. Andere Produzenten ließen gemacht werden, wie wenig die extrem kostenintensive Katastrophen- mit »Das Wunder von Lengede« oder Geschichte des »echten« Schliemann filme wie »Tornado«, »Tsunami« oder »Der Untergang«, der schon beim Dreh »Das Inferno« herzustellen – voraus- für die Großleinwand zur Weiterver- gesetzt diese können dann wie in den wertung im Fernsehen produziert wur- oben genannten Fällen in mehr als de, bald ähnliche Geschichtsstücke in Dass sich der deutsche Fernseh- chen Qualität und Quote mit dem Indiana-Jones-Abenteurer chen. Um der öffentlich-rechtlichen man wieder näher ran ans (weibliche) aus dem Sat.1-Film gemein hatte. Verpflichtung zum gesellschaftlichen Publikum. »Passt dieser Stoff, dieser Diskurs dennoch nachzukommen, imple- Regisseur, diese Hauptdarstellerin wirk- rechtliche wie private – brauchen in mentieren ARD und ZDF die »Problem- lich zu uns?«, will sich Szezinski bei der regelmäßigen Abständen millionen- themen« in aller Regel in einer populä- Durchsicht der neuen Skripte gefragt schwere Leuchtturm-Produktionen, um ren Krimireihe oder einem Genrethriller. haben. Konsequenter denn je setzt der Alle Programmanbieter – öffentlich- auf sich aufmerksam zu machen. Aber über den Sendererfolg entscheidet letztlich der TV-Alltag. »Wir verfügen über Sat.1-Produktionen peilten zu oft Wenigseher an Sender 2008 auf den von Marketingfachleuten ermittelten »Unique Selling Point«, das Alleinstellungsmerkmal: Mit probate Rezepte, um unser Stamm- Das versiert konstruierte Genrestück ist einer klaren auf frauenaffine Stoffe aus- publikum zu erreichen«, gibt ZDF-Fern- allerorten zum gut gepflegten Quoten- gerichteten Strategie und einer Handvoll sehspiel-Chef Hans Janke unumwun- garanten avanciert. So konsequent wie hauseigener »Quoten-Gesichter« wie den zu und nennt mit »Traumschiff«, kein anderer Sender setzt derzeit der Sophie Schütt, Christoph M. Ohrt oder »Rosamunde Pilcher« und »Wilsberg« Berliner Privatsender Sat.1 auf Populä- Alexandra Neldel will man mit dem oder »Stubbe« die entsprechenden res: Um der anhaltenden Senderkrise »Großen Sat.1 Film« die Quotenerfolge Chiffren. Im Dutzend grundversorgt der endlich zu entkommen – Ende 2007 aus der Vergangenheit in die Zukunft Mainzer Sender sein älteres und wenig war der Marktanteil von Sat.1 mit 10,6 fortschreiben. »Im Seichten kann man experimentierfreudiges Publikum mit Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen auf nicht ertrinken«, provozierte Helmut dieser wenig innovativen Programm- einem historischen Tiefstand angekom- Thoma einst seine Kritiker. Heute kann ware. »Wenn man originell und interes- men –, optimierte die Programmdirek- man immerhin mit einem ästhetisch zu sant sein will«, so Janke, »riskiert man tion alle anstehenden TV-Movie-Projek- dürftigen Programm baden gehen: Beim sofort die Reichweite, ohne dabei das te im Hinblick auf ihre Verträglichkeit ZDF weiß man, dass das Publikum in- junge Publikum zu erreichen.« Gesell- mit der Sat.1-Kernzielgruppe: Frauen haltlich viel Schlichtes akzeptiert, wenn schaftsrelevante Themen seien beim zwischen 29 und 49 Jahren. Bisher es nur gut aussieht. »Umgekehrt«, so ZDF gerade noch quotensicher genug, habe der Sender mit seinen Eigenpro- Hans Janke, »funktioniert das nicht.« um sie überhaupt realisieren zu können. duktionen zu oft »Leute anvisiert, die Aber das »ungemütliche«, weil sozial- kaum Fernsehen gucken«, gibt Volker produktion scheint die Kluft, die sich kritische Fernsehspiel ist schnell nicht Szezinski, Leiter der Sat.1-Programm- zwischen dem mehr behaglich genug, um mehr als planung, zu. Künftig will vier Millionen Zuschauer zu errei- Vor allem im Bereich der Serien- Hans Janke, Leiter Fernsehspiel beim ZDF, sagt: »Wenn man originell und interessant sein will, riskiert man sofort die Reichweite, ohne dabei das junge Publikum zu erreichen.