Der zweite Versuch

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Der zweite Versuch
JüdischeZeitung
seitedrei
Mai 2012, Nr. 75
www.jzeit.de
Seite 3
Der zweite Versuch
Douglas Wolfsperger möchte einen Film über die Theresienstadt-Oper «Brundibár» machen. Das ist schwieriger als gedacht
«Ich mache den Film auf jeden Fall».
Douglas Wolfsperger glaubt an das
«Brundibár»-Projekt.
Foto: Moritz Reininghaus
Von Moritz Reininghaus
Z
wei Jugendliche streiten über den
Holocaust. «Es kann mir keiner erzählen, dass er nichts bemerkt hat»,
sagt der eine. Er ist sich sicher: «Die
Leute haben damals etwas gewusst. Wenn
die Leute heute erzählen, sie konnten nichts
dagegen machen, ist das gelogen!» Man
habe, sagt er, damals durchaus mitbekommen, wie die Juden verschleppt wurden: «Es
wurde vorher sogar angekündigt und dann
durchgezogen. Und keiner hat etwas dagegen gemacht.» Wenn er damals gelebt hätte, behauptet er nun, hätte er auf jeden Fall
etwas dagegen unternommen. «Hey, was ist
denn mit Dir los?», fährt ihn der andere an
und legt dar, dass man in dieser Frage nicht
nach heutigen Maßstäben urteilen könne.
Da mischt sich ein Mädchen ein. Sie steht
dazu, dass sie damals wahrscheinlich «mitgemacht» hätte: «Weil ich ganz genau weiß: Ich
bin ehrlich zu mir». Dann folgt der Sprung
in die Gegenwart und es wird die Frage aufgeworfen, inwiefern heute einzelne den Mut
aufbringen, gegen den Strom zu schwimmen
und dafür Unannehmlichkeiten in Kauf zu
nehmen: «Bist Du zur Demo gegen den Abschiebeknast auf dem Flughafen Schönefeld
gegangen?», wird dem «Widerständler» nun
vorgehalten. Noch nicht einmal an Leib und
Leben bedrohten Menschen, wie von der Abschiebung bedrohten Asylbewerbern, lasse
er also seine Hilfe zukommen.
Was sich an einem späten Sonntagnachmittag im Berliner Stadtteil Reinickendorf
nach einem handfesten Streit anhört, ist in
Wirklichkeit eine Theaterprobe. Doch am
ernsthaften und überzeugenden Tonfall der
jungen Schauspieler kann man erkennen,
dass hier mehr als nur eine Textvorlage zur
Sprache gebracht wird. Auf der Probebühne
in einer alten Lagerhalle stehen «Die Zwiefachen», die Jugendtheatergruppe der Berliner
Schaubühne. Im Juni werden sie die Kinderoper «Brundibár» auf die Bühne bringen.
Einziger Zuschauer bei der Probe ist der Filmemacher Douglas Wolfsperger. Er hatte die
Idee, die heute vor allem bei Schulen sehr beliebte Oper von den «Zwiefachen» aufführen
zu lassen und den Prozess bis zur Premiere
mit der Kamera zu begleiten.
Vor allem Dokumentarfilme hat Wolfsperger in den letzten Jahren gedreht. Sein
bislang persönlichster Film war auch sein
umstrittenster: In «Der entsorgte Vater»
thematisierte er 2008, dass er seine Tochter
nicht mehr sehen darf, weil deren Mutter
dies so möchte. Ihm wurde damals vorgeworfen, dass es ein subjektiver Film wurde.
Andere überzeugte genau dieser Aspekt. «Ich
stehe nicht auf trockene Dokus», sagt Douglas Wolfsperger und erklärt mit Blick auf
sein neuestes Projekt, dass er vom Spielfilm
kommt. Deshalb hat er nun mit Igor Luther
einen ganz besonderen Kameramann engagiert, der keinen geringen Anteil daran hatte, dass Volker Schlöndorffs Verfilmung der
«Blechtrommel» 1979 mit der «Goldenen
Palme» und 1980 mit dem «Oscar» als bester ausländischer Film ausgezeichnet wurde.
Deshalb schreckt Wolfsperger auch nicht vor
dem Einsatz von Musik zurück. Und deshalb
sind seine Filme eine durchaus kostspielige
Angelegenheit. Rund 300.000 Euro braucht
er, um den «Brundibár»-Film zu machen.
Das mag in der Welt des Films eine recht
kleine Summe sein, in diesem Fall könnte es
das Aus für das Projekt bedeuten. «Ich hatte
noch nie Probleme, das Geld für meine Filme
aufzutreiben» sagt Wolfsperger und wundert sich, dass es sich ausgerechnet bei dieser
Thematik anders gestaltet. Doch bisher hat
er nur einen Bruchteil des Geldes einwerben
können. Hauptsächliches Problem dabei ist,
dass einem Film mit Holocaust-Thematik
kaum zugetraut wird, viele Zuschauer zu erreichen. Von der Filmförderung werden aber
vor allem Filme unterstützt, die ohnehin viel
Geld machen werden. Und Stiftungen, die
sich thematisch um Themen wie den Holocaust kümmern, schließen nicht selten die
Förderung von Filmprojekten kategorisch
aus. Deshalb tingelt er nun seit Monaten von
einer Stiftung zur nächsten. Meistens erhalte
er gleich eine Absage, manchmal einen Betrag von 1.000 oder 2.000 Euro, erzählt er
und zuckt mit den Schultern. Auch wenn er
von der Suche nach dem Geld erschöpft ist,
von der Idee für den Film ist er nach wie vor
überzeugt. Und mit dieser Auffassung ist er
nicht allein.
Denn zunächst hatte die Theaterpädagogin Uta Plate angesichts des Themas durchaus ihre Bedenken. Dass sie mit ihren Jugendlichen noch nie eine Oper eingeübt hatte, war
dabei das kleinste Problem. Schwerer wog ihre Befürchtung, dass das Thema Holocaust
den jungen Schauspielern, die selbst schwere
Geschichten hinter sich haben und deshalb
heute in betreuten Wohnprojekten leben,
keine Luft zur Entfaltung lassen könnte.
Auch die Frage, wie man sich dem Thema
angemessen nähern kann und das Theaterstück dabei nicht zur Gedenkveranstaltung
erstarrt, gab ihr zu denken. Doch letztendlich
konnte Wolfsperger die Theaterpädagogin
dann doch recht schnell mit seiner Idee für
sich gewinnen. Denn auch sein Film stellt
die Frage, welchen Bezug Jugendliche von
heute zum Holocaust haben.
Plate ist seit 1999 an der Schaubühne tätig
und mit den «Zwiefachen» erarbeitete sie bereits die unterschiedlichsten Stücke. Derzeit
besteht die Truppe aus acht Jugend­lichen und
jungen Erwachsenen zwischen 16 und 23 Jahren. Sie werden von sieben Kindern gesanglich unterstützt. Im Gespräch mit ihnen wird
schnell deutlich, dass sie nicht gern in Schubladen gesteckt werden. Ziel der Theaterarbeit
mit ihnen ist dabei nicht nur, ihre künstlerischen Fähigkeiten zu stärken, sondern auch
grundlegende Dinge wie Pünktlichkeit und
Zuverlässigkeit. Seit einem halben Jahr proben
sie, nun kurz vor der Premiere mehrmals in
der Woche und wenn es sein muss, natürlich
auch am Wochenende und mit größter Hingabe. Und mit Norbert Ochmann hat sich ein
musikalischer Leiter für die Inszenierung gefunden, der seit Wochen ohne Bezahlung tätig
ist. Auch er kann nur darauf hoffen, dass sich
daran bald etwas ändern wird.
«Was ist Theater für Euch?» ruft Uta Plate
in die Runde und eröffnet damit spontan ein
Brainstorming. «Energie, die man auf das Leben übertragen kann», antwortet die 17-jährige Annika aus Schöneberg, die mit der
Aninka eine der Hauptrollen übernommen
hat. «Selbstverwirklichung» sagt ein anderer
und meint damit, dass er sich auf diesem Weg
selbst besser kennenlernen kann. Theaterspiel
als Brücke nach Theresienstadt. «Dort wurde
Theater gemacht, hier wird nun auch Theater
gemacht», sagt Uta Plate.
Die 1938 komponierte und 1941 im jüdischen Kinderheim in Prag uraufgeführte
Oper von Hans Krása und Adolf Hoffmeister
wurde im beschönigend gern als «Ghetto»
bezeichneten Konzentrationslager Theresienstadt über fünfzigmal aufgeführt. Dort gab
sie inhaftierten Kindern und Jugendlichen
ein Stück Normalität und Unterhaltung, war
aber auch Teil des perfiden Täuschungsmanövers um das Lager. Nicht nur gegenüber
den Inspektoren des Roten Kreuzes, auch
in dem später unter dem Titel «Der Führer
schenkt den Juden eine Stadt» bekannt gewordenen Propagandafilm wurden Szenen aus
«Brundibár» gezeigt. Damit sollte der Welt
vorgeführt werden, dass in den nationalsozialistischen Lagern ein normales Leben und
angenehme Bedingungen herrschten.
