Dirty Girls Social Club

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Dirty Girls Social Club
Leseprobe aus:
Alisa Valdes-Rodriguez
Dirty Girls Social Club
(S. 7 - 18)
© 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Lauren
Zweimal im Jahr, und das jedes Jahr, kommen die sucias
zusammen. Ich, Elizabeth, Sara, Rebecca, Usnavys und
Amber. Ganz egal, wo wir gerade sind – als sucias reisen
wir viel –, wir setzen uns ins Flugzeug, in den Zug oder
kommen sonst wie nach Boston, um einen Abend mit
Essen, Trinken (meine Spezialität), chisme y charla zu verbringen. (Das ist Klatsch und Tratsch, Leute.)
Wir machen das seit sechs Jahren, seit wir einander
nach dem Abschluss an der Universität von Boston gelobt
haben, uns zweimal im Jahr zu treffen, jedes Jahr, für den
Rest unseres Lebens. Jaja, das ist eine große Verpflichtung.
Aber Collegegirls können sehr melodramatisch sein. Und
bis jetzt haben wir es geschafft! Was sagen Sie dazu? Bis
jetzt haben die meisten von uns kein Treffen des Buena
Sucia Social Clubs verpasst. Und das, Freunde, weil wir sucias verantwortungs- und pflichtbewusst sind, und das ist
weit mehr, als ich von den meisten Männern behaupten
kann, die ich bislang kennen gelernt habe; ganz besonders gilt das für Ed, den eingebildeten Texaner.
Aber darauf komme ich gleich noch.
Ich bin jetzt hier und warte auf sie, auf einer orange
Plastikbank in der Fensternische des El-Caballito-Restaurants, einer simplen jamaikanischen Kneipe, die puertoricanisches Essen serviert, das als kubanisch ausgegeben wird, in der Hoffnung, damit eine bessere Klientel
anzuziehen. Klappt aber nicht. Die einzigen Gäste heute
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Abend sind drei junge tigres mit an den Seiten ausrasierten Frisuren, weiten Jeans, karierten Hilfiger-Hemden,
Goldreifen blitzen an ihren Ohrläppchen. Sie reden einen
spanischen Slang und checken andauernd ihre Beeper.
Ich versuche sie nicht anzustarren, aber sie erwischen
mich ein paar Mal dabei. Ich gucke weg, betrachte meine
kürzlich manikürten Acrylnägel. Meine Hände faszinieren mich, weil sie so feminin wirken. Mit einem Finger
fahre ich auf der Papierplatzdecke den aufgedruckten
Umriss von Kuba entlang. Auf dem Punkt, der für Havanna steht, verweile ich kurz und versuche mir meinen Vater als Schuljungen mit kurzen Hosen und einer winzigen goldenen Armbanduhr vorzustellen, den Blick nach
Norden über das Meer gerichtet, auf seine Zukunft.
Als ich schließlich aufschaue, durchbohrt mich einer
der jungen Männer mit seinen Blicken. Was hat der denn
für ein Problem? Ich richte meine Aufmerksamkeit auf
die Autos, die durch den Schnee auf der Center Street
kriechen. Die Flocken glitzern im gelben Scheinwerferlicht. Ein typischer trostloser Abend in Boston. Ich hasse
den November. So gegen vier wurde es dunkel, kurz darauf frostig. Als ob die Holztäfelung an den Wänden und
der alte summende Kühlschrank in der Ecke des kleinen
Restaurants allein nicht deprimierend genug wären, beschlägt auch noch das Fenster von meinem Seufzen. Es
ist heiß hier drinnen. Und feucht. Es riecht nach billigem
Rasierwasser und gebratenem Schweinefleisch. In der
Küche singt jemand einen populären Salsasong falsch
mit, während die Teller knallen und scheppern. Ich lausche angestrengt, um den Text zu verstehen, weil ich hoffe, dass er zu dem peppigen Rhythmus passt und mich
aus meiner Trübsal reißt. Als mir klar wird, dass es um
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eine Liebe geht, die so schief gelaufen ist, dass der Typ seine Geliebte und sich selber umbringen will, gebe ich es
auf. Daran muss man mich wirklich nicht erinnern.