« Anspruch der Kreativen und dem auf sein Publikum zugehen, muss Geschmack der Zuschauer aufgetan es sich zwangsläufig von der gesell- hat, inzwischen unüberbrückbar groß. schaftlichen Wirklichkeit entfernen. Mit durchschnittlich 5,6 Millionen Zuschauern in der Gesamtbevölkerung ist die betulich eskapistische Hospital- Help-TV-Formate sind Gratwanderung serie »In aller Freundschaft« im ARD- Interessanterweise hat sich im Bereich Programm in absoluten Zahlen immer der non-fiktionalen Fernsehunterhal- noch erfolgreicher als die sperrige tung zeitgleich der entgegengesetzte US-Kultserie »Dr. House« bei RTL. Im Mechanismus etabliert: Begonnen hat letzten Jahr scheiterten viele deutsche alles vor vier Jahren, als RTL die Mün- Qualitätsserien an mangelndem Publi- chner Produktionsfirma Tresor TV be- kumszuspruch: Die RTL-Serien »Die auftragte, eine deutsche Adaption des Anwälte« und »Herzog« wurden nach britischen Coaching-Formats »Super- nur einer beziehungsweise drei Folgen nanny« zu erarbeiten. Mit der Diplom- abgesetzt. Sat.1 stoppte »Deadline« Pädagogin Katja Saalfrank entwickelte nach neun Sendeterminen, als der RTL binnen kurzem eine televisionäre Marktanteil in der Zielgruppe der 14- Erziehungsberatung, in der »echte« bis 49-Jährigen auf 6,6 Prozent abge- pädagogische Problemfälle vor einem sunken war. Ein Jahr zuvor waren die Millionenpublikum gelöst werden. Für teuer gemachten Prestigeproduktionen die Teilnahme an der Dokutainment- »Bis in die Spitzen« und »Blackout« Show »Die Super Nanny« zahlt die grandios gefloppt. Die ARD stellte Produktionsfirma jeder Familie eine »Elvis und der Kommissar« und »Ein Fall Aufwandsentschädigung von 2000 für die Diskussion, wie viel wir zeigen für Nadja« ein, das Zweite »schenkte« Euro. Dafür lassen sich die Mitwirken- dürfen«, erklärt RTL-Unterhaltungschef den High-End-Serien »KDD – Kriminal- den zwei Wochen lang dabei beobach- Tom Sänger, hält aber mit dem Argu- dauerdienst« und »Dr. Martin« zweite ten, wie Familienhelferin Saalfrank mit ment dagegen, die Verhältnisse vor Ort Staffeln, obwohl die Quoten in beiden ihnen an ihren pädagogischen Defiziten nicht zu zeigen, bedeute letztlich, vor Fällen eher unbefriedigend gewesen arbeitet. Im Kern funktioniert die Super- der Realität die Augen zu verschließen. waren. Lediglich RTL konnte mit der Nanny wie die Vorher-Nachher-Shows Nicht zuletzt weil die familiären Pro- Pathologenserie »Post Mortem« einen »Einsatz in vier Wänden« oder »Woh- bleme nach Sängers Beobachtung in erfolgreichen Neustart verzeichnen. nen nach Wunsch« – nur, dass es hier den letzten Jahren zugenommen haben, Noch mehr Quote macht der Sender nicht um verwahrloste Wohnungen, räumte RTL diesen sozial relevanten aber mit den amerikanischen Origina- sondern um ungezogene Kinder geht. Themen mehr und mehr Sendezeit ein. len »CSI Miami« und »CSI – Den Tätern Wenn Saalfrank »Monster in Muster- auf der Spur«. kinder« verwandelt, wie es die Presse an die Super-Nanny der Berliner Schul- ausdrückt, sehen dabei regelmäßig denberater Peter Zwegat auf Sendung. fünf bis sechs Millionen Menschen zu. Auch dieses, von der Kölner Firma Ob Historienepos oder Serienkrimi, ob frauenaffines Privatfernsehen oder Im letzten Jahr ging im Anschluss bildungsbürgerliches Gebühren-TV – Der unerwartet große Quotenerfolg Probono produzierte Coaching-Format eines zeigt die Branchenentwicklung zog bald diverse Me-Too-Projekte nach »Raus aus den Schulden« ist eine