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Dieter Gräbner Die van Imhoff – das Totenschiff Geschichte und Mythos einer Weltkriegstragödie CONTE libri vitae Libri Vitae Band XVIII Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-941657-34-2 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © CONTE Verlag GmbH, 2012 Am Ludwigsberg 80-84 66113 Saarbrücken Tel: (06 81) 4 16 24-28 Fax: (06 81) 4 16 24-44 E-Mail: info@conte-verlag.de Verlagsinformationen im Internet unter www.conte-verlag.de Lektorat: Simon Scharf Umschlag & Satz: Markus Dawo Druck und Bindung: PRISMA Verlagsdruckerei GmbH, Saarbrücken Inhaltsverzeichnis Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Als Baron van Imhoff nach Ostindien kam . . . . . . . . 13 2. Das Codewort hieß Berlijn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Frauen und Kinder nach Japan, die Männer nach Indien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Die van Imhoff läuft aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5. »Wer den Stacheldraht berührt, wird erschossen« . . . 53 6. Nias wird deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 7. Vier Millionen Gulden »Sühnegeld« erpresst . . . . . . 83 8. War die van Imhoff-Tragödie ein Kriegsverbrechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 9. Kein hinreichender Verdacht einer strafbaren Handlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 10. Nachtrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5 Prolog Die Recherchen zu diesem Buch beginnen mit dem Brief des Polizeihauptkommissars Christoph Missy an die Saarbrücker Zeitung. Christoph Missy schlägt vor, über den Untergang des niederländischen Südseefrachters van Imhoff vor Sumatra im Jahr 1942 zu berichten, bei dem 408 deutsche Internierte ums Leben kamen. In dem Brief heißt es weiter, dass ein gewisser Hermann Reiter, Jahrgang 1896, aus Höchen im Saarland stammend und einstmals Missionar der Basler Missionsgesellschaft auf Borneo, mit der van Imhoff unterging. Ich rief Missy an, wir verabredeten uns Spätnachmittags bei ihm zu Hause in Höchen. Es ist ein malerisch gelegenes Dorf mit etwa 1 700 Einwohnern auf über 500 Metern Höhe und liegt an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Christoph Missy ist stolz auf sein Dorf: »Das 750-jährige Jubiläum wollen wir 2012 richtig feiern und in diesem Zusammenhang eine Ortschronik herausgeben, in der die Geschichte des Dorfes erzählt werden soll. Mich haben vor allem die Lebensgeschichten der Menschen im Dorf interessiert. Und die wollen wir auch erzählen. Das ist erlebte Geschichte.« Bei seinen Recherchen nach den Schicksalen der Menschen, die mal hier wohnten und irgendwann weg gingen, traf er Hasso Lehmann, einen Dorfbewohner. Der brachte ihm ein Foto, das einen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg zeigte und erklärte: »Das war Hermann Reiter aus Höchen. Er war Missionar und ist im Zweiten Weltkrieg bei einem Luftangriff im Indischen Ozean umgekommen.« Hasso Lehmann wusste auch, dass Leni Sorg, eine Nichte von Hermann Reiter, im Dorf lebte. Sie hatte Fotos aufbewahrt, die Hermann Reiter aus Borneo nach Höchen zu seinen Eltern und 7 Hermann und Emilie Reiter mit Hausjungen Geschwistern geschickt hatte. Von ihr erhielt Christoph Missy später auch die Adressen der fünf Kinder von Hermann Reiter, die in Deutschland und Frankreich leben. Bald begann ein reger Briefwechsel zwischen Missy und zwei Söhnen des Missionars. Sie erzählten, dass Hermann Reiter und seine Frau Emilie zwei Mal in Indonesien waren. Das erste Mal von 1925 bis 1932. Zwischen 1932 und 1935 arbeitete Hermann Reiter als Pfarrer in Landau in der Pfalz. 1936 brachen die Eheleute zu ihrer zweiten Missionsreise nach Niederländisch-Indien auf und bauten in der kleinen Stadt Muara Teweh in der Provinz Zentral-Kalimantan auf Borneo eine Missionsstation auf. Hermann Reiter unternahm mehrere Expeditionen ins Land. Er übersetzte Teile des Neuen Testaments und einige Kirchenlieder in die Sprache der Siang-Dayaks, eines Kopfjägerstammes. In Muara Teweh wurde am 8. August 1937 Werner, das fünfte Kind des 8 »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« Missionarspaares, geboren. Emilie und Hermann Reiter schrieben Briefe nach Hause an ihre Kinder, die – wie der jüngste Sohn Werner Reiter später in einer Familienchronik aufschrieb – sehr unter der Trennung litten. 