Ich kippe meine Flasche warmes Presidente-Bier, rülpse
leise. Ich bin so müde, dass ich den Puls in meinen Augen
spüre. Wenn ich blinzele, brennen sie unter den trockenen Kontaktlinsen. Letzte Nacht habe ich nicht geschlafen, die Nacht davor auch nicht, und ich war zu müde, um
die Kontaktlinsen herauszunehmen. Hab auch vergessen,
die Katze zu füttern. Ups. Sie ist fett, sie wird’s überleben.
Alles wegen Ed, natürlich. Beim Gedanken an ihn bleibt
mir das Herz stehen, und die Stirn legt sich in Falten.
An meinen Fingernägeln kann man immer erkennen,
in welchem Stadium meine jeweils zum Scheitern verurteilte Beziehung ist. Gute Nägel: schlechte Beziehung, der
Versuch, den Schein zu wahren. Hässliche Nägel: glückliche Lauren, die sich gehen lässt.
Man kann es auch daran sehen, wie fett ich bin. Bin ich
glücklich, kann ich das Essen bei mir behalten und halte
mich ungefähr bei Größe 10. Bin ich traurig, kotze ich wie
ein römischer Kaiser und schrumpfe auf 6 zusammen.
Meine lavendelfarbenen Bebe-Hosen in Größe 8, Wolle, tief auf den Hüften sitzend, sind heute Abend zu weit.
Wenn ich mich auf meinem Sitz bewege, spüre ich den
Platz in ihnen; es scheuert.
Ed, der eingebildete Texaner, ist ein Redenschreiber
(sprich: professioneller Lügner) für den Bürgermeister
von New York. Und er ist meine Fernbeziehung. Wenn
man der Netbox an seinem Arbeitsplatz Glauben schenkt
(ich habe sie geknackt; ich kann nicht lügen), macht er
mit einem Huhn namens Lola herum. Das ist kein Witz.
Lola.
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Was soll das? Und wo ist diese Kellnerin? Ich brauche
noch ein Bier.
Ich sage Ihnen, was das soll. Das ist das Universum, das
wieder einmal demonstriert, wie sehr es mich hasst. Das
meine ich ernst. Ich hatte ein bescheuertes Leben, eine
bescheuerte Kindheit, und alles, was einem so einfallen
kann, war bescheuert, und jetzt, wo ich aus meinem beruflichen Leben etwas gemacht habe, das nicht bescheuert ist, kommt der ganze oben erwähnte Mist trotz allem
zu mir zurück in Gestalt von teuflisch gut aussehenden
Männern, die mich behandeln wie, ja, Sie haben es erraten: den letzten Dreck. Ich suche sie mir nicht aus, nicht
direkt. Sie finden mich, mit diesem verdammten Radar,
den sie alle miteinander teilen. Achtung, Achtung, voran,
rechter Hand, tragische Erscheinung an der Bar, irgendwie hübsch, kippt Gin Tonics, weint vor sich hin, hat gerade auf dem Klo den Finger in den Hals gesteckt – fickt
sie. Over. Ja, fickt sie.
Daraus resultiert, dass ich die Brieftasche und Taschen
eines Mannes durchsuche und ihm in den Arsch trete,
wenn er mich betrügt. Ich würde dieses unakzeptable
Verhalten einstellen, wenn ich nicht fast immer Beweise für einen Betrug finden würde – eine Quittung von
einem Abendessen in einem schummrig beleuchteten
italienischen Restaurant, als er behauptete, er würde sich
mit seinen Kumpels die Cowboys ansehen; ein Fetzen
Serviette aus einem Delikatessenladen mit der Telefonnummer der Kassiererin in der runden blauen Schrift ungebildeter, leichtlebiger Frauen.
Sie machen immer irgendetwas hinter meinem Rücken. Das gehört dazu, wenn man ein unliebenswertes
Desaster wie mich liebt.
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Ja, ich habe einen Therapeuten. Nein, es hat nicht geholfen.