stän- der letzten Jahre überdeutlich: Das sich, rief aber auch die Kritiker auf dige Gratwanderung. Wer sich von Publikum meidet widerständige Pro- den Plan: Bereits nach Ausstrahlung Zwegat helfen lässt, muss anschließend grammangebote längst nicht mehr der zweiten Folge kritisierte der Kinder- damit leben, dass ihm halb Fernseh- nur im Nachmittagsprogramm. Auch schutzbund, die Darstellung hilfloser deutschland ins Portemonnaie geschaut in den filmisch hochwertigen Qualitäts- Eltern und tobender Kinder in der hat. Zudem macht der Schuldenberater programmen der Primetime gilt in- Super-Nanny sei »in besonderer Weise seinen Klienten vor laufender Kamera zwischen: Will das Erzählfernsehen entwürdigend«. Er habe »Verständnis unmissverständlich klar, dass sie sofort 6 TENDENZ 1 2008 T I T E LT H E M A Tom Sänger, Bereichsleiter Unterhaltung ihre Konsumgewohnheiten Show & Daytime bei RTL Television, ändern müssen. Handy- steht hinter seinem TV-Coaching-Konzept: vertrag kündigen, Auto ab- »Hohe Quote heißt in diesem Fall ja auch, melden, Plasmabildschirm dass sich viele Menschen für ein Problem verkaufen: Zwegats Heils- interessieren.« botschaft ist mit dem werbefinanzierten Fernsehen letzt- tung für Straßenkids untergebracht, ohne Folgen für unsere Gesellschaft« sein lich nur schwer vereinbar. wo der Jugendliche den Plan fasste, könne und forderte RTL-Geschäftsführerin Super-Nanny Katja Saalfrank seinen Hauptschulabschluss nachzu- Anke Schäferkordt auf, »mit der Multipli- hatte sich in der Anfangszeit machen. Kurz vor seinem 18. Geburts- katorenrolle ihres Senders verantwor- schon mal darüber beklagt, tag wurde David tot in seiner Woh- tungsvoller umzugehen«. Derart mit öffent- dass keines ihrer Beratungs- nung aufgefunden, die Polizei geht licher Aufmerksamkeit gesegnet, gelang gespräche, in denen sie den von Suizid aus. Nun lebt der »Fernseh- der Castingshow dann ein besonders guter exzessiven Fernsehkonsum star« David im Internet weiter: Die Start: Insgesamt schalteten 6,2 Millionen der Familie kritisierte, je den Homepage, die seine Mutter für ihren Zuschauer ein. In der jungen Zielgruppe Weg in die Sendefassung fand. toten Sohn einrichtete, zählt mehr als (14 bis 29 Jahre) registrierten Bohlen und 13 000 Klicks. seine Kritiker einen Marktanteil von be- Seit RTL mit dem Streetworker Thomas Sonnenburg (»Die Auch die junge Alkoholikerin Jenny Ausreißer«) und der Familien- ist seit »ihrer« Sendung eine lokale Be- therapeutin Annegret Fischer rühmtheit geworden. Wurde sie früher Noble (»Teenager außer Kontrol- von Passanten häufiger getreten, kann le«) noch zwei weitere Einzelfall- sie sich nun »beim Schnorren im Mc- helfer engagiert hat, spricht die Donalds vor Cheeseburgern kaum noch Presse anerkennend vom »Sozial- retten«, wie TV-Streetworker Sonnen- staatsfernsehen allererster Güte« burg die Wirkmacht seiner Sendung (Spiegel). RTL-Unterhaltungschef recht plastisch beschreibt. Was wäre Sänger weist den damit formu- das Sozialstaatsfernsehen ohne Ein- lierten Anspruch zurück: »Soziale schaltquote? »Ich finde es aufrichtig, Relevanz ist eine grundlegende was wir da tun«, verteidigt TV-Manager Kategorie in unserem Programm. Sänger sein TV-Coaching-Konzept. Wir greifen gesellschaftlich relevante »Hohe Quote heißt in diesem Fall ja Themen auf und gehen dabei im Ein- auch, dass sich viele Menschen für ein zelfall sehr nah ran. Wir gehen diesen Problem interessieren.