1940 erreichte der Zweite Weltkrieg Niederländisch-Indien. Die Deutschen, die hier seit Jahrhunderten mit den Niederländern freundschaftlich zusammenlebten, waren nun Feinde. Hermann Reiter wurde wie alle anderen deutschen Männer festgenommen. Die Familie war fortan getrennt, seine Frau und sein Sohn Werner wurden vom Internationalen Roten Kreuz nach Japan gebracht. Hermann Reiter gehörte zu den 473 deutschen Gefangenen, die am 19. Januar 1942 mit dem niederländischen Südseefrachter van Imhoff nach Bombay gebracht werden sollten. Die van Imhoff wurde jedoch von einem japanischen Bomber angegriffen und 9 Einweihung der Kirche in Poerek-Tjahoe sank. 412 deutsche Gefangene ertranken. Einer von ihnen war Hermann Reiter. Soweit der Bericht von Christoph Missy. Ich war neugierig geworden und recherchierte weiter: In alten Zeitungsberichten, vor allem im Nachrichtenmagazin Der Spiegel1 war nachzulesen, der japanische Bomberpilot habe das Schiff, das ohne Rot-Kreuz-Flagge fuhr und deshalb nicht als ziviles Gefangenentransportschiff zu erkennen war, für einen Truppentransporter gehalten. Der Kapitän der van Imhoff hätte sich geweigert, die deutschen Gefangenen mit in die Rettungsboote zu nehmen. Es habe sogar eine Anweisung der niederländischen Marine gegeben, dass deutsche Schiffbrüchige nicht gerettet werden sollten. Was war wirklich passiert an Bord der van Imhoff? Was waren die Hintergründe? Was war die Vorgeschichte? Im Archiv des Aus- 1 Der Spiegel, Ausgabe 52/1965, Seite 42, und Ausgabe 7/1966, Seite 62 10 Die van Imhoff auf Reede wärtigen Amtes fand ich authentische Berichte von Überlebenden sowie Akten, in denen den niederländischen Behörden vorgeworfen wird, die Wahrheit über den Untergang der van Imhoff bewusst zu vertuschen. Ich fand auch Akten über ein Ermittlungsverfahren der Oberstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Kapitän der van Imhoff, das allerdings eingestellt worden war. Und mit Hilfe des Historikers Jens Bappert in s’Hertogenbosch in den Niederlanden konnte ich Dokumente aus niederländischen Archiven einsehen, die offenbar belegen, dass die Weigerung des Kapitäns, die deutschen Internierten zu retten, ein Kriegsverbrechen gewesen sei. Zu diesem Schluss kommt zumindest der niederländische Historiker Bert Röling, ein anerkannter Völkerrechtsexperte, der 1946 Richter bei den Kriegsverbrecherprozessen des Internationalen Militärgerichtshofes in Tokio war. Der Untergang der van Imhoff ist ein ganz dunkles Kapitel niederländisch-deutscher Beziehungen in Niederländisch-Indien. 11 Die Geschichte dieser Beziehungen reicht weit zurück. Sie beginnt vor über fünfhundert Jahren im heutigen Staat Indonesien mit einem Deutschen, der van Imhoff hieß und endet als Tragödie auf einem Schiff, das seinen Namen trug. Dieter Gräbner, im Februar 2012 12 1. Als Baron van Imhoff nach Ostindien kam Jahrhunderte lang lebten in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien, Niederländer und Deutsche freundschaftlich miteinander. Die deutschen Bewohner waren Kaufleute, Ärzte, Ingenieure, Pflanzer oder Missionare. Sie dienten als Soldaten in der KNIL, in der KöniglichNiederländisch-Indischen Kolonialarmee oder arbeiteten in der niederländischen Kolonialverwaltung. Die Deutschen waren die zweitgrößte europäische Bevölkerungsgruppe und gehörten zur Oberschicht. In der Kolonie gab es deutsche Vereine, Handelsvertretungen, Kinos, Telefone und Autos. Bevor die Niederländer im 16. Jahrhundert nach NiederländischIndien kamen, war Portugal die beherrschende Kolonialmacht im Archipel Südostasiens. Mit den Portugiesen beginnt in Indonesien auch die Geschichte der Deutschen. Im Jahr 1505 lief Francesco de Almeida, der zuvor von König Emanuel I. zum Vizekönig von Indien ernannt worden war, mit einer Flotte von 22 Schiffen, einer tausendköpfigen Besatzung und 1 500 Fußsoldaten Richtung Südostasien aus. Seine wichtigste Aufgabe war es, den Gewürzhandel in Ostindien unter portugiesische Kontrolle zu bringen. Drei Schiffe der Expedition unterstanden dem Kommando des deutschen Kaufmanns Andreas »Endres« Imhoff. Mit an Bord waren außerdem die Vertreter der großen deutschen Handelshäuser Fugger, Hirschvogel, Hochstetter, Imhoff und Welser. Balthasar Sprenger vom Augsburger Handelshaus der Welser schrieb auf, was sie auf der abenteuerlichen Expeditionsreise erlebten. 