Auf keinen Fall kann ein Therapeut die Verwicklungen
der chronischen, von Müttern sanktionierten Untreue des
Latino-Mannes auflösen. Das ist nicht nur ein Stereotyp.
Ich wünschte, das wäre es. Wissen Sie, was meine kubanische Großmutter in Union City sagt, wenn ich ihr erzähle,
dass mein Mann mich betrügt? «Bueno, kämpfe härter um
ihn, mi vida.» Wie soll mir ein Therapeut dabei helfen?
Dein Mann betrügt dich, und diese traditionellen Frauen,
die eigentlich deine Verbündeten sein sollten – die geben
dir die Schuld. «Na gut», sagt abuelita mit rauer Stimme
und schwerem Akzent, während sie an ihrer schlanken
Virginia saugt, «hast du zugenommen? Achtest du auch
darauf, dass du gut aussiehst, wenn du dich mit ihm triffst,
oder gehst du in diesen Jeans? Wie ist dein Haar? Hoffentlich nicht wieder kurz. Bist du schon wieder fett?»
Meine Therapeutin, eine Nicht-Latina mit eleganten
Schals, glaubt, meine Probleme beruhten auf Dingen wie
«der narzisstischen Persönlichkeitsstörung» meines Vaters, ihre Diagnose für die Art und Weise, in der er alles
im Leben auf sich selbst, Fidel Castro und Kuba bezieht.
Sie war noch nie in Miami. Wenn sie schon mal da gewesen wäre, würde sie begreifen, dass alle Exilkubaner jenseits der fünfundvierzig genau so sind wie Papi. Für die
Exilanten gibt es kein faszinierenderes und wichtigeres
Land als Kuba, eine Insel in der Karibik mit einer Bevölkerung von elf Millionen. Das sind etwa zwei Millionen
Einwohner weniger als in New York City. Kuba ist auch
das Mekka, in das alle älteren Exilanten zurückzukehren glauben, «sobald dieser Hurensohn Castro gestürzt
wird». Massenwahn, sage ich Ihnen.
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Wenn die eigene Familie eine so große Lüge lebt, dann
ist es leicht, mit Männern zu leben, die lügen. Als ich meiner Therapeutin das erklärt habe, hat sie vorgeschlagen,
dass ich mir eine «Kubaektomie» verpasse und mit meinem amerikanischen Leben weitermache. Keine schlechte Idee, wirklich. Aber die Kinder der meisten kubanischen Exilanten, die ich kenne, wissen nicht, wie. Kuba
ist der streuende, immer wiederkehrende Tumor, den wir
von unseren Vätern geerbt haben.
Im Augenblick denke ich, dass eine Affäre mit einem
der schnieken jungen Gangster auf der anderen Seite
des Raumes die Lösung sein könnte. Man muss gesehen
haben, wie die mit den Fingern essen, das Knoblauchöl
tropft von den Shrimps in ihre sexy Ziegenbärte. Das ist
Leidenschaft, ein Gefühl, das dieses Brechmittel namens
Ed nicht mal identifizieren würde, wenn sein Leben davon abhinge. Ich könnte aus Rache einen von ihnen aufreißen. Entweder das, oder ich könnte Cheese Fries und
Doughnuts essen und bulimisch werden, bis das Weiße
in meinen Augen rot wird wie gebrochene Herzen. Oder
ich könnte in meine kleine Wohnung gehen und zu viele
selbst gemachte Screwdriver schlürfen, mich unter meiner Daunendecke verstecken und weinen, während aus
meinen Boose-Boxen die mexikanische Sängerin Ana
Gabriel – die mit der chinesischen Mutter? – über die Liebe zu ihrer Gitarre schluchzt.
Ich brauche einen Abend mit meinen sucias, Leute. Wo
bleiben die Mädchen?