« Weg gemeinsam mit kompetenten merkenswerten 45,1 Prozent. Bevor sich die RTL-Zuschauer für die Experten wie Frau Saalfrank oder Herrn Probleme jugendlicher Ausreißer interes- Sonnenburg. Es irritiert mich ein we- sierten, haben sie sich freilich für die nig, wenn man von uns als Fernseh- vielen Hoffnungsvollen und Unbegabten sender deshalb gleich erwartet, die so- interessiert, die sich vergeblich bei der ziale Verantwortung für gesellschaft- RTL-Castingshow »Deutschland sucht liche Missstände zu schultern.« den Superstar« (DSDS) bewarben. Mehr Zumindest im Einzelfall des 17-jäh- als je zuvor war das Format zum Staffel- rigen Davids könnte da aber schon ein start im letzten Jahr in die Kritik geraten. direkter Zusammenhang bestehen: Der Mit abfälligen Bemerkungen gegenüber Jugendliche war der erste gewesen, den jungen Bewerbern wie »Wisst ihr, was dessen Schicksal der Streetworker Tho- der Unterschied zwischen euch und einem mas Sonnenburg in dem neuen RTL- Eimer Scheiße ist? Der Eimer«, hatte DSDS- Format »Die Ausreißer« vorgestellt hat- Juror Dieter Bohlen den Jugendmedien- te. In 45 Minuten zeigte die Dokusoap schutz auf den Plan gerufen. Der evangeli- eine Entwicklung, die sich in Wahrheit sche Bischof Wolfgang Huber warf dem über Monate hinweg erstreckt hatte: Pop-Produzenten »Verletzung der Menschen- Sonnenburg hatte David in Hamburg würde« vor. Der Deutsche Kulturrat prophe- auf der Straße kennen gelernt und in zeite anlässlich der aktuellen Staffel, dass Berlin in einer pädagogischen Einrich- »diese Form medialer Massenverrohung nicht 7 TENDENZ 1 2008 T I T E LT H E M A Sehdauer von ARD, ZDF, ARD III, RTL, Sat.1 und ProSieben nach Bildung überziehen, ihn lächerlich zu TV« noch ein klar umrissenes machen und dies als gesell- Programmfeld, das in seiner Bereit- schaftlich gewollt darzustellen. schaft zum Tabubruch von der soft- Was bei DSDS gezeigt wird, ist pornografischen Busenshow »Tutti- eine rücksichtslose Selektion Frutti« bis zum jugendgefährdenden von Bewerbern, die im Alltag Konfrotalk reichte und von den Auf- unüblich ist. Es ist also keines- sichtsbehörden auf die Kriterien des wegs so, dass hier übervorsich- Rundfunkstaatsvertrages hin geprüft 30 tige Medienwächter das Fern- werden konnte. 20 sehprogramm beschneiden 10 wollen.« Ausschlaggebend bei angebote sind nun in viele Richtungen der Beurteilung der KJM war, hin deutungsoffen, auch das Millio- 70 dass es bei DSDS nicht nur um nenpublikum, das sie einschaltet, ist 60 singuläre Entgleisungen einer nicht so leicht ausrechenbar wie bisher 50 Einzelperson geht, sondern um gedacht. Die langjährige Annahme, 40 eine bewusste Inszenierung das Privatfernsehen bediene mit seinen 30 durch RTL. Außerdem kritisier- oft geschmacklosen Unterhaltungs- 20 te die KJM, dass der TV-Sender programmen vor allem bildungsferne 10 trotz wiederholter Aufforde- Schichten, während die gut gebildeten 0 rungen das Format nicht vor Mittelschichtzuschauer in die öffentlich- der Ausstrahlung der Freiwilli- rechtliche Röhre gucken, ist seit dem gen Selbstkontrolle Fernsehen letzten Jahr endgültig wissenschaftlich zur Prüfung vorgelegt hatte. widerlegt. In ihrer Langzeituntersu- 40 »Fünf Jahre KJM haben ge- chung kommen die Medienwissenschaf- 30 zeigt, dass sich das Modell der tler Jörg Hagenah und Heiner Meu- 20 Ko-Regulierung zwar bewährt lemann zu einem eindeutigen Ergebnis: 10 hat, die Selbstkontrolle aber nur Das »Unterschichtfernsehen« gibt es dann wirksam ist, wenn ord- nicht. Vielmehr sehen letztlich alle alles nungspolitische Steuerungs- – und sei es nur, um am nächsten Tag instrumente zur Verfügung ste- bei der Arbeit mitreden zu können. Ein- hen«, betont Ring. zige Ausnahme ist ProSieben, dem die von 1988 bis 2007 pro Tag in Minuten 0 1 2 3 4 5 6 7 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2 Sehdauer in Minuten / Tag 70 60 Personen mit Abitur /Hochschulstudium 