1509 erschienen seine 13 Aufzeichnungen als Buch unter dem Titel Meerfahrt, illustriert mit Holzschnitten, die der Augsburger Zeichner Hans Burgkmair nach den Erzählungen Sprengers angefertigt hatte. Die Meerfahrt war der erste authentische Bericht über die Lebenswelt der Menschen im fernen Ostindien. Die Reise war ein Erfolg, da Portugal seine Vormachtstellung vorerst noch behaupten konnte. Angelockt von den Verdienstmöglichkeiten im Gewürzhandel kamen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer mehr Niederländer in die tropische Inselwelt Ostindiens und versuchten, die portugiesische Vormachtstellung zu unterlaufen. Portugal galt im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts als das politische Anhängsel Spaniens. Als die Niederlande mit ihrem Sieg im so genannten Achtzigjährigen Krieg von 1568 bis 1648 ihre Unabhängigkeit von der Spanischen Krone erkämpft hatten, bedeutete dies zugleich das Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft in Südostasien: Die Niederländer übernahmen nicht nur den Gewürzhandel, sie waren fortan auch die alleinigen Kolonialherren. Bereits 1602 wurde in diesem Zusammenhang die VOC, Vereinigte Niederländische Ostindien-Companie, mit Hauptsitz in Batavia, dem heutigen Jakarta, eingerichtet. Die VOC war eine privatrechtliche Handelsgesellschaft und verfügte im Namen der Niederlande über quasi hoheitlich-staatliche Rechte. Sie konnte Verträge mit fremden Herrschern schließen, Land und Stützpunkte erwerben und ihre Interessen auch militärisch durchsetzen. Das tat sie auch rücksichtslos mit ihrer Armee, in der Söldner aus vielen europäischen Ländern Dienst taten. Etwa die Hälfte des militärischen Personals kam aus Deutschland. Im 18. Jahrhundert prägte ein Deutscher, ein Nachfahre jenes Andreas Imhoff vom gleichnamigen Handelshaus, die Geschichte der niederländischen Kolonie entscheidend: Gustaaf Wilhelm 14 Baron van Imhoff, geboren am 9. August 1705 in Leer, Ostfriesland. Er stammte aus der ostfriesischen Linie der auch in Holland hoch angesehenen Familie van Imhoff. Sein Großvater mütterlicherseits war Bürgermeister von Amsterdam und zugleich Mitglied des Direktoriums der Ostindischen Companie. Als Neunzehnjähriger ging Gustaaf Wilhelm Baron van Imhoff am 19. Januar 1725 als Untercommies nach Batavia. Er war ein Mann mit christlichen Grundsätzen, diplomatischem Geschick und Durchsetzungsvermögen. 1727 heiratete er Katarina Magdalena Huysmann, die Tochter des damaligen Generalgouverneurs, was zum einen seine Position innerhalb der VOC stärkte und ihm außerdem eine ansehnliche Mitgift seiner Braut sicherte. 1730 wurde er Sekretär der Regierung Indiens, zwei Jahre später schickte man ihn in das damalige Ceylon, das heutige Sri Lanka. Sein dortiger Auftrag: Er sollte im Wesentlichen die Vetternwirtschaft und Kungelei unter den VOC-Beamten beenden. Eine schwierige Aufgabe, die er mit Geschick und Durchsetzungsvermögen löste. Gleichzeitig unterstützte er die ansässigen christlichen Missionare: 1738 ließ er in Colombo auf eigene Kosten einen Katechismus und eine Bibel in singhalesischer Sprache drucken und unter der Bevölkerung verteilen.2 Im Jahre 1740 wurde er zum Generalgouverneur von Niederländisch-Ostindien ernannt: 1743 lockerte er in dieser Funktion die Bedingungen, unter denen die Chinesen in Batavia lebten, vor allem die für die Chinesen geltenden Einschränkungen im Handel. Er gründete die Stadt Bogor, in Jawa Barat, Westjava, in Indonesien, die heute über 750 000 Einwohner zählt. Sie liegt etwa sechzig Kilometer südlich von Jakarta. Im Sommer war Bogor der bevorzugte Aufenthaltsort der niederländischen Colonial-Society, die das Städtchen Buitenzorg – auf Deutsch etwa Sorglos – nannte. 2 Nach de.wikisource.org/wiki/ADB:Imhoff,_Gustav_Wilhelm_Baron_van, am 22.1.2012 15