Außerdem ist der heutige Abend etwas Besonderes,
denn dies ist – Trommelwirbel, bitte – der zehnte Jahrestag der ersten Zusammenkunft der sucias. Wir waren alle
Erstsemester der Universität von Boston, Fachrichtung
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Journalismus und Kommunikation, betrunken von Pfirsich-Blaubeer-Bier, das wir mittels unserer gefälschten
Führerscheine gekauft hatten, während wir in diesem
dunklen, verqualmten Gillians Club Pool spielten und
zu einem dröhnenden Remix von Suzanne Vegas «Luka»
tanzten, bis die Rausschmeißer unsere armen, naiven
culitos vor die Tür setzten. In jener Nacht hat es klick gemacht zwischen uns. Oh, und wir haben gekotzt. Diesen
Teil hätte ich fast vergessen.
Unser Reportage-Professor mit den schwarz gefärbten,
über die Glatze gekämmten Haaren erzählte uns, es sei
das erste Mal, dass sich so viele Latinas auf einmal für
Kommunikationswissenschaft eingeschrieben hatten.
Er bleckte seine gelb belegten Reißzähne, als er das sagte,
aber gleichzeitig zitterte er in seinem zu engen TweedBlazer. Wir machten ihm und seinesgleichen Angst, wie
alles, was mit «Minderheiten» zu tun hat – ganz besonders in Boston.
Jedenfalls reichte unsere kollektive Einschüchterungsmacht in dieser fortschreitend spanglischen Stadt
der Chilibohnen aus, um uns umgehend und dauerhaft
zu besten Freundinnen zu machen. Und das hält noch
immer.
Wahrscheinlich sprechen viele von Ihnen kein Spanisch, und deshalb wissen Sie nicht, was zum Teufel eine
«sucia» ist. Schon in Ordnung. Nein, wirklich. Einige von
uns sucias können auch nicht Spanisch sprechen – aber
erzählen Sie das bloß nicht meinen Redakteuren bei der
Boston Gazette, wo ich, da bin ich mir immer sicherer,
nur angestellt wurde, um das red-hot ’n’ spicy chilli pepperKlischee zu erfüllen, eine Kreuzung zwischen Charo und
Lois Lane, und wo man, dem Himmel sei Dank, immer
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noch nicht mitgekriegt hat, was für eine Betrügerin ich
bin.
Ich bin eine ziemlich gute Journalistin. Ich bin nur
keine gute Latina, jedenfalls entspreche ich nicht den
allgemeinen Erwartungen. Heute Nachmittag blieb eine
Redakteurin an meinem Schreibtisch stehen und fragte
mich, wo sie wohl mexikanische Springbohnen für den
Geburtstag ihres Sohnes kaufen könnte. Selbst wenn ich
eine Mexiko-Amerikanerin wäre (und nur als Andeutung: Ich würde Frida Kahlo liebend gern ihre zusammengewachsenen Augenbrauen epilieren und bin zutiefst desinteressiert an allem, das die Worte «Boxer» und
«East L.A.» beinhaltet), so etwas Blödes hätte ich nicht
gewusst.
Dank dem Fernsehen und Hollywood denken Sie nun
vielleicht, dass eine sucia etwas Wunderschönes, Kurvenreiches und Fremdartiges ist, Ultralatina, nicht? Wie
der mysteriöse Name eines gequält aussehenden katholischen Heiligen mit blutverschmiertem Haar oder das
wohl gehütete Rezept einer kleinen, dicken, runzeligen
abuelita, die ihre erotischen Zaubereien mit chocolate und
geheimen Kräutern und Gewürzen macht, während die
mariachis schluchzen, Salma Hayek die Kastagnetten
klappern lässt und Antonio Banderas auf einem schnaubenden weißen Pferd durch die Kakteen galoppiert mit,
na, ich weiß auch nicht, mit einem geflügelten Schwein
oder ähnlichem Scheiß in seinem bestickten Bündel, und
das Ganze unter der Regie von Gregory Nava und produziert von Edward James Olmos.
Vergessen Sie das bloß. Das ist absolut daneben.