50 40 Sehdauer in Minuten / Tag 0 Personen mit mittlerer Reife Sehdauer in Minuten / Tag 70 60 Personen mit Hauptschulabschluss 50 0 0 1 2 3 4 5 6 7 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 00 00 00 00 00 00 00 00 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 19 2 2 2 2 2 2 2 2 ARD ZDF ARD III RTL Sat.1 ProSieben Geschmacksfragen sollen Und nicht nur die neuen Fernseh- Forscher aufgrund einer leichten Zunah- seiner Auffassung nach nicht me der Abiturienten im Publikum eine (2007) AGF/ GfK Fernsehforschung, pc#tv, Fernsehpanel (D), unter dem Thema »Senkung »schwache Bewegung vom Unter- BRD gesamt ab 1.1. 2003, Erwachsene ab 14 Jahre, die Jahre von Jugendschutzstandards« schichtsender zum Oberschichtsender« 2005 bis 2007 ergänzt durch BLM behandelt werden: Jugend- bescheinigen. Die meisten Zuschauer medienschutz und Programm- haben sich aber ein »duales Nutzungs- Quelle: Hagenah J. / Meulemann H.: Unterschichtfernsehen ? Die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) verhängte gegen RTL ein Bußgeld in Höhe von 100 000 Euro. Begründung: Bei der Ausstrahlung im Tagesprogramm kommt es aufgrund qualität müssten unbedingt differen- verhalten« angewöhnt: Man informiert ziert betrachtet werden. sich bei ARD, ZDF oder den Dritten und Heutiges Fernsehen nicht mehr trennscharf entspannt bei den Privaten. Auch deshalb schalten alle alle Programme ein. Allein die Sehdauer ist tatsächlich über der Inszenierung durch RTL zu einer Ob Familienzwist in der Super-Nanny die Jahre hinweg bildungsspezifisch Entwicklungsbeeinträchtigung von oder Catwalk-Dramen bei »Germany’s messbar unterschiedlich. Ansonsten Kindern unter 12 Jahren. »Antisoziales Next Topmodel«, ob Lebenshelfer Bruce teilen sich die Sender mit nicht weit Verhalten einer vermeintlichen Identifi- Darnell in der ARD oder Dschungel-Dar- auseinander liegenden Anteilen und mit kationsfigur wird als Normalität darge- ling Bata Illic bei RTL – die Grenzen zwi- von Bildungsgruppe zu Bildungsgruppe stellt. Das wirkt Erziehungszielen wie schen U und E, zwischen bitterem Ernst nur leicht variierender Rangfolge den Toleranz und Respekt entgegen und und postmoderner Unterhaltung, sind Markt: Während Zuschauer mit Abitur wirkt desorientierend auf Kinder«, er- im modernen Zielgruppen-Fernsehen oder Hochschulstudium länger öffent- klärt der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter längst nicht mehr so trennscharf auszu- lich-rechtlich fernsehen, liegen bei Ring. »Es ist alles andere als normal, machen wie zu Helmut Thomas Zeiten. den Zuschauern mit mittlerer Reife, bis einen Bewerber mit Schimpfwörtern zu In den neunziger Jahren war das »Pfui- auf eine führende Nutzung von RTL, 8 TENDENZ 1 2008 T I T E LT H E M A Schneider in seinem Inhalte, die RTL nicht aus eigenem FAZ-Papier, passe eine solche Stiftung Medientest viel besser »zu der die Öffentlich-Rechtlichen täglich nur Interesse distribuiert, machen im Netz anschwellenden Mutation von Fern- knapp vor den Privaten. Beim Publikum Quote. So war das Video, auf dem sehinhalten zu Produkten – vor allem mit Hauptschulabschluss haben ins- Dschungelcamp-Kandidat DJ Tomekk dort, wo Fernsehen seine Funktion der gesamt die öffentlich-rechtlichen Pro- zu sehen war, wie er den Hitlergruß Beratung – im guten wie im denkbar gramme einen deutlichen Vorsprung vor zeigt und die erste Strophe der deut- übelsten Sinne – ausübt«. den privaten, ähnlich wie bei den Abitu- schen Nationalhymne singt, bei Bild.de rienten. Das heißt: Bildung ist auch im abrufbar und wurde an dem Tag, an Institut wurde bereits beauftragt, eine Fernsehkonsum nicht alles. Viele andere dem RTL DJ Tomekk aus der Live- erste Machbarkeitsstudie für eine Stif- lebensweltliche Faktoren, so bilanzieren Sendung warf, zum meistgeklickten tung Medientest vorzulegen. Gerne Hagenah und Meulemann, beeinflussen Bewegtbild des Jahres. würde die LfM ein stimmiges Konzept wesentlich deutlicher das Konsumverhalten von TV-Zuschauern. So wird in Ostdeutschland deutlich mehr fern- Ein Lösungsansatz: Stiftung Medientest Das renommierte Adolf-Grimme- zum Kölner Medienforum im Sommer präsentieren. Viele Fragen müssen freilich noch geklärt werden, bevor das gesehen als im Westen, und auch die Aber auch das Fernsehen selbst ist in »hochriskante Unterfangen« (Norbert individuellen Lebensstile der Zuschauer seinen (digitalen) Nischen zum Tum- Schneider) der Öffentlichkeit vorgestellt sind für ihr Medienverhalten von ent- melplatz für allerlei dubiose Anbieter werden kann. Soviel ist für den LfM- scheidender Bedeutung. geworden. Die wachsende Vielfalt stellt Direktor aber schon jetzt klar: »Wir die Aufsichtsbehörden vor immer grö- werden an derjenigen Stelle des Pro- der Zuschauer zu einer Ware gewor- ßere Herausforderungen, zweifelhafte gramms anfangen, wo das Fernsehen den, deren Wert nicht mehr allein auf Waren und Inhalte zu prüfen. Nachdem am meisten ›Produkt‹ ist.« Das heißt dem Fernsehmarkt gehandelt wird. die Frankfurter Allgemeine Zeitung im bei den kommerziellen Lebenshilfean- Auch in diesem Punkt haben sich alte Sommer 2007 eine ausführliche Repor- geboten in den Programmnischen wie Grenzen aufgelöst, seit die TV-Veran- tage über die »Geschäfte mit der Astro- Help-TV oder Astro-TV, wo die Zuschau- stalter ihr Programm als begehrtes »Be- logie im Fernsehen« druckte, regte er die angebotenen guten Ratschläge wegtbild« auf divesen Internetportalen Norbert Schneider, Direktor der Lan- mit Telefon-Hotlines teuer erkaufen wie MyVideo oder YouTube vermarkten. desanstalt für Medien Nordrhein-West- müssen. Mit rund einer Milliarde Videoabrufe ver- falen (LfM) an, über die Einrichtung zeichneten die Plattformen von RTL.de, einer »Stiftung Medientest« nachzu- schenverachtenden Sprüchen Quote Vox.de, Clipfish.de und RTLnow.de denken. Sie solle, so Schneider, »eine macht, ein Historiendrama um der bes- zum Beispiel im letzten Jahr eine Stei- permanente Produktbewertung vor- seren internationalen Verkäuflichkeit gerung von 670 Prozent. Die populären nehmen« und »die Medien mit der ahistorisch erzählt oder ein populäres hauseigenen Fernsehproduktionen wie Frage nach Qualität behelligen«. Be- Verbrauchermagazin wie »Die Abzocker »Deutschland sucht den Superstar« reits 1994 hatte die so genannte Weiz- – Das sind ihre Tricks« sich zum Teil mit oder »Ich bin ein Star – Holt mich hier säcker-Kommission in ihrem Bericht Telefongewinnspielen zu erhöhten Ein- raus!« haben dort selbstverständlich »Zur Lage des Fernsehens« die Grün- wahlgebühren refinanziert, wird daran eigene prominent beworbene Foren, in dung eines hochkarätig besetzten Me- auch eine wie immer ausgestaltete Stif- denen die »Highlights« der Programme dienrates oder einer Stiftung Medien- tung Medientest so bald nichts ändern – vom schimpfenden Dieter Bohlen bis test nach dem Vorbild der »Stiftung können. Denn »mit dem klassischen zur Känguruhoden essenden Barbara Warentest« angeregt. Damals war das Fernsehen«, so Schneider, »wird sich Herzsprung – für jedermann auf Abruf Ansinnen aber von allen Seiten abge- die Stiftung Medientest sicher nur am bereitgehalten werden. Aber auch lehnt worden. Dieser Tage, so Norbert Rande beschäftigen.« Klaudia Wick ● Mit Web 2.0 ist die Aufmerksamkeit 9 TENDENZ 1 2008 T I T E LT H E M A Wenn also Dieter Bohlen mit men-