«Meine Urgroßeltern leben in Pakistan,
mein Vater lebt hier in Deutschland, ist aber
auch Pakistaner, meine Mutter ist in Sizilien
geboren und hier aufgewachsen, mein Stiefvater kommt aus der Türkei und ich gehöre zu
der vierten Generation nach dem Holocaust.
Und deswegen bin ich davon überzeugt, dass
es mich etwas angeht.» Auch der Text der
17-jährigen Ikra ist im Dialog der Schauspieler entstanden und gibt ein Stück weit deren
Lebensrealität wieder. «Brundibár» dauert
eigentlich nur eine halbe Stunde. In der Aufführung an der Schaubühne wird sie immer
wieder von Assoziationen unterbrochen, die
die Jugendlichen zum Thema «Drittes Reich»
haben und Diskussionen, die sie untereinander führen. Damit sollen der persönliche Be-
zug und die eigenen Familienhintergründe eingebunden werden. Auch das möchte Douglas
Wolfsperger in seinem Film darstellen.
Und die Jugendlichen haben Geschichten
zu erzählen. «Ich habe mich früher in rechtsradikalen Kreisen bewegt und irgendwann gemerkt, dass das alles total schwachsinnig ist,
was da so verzapft wird», berichtet David. Er ist
23 Jahre alt und kommt aus Charlottenburg.
«Das Theater ist meine eigene Art, mich damit auseinanderzusetzen, mich darüber mehr
zu informieren. Es ist dazu echt eine geeignete
Sache, weil es mich dem Ganzen auch näherbringt und weil es eben nicht so geballte Information ist wie in der Schule.»
Für Uta Plate ist das genau der Balanceakt,
den es in dem Projekt zu meistern gilt: «Wir wollen die Geschichte beiläufig erzählen und trotzdem genau bei den Fakten bleiben. Wir wollen
keinen Geschichtsunterricht machen, aber
trotzdem auch nichts Falsches sagen.» Deshalb
werden sie den Abend mit dem Satz eröffnen:
«Wir sind „Die Zwiefachen“ und in der Schule
hat das mit der Vermittlung des Nationalsozialismus nicht geklappt. Das hier ist unser zweiter
Versuch. Wir nehmen die Kinder-Oper „Brundibár“ und versuchen zu verstehen.»
«Ich bin ja eigentlich nicht ganz Deutsche. Aber wenn ich sage: „Die Deutschen“,
dann fühle ich mich schon angesprochen»,
erläutert Ikra und verweist damit auf einen weiteren Aspekt des Projekts: «Auf der
Schulbank ist man sehr wenig emotional,
durch das Theater wird man schon viel
emotionaler an das Thema herangeführt.»
Emotionen spielen eine große Rolle. In
Wolfspergers Film, aber auch bereits im Projekt der Schaubühne. Im Mai werden die Jugendlichen nach Theresienstadt fahren und
dort nicht nur auf den Schauplatz treffen, an
dem die Kinderoper ihren Ausgangspunkt genommen hat, sondern auch auf Greta Klingsberg. Sie spielte einst in Theresienstadt die
Aninka. Anders als die meisten anderen Kinder, aber auch der Komponist der Oper Hans
Krása, hat sie den Holocaust überlebt. «Ich habe Angst davor, tatsächlich in Theresienstadt
zu sein», sagt eine der Schauspielerinnen nach
der Probe. «Wir reden die ganze Zeit darüber
und setzen uns damit auseinander. Man kann
viel darüber reden, aber dann letztendlich an
dem Ort zu sein, wird dann doch noch mal
etwas anderes sein».
Douglas Wolfsperger und sein Filmteam
werden auch in Theresienstadt sein und den
Moment einfangen, wenn sich die Jugendlichen aus Berlin und Greta Klingsberg zum
ersten Mal begegnen. «Ich werde den Film
auf jeden Fall machen», sagt der Regisseur,
«auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich es
bezahlen soll» und klingt bei aller Verzweiflung trotzig und entschlossen. Er hat sich
vorgenommen, einen Film zu drehen, der
mit Leichtigkeit daherkommt.
Die Premiere von «Brundibár» in der Schaubühne am Lehniner Platz (Kurfürstendamm
153, 10709 Berlin) findet am 16. Juni um
19.30 Uhr statt. Weitere Vorstellungen vom
17. bis zum 19. sowie am 21., 23. und 24. Juni,
jeweils um 19.30 Uhr.
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