Sucia bedeutet «schmutziges Mädchen». Usnavys kam
darauf. «Buena sucia» empfinden die meisten Spanisch
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sprechenden Menschen als ziemlich anstößig, etwa auf
einer Linie mit «fette, stinkende Nutte». Folglich ist Buena Sucia Social Club, sagen wir mal, respektlos. Und anrüchig. Es ist eine Anspielung auf diese steinalten kubanischen Musiker, die Aufnahmen mit Ry Cooder machen
und Stars in deutschen Dokumentarfilmen sind. Jeder
Nicht-Latino, den ich kenne, denkt, dass ich genetisch
prädisponiert sein müsste, sie zu mögen. (Bin ich nicht.)
Wir sind clever und irgendwie hip, was die Popkultur
angeht, wir sucias. Okay, gut. Vielleicht ist es blöde. Vielleicht sind wir blöde. Aber wir finden es witzig. Na, Rebecca nicht, aber sie ist ungefähr so witzig wie Hitlers
Arsch. Ups.
Ich werfe einen Blick auf meine Movado-Armbanduhr, ein Geschenk, das schon drei Freunde alt ist. Die Uhr
hat ein leeres Zifferblatt, wirkt so ausdruckslos wie ich,
als der Mann, der sie mir schenkte, sagte, er würde zu seiner Ex zurückgehen. Ed findet, ich sollte sie nicht mehr
tragen, es würde ihn beunruhigen. Aber ich meine dazu:
Typ, erst wenn du mir irgendwas schenkst, was nur halb
so gut ist, dann werfe ich sie weg. Es ist eine schöne Uhr.
Zuverlässig. Keine Überraschungen. Nicht wie Ed.
Nach meiner Uhr bin ich immer noch zu früh dran.
Ich brauche also gar nicht so nervös zu werden. Alles, was
ich brauche, ist noch ein Bier, um meine Nerven zu beruhigen. Wo ist diese Kellnerin?
In ein paar Minuten werden sie hier sein. Ich komme
immer zu früh. Als Reporterin bin ich darauf trainiert;
kommst du zu spät, kriegst du die Story nicht. Kriegst du
die Story nicht, riskierst du, dass irgendein mittelmäßiger weißer Typ in der Redaktion dir vorwirft, du hättest
einen Job wie deinen nicht verdient. Sie ist eine Latina,
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sie muss nur mit dem Hintern wackeln, und schon kriegt sie
hier alles, was sie will. Einer von denen hat das tatsächlich
mal gesagt, laut, sodass ich es hören konnte. Seine Aufgabe war es, die Fernsehprogramme aufzulisten, und er
hatte seit etwa siebenundfünfzig Jahren keinen originellen Satz mehr geschrieben. Er war sich sicher, dass sein
Schicksal von der «affirmative action» besiegelt worden
war, nachdem der Chefredakteur der Zeitung mich und
vier andere «Minderheiten» (sprich: Farbige) während eines Firmenbriefings hatte aufstehen lassen, nur damit er
sagen konnte: »Sehen Sie sich diese Gesichter gut an, sie
sind die Zukunft der Gazette.» Ich glaube, er fühlte sich in
diesem Augenblick politisch korrekt, als all diese blauen
und grünen Augen sich auf mich richteten, voller – was
war das? – Grauen.
So lief mein Einstellungsgespräch: Sie sind Latina?
Wie … schön. Dann sprechen Sie also Spanisch?
Wenn Sie 15 Dollar 32 auf dem Konto haben und die
Rate für den Studienkredit in einem Monat fällig ist, was
sagen Sie dann auf so eine Frage, selbst wenn die Antwort
nein ist? Sagen Sie: «He, ich habe bemerkt, dass Sie Gadreau mit Nachnamen heißen, dann sprechen Sie doch
bestimmt Französisch»? Nix. Sie steigen drauf ein. Ich
wollte um jeden Preis angeheuert werden, ich hätte auch
versucht, Mandarin zu sprechen. Bei einem Namen wie
Lauren Fernández halten sie Spanisch für inklusive. Aber
für mich ist das die amerikanische Krankheit; ohne wild
wuchernde, unlogische Stereotypisierung wären wir
nicht Amerika.
Ich gebe zu, ich habe denen nicht erzählt, dass ich zur
Hälfte weißes Pack bin, in New Orleans geboren und
aufgewachsen. Die Sippe mütterlicherseits sind Sumpf16
monster aus dem Bayou mit Öl unter den Fingernägeln
und einer rostigen olivgrünen Waschmaschine vor dem
Wohnwagen, die Art Leute, die man in Polizeifilmen
sieht, der Typ so mager wie ein totes Katzenjunges, von
oben bis unten voll mit Hakenkreuztattoos und in Tränen aufgelöst, weil die Cops sein Drogenlabor haben
hochgehen lassen.
Das sind meine Leute. Die und die Kubaner aus New
Jersey mit den blanken weißen Schuhen.
Deswegen und wegen jeder Menge anderer Sachen,
mit denen ich jetzt nicht langweilen will, habe ich mich
zu dieser chronischen Überfliegerin gemodelt und meine
ganze Existenz auf ein einziges Ziel ausgerichtet: Erfolg
im Leben. Das bedeutet Arbeit, Freunde – und Familie,
trotz allem.
Wann immer es möglich ist, kleide ich mich so, als wäre ich ganz anderen und viel normaleren Umständen entsprungen. Nichts finde ich prickelnder, als wenn Leute,
die mich nicht kennen, annehmen, ich käme aus einer typischen wohlhabenden kubanischen Familie in Miami.
Manchmal denke ich, ich bin auf der anderen Seite angekommen, wo ausgeglichene Leute ohne «Komplexe»
leben. Aber dann kommt ein angeberischer Texaner wie
Ed daher, und ich bin wieder einmal wie gelähmt, weil
mir klar wird, dass ich so perfekt sein kann, wie ich nur
will, für meine Mutter werde ich nie so wichtig sein wie
ein Sixpack. Ganz gleich wie viele Preise ich für meine
Arbeit einheimse, ich werde nie auch nur annähernd
so wichtig für meinen Dad sein wie das Kuba von vor
1959, wo der Himmel blauer war und die Tomaten besser
schmeckten. Männer wie Ed finden mich, weil sie die verborgene Wahrheit über Lauren wittern: Ich hasse mich,
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weil niemand sonst sich je die Mühe gemacht hat, mich
zu lieben.
Ich stelle die Frage noch einmal: Wie in aller Welt
kann ein Therapeut jemandem wie mir helfen?
Während des Bewerbungsgesprächs saß ich in meinem im Ausverkauf ergatterten dunkelblauen BaramiKostüm und drei Jahre alten Pumps mit einem Loch in
der Sohle im Redaktionsbüro und erzählte ihnen, was sie
hören wollten: Sí, sí, ich werde eure scharfe Carmen Míranda sein. In eurer trostlosen grauen Zeitung werde ich den Lambada tanzen. Aber was ich dachte, war: Stellt mich einfach
ein. Spanisch lerne ich später.
Während der ersten Woche im Job schlenderte ein
Redakteur an meinem Schreibtisch vorbei und sagte in
diesem vorsätzlich zu lauten Englisch, in dem mich alle
ansprechen würden: «Ich bin ja so froh, dass Sie hier sind
und Ihre Leute repräsentieren.»
Ich wollte ihn fragen, was er denn dachte, wer meine
Leute seien, aber ich kannte die Antwort schon. Was seine Leute anging, waren meine Leute Stereotype: braune
Gesichter und Haare, durch die Bank arm und ungebildet,
die aus Ländern «da unten» mit all ihren Habseligkeiten
in Plastiktüten über die Grenze schwärmten.
Ich brauche noch ein Bier. Dringend.
«Oye!», rufe ich der Kellnerin zu. «Traeme otra.»
Sie stemmt den Arm auf ihre breite Hüfte und schiebt
das lange schwarze Haar aus ihren hübschen Augen.
«Como?», fragt sie verwirrt. Sie schaut sich eine mexikanische Seifenoper auf einem kleinen Fernseher hinter
dem Tresen an und ist verärgert, weil man sie mit so was
wie Arbeit